Zwischen Privatisierung und Korruption
Die neoliberale Modernisierung greift um sich
In der Tat hat die seit 1992 amtierende Regierung ihr Modernisierungsvorhaben mit zahlreichen Privatisierungen deutlich unter Beweis gestellt. Mit der Modernisierung sollen in Ecuador die Marktkräfte gestärkt werden, um das Land auf die globalen Veränderungen vorzubereiten und die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.
In Wirklichkeit handelt es sich hierbei nicht gerade um eine neue Strategie, wird doch lediglich der bereits 1982 initierte und seitdem von den nachfolgenden Regierungen praktizierte neoliberale Kurs beschleunigt und vertieft. Eine Verdopplung der Auslandsschulden von 6,6 Milliarden auf 12,9 Milliarden US-Dollar und ein den Verfall der Währung ausdrückender Anstieg des Wechselkurses von 49,8 auf 2118 Sucres pro US-Dollar sind die vorläufigen Ergebnisse der zweijährigen Regierungszeit.
Der Maßnahmenkatalog der ecuatorianischen Regierung, der 1994 vom Internationalen Währungsfonds (IWF) gebilligt wurde, betont die Notwendigkeit, Staatsvermögen in private Hände zu überführen und stellt die Inflationsbekämpfung als Sozialpolitik dar – obwohl der Regierung gerade in dieser Hinsicht jegliche Perspektive fehlt. So soll die Inflationsrate, die Anfang 1992 bei 56 Prozent pro Jahr lag, bis Ende 1994 auf 20 Prozent pro Jahr gesenkt werden. Sind diese Ziele erst einmal erreicht, bleibt die Hoffnung auf ausländische Investitionen, die dem wirtschaftlichen Wachstum den entscheidenden Impuls geben sollen.
Im Bemühen um höhere Steuereinnahmen und größere Liquidität zur Tilgung der Auslandsschulden bediente sich die Regierung eines komplizierten Systems steigender Kraftstoffpreise. In diesem System sind drei Elemente vereinigt: der Preis von auf Erdöl basierenden Produkten, der Preis des ecuatorianischen Rohöls auf dem Weltmarkt und der Wechselkurs zum US-Dollar. Im Falle, daß die ersten beiden steigen, bezahlt der ecuatorianische Konsument weniger, aber sollten sie fallen, trägt die Bevölkerung die Kosten. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß der Preis für Benzin seit 1992 um 432 Prozent angestiegen ist, womit er noch über den Preisen auf dem nordamerikanischen Markt liegt.
Der propagierte Modernisierungsprozeß zeichnete sich von Anfang an durch eine Reihe von Unschlüssigkeiten, Verzögerungen und Widersprüchlichkeiten seitens der Regierung aus. Dies hatte im ersten Jahr nach ihrem Amtsantritt den Konkurs einiger staatlicher und für die Privatisierung vorgesehener Betriebe zur Folge. Im zweiten Jahr kam der Prozeß besser in Gang, wurde aber von mehreren Korruptionsanschuldigungen sowie fragwürdiger Verwendung der Privatisierungserlöse stark beeinträchtigt.
Geprägt waren die letzten zwei Jahre von Mißtrauen, dem Fehlen einer einheitlichen Führung, der institutionellen Schwäche und der Unfähigkeit der Regierung breite gesellschaftliche Bündnisse einzugehen. Die zunehmende Verarmung großer Teile der Bevölkerung, steigende Arbeitslosigkeit und die Kürzung der Sozialausgaben fügen sich in dieses Panorama ebenso ein, wie die Nichtexistenz einer Sozialpolitik, die die Auswirkungen der neoliberalen Politik mildern könnte.
Modernisierung oder Fetischismus?
Das Projekt der Modernisierung des Staates, versuchte die Regierung den EcuatorianerInnen mittels einer geschickt aufgezogenen propagandistischen Kampagne zu verkaufen. Staatliche Institutionen wurden verleumdet und die Vortrefflichkeit von Privatbetrieben gepriesen. Sehr bald bildete sich jedoch in den unterschiedlichsten Bereichen eine Opposition. Besonders die extreme Vereinfachung des Privatisierungsansatzes wurde kritisiert. Tatsächlich weist das Gesamtprojekt starke Mängel in der Finanzierung auf.
Die Erfahrungen anderer lateinamerikanischer Länder mit Privatisierungen erlauben die Prognose, daß es besonders in drei Bereichen zu Problemen kommen wird: Bei der angemessenen Wertbestimmung des zu privatisierenden Bestands, bei der transparenten Gestaltung des Privatisierungsprozesses und bei der konkreten Verwendung der Privatisierungserlöse. Im Fall von Ecuador ist keines dieser drei Probleme gelöst worden. Ganz im Gegenteil.
Die Zuckerfabrik AZTRA ist einer der bekanntesten Fälle. Sie wurde zu einem symbolischen Preis von 100.000 US-Dollar verkauft, nachdem anfangs zwischen 40 und 50 Millionen US-Dollar geboten worden waren. Um Einzelinteressen entgegenzukommen, wurde eine Krise manipulativ erzeugt, lauten diverse Anschuldigungen. Auch der Verkauf der Zementfabrik “Selva Alegre” paßt in dieses Bild, bei dem der Staat laut Aussagen von Spezialisten ungefähr 30 Millionen US-Dollar verloren hat.
Ein weiterer Skandal erschütterte das Vertrauen in den Präsidenten auf breiter Ebene. So wurde enthüllt, daß die Regierung sich mittels des Finanzministeriums heimlich hunderte Millionen von Sucres von den Konten öffentlicher und staatlicher Banken, sowie von halbstaatlichen Unternehmen angeeignet hat. Zu letzteren zählt auch die Corporación Financiera Nacional, die die Betriebe AZTRA und Cemento Selva Alegre verkauft hat. Anscheinend hat die Regierung das Geld verwendet, um den Schuldendienst zu leisten und damit den vierteljährlichen Überprüfungen des IWF standzuhalten. In jedem Fall ist der Verbleib der Privatisierungserlöse bis zum heutigen Tag von keiner einzigen Behörde offengelegt worden.
Obwohl der Direktor des Nationalen Rats für Modernisierung (CONAM) die Bereiche Sozialversicherung, die Telekommunikation, die Seehäfen, die standesamtliche Registration, die Flughäfen und Zölle zu den Bereichen äußerster Priorität in seinem weiteren Vorgehen erklärt hat, liegt dem IWF eine Absichtserklärung vor, die Wasserkraftwerke, Telekommunikation, elektrische Energie und die Sozialversicherung als Hauptobjekte für mögliche Privatisierungen definiert. Das würde die Privatisierung strategisch wichtiger Sektoren der ecuatorianischen Ökonomie bedeuten.
Was die Verringerung der Staatsquote angeht, so konzentriert sich die Regierung auf den Abbau von Stellen im öffentlichen Sektor. Bis zum August dieses Jahres wurden 30.000 Stellen abgebaut. Anstelle von Kündigungen ist die Politik der erkauften “freiwilligen” Rücktritte vom Arbeitsplatz eine weitverbreitete Praxis.
Unterdrückung der Ökonomie?
Nach Auffassung vieler Sozialwissenschaftler ist die derzeitige Modernisierung in Wahrheit nichts anderes als eine “modernisierte Unterdrückung der Ökonomie”, da durch die Politik der derzeitigen Regierung die Primärgüterproduktion, insbesondere die Landwirtschaft und die Agroindustrie begünstigt wird. Die Manufakturbetriebe, plötzlich mit dem Wegfall der aus vorangehenden Dekaden gewohnten Anreize und Schutzzölle konfrontiert, sahen sich gezwungen, ihre Produktion einzuschränken und/oder umzustellen. Das einzig Moderne an der derzeitigen Situation ist der juristische und institutionelle Rahmen, sowie das Aufkommen von neuen landwirtschaftlichen Exportprodukten wie Blumen, Pflanzen und tropischen Früchten.
Alltägliche Korruption
Korruption ist in Ecuador nicht nur eine hin und wieder auftauchende Randerscheinug, sondern eine strukturelle Realität. In dieser Amtszeit erreichte sie ein besonders starkes Außmaß. Das von der Opposition immer wieder aufgebrachte Bild des Präsidenten Sixto Durán Ballén als wehrloser, alter Greis mit guten Absichten, der keinerlei Ahnung davon hat, was um ihn herum passiert, kommt der Realität tatsächlich sehr nah. So blüht um ihn herum die Korruption, angefangen in seiner eigenen Familie.
Die Beschuldigungen eines sozialdemokratischen Abgeordneten im letzten August, daß die Nichte des Präsidenten in einen Bestechungsgelderskandal verwikkelt sei, stellt dabei den Höhepunkt dar. Sixto protestierte entschieden und forderte eine sofortige Untersuchung der Angelegenheit bis zur letzten Konsequenz, damit sein Ruf und der seiner Familie gewahrt bleibe. Die Anschuldigungen erwiesen sich als gerechtfertigt. Seine Nichte hatte bewirkt, daß dem Unternehmen “Flores y Miel” seitens der Corporación Financiera Nacional (CFN) ein Kredit von 800.000 US-Dollar gewährt wurde. Und dies, obwohl “Flores y Miel” die Kriterien für einen Kredit nicht erfüllte und bereits Schulden bei privaten Banken hatte. Während der endgültigen Enthüllung aller dieser Verstrickungen befanden sich die Hauptpersonen dieser Affäre – die Nichte des Präsidenten, die Nutznießer des Kredits und der Vorsitzende der CFN – in Miami, um sich vom Streß dieser ganzen unbegründeten Anschuldigungen und anderer Wehwehchen zu erholen.
Die Policía Nacional, ebenfalls von Korruptionsvorwürfen stark bedrängt, mußte im Juli ihre gesamte Führungsspitze neu konstituieren, nachdem sieben ihrer Generäle wegen illegaler Bereicherung ausgeschieden waren. Die Hauptanklage richtete sich gegen den Exkommandanten Guido Nuñez. Die Anklage offenbarte die Ausmaße der existierenden Korruption und war der Ausgangspunkt weiterer Nachforschungen, ohne daß es bisher zu konkreten Verurteilungen gekommen ist.
Mit dem Vertrauen der Bevölkerung in die Glaubwürdigkeit der verschiedenen öffentlichen Institutionen ist es nun wohl endgültig vorbei. Innerhalb des Polizeikorps kommt es jetzt auch zu ersten Prozessen hinsichtlich der Menschenrechtsverletzungen vor einigen Jahren, unter denen der Fall der 1988 verschwundenen Brüder Restrepo besonderes Aufsehen erregte.
Kasten 1:
Die neun Leben des Präsidenten
Im November 1994 mußte der ecuatorianische Präsident Sixto Durán Ballén, genannt “el viejito” (immerhin schon über achtzig Jahre alt) zweimal innerhalb von zwei Wochen sein eigenes Ableben, über das hartnäckige Gerüchte kursierten, dementieren. Der ehemalige Architekt bemerkte dazu nur, er habe offensichtlich die neun Leben einer Katze, und er sei froh, daß ihm auf diese Weise noch sieben Leben blieben…
Nicht gerade zur Stärkung des allgemeinen Respekts gegenüber dem Präsidenten weiß Vizepräsident Dahik, der starke Mann im Hintergrund, seine Position zu nutzen. So hat er auch ein gewisses Talent entwickelt, beim Inkrafttreten neuer von ihm propagierter Gesetze im Ausland und damit außerhalb der Schußlinie des Bevölkerungsprotests zu sein. So kommt es inzwischen beispielsweise zu grotesk langen Schlangen an Tankstellen und anderen Panikkäufen, sobald erste Gerüchte einer Staatsreise des Vizepräsidenten in der Luft liegen.
Aber auch andere reisen gerne. Das Magazin Vistazo wählte den Abgeordneten Rubén Vélez der Democrácia Popular zum meistgereisten Parlamentsvertreter des Jahres. Allerdings konnte er seinen Vorsprung gegenüber den Kandidaten aller anderen Parteien nur knapp behaupten. Was das konkrete Interesse für ecuatorianische Angelegenheiten bei Reisen nach zum Beispiel Nordkorea und Kamerun war, bleibt in der Statistik offen.
Elisabeth Schumann
Kasten 2:
Die Farbe unserer Gefängnisse
“Wenigstens lassen sie uns die Farbe unsere Gefängnisse wählen…” steht auf einer Hauswand in der Nähe der Universidad Central in Ouito. Auch wenn die Tageszeitungen die Ergebnisse des Ende August durchgeführten Plebiszits euphorisch mit “Ja zum Wechsel” und ähnlichem betitelten, so kommt das Graffiti der in der Bevölkerung vorherrschenden Meinung wohl näher.
Eine eigentlich überhaupt nicht vorhandene Informationspolitik seitens der Regierung zum Thema Volksabstimmung wirkte Mißtrauen und Nichtbeachtung nicht gerade entgegen. Bei einer Umfrage zwei Wochen vor der Befragung zeigte sich, daß zwar die meisten davon gehört hatten. Was aber genau gefragt werden sollte, war dem Großteil der Bevölkerung völlig unklar. Und immerhin besteht Wahlpflicht. Es schien, daß das an diesem Wahlwochenende verhängte Ausschankverbot mehr Diskussionen verursachte als das Plebiszit selbst.
Nach der Auszählung der sieben zum Teil unklar formulierten Fragen interpretierte die Regierung Durán Ballén diese Folgerungen:
Erstens: Das Volk hat sich klar für eine Reformierung der Konstitution entschlossen. Zweitens: Die Wiederwahl eines Präsidenten wird prinzipiell befürwortet. Bisher bedeutete in Ecuador jede Wahl automatisch einen neuen Präsidenten. Diese Änderung könnte bei den in zwei Jahren anstehenden Wahlen interessante Folgen haben, da sämtliche Präsidenten der letzten Jahrzehnte – angefangen mit Osvaldo Hurtado über León Febres Cordero und Rodrígo Borja bis hin zu Sixto persönlich – theoretisch eine Wiederwahl anstreben könnten. Und drittens können in Zukunft auch Parteilose im politischen Geschehen mitwirken.
So weit, so gut. Böse Stimmen behaupten, die Regierung hätte nun endlich eine konkrete Aufgabe für die nächsten zwei Jahre: die Auslegung und Wiederneuauslegung der Volksabstimmung…
Elisabeth Schumann