Editorial | Nummer 505/506 - Juli/August 2016

// NEIN HEISST NEIN

Nein. Hör auf! Worte, die eindeutig sind. Worte, die Täter nicht aufhalten zu vergewaltigen. Worte, die im Nachhinein oft  in Frage gestellt, verdreht oder nicht gehört werden. In diesem Heft berichten wir aus Brasilien über Vergewaltigungskultur (Rape Culture). Eine Kultur, in der sexualisierte Gewalt und Vergewaltigung normalisiert und legitimiert werden. Vergewaltigungskultur – da wird in Deutschland gerne über die anderen gesprochen. Dabei gibt es so viel, worüber wir schreiben könnten. Sexismus, der in unserem Alltag, in deutschen Medien und deutschem Recht passiert. Tagtäglich und immer wieder die gleiche Missachtung sexueller Autonomie.
Nein, die Debatte „nach Köln“ scheint der Vergewaltigungskultur in Deutschland noch nicht genug Risse versetzt zu haben. Wir müssen der Vergewaltigungskultur eine andere entgegenstellen. Solange der Rassismus befeuert werden kann, ist die Empörung über die Täter, die selbstverständlich immer nur „die anderen“ sind, groß. Dabei bleibt das Sprechen über „unsere Frauen“ misogyn. Ist ein Mann weiß, wohlhabend und/oder gebildet, wird schnell in Frage gestellt, ob er wirklich Täter sein kann oder ob die Frau sich nicht nur bereichern möchte und lügt.
Nein, eine Frau hat hierzulande nicht unhinterfragt das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Egal, wer sie ist, wie sie aussieht oder was sie macht. Ist das Opfer sexualisierter Gewalt keine weiße hetero Frau, sondern queer, schwarz, trans, geflüchtet, wird noch mehr relativiert und in Frage gestellt. Oder nehmen wir den Fall Gina-Lisa Lohfink, der uns im Juni bewegte und beeindruckte. Das Model hat im Jahr 2012 eine Vergewaltigung angezeigt, die gegen ihren Willen auf Video aufgenommen und auf Pornhub verbreitet wurde. In dem Video äußert das Model wiederholt „Hör auf!“. Die Angeklagten wurden freigesprochen, was an sich ein gewöhnliches Beispiel für die Unzulänglichkeit des deutschen Strafrechts ist. Lohfinks Fall zeigt darüber hinaus aber auf bittere Weise die perfide Logik von Medien und Justiz. Sie wurde vom Opfer zur Täterin gemacht und wegen Falschbeschuldigung zu 24.000 Euro Strafe verurteilt. Dagegen hat sie Berufung eingelegt und der Ausgang des Verfahrens wird viel über die Verhältnisse in Deutschland aussagen.
Nein, das was auf dem Video zu sehen ist, das mit der Beschreibung „Vergewaltigungsvideo von Lohfink!! Nagelneu“ verschiedenen Redaktionen zum Kauf angeboten wurde und auf dem Lohfink mehrmals „Hör auf!“ sagt, ist nach deutschem Recht bisher keine Vergewaltigung. Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung sind gemäß des deutschen Strafgesetzbuches nur dann strafbar, wenn vom Täter Gewalt (sic!) ausgeübt wird, mit Gefahr für Leib oder Leben gedroht wird oder eine schutzlose Lage ausgenutzt wird. Dass eine Person „Hör auf“ und „Nein“ sagt, reicht bisher nicht. Für Lohfink und den langjährigen feministischen Kampf um die Verankerung des „Nein heißt Nein“-Prinzips im Strafrecht ist es ein Erfolg, dass dieser Grundsatz Mitte Juni in den Gesetzentwurf zur Reform des Sexualstrafrechts hinzugefügt wurde. Es bedeutet jedoch nicht das Ende der Vergewaltigungskultur.
Nein, auch linke Kreise sind nicht automatisch sichere Räume. Ein Blick, ein Wort, eine Grenzüberschreitung reichen, um eine Frau wie ein Objekt zu behandeln und ein verachtendes Frauenbild zu reproduzieren, das Vergewaltigungskultur nährt.
Nein, es ist nicht überholt, nervig oder übertrieben, erneut Nein zu sagen. Es ist mutig und notwendig! In den LN berichten wir über die Auswirkungen von Vergewaltigungskultur in Lateinamerika, aber es ist kein Problem der anderen, es ist auch unseres. Es ist notwendig, sich auch hierzulande mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt zu solidarisieren und den Gerichten und Medien einzuheizen. Darüber hinaus sollten wir der Vergewaltigungskultur eine selbstbestimmte feministische Kultur entgegenstellen. Kitty May, Direktorin für Bildung im queer-feministischen Sex Shop Other Nature, sagt: „Nein heißt Nein und Ja heißt Ja. Zentral ist, Zustimmung zu erfragen. Ich würde wollen, dass die Aufmerksamkeit weg von der Verantwortung einer Partei geht, die eigenen Grenzen zu verteidigen, und hin zu der Verantwortung von uns allen, beieinander Zustimmung zu suchen.“

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