IN EINER LIGA MIT MODERNA

Positive Ergebnisse in der dritten Testphase des Impfstoffes Soberana O2 (Foto: Cubadebate vía Wikimedia Commons, CC BY 3.0)

Ende Juni reihte sich in Kuba Erfolg an Erfolg – kurz bevor am 11. Juli der Unmut über die Versorgungslage sich breit machte. Am 23. Juni stimmte in der UN-Vollversammlung die überwältigende Mehrheit von 184 Staaten zum 29. Mal gegen die US-Blockade und kurz zuvor gab es auch an der Impffront Positives zu vermelden: 92,28 Prozent – bis auf die zweite Stelle nach dem Komma verkündeten Kubas Gesundheitsbehörden die Effektivität der drei verabreichten Dosen des kubanischen Impfstoffkandidaten Abdala. Der Impfstoffkandidat Soberana 02 erreicht 91,2 Prozent Wirksamkeit.

Mit Stolz und Genugtuung wurden auf Kuba die Resultate der klinischen Studien der kubanischen Vakzine aufgenommen. „Getroffen von zwei Pandemien (Covid-19 und Blockade), haben unsere Wissenschaftler alle Hürden überwunden und uns zwei sehr wirksame Impfstoffe beschert“, twitterte Präsident Miguel Díaz-Canel.

Kuba hofft, mit argentinischer Unterstützung die Impfstoffproduktion anzukurbeln.

Als erstes Land Lateinamerikas entwickelt Kuba eigene Corona-Impfstoffe. Insgesamt sind es fünf. Soberana 02, die Souveräne, und Abdala, nach einem Stück des Nationaldichters José Martí benannt, sind am weitesten in der Entwicklung. Wie alle kubanischen Impfstoffe bestehen sie aus rekombinantem Protein, sind also sogenannte Totimpfstoffe. Das US-amerikanische Unternehmen Novavax verwendet für seinen Impfstoff dasselbe Prinzip. Auf Kuba werden jeweils zwei Dosen Soberana 02 oder Abdala und eine dritte Dosis des Boosters Soberana Plus verabreicht. Dieser soll die Immunantwort auf SARS-CoV-2 zusätzlich stärken. Genesene einer Corona-Infektion erhalten nur die Dosis Soberana Plus.

Mit der ermittelten Effektivität erfüllen beide kubanische Impfstoffkandidaten die Norm der Weltgesundheitsorganisation (WHO), um als Vakzine zugelassen zu werden und erreichen sogar eine ähnlich hohe Wirksamkeit wie die Impfstoffe von Moderna oder BioNTech/Pfizer. Am 9. Juli erteilte die kubanische Zulassungsbehörde CECMED dem Impfstoffkandidaten Abdala eine Notfallgenehmigung. Die Zulassung von Soberana 02 dürfte in Kürze erfolgen.

In einem Interview mit der spanischen Tageszeitung El País sagte der Vertreter der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation (PAHO) auf der Insel, José Moya, dass das CECMED als eines der acht Referenzzentren in der Region gilt und dass die Impfstoffe nach ihrer Validierung durch das Institut international vermarktet werden können, auch ohne Präqualifikation durch die WHO.

Kuba, das große Erfahrung bei der Herstellung von Impfstoffen besitzt, hatte sich entschieden, keine ausländischen Impfstoffe zu importieren, sondern sich auf seine eigenen zu verlassen. Eine riskante Wette, die sich aber auszuzahlen scheint: Die erfolgreiche Impfstoffentwicklung wird den wissenschaftlichen Ruf weiter verbessern und versetzt das Karibikland in die Lage, dringend benötigte Devisen durch Exporte zu generieren und die Impfkampagne weltweit zu stärken. Mehrere Länder von Argentinien über Jamaica bis hin zu Mexiko, Vietnam und Venezuela haben ihr Interesse am Kauf von Kubas Impfstoffen bekundet. Der Iran begann Anfang dieses Jahres mit der Produktion von Soberana 02 als Teil klinischer Studien. Auch dort stehe eine Notfallzulassung kurz bevor, hieß es.

Argentinien will mit Kuba bei der Produktion von auf der Insel entwickelten Impfstoffen gegen Covid-19 zusammenarbeiten. Ein entsprechendes Abkommen unterzeichneten beide Länder Ende Mai beim Besuch der argentinischen Gesundheitsministerin Carla Vizzotti in Havanna. Die Vereinbarung spiegelt die Absicht wider, die Beziehungen im Bereich Gesundheit und Biotechnologie zu stärken und bei der Immunisierung der Bevölkerung beider Länder sowie Lateinamerikas und der Karibik zusammenzuarbeiten.

Heute produziert Kuba knapp 60 Prozent der auf der Insel zugelassenen Arzneimittel selbst

Vizzotti traf während ihres Besuches unter anderem mit dem kubanischen Präsidenten Díaz-Canel zusammen, um sich über die Fortschritte bei der Entwicklung der kubanischen Impfstoffkandidaten Soberana 02 und Abdala sowie über die Ergebnisse der ersten Phasen der klinischen Studien und die Impfstrategie auf der Insel zu informieren. „Wir haben über das gemeinsame Projekt gesprochen und darüber, dass wir nicht nur daran arbeiten, einen Impfstoff zu fördern, der vollständig in Lateinamerika entwickelt, produziert und angewendet wird, sondern auch über eine Zusammenarbeit in anderen Bereichen der Gesundheit, Wissenschaft und Technologie“, so die Ministerin. Die Parteien arbeiteten daran, „die Beziehungen zu vertiefen, den Zugang zu Impfungen zu stärken, aber vor allem in jeder möglichen Weise zusammenzuarbeiten, sowohl bei der Bereitstellung von Grundstoffen, der Möglichkeit des Einkaufs wie der Unterstützung bei der Ausweitung der Produktion“.

Kuba hofft, mit argentinischer Unterstützung die Impfstoffproduktion anzukurbeln. Auch Argentinien verspricht sich Vorteile. Das südamerikanische Land ist eines der am stärksten von der Corona-Pandemie getroffenen Länder der Hemisphäre. Derzeit wird es von der dritten Welle heimgesucht. Die Immunisierung der argentinischen Bevölkerung hat zwar schon vor Monaten begonnen – wegen des bislang begrenzten Zugangs zu Impfstoffen jedoch sehr schleppend. Die Zusammenarbeit mit Kuba könnte ein Weg sein, dies zu ändern.Bisher werden in Argentinien vor allem der russische Impfstoff Sputnik V und über die COVAX-Initiative der Weltgesundheitsorganisation gelieferte Dosen des britisch-schwedischen Herstellers AstraZeneca verimpft. Zusammen mit Mexiko, das ebenfalls von Vizzotti besucht worden war, produziert Argentinien den AstraZeneca-Impfstoff für Lateinamerika. Die Produktion hatte sich aber wegen fehlender Inhaltsstoffe aus den USA verzögert. Eine erste Lieferung gelangte Anfang Juni ins Land. Darüber hinaus gibt es eine Kooperation mit Israel. Zudem arbeitet die Regierung an einem Liefervertrag mit dem chinesischen Hersteller Sinopharm.

Derweil prangert Kuba an, dass die Verschärfung der US-Blockade es dem Land unmöglich mache, genügend Impfdosen für seine Bevölkerung herzustellen. Dies verzögere die Impfkampagne. „Wir müssen sagen, dass wir nicht mehr Kubaner geimpft haben, weil wir nicht die Mittel hatten, mehr Impfstoffe herzustellen, damit das für alle Welt klar ist“, sagte Yuri Valdés, stellvertretender Direktor des Finlay-Instituts, eines mit der Erforschung und Herstellung von Impfstoffen befassten Wissenschaftszentrums in Havanna. Diese Worte fielen während einer Sitzung der Nationalversammlung, in der die Abgeordneten Parlamentarier*innen aus aller Welt aufriefen, sich der Forderung nach einem Ende der 60 Jahre währenden US-Blockade anzuschließen. Wenn die Regierung von Joe Biden vielleicht keine Zeit habe, die gesamte Kuba-Politik einer Revision zu unterziehen, so solle sie zumindest den Teil überprüfen, der all jene Kubaner*innen betreffe, die wegen Covid-19 in Krankenhäuser eingeliefert würden. Dies könne Leben retten, so Valdés.

Die Verschärfung der US-Blockade verzögert die Impfkampagne

Trotz anderslautender Ankündigungen im Wahlkampf hat die Biden-Administration einem baldigen Kurswechsel gegenüber Kuba eine Absage erteilt und alle 243 von Donald Trump zusätzlich gegen die Insel verhängten Sanktionen bislang intakt gelassen. Kuba-Solidaritätsorganisationen in den Vereinigten Staaten, Argentinien, Spanien, Italien und anderen Ländern organisierten derweil die Beschaffung von rund 20 Millionen Spritzen, um die 11,2 Millionen Einwohner Kubas zu impfen. Darüber hinaus stellten die Schweizer Regierung und die NGO mediCuba-Europa im April 600.000 US-Dollar für den dringenden Kauf von Spritzen und Nadeln zur Verfügung.

Trotz der US-Blockade werde Kuba eines der ersten Länder der Welt sein, das im Jahr 2021 seine gesamte Bevölkerung immunisieren kann, twitterte Dr. Eduardo Martínez Díaz, Präsident der kubanischen Unternehmensgruppe BioCubaFarma. Aufgrund der Beschränkungen durch die US-Blockade setzte Kuba bereits früh auf eigene Medikamenten- und Impfstoffentwicklung. Im Jahr 1965 wurde das Nationale Zentrum für wissenschaftliche Forschung (CNIC) gegründet; in den 1980ern dann der Aufbau einer eigenen Biotechnologie-Sparte betrieben. Heute produziert Kuba knapp 60 Prozent der auf der Insel zugelassenen Arzneimittel sowie fast achtzig Prozent der Impfstoffe, die im Rahmen des Nationalen Immunisierungsprogramms verwendet werden, selbst. Kubanische Wissenschaftler*innen haben Impfstoffe gegen Hepatitis B oder Tuberkulose und den weltweit ersten Impfstoff gegen Lungenkrebs entwickelt. Erfahrungen, die bei der Entwicklung von Vakzinen gegen SARS-CoV-2 helfen.

Bereits seit einigen Wochen impfen kubanische Mediziner*innen im Rahmen einer Bevölkerungsintervention Risikogruppen und in Hochinzidenzgebieten, darunter ganz Havanna. Landesweit wurden bislang mehr als sieben Millionen Impfdosen verabreicht; 1,6 Millionen Kubaner*innen sind vollständig geimpft, meldete das kubanische Gesundheitsministerium. Die kubanischen Wissenschaftler*innen gehen davon aus, im Laufe des Jahres die gesamte Bevölkerung der Insel impfen zu können.

Mit der Forcierung der Impfkampagne noch vor Erteilung der Notfallzulassung sollte die Ausbreitung des Virus verlangsamt werden. Die Corona-Infektionszahlen im Land sind zuletzt explodiert.

Monatelang war es Kuba gelungen, die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen und die Zahl der Infektionen bei nur Dutzenden von Fällen pro Tag zu halten, aber in den vergangenen Monaten sind die Infektionen stark gestiegen. Zuerst waren es Hunderte von Fällen pro Tag. Anfang Juli wurden im Schnitt täglich mehr als 3.500 Neuinfektionen verzeichnet. Zwischen März und Dezember 2020 waren es noch durchschnittlich 1.200 – im Monat. Dabei gilt in der Hauptstadt Havanna beispielsweise seit Mitte Februar eine nächtliche Ausgangssperre von 21 Uhr abends bis 5 Uhr morgens. Doch die sogenannte Delta-Variante, die zuerst in Indien aufgetreten ist, befindet sich auch auf Kuba auf dem Vormarsch und versetzt die Behörden in Aufregung. Vor allem in der Provinz Matanzas mit einer Inzidenzrate von mehr als 1.000 Fällen pro 100.000 Einwohner*innen in 14 Tagen verschlechterte sich die Situation Anfang Juli dramatisch. So sehr, dass die Regierung medizinisches Personal der Henry Reeve-Brigade zur Hilfe geschickt hat, die Kuba normalerweise bei humanitären Katastrophen ins Ausland entsendet. Sie war noch nie zuvor innerhalb des Landes eingesetzt worden.

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