Barbi Recanati bei einem Konzert in Santa Fé (Foto: TitiNicola via wikimedia commons (CC BY-SA 4.0))
Ausgerechnet am 20. März, dem ersten Tag der Corona-bedingten Ausgangssperre in Argentinien (siehe LN 550), erschien mit Ubicación en Tiempo Real das erste Soloalbum der Gitarristin, Sängerin und Produzentin Barbara „Barbi“ Recanati. Der Titel lässt sich als „Live-Standort“ übersetzen, also jene viel genutzte Option von Smartphones, den eigenen Standort in Echtzeit zu teilen. Recanati selbst befand sich an diesem Tag bereits in häuslicher Quarantäne, zusammen mit Bandkollegen und ihrem Sohn. Auf die Mexiko-Tour im März hätte eigentlich ein Konzert auf dem großen SXSW-Festival in Texas folgen sollen. Trotz dessen Absage folgte auf den Rückweg über die USA die zwingende kollektive Quarantäne.
Barbi Recanati ist schon lange in der Alternativ-Rockszene in Argentinien aktiv und wurde als Lead-Sängerin der Utopians bekannt. Die Band löste sich auf, nachdem Recanati einen der Gitarristen rausschmiss, dem teilweise noch minderjährige Fans übergriffiges Verhalten vorgeworfen hatten.
Recanati stellt die alte Riege machistischer Musiker bloß
Die Erneuerinnen des argentinischen Rock eignen sich mit spielender Leichtigkeit dessen tausendfach reproduzierten und männlich konnotierten Gesten an. Wie Marilina Bertoldi, Paula Maffía und die Band Eruca Sativa stellt Recanati somit die alte Riege machistischer Musiker und Produzenten bloß, die über vermeintlich mangelndes Talent von Musikerinnen und das Ende letzten Jahres verabschiedete Mercedes-Sosa-Gesetz, welches eine Quote für weibliche Acts auf den Bühnen großer Musikveranstaltungen festschreibt (siehe LN 545), jammern.
Auf Goza Records erscheint nun auch Barbi Recanatis erstes eigenes Album, Ubicación en Tiempo Real. Trotz des modernen Titels der Platte schöpft sie musikalisch aus der Vergangenheit. War ihre vorher veröffentlichte EP Teoria Espacial („Raumtheorie“) noch von nach vorne preschendem, wütendem Rock dominiert, sind die sieben Songs auf Ubicación en Tiempo Real schleppender und eindrücklicher.
Inspiriert vom New Wave und Alternative Rock der 80er Jahre dominieren verzerrte Gitarren und hallende Synthesizer über dem Fundament einer präzise arbeitenden Rhythmussektion. Die Lieder und ihre Texte mögen zunächst einfach wirken. Doch die behutsamen und ausgefeilten Arrangements ziehen bei mehrmaligem Hören immer hypnotisierender in ihren Bann.
Hipsterfressende Hexen im Musikvideo
Eigentlich sollte Ubicación en Tiempo Real auch als Schallplatte erschienen, was die knapp gehaltene Songauswahl erklärt. Vorerst ist dieser Quarantäne-Musiktipp jedoch nur online, beispielsweise auf Spotify oder Youtube, zu hören.