Editorial | Nummer 464 - Februar 2013

Die rechte Wut

Seit zehn Jahren verlieren sie in Brasilien eine Präsidentschaftswahl nach der anderen: 2002 verlor José Serra gegen Luiz Inácio Lula da Silva, 2006 unterlag Geraldo Alckmin erneut Lula und 2010 war es wieder José Serra, der gegen Dilma Rousseff keine Chance hatte. Und ihre größte Befürchtung ist, dass die Arbeiterpartei (PT) auf lange Zeit das Präsidentenamt abonniert hat: Wenn nämlich Rousseff die Wiederwahl 2014 schafft und 2018 dann wieder Lula antreten könnte, der nach wie vor große Popularität bei der Mehrheit der Brasilianer_innen genießt. Für sie das reinste Horrorszenario. „Sie“ – das ist Brasiliens Rechte, die alte Oligarchie, verbunden mit den großen Medienkonzernen, traditionell in der Hand einiger weniger Familien, einflussreich und mächtig. Aber auch die höhere Mittelklasse, die Lula nie verziehen hat, dass dem aus dem armen Nordosten stammende Gewerkschafter der Einzug in den Präsident_innensitz im Palácio do Planalto gelang. Nur vor diesem Hintergrund lässt sich die enorme Aggressivität verstehen, mit der die Rechte im gegenwärtigen mensalão-Prozess, bei dem der PT Korruption vorgeworfen wird, ausnutzt, um die PT zu diffamieren.

Dabei haben Lula und seine Nachfolgerin Rousseff den Wohlhabenden im Land objektiv betrachtet keinen Schaden zugefügt. Denn was die Regierung an sozialen Erfolgen erreichte, ging nicht auf Kosten der reichen zehn Prozent des Landes: Die gesetzlichen Mindestlöhne wurden verdreifacht, die Mittelschicht wuchs um über 40 Millionen, die extreme Armut wurde um 40 Prozent gesenkt. Die Kaufkraft der neuen Mittelschicht mag bescheiden anmuten – zu dieser neuen Schicht zählt, wer umgerechnet ab 120 Euro im Monat zur Verfügung hat. Dennoch sind deren wirtschaftliche Bedeutung und die der Sozialtransferprogramme nicht zu unterschätzen, seit Jahren weist der strukturell arme brasilianische Nordosten das höchste Wachstum auf. Bei stabilen Wachstumsraten gelang es Lula, Wohlstand zu verteilen, ohne dabei den der oberen Klassen anzutasten. Bestes Indiz dafür ist der Börsenindex Bovespa in São Paulo: Dieser hat sich in den vergangenen zehn Jahren versechsfacht. Genau dies war stets die linke Kritik an zehn Jahren PT-Regierung: Die gesellschaftliche Umverteilung erfolge nicht von oben nach unten, sondern beruhe auf den bekannten Rezepten Wachstum, Entwicklung und Exportorientierung, flankiert durch Sozialprogramme, die jedoch nicht auf Langfristigkeit angelegt seien. So werde die soziale Spaltung nicht gemindert, sondern allenfalls in einem für Brasilien weltwirtschaftlich günstigen Klima auf einem höherem Niveau festgeschrieben. Den Preis für diese Entwicklung zahlen, wie bei den Staudammprojekten Belo Monte oder am Rio Madeira, bei den Stahlwerken oder Bergbauminen, die lokalen Anwohner_innen der Megaprojekte der Energie- und Schwerindustrie, welche die Regierung mit Milliardenbeträgen im ganzen Land massiv fördert.

Es sind nicht reale finanzielle Einbußen, die die Rechte vor Wut schäumen lassen. Vielmehr ist die Wut Ausdruck des diffusen Ressentiments der Wohlhabenderen im Lande, den gefühlten Status, ihre Privilegien nicht mehr exklusiv zu haben. Voll sind die Medien mit Kommentaren, die sich darüber mokieren, dass Favela-Bewohner_innen Smartphones nutzen, dass auch die eigene Hausangestellte ein Auto ihr eigen nennt, dass Reisen nach Buenos Aires, Miami oder Paris nicht mehr angesagt seien, da dies so „normal“ geworden sei. Im verzweifelten Kampf gegen ihr Horrorszenario einer dauerhaften PT-Regierung greift Brasiliens Rechte nach jedem Strohhalm. Sie nutzt den mensalão-Prozess, bei dem dieses Jahr die Berufungsverhandlungen anstehen, um das Image der PT dauerhaft zu beschädigen. Besonders auf Lula haben sie es abgesehen. Ihn wollen sie nun endlich auch vor Gericht sehen, ihn haben sie in ihren Internetmedien zum „korruptesten Politiker 2012” wählen lassen. Dabei sind korrupte Praktiken fester Bestandteil aller wichtiger Parteien Brasiliens. Die Rechte hat den Wahlkampf eröffnet. Mehr als anderthalb Jahre Trommelfeuer stehen Lula, Rousseff und der PT bevor. Und zimperlich geht Brasiliens Rechte dabei nicht vor.

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