KLIMA DER ANGST

Foto: Jonas Klünemann

In der Kirche des Heiligen Franz von Assisi, im Stadtteil Senkata von El Alto, liegen auf den Bänken mehrere Leichen, eingewickelt in Decken. Darauf liegen Zettel mit den Namen und den Geburtsdaten der Toten. Dazwischen sitzen Angehörige, manche mit einem stieren Blick, andere weinen leise. In einer Ecke, neben dem einfachen Altar der Kirche, ist eine Pritsche aufgestellt, darauf ein Leichnam mit zwei Einschüssen, einem in der oberen linken Brust und einem im Gesicht. Vier Forensiker untersuchen die Leiche. Es ist Mittwoch, der 20. November, ein Tag nach dem Massaker im Stadtteil Senkata von El Alto. „Nicht alle haben ihre Toten in die Kirche gebracht“, meint Carlos, dessen Bruder am Vortag erschossen wurde, „sie trauen den Forensikern nicht. Wir haben beschlossen, uns nicht zu verstecken.“

Die De-facto-Regierung hat in kürzester Zeit ein Klima der Angst geschaffen, das dazu geführt hat, dass viele Menschen eingeschüchtert sind. In der öffentlichen Debatte, die auch die meisten großen Medien in Bolivien mittragen, wurden die Bewohner*innen El Altos pauschal als „MAS-Horden“ und „Terroristen“ abgestempelt. MAS steht für „Bewegung zum Sozialismus“, die Partei des ins Exil nach Mexiko getriebenen Präsidenten Evo Morales, der inzwischen nach Argentinien weitergezogen ist und dort Asyl beantragt hat, kurz nachdem der Mitte-Links-Peronist Alberto Fernández in Buenos Aires die Amtsgeschäfte übernommen hat. Kaum ein*e Journalist*in aus La Paz hat sich die Mühe gemacht, vor Ort zu recherchieren und zu berichten. Einfacher war es, die Verlautbarungen der De-facto-Regierung zu übernehmen. Der Verteidigungsminister Fernando López behauptete noch am selben Tag, die Operation sei friedlich verlaufen, es sei kein einziger Schuss abgefeuert worden. Das wiederholte auch Jeanine Áñez in der ersten Dezemberwoche in einem Interview: „So weit ich weiß, ist alles friedlich verlaufen!“

Laut den Anwohner*innen hat das Militär die tödlichen Schüsse abgegeben, so auch die Auffassung des Sicherheitsexperten Samuel Montaño, er hat Fotos von den Tatorten in Sacaba/Cochabamba und Senkata/El Alto ausgewertet. Es gibt mindestens zwei Fälle, so der Experte, bei dem Soldat*innen geschossen haben.

Von der De-facto-Regierung wird behauptet, es wäre darum gegangen, einen terroristischen Anschlag zu verhindern. In der regierungsnahen Tageszeitung Página Siete hieß es, Anhänger*innen von Evo Morales wollten ein Treibstofflager in Brand setzen. Andere Quellen ließen verlauten, dass Dynamit im Spiel gewesen sei. Bisher gibt es aber keine stichhaltigen Beweise dafür, dass es um mehr ging, als eine Blockade des Treibstofflagers. Augenzeug*innen vor Ort berichten, dass niemand mit Dynamit hantiert hat, „nicht einmal Knallfrösche hatten wir, als Polizei und Militär auf uns schossen“, meint eine Anwohnerin.

Wie die Anwohnerin wollen die meisten anonym bleiben. Es wird von Polizeibesuchen berichtet, wo den Betroffen nahegelegt wird, besser keine Aussagen zu machen, auch anonyme Drohanrufe gibt es. Das bestätigen auch Mitglieder der permanenten Menschenrechtsversammlung. „Es ist sehr schwer, im Moment als Menschen­rechts­verteidiger zu arbeiten. Das Misstrauen der Leute ist sehr groß, außerdem erhalten wir Drohungen von der Regierung“, sagte ein Mitarbeiter gegenüber den LN.

Daher bleibt bisher auch im Dunkeln, wie viele Menschen beim Massaker in Senkata umgekommen sind. Es wird berichtet, dass es neben den zehn offiziellen Toten sechs weitere gibt, bei denen die Familien sich geweigert haben, sie offiziell anzugeben. Zudem gibt es Berichte über mindestens zehn gewaltsam verschwundene Personen, von denen man nicht weiß, ob sie tot sind oder was mit ihnen passiert ist. Darunter soll, nach Zeug*innenberichten, auch ein zwölfjähriges Mädchen sein, das zwei Einschusslöcher aufwies und von Polizist*innen weggeschafft wurde.
Für die bolivianische Öffentlichkeit spielen diese „Details“ kaum eine Rolle. Die Version eines „terroristischen Anschlags“ und eines „friedlichen Polizei- und Militäreinsatzes“ stehen im Vordergrund.

45 Verletzte sind von Hilfsorganisationen in El Alto registriert worden, es wird jedoch von bis zu 100 Verletzten ausgegangen. „Von den Registrierten haben alle Schussverletzungen“, erklärt Danuta Orea, die sich mit um die Verletzten kümmert. „In vielen Krankenhäusern der Stadt wurden die Verletzten wie Terroristen behandelt. In der Holländischen Klinik ist keiner der Verletzten in den normalen Krankenzimmern untergebracht worden, sondern alle wurden im Hof abgestellt.“

Die De-facto-Regierung setzt die Stimmen, die eine unabhängige Untersuchung fordern, unter Druck. Als der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte die Ereignisse untersuchen wollte, wurde von Anhänger*innen der Regierung der Eingang zum dessen Tagungsort blockiert, Zeug*innen sollten an der Aussage gehindert werden. Lokale Menschenrechtsorganisationen wie die permanente Versammlung der Menschenrechte Boliviens oder Aktivist*innen wie die Ombudsfrau für Menschenrechte Nadja Cruz erhalten ebenfalls Drohungen. Als eine Delegation aus Argentinien unter der Leitung von Juan Grabois Ende November das Land besuchte, warnte Innenminister Arturo Murillo, man werde es nicht zulassen, dass „Ausländer aufrührerisch im Land tätig werden“ und man werde die Delegation „sehr genau beobachten“.

Dass die Regierung mehr Interesse an Verschleierung denn an Aufklärung hat, zeigt auch das Angebot, dass sie den Familien der Toten gemacht hat. Jede Familie soll rund 6.500 Euro Entschädigung erhalten, wenn sie darauf verzichtet, den Fall vor ein internationales Gericht zu bringen. Dies soll im Rahmen der „Befriedung des Landes“ geschehen. Im Rahmen der Befriedung wurde auch das Militär in die Kasernen zurückgeschickt und auch ein Dekret, das für die Soldaten*innen Straffreiheit vorsah, wieder zurückgenommen. Eine Maßnahme, die auf internationalen Druck zustande kam und der Tatsache, dass während der zehntägigen Blockade in El Alto der Regierungssitz bereits mit Engpässen bei Lebensmitteln und Benzin zu kämpfen hatte.

Kritische Stimmen in der Presse werden bedroht und angefeindet

Die De-facto-Regierung fährt eine Doppelstrategie: Während sie aufgrund des Drucks teilweise auf die Gegner*innen zugeht, versucht sie auf der anderen Seite, so weit es geht, Fakten zu schaffen und lässt viele politische Gegner*innen verfolgen. Neben mindestens 34 Toten und 700 Verletzten sind unzählige Mitglieder der MAS, Mitglieder der Wahlbehörde und andere Funktionär*innen verhaftet worden. Auch in wirtschaftlichen Fragen werden Fakten geschaffen. So verabschiedete die Regionalregierung Ende November im Departamento Beni ein neues Agrargesetz, das in Zukunft fast die Hälfte der Fläche des Departamentos als Agrarfläche ausweist – die indigene Bevölkerung wurde dazu nicht konsultiert.

Kritische Stimmen in der Presse werden massiv bedroht und angefeindet. Der bekannte Karikaturist Al-Azar hat aufgrund von massiven Drohungen gegen seine Familie aufgehört, in der Tageszeitung La Razón zu veröffentlichen. Hinter den Drohungen stecken immer häufiger paramilitärisch organisierte Gruppen, die den zivilgesellschaftlichen Bürgerkomitees des Landes nahe stehen, wie die Resistencia Juvenil Cochala aus Cochabamba.
Teile der neuen Machthaber*innen und ihre Unterstützer*innen versuchen, zu verhindern, dass die MAS bei Neuwahlen antritt. Sie müssen befürchten, dass die Partei von Morales bei einem erneuten Urnengang als Siegerin hervorgeht. Der Politologe Fernando Mayorga sieht in der MAS die einzige Kraft, die im ganzen Land eine Basis hat, während die übrigen Akteur*innen, wie zum Beispiel der neoliberale Präsidentschaftskandidat Carlos Mesa, nur im Departamento La Paz eine wirkliche Basis hat.

Die Stimmen, die sich für den Entzug der Zulassung der MAS als politische Partei aussprechen, sehen sich durch den Abschlussbericht der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) bestätigt und sprechen von einem „gigantischen Wahlbetrug“. Von „Wahlbetrug“ berichtet das Abschlussdokument zwar nicht, weist jedoch auf schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen im Oktober hin. So gab es eine nicht vorhergesehene Änderung bei der elektronischen Erfassung der Stimmen, bei dem ein Server zugeschaltet wurde, der vorher nicht im System vorgesehen war. Das wertet die OAS als „vorsätzliche Manipulation“. Auch bei den Stichproben der Niederschriften der Wahlergebnisse in den einzelnen Wahllokalen gibt es bei etwa fünf Prozent der Niederschriften Unregelmäßigkeiten. Zudem stellt der Abschlussbericht fest, dass eine Überprüfung des Wahlergebnisses unmöglich ist, da ein Teil der Wahlunterlagen von Gegner*innen der MAS verbrannt wurden. Im Zuge der Unruhen nach den Wahlen gingen in den Departamentos Potosí und Chuquisaca 100 Prozent der Wahlunterlagen, in Santa Cruz immerhin 75 Prozent verloren. Am Montag nach der Wahl steckten Gegner*innen von Morales die lokalen Wahlbehörden in mehreren Departamentos in Brand.
Unter den Bürgerkomitees nehmen die Spannungen inzwischen zu. Luis Fernando Camacho, bisher Vorsitzender des Bürgerkomitees in Santa Cruz, hat sich im Alleingang zum Präsidentschaftskandidaten erklärt und damit Marco Pumari, den Vorsitzenden des Komitees in Potosí, vor den Kopf gestoßen. Eigentlich wollten beide als Duo gemeinsam kandidieren. Neben Camacho haben auch Ex-Präsident Carlos Mesa, der am 20. Oktober gegen Evo Morales angetreten war, und der evangelikale Prediger Chi Hyun Chung bereits ihren Hut in den Ring geworfen. Die MAS will voraussichtlich noch dieses Jahr klären, mit welchen Kandidat*innen sie bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr antreten wird, die voraussichtlich im März stattfinden sollen. Festgelegt hat sich die MAS schon auf ihren Wahlkampfleiter: Evo Morales.

EVO MORALES IM ABWÄRTSTREND

Konfrontation Protest in La Paz im Oktober (Foto: Paulo Fabre via wikimedia, CC BY-SA 4.0)

„Ich habe dreimal Evo Morales gewählt“, erklärte mir eine Bekannte kurz nach der Wahl in einem mondänen Café im reichen Süden von La Paz und seufzte, „dieses Mal ging es wirklich nicht mehr, aber Carlos Mesa konnte man eigentlich auch nicht wählen.“ Das Statement bringt das ganze Dilemma derjenigen zum Ausdruck, die in der Präsidentschaftswahl gerne Kandidat*innen gesehen hätten, die sich mit Vorschlägen, wie sie das Land gestalten wollten, einbringen. Stattdessen wurde seit Anfang des Jahres in Bolivien vor allem darüber gestritten, wer ein legitimer Kandidat für die Wahlen sei.
Evo Morales lastet ganz klar der Makel an, dass er in einem Referendum 2016 kein Mandat für eine weitere Wiederwahl erhalten hatte. Eine knappe Mehrheit stimmte damals gegen eine Verfassungsänderung. Damit blieb die Amtszeit eines Präsidenten oder einer Präsidentin auf zwei direkt aufeinanderfolgende Wahlperioden beschränkt. Das Verfassungsgericht hebelte diese Regelung Ende 2018 für Evo Morales aus und ebnete so den Weg zur erneuten Kandidatur.
Das umstrittene Wahlergebnis liegt im Rahmen des Erwartbaren. Evo Morales verlor massiv an Stimmen, blieb dennoch mit Abstand Wahlsieger, der zweitplatzierte rechtskonservative Carlos Mesa schnitt etwas stärker ab als erwartet. Auf dem dritten Platz landete als Überraschungskandidat Chi Hyun Chung, der durch sein strikt konservatives, antifeministisches und homophobes Familienbild den Kandidat der Cruzeños, (der Tieflandbewohner*innen um Santa Cruz) Oscar Ortíz, auf den vierten Platz verwies.
Da es bei der Auszählung der Stimmen am Wahlabend des 20. Oktober zu Unstimmigkeiten kam – zunächst lag Carlos Mesa nur sieben Punkte hinter Evo Morales, am nächsten Tag waren es mehr als zehn Prozentpunkte – akzeptierte die Opposition das Ergebnis nicht. Bereits vor den Wahlen hatte die Opposition eine reguläre Durchführung der Wahlen angezweifelt und verkündet, es würde ein Wahlbetrug organisiert. Am Montag nach den Wahlen kam es im Süden des Landes, in Potosí, Sucre und Tarija zu heftigen Ausschreitungen. Es wurden Straßenbarrikaden errichtet und Büros der Wahlbehörde in Brand gesetzt.

In Santa Cruz rief die Opposition zu einer unbefristeten Blockade auf


In Santa Cruz rief die Opposition zu einer unbefristeten Blockade auf. Seitdem ist die Wirtschaftsmetropole des Landes paralysiert. Auch im Süden des Landes gibt es Blockaden und Proteste. In anderen Regionen, wie dem Regierungssitz La Paz, gibt es zwar Proteste, diese haben bisher jedoch nicht die gleiche Kraft entfaltet. Hier kommt es bisher nur teilweise zu Störungen des öffentlichen Lebens, vor allem wegen Demonstrationen nahe des Regierungspalastes. In El Alto, der zweitgrößten Stadt, die indigen geprägt ist, verläuft das Leben weitgehend normal. Im Panorama der Proteste spiegelt sich die Spaltung des Landes wider, die sich bereits in den Wahlergebnissen zeigten.
„Man kann den Verschleiß von Evo Morales und seine Entfernung von der Bevölkerung nicht mehr leugnen“, meint der Journalist Julio Prado und ergänzt: „Er kam an die Macht, weil er einmal Teil der einfachen Leute war. Aber in den vergangenen fünf Jahren hat er keinen Kontakt mehr zu den Leuten.“ In der Tat haben sich Regierung und Präsident in der vergangenen Regierungsperiode weiter von einer Regierung mit Beteiligung der sozialen und indigenen Bewegungen entfernt und immer mehr mit traditionellen Methoden des Machterhalts regiert. Es handelt sich hier um eine Rückkehr der paternalistischen Republik, in der klientelistische Strukturen und Loyalitätsverhältnisse eine wichtigere Rolle spielen als themenorientierte Politik. Unter diesen Bedingungen ist eine Polarisierung entstanden, die, so der Wirtschaftswissenschaftler Huáscar Salazar, „die Kämpfe wie den Widerstand gegen den Extraktivismus tendenziell unsichtbar macht.“
Das Regierungshandeln basiert schon seit längerer Zeit auf der Vertiefung eines extraktivistischen Wirtschaftsmodells auf der Basis der Ausbeutung von Rohstoffen. Forderungen wie die Autonomie indigener Gebiete, der Schutz von Mutter Erde, einer alternativen wirtschaftlichen Entwicklung oder der Bildungsreform, wurden weitgehend ins Reich der Sonntagsreden verwiesen. Für Gabriel Villalba, ein junger Anwalt aus La Paz und MAS-Anhänger, ist diese Politik notwendig: „Es ist blauäugig, zu glauben, dass ein alternatives Wirtschaftsmodell ohne eine wirtschaftliche Entwicklung möglich ist. Zuerst müssen wir die Wirtschaft mit der Ausbeutung der Ressourcen entwickeln, und dann können wir über Alternativen nachdenken. Wir haben in den vergangenen Jahren große Erfolge erzielt.“

Experten*innen der OAS zählen die Stimmen aufgrund der Wahlbetrugsvorwürfe erneut aus


Die MAS, Partei von Evo Morales, setzte im Wahlkampf von Anfang an darauf, dass die gute Wirtschaftslage ausreichen würde, um die Wähler*innen zu überzeugen, dass es gut sei, weitere fünf Jahre mit der MAS zu leben.
Seit Anfang November ist klar: Es ist alles andere als sicher, ob Morales auch die nächsten fünf Jahre an der Macht bleibt. Im Moment zählen Expert*innen der OAS die Stimmen aufgrund der Wahlbetrugsvorwürfe erneut aus. Das Ergebnis wird in den kommenden Tagen erwartet. Die Opposition hat jedoch bereits angekündigt, dass sie das Ergebnis nur dann anerkennt, wenn die OAS einen Wahlbetrug feststellt und die Wahl annulliert. Zudem werden seit einigen Tagen die Stimmen immer lauter, die einen sofortigen Rücktritt von Evo Morales fordern. Das zeigt, dass in der Opposition immer mehr radikale Kräfte die Oberhand gewinnen. Inzwischen hat Fernando Camacho, Vorsitzender des Bürgerkomitees von Santa Cruz, den Präsidentschaftskandidaten Carlos Mesa als Oppositionsführer in der öffentlichen Erscheinung abgelöst. Der frühere Vorsitzende der Jugendvereinigung Santa Cruz (Unión Juvenil Cruceñista), einer paramilitärisch organisierten ultrarechten Gruppe, die zu Beginn der Regierung von Morales mit rassistischen Aktionen gegen Indigene auf sich aufmerksam machte, redet bei den Versammlungen gerne mit der Bibel in der Hand. Er hat inzwischen offen zum Sturz der Regierung aufgerufen und gebärdet sich in Anlehnung an Venezuelas Oppositionsführer als bolivianischer Guaidó. Im Gegensatz zu Mesa kann Camacho jedoch noch weniger im Hochland punkten, damit hat sich die Spaltung auch regional verfestigt.
Die MAS schart derweil ihre Anhänger*innen um sich. Das sind vor allem die sozialen Organisationen, die seit Jahren im Bündnis mit der Regierung stehen, wie die Frauenorganisation Bartolina Sisa, die nationale Koordination für den Wandel (CONALCAM) oder den Gewerkschaftsverband COB. Das Problem dabei: Die Politik der vergangenen Jahre und die Strategie der Spaltung hat die Loyalitätsverhältnisse innerhalb der Gewerkschaft zur MAS ausgehöhlt. Ein Resultat ist, dass der Gewerkschaftsverband COB in seiner Position gespalten ist. Während die nationale Führung hinter Morales steht, haben sich einige regionale Verbände der Opposition angeschlossen. Auch innerhalb der indigenen Bevölkerung genießt die Regierung lange nicht mehr den Rückhalt.
Die Opposition hat ein größeres Interesse an einer Verschärfung des Konflikts auf der Straße, denn nur so kann sie den Druck auf Morales aufrecht erhalten. Immer wieder kommt es zu heftigen Zusammenstößen zwischen Regierungsanhänger*innen und Oppositionellen. Am 6. November starb in Cochabamba ein Demonstrant, der dritte Tote im bisherigen Konflikt. In diesen Tagen ist der ultrarechte Fernando Camacho erneut nach La Paz gereist. Dort hat er mit den oppositionellen Cocaleros (Bewegung der Cocabäuerinnen und -bauern) eine Verbrüderung inszeniert.

Die Opposition hat ein Interesse an einer Verschärfung des Konflikts auf der Straße


Es scheint so, als ob er schnell eine Entscheidung sucht und den Druck jetzt am Regierungssitz konzentrieren will. „Bis 11. November wird Evo Morales zurücktreten“, hat er angekündigt und ergänzt, „ich bleibe in La Paz, bis die Regierung abgedankt hat.“ Ob die Strategie der Spannung aufgeht, ist jedoch ungewiss. Bisher sind die Truppen, die er in La Paz aufbieten kann, begrenzt. Die Studierenden der Universität UMSA in La Paz haben wenig Kampferfahrung und die Organisation der Kokabäuerinnen und -bauern, ADEPCOCA, mit der er sich verbündet hat, ist durch interne Auseinandersetzungen geschwächt. Die Mittel- und Oberschicht aus den Stadtvierteln Zona Sur und Sopocachi organisieren Blockaden, die aber oft nur von neun bis fünf und mit Mittagspause stattfinden.

Die verschiedenen Fraktionen der Opposition sind sich nur in der Ablehnung von Evo Morales einig

Zudem gibt es einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung, die zwar Morales nicht mehr wollen, Camacho aber noch weniger. Viele wollen Camacho nicht folgen, vor allem in La Paz nicht und im indigenen El Alto noch weniger. Die Radikalisierung der Opposition zeigt ihre Schwäche. Denn die verschiedenen Fraktionen einigen sich in der Ablehnung von Evo Morales, ansonsten sind sie aber zersplittert.
Allmählich beginnt sich die Position stärker zu artikulieren, die sich auf keine der beiden Seiten stellt. Maria Galindo, bekannte Feministin in Bolivien, machte bereits vor der Wahl deutlich, dass sie keinen der „Streithähne“ für wählbar hält. Dafür wurde sie von den Evo-Gegner*innen heftig ausgebuht. Fernando Camacho hält sie für einen Faschisten, der weder Frauen, noch die Rechte der Indigenen respektiert. Es sind vor allem Frauen, die in den vergangenen Wochen Versammlungen im ganzen Land organisierten, um alternative Positionen zu bestimmen. Shezenia Hannover, Aktivistin aus El Alto: „In der jetzigen Situation ist es wichtig, die Zivilgesellschaft zu stärken, damit wir die soziale Kontrolle zurück gewinnen und bestimmen können, wer regiert.“ Im Moment scheint es jedoch unmöglich, mit einer themenorientierten Position durchzudringen. Der Journalist Julio Prado sieht hier erst eine Möglichkeit in ein bis zwei Jahren: „Sollte Morales im Amt bleiben, dann bestünde die Möglichkeit, dass sich die Gesellschaft reorganisiert und in zwei Jahren ein Abwahlverfahren organisiert, das wäre laut Verfassung möglich.“

 

WIRTSCHAFT GUT, EVO GUT

„Bolivien sagt Nein“ Slogan des Außenseiterkandidaten Oscar Ortíz (Foto: Paula Fischer)

Die ausgedehnten Waldbrände überschatten Evo Morales’ jüngste Erfolge: Händeschütteln auf der Expocruz, der größten Messe Boliviens, Blitzlichtgewitter, zufriedene Gesichter. Boliviens Präsident verkündete im Juli, dass man mit China übereingekommen sei, Rindfleisch dorthin zu exportieren. Óscar Ciro Pereyra, Präsident der bolivianischen Viehzuchtvereinigung Congabol, zeigte sich hoch erfreut über den Deal. Zur gleichen Zeit unterzeichnete der Präsident ein Dekret, das in den Departamentos Santa Cruz de la Sierra und Beni „kontrollierte Feuer“ im Rahmen des Modells der nachhaltigen Bewirtschaftung des Waldes zuließ, um die landwirtschaftlichen Flächen des Landes zu erweitern. Was dann geschah, waren keine kontrollierten Feuer, sondern ein Flächenbrand in den Trockenwäldern der Chiquitanía im Osten des Landes, der eine Fläche etwa der Größe Brandenburgs vernichtet hat. Jeder Hektar mehr kostet Morales Stimmen. Wirtschaftsexpert*innen warnen schon, dass das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts sich durch die Feuer von den vorhergesagten vier Prozent in diesem Jahr auf zwei Prozent halbieren könne.
Der Journalist Tuffi Aré aus Santa Cruz vergleicht den Wahlkampf in Bolivien mit einem Fußballspiel: „Bis zu den Waldbränden schien die MAS mit 4:2 in Führung zu liegen.“ Man versuchte das Spiel zu kontrollieren, gab sich staatstragend und hielt sich in den Auseinandersetzungen weitgehend zurück. „Jetzt könnte die Situation kippen“, denn wie überall auf der Welt macht sich auch die junge und städtische bolivianische Bevölkerung, die gut ein Drittel der Stimmen und die unentschlossenste Gruppe von Wähler*innen ausmacht, zunehmend Sorgen ums Klima.
Bringen die Feuer in der Chiquitanía den Vorsprung von Evo Morales ins Wanken? Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat die Umfragen der vergangenen fünf Jahre untersucht und kommt zum Ergebnis, dass Morales seit dem Jahr des Referendums 2016 einen Aufwärtstrend verzeichnen konnte. Im November 2016 war die Zustimmung mit 27 Prozent am niedrigsten, als der Staatschef an einer erneuten Wiederwahl festhielt, obwohl er die Abstimmung um die Verfassungsänderung verloren hatte. Seitdem ging es jedoch bergauf. Im ersten Halbjahr erreichten die Zustimmungswerte ein gutes Drittel. Der größte Widersacher von Evo Morales, Carlos Mesa, kam nach der Zusammenfassung der Umfragen lediglich im November 2018 an den Staatschef heran, als er seine Kandidatur verkündete. Seitdem verliert er an Zustimmung und liegt nun bei Zustimmungswerten von 25 bis 27 Prozent. Ein Grund dafür ist die zunehmende regionale Stärke eines weiteren Kandidaten, Oscar Ortíz von der Wähler*innenvereinigung Bolivia Dice No („Bolivien sagt Nein“), die vor allem in den Tiefland-Departamentos hohe Zustimmungswerte erreicht und landesweit auf rund zehn Prozent kommt.
Inwiefern die jeweiligen Einzelumfragen und ihre Zusammenfassung aber ein genaues Bild zeichnen, ist fraglich. Zum einen gibt es die bereits erwähnten städtischen Jungwähler*innen, die weniger an traditionelle politische Lager gebunden sind und sich in den Umfragen unentschlossen zeigen. Zum anderen gibt es die ländlichen Wähler*innen aus den sogenannten zerstreuten Regionen, die von keiner Umfrage erfasst werden. Die im Andenhochland oder im amazonischen Urwald lebende Bevölkerung hat ein anderes Wahlverhalten als die städtischen oder stadtnah lebenden Wähler*innen und macht etwa ein Fünftel der Wähler*innen aus.
Meist liegen diese abgelegenen Regionen geografisch gar nicht sehr abgeschieden. Nicht weit vom Regierungssitz La Paz entfernt, wo die Anden zerklüftet und schwer zugänglich ins Tiefland abbrechen, befinden sich kleine Bergwerkstollen. In den provisorischen Minen wird von kleinen Kooperativen oft Gold geschürft, häufig unter unsicheren Bedingungen und selten unter Einhaltung von Umweltstandards. Die mineros (Bergleute) hatten vor drei Jahren einen heftigen Konflikt mit der Zentralregierung. Mehrere Bergleute wurden von der Polizei getötet, außerdem kam der Staatssekretär Rodolfo Illanes ums Leben, als er in die Hände der protestierenden Bergleute geriet. Es ging damals um die Kontrolle des Bergbaus. Den Konflikt gewann die Bewegung zum Sozialismus (MAS) von Evo Morales, die nach dem Tod des Staatssekretärs mit harter Hand gegen die Kooperativen durchgriff. Bis heute wirkt der Konflikt nach: „Die mineros werden dennoch Evo Morales wählen“, davon ist Veronika Cardenas* überzeugt. Die junge Umweltingenieurin macht Fortbildungen mit den Kooperativen und bereist die abgelegenen Orte des Departamentos La Paz. Ihrer Meinung nach hat die MAS es geschafft, die Führungskräfte der Kooperativen auf ihre Seite zu ziehen. „In letzter Zeit sieht man öfter modernes Gerät in den Bergwerken, das kommt von der MAS“, meint sie, „die Chefs der Kooperativen sind gekauft und die werden dafür sorgen, dass die Mehrheit der Bergleute die Regierung wählen“.
Immer wieder kursieren Gerüchte, dass die MAS Gruppen von Wähler*innen gezielt in solchen Regionen platziert, um den Wahlsieg zu sichern. Grundsätzlich kann sich jede Wählerin und jeder Wähler in Bolivien registrieren lassen, wo er oder sie möchte, der Wohnort verpflichtet nicht zu dortigen Registrierung.
Ob alle abgelegenen Regionen automatisch mehrheitlich die MAS wählen, ist indes nicht ausgemacht.

„Die mineros werden dennoch Evo Morales wählen“

Grundsätzlich ist das Land gespalten. Im Tiefland haben sich Indigene auf den Weg gemacht, um gegen die Feuer im östlichen Tiefland und das Krisenmanagement der Regierung zu protestieren. Auch in den Städten herrscht ein gewisser Unmut über die Zentralregierung. Von daher könnte Tuffi Aré recht damit behalten, die verheerenden Feuer könnten den Präsidenten entscheidende Stimmen kosten, die zumindest zu einer Stichwahl führen könnten. Hunderttausende gingen wegen der Feuer am 4. Oktober in Santa Cruz auf die Straßen und forderten, Morales bei der Wahl abzustrafen. An dem Protestzug nahmen auch indigene Gruppen aus dem Amazonasgebiet teil. Um in der ersten Runde zu gewinnen, müssen mindestens 40 Prozent der Stimmen und ein Vorsprung von zehn Punkten gegenüber dem Zweit­pla­zier­ten erreicht werden._Auf der anderen Seite gibt es auf dem Land Menschen, die die Brandrodungen durchführen und im Prinzip für die Feuer verantwortlich sind. Diese wollen das Vorhaben der Regierung umsetzen, die landwirtschaftlichen Flächen in Bolivien zu erweitern. Und so vom in Aussicht stehenden Geschäft mit China profitieren.
„Natürlich hat unsere Regierungspolitik eine extraktivistische Komponente“ meint Gabriel Villalba, Anwalt und Aktivist der MAS, „alles andere wäre blauäugig.“ Die Ausbeutung der Ressourcen sei notwendig, um das Land zu entwickeln, „erst in einer zweiten Stufe können wir darüber nachdenken, eine andere Wirtschaftsform zu entwickeln.“ Damit meint er die Idee einer gemeinschaftlichen Ökonomie, die im Regierungsprogramm der MAS steht, von der die Partei aber seit geraumer Zeit abgerückt ist. Priorität haben momentan der Bergbau, die Industrialisierung des Batterie-Grundstoffs Lithium und der Ausbau der Landwirtschaft. So hatte es der Vizepräsident Álvaro García Linera vor zwei Jahren in der Zeitung La Razón verkündet. Das Projekt der Industrialisierung Boliviens hat Evo Morales Stellvertreter erst bei einer Rede am 6. August beim Nationalfeiertag betont. Dabei erklärte er auch, dass Bolivien seiner Meinung nach mehr für den Klimaschutz tue als andere Länder, „Bolivien hat laut Weltbank 5.465 Bäume pro Einwohner, Deutschland hat 107 Bäume“. Auch beim CO2-Ausstoß liege Bolivien mit 1,9 Tonnen pro Kopf weit hinter Deutschland, wo pro Einwohner*in immerhin neun Tonnen CO2 verbraucht würden.
Während die MAS versucht, das Thema der größten Waldbrände seit Jahren in der Öffentlichkeit so klein wie möglich zu halten und hofft, dass der Spuk vor den Wahlen vorbei ist, versuchen die beiden Herausforderer Morales’, Carlos Mesa und Oscar Ortíz, naturgemäß politisches Kapital daraus zu schlagen. Beide warfen der Regierung Unfähigkeit in Sachen Brandbekämpfung vor. In der Tat hat die Regierung das Ausmaß der Feuer unterschätzt. Allerdings wissen auch Morales’ Herausforderer, dass zu einer wirtschaftlichen Entwicklung auch eine Ausweitung der landwirtschaftlichen Produktion gehört. Denn trotz der immensen Flächen, die das Land hat, importiert Bolivien noch immer Nahrungsmittel.
Im Wahlkampf bekämpfen sich Oscar Ortíz und Carlos Mesa fast schärfer untereinander, als dass sie Morales angehen. Sie haben es bisher versäumt, eine klare Abgrenzung zur Regierungspolitik im Themenfeld Wirtschaft zu finden. Carlos Mesa versucht mit Korruptionsbekämpfung zu punkten. Oscar Ortíz hat den Hauptpunkt seines Wahlprogramms im Namen seiner Wähler*innenvereinigung Bolivia Dice No zur Wiederwahl von Evo Morales. Dies bezieht sich auf das Referendum von 2016, bei dem eine knappe Mehrheit der Bolivianer*innen gegen eine mögliche Aufstellung von Evo Morales zur Wiederwahl gestimmt hatte. Entgegen dieser Entscheidung hatte das Verfassungsgericht 2017 allerdings seine erneute Kandidatur als Präsident erlaubt. Am 20. September verkündete der Ex-Sprecher der Bürger*innenplattform (Comunidad Ciudadana) von Carlos Mesa, Diego Ayo, in der Presse, Ortíz habe ihm viel Geld angeboten, um einen Krieg gegen Carlos Mesa anzuzetteln.
Die Uneinigkeit der Opposition erhöht die Chancen, dass Evo Morales die Wahl vielleicht schon in der ersten Runde gewinnt. Denn dazu kommt, dass im Land keine Wechselstimmung herrscht und über 50 Prozent glauben, dass der alte Staatslenker auch der neue sein wird. Allerdings mit einem knappen Ergebnis und eventuell einem Parlament, dass von der Opposition beherrscht wird. Denn neben dem Präsidentenamt werden auch die 36 Sitze des Senats und die 130 Mandate im Abgeordnetenhaus neu vergeben.

 

AUS ALT MACH NEU


Wer hier einzieht, was schon hier Regierungspalast Palacio Quemada in La Paz // Foto: Rodrigo Achá / Flickr (CC BY 2.0)

Bisher läuft der Präsidentschaftswahlkampf in Bolivien weitestgehend ohne inhaltliche Auseinandersetzungen ab. Die Opposition nörgelt am Umstand herum, dass sich Evo Morales trotz Ablehnung beim Referendum illegitim wiederwählen lassen will und die Regierung bezichtigt die Opposition, „Kandidaten der Vergangenheit zu sein“. Debatten darüber, wohin man das Andenland steuern will, haben bis jetzt nicht stattgefunden. Anfang Juli will zumindest die „Bewegung zum Sozialismus – das politische Instrument zur Souveränität der Völker“ (MAS-IPSP) in Cochabamba ein Wahlprogramm beschließen.
Eigentlich gibt es genügend Themen, über die Opposition und Regierung inhaltlich streiten könnten. Ein Thema sind die zahlreichen Konflikte der Zentralregierung mit lokalen sozialen Bewegungen. So blockieren seit Ende Juni die Coca-Bauern aus der Yungas-Region die Routen, die vom Regierungssitz La Paz Richtung Norden führen. Zwischen den Coca-Produzent*innen und der Regierung aus den Bergnebelwäldern der Yungas schwelt seit langem ein Konflikt.

Die MAS ist längst keine Regierung der sozialen Bewegungen mehr


Es geht um die Balance zwischen den beiden Coca-Hauptanbauregionen. Auf der einen Seite das traditionelle Anbaugebiet der Yungas und auf der anderen Seite die Provinz Chapare, wo Evo Morales immer noch – im Nebenposten sozusagen – Chef der örtlichen Coca-Bauernvereinigung ist. Vor zwei Jahren wurden die legalen Produktionsmengen gesetzlich neu festgelegt. Die Coca-Produzent*innen aus den im Departamento La Paz gelegenen Yungas sehen sich benachteiligt, weil sie ihrer Meinung nach schlechter wegkommen, als ihre Kolleg*innen im Chapare, das zum Departamento Cochabamba gehört. Sechs Menschenleben hat der Konflikt bisher gekostet, und der Anführer der Vereinigung der Coca-Produzent*innen aus den Yungas sitzt seit einem Jahr in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, am Tod eines Polizisten beteiligt gewesen zu sein. Der Konflikt in den Nebelwäldern nördlich des Regierungssitzes ist nur einer von vielen regionalen Konflikten, die zwischen den sozialen Bewegungen und der MAS-IPSP besteht. Interessenskonflikte zwischen Bevölkerungsgruppen und der MAS-geführten Zentralregierung treten immer häufiger auf. Dabei ist längst deutlich geworden, dass die MAS keine Regierung der sozialen Bewegungen mehr ist. Vielmehr besteht die Strategie zunehmend darin, diese zu zersplittern und zu schwächen.
Auf der anderen Seite haben die Kandidat*innen der Opposition auch keine Basis bei dem abtrünnigen Teil der sozialen Bewegungen, die vor knapp fünfzehn Jahren der MAS zur Macht verholfen hatten. Carlos Mesa, Präsidentschaftskandidat der Bürgergemeinschaft (Comunidad Ciudadana) und aussichtsreichster Gegenspieler von Evo Morales, konnte auf Twitter lediglich konstatieren, dass die MAS die sozialen Bewegungen spalten möchte.
Carlos Mesa repräsentiert die weiße Mittel- und Oberschicht des Landes. Unter Gonzalo Sánchez de Lozada war er von 2002 bis 2003 Vizepräsident und nach dem Krieg ums Erdgas 2003 und der Flucht von Sánchez de Lozada war er Interimspräsident bis zum Machtantritt von Evo Morales im Januar 2006 (siehe LN 473). Seine Beziehungen zu den sozialen Bewegungen, die mit der MAS-Regierung im Clinch liegen, gestalten sich wegen der Vorgeschichte schwierig und das ist sicherlich eine der Herausforderungen seiner Kandidatur.
Im Februar kündigte Mesa an, sein Wahlprogramm „im Dialog mit den Wähler*innen“ zu erarbeiten. Dadurch versuchte er zu Beginn sein programmatisches Defizit zu kaschieren. Vergangenes Jahr wollte er noch die von der MAS eingeführten Sozialleistungen, wie das Schulgeld oder die Rente der Würde, abschaffen. Für die Idee erntete er viel Kritik und inzwischen ist er davon wieder abgerückt.
Jetzt, so scheint es, nimmt sein Wahlprogramm jedoch Konturen an. Ob dies als Resultat des Bürger*innendialogs zu bewerten oder den tagespolitischen Konjunkturen geschuldet ist, bleibt allerdings unklar. Er hat angekündigt, die Korruption in der Polizei bekämpfen zu wollen, die jüngst durch einen Drogenskandal erschüttert wurde. Auf einem Video war zu sehen, wie ranghohe Polizeioffiziere mit einem der gesuchtesten Drogenbosse eine Party feierten. Immer öfter wird über Verbindungen der Drogenmafia in den Staatsapparat spekuliert. Bolivien gilt als ein zunehmend wichtiger Drogenumschlagplatz, auch die Menge des produzierten Kokas soll wieder zugenommen und das Niveau von 2005 erreicht haben. Doch der Ausgang der Präsidentschafts­wahlen wird weder an der Korruption noch an der Tatsache, dass ein Teil der Coca-Ernte auf dem Schwarzmarkt „verschwindet“, etwas ändern können. Bis zu einem Drittel schätzen Expert*innen den Anteil der Drogenökonomie an der Volkswirtschaft.
Zur Wirtschaftspolitik hat Mesa ebenfalls erste Aussagen gemacht und angekündigt, dass er die Wirtschaft stärker öffnen möchte. Genau das betreibt die Regierung um Evo Morales bereits seit einigen Jahren. Der Plan der Regierung sieht vor, das Lithium zu industrialisieren, den Export von Landwirtschaftsprodukten voranzutreiben und die Infrastruktur sowie den Zugang zu den Märkten zu verbessern. Im Juni tagten die Regierungen von Peru und Bolivien, um den Ausbau des Hafens im peruanischen Ilo voranzutreiben. Gleichzeitig gibt es Verhandlungen mit Paraguay, über die Wasserstraße Paraná einen Zugang für den Export bolivianischer Waren über den Atlantik zu bekommen. Im Hintergrund steht der Wunsch Boliviens, einen Schienenverkehrsweg zwischen Pazifik und Atlantik zu bauen. Diese liberale Wirtschaftspolitik kommt bei den Märkten gut an und hatte in der jüngsten Vergangenheit zu einer zehnjährigen Boomphase geführt.
Carlos Mesa erkennt diese Erfolge an. Seiner Meinung nach gibt es allerdings Defizite bei der Investitionssicherheit und dem Bürokratieabbau. Dabei sind ausländische Investitionen in der Regierungszeit von Morales gestiegen. Zuletzt hat sich Deutschland mit einer Investition von 1,2 Milliarden US-Dollar an der Entwicklung der Lithiumindustrie beteiligt und auch China will in die Kommerzialisierung des bolivianischen Lithiums investieren.
Die wirtschaftliche Prosperität Boliviens ist ein Problem für die Opposition. In einer jüngst von der Tageszeitung La Razón veröffentlichten Umfrage unter dem Titel „Das Gute und das Schlechte von Evo“ gab ein Großteil der Bolivianer*innen an, dass sie das wirtschaftliche Wachstum und die Verbesserung der Infrastruktur dem Präsidenten zugute halten. Als wichtigster Negativpunkt sehen die Wähler*innen sein Bestehen auf einer erneuten Wiederwahl, mit dem Morales das Referendum von 2016 ignoriert. Damals hatte die Mehrheit sich gegen eine Wiederwahl aus gesprochen.

Evo Sí Überall finden sich Aufrufe zur Wiederwahl // Foto: Thomas Guthmann

Bis dato ist der Wahlkampf daher von dem Thema Wiederwahl geprägt. Die Opposition stellt in ihren Äußerungen vor allem die Illegitimität der erneuten Kandidatur von Evo Morales in den Vordergrund. Seit dem Referendum von 2016 versuchen Bürgerkomitees im ganzen Land, eine Volksbewegung gegen die Wiederwahl zu organisieren. Bisher ohne großen Erfolg. Denn trotz des weit verbreiteten Unbehagens innerhalb der Bevölkerung über die Form mit der sich die Regierung Evo Morales über Volkes Willen hinwegsetzte, ist eine breite Front der Ablehnung bisher nicht zustande gekommen. Das liegt auch daran, dass die sozialen und indigenen Bewegungen zwar in ihrer Mehrheit der Regierung kritisch gegenüber stehen, allerdings bisher einzeln die Auseinandersetzung suchen, wie der Konflikt mit den Coca-Bauern in den Yungas verdeutlicht.
Die bürgerliche Opposition hat es zudem bisher nicht vermocht, sich auf einen Kandidaten zu einigen. Carlos Mesa ist bisher der einzige Kandidat, dem die Umfragen zutrauen, an Evo Morales heranzukommen. Allerdings gibt es bisher insgesamt sieben Kandidaten und eine Kandidatin. Im Mai scheiterte ein Versuch der Opposition, sich auf einen Kandidaten zu einigen. Bei einem Treffen aller Oppositionskandidat*innen und den Bürgerkomitees konnten sich die Versammelten lediglich auf die Rücktrittsforderung des obersten Wahltribunals einigen. Zu Beginn hatte Carlos Mesa den Reportern zugerufen, dass seine Kandidatur die einzige sei, die gewinnen könne. Sehr zum Unmut der anderen Kandidat*innen. Schließlich warf Edwin Rodriguez, Vize von Präsidentschaftskandidat Oscar Ortíz Mesa vor, „er ist schuld, dass es keine Einheit in der Opposition gibt“.
So sehen die meisten Umfragen Evo Morales weit vor Carlos Mesa. Laut einer Umfrage der Tageszeitung Página siete glauben 52 Prozent der 800 Befragten in den neun Departamentshauptstädten und El Alto an einen Sieg von Evo Morales, nur 23 Prozent sehen Carlos Mesa vor ihm. Die Befragung der Tageszeitung La Razón, die in 17 Städten und 31 ländlichen Gemeinden durchgeführt wurde und damit auch den ländlichen Raum berücksichtigt, ergibt eine Zustimmung für Evo Morales von 49 Prozent gegenüber einer Ablehnung von 43 Prozent. Dabei hat Carlos Mesa insgesamt mehr Sympathien bei den jungen städtischen Wähler*innen, während Evo Morales eher die Zustimmung älterer Wähler*innen auf seiner Seite hat.
So kann es gut sein, dass der aktuelle Präsident auch der neue Regierungschef wird. Sollte die Opposition sich nicht einigen, ist sogar ein Sieg im ersten Wahlgang möglich. Ein Sieg für Morales ist möglich, wenn er 50 plus eine Stimme gewinnt oder sich mit zehn Prozent Vorsprung zum Zweiten platziert, dann benötigt er keine absolute Mehrheit. Dennoch trifft der Wahlrat bereits Vorkehrungen für eine zweite Runde im Dezember. Denn die Umfragen sind mit Vorsicht zu genießen. Es gibt viele Unbekannte und genaue Vorhersagen sind schwer zu treffen. Es gibt in Bolivien keine regelmäßigen Wahlumfragen, damit auch keinen statistischen Datenvorrat, der es erlauben würde, genauere Vorhersagen zu treffen.
Auch wenn die MAS die Präsidentschaftswahlen gewinnt, so wird sie wahrscheinlich die Mehrheit in den beiden Parlamentskammern, die sie in der aktuellen Legislaturperiode noch innehatte, verlieren. Damit wird ein Durchregieren der MAS wie bisher wohl nicht mehr möglich sein, womit sich in Bolivien in jedem Fall gesellschaftliche und politische Umbrüche ankündigen.

 

FÜR ODER GEGEN EVO MORALES

Hungerstreik am Avaroa-Platz: Martha Yujra mit ihren Mitstreitern (Foto: Thomas Guthmann)

In einer Ecke am Avaroa-Platz im Zentrum von La Paz steht ein Zelt, davor ein Banner mit der Aufschrift „Forum Meinungsfreiheit, für die Erneuerung der Demokratie!“, daneben sitzen einige Männer und Frauen, Gegner*innen von Evo Morales, in der Mittagssonne. Plötzlich kommt ein Dutzend Männer und Frauen, teilweise in Ponchos, Filzhüten und Polleras (langer Faltenrock), Erkennungszeichen der Aymaras, der größten indigenen Bevölkerungsgruppe in La Paz. Einige tragen Westen, auf denen „Fejuve El Alto“ steht, der Verband der Nachbarschaftsvereinigungen. Sofort steigt die Spannung. Einer aus der Gruppe will ein Plakat mit der Aufschrift „Bolivien hat Nein gesagt!“ von einem Baum reißen, eine Frau von der Zeltgruppe interveniert und schreit „Hände weg!“, die Polizei muss einschreiten. Als sich die Lage etwas beruhigt, bezichtigen beide Gruppen die andere Seite, provoziert zu haben. Eine kleine Szene an diesem sonnigen Morgen, die einen Vorgeschmack darauf geben kann, was dieses Wahljahr für Bolivien an politischen Auseinandersetzungen bringen kann. Befürworter*innen und Gegner*innen der Kandidatur von Evo Morales bringen sich in Stellung.

Im Dezember hatte der oberste Wahlausschuss endgültig die Kandidatur von Evo Morales Ayma und seinem Vize Alvaro García Linera zugelassen. Mit ihnen wurden acht weitere Gespanne, Präsident und Vizepräsident, für die Wahlen im Oktober akkreditiert. Seitdem kochen die Gegner*innen von Evo Morales vor Wut. Direkt nach der Entscheidung traten mehrere Mitglieder der oppositionellen Comites Cívicos in verschiedenen Teilen des Landes in befristete Hungerstreiks.

Ein paar Meter entfernt vom Wortgefecht, gibt es eine kleine Ansammlung von Zelten. Hier verweigert Martha Yujra vom Gewerkschaftsverband COR aus El Alto seit dem 14. Januar die Nahrungsaufnahme, „wenn es sein muss bis zum bitteren Ende“ meint die Gewerkschaftsaktivistin, denn sie möchte, dass die „Vaterlandsverkäufer und Verräter, die unsere Verfassung mit Füßen treten, verschwinden. Wir haben Goni rausgeschmissen und wir werden auch ihn rausschmeißen.“ Martha Yujra ist Gewerkschaftsführerin und hat sich trotzdem gegen Evo Morales gestellt. Während der gewerkschaftliche Dachverband COB sich im Streit um die Kandidatur von Evo Morales auf die Seite des Präsidenten gestellt hat, sprechen sich regionale Untergliederungen, wie die COR aus El Alto, gegen die Kandidatur von Evo Morales aus.

„Wir haben Goni rausgeschmissen und wir werden auch ihn rausschmeißen“

Befürworter*innen und die Gegner*innen des Präsidenten stehen sich unversöhnlich gegenüber. Dabei steht eigentlich außer Frage, dass die inzwischen vierte Kandidatur von Evo Morales nicht verfassungskonform ist. Die unter Federführung der MAS, der Bewegung zum Sozialismus, ausgearbeitete Verfassung sieht nur die Möglichkeit von zwei aufeinanderfolgenden Amtszeiten vor. Wird Morales, der Kandidat der MAS, im Herbst gewählt, wäre dies die vierte Amtszeit in Folge. Um das möglich zu machen, setzte die Regierung am 21. Februar 2016 eine Volksabstimmung an. Mit einem „Ja“ wäre die Verfassung geändert worden und die Wiederwahl möglich gewesen. Eine knappe Mehrheit von 51 Prozent der Bolivianer*innen stimmte jedoch gegen die Verfassungsänderung und damit auch gegen die Wiederwahl von Evo Morales. Dieser hatte vor der Abstimmung verlauten lassen, er würde „die Klappe halten und gehen“ und sich Volkes Wille beugen.

Dieses Versprechen warf er allerdings nach der Abstimmung über Bord. Bereits im Sommer 2016 ließen die Kokabäuerinnen und -bauern aus dem Chapare verlauten, dass sie das Ergebnis des Referendums nicht akzeptierten und brachten eine Unterschriftensammlung ins Spiel. Es sollten 20 Prozent der Wahlberechtigten unterschreiben, um erneut ein Referendum zur Verfassungsänderung anzusetzen. Dazu kam es aber nie. Vielmehr dachte die Regierungspartei MAS laut darüber nach, die Verfassung mit der Zweidrittelmehrheit, die sie momentan noch im Parlament hat, zu ändern. Als weiteres mögliches Szenario galt eine Zeit lang der Rücktritt von Evo Morales kurz vor Ende der Amtszeit, um sich schließlich als ‚neuer Kandidat‘, der kein amtierender Präsident ist, zu präsentieren. Schließlich war alles nicht nötig, weil am 28. November 2017 das Verfassungsgericht in einer weiteren Kandidatur von Morales keinen Verfassungsbruch sah. Das Gericht stellte fest, dass alle Kandidat*innen in Bolivien ein Recht auf unbegrenztes passives Wahlrecht hätten und erklärte den entsprechenden Verfassungsartikel 168 für nicht rechtmäßig. Die Opposition war entsetzt und sprach von einem Putsch.

Rafael Puente, in der ersten Regierung von Evo Morales noch Staatssekretär und 2008 für kurze Zeit Präfekt in Cochabamba, sieht den moralischen Verfall der Regierung in der politischen Kultur verankert. „In der Geschichte Boliviens“, so Puente, „war es immer so, dass sich andere Leute am Staat bereicherten, jetzt, so dachten 2006 viele an der Basis der MAS, sind wir dran. Das war gewissermaßen der genetische Defekt der Bewegung zum Sozialismus, die Funktionäre und die sozialen Bewegungen interpretierten den Staat nicht anders als das alte Establishment“. Zu Beginn seiner Amtszeit stellte sich Morales noch gegen diese Position, „Ich erinnere mich an eine Sitzung 2009, bei der Evo einem Kandidaten klar sagte: ‚Genossen, der Prozess des Cambios gehört allen‘“, meint Puente, „diese Meinung änderte Morales 2010, als die MAS die Wahlen mit 64 Prozent gewonnen hatte“. Seitdem beanspruchte auch er die Macht alleine für sich und seine Partei, alle wären regelrecht berauscht gewesen von der Macht, so der Jesuit.

Die einsetzende Klientelpolitik führte in den darauffolgenden Jahren dazu, dass auch Teile der Basis von Evo Morales auf Distanz gingen. Ein Knackpunkt, vielleicht der Wichtigste, war der Konflikt um den Bau einer Straße durch den Nationalpark TIPNIS. Hier zerbrach 2011 der Pacto de Unidad (Einheitspakt) zwischen den wichtigsten indigenen Dachverbänden, Campesino-Organisationen, Cocaleros und dem Frauenverband Bartolina Sisa. Der Einheitspakt war eine wichtige Säule des Projekts des Cambios. In der Folge erlitt die Regierung Morales ihre erste schwere Niederlage. Die Mobilisierungen der indigenen Bewohner*innen von TIPNIS führten dazu, dass die geplante Überlandstraße nicht gebaut wurde. Die Regierung erließ ein Gesetz zur Unantastbarkeit des TIPNIS. Vor allem relevante Teile der indigenen Verbände CIDOB und CONAMAQ stellten sich auf die Seite der Bewohner*innen des Nationalparks.

„Evo hat sich als Wolf im Schafspelz entpuppt“

Im Herbst 2018 wurde das Gesetz, das die Unantastbarkeit des TIPNIS festschreibt, aufgehoben. Morales ist auch hier ein Getriebener der Interessengruppen, in deren Hände er sich nach 2010 gegeben hat. Eine der wichtigsten sind die Cocaleros aus seiner Heimatregion, dem Chapare, deren Verbandspräsident er bis heute ist. Diese wollen, neben dem brasilianischen Ölriesen Petobras, auf jeden Fall, dass die Straße durch den TIPNIS gebaut wird. Auch in diesem Fall wird wenig Rücksicht auf die Verfassung genommen, die die Autonomie der indigenen Bevölkerungsgruppen festschreibt. Die Regierung hat demnach kein Recht, ohne die Zustimmung der Indigenen, auf ihren Territorien Straßen zu bauen.

Zurück auf dem Avaroa-Platz: Die Zersplitterung der Basis zeigt sich auch hier. Während auf der einen Seite eine Gruppe von indigenen Aymaras sich mit dem Comite Cívico, das sich mehrheitlich aus der weißen Mittel- und Oberschicht rekrutiert, ein Wortgefecht liefert, unterstützt die hungerstreikende Martha Yujra die Forderungen der Opposition. Sie ist wie die anderen aus El Alto, Gewerkschafterin, und eine Aymara mit der traditionellen Pollera. Eigentlich eine typische Anhängerin des Präsidenten. Jetzt sagt sie, „Evo hat die Frauen in Pollera verraten, er hat sich als Wolf im Schafspelz entpuppt“.

Die rechte Opposition, die bisher uneins war, hat es geschafft, das Misstrauen in die Regierung zu säen und Morales hat mit seinem Klammern an die Macht – um jeden Preis – seinen Anteil an dieser Entwicklung. Bisher gab es innerhalb der indigenen Bewegung, den Bäuerinnen und Bauern und Arbeiter*innen immer eine gewisse Distanz zu den oppositionellen Comites Cívicos. Die Tricksereien der Regierung haben diese Distanz kleiner werden lassen. Das hat dazu geführt, dass der neoliberale Präsidentschaftskandidat Carlos Mesa zu einem ernstzunehmenden Gegner geworden ist. Damit dies auch bleibt, versucht die Opposition nun, ihre Zersplitterung zu überwinden. Bisher gibt es acht Gegenkandidaten zu Evo Morales. Bleibt dies so, ist ein Sieg des Präsidenten wahrscheinlich. Am 17. Januar haben sich die Comites Cívicos und fünf der acht Gegenkandidaten in Santa Cruz getroffen, um über eine gemeinsame Strategie zu beraten. Sollte es gelingen, eine Koalition zu schmieden, wäre der Wahlausgang im Oktober weitaus offener. Julio Prado, Herausgeber der Wochenzeitung El Ciudadano ist skeptisch, ob das gelingt. „Die Opposition verfolgt bisher kein eigenes Projekt, sie interessiert sich nur für ihren eigenen Vorteil“, meint der Journalist, „und die acht Kandidaten haben ganz unterschiedliche Interessen, ich halte es für unwahrscheinlich, dass eine Koalition zustande kommt“.

Darauf hofft Evo Morales. Er hat über Twitter verlauten lassen, dass die Vorwahlen am 27.01.2019 das Referendum vom Februar 2016 vergessen machen lassen und als Datum der „Wahrheit, der Toleranz und der Demokratie“ in die Geschichte eingehen. Bei den Vorwahlen werden die jeweiligen Kandidaten*innen von ihren Parteianhänger*innen bestätigt. Abstimmen können nur Anhänger*innen, die sich offiziell registrieren ließen. Und hier hat die MAS eindeutig die Nase vorn. So wird Morales diese Wahl wohl auf jeden Fall gewinnen und die meisten Stimmen in den Vorwahlen erhalten.

 

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