Editorial Ausgabe 249 – März 1995
Ein Gast fehlte zur Geburtstagsfeier: Alberto Fujimori, peruanisches Staatsoberhaupt. Am 3. Februar hatten sich die Präsidenten der Staaten Venezuela, Panama, Kolumbien, Ecuador und Bolivien im venezolanischen Städtchen Cumaná getroffen, um des 200. Geburtstags Antonio José de Sucres zu gedenken. Sucre war ein Untergebener und enger Vertrauter Simon Bolívars, des Gran Libertador, an dessen Seite er für die Unabhängigkeit von Spanien und den großen Traum eines vereinten Amerikas kämpfte. Ohne Angabe von Gründen hatte der peruanische Präsident sein Kommen in letzter Minute abgesagt. Dabei waren die Gründe offensichtlich. Schließlich war nur eine Woche zuvor mit dem Abschuß eines peruanischen Militärhubschraubers in der Sierra del Condor der Grenzstreit der beiden „Brudervölker“ Ecuador und Peru in einen Grenzkrieg umgeschlagen.
Knapp einen Monat zuvor hatten sich die Präsidenten der „Bolívar-Erben“ schon einmal in Cumaná, der Geburtsstätte Sucres, getroffen. Es ging um den 1969 ins Leben gerufenen Andenpakt, der wie kaum ein anderer Wirtschaftsverbund der Welt an chronischer Lethargie krankt. Die meisten Planungen wurden wieder verworfen oder schlicht nicht umgesetzt. Kaum eine einzige der beschlossenen wirtschaftlichen Kooperationsmaßnahmen wurde in die Tat umgesetzt. Das letzte Treffen hatte 1991 stattgefunden. Danach verabschiedete sich Peru unter Berufung auf interne Schwierigkeiten zunächst einmal von den Andenpaktverhandlungen. Jetzt, vier Jahre später, wagt man einen erneuten Anlauf. Doch die Begeisterung hält sich in Grenzen. Kolumbien und Venezuela schielen gen Norden nach Mexiko, Peru hält sich zurück und Bolivien entdeckt seine Sympathie für den Mercosur.
Die Einheit, von der Bolívar und Sucre geträumt hatten, ist damit so weit entfernt wie nie zuvor. Zumal Peru und Ecuador bei genauerem Hinsehen nicht die einzigen Staaten der Region sind, in denen unterschwellig alte Gebietsansprüche bestehen, die früher oder später zu einem ähnlichen Grenzkonflikt eskalieren könnten. Bolivien träumt vom erneuten Zugang zum Pazifik, Peru von Wüstengebieten im heutigen Chile, usw. Weit entfernt sind die betroffenen Länder von der Einheit, die Bolívar als Ideal entworfen hatte. Einer Einheit, die auch damals mit der Realität wenig gemein hatte. So wurde schon Sucre, den Ecuador als eigenen Nationalheld beansprucht, da er die meiste Zeit seines Lebens in der Hauptstadt Quito verbrachte, von den eigenen Leuten verraten, als er in Peru gegen den gemeinsamen Feind Spanien kämpfte.
Heute ist die Unabhängigkeit Perus und Ecuadors erneut gefährdet. Die Bedrohung kommt aus den Zentralen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds, von wo aus immer neue Strukturanpassungen zu Lasten der Bevölkerungsmehrheit verordnet werden. Die Regierungen verkommen auf diese Weise zu bloßen Ausführungsorganen. Um ihre eigene Machtlosigkeit zu kaschieren, setzen die herrschenden Politiker und Militärs auf Nationalismus und beschwören die innere Einheit durch chauvinistische Parolen.
So ging es dem peruanischen Schriftsteller und früherem Präsidentschaftskandidaten Mario Vargas Llosa an den Kragen, der als einer der wenigen Intellektuellen seines Landes das Blutvergießen verurteilte: Er wurde als „vaterlandsloser Verräter“ gebrandmarkt und aus dem nationalen Schriftstellerverband ausgeschlossen. Im Säbelgerassel der letzten Wochen wurden vernünftige Stimmen leicht überhört. So etwa, als Gewerkschaftsführer beider Länder den Krieg kritisierten und darauf hinwiesen, daß Hunger und Elend der eigentliche Feind seien, den es zu bekämpfen gilt.