Editorial | Nummer 349/350 - Juli/August 2003

“No dumping, no cry”

Die Ende Juni beschlossene EU-Agrarreform hin oder her – die jamaicanische Milch-Aktivistin Fiona Black hat weiter allen Anlass, ihren Protestsong vor dem Gebäude der EU-Kommission in Brüssel darzubieten. Denn das was von EU-Agrarkommissar Franz Fischler, der deutschen Verbraucherschutzministerin Renate Künast und anderen als Durchbruch in der EU-Agrarpolitik verkauft wird, wird dem Süden dieser Welt nicht helfen.

Die EU-Agrarreform geht gerade mal vorsichtig einen von drei Problembereichen an: die an Produktionsmengen gekoppelten Direktbeihilfen. Das ist zu begrüßen, wird allerdings bestenfalls mittelfristig zu einem Abbau von Getreide- und Milchüberschüssen führen, denn die subventionierten Garantiepreise für diese Produkte bleiben. Die EU-Überschüsse werden auch künftig wie eh und je auf dem Weltmarkt zu Dumpingpreisen abgeladen. Mithilfe von Exportsubventionen, die so wenig Gegenstand der neuen Agrarreform sind wie der Abbau von Einfuhrzöllen. Dieses Recht nimmt sich die EU und verweigert es zusammen mit den USA dem Süden konsequent im Rahmen der Agrarverhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO): Das Recht, seine eigene Landwirtschaft, Bauern und Bäuerinnen zu schützen. Nicht einmal die Minimalforderung der Entwicklungsländer, wenigstens die Grundnahrungsmittel von der Liberalisierung auszunehmen, wurde in der derzeit kursierenden Diskussionsvorlage des WTO-Verhandlungsführers Stuart Harbinson berücksichtigt.

Und wohin die Liberalisierung von Grundnahrungsmitteln führt, zeigt exemplarisch der Fall Jamaica. 1992 wurden die Zölle auf Milchpulver reduziert sowie die Subventionen für die heimischen Milchbauern abgeschafft – als Bedingung für einen Weltbankkredit. Die Milchpulverimporte aus der EU verfünffachten sich allein bis zum Jahr 2000 – mithilfe von Milliarden Subventionen, die die EU zum größten Exporteur von Milchprodukten in aller Welt machen. Mehr als drei Viertel aller jamaicanischer Kleinbauern und -bäuerinnen verloren seit 1996 ihre Existenzgrundlage. Für ihre Frischmilch gibt es keinen Markt mehr.

Jamaica ist überall. Während der Süden nahezu flächendeckend im Rahmen von Strukturanpassungsprogrammen des Internationalen Währungsfonds (IWF) zur Liberalisierung seiner Wirtschaft samt für das bloße Überleben neuralgischer Bereiche wie des Agrarsektors gezwungen wurde, spielt der Norden, allen voran die USA und die EU ihr doppeltes Spiel weiter: Schutz der eigenen Märkte und kompromisslose Offensive auf den Märkten des Südens. Ein teures Spiel für den Süden. 100 Milliarden US-Dollar jährlich entgehen den Entwicklungsländern durch den Protektionismus allein an Agrar-Exporteinnahmen, mit einer Milliarde täglich subventionieren die Industrieländer insgesamt ihre Agrarwirtschaft – das Siebenfache der globalen Entwicklungshilfe, besagen Zahlen der Weltbank.

Und wenn die Verbraucherschutzministerin Künast die Agrarreform zusammen mit der seit 2002 gültigen sagenumwobenen EU-Marktöffnungsinitiative „Everthing but arms“ (Alles außer Waffen) als Fortschritte für den Süden bezeichnet, dann ist das lächerlich. So lächerlich wie eine Marktöffnung für die 49 ärmsten Staaten der Welt mit „Alles außer Waffen“ zu bezeichnen, als ob die EU aus Kiribati, Tuvalu oder Eritrea jemals Waffen importiert hätte – oder vielleicht Macheten aus Haiti, dem einzigen amerikanischen Land unter den Hungerleidern?
Für die EU gilt wie für die USA, Staaten haben keine Freunde, sie haben nur Interessen.

Ein roter Faden, der sich durch den folgenden LN-Schwerpunkt über „Freihandel“ der großen Zwei mit Lateinamerika zieht.

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