Brasilien entwickelt sich immer mehr zum beliebten Reiseziel von Sextouristen. Da die bekannten Touristenstädte wie Rio de Janeiro und Recife wegen der Medienberichte über urbane Gewalt an Attraktivität verlieren, eroberte die Tourismusindustrie in den letzten drei Jahren die ruhigen Strände im Nordosten des Landes: Natal, Fortaleza, Joao Pessoa. Seit einem Jahr gibt es wöchentlich einen Charterflug von Recife nach Natal. Seitdem wird die Stadt in der Hochsaison von 20.000 Touristen, vor allem von Deutschen, Italienern und Argentiniern besucht. In Natal gibt es proportional zur Größe der Stadt (600.000 EinwohnerInnen) die meisten Reisebüros in ganz Brasilien.
Tourismus – eine vom IWF empfohlene Entwicklungsstrategie – wird als Lösung sozialer Probleme propagiert, soll das Steueraufkommen erhöhen und Devisen zur Schuldenrückzahlung einbringen. Ein gut organisiertes Kartell hat in Brasilien eine Tourismus-Infrastruktur geschaffen und zieht dabei auch hohe Gewinne aus dem Prostitutionsgeschäft mit Minderjährigen. Brasilien hat nach Thailand weltweit den höchsten Anteil an minderjährigen Prostituierten und ist dabei, Thailand den ersten Rang streitig zu machen. Denn dort, so wird befürchtet, ist AIDS stärker verbreitet, und zum anderen ist der Prostitutionsmarkt teurer. (Die Entjungferung eines Mädchens kostet in Brasilien 200, in Thailand 400 US-Dollar.) Nach Angaben des Sozialministeriums werden 500.000 Minderjährige in Brasilien prostituiert.
Das Kartell der Mädchenprostitution
Wie das Imperium des Sextourismus funktioniert, wird in einem Dossier dargestellt, das CEBRAIOS für die Untersuchungskommission über die Prostitution Minderjähriger erstellt hat. Verwickelt in dieses lukrative Geschäft sind die Besitzer von Hotels, Reiseagenturen, Unternehmer und Politiker. Während diese kleine Gruppe ihren Reichtum vermehren kann, bietet das Tourismusgeschäft dem Rest der Bevölkerung allenfalls schlecht bezahlte Arbeit. Für Frauen und Mädchen ist die Prostitution oft die einzige Arbeitsmöglichkeit. Es wird damit gerechnet, daß inzwischen mehr Minderjährige in der Prostitution arbeiten als erwachsene Frauen. In dem Touristenort Mossoró, so das Dossier, verdient die Hälfte der weiblichen Bevölkerung ihr Einkommen in der Prostitution.
Das Coletivo Mulher Vida, eine Frauenorganisation in Olinda/Recife, beschreibt, daß in der Regel schwarze Mädchen zwischen 14 und 18 Jahren in die Prostitution einsteigen. Sie kommen aus der unteren sozialen Schicht, verdienen 50 bis 100 US-Dollar an einem Touristen und werden über Luxushotels vermittelt. Die Hoffnung der Mädchen besteht darin, über die Prostitution einen reichen, weißen Ausländer zu heiraten.
In Natal sind einflußreiche Personen wie Unternehmer und Politiker daran beteiligt, den Ring der organisierten Kinderprostitution auszubauen, so z.B. der Besitzer des Motels “De Ville”, Antonio Melo, Bruder des Ex-Gouverneurs von Rio Grande do Norte. Neben Touristen gehören Politiker und Parlamentsabgeordnete zu den Klienten verschiedener “Agenturen”, die Minderjährige als Prostituierte für sich arbeiten lassen.
Bekannt wurde dieser Skandal, nachdem eine 15-jährige massiv von ihrer Zuhälterin bedroht worden war und sich mit ihren Eltern an eine Zeitung wandte. Nachdem sie sich geweigert hatte, dem Abgeordneten Cipriano Correia (PMDB) zu sexuellen Diensten zur Verfügung zu stehen, wurde sie unter Druck gesetzt.
Die Anwerbung von Mädchen beginnt oftmals direkt vor der Schule. Dort suchen sich die ZuhälterInnen (in Brasilien sind traditionell auch viele Frauen in diesem Metier tätig) die Mädchen aus, unterbreiten ihnen Vorschläge, mit Männern auszugehen und stellen ihnen in Aussicht, jederzeit wieder aufhören zu können. Falls sich tatsächlich eine für den Ausstieg entscheidet, beginnen jedoch die Drohungen. Mädchen, die oft ohne Wissen der Eltern dieser Arbeit nachgehen, wird z.B. angedroht, daß ihre Eltern informiert werden.
In Natal verfügen Zuhälter über Fotokataloge mit jungen Mädchen (“ninfetas”), die Abgeordneten und Unternehmern für “Programme” angeboten werden. Nachforschungen ergaben, daß der Prostitutionshandel direkt vom Büro des Parlamentsabgeordneten Manoel do Carmo aus organisiert wird. Seine Angestellte betreibt von dort aus ihre Agentur als Zuhälterin. Berichten der Mädchen zufolge gehören vor allem verheiratete Männer zwischen 40 und 50 Jahren aus der gehobenen Schicht zu ihren Klienten.
Das Schweigen über dieses Thema zu brechen, ist gefährlich. Der Journalist, der diese Informationen veröffentlichte, wurde derart bedroht, daß er Natal verlassen mußte und jetzt an einem unbekannten Ort lebt. Dilma Felizardo, die von jungen Prostituierten und Angestellten der Hotels und Bars darüber informiert wurde, wer sich in Natal am Prostitutionsgeschäft bereichert, war als einzige bereit, am 15. September dieses Jahres vor der Untersuchungskommission auszusagen. Am darauffolgenden Tag begannen telefonische Morddrohungen, ihre Tage seien gezählt, und sie solle die jungen Prostituierten in Ruhe lassen. Schutz von der örtlichen Polizeistelle bekam sie erst nach elf Tagen – erst nachdem die Kampagne gegen Kinderprostitution und das Dritte-Welt-Haus Bielefeld Protestbriefe an Justiz- und Regierungsstellen geschickt und ihre Besorgnis in der lokalen Presse bekanntgegeben hatten.
Von Sicherheitssenator Manoel de Brito wird das Problem der organisierten sexuellen Ausbeutung von Minderjährigen allerdings bestritten. Er kritisierte diejenigen, die es wagen, “die Namen ehrwürdiger Personen in den Schmutz zu ziehen”. Solche Leugnungen und die Gewißheit, nicht bestraft zu werden, sind die beste Garantie für die Ausbreitung des Sexgeschäfts.
“Jene, die die Mädchen benutzen und zur Prostitution zwingen, kommen ungestraft davon. Über sie wagt man nicht zu sprechen, ja man will nicht einmal die Vorwürfe nachprüfen, die ihnen zur Last gelegt werden, weil sie diejenigen sind, die zahlen. Den Mädchen und Frauen verweigert man jedes Recht – sogar die minimalsten Bedingungen, um ihren Körper schützen zu können,” schreibt Dilma Felizardo in dem Dossier.
Festgenommen wurden bisher nur zwei Personen, die weniger prominent sind, ein Fotograf und ein illegal dort lebender Schweizer, der Kinder für die Prostitution angeworben hat, sie mit Drogen versorgte und mit Fotos von ihnen handelte.
Prostitution – der einzige offene Arbeitsmarkt
Die Hälfte der Bevölkerung in Rio Grande do Norte lebt in absoluter Armut. Hunger, Elend und das Fehlen anderer Arbeitsmöglichkeiten sind die Gründe dafür, daß viele Mädchen in der Prostitution arbeiten. Oft sind sie Kinder von armen Familien aus dem Landesinneren, die auf der Suche nach einer Überlebensmöglichkeit in die Städte gekommen sind. Mehrheitlich gehören sie zur schwarzen Bevölkerung Brasiliens. Die Prostitution der Mädchen beginnt früh. Nach einer Studie der Universität in Natal prostituieren sich 13 Prozent bereits im Alter von 8 bis 11 Jahren und 61 Prozent im Alter von 12 bis 14 Jahren. 72 Prozent der Mädchen unterstützen mit ihrem Verdienst ihre Familie. Die Hälfte der befragten Mädchen weiß nichts über die gesundheitlichen Gefahren.
Der Eintritt in die Prostitution verläuft über unterschiedliche Wege. Viele Mädchen versuchen zunächst mit “anständiger” Arbeit, Geld zu verdienen, sie verkaufen Früchte oder Süßigkeiten oder versuchen es mit Bettelei. Sie merken aber schnell, daß sie mit diesen Arbeiten kaum überleben können und kommen so zur Prostitution. Andere Mädchen kommen vom Landesinnern in die Städte, wo sie sich als Hausangestellte bei reicheren Familien verdingen. Abgesehen von der schlechten Bezahlung werden sie häufig Opfer sexueller Gewalt der Familienväter oder ihrer Söhne – ein Weg, sie auf die Straße zu treiben.
Zum Teil werden die Mädchen mit falschen Versprechungen in die Städte gelockt und finden sich dann in einem Bordell wieder. In anderen Fällen wird berichtet, daß es die Eltern selbst sind, die aufgrund ihrer elenden Situation ihre Töchter in Bars und Bordellen abgeben.
Aber nicht nur Mädchen aus den ärmsten Schichten arbeiten als Prostitutierte, sondern auch Mädchen der Mittelschicht. Im Unterschied zu den Mädchen der armen Schichten, die sich prostituieren, um zu überleben, die Familie zu unterstützen und/oder ihren Drogenkonsum zahlen zu können, benötigen sie das Geld eher, um sich einen besseren Lebensstandard leisten zu können – wie Markenkleidung und teure Parfums.
Häufig haben die Mädchen, die in der Prostitution arbeiten, sexuelle Gewalt bereits in der Familie erlitten. Laut einer Studie eines Zentrums für Jugendliche (CBIA) in Fortaleza wurden 80 Prozent der minderjährigen Mädchen, die sich prostituieren, von Familienmitgliedern wie Vater, Stiefvater, Schwager, Onkel, Bruder, Großvater mißbraucht. Sexuelle Gewalt ist das Kontroll- und Disziplinierungsmittel, das den Mädchen die typische Frauenrolle zuweist und sie zur Anpassung zwingt.
Die Mädchen fliehen aus den gewalttätigen Familien und hoffen auf ein selbstbestimmtes Leben. Auf der Straße lernen sie die Gewalt, vor der sie geflüchtet sind, in noch stärkerem Maße kennen. Was als Rebellion begann, endet in noch mehr Mißhandlung und Verletzung. Der Handel mit dem eigenen Körper erscheint dann vielleicht als einzige Möglichkeit, über ihn selbst zu bestimmen, ihn selbst zu besitzen.
Dilma Felizardo erklärt: “Vor dem Hintergrund mangelnder Arbeitsmöglichkeiten öffnet sich plötzlich eine Tür: Die Welt der Prostitution, die sich anfangs noch als eine große Versuchung darstellt. Eine faszinierende Welt voller Abenteuer, Geld, Musik, Männer, Autos, luxuriöser Motels und Drogen. Käuflicher Sex wird als ein Ausweg und eine Lösung für die sozialen Probleme gesehen. Auch die familiäre Moral trägt zum Eintritt der Mädchen in die Prostitution bei. Allgemeinhin gibt man einem Mädchen, wenn es die Jungfräulichkeit “verliert”, einen neuen Namen: den einer “Verlorenen”. Wird es schwanger, verlangt die Familie eine schnelle Heirat, oder es wird aus dem Haus getrieben. Der Schritt in die Prostitution ist dann oft nicht mehr weit.”
Die Mädchen selbst verdienen am wenigsten an der Prostitution. In der Regel bleiben ihnen nur 20 Prozent der Einnahmen, den größten Teil des Gewinns (60 Prozent) kassiert die Zuhälterin oder der Zuhälter, 20 Prozent die Vermittler wie Touristenführer oder Hotelportiers. Mit 20 Jahren haben die Mädchen von ihrem Traum – verheiratet, Kinder und ein eigenes Haus – nichts erreicht, und in der Prostitution gelten sie schon als alt. Die meisten sind dann drogenabhängig, AIDSinfiziert, depressiv, und viele begehen Selbstmord.
Casa Renascer – der Wunsch nach einem anderen Leben
Seit zehn Jahren arbeitet Dilma Felizardo mit Straßenkindern. In Recife hat sie die besondere Situation der Mädchen, die auf der Straße leben, gesehen. Zusätzlich zu allen Problemen, die sie mit den Straßenjungen teilen, erleben die Mädchen weitere Gewalt. “Sie menstruieren auf der Straße und bekommen dort ihre Kinder, sie treiben auf der Straße unter lebensgefährlichen Bedingungen ab und werden auf der Straße vergewaltigt. Ein achtjähriger Junge wird als Kind betrachtet. Wenn aber ein Mädchen acht Jahre alt ist, wird sie schon als Frau angesehen – d.h. die Männer beanspruchen das Recht, sie sexuell zu gebrauchen”, erklärt Dilma Felizardo. Wegen dieser Erfahrung gründete sie 1989 in Recife zusammen mit Ana Vasconcelos die “Casa de Passagem”, ein Haus, das Straßenmädchen, die als Prostituierte arbeiten, Unterstützung, Beratung und Unterkunft anbietet.
Seit ein paar Jahren widmet sich Dilma der Arbeit mit Straßenmädchen in Natal und hat dort eine Zufluchtsstätte für Mädchen, die auf der Straße leben, gegründet – die “Casa Renascer” (Haus der Wiedergeburt). Dort gibt es Platz für 30 Mädchen im Alter von acht bis achtzehn Jahren. Ihnen wird eine Umgebung der Zuflucht und Unterstützung angeboten und die Möglichkeit gegeben, einen neuen Alltag zu planen. Sie lernen nicht nur in, sondern auch mit der Gemeinschaft zu leben.
Die Mädchen sind selbstverantwortlich, sie sorgen für ihre Verpflegung, achten auf die Einhaltung der Regeln und diskutieren gemeinsam, was passiert, wenn ein Mädchen gegen sie verstößt. Aufgrund der knappen finanziellen Mittel gibt es nur reduzierte Betreuungsmöglichkeiten. Verbindungen zur Verwandschaft werden gesucht, Mädchen, die keinerlei Beziehungen zur Familie haben, können anschließend in einer Kleingruppe in einem anderen Haus leben.
Tagsüber besuchen die Mädchen die alternative Schule im oberen Stockwerk des Hauses und lernen lesen und schreiben nach der Methode von Paolo Freire. Nachmittags gibt es drei verschiedene Arbeitsgruppen: eine Theatergruppe, ein Schneidereiprojekt und eine Werkstatt, in der Hängematten hergestellt werden. Eine Erfahrung, die Dilma in ihrer langjährigen Tätigkeit machen mußte, nämlich “daß man Armen immer nur etwas Armes anbietet”, versucht sie durch ein wettbewerbsfähiges Projekt zu durchbrechen. Mit Unterstützung der kanadischen Regierung wurden Nähmaschinen angeschafft. Jetzt beabsichtigen die Mitarbeiterinnen von CEBRAIOS, eine Kooperative zu bilden und mit den Einkünften sowohl einen Teil der Kosten für das Haus zu decken, als auch den Mädchen und ihren Müttern Verdienstmöglichkeit zu geben. Ziel ist es, den Mädchen zu zeigen, wie die Arbeit in einer Kooperative organisiert sein kann, damit sie zukünftig selbst ihre Arbeit bestimmen können.
Die Mitarbeiterinnen der Casa Renascer fordern von der brasilianischen Regierung vergeblich Geld für ihre Arbeit. Ihre Arbeit wird genauso diffamiert wie die Mädchen, die aufgenommen werden – und dies sowohl von offizieller staatlicher Seite, als auch von der unmittelbaren Nachbarschaft. Dort existiert seit der Eröffnung im Oktober 1992 eine Unterschriftenliste gegen das “Haus der Prostituierten”.
Dilma Felizardo weiß, daß die Unterstützung für so wenige Mädchen angesichts des Ausmaßes ihrer Probleme ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Sie begreift Casa Renascer jedoch als ein Modell, das zum einen der brasilianischen Regierung zeigen soll, daß eine Unterstützungsarbeit für Straßenmächen sehr wohl möglich ist, und das sie damit unter Druck setzen soll. Zum anderen soll die brasilianische Gesellschaft auf das Tabuthema aufmerksam gemacht und dazu gebracht werden, ihrer Verantwortung gerecht zu werden – so werden auch Vorträge an Schulen und Universitäten gehalten und studentische Praktikantinnen zur Mitarbeit im Mädchenhaus aufgenommen.
Ende Januar läuft der Mietvertrag für die Casa Renascer aus. Noch ist unklar, wie das Haus weiterfunktionieren kann, woher ausreichende Unterstützung kommt.
Hoffnung auf Unterstützung und Zusammenarbeit
Von ihrem Aufenthalt erwartet Dilma Felizardo mehr Zusammenarbeit und Austausch im Kampf gegen Mädchenprostitution und Sextourismus. Mit ihren Berichten darüber, wie Sextourismus in Brasilien organisiert ist und wie das Leben der Mädchen zerstört wird, hofft sie auf mehr Aktivitäten gegen Prostitutionstourismus “auf der anderen Seite der Welt”.
Seit 1990 läuft, initiiert in ostasiatischen Ländern, eine internationale Kampagne gegen Kinderprostitution. In der BRD ist im September 1993 eine Gesetzesänderung in Kraft getreten, die sexuellen Mißbrauch nun auch im Ausland unter Strafe stellt. Die Kampagne gegen Kinderprostitution fordert jetzt, daß die Bundesregierung mit den Zielländern des Sextourismus Rechtshilfeabkommen abschließt, damit die Gesetzesänderung praktische Wirkung zeigt. Dilma Felizardo hofft, daß es zum Abschluß eines entsprechenden Abkommens mit Brasilien kommt.
Weitere Informationen:
Straßenkinderkomitee
c/o FDCL
Gneisenaustr. 2
10961 Berlin
Finanzielle Unterstützungsmöglichkeit:
Postgirokonto Berlin (BLZ 100 100 10)
Kto.Nr. 176966-104
Stichwort: Casa Renascer
Kasten 1:
CPI – Comissao Parlamentar de Inquérito
Die parlamentarische Untersuchungskommission (CPI) zu Kinderprostitution wurde in diesem Jahr vom brasilianischen Bundesparlament einberufen. Sie wird die angeklagten Politiker nach Brasília vorladen, damit sie über ihre Verwicklung in den sexuellen Mißbrauch von Mädchen aussagen.
Nach den bisherigen Untersuchungen, so die Vorsitzende des CPI, Marilu Guimaraes, gibt es landesweit Unterschiede in der Form sexueller Gewalt gegen Kinder:
Im Amazonasgebiet und im Zentralwesten profitieren vor allem Goldgräber und Lastwagenfahrer von der Versklavung und sexuellen Ausbeutung der Mädchen. Folterungen und brutalste Gewalt sind in diesem Terrain der absoluten Rechtlosigkeit an der Tagesordnung, wie der Journalist Gilberto Dimenstein recherchierte. Mädchen, die nicht länger bereit sind, endlos viele Kunden täglich zu bedienen, werden getötet, sichtbar und als Abschreckung für andere Mädchen. Wer sich eine Geschlechtskrankheit zugezogen hat, wird nicht behandelt, sondern in den Fluß geworfen.
Im Nordosten herrscht der Prostitutionstourismus vor. Es gibt einen regelrechten Austausch von minderjährigen Prostituierten zwischen den verschiedenen Städten des Nordostens. Die von der Regierung ausgebaute “Rota do Sol” ist die gewinnbringende “Route der Mädchenprostitution”.
In Rio und Sao Paulo ist die Kinderprostitution vor allem über “Agenturen für Fotomodelle” organisiert. Besonders brutal üben in Sao Paulo Militär- und Zivilpolizei Gewalt gegen Mädchen aus, die auf der Straße leben. Julio Lancelotti von der Pastorale für Minderjährige in Sao Paulo spricht von einer Symbiose zwischen Kinderprostitution, Drogenhandel (vor allem Crack) und Polizeigewalt.
Im Februar wird der Bericht der CPI veröffentlicht. Es besteht allerdings die Gefahr, daß Namen verschwiegen werden, ebenso wie erst kürzlich im Bericht der Untersuchungskommission zu Gewalt gegen Frauen. Trotz Protesten wurde der Bericht noch immer nicht vollständig freigegeben, da dort eine einflußreiche Person beim Namen genannt wurde.
Kasten 2:
Das Frauen/Mädchen/Gesundheits-Projekt CEBRAIOS in Natal
Casa Renascer ist ein Projekt von CEBRAIOS (Centro Brasileiro de Informacao e Orientacao de Saude Social), einem Aufklärungszentrum für soziale Gesundheit, das 1990 auf Initiative von Dilma Felizardo entstand. Ziel des Zentrums ist es, Fortbildungen zu Themen wie Sexualität, AIDS, sexueller Gewalt für Eltern, Schulen und Gewerkschaften durchzuführen und Studien zu einzelnen Problembereichen zu erstellen. Neben der Casa Renascer sind weitere Projekte des Zentrums ein Frauengesundheitsprojekt und ein Projekt über Frauenrechte. CEBRAIOS hat insgesamt neun feste Angestellte (u.a. eine Lehrerin für Alphabetisierung, eine Sozialarbeiterin, zwei Straßenerzieherinnen, die Bars und Bordelle besuchen und Kontakt zu jungen Prostituierten aufnehmen, eine Lehrerin für Schneiderei und einen Lehrer für die Theatergruppe, eine Beraterin für Frauengesundheit) und weitere freiwillige Mitarbeiterinnen. CEBRAIOS ist eine nichtstaatliche Organisation, die, angewiesen auf finanzielle Hilfe aus dem Ausland, Unterstützung erhält vom Dritte-Welt-Haus Bielefeld, Campo Limpo und Arche Nova in München.