Editorial | Nummer 461 - November 2012

Vivan L@s Campesin@s!

Es klingt paradox: 80 Prozent der Hungernden leben auf dem Land und die Hälfte davon entstammt Kleinbauernfamilien. Die Hälfe von weltweit 925 Millionen Menschen! So viele werden derzeit laut der Welternährungsorganisation FAO in der Statistik der Hungernden geführt. Für 18 Millionen pro Jahr ist die Unterernährung tödlich – meist Kinder unter fünf Jahren.
Offensichtlich kommen diejenigen, die Nahrungsmittel produzieren, häufig selbst zu kurz. Ein Missstand, den zu ändern sich die Via Campesina zum Auftrag gemacht hat. Und dabei ist die mehr als 200 Millionen Menschen repräsentierende globale Landlosen-, Kleinbäuerinnen- und bauern-Bewegung wieder einen wichtigen Schritt vorangekommen: Ende September hat sich der UN-Menschenrechtsrat gegen die Stimmen der USA und der derzeit darin vertretenen EU-Staaten dafür ausgesprochen, eine „Konvention für eine Stärkung der Rechte von Kleinbauern und anderen Arbeitern in ländlichen Regionen“ auf den Weg zu bringen. Eingebracht hatten die Resolution neben dem federführenden Bolivien noch Kuba, Ecuador und Südafrika.
Damit hat ein Prozess begonnen, an dessen Ende eine UN-Deklaration stehen wird, die die Rechte von Kleinbäuerinnen und -bauern, Fischer_innen und Landarbeiter_innen schützen soll – einschließlich eines rechtlich verbindlichen Instruments gegen Land Grabbing (Landraub). In zwei Jahren soll eine Arbeitsgruppe ihre ersten Ergebnisse vorlegen.
Auch wenn Papier bekanntlich geduldig ist – völkerrechtlich verbindliche Konventionen sind mehr als ein Muster ohne Wert. Eine umfassende Konvention, die das Recht auf angemessene Ernährung sowie den Zugang zu Land, zu Wasser und zu Saatgut auf diese Weise festschreibt, erschwert es den Regierungen in Nord und Süd sowie den multinationalen Konzernen, diese Rechte weiter ungestraft mit Füßen zu treten. Allein 2009 fielen laut der Menschenrechtsorganisation FIAN 80 Millionen Hektar dem Land Grabbing zum Opfer. Millionen Menschen, die diese Flächen bisher traditionell beackerten, ohne einen Grundbuchtitel zu haben, hatten gegenüber internationalen Großinvestor_innen das Nachsehen. Eine Entwicklung, die durch hohe Nahrungsmittelpreise und den Ausbau der Agrotreibstoffproduktion weiter angeheizt wird.
Die USA und die EU-Staaten haben mit ihrer Ablehnung der Resolution im Menschenrechtsrat einmal mehr deutlich gemacht, dass sie den Welthunger nicht ernsthaft bekämpfen wollen. „Freiwilligen Leitlinien“ wie sie die FAO gegen den Landraub vorgeschlagen hat, stimmen sie ob ihrer Unverbindlichkeit gerne zu. Es kostet nichts und es ändert nichts. Die FAO hegt die Illusion, dass mit solchen Leitlinien alle zu ihrem Recht kommen: die Investor_innen, aber auch die Kleinbäuerinnen und -bauern, sowie die armen Länder.
US-Präsident Barack Obama ist da schon realistischer. Mit seiner im Mai auf dem G8-Gipfel lancierten „Neuen Allianz für Ernährungssicherheit und Ernährung“ setzt er ganz offen auf eine Kooperation mit der Privatwirtschaft. In der Liste der Partner finden sich so illustre Namen aus dem Agrobusiness wie der US-amerikanische Saatgutriese Monsanto, der Schweizer Pflanzenschutzmittelhersteller Syngenta, die Multis Cargill oder Unilever. Dass die deutsche Regierung davon begeistert ist und ihre Unterstützung zugesagt hat, verwundert nicht. Bei Entwicklungsminister Dirk Niebel gilt noch allemal das Motto „Satt macht, was Profite schafft“.
Via Campesina wird auch dieser Initiative ihr Konzept entgegensetzen: Selbstbestimmte Ernährungssouveränität anstelle von paternalistischer Ernährungssicherheit von Regierungsgnaden. Es gilt der alte Grundsatz: Das Land denen, die es bebauen. Eine verbindliche Konvention kann dabei nur helfen. Je schneller sie kommt, desto besser.

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