EINBUDDELN, AUSBUDDELN?

„Denn Staub bist du, zum Staub musst du zurück“, flüstert der Pfarrer auf Latein, als er grimmig guckend ein dickes schwarzes Kreuz auf die Stirn der Gläubigen malt. Es ist Aschermittwoch in einem scheinbar friedlichen Dorf im Norden von Valle del Cauca, im Südwesten Kolumbiens.
Bis sich am Abend Aimer Zapata umbringt. Das ist im Dorf kein seltener Vorfall, die meisten werden aber vertuscht. Als der neue, streng konservative Pfarrer dem Selbstmörder ein katholisches Begräbnis verweigert, ist das Geheimnis in aller Munde. Die Familie des Verstorbenen ignoriert dennoch das Begräbnisverbot auf dem katholischen Friedhof, woraufhin der wütende Pfarrer ein Interdikt erteilt: Solange die Leiche nicht in den säkularen Friedhof umgebettet wird, werden keine kirchlichen Rituale mehr durchgeführt: Paare können nicht heiraten, Kinder nicht getauft und Sterbende nicht gesalbt werden. „Selbstmord ist Gotteslästerung, eine Todsünde, vor der es keine Rettung gibt“, verkündet der Pfarrer theatralisch bei einer Messe am Tag nach der unerlaubten Beerdigung.
Die Familie Zapata wird von den Nachbarn bedrängt, doch Alfer, der Bruder des Verstorbenen, will die Leiche seines Bruders nur umbetten, wenn alle Familien ebenfalls ihre Selbstmörder*innen in den säkularen, zugewachsenen Friedhof umbetten. Dafür beginnt er mit seinen Freunden Byron und Daniel eine Liste aller Selbstmörder*innen im Dorf zu erstellen. Unbequeme Wahrheiten drohen ans Licht zu kommen.
Scharfsinnig und mit intelligentem Witz erzählt der 73-jährige Regisseur Lisandro Duque Naranjo in seinem sechsten Film über die Angst einer tief gläubigen Dorfgemeinde vor der ewigen Verdammnis. Kein leichtes Thema, doch Lisandro Duque Naranjo ist mit viel schwarzem Humor eine harte Kritik gegen den Klerus gelungen.  Dazu verlegt er seine Geschichte in das Kolumbien Ende der 1960er-Jahre, als es keine Trennung zwischen der Kirche und dem kolumbianischen Staat gab. Die unbeugsame, hochmütige Haltung des Pfarrers, seine Gestik und langwierigen Reden, wunderbar gespielt von Guillermo García, lassen ihn zum fanatischen Bösewicht werden, der mit der Schließung der Kirche das dörfliche Leben aus den Fugen geraten lässt.
Doch darüber hinaus geht es in El Soborno del Cielo, wörtlich übersetzt „Die Bestechung des Himmels“ um den Selbstmord und seine Konsequenzen für die Gläubigen, um die Frage nach dem Guten oder Bösen, jenseits der Maßstäbe des jüngsten Gerichts. Moral, Religion und  Menschenrechte werden in jeder Sequenz hinterfragt. Beispielsweise träumt Byron von einer atheistischen Republik, eine Anspielung auf die in dieser Zeit ausgerufenen kommunistischen Republiken durch die gerade geborenen Guerillabewegungen. Sonst erfahren die Zuschauer*innen wenig über die politische Situation des Landes und die Welle der Gewalt in ländlichen Gemeinden in den 1960er und 1970er-Jahren. Naranjos Erzählung ist eine Geschichte von geistiger Verdrängung, aber auch vom zivilen Aufstand gegen die Instrumentalisierung des katholischen Glaubens, um das Volk im Zaum zu halten.

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