Kolumbien | Nummer 468 - Juni 2013

Zweifelhafter Verhandlungserfolg

Das erste Zwischenergebnis der Verhandlungen zwischen Regierung und Guerrilla über die Landfrage ist erreicht, aber nicht unumstritten

Neun Verhandlungsrunden und sechs Monate hat es gedauert: Nun haben sich in Havanna FARC und kolumbianische Regierung im ersten Punkt auf der Agenda der Friedensgespräche geeinigt. „Ein historisches Ereignis”, sei die Verständigung auf eine Agrarreform sagen die einen. „wenig Konkretes”, sagen die anderen. Doch wie einig sind sich beide Seiten wirklich?

David Graaff

Es war die Nachricht des Tages in Kolumbien. Die Verhandlungsdelegationen konnten sich sicher sein, an einem Sonntagvormittag die mediale Aufmerksamkeit zu bekommen, die der erste greifbare Fortschritt der seit November andauernden Friedensgespräche verdient zu haben schien.
„Historisch” sei diese Einigung, jubelte nicht nur die Presse sondern auch zahlreiche Politiker_innen aller Couleur. Die internationale Staatengemeinschaft, von den lateinamerikanischen Nachbarn bis zu den USA, nahm die Botschaft nach eigenem Bekunden mit Wohlwollen bis Freude auf. Grund dazu gibt es formal allemal: Wenn sich die einst als Bauernguerilla gegründete und sich bis heute in ihrem Selbstverständnis noch immer als Verfechter der Interessen der kolumbianischen Bäuerinnen und Bauern gerierende FARC und eine kolumbianische Regierung nach 50 Jahren Krieg, wenn auch nur auf dem Papier, auf eine Agrarreform einigen, dann ist das nicht unbedeutend.
Entsprechend vollmundig und selbstbewusst verlautbarten dann auch die Verhandlungsparteien, man habe mit der Einigung den „Beginn einer radikalen Umwälzung der ländlichen und landwirtschaftlichen Realität Kolumbiens hin zu Gleichheit und Demokratie” eingeleitet.
Mit den Präzisierungen, über was genau man sich geeinigt hatte, enttäuschten beide Seiten allerdings: In einem gemeinsamen Kommuniqué erklärten FARC und Regierung die erreichten Ergebnisse. Man habe sich über den Nutzen und Zugang zu Land verständigt, wolle Eigentumsrechte formalisieren und die kleinbäuerlichen Schutzzonen ausweiten.
Über einen staatlichen Landfonds, in den, so der Plan, öffentliches Brachland und illegal angeeignete und von den Behörden zurückgewonnene Flächen einfließen werden, sollen zudem Ländereien an Kleinbäuerinnen und -bauern verteilt werden. Darüber hinaus soll es Entwicklungsprogramme geben, die Infrastruktur in ländlichen Regionen soll verbessert und die soziale Situation der Kleinbäuerinnen und -bauern durch Investitionen in Bildung, Wohnraum und Gesundheit sowie der Ausbau der solidarischen und kooperativen Wirtschaft vorangetrieben werden.
Konkreter wurde das Kommuniqué nicht. Wer die Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und FARC in den letzten Monaten aufmerksam verfolgt hatte, der hat mit der Verkündung einer Einigung inhaltlich wenig Überraschendes erfahren und wenige Antworten auf drängende Fragen erhalten: Was geschieht beispielsweise mit dem Großgrundbesitz? Wie soll die ungleiche Landverteilung beziehungsweise die Nutzung eines Großteils der Ländereien für die unproduktive und oftmals inadäquate Viehwirtschaft bekämpft werden? Inwieweit wird Landbesitz ausländischer Investoren begrenzt?
Humberto de la Calle, Verhandlungsführer der Regierung beeilte sich jedenfalls zu betonen, dass alle Maßnahmen unter vollständigem Respekt des Privateigentums und des Rechtsstaates durchgeführt würden. „Die legalen Besitzer haben nichts zu befürchten,” sagte er. Ein Wink mit dem Zaunpfahl an die Großgrundbesitzer_innenelite, die die Friedensverhandlungen mit der Guerilla sehr kritisch sieht.
Wie Vertreter_innen der FARC auf einer Universitätskonferenz im südkolumbianischen Neiva am Mittwoch sagten, bestehe zu eben diesen Punkten noch Uneinigkeit mit der Regierung. Diese müssten daher bis zum Abschluss der Gespräche noch geklärt werden.
Die Vermutung liegt nahe, dass die Regierungsseite möglicherweise auf die Verkündigung einer Einigung gedrängt hatte, die Einigkeit aber tatsächlich nur partiell besteht. Nachdem sechs lange Monate kaum wahrnehmbare Fortschritte mitgeteilt worden waren und das Murren der Kritiker _innen bereits lauter geworden war, musste Präsident Santos schnellstmöglich Ergebnisse vorweisen. Je länger die Verhandlungen insgesamt dauern, um so skeptischer wird die kolumbianische Öffentlichkeit und finden die Gegner_innen des Friedensprozesses Zuspruch.
Generell bleibt der Eindruck bestehen, dass beide Seiten die Tragweite eines Friedensschlusses überschätzen beziehungsweise für ihre Zwecke nutzen. Die FARC sind bemüht zu vermitteln, dass sie in Havanna die Interessen und Forderungen aller sozial und wirtschaftlich benachteiligter Kolumbianer_innen vertreten und dabei sind, den kolumbianischen Staat dazu zu bringen, endlich für soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Dass dem nicht so ist, liegt angesichts der Ablehnung und Vorbehalte zahlreicher linker Organisationen gegenüber der FARC und dem Friedensprozess auf der Hand.
Die Regierung Santos wiederum scheint die Friedensverhandlungen und eine daraus hervorgehende „neue“ Agrarpolitik für eine Modernisierung des Staates nutzen zu wollen, das heißt bürokratische Defizite im Agrarbereich zu beheben und die fehlende Staatlichkeit durch stärkere Bürokratisierung und Institutionalisierung sowie Wohlfahrts- und Infrastrukturmaßnahmen bis in die letzten Winkel des Landes durchsetzen zu wollen. Die in Havanna beschlossene Formalisierung von kleinbäuerlichem Landbesitz (eine historische Forderung der FARC, die aus den die „Agrargrenze“ überschreitenden Kolonist_innen entstand und bei denen sie bis heute ihren stärksten ideologischen Rückhalt hat) und die Schaffung eines Landfonds sind mit anderen Maßnahmen der Regierung politisch kongruent.
Die zuständigen Behörden sind dabei, das staatliche Brachland zu erfassen und das Kataster zu aktualisieren. Zudem meldet das dem Landwirtschaftsministerium unterstellte Institut zur ländlichen Entwicklung regelmäßig die erfolgreiche Wiedergewinnung illegal angeeigneter Ländereien. Jedoch ist fraglich, ob dies in der Konsequenz zur Stärkung kleinbäuerlicher Produktionsstrukturen führt oder vielmehr zu einer Erschließung dieser Regionen für die Ausbeutung der vorhandenen Ressourcen oder die Etablierung großindustrieller Agrarprojekte.
Der Beitritt Kolumbiens zur OECD vor einigen Tagen lässt daran ebenso zweifeln wie die Tatsache, dass die Regierung Santos derzeit versucht, den großflächigen Besitz von staatlichem Brachland durch Großunternehmen mit einer Gesetzesreform neu zu regeln. Nach derzeitiger Rechtslage darf der Staat Brachland lediglich in kleinen Einheiten und nur Einzelpersonen zusprechen.

Für die vollständige Übersetzung der Kommuniqués der FARC und der Regierung ins Deutsche siehe: http://amerika21.de/blog/2013/05/83052/kommunique-farc-regierung

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