Immer widerständig Überlebende Frauen des Folterzentrums Venda Sey (Foto: Mujeres Sobrevivientes Siempre Resistentes)
Welchen Eindruck macht der Kurzfilm Bestia auf Sie?
In den Worten Hannah Arendts ist er eine Banalisierung des Bösen, des Terrors. Kontextlos dient er nur dem Spektakel und der Vermarktung und führt zur Entfremdung und einem oberflächlichen Schauen, ohne in die Tiefe zu gehen.
Der Kurzfilm stellt es so dar, als wäre es eine Geschichte zwischen Gut und Böse, mit einer sehr schlimmen Person, die noch dazu krankhafte Züge hat. Hierbei wird unterschlagen, dass es sich bei den Täter*innen um vom Staat ausgebildete Beamte handelte, Expert*innen für politische Folter und sexualisierte Gewalt.
Olderöck war eine Majorin der Militärpolizei Carabineros, aber sie wird nicht einmal mit Uniform dargestellt. Damit werden die Carabineros reingewaschen. Warum stellen sie sie als dicklich und pausbäckig, geradezu niedlich dar, und nicht in Uniform? Diese Verharmlosung ist sehr gefährlich, denn am Ende steht allein sie als die Böse da, während die Verantwortung des Staates, der Carabineros überhaupt nicht thematisiert wird.
Welchen Einfluss hat das auf die historische Erinnerung?
Es ist eine Beschönigung der Erinnerung, ein Reinwaschen des Gedächtnisses, das alle Elemente entfernt, die es uns ermöglichen zu verstehen, warum genau das heute immer noch in unserem Land geschieht und warum es weiterhin sexualisierte politische Gewalt gibt. Denn diese geht nicht nur von Individuen – egal ob männlich oder weiblich – aus, sondern ist Teil einer staatlichen Politik, die weiterhin Bestand hat.
Zur Preisverleihung bei den Oscars wurden Repliken der im Film verwendeten Figuren mitgebracht. Möchten Sie dazu etwas sagen?
Ich finde es geschmacklos zu sehen, wie Steven Spielberg lachend mit der Puppe posiert. Wir hingegen tragen die Fotos unserer Toten, Gefangengenommenen und Verschwundengelassenen mit uns.
Hätten diese Leute den Oscar gewonnen, wären anschließend Olderöck-Puppen auf Chiles Straßenmärkten verkauft worden, da bin ich mir sicher.
Was ist mit der Perspektive der Überlebenden?
In der Erinnerung wird nur sehr selten der Fokus auf uns Überlebende gerichtet. Diese Verbrechen, die auch an uns begangen wurden, sind unbeschreiblich. Und man muss sich fragen, warum wir Überlebende überhaupt nicht in der Geschichte auftauchen. Wenn jemand etwas über das Folterzentrum Venda Sexy macht (siehe auch LN 545), warum werden wir dann nicht gebeten, unsere Sicht einzubringen? Es hätte gereicht, wenn der Regisseur des Kurzfilms auf die Sexualverbrechen, die in Venda Sexy verübt wurden und bis heute ungesühnt sind, aufmerksam gemacht hätte. Eine kleine Randnotiz. Wenigstens irgendwas.
Können Sie sich eine Entschädigung vorstellen?
Die wird es wohl nicht mehr geben. So wie es auch keine Gerechtigkeit gab. Das heißt nicht, dass wir uns nicht entschädigt gefühlt hätten, aber das haben wir durch andere Frauen erreicht, speziell durch Genoss*innen aus dem feministischen Umfeld. Es gab eine soziale Wiedergutmachung, die den Wunsch aktiv zu sein, weiterzukämpfen und etwas aufzubauen am Leben hält. Es ist ein halbes Jahrhundert her, dass diese Dinge passiert sind, und es gibt immer noch kein rechtskräftiges Urteil über sexualisierte Gewalt, geschweige denn über sexualisierte politische Gewalt.
Wie geht die Arbeit am Thema der sexualisierten politischen Gewalt voran?
Es gibt nur sehr wenig Forschung zum Thema sexualisierter politischer Gewalt. Journalist*innen oder Redakteur*innen gehen nur selten auf dieses Thema ein oder verwechseln es – durchaus absichtlich – mit einem Aspekt der Folter. Wir glauben aber, dass sie ein eigenständiger Tatbestand ist, der sich grundlegend von Folter unterscheidet. Dieses Konzept haben wir selbst erst im Jahr 2014 aufstellen müssen. Wir haben ihm eine politische Komponente beigefügt, denn die Gewalt war ein strategischer Teil des Staatsterrors, Teil einer Politik, die sich spezifisch gegen Frauen oder feminisierte Körper richtete. Heute würde man sie vermutlich disidencias nennen.
Es ist der Einsatz sexualisierter Macht, als Angriff auf unsere körperliche und sexuelle Integrität, um uns zu demütigen, zu beugen und wieder der gesellschaftlichen Ordnung zu unterwerfen. Denn wir waren Frauen, die sich dem uns zugewiesenen Platz widersetzt haben. Und dies ist ein permanenter Teil der staatlichen Politik, denn sie hat immer stattgefunden und nie aufgehört.
Diese Verbrechen sind noch nicht in der Vorstellungswelt aller angekommen. Oder es ist kompliziert, weil die Verbrecher*innen Militärs oder Polizist*innen sind, denen ihre eigene Täter*innenschaft als Vergewaltiger*innen nachgewiesen wird.
Wie sehen Sie sich heute vor dem Hintergrund ihrer eigenen Vergangenheit?
Sie versuchen immer, uns als die Armen darzustellen, denen Schreckliches widerfahren ist, als ob wir schwache Opfer gewesen wären. Und das ist eine krasse Form der Gewalt, denn wir wurden festgenommen, entführt und all dem ausgesetzt, gerade weil wir entschieden gegen die Diktatur gekämpft haben. Wir bestehen darauf, Frauen zu sein mit politischen Projekten, mit einer zutiefst antikapitalistischen und antipatriarchalen Überzeugung. Aber solange wir einen kapitalistischen Staat haben, werden die Reichen weiter reich sein und die Armen weiter arm bleiben. Und mit jeder Krise gibt es mehr Armut und mehr Repression für weitere Bevölkerungsteile. Genauso, wie wir es beim Aufstand im Jahr 2019 gesehen haben.
Und wir werden das so lange erleben, wie wir nicht in der Lage sind, neue Formen gesellschaftlichen Aufbaus zu schaffen. Die Machtverhältnisse sind mit der gesamten kapitalistischen Machtstruktur verwoben. Es ist unmöglich, nicht patriarchal zu sein in einem kapitalistischen System.
Unsere Generation war gegen die kapitalistische Produktionsweise, und wir sind es immer noch. Das ist wunderbar, denn an diesen unseren grundlegenden Überzeugungen hat sich nichts geändert. Ich glaube, es fällt vielen schwer, über den Kapitalismus hinaus zu denken und sich andere mögliche Welten vorzustellen, aber für uns war es das nicht in den 1970er Jahren. Wenn wir uns Erfahrungen wie in Chiapas oder bei den Frauen in Kurdistan anschauen, können wir wieder anfangen zu träumen, utopisch zu sein. Es ist schön, utopisch zu sein.