Editorial | Nummer 312 - Juni 2000

Rote Karte für adidas

In diesen Tagen beginnt die Fußballeuropameisterschaft. Und Lateinamerika wird auf dem Rasen präsent sein. Natürlich nicht in Form von Spielern – von eingebürgerten Latinos mal abgesehen. Aber es ist durchaus wahrscheinlich, dass unter den nach Spielschluss getauschten Trikots welche aus lateinamerikanischer Fertigung sein werden. Denn die Textilindustrie globalisierte ihre Produktion schon zu Zeiten, als nationalstaatliche Regulierung noch gang und gäbe und kein Schimpfwort war. Schon vor 25 Jahren begannen Unternehmen aus den Industrieländern Teile der Bekleidungs- und Sportwarenindustrie in Niedriglohnländer auszulagern. Der technische Aufwand vieler Produktionsbereiche in diesem Sektor ist gering, die Verlagerung dementsprechend einfach. Inzwischen muss man schon Profifußballer sein, um noch Fußballschuhe Made in Germany tragen zu können – diese spielen mit Maßanfertigungen, um ihre Senk- und Spreizfüße auszugleichen.

Massen- statt Maßware heißt es hingegen für den Rest und die kommt aus Südostasien, Osteuropa und Lateinamerika. Aus El Salvador zum Beispiel. Die Näherinnen von Hermosa Manufacturing in El Salvador arbeiten in Spitzenzeiten Schichten von bis zu 20 Stunden, schlafen dann vier Stunden auf Pappkartons unter den Nähmaschinen und beginnen am Morgen die nächste Schicht. Obligatorische Schwangerschaftstests, beschränkte und überwachte Toilettenbesuche, unbezahlte Überstunden ergänzen den Reigen der Missstände. Seit zwei Jahren hat die länderübergreifende „Kampagne für Saubere Kleidung“ (Clean Clothes Campaign) auf die verheerenden Arbeitsbedingungen bei den adidas-Zulieferern hingewiesen. Erfolglos. Erst ein Beitrag des Fernsehmagazins Monitor brachte den Konzernriesen in träge Bewegung, denn Image ist alles und Arbeitsstandards sind nichts. Die Zulieferer sollten sich fürderhin an den Verhaltenskodex Standards of Engagement halten, so adidas. Selbst der Posten eines globalen Direktors für soziale und Umweltangelegenheiten wurde geschaffen und besetzt.

Vordergründig mit positiver Wirkung. adidas beantragte die Mitgliedschaft in einem US-amerikanischen und einem britischen Gremium für faire Arbeitsbedingungen und Handel – denn Image ist alles. Diese Gremien zeichnen sich allerdings, durch Regierungsnähe, laxe Standards und Kontrollsysteme aus. Und wirklich ernst scheint es adidas in der Tat nicht zu sein. Erst auf Druck der “Kampagne für Saubere Kleidung” hatte adidas kürzlich einer glaubwürdigen unabhängigen Kontrolle zugestimmt und den ins Rampenlicht geratenen Lieferanten Formosa/Evergreen in EL Salvador durch eine US-Institution auf soziale Standards prüfen lassen. Das Ergebnis bestätigte die von der Kampagne angeprangerten Missstände. Statt auf Beseitigung zu drängen, droht adidas jedoch nun mit Auftragsstornierung und Zuliefererwechsel – womit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden. adidas präsentiert sich als vermeintlicher lernfähiger Saubermann und lässt gleichzeitig die „Kampagne für Saubere Kleidung“ ins Leere laufen. Diese geriete als Bündnispartner in Misskredit, wenn am Ende ihrer Bemühungen Arbeitsplatzvernichtung stünde. Damit nicht genug. adidas schindet weiter Zeit in Sachen verbesserter Arbeitsstandards. Man setze auf einen Bewusstseinswandel bei seinen Lieferanten, denn man könne und wolle sie nicht unter Druck setzen. Blanker Opportunismus! adidas spielt mit den Zwangslagen der ArbeiterInnen und spielt sie gegen die Kampagne aus. Grobes Foul! Deswegen: Zeigen wir adidas die Rote Karte!

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