Editorial | Nummer 414 - Dezember 2008

Keine Amnestie für Verbrecher in Uniform

Anfang November starben in der südperuanischen Stadt Tacna bei sozialen Unruhen zwei Demonstranten, die aus unmittelbarer Nähe von Tränengasprojektilen getroffen wurden. Die uniformierten Todesschützen kamen ungeschoren davon, weil Präsident Alan García zuvor den Ausnahmezustand verhängt hatte. Sie sind durch zwei Gesetze geschützt, die gerade erst verabschiedet wurden. Danach dürfen Angehörige von Polizei und Armee im Falle eines Ausnahmezustands uneingeschränkt ihre Feuerwaffen benutzen. Mehr noch: Sie bleiben straffrei, wenn sie im Rahmen ihres Einsatzes töten.

Es reicht Alan García nicht, der Armee einen Freibrief für die Zukunft auszustellen. Seine Regierungspartei APRA präsentierte nun zwei Gesetzentwürfe, die eine Amnestie von bereits verurteilten oder angeklagten Mördern oder Folterern in Uniform vorsehen. Konkret geht es um die Menschenrechtsverletzungen der Armee im Krieg mit dem Leuchtenden Pfad zwischen 1980 und 1992.
Der Zeitpunkt ist geschickt gewählt: In Kürze beginnen Prozesse gegen Armeeangehörige, die an den Überfällen des Militärs auf die Dörfer Accomarca und Cayara beteiligt waren. Nach Zeugenaussagen vergewaltigten Soldaten im Jahre 1985 in Accomarca zunächst zahlreiche Frauen. Dann setzten sie das Dorf in Brand, warfen Kinder ins Feuer und ermordeten 69 Menschen. In Cayara brachten Militärs drei Jahre später 25 Einwohner um. Laut dem Bericht der peruanischen Wahrheitskommission verletzte die Armee während des Bürgerkriegs systematisch Menschenrechte.

Die Täter in Uniform und ihre Auftraggeber gehören selbstverständlich ins Gefängnis. Auch wenn der Leuchtende Pfad in dem von ihm erklärten Volkskrieg nicht minder barbarisch vorging und sogar für das Gros der 70.000 Toten die Verantwortung trägt. Umso erfreulicher ist, dass die lange Zeit auf einem Auge blinde peruanische Justiz endlich aktiv wird. Denn es ist ein unhaltbarer Zustand, dass die meisten der einstmals uniformierten Verbrecher weiterhin unbehelligt ihrer Wege gehen, während Tausende Anhänger des Leuchtenden Pfads zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Unzählige von ihnen nur, weil sie politische Parolen an Hauswände sprühten.
Auch die ehemaligen Gründungsmitglieder der MRTA, die nicht wie der Leuchtende Pfad auf Terroraktionen setzten, sondern den Kampf mit der Armee suchten, bleiben für Jahrzehnte weggesperrt. Warum wird ihnen keine Amnestie angeboten?

Alan García und seiner APRA geht es darum, die eigene Verwicklung in Verbrechen der Armee zu vertuschen. García war zwischen 1985 und 1990 schließlich selbst Präsident und hat Fälle wie Accomarca und Cayara politisch zu verantworten. Nach einer Rebellion von Gefangenen des Leuchtenden Pfads ordnete er 1986 sogar selbst einen Einsatz der Marine in den Haftanstalten El Frontón und San Juan de Lurigancho an. Bilanz: 260 Gefangene wurden erschossen, obwohl sie sich mehrheitlich ergeben hatten. Die rechtliche Aufarbeitung dieses Falles ist noch nicht abgeschlossen. Und demnächst beginnt ein Prozess gegen die Todesschwadron „Rodrigo Franco“, die sich in den 80er Jahren aus dem Umfeld der APRA geformt hat.
Die Partei des einsitzenden Ex-Präsidenten Alberto Fujimori, der selbst wegen Menschenrechtsverbrechen angeklagt ist, sympathisiert ebenfalls mit einem Amnestiegesetz. Insofern könnte mit dessen Verabschiedung die bisher schon erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Fujimoris Partei und der APRA im Kongress auf eine stabilere Basis gestellt werden. Schließlich braucht Präsident García mangels eigener Mehrheit dringend Bündnispartner.

Die Hoffnungen, den Gesetzentwurf zu stoppen, ruhen unter anderem auf dem neuen Ministerpräsidenten Yehude Simón, der eine Amnestie entschieden ablehnt. Simón saß als angeblicher Sympathisant der MRTA während des Fujimori-Regimes selbst acht Jahre unschuldig im Gefängnis.

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