ZWISCHEN VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT
Linksaußen und Rechtsaußen ziehen in die Stichwahl ein
Gewinner der ersten Runde der kolumbianischen Präsidentschaftswahl ist der rechtskonservative Kandidat Iván Duque. Er symbolisiert das moderne und freundliche Gesicht der traditionellen Rechten Kolumbiens. Er ist aber auch und vor allem der Kandidat des ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez. Uribe ist ein klassischer Caudillo, der im Kampf gegen die Guerilla und ihre tatsächlichen und vermeintlichen Unterstützer*innen mit äußerster Brutalität vorging und dem immer wieder enge Verbindungen zu Paramilitärs nachgesagt werden. Im aktuellen Friedensprozess machte sich Uribe einen Namen als Gegner des Vertrags zwischen der Regierung von Präsident Juan Manuel Santos und den Revolutionären Bewaffneten Streitkräften Kolumbiens (FARC). Duque pflegt einen freundlicheren Ton als Uribe, hat sich in der Sache aber bisher eng an die Positionen seines politischen Mentors angelehnt. Zudem verspricht er den Aufbruch in die Wissensökonomie und – wie alle Kandidat*innen – die Bekämpfung der Korruption.
Duques Gegner in der Stichwahl am 17. Juni 2018 ist Gustavo Petro. Das ist für Kolumbien eine kleine Sensation. Denn der ehemalige Kämpfer der urban geprägten Guerilla M-19 und frühere Bürgermeister Bogotás ist mit seiner Bewegung Colombia Humana („Menschliches Kolumbien“) klar der politischen Linken zuzuordnen. Dem Einzug Petros in die Stichwahl ging ein imposanter Wahlkampf voraus, in dem der Kandidat mit seinen Kundgebungen die Plätze der Städte des Landes füllte und gerade vielen jungen und sozial benachteiligten Menschen Hoffnung gab. Neben der Fortsetzung des Friedensprozesses verspricht Petro vor allem soziale Gerechtigkeit und eine Abkehr von der Rohstoffausbeutung. Teile seines Diskurses könnten einem Lehrbuch des Linkspopulismus entstammen, dabei vertritt er inhaltlich vergleichsweise moderate Töne und bewegt sich, plakativ gesagt, eher auf einer Linie mit dem ehemaligen uruguayischen Präsidenten José ‚Pepe‘ Mujica als mit Hugo Chávez oder Nicolás Maduro. Letzterer wurde von Petro sogar heftig kritisiert. Dennoch wurde Petro von politischen Gegner*innen immer wieder als „Castrochavist“ diffamiert. Angesichts des krachenden Scheiterns der Bolivarischen Revolution im Nachbarland Venezuela zeitigte die Angstkampagne in Kolumbien durchaus Wirkung.
Wirkliche Demokratie muss auch den Schutz von Aktivist*innen gewährleisten
Fajardo, der immerhin 23,7 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte, kündigte bereits an, in der Stichwahl ungültig zu wählen. Damit schwinden die Chancen Petros auf einen Sieg deutlich. Wie immer die Stichwahl Mitte Juni ausgeht, die erste Runde der Präsidentschaftswahlen hat bereits wichtige Richtungsverschiebungen und Lehren für die kolumbianische Politik gebracht. Zunächst wird in Kolumbien Politik wieder groß geschrieben. Es gibt leidenschaftliche Debatten und echte Alternativen. Oft wird die starke Politisierung der Jugend im Petro-Lager sowie die vergleichsweise hohe Wahlbeteiligung herausgestellt. Und dennoch: Mit 53 Prozent mag die teils als „historisch“ bezeichnete Wahlbeteiligung für Kolumbien tatsächlich hochgelegen haben, vor allem zeigt sich aber, dass sich die kolumbianische Demokratie dringend um eine Ausweitung der Partizipation kümmern muss, die über das periodische Ankreuzen hinausgeht. Allerdings brauchen lebendige Partizipationsmechanismen einen entsprechenden sozialen und politischen Kontext. Das bedeutet einerseits die Bekämpfung von Gewaltakteur*innen, die politische Aktivist*innen einschüchtern und ermorden, und andererseits eine Verbesserung der sozialen Situation als Voraussetzung für den Kampf gegen Klientelismus und für mehr politische Beteiligung.
Das Wahlergebnis der ersten Runde hat deutlich gemacht, dass Gerechtigkeitsthemen vielen Kolumbianer*innen unter den Nägeln brennen. Der Wahlkampf von Petro hatte auch deshalb Erfolg, weil er immer wieder die schreienden sozialen Ungerechtigkeiten im Land angeprangert hat. In der von extremer Ungleichheit geprägten Region Lateinamerika gehört Kolumbien zu den ungleichsten Ländern. Das betrifft Einkommen, Vermögen, Bildung, Gesundheit, Landbesitz etc. ebenso wie Ungleichheiten zwischen Stadt und Land sowie die Diskriminierung von Indigenen, Afrokolumbianer*innen und Frauen. Gleichzeitig reflektiert sich diese Ungleichheit in den Privilegien der Eliten. Aber auch Umweltgerechtigkeit war ein zentrales Wahlkampfthema. Petro spricht sich für eine Abkehr vom Extraktivismus aus, auch Sergio Fajardo punktete mit Bildungspolitik und seinem grünen Gesicht. Sicher ist, dass kein Präsident an der Bearbeitung der sozial-ökologischen Ungleichheiten vorbeikommen wird.
Eine weitere klare Botschaft vermittelten die kolumbianischen Wähler*innen auch damit, dass über die Hälfte der Stimmen auf Kandidat*innen entfiel, die sich für die Fortsetzung des Friedensprozesses aussprechen. Einzig Duque hat sich immer wieder als Gegner der Einigung mit den FARC geoutet. Damit repräsentiert er zweifellos eine wichtige Gruppe des Landes, die vom Friedensprozess mittels praktischer Verbesserungen ihrer Lebenssituation überzeugt werden muss. Denn für eine bessere Zukunft mit sozialer Gerechtigkeit und der Ausweitung politischer Partizipationsmöglichkeiten gibt es keine Alternative zum Friedensprozess. Statt neuer Verhandlungen müssen die erzielten Ergebnisse umgesetzt werden. Das bedeutet enorme Herausforderungen, solange soziale Aktivist*innen im Fadenkreuz von Auftragskillern stehen, das Drogengeschäft in abgelegenen Gebieten weiter blüht und die versprochene Unterstützung zur Integration ehemaliger FARC-Kämpfer*innen nur spärlich fließt.
Die Stichwahl wird voraussichtlich Iván Duque gewinnen. Politische Partizipation, die Reduzierung sozialer Ungleichheiten, Umweltgerechtigkeit und vermehrte Anstrengungen zur Umsetzung des Friedensprozesses stehen nicht auf seiner Prioritätenliste. Gerade deshalb ist die Bevölkerung gefragt, an diesen Punkten hartnäckig auf Reformen zu drängen. Geht er darauf ein, hätte Duque die Chance aus dem Schatten seines politischen Mentors Uribe zu treten und ein eigenes politisches Profil zu gewinnen. Gerade mit Blick auf den Friedensprozess bleibt zu hoffen, dass ein künftiger Präsident den Mut hat, sich von der Politik der Vergangenheit zu verabschieden und sich stattdessen der Aufarbeitung der Vergangenheit und der Konstruktion eines nachhaltigen Friedens zu widmen.