
„Sie werden mich nicht zum Schweigen bringen!” Der 4. Juni ist der erste Tag, an dem Ruth López in der Öffentlichkeit seit ihrer Festnahme über zwei Wochen zuvor zu sehen ist. Sie ist von einem Schwarm von Journalist*innen umgeben und nutzt den kurzen Fußweg vom Parkplatz zum Gerichtssaal, um ihre Unschuld lautstark zu verteidigen. Zwei Polizist*innen halten sie an den Armen fest und führen sie durch das Gebäude. López hat eine Bibel an ihre Brust gedrückt und lässt diese nicht los, während sie brüllt: “Die Wahrheit und Gott stehen an meiner Seite!”LN analysiert die repressiven Entwicklungen in El Salvador.
Ruth López ist Anwältin. Sie leitet die Antikorruptions- und Justizabteilung von Cristosal, eine der wichtigsten Menschenrechtsorganisationen in El Salvador. In der Nacht des 18. Mai wurde sie von der Polizei aus ihrem Wohnhaus gelockt. Die Beamt*innen klingelten und behaupteten, ihr Auto sei in einen Unfall verwickelt gewesen. Sie und ihr Mann verließen im Schlafanzug die Wohnung. Sie dachten, es handele sich um eine Verwechslung, doch es war eine Falle: Ruth wurde sofort festgenommen.
Ihr wird das Verbrechen der unrechtmäßigen Bereicherung vorgeworfen, das sie während ihrer Tätigkeit im Obersten Wahlgerichtshof während der FMLN-Regierung vor mehr als sechs Jahren begangen haben soll. Ihr damaliger Chef und ehemaliger Richter des Obersten Wahlgerichtshofs, Eugenio Chicas, wurde ebenfalls im Februar 2025 festgenommen. Bisher hat die Generalstaatsanwaltschaft keine Beweise öffentlich vorgelegt.
Die Repression nimmt zu
López ist seit der ersten Amtsperiode Bukeles eine besonders laute Stimme gegen die Verbrechen der Regierung. Unter ihrer Leitung vertritt Cristosal derzeit die Familien von hunderten von venezolanischen Staatsbürger*innen, die von der Regierung des US-Präsidenten Donald Trump in das Megagefängnis von Nayib Bukele überführt wurden. Als Teil einer Allianz von Organisationen reichte López zudem persönlich eine Klage gegen das neue Bergbaugesetz (siehe LN 608) beim Verfassungsgericht ein. Sie untersuchte im Rahmen ihrer Arbeit verschiedene Korruptionsfälle und kritisierte den anhaltenden, verlängerten Ausnahmezustand. Für die salvadorianische und internationale Zivilgesellschaft ist die Menschenrechtsverteidigerin eindeutig eine politische Gefangene.

Eine Verschärfung war bereits Anfang April zu beobachten. Ein Team der Online-Zeitung El Faro veröffentlichte damals ein dreiteiliges Video-Interview mit prominenten Anführern der Gang Barrio 18, die an geheimen Verhandlungen zwischen der kriminellen Untergrundorganisation und der Regierung von Nayib Bukele beteiligt waren. In dem Interview erklärten beide Männer, dass sie mit Bukele und seinem Team bereits vor mehr als einem Jahrzehnt in Kontakt getreten seien und ihn in seiner politischen Karriere unterstützten. Vertreter*innen der Regierung, unter ihnen Peter Dumas, Leiter des staatlichen Nachrichtendienstes, bedrohten die Journalisten nach der Veröffentlichung über die Sozialen Medien. Über vertrauenswürdige Quellen erfuhr El Faro kurz darauf zudem, dass die Generalstaatsanwaltschaft vorhabe, Haftbefehle gegen die sieben Reporter auszustellen, die die Interviews produziert hatten. Ein Dutzend Redaktionsmitglieder von El Faro musste das Land im Mai verlassen.
Die Repression ging weiter: In der Nacht des 12. Mai etwa demonstrierte eine Bauerngemeinde, die Cooperativa El Bosque, in der Nähe der Residenz von Präsident Nayib Bukele. Die Vertreter*innen der Gemeinde ersuchten den Präsidenten, sich gegen eine drohende Zwangsräumung einzusetzen. Trotz des gewaltfreien Verlaufs dieses Protests kam es zu einem massiven Polizeieinsatz mit Beteiligung der Militärpolizei. Einsatzkräfte der Nationalen Zivilpolizei versuchten, Demonstrierende – darunter ältere Menschen, Frauen und Kinder – festzunehmen. In diesem Zuge kam es zur Verhaftung von den zwei Gemeindemitgliedern José Ángel Pérez und dem Pastor der evangelikalen Elim-Kirche. Am Morgen des Folgetages wurde zudem der Rechtsanwalt der Kooperative, Alejandro Henríquez, in San Salvador verhaftet. Henríquez ist Mitglied der Umweltorganisationen ReverdES und Foro del Agua sowie ehemaliger Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung.
Am Folgetag verkündete Präsident Nayib Bukele über Soziale Medien dann seine Absicht, dem Kongress einen Gesetzentwurf über sogenannte ausländische Agenten (Spanisch: Ley de Agentes Extranjeros) vorzulegen. Das Gesetz zielt darauf ab, eine Reihe von Kontrollen und bürokratischen Hürden für die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen einzuführen und eine Steuer von 30% auf Gelder aus internationaler Zusammenarbeit zu erheben.
Bukele zeigt sich selbstsicher
Am 20. Mai wurde das Agentengesetz nach kaum einer Stunde Diskussion verabschiedet. Kurz vor der Abstimmung hieß es, der Gesetzesentwurf habe den inneren Kreis um die Präsidentschaft nicht verlassen und Kongressabgeordnete hätten keine Einsicht in seinen Inhalt nehmen können.
Das Gesetz trat am 7. Juni in Kraft. Seit diesem Tag müssen sich nun alle natürlichen oder juristischen Personen, die Gelder aus dem Ausland erhalten, als „ausländische Agenten“ in ein vom Ministerium für Territoriale Entwicklung und Inneres geführtes Register eintragen lassen. Ihnen wird eine Steuer von 30% auf alle aus dem Ausland erhaltenen Gelder auferlegt. Sie dürfen außerdem „keine Tätigkeiten für politische oder andere Zwecke” ausüben, müssen also jegliche Arbeit einstellen. Die Organisationen, die sich nicht registrieren lassen oder aus dem Register gestrichen werden und trotzdem weiterarbeiten, müssen mit Geldstrafen zwischen 100.000 und 250.000 Euro rechnen.
Die Verabschiedung des Gesetzes alarmierte die internationale Gemeinschaft. Menschenrechtssprecherin der Vereinten Nationen Liz Throssell äußerte in einer Erklärung, sie habe Sorge, dass „die Maßnahme die Rechte auf Vereinigungsfreiheit und freie Meinungsäußerung unangemessen einschränken” werde. Auch internationale Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch sehen das Gesetz als Mechanismus, um die kritische Zivilgesellschaft „zum Schweigen zu bringen”.
Es ist nicht der erste Versuch Bukeles, ein Agentengesetz zu verabschieden. Bereits 2021 hatte er einen Anlauf gewagt. Damals war es der internationale Druck vonseiten gemeinnütziger Organisationen und demokratischen Regierungen, der sein Vorhaben vorläufig stoppte.
Dass die Versuche zivilgesellschaftlicher Organisationen, die Verabschiedung des Agentengesetzes erneut zu stoppen, diesmal scheiterten, ist nicht überraschend. Die Machtposition Bukeles hat sich in der Zwischenzeit verfestigt. Anfang 2024 hatte er es geschafft, trotz eines klaren Verbots in der Verfassung zwei Mal in Folge gewählt zu werden. Seine absolute Kontrolle über den Kongress und die Justiz sowie der seit über drei Jahren anhaltende Ausnahmezustand entmachten jeglichen Widerstand. Die geopolitischen Zustände haben sich ebenfalls dramatisch zu seinem Vorteil geändert: Bukele zählt auf die Rückendeckung von Trump und ohne die Unterstützung der USA ist der Handlungsspielraum der europäischen Regierungen stark eingeschränkt.
Der salvadorianische Präsident muss sich daher nun weniger um sein Image bemühen. Dies wurde während seiner Rede am 1. Juni 2025 zum Anlass des ersten Jahrestages seiner zweiten Präsidentschaft klar. Vor seinem loyalen Kongress sprach er im Nationaltheater seine Kritiker*innen an. “Wisst ihr was?”, sprach er spöttisch. “Es ist mir egal, wenn man mich Diktator nennt.” Seine Abgeordneten und Kabinettsmitglieder sowie die Menschenmenge im und um das Theater feierten seine Worte laut.