Editorial | Nummer 196 - September 1990

Editorial Ausgabe 196 – September 1990

Ein US-Präsident brachte einst das pragmatische Verhältnis der Supermacht zu ihren weltweit amtierenden Diktatoren auf folgenden Punkt: “He may be a son of a bitch, but he is our son of a bitch!” Nur ein halbes Jahr, nachdem der panamai­sche Son-of-a-bitch sich gegen seine Ziehväter und Geldgeber stellte und vom US-South-Command erledigt werden mußte, nun also Saddam Hussein: Die Hurensöhne der Welt verselbständigen sich.
Aber der Golfkonflikt, das ist inzwischen hinlänglich bekannt, ist von anderem Kaliber und Dimensionen. Da ist nix mit “schneller Eingreiftruppe”, stattdessen ein langsamer Mammutaufmarsch von hunderttausenden von Soldaten. Wäh­rend die hiesigen Oppositionsbuchhalter “die Kosten der Einheit” beklagen, haben die Gerontokraten von Washington die Kosten der Weltmacht durchge­rechnet und den Außenminister auf Kollekten-Tournee geschickt: “Eine Mark für Charly, denn Charly, der ist pleite…” Die Diskrepanz zwischen Supermacht-Anspruch und der maroden US-Ökonomie ist so offensichtlich wie nie zuvor: Das einstige Intellektuellen-Schlagwort vom “imperial overstretch” – der “imperialen Überdehnung” der USA – wird greifbare Realität.
Während die USA auf ihre Breschnew-Ära zusteuern (?), lauern die ambitionier­ten Mit-Großmächte der neu entstehenden Weltordnung auf ihren Positionen. Das Dicke Deutschland kauft sich mit 3,3 Mrd. DM in die Golf-Kriegs-AG ein, und darf nun auch auf einen Platz im Aufsichtsrat der Weltsicherheit hoffen. Doch bei aller Neuformierung findet sich “der Norden” in dem ersten mi­litärischen Konflikt seit dem Ende des kalten Ost-West-Krieges denkbar einig.
Nun wär’s ja um Saddam selbst nicht so furchtbar schade, nur ist so elendig naheliegend, daß dieses Schema auch in anderen Konflikten Anwendung finden wird, wo “Bruch des internationalen Rechts” u.ä. tatsächlich nur als konstruierter Vorwand für ökonomische Interessen, Rohstoffsicherung etc. dient. Und die Ver­liererInnen der Weltwirtschaft im Süden werden dabei in Zukunft ziemlich ver­geblich nach BündnispartnerInnen im Norden Ausschau halten.
Auf der anderen Seite wird – so schnell, wie derzeit die Allianzen kippen und die Bündnisse wechseln – jeder der vom Norden so eifrig hochgerüsteten “eigenen Hurensöhne” zu einer potentiellen Zeitbombe für den Norden selbst. So könnte es anstelle der Kampagnen der Solidaritätsbewegung letztendlich das “höhere Eigeninteresse” des Nordens sein, das die Profiteure der florierenden Rüstungs­exporte in die “Dritte Welt” in die Bredouille bringt…


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