„KÖRPER, WÖRTER, SCHWERE SCHLÄGE UND BITTERE LIEBE“


Der Pablo-Neruda-Stiftung in Santiago de Chile ist ein kleiner Sensationsfund gelungen. Im Nachlass des 1973 verstorbenen Dichters fanden sich 21 bisher unveröffentlichte Gedichte, die nun, übersetzt von Susanne Lange, in einer schön gestalteten Ausgabe im Luchterhand Verlag auf Deutsch erscheinen. Neruda witzelte zu Lebzeiten, dass irgendwann selbst seine Socken veröffentlicht würden, doch so weit scheint es noch nicht zu sein. Vielmehr spiegelt der Band Dich suchte ich die ganze Spannbreite der poetischen Themen Nerudas wider, auch entstanden die Gedichte in ganz unterschiedlichen Schaffensperioden, von den frühen fünfziger Jahren bis kurz vor dem Tod des Dichters. Erfahrbar für die Leser*innen wird dieser besondere Fund durch Faksimiles der Orginalverse, wie sie von Neruda spontan auf Zetteln, Menükarten und Konzertprogrammen zu Papier gebracht wurden, am Ende des Bandes. „Als hätten sie sich im Urwald der Originale versteckt, sich unter abertausend Blättern, abertausend Wörtern getarnt, um siegreich unentdeckt zu bleiben“, so beschreibt Darío Oses, Leiter des Archivs der Pablo-Neruda-Stiftung, seine Verblüffung, als sich nach Recherchen herausstellte, dass diese 21 Gedichte tatsächlich erst jetzt entdeckt wurden.

Etwas unglücklich hat der Verlag die Texte in „Liebesgedichte“ und „Andere Gedichte“ unterteilt. Dabei bieten die „anderen Gedichte“ weitaus interessantere Einblicke in die Vielfalt des Schaffens Nerudas. Es geht um das Älterwerden und Vergänglichkeit, aber auch um das Telefon und die Begeisterung für den Weltraum. Neruda kann sich ins Detail versenken und auf wunderbare Weise das Gefühl der Einsamkeit und Verlorenheit heraufbeschwören: „Ich schwang mich auf einen Tropfen Regen / ich schwang mich auf einen Tropfen Wasser / doch so klein war ich damals, so klein / dass ich abglitt von der Erde.“ Eine melancholische Schwermut durchzieht viele der Texte: „Trübe, traurige, tiefzarte Jugend / düsteres Torfmoor / in das Blätter fallen / Körper / Wörter / schwere Schläge und bittere Liebe“.

Leider setzt der Verlag auch in der Aufmachung vor allem auf Nerudas Ruf als Liebespoeten. Das ist nicht nur schade, sondern auch problematisch. Zwar lassen sich die neu veröffentlichten Liebesgedichte nicht unbedingt in Nerudas sonstige Liebeslyrik einordnen, die nicht selten sexistisch und besitzergreifend ist. Eine Tatsache, die im Feuilleton gerne aktiv ignoriert wird, wobei sie zum widersprüchlichen Bild des Dichters genauso dazugehört, wie die Tatsache, dass er Oden an Stalin schrieb. Es wäre schön gewesen, wenn diese Widersprüchlichkeiten in der neuen Veröffentlichung berücksichtigt worden wären, anstatt weiter in stummer Verehrung vor dem Literaturnobelpreisträger zu verharren.

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