Editorial | Nummer 393 - März 2007

Biosprit treibt den Hunger an

Die These ist nicht gewagt: Die Konkurrenz der Tankstellen und der Supermärkte um die gleichen Rohstoffe hat begonnen. Auch wenn es nicht der einzige Grund für die Verdopplung des Tortillapreises in Mexiko seit Dezember sein mag: Die wachsende Nachfrage in den USA nach Mais als Biotreibstoff hat den Weltmarktpreis für Mais in neue Rekordhöhen getrieben. Schließlich sind die USA der Maisexporteur Nummer eins auf dem Globus. Pech für all jene, die Mais als Lebensmittel nutzen – und da stehen die MexikanerInnen in der ersten Reihe. Mexiko ist schon längst nicht mehr in der Lage, seinen Eigenbedarf an Mais zu decken. Die Ernährungssicherheit wurde auf dem Altar des Freihandelsabkommens NAFTA geopfert. Jede zweite Tortilla wird inzwischen aus US-amerikanischem Importmais gebacken. Und wenn der knapper wird, bleibt so manch mexikanischer Magen leer.

Viel spricht dafür, dass sich die Konkurrenz von Zapfsäulen und Lebensmittelgeschäften um die gleichen Rohstoffe verschärfen wird. Denn in den Industrienationen wird Biokraftstoff als ein Mittel gepriesen, mit dem man gleichermaßen dem Klimawandel und der Abhängigkeit von unsicheren Energielieferanten entgegenwirken könnte. Biokraftstoffe erhöhen nicht den CO2 Ausstoß, da nur der Kohlenstoff verbrannt wird, den die Pflanzen zuvor aus der Luft gebunden haben. Deshalb will die EU diese Energieträger in Zukunft mehr fördern. Von der Welthandelsorganisation (WTO) wird die Produktion von Biokraftstoff gar als Entwicklungsmöglichkeit für die armen Länder des Südens ausgemacht. Sie könnten mit Palmöl-, Mais- oder Zuckerrohrplantagen alternative Treibstoffe herstellen und damit Gewinner der Globalisierung werden. Die 854 Millionen Menschen, die derzeit schon an Unterernährung leiden, wird die WTO damit kaum gemeint haben. Denn für sie bedeutet mehr Mais in den Tanks schlicht mehr Hunger. Mit einer einzigen Biosprit-Tankfüllung lässt sich kalorientechnisch eine Person ein ganzes Jahr lang ernähren. Und die AutofahrerInnen haben das, was den Hungernden fehlt: kaufkräftige Nachfrage.

Dass sich tatsächlich ein Teil des weltweiten Energiebedarfs mit Biokraftstoffen decken ließe, zeigt das Beispiel Brasilien. Seit den 80er Jahren bauen GroßgrundbesitzerInnen im Nordosten des Landes Zuckerrohr auf riesigen Plantagen an, um Alkohol für Automobile zu produzieren. Seit langem fährt der größte Teil aller brasilianischen Autos mit Alkohol.

Das Beispiel Brasilien zeigt aber auch, wer der Sieger in der Konkurrenz um die Rohstoffe ist und sein wird: die Konzerne, die den Treibstoff herstellen. Die hoch subventionierte Alkoholproduktion beschert in Brasilien den GroßgrundbesitzerInnen des Nordostens enorme Gewinne und politischen Einfluss. Dies nutzen sie, um eine Landreform in Brasilien zu verhindern. Millionen armer BrasilianerInnen sind dazu gezwungen, in den Favelas der Großstädte ihr Dasein zu fristen. Die Alternative, als Kleinbauern und -bäuerinnen in modernen Kooperativen organisiert zu leben, wird nicht zuletzt durch die Produktion von Biotreibstoffen verhindert. Auf den besten Böden Brasiliens wächst Zuckerrohr in Monokultur, statt Reis und Bohnen in umweltverträglichem Anbau.

Biokraftstoff mag Agrarkonzernen im Süden und den reichen Ländern gewisse Perspektiven bieten: Profite und die relative Verringerung des CO2-Ausstoßes, auch wenn zur Erzeugung von Biotreibstoff derzeit noch ossile Energie aufgewandt werden muss. So lässt sich Zeit schinden im Kampf gegen den Klimawandel und im Bestreben, den Lebensstandard in den Industrieländern zu erhalten, koste es, was es wolle. Es ist bestenfalls eine Lösung auf Zeit und auf alle Fälle eine auf Kosten der Ärmsten, die sich zudem gegen die Folgen des Klimawandels am wenigsten schützen können. Um den Klimawandel und die Armut wirkungsvoll zu bekämpfen, bedarf es weit mehr als nur eines neuen Treibstoffs: Billiger als mit einer neuen Weltwirtschaftsordnung, die die sozialen Interessen aller Menschen und die ökologischen Erfordernisse gleichberechtigt einbezieht, ist eine Lösung nicht zu haben.

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