Editorial | Nummer 250 - April 1995

Editorial Ausgabe 250 – April 1995

Als die sandinistische Armee Nicaraguas im Frühjahr 1988 in einer großangelegten Offensive die Contra-Banden aus dem Norden des Landes verjagte und dabei einigen Einheiten auch über die Grenze nach Honduras folgte, da dauerte es keine 24 Stunden, und die USA waren mit ihrer berüchtigten 82. Luftlandedivision zur Stelle – “auf Bitten” einer verschüchterten honduranischen Re­gierung, die zunächst gesagt hatte, sie wisse nichts von einer nicaraguanischen Invasion, nach acht Stunden Bearbeitung durch den US-Botschafter in Tegucigalpa aber dringend um Hilfe gegen den nicaraguanischen Einmarsch bat.
Als Nato-Partner Türkei Mitte März mit 35.000 Soldaten, unterstützt von der Luftwaffe und schwe­rer Artillerie auf der Su­che nach Guerilleros der Arbeiterpartei Kurdi­stans (PKK) in den Nordirak einmarschierte, ließ die US-Regierung verlauten, sie habe “volles Ver­ständnis” für die “Sicherheitsbedürfnisse” der tür­kischen Seite, doch möge sich die türkische Armee bitte bald zu­rückziehen. Dabei hat die US-Regie­rung selbst Probleme, ihrer eigenen Öffentlichkeit zu erklä­ren, warum die Kurden im Nordirak seit dem Golfkrieg vor An­griffen des Irak geschützt werden, die türkische Armee aber im gleichen Ge­biet mit Kampfbom­bern mutmaßliche PKK-Lager unter Feuer neh­men darf und die aus Tür­kisch-Kurdi­stan geflohenen ZivilistInnen erneut verfolgt.
Nun war die US-Außenpolitik noch nie von mo­ralischen, ideologischen oder gar ethischen Grundsätzen geleitet, außer von dem Grundsatz der Machtausübung und deren Durchsetzung – und insofern würde all das nicht Wunder nehmen, wenn denn klar zu verstehen wäre, was die USA eigentlich strategisch in der Region erreichen wollen.
Da setzen die USA ein ums andere Mal im UN-Sicherheitsrat durch, daß das Embargo gegen den Irak wieder um einige Monate verlängert wird, obwohl Frankreich und andere Staaten längst auf dessen Aufhebung drängen. Da zeigt die US-Re­gierung volles Verständnis für die türkische Militär­offensive, während ein Republikaner im Unterhaus die Einstellung der Hilfe für die Türkei wegen der Menschenrechtsverletzungen fordert.
Die türkischen Generäle bauen darauf, daß die türkische Armee entweder selbst eine “Pufferzone” im Nordirak errichten kann oder aber die iraki­schen Militärs wieder die Kontrolle über die Schutzzone über­nehmen und die Grenze zur Türkei militärisch si­chern. Und so sind die USA nach ei­ner Politik, die ziellos irgendwie Einfluß sichern will, endgültig im Zugzwang. Das Ergebnis sind konfuse Reaktionen und unsicheres Umhertapsen auf diplomatischem Feld.
Die Europäische Union ist da keinen Deut bes­ser. Deutsche Waffen sind auch im Nordirak mit dabei, der Außenminister will davon mal wieder nichts wissen. Der Innenminister läßt sich zwar von den Menschenrechtsorganisationen der Tür­kei detailliert die Praktiken des Folterstaa­tes ge­genüber der kurdischen Bevölkerung be­schreiben, nur um daraufhin zu verkünden, natür­lich könne man Kurden dorthin abschieben. Der Weg der Türkei, so befürchten viele, könnte eini­ges mit dem Lateinamerikas der siebziger zu tun haben: Eine Gesellschaft, deren innerer Zu­stand von den Mi­litärs bestimmt wird, deren in­ternationale Position aber vom strategischen In­teresse der westlichen Partner abhängt.
Die letzten Jahre haben verschiedene Arten von Konflik­ten gezeigt: Den der Großmacht gegen die kleine. Hier beschränkt sich die internationale Reaktion auf diplomatisch formulierte “Sorge” – siehe Rußland/Tschetschenien, Türkei/Kurdistan. Den der kleinen untereinander an der Peripherie: Hier ist die Reaktion entweder Nichtstun (Sudan), ent­setztes Nichtstun (Ruanda), die eigenen Mili­tärs ausprobieren (Somalia) oder herzlich Lachen (Peru/Ecuador). Den der kleinen am Rande der Metropole, wo mit Flüchtlingen zu rechnen ist: Hier wird die Demo­kratie verteidigt (Haiti). Und den in strategisch wichtiger Lage, wo die Macht­interessen der neuen Weltmächte aufeinander­treffen: Es ist noch nicht ausgemacht, wie man damit umgeht (Ex-Jugoslawien).
Mit der Propaganda der “neuen Welt­ordnung”, der Verteidigung der friedlich vor sich hinträl­lernden Völkergemeinschaft gegen etwaige Ag­gressoren, wie noch im Golfkrieg verkündet, hat all das nichts zu tun – was zu erwarten war.

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