Zwischen Diktatur und Demokratie

Unter denen, die sich im Be-
reich der Sozialwissenschaften mit Lateinamerika beschäftigen, gehört Dieter Boris zu den eher wenigen, die sich den Blick für das Ganze bewahrt haben, weil sie mit Recht meinen, nur so könne die Dimension und Bedeutung einzelner Erscheinungen sinnvoll eingeschätzt werden. Dieser Blick des Generalisten bewahrt ihn auch vor der Gefahr, den wechselnden wissenschaftlichen Modetrends hinterherzulaufen. Das geschieht zunächst in der sehr lesenswerten Einleitung. Hier wird deutlich gemacht, daß die sozialen Bewegungen in Lateinamerika nicht allesamt neu sind, denn Aufstände der indigenen Bevölkerung, Rebellion der Bauern und Bäuerinnen, später die ArbeiterInnenbewegung und regionale StudentInnenbewegungen hat es schon lange vor der „Hochkonjunktur“ der „neuen sozialen Bewegungen“ in den achtziger Jahren gegeben. Auch stellen nicht alle Bewegungen eine lateinamerikanische Besonderheit dar, denn die Frauenbewegung und die Umweltbewegung beispielsweise nahmen in Lateinamerika etwa zur gleichen Zeit an Bedeutung und Stärke zu wie in Europa oder Nordamerika. Die während der siebziger und achtziger Jahre in den meisten Ländern Lateinamerikas etablierten Militärdiktaturen haben allerdings mit der Unterdrückung der normalen Möglichkeiten politischer Artikulation durch Parteien einerseits und der Schaffung von dramatischen Notsituationen durch politische Verfolgung und soziale Gefühllosigkeit andererseits den Boden für eine Reihe von Bewegungen bereitet, die unter „normalen“ Umständen wahrscheinlich nie entstanden wären. Dazu gehören vor allem die Menschenrechtsbewegungen, die sich um die verschwundenen politischen Gefangenen gekümmert haben und noch kümmern, die solidarischen Organisationen einer Art Volksökonomie, die Stadtteilbewegungen und andere mehr.
Lesenswert ist die Einleitung auch besonders, weil Dieter Boris hier die seither unternommenen Versuche zur Bildung von Theorien über soziale Bewegungen einer kritischen Revision unterzieht und sich gegen die Ansicht zur Wehr setzt, die „veraltete“ Klassenanalyse sei in Zukunft durch die Analyse sozialer Bewegungen zu ersetzen (statt zu ergänzen). Natürlich könnten, so argumentiert er, die sozialen Bewegungen nicht auf ein Klassenphänomen reduziert werden. Das schließe aber nicht aus, daß sie in der Klassengesellschaft „verortet“ seien. Fast nebenbei vermittelt Dieter Boris an dieser Stelle auch, daß der modische und sehr unscharfe Begriff der „Zivilgesellschaft“ in Lateinamerika eher vernebelnde als aufklärerisch-erkenntniserweiternde Funktionen gehabt hat.

Analyse im Vergleich
und am Beispiel
Nach einem kurzen Ausblick auf neuere Tendenzen der Entwicklung der Sozialstruktur in den Ländern Lateinamerikas unternimmt Dieter Boris den Versuch, die Konsequenzen der Demokratisierungsprozesse für die Weiterentwicklung der sozialen Bewegungen zu kennzeichnen. Nach seinem Urteil sind diese Bewegungen in Ländern wie Chile und Uruguay mit dem Wiederaufkommen der politischen Parteien sehr geschwächt worden, während sie ihren Einfluß etwa in Bolivien und Paraguay halten und in Brasilien oder Ecuador sogar ausbauen konnten. Diese Typenbildung ist nicht ganz unproblematisch; richtig ist aber sicherlich, daß die Veränderungen in den Ländern unterschiedlich waren und sind. Dabei erstaunt, daß Dieter Boris eine ganze Reihe von Faktoren anführt, die diese Unterschiede bewirkt haben könnten, aber nicht auf das Ausmaß eingeht, in dem eine neoliberale Gesellschaftspolitik es geschafft hat, mit „Modernisierungsreformen“ entsolidarisierende Wirkungen zu entfalten. Das war eben in Chile und Uruguay weitaus mehr der Fall als etwa in Brasilien.
Der größte Teil des Buches ist der Analyse der einzelnen Bewegungen gewidmet. Dabei geht Dieter Boris jeweils von einer Schilderung der Strukturprobleme aus, die die Entstehung oder das Wiederaufblühen einer sozialen Bewegung bewirkt haben, also: der Mangel an Land für die Bewegung der Bauern und Bäuerinnen, die kulturelle Benachteiligung für die indigenen Bewegungen, die Wirkungen der Öffnung zum Weltmarkt für die ArbeiterInnenbewegung, Mord, Folter und Unterdrückung für die Menschenrechtsbewegungen, Machismus und männliche Vorherrschaft für die Frauenbewegung, die steigende Belastung der Umwelt für die Umweltbewegung usw. Daran knüpft jeweils eine sehr nützliche differenzierende Übersicht über die Entwicklung der jeweiligen Bewegungen in ganz Lateinamerika an, die schließlich in eine detailreiche Darstellung am Beispiel eines einzelnen Landes mündet.
Daß Brasilien im Unterschied zu allen anderen Ländern gleich dreimal erscheint, hat nicht nur mit der Größe dieses Landes zu tun, welches – nach geographischer Größe und Bevölkerung – fast die Hälfte Lateinamerikas ausmacht, sondern auch mit der größeren Bedeutung, die die sozialen Bewegungen hier eingenommen haben. Die neue Gewerkschaftsbewegung mit ihrer engen Beziehung zur Arbeiterpartei PT (Partido dos Trabalhadores), die Landlosenbewegung MST (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra) und die kirchlichen Basisbewegungen innerhalb des größten katholischen Landes der Welt konnten in solch einem Buch einfach nicht fehlen.

Soziale Bewegungen
und Neoliberalismus?
Daß Dieter Boris im allgemeinen die eher erfolgreicheren nationalen Bewegungen als Beispiele für seine Einzeldarstellungen ausgesucht hat, wird man kaum kritisieren können, zumal ja die Einschätzung der Situation in ganz Lateinamerika diesen immer vorausgeht. Das einzige Kapitel, bei dem eine andere Auswahl sicher besser gewesen wäre, ist das Kapitel über die Guerilla, in dem Nicaragua im Mittelpunkt steht. Selbst wenn man zugesteht, daß es sich bei den Guerillas um soziale Bewegungen handeln kann – und in Nicaragua wurden sie 1979 zum Kristallisationspunkt sehr breiter Bewegungen –, läßt sich fragen, ob der Sieg der Sandinisten damals nicht eine untypische Ausnahme darstellt, die ganz besonderen Bedingungen zu verdanken war und ob nicht etwa Kolumbien besser als Beispiel gedient hätte, um die Vielfalt der Probleme zu beleuchten. Wichtig wäre in diesem Kapitel auch gewesen, etwas stärker zu differenzieren. Jedenfalls kann die bündnisunfähige und auch gegenüber der übrigen Linken zum Terror entschlossene peruanische Guerilla Leuchtender Pfad (Sendero Luminoso) ebenso wenig mit den anderen (maoistischen, trotzkistischen, castristischen) Guerillas in einem Atemzug genannt werden wie die zapatistische Guerilla in Chiapas (Mexiko), die sich vom Kampf um die politische Macht offiziell verabschiedet hat und mit den modernsten Methoden weltweiter Kommunikation arbeitet.
Die Menschenrechtsbewegungen in Argentinien um die „Mütter der Plaza de Mayo“, die Avantgarde der lateinamerikanischen Frauenbewegung in Chile, die Bewegungen von ElendsviertelbewohnerInnen in Lima, die erfolgreich agierende indigene Bewegung in Ecuador und die ökologische Bewegung in Mexiko-Stadt, der größten Metropole der Welt mit entsprechend großen Umweltproblemen bieten dagegen gute Gelegenheit, die allgemeinen Probleme der jeweiligen Bewegungen vertiefend zu analysieren.
Wer sich in der deutschsprachigen Welt mit zentralen gesellschaftlichen und politischen Problemen Lateinamerikas beschäftigen will, wird auf die Lektüre dieses wichtigen Buches – auch wegen seines sehr ausführlichen Literaturverzeichnisses – kaum verzichten können.

Dieter Boris: Soziale Bewegungen in Lateinamerika. VSA-Verlag, Hamburg 1998, 254 Seiten.

Der „gewonnene Frieden“

Alles hat seine Zeit.“ Mit diesen feierlichen Worten begann Ecuadors Präsident Jamil Mahuad seine Rede anläßlich der Unterzeichnung des ecuadorianisch-peruanischen Friedensvertrages am 26. Oktober in der brasilianischen Hauptstadt Brasilia. Daß die Zeit des Friedens allerdings so schnell kommen würde, können viele noch immer nicht so richtig glauben. Nur 77 Tage nach seinem Amtsantritt am 10. August besiegelte Mahuad per Händedruck mit seinem peruanischen Amtskollegen Alberto Fujimori das Ende eines Grenzkonflikts, dessen Ursachen bis in die Kolonialzeit zurückreichen und der die Beziehungen der beiden Andenstaaten in den letzten 168 Jahren dominiert hat.
Sicherlich: Dieser Friedensvertrag ist undenkbar ohne die langfristige Annäherungspolitik der beiden Staaten seit Ende der 80er Jahre, die 1992 den ersten Besuch eines peruanischen Staatsoberhaupts in Ecuador möglich machte. Oder ohne die bilateralen Kommissionsgespräche und konkreten Verhandlungen seit Februar 1995 nach der letzten militärischen Eskalation in der Cordillera del Cóndor. Und auch das diplomatische Engagement der vier Garantenstaaten Argentinien, Brasilien, Chile und den USA hat entscheidenden Anteil an dem Vertragsabschluß; sie brach ten mit ihrer Vermittlung die ins Stocken geratenen Verhandlungen nun doch noch zu einem Abschluß.
Trotzdem hat Mahuad mit dem zügigen Abschluß der Verhandlungen beachtliche politische Durchsetzungsfähigkeit bewiesen – und auch eine gehörige Portion Mut. Denn anders als in Peru, wo die nicht demarkierte Grenze im Amazonastiefland in der öffentlichen Meinung zwar als lästiges, aber relativ unbedeutendes Übel wahrgenommen wird, ist der Grenzkonflikt in Ecuador das Politikum schlechthin: Bezugspunkt aller innen- und außenpolitischen Koordinaten und das heißeste Eisen, um das ecuadorianische Politiker einen Bogen machen – es sei denn, um ihre Kontrahenten des Vaterlandsverrats zu bezichtigen. Beide Seiten hatten sich im voraus dazu verpflichtet, den neuen Schiedsspruch der Garantenstaaten in jedem Fall und ohne Bedingungen anzuerkennen.

Das Recht des Stärkeren

Der Vertrag von Brasilia bestätigt das sogenannte Protokoll von Rio de Janeiro aus dem Jahre 1942, mit dem der Konflikt bereits damals ein- für allemal beendet werden sollte. Eben jenes Rio-Protokoll, das in ecuadorianischen Geschichtsbüchern unter dem „dunkelsten und tragischsten Moment der nationalen Geschichte“ firmiert und die Fronten zwischen den Nachbarstaaten in den darauffolgenden Jahren nur noch verhärtete. Das umstrittene Gebiet im Amazonastiefland wurde darin dem zweifellos militärisch überlegenen Peru zugesprochen, das zudem auch auf diplomatischer und wirtschaftlicher Ebene bedeutend mehr Gewicht in die Waagschale werfen konnte. Als Grenzverlauf legten die Garantenstaaten die Wasserscheide zwischen den Flüssen Río Zamora und Río Santiago fest. Für Ecuador bedeutete dieser Vertrag den Verlust von über 200.000 Quadratkilometern, fast die Hälfte des derzeit beanspruchten nationalen Territoriums, und darüber hinaus den Verlust des Amazonaszugangs. Obwohl der Artikel VI des Rio-Protokolls eine zusätzliche Regelung zu freiem Schiffverkehr und Handel im Amazonasbecken vorsah, existierte diese all die Jahrzehnte nur auf dem Papier.
Nachdem im Jahre 1947 mit dem Río Cenepa ein weiterer Flußlauf zwischen dem Río Zamora und Río Santiago entdeckt wurde, erklärte Ecuador das Protokoll auf einer Länge von 78 km für inejecutable, nicht ausführbar. Peru hingegen forderte die Vertragserfüllung ein und lehnte die Revision des Rio-Protokolls grundsätzlich ab. Nachdem Ecuadors fünffacher populistischer Präsident Velasco Ibarra in den 60er Jahren im Wahlkampf offensiv die These der nulidad, der Ungültigkeit der Rio-Protokolls, vertreten hatte, rückte die Hoffnung auf eine gütliche Einigung in weite Ferne.

Augenmaß in der Politik

Der jetzige Friedensvertrag von Brasilia bestätigt als Grenzziehung in der Cordillera del Cóndor eben diese Wasserscheide, jedoch auch Ecuadors Recht auf den Amazonaszugang. Das Teilabkommen über Handel und Schiffahrt bildet deshalb gewissermaßen das Rückrat des zukünftigen Friedens. Denn außer entscheidendem geostrategischen und ökonomischen Potential gibt der ausgehandelte Kompromiß Ecuador die Möglichkeit, von unrealistischen Forderungen nach Quadratkilometern abzurücken, ohne die vielbeschworene Identität als Amazonasanrainer – „Ecuador ha sido, es y será país amazónico“ – Ecuador war, ist und bleibt ein Amazonasland – aufzugeben.
Von der Umsetzung des Handelsabkommens wird deshalb auch die Tragfähigkeit des Friedensvertrages abhängen. Zunächst einmal muß der Friedensvertrag jedoch von den beiden Kongressen ratifiziert werden. Und da der unerwartete Alleingang der beiden Präsidenten in Sachen Frieden für einigen Unmut in den Reihen der PolitikerInnen gesorgt hat, ist dies mehr als eine reine Formalie. Auch in der peruanischen Bevölkerung ist die Stimmung nicht nur positiv: In der peruanischen Amazonasstadt Iquitos rief die Frente Patriótico de Loreto zu Protesten gegen das Friedensabkommen auf, durch das sie ihre ökonomischen Interessen im Amazonasbecken gefährdet sieht. Im Anschluß an einen Protestmarsch wurden mehrere Häuser geplündert und niedergebrannt, bis die Polizei sich einschaltete und die Menge mit Tränengas auseinandertrieb. Drei Menschen kamen dabei ums Leben, mehrere wurden verletzt. Auch in Lima gehen die Protestkundgebungen weiter.
Noch ein weiteres Zugeständnis der Garantenstaaten an Ecuador sorgt dafür, daß nach ersten Umfragen des peruanischen Privat-Instituts Imasen rund 82 Prozent der Bevölkerung Perus mit den Inhalten des Friedensvertrages nicht ganz einverstanden sind. Ein Quadratkilometer inmitten des peruanischem Urwalds wurde Ecuador als extra-territoriales Privateigentum, nicht aber als staatliches Hoheitsgebiet im eigentlichen Sinne zugesprochen. Diese kurios anmutende Regelung birgt einigen Sprengstoff, handelt es sich doch nicht um irgendeinen Hügel, sondern den ecuadorianischen Militärstützpunkt Tiwintza, der in der kriegerischen Auseinandersetzung Anfang 1995 erfolgreich verteidigt wurde und seitdem in Ecuador als Inbegriff der nationalen Würde, der Dignidad de un Pueblo gilt.

Modell Transitstrecke

Dieser mit höchster Symbolik schwer beladene Quadratkilometer sorgte für einige Irritationen, denn der ecuadorianische Präsident Mahuad und Außenminister José Ayala Lasso wollten und konnten ihn nicht kampflos räumen. Unter anderem war dies der Grund dafür, daß der peruanische Außenminister Eduardo Ferrero und mit ihm eine ganze Reihe namhafter peruanischer Politiker Mitte Oktober ihr Amt niederlegten, um gegen den Alleingang und „Schmusekurs“ ihres Präsidenten Fujimori zu protestieren (vgl. LN 293). Daß der „Japaner“ Fujimori peruanischen Grund und Boden „verschenkt“, ist für seine Gegner in der Tat ein gefundenes Fressen. Auch der Vorschlag der ecuadorianischen Militärs, dort ein Denkmal für die gefallenen Helden zu errichten, macht Tiwintza zu einem neuen möglichen Stein des Anstoßes, der die vorgesehene Regelung einer entmilitarisierten Zone und eines binationalen Naturparks untergraben könnte, zumal der Zugang nur über einen peruanisch kontrollierten Korridor möglich wäre. Die ecuadorianische Journalistin Susanna Klinkicht steht mit ihrer Meinung, Ecuador solle Tiwintza, nun da es ihm ja zugesprochen worden sei, an Peru zurückgeben und damit wahre Würde beweisen, allein auf weiter Flur.

Mal so, mal so – immer schwierig

Denn auch in Ecuador, wo die Erleichterung über den Friedensvertrag in der öffentlichen Meinung eindeutig überwiegt, reißen die Protestkundgebungen vor allem an der Küste nicht ab. Heftige Attacken seitens des populistischen Rechtsaußen und jetzigen Bürgermeisters von Guayaquil, León Febres-Cordero, hatte man ja eigentlich fast erwartet, war seine Präsidentschaft von 1984-1988 doch ein neuer Höhepunkt der ecuadorianisch-peruanischen Konfrontation. Aber daß auch der sozialdemokratische Ex-Präsident Rodrígo Borja, unter dessen Regierung 1988-1992 die Weichen für das heute mögliche Friedensabkommen gestellt wurden, Mahuad so kritisieren würde, zeigt einmal mehr, in welchem Maße das Thema Grenzkonflikt im politischen Diskurs Ecuadors an Realitätsbezug verloren hat und zum Selbstzweck geworden ist.

Über 300 km von der Realität entfernt

In der Tat verliert Ecuador durch den Friedensvertrag mit Peru die entscheidende Achse nationaler oder zumindest als national konstruierter Interessen. Zwar sind die Zeiten lange vorbei, in denen das Feindbild Peru in Form einer knochigen Klaue Schulhefte zierte, die aus dem Süden nach dem wehrlosen Vaterland grabscht, und „Peruaner“ ein gängiges Schimpfwort war. Doch die tiefe Überzeugung vom „hinterlistigen Verrat des vermeintlichen Bruderstaats“ wurde im nationalen Diskurs all die Jahrzehnte erfolgreich am Leben gehalten. Die überaus komplexe Geschichte des Konfliktes, in der auch innenpolitische und militärische Schwächen Ecuadors von Bedeutung sind, wurde auf wenige Mythen reduziert.
Deutlichstes Indiz für diesen nationalistischen Diskurs sind die offiziellen Landkarten Ecuadors des Instituto Geográfico Militar (IGM). Das Rio-Protokoll wird auf ihnen über 50 Jahren nach einer völkerrechtlich gültigen und de facto umgesetzten Entscheidung noch immer nicht anerkannt und die Wahrnehmung des „geraubten Landes“ im öffentlichen Bewußtsein somit tagtäglich untermauert. Die Karte, die in ihrer logoisierten Form im täglichen Leben durch Abbildungen an Wänden sehr präsent ist, zeigt die ecuadorianischen Grenzen vor und nach 1942 in ein und derselben Darstellung. Das ecuadorianische Staatsgebiet erstreckt sich deshalb im öffentlichen Bewußtsein bis zur peruanischen Amazonasstadt Iquitos, die mit über dreihundert Kilometern hinter der gemeinsamen Grenze nun wirklich erheblich von der Realität entfernt ist.
Der Friedensvertrag bedeutet für Ecuador deshalb als allererstes auch neue Landkarten, und zwar Darstellungen, die die Realität des „kleinen Landes“ anerkennen, anstatt in einem Atemzug das nationale Trauma der heraufzubeschwören. Ein Schritt, den der ecuadorianische Intellektuelle Benjamín Carrión bereits in den 40er Jahren angemahnt hatte. Stattdessen wurde der „Kastrationskomplex“ der Erben des Rio-Protokolls nach 1942 zur Basis der ecuadorianischen Selbstwahrnehmung.

Kastrationskomplex

Der ecuadorianische Soziologe Pedro Saad Herrería hatte treffend formuliert: „Nach 1942 waren wir ein Volk von Verlierern. Und zwar solche Verlierer, daß wir, wenn wir 1:0 gespielt hatten, uns eigentlich gar nicht so schlecht fanden. Daß wir fanden, wir hätten eigentlich fast gar nicht verloren. Sondern daß wir eigentlich sogar fast unentschieden gespielt hatten.“
Der amtierende ecuadorianische Präsident Jamil Mahuad hat mit seinen transparenten und doch bestimmten Positionen gegenüber Peru großes Gespür für die in diesem Fall innenpolitisch so besonders wichtige symbolische Politik bewiesen, die die Wunden des Rio-Protokolls im kollektiven Gedächtnis endlich verheilen lassen könnte. Denn, wie er in seiner Rede zur Vertragsunterzeichnung deutlich herausstellte: Der Friedensvertrag zwischen Ecuador und Peru ist nicht einfach ein Unentschieden. Er ist ein „gewonnener Frieden“.

Der „gewonnene Frieden“

Alles hat seine Zeit.“ Mit diesen feierlichen Worten begann Ecuadors Präsident Jamil Mahuad seine Rede anläßlich der Unterzeichnung des ecuadorianisch-peruanischen Friedensvertrages am 26. Oktober in der brasilianischen Hauptstadt Brasilia. Daß die Zeit des Friedens allerdings so schnell kommen würde, können viele noch immer nicht so richtig glauben. Nur 77 Tage nach seinem Amtsantritt am 10. August besiegelte Mahuad per Händedruck mit seinem peruanischen Amtskollegen Alberto Fujimori das Ende eines Grenzkonflikts, dessen Ursachen bis in die Kolonialzeit zurückreichen und der die Beziehungen der beiden Andenstaaten in den letzten 168 Jahren dominiert hat.
Sicherlich: Dieser Friedensvertrag ist undenkbar ohne die langfristige Annäherungspolitik der beiden Staaten seit Ende der 80er Jahre, die 1992 den ersten Besuch eines peruanischen Staatsoberhaupts in Ecuador möglich machte. Oder ohne die bilateralen Kommissionsgespräche und konkreten Verhandlungen seit Februar 1995 nach der letzten militärischen Eskalation in der Cordillera del Cóndor. Und auch das diplomatische Engagement der vier Garantenstaaten Argentinien, Brasilien, Chile und den USA hat entscheidenden Anteil an dem Vertragsabschluß; sie brach ten mit ihrer Vermittlung die ins Stocken geratenen Verhandlungen nun doch noch zu einem Abschluß.
Trotzdem hat Mahuad mit dem zügigen Abschluß der Verhandlungen beachtliche politische Durchsetzungsfähigkeit bewiesen – und auch eine gehörige Portion Mut. Denn anders als in Peru, wo die nicht demarkierte Grenze im Amazonastiefland in der öffentlichen Meinung zwar als lästiges, aber relativ unbedeutendes Übel wahrgenommen wird, ist der Grenzkonflikt in Ecuador das Politikum schlechthin: Bezugspunkt aller innen- und außenpolitischen Koordinaten und das heißeste Eisen, um das ecuadorianische Politiker einen Bogen machen – es sei denn, um ihre Kontrahenten des Vaterlandsverrats zu bezichtigen. Beide Seiten hatten sich im voraus dazu verpflichtet, den neuen Schiedsspruch der Garantenstaaten in jedem Fall und ohne Bedingungen anzuerkennen.

Das Recht des Stärkeren

Der Vertrag von Brasilia bestätigt das sogenannte Protokoll von Rio de Janeiro aus dem Jahre 1942, mit dem der Konflikt bereits damals ein- für allemal beendet werden sollte. Eben jenes Rio-Protokoll, das in ecuadorianischen Geschichtsbüchern unter dem „dunkelsten und tragischsten Moment der nationalen Geschichte“ firmiert und die Fronten zwischen den Nachbarstaaten in den darauffolgenden Jahren nur noch verhärtete. Das umstrittene Gebiet im Amazonastiefland wurde darin dem zweifellos militärisch überlegenen Peru zugesprochen, das zudem auch auf diplomatischer und wirtschaftlicher Ebene bedeutend mehr Gewicht in die Waagschale werfen konnte. Als Grenzverlauf legten die Garantenstaaten die Wasserscheide zwischen den Flüssen Río Zamora und Río Santiago fest. Für Ecuador bedeutete dieser Vertrag den Verlust von über 200.000 Quadratkilometern, fast die Hälfte des derzeit beanspruchten nationalen Territoriums, und darüber hinaus den Verlust des Amazonaszugangs. Obwohl der Artikel VI des Rio-Protokolls eine zusätzliche Regelung zu freiem Schiffverkehr und Handel im Amazonasbecken vorsah, existierte diese all die Jahrzehnte nur auf dem Papier.
Nachdem im Jahre 1947 mit dem Río Cenepa ein weiterer Flußlauf zwischen dem Río Zamora und Río Santiago entdeckt wurde, erklärte Ecuador das Protokoll auf einer Länge von 78 km für inejecutable, nicht ausführbar. Peru hingegen forderte die Vertragserfüllung ein und lehnte die Revision des Rio-Protokolls grundsätzlich ab. Nachdem Ecuadors fünffacher populistischer Präsident Velasco Ibarra in den 60er Jahren im Wahlkampf offensiv die These der nulidad, der Ungültigkeit der Rio-Protokolls, vertreten hatte, rückte die Hoffnung auf eine gütliche Einigung in weite Ferne.

Augenmaß in der Politik

Der jetzige Friedensvertrag von Brasilia bestätigt als Grenzziehung in der Cordillera del Cóndor eben diese Wasserscheide, jedoch auch Ecuadors Recht auf den Amazonaszugang. Das Teilabkommen über Handel und Schiffahrt bildet deshalb gewissermaßen das Rückrat des zukünftigen Friedens. Denn außer entscheidendem geostrategischen und ökonomischen Potential gibt der ausgehandelte Kompromiß Ecuador die Möglichkeit, von unrealistischen Forderungen nach Quadratkilometern abzurücken, ohne die vielbeschworene Identität als Amazonasanrainer – „Ecuador ha sido, es y será país amazónico“ – Ecuador war, ist und bleibt ein Amazonasland – aufzugeben.
Von der Umsetzung des Handelsabkommens wird deshalb auch die Tragfähigkeit des Friedensvertrages abhängen. Zunächst einmal muß der Friedensvertrag jedoch von den beiden Kongressen ratifiziert werden. Und da der unerwartete Alleingang der beiden Präsidenten in Sachen Frieden für einigen Unmut in den Reihen der PolitikerInnen gesorgt hat, ist dies mehr als eine reine Formalie. Auch in der peruanischen Bevölkerung ist die Stimmung nicht nur positiv: In der peruanischen Amazonasstadt Iquitos rief die Frente Patriótico de Loreto zu Protesten gegen das Friedensabkommen auf, durch das sie ihre ökonomischen Interessen im Amazonasbecken gefährdet sieht. Im Anschluß an einen Protestmarsch wurden mehrere Häuser geplündert und niedergebrannt, bis die Polizei sich einschaltete und die Menge mit Tränengas auseinandertrieb. Drei Menschen kamen dabei ums Leben, mehrere wurden verletzt. Auch in Lima gehen die Protestkundgebungen weiter.
Noch ein weiteres Zugeständnis der Garantenstaaten an Ecuador sorgt dafür, daß nach ersten Umfragen des peruanischen Privat-Instituts Imasen rund 82 Prozent der Bevölkerung Perus mit den Inhalten des Friedensvertrages nicht ganz einverstanden sind. Ein Quadratkilometer inmitten des peruanischem Urwalds wurde Ecuador als extra-territoriales Privateigentum, nicht aber als staatliches Hoheitsgebiet im eigentlichen Sinne zugesprochen. Diese kurios anmutende Regelung birgt einigen Sprengstoff, handelt es sich doch nicht um irgendeinen Hügel, sondern den ecuadorianischen Militärstützpunkt Tiwintza, der in der kriegerischen Auseinandersetzung Anfang 1995 erfolgreich verteidigt wurde und seitdem in Ecuador als Inbegriff der nationalen Würde, der Dignidad de un Pueblo gilt.

Modell Transitstrecke

Dieser mit höchster Symbolik schwer beladene Quadratkilometer sorgte für einige Irritationen, denn der ecuadorianische Präsident Mahuad und Außenminister José Ayala Lasso wollten und konnten ihn nicht kampflos räumen. Unter anderem war dies der Grund dafür, daß der peruanische Außenminister Eduardo Ferrero und mit ihm eine ganze Reihe namhafter peruanischer Politiker Mitte Oktober ihr Amt niederlegten, um gegen den Alleingang und „Schmusekurs“ ihres Präsidenten Fujimori zu protestieren (vgl. LN 293). Daß der „Japaner“ Fujimori peruanischen Grund und Boden „verschenkt“, ist für seine Gegner in der Tat ein gefundenes Fressen. Auch der Vorschlag der ecuadorianischen Militärs, dort ein Denkmal für die gefallenen Helden zu errichten, macht Tiwintza zu einem neuen möglichen Stein des Anstoßes, der die vorgesehene Regelung einer entmilitarisierten Zone und eines binationalen Naturparks untergraben könnte, zumal der Zugang nur über einen peruanisch kontrollierten Korridor möglich wäre. Die ecuadorianische Journalistin Susanna Klinkicht steht mit ihrer Meinung, Ecuador solle Tiwintza, nun da es ihm ja zugesprochen worden sei, an Peru zurückgeben und damit wahre Würde beweisen, allein auf weiter Flur.

Mal so, mal so – immer schwierig

Denn auch in Ecuador, wo die Erleichterung über den Friedensvertrag in der öffentlichen Meinung eindeutig überwiegt, reißen die Protestkundgebungen vor allem an der Küste nicht ab. Heftige Attacken seitens des populistischen Rechtsaußen und jetzigen Bürgermeisters von Guayaquil, León Febres-Cordero, hatte man ja eigentlich fast erwartet, war seine Präsidentschaft von 1984-1988 doch ein neuer Höhepunkt der ecuadorianisch-peruanischen Konfrontation. Aber daß auch der sozialdemokratische Ex-Präsident Rodrígo Borja, unter dessen Regierung 1988-1992 die Weichen für das heute mögliche Friedensabkommen gestellt wurden, Mahuad so kritisieren würde, zeigt einmal mehr, in welchem Maße das Thema Grenzkonflikt im politischen Diskurs Ecuadors an Realitätsbezug verloren hat und zum Selbstzweck geworden ist.

Über 300 km von der Realität entfernt

In der Tat verliert Ecuador durch den Friedensvertrag mit Peru die entscheidende Achse nationaler oder zumindest als national konstruierter Interessen. Zwar sind die Zeiten lange vorbei, in denen das Feindbild Peru in Form einer knochigen Klaue Schulhefte zierte, die aus dem Süden nach dem wehrlosen Vaterland grabscht, und „Peruaner“ ein gängiges Schimpfwort war. Doch die tiefe Überzeugung vom „hinterlistigen Verrat des vermeintlichen Bruderstaats“ wurde im nationalen Diskurs all die Jahrzehnte erfolgreich am Leben gehalten. Die überaus komplexe Geschichte des Konfliktes, in der auch innenpolitische und militärische Schwächen Ecuadors von Bedeutung sind, wurde auf wenige Mythen reduziert.
Deutlichstes Indiz für diesen nationalistischen Diskurs sind die offiziellen Landkarten Ecuadors des Instituto Geográfico Militar (IGM). Das Rio-Protokoll wird auf ihnen über 50 Jahren nach einer völkerrechtlich gültigen und de facto umgesetzten Entscheidung noch immer nicht anerkannt und die Wahrnehmung des „geraubten Landes“ im öffentlichen Bewußtsein somit tagtäglich untermauert. Die Karte, die in ihrer logoisierten Form im täglichen Leben durch Abbildungen an Wänden sehr präsent ist, zeigt die ecuadorianischen Grenzen vor und nach 1942 in ein und derselben Darstellung. Das ecuadorianische Staatsgebiet erstreckt sich deshalb im öffentlichen Bewußtsein bis zur peruanischen Amazonasstadt Iquitos, die mit über dreihundert Kilometern hinter der gemeinsamen Grenze nun wirklich erheblich von der Realität entfernt ist.
Der Friedensvertrag bedeutet für Ecuador deshalb als allererstes auch neue Landkarten, und zwar Darstellungen, die die Realität des „kleinen Landes“ anerkennen, anstatt in einem Atemzug das nationale Trauma der heraufzubeschwören. Ein Schritt, den der ecuadorianische Intellektuelle Benjamín Carrión bereits in den 40er Jahren angemahnt hatte. Stattdessen wurde der „Kastrationskomplex“ der Erben des Rio-Protokolls nach 1942 zur Basis der ecuadorianischen Selbstwahrnehmung.

Kastrationskomplex

Der ecuadorianische Soziologe Pedro Saad Herrería hatte treffend formuliert: „Nach 1942 waren wir ein Volk von Verlierern. Und zwar solche Verlierer, daß wir, wenn wir 1:0 gespielt hatten, uns eigentlich gar nicht so schlecht fanden. Daß wir fanden, wir hätten eigentlich fast gar nicht verloren. Sondern daß wir eigentlich sogar fast unentschieden gespielt hatten.“
Der amtierende ecuadorianische Präsident Jamil Mahuad hat mit seinen transparenten und doch bestimmten Positionen gegenüber Peru großes Gespür für die in diesem Fall innenpolitisch so besonders wichtige symbolische Politik bewiesen, die die Wunden des Rio-Protokolls im kollektiven Gedächtnis endlich verheilen lassen könnte. Denn, wie er in seiner Rede zur Vertragsunterzeichnung deutlich herausstellte: Der Friedensvertrag zwischen Ecuador und Peru ist nicht einfach ein Unentschieden. Er ist ein „gewonnener Frieden“.

Nach der Wahl und vor der Wahl

Die Mitte Oktober abgehalteen peruanischen Kommunalwahlen überraschten weder im Verlauf noch im Ergebnis. Die Wahlplattform „Vamos Vecinos“ – ein notdürftig mit dem Etikett der Unabhängigkeit bemänteltes Vehikel des Fujimorismo auf kommunaler Ebene – ging in immerhin 73 der 186 Provinzen als Sieger hervor. Erfolgreich waren auch die tatsächlich Unabhängigen, während die traditionellen Parteien hingegen nach wie vor auf Kommunalebene kaum vertreten sind. Nachdem Regierung und Parlament in den letzten Jahren eine aggressive Zentralisierung durchgesetzt haben, sind den regionalen und kommunalen Selbstverwaltungen kaum noch eigene Ressourcen und Zuständigkeiten verblieben, so daß das Regime auch bisher oppositionell geführte Provinzen und Distrikte an sich nehmen kann. Vor diesem Hintergrund ist die Tatsache zu relativieren, daß der Wahlprozeß selbst im Großen und Ganzen fair verlief. Wenn auch nicht von systematischem Wahlbetrug gesprochen werden kann, kam es gleichwohl im Vorfeld der Wahlen zu Unregelmäßigkeiten und Einschüchterungsversuchen gegenüber oppositionellen KandidatInnen.
In Lima gelang es dem amtierenden Bürgermeister Alberto Andrade, sich klar gegen den Regierungskandidaten zu behaupten. Andrades Gruppierung „Somos Perú“ konnte sich zwar in den Provinzen nicht durchsetzen, er selbst liegt jedoch weiterhin vor Fujimori in der Gunst der Wähler für etwaige Präsidentschaftswahlen. Doch für die im Jahr 2000 anstehenden Wahlen muß angenommen werden, daß Regierung und Parlamentsmehrheit, die auch bisher vor kaum einem Rechtsbruch zurückschreckten, ihre Manipulationen noch potenzieren werden.
Am 24. Oktober wurde Iquitos, die Haupstadt der Grenzregion Loreto, von Krawallen erschüttert, bei denen über ein Dutzend öffentliche Gebäude in Brand gesetzt wurden und sechs Menschen im Laufe des Polizeieinsatzes starben. Der Protest richtete sich gegen die Regierung, nicht jedoch, wie zu vermuten wäre, gegen die autoritären und repressiven Elemente des fujimoristischen Regimes oder dessen Wirtschaftspolitik, sondern gegen die am Vortag von Fujimori in Brasilia unterzeichneten Vereinbarungen mit Ecuador, die als Schritt zur Sicherung der Stabilität und des Friedens in der Region auf sehr positives internationales Echo gestoßen waren.

Gewalttätige Proteste – gegen den Frieden

Bei weiten Teilen der peruanischen Bevölkerung stieß das Ergebnis des Kompromisse jedoch auf Unmut, einige Oppositionspolitiker nutzten den Aufwind und redeten in irrational-chauvinistischer Rhetorik gar von einer nationalen Schande. Dabei kamen die substantiellen Konzessionen zur Erlangung der Übereinkunft allein von Ecuador, die Zugeständnisse von peruanischer Seite sind dagegen minimal und eher symbolischer Natur. Dahinter steht wohl eher das Kalkül, den in seiner Popularität ohnehin stark angeschlagenen Fujimori zu diskreditieren und sich im Gegenzug als wahre Verteidiger der nationalen Interessen zu profilieren.
Bereits vor dem Friedensschluß mit Ecuador war Peru zuletzt blitzlichtartig in die internationalen Schlagzeilen geraten, als am 30. September eine Demonstration in Lima in gewalttätigen Ausschreitungen gipfelte, bei denen einige Demonstranten in den Vorhof des Regierungspalastes eindrangen und dort Schäden verursachten.

Der Weg zur Wiederwahl ist frei

Diese beispiellose Situation – der Amtssitz des Präsidenten wird sonst immer durch ein beeindruckendes Aufgebot von Polizei und Armee gesichert – wurde erst durch ein verdächtig langes Abwarten der Sicherheitskräfte ermöglicht. Hinweise auf infiltrierte Geheimdienst-Mitarbeiter, die die Menge zur Gewaltanwendung aufgestachelt hätten, lassen vermuten, daß die Vorfälle inszeniert wurden. Sollte hiermit bezweckt worden sein, die Opposition zu diskreditieren oder zumindest die breite Bevölkerung von der Teilnahme an weiteren Protesten abzuhalten, so scheint dies jedoch nur sehr bedingt erreicht worden zu sein.
Auslöser für die von Gewerkschaften und studentischen Organisationen angeführte Demonstration, deren Teilnehmerzahl auf einige wenige Tausend begrenzt blieb, war das definitive Scheitern des Referendums gegen Fujimoris nochmalige Kandidatur im Jahr 2000, zu dessen Durchführung die Opposition in einem Volksbegehren anderthalb Millionen Unterschriften gesammelt hatte. Um den Weg Fujimoris zu einer dritten Präsidentschaft zu ebnen, hatte die fujimoristische Parlamentsmehrheit zunächst ein verfassungswidriges Gesetz erlassen, dann die Verfassungsrichter, die gegen dieses votiert hatten, abgesetzt und schließlich mittels der „Justizreform“ (vgl. LN 285) indirekt die Besetzung des noch vor wenigen Monaten mehrheitlich unabhängigen Jurado Nacional de Elecciones (oberste Instanz in wahlrechtlichen Fragen) so in den Griff bekommen, daß dieser einem weiteren verfassungswidrigen Gesetz stattgab: Die Durchführung eines Referendums ist ab sofort von der Entscheidung des Parlaments abhängig.
Und dieses brachte am 27. August das Volksbegehren endgültig zu Fall. Nicht ohne Grund: Meinungsumfragen im August und September hatten wiederholt 70 Prozent Ablehnung gegen eine Wiederwahl Fujimoris ergeben, womit die Regierung Anlaß genug hatte, das Referendum zu vermeiden.

Ein Premier als pseudodemokratische Posse

Der Opposition sind somit so gut wie alle rechtlichen Schritte und Instanzen verwehrt, um eine nochmalige Kandidatur Fujimoris zu verhindern. Das einzig ihr verbliebene Mittel, die Mobilisierung der Bevölkerung, gestaltet sich jedoch ebenfalls schwierig. Schon ohne die schmutzigen Tricks, wie sie die Regierung beispielsweise bei der Demonstration am 30. September einsetzte, ist die Mehrheit der Bevölkerung noch nicht dazu zu bewegen, sich Protestaktionen anzuschließen.
Auch die überraschende Ernennung Javier Valle Riestras zum Premierminister im vergangenen Juni, die kurzzeitig Spekulationen über eine mögliche Demokratisierung des Regimes auslöste, entpuppte sich als Posse ohne größeren Nachhall auf die politische Entwicklung.
Der Anwalt und Verfassungsrechtler Valle Riestra hatte sich in den 80er Jahren als Verfechter der Menschenrechte einen Namen gemacht und auch noch nach dem Selbstputsch Fujimoris gegen den Autoritarismus Stellung bezogen. In den letzten zwei Jahren war er jedoch punktuell in suspekte Nähe zum Regime gerückt. So stützte er beispielsweise die pseudo-legale Argumentation der Regierung, mit der diese im Juli letzten Jahres den regierungskritischen Sender Frecuencia Latina (vgl. LN 279/280) zum Schweigen gebracht hatte.
Bei seiner Antrittsrede für das Premierministeramt gab sich Valle Riestra zwar betont demokratisch. Er forderte die fujimoristische Kongreßmehrheit auf, wieder in den rechtsstaatlichen Rahmen zurückzukehren und die eklatant verfassungswidrige Gesetzgebung der letzten Jahre, insbesondere das Wiederwahlgesetz, rückgängig zu machen. Die fujimoristische Fraktion ließ sich freilich nicht von ihrem autoritären Kurs abbringen; Denn das Amt des Premierministers war ohnehin nie mit effektiver Gestaltungsmacht verbunden und ohne Rückendeckung des Präsidenten – der ihn immerhin ernannt hatte – oder weiterer Kabinettsmitglieder, sah er sich gezwungen, am 7. August, nach nur 54 Tagen im Amt, zurückzutreten.

Der nächste bitte!

Que pase el que sigue, titelte unmittelbar nach der Festnahme Pinochets die linke Tageszeitung Página/12, was sich sinngemäß mit „Der nächste bitte“ übersetzen läßt. Die Geschehnisse in Europa wecken erneut Hoffnungen bei den Opfern der argentinischen Militärdiktatur von 1976 bis 1983, die sich nie mit der Amnestie von 1987 abgefunden haben und in zahlreichen Organisationen unablässig die Aufklärung der Schicksale der Verschwundenen und die Bestrafung der Verantwortlichen fordern. Spontan wurden Solidaritätskundgebungen unter Nachbarn organisiert, die die Verurteilung des Diktators forderten. Kundgebungen, die eher Freudenfesten glichen.
„Die Festnahme Pinochets hat mich sehr glücklich gemacht“, erklärte Graciela Fernández Meijide, Abgeordnete der oppositionellen Alianza und mögliche Präsidentschaftskandidatin 1999. Selbst Mutter eines verschwundenen Sohnes, fuhr sie fort: „Ich sah förmlich das sprachlose Erstaunen dieses Mannes, der sich für allmächtig hält und nun ausgerechnet in dem Land festgenommen wird, das er als Freund ansah.“ Hebe de Bonafini, Vorsitzende der Mütter der Plaza de Mayo (Gründerlinie), reiste sofort nach London, um dort die Forderungen der chilenischen Opfer der Diktatur zu unterstützen. Aber vor allem, um Präsident Carlos Menem auf seiner Reise nach England als moralischer Schatten zu begleiten und ihn zu Aussagen auch über das Geschick der argentinischen Militärs zu zwingen.
Im Gegensatz zu Chile wird das Thema der Verbrechen der Diktatur in Argentinien nicht in einen Mantel des Schweigens gehüllt. Erst vor zwei Monaten sendete das staatliche Fernsehen eine Reportage über die ESMA (Escuela Mécanica de la Armada), die ein Symbol für die Greueltaten der Militärs ist. Protestaktionen gegen Miltärs sind in Buenos Aires fast schon eine Alltäglichkeit. Jeden Donnerstag drehen die Madres de Plaza de Mayo ihre Runden vor dem Regierungsgebäude und fordern Aufklärung über den Verbleib ihrer Angehörigen. Und die Kinder verschwundener Eltern markieren während sogenannter „escraches“ die Wohnhäuser verantwortlicher Militärs mit Farbe und Mehl, wann immer sie die Adresse eines der Mörder und Folterer ausfindig machen können.
Die Hoffnungen der argentinischen Opfer richteten sich vor allem an das Ausland. Die Festnahme Pinochets eröffnet nun eventuell auch neue Wege für die Gerichtsverfahren, die gegen argentinische Militärs in Europa anhängig sind (vgl. LN 288 und 293).
Am 2. November hat Frankreich im Zuge des Erlasses eines internationalen Haftbefehls gegen Pinochet ähnliche Schritte gegen argentinische Befehlshaber angekündigt. Der spanische Richter Baltasar Garzón ermittelt im Zusammenhang mit dem Plan Cóndor, zu dem er Pinochet befragen möchte, gegen argentinische Befehlshaber.

Der Zufall wollte es: Menem reiste nach London

Die Festnahme Pinochets konnte für Präsident Carlos Menem zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt erfolgen – wenige Tage vor seinem Besuch in London, den er lange Zeit gründlichst vorbereitet hatte. Geplant war der Auftritt eines argentinischen Präsidenten, der es fertigbringt, mit England über die Falklandinseln zu verhandeln. Die unerwarteten Geschehnisse in London dagegen machten aus dem Prestigeprojekt eine heikle Angelegenheit, denn die Situation konnte paradoxer nicht sein. Ausgerechnet der ehemalige Verbündete der Briten im Falklandkrieg wurde von ihnen festgenommen, während sie den ehemaligen Gegner in allen Ehren empfingen.
„Der Richter, der die Festnahme beantragt, ist Spanier. Der, der sie ausführt, Engländer. Und der Festgenommene ist Chilene. Das ist also ein Problem zwischen England, Spanien und Chile.“ So der argentinische Präsident in einer ersten Reaktion. Lange aber konnte Menem sich nicht verstecken. Spätestens als der chilenische Präsident Eduardo Frei alle seine lateinamerikanischen Nachbarn um Unterstützung seiner Forderung auf Freilassung des Ex-Diktators bat, mußte er Farbe bekennen. Sich auf die Unantastbarkeit der Staatssouveränität berufend, appellierte er nun auch an die Engländer, den Senator auf Lebenszeit freizulassen.
Menems Entscheidung, ausgerechnet den Erzfeind vor seinen „Henkern“ zu verteidigen, hat verschiedene Ursachen. Menem war sich bewußt, daß sein Besuch in London nicht die Erfolge zeitigen würde, die er erhofft hatte, schon gar nicht unter diesen Umständen. Die britische Regierung erklärte von Anfang an, daß sie nicht über die Staatszugehörigkeit der Malvinen verhandeln wird.
Außerdem braucht Menem ein gutes Verhältnis zur chilenischen Elite, kurz vor Abschluß der Verhandlungen um die Inlandeismassen in Argentinien und Chile. Es handelt sich hierbei um einen Grenzkonflikt in Patagonien, der schon seit der Zeit der spanischen Herrschaft schwelt. Dabei geht es nicht nur um Land, sondern vor allem um das Wasser des Inlandeises und der Gletscher. Verhandlungen und Vermittlungen scheiterten immer wieder. Die Region birgt die ständig latente Gefahr gegenseitiger Aggressionen. Nach der Darstellung der argentinischen Seite nutzten die Chilenen problematische Situationen des Nachbarlandes immer wieder aus, um Gebiete zu erobern, zum Beispiel während des Falklandkrieges. Pinochet unterstützte nicht nur die Engländer, sondern nutzte auch die Truppenkonzentration der Argentinier auf den Inseln aus, um in deren Gebiet im Süden vorzudringen. Trotzdem stellt Menem sich heute auf die Seite des Diktators. Würde er Freis Bitte nämlich abweisen, gäbe es keine Möglichkeit mehr auf eine gütliche Einigung in diesem Konflikt während seiner Amtszeit. Denn es sind vor allem die rechten Kräfte in Chile, die sich den Verhandlungen widersetzen und ohne deren Einverständnis die Regierung Frei kein Abkommen unterzeichnen könnte. Würde diese wichtige Mission scheitern, nähme Menems Ansehen nicht nur in Argentinien großen Schaden.

Präsidententräume

Im kommenden Jahr wird die Stelle des Präsidenten der OEA (Organisation der amerikanischen Staaten) frei. Seit Menems Scheitern, die argentinische Verfassung so zu ändern, daß seine erneute Wiederwahl als Präsident der Republik möglich ist, wird gemutmaßt, er wolle Präsident der OEA zu werden. In diesem Fall wäre das Image des Friedenstifters, das er seit Jahren aufzubauen versucht, entscheidend. Nicht umsonst reiste er kurz vor seinem Besuch in London nach Brasilien, um dort bei der Unterzeichnung des Friedensabkommen zwischen Peru und Ecuador anwesend zu sein und sich als Vermittler zu profilieren.
Auch die jahrelangen Bemühungen um Verhandlungen mit England über eine friedliche Lösung des Falkland/Malvinen-Konfliktes dienten dem Image des Friedensstifters.
Aber Menems verteidigende Haltung Pinochet gegenüber hat auch eine innenpolitischen Ursache. Zwischen dem Präsidenten und dem argentinischen Militär besteht eine stillschweigende Übereinkunft, die offiziell ihren Ausdruck im Schlußpunktgesetz, dem Gesetz des unbedingten Gehorsams und in den Amnestien findet. Das bringt ihn dazu, die Verbrechen der eigenen Befehlshaber während der Diktatur vor aller Welt zu verteidigen. Als Menem 1989 die Präsidentschaftswahl gewonnen hatte, wollte er aufgrund der ökonomischen Situation strikte Sparmaßnahmen im Staat durchführen. Die ließen sich nur realisieren, indem auch die Armee radikal verkleinert wurde. Zudem stand seine Regierung unter moralischem Druck durch das Ausland, das nach der Diktatur und dem Falklandkrieg eine Änderung der militärischen Strukturen forderte. Aber das Heer rebellierte. So kam es zu den Zugeständnissen, die sich mit den Worten umschreiben lassen: Ich gebe euch die Freiheit und garantiere eure Unantastbarkeit auch in der folgenden Zeit, und ihr laßt meine Kürzungen des Militärbudgets, Entlassungen im Wehrdienst und die Abschaffung desselben zu.
Deshalb verwundert es nicht, daß die Regierung Menem sich auch heute noch vor die Militärs stellt und in Anbetracht der „Gefahr“, die die neue Situation nach der Festnahme Pinochets weltweit eröffnet hat, mit aller Macht auf das Prinzip der Staatssouveränität pocht.

Menem, der Friedenstifter

Innenminister Carlos Corach erklärte, Argentinien erkenne zwar die grenzenübergreifende Gültigkeit der Menschenrechte an, werde aber keiner Auslieferung seiner Militärs zustimmen. Im Gegensatz zu Chile ist der Fall Argentinien ein anderer, fügte er hinzu, denn „hier ist die Unterdrückung eine Sache, über die schon gerichtet wurde.“ Corach bezieht sich damit auf die Verfahren, die unmittelbar nach dem Ende der Diktatur 1983 gegen die Verantwortlichen der verschiedenen Militärjuntas durchgeführt wurden, und auf die Strafen, die gegen sie verhängt wurden. Aufgrund des oben genannten „Abkommens“ aber sind diese Strafen heute amnestiert und die Repressoren frei.

Doppeltes Präsidentensolo

Ich bin angetreten, um das
Land vor dem Sinken zu bewahren.“ Die Dimension seines feierlichen Versprechens zum Amtsantritt am 10. August dürfte Ecuadors neuem Präsidenten Jamil Mahuad inzwischen deutlich geworden sein. Nach der Verabschiedung eines Maßnahmenpaketes zur Stabilisierung der stark angeschlagenen Wirtschaft schlug die abwartende Haltung der Bevölkerung um: Ende September und Anfang Oktober fanden mehrere Protestmärsche der Gewerkschaften, Studierenden und der indigenen Bewegung statt, bei denen es zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Vier Tote und über hundert Festnahmen sind neben erheblichem Sachschaden die traurige Bilanz.
Dabei hatte der 49jährige Christdemokrat die Sympathien zunächst auf seiner Seite: Nach den chaotischen Verhältnissen der letzten Jahre unter Präsident Abdalá „el loco“ Bucarám, nach dessen Amtsenthebung wegen „geistiger Unfähigkeit“ und der Interimspräsidentschaft von Fabián Alarcón schien der Harvardabsolvent Mahuad der lang ersehnte Garant für Stabilität zu sein. Der ehemalige Bürgermeister von Quito war am 12. Juli mit der absoluten Mehrheit der Stimmen als Sieger aus der Stichwahl hervorgegangen.

Ein „richtiger“ Präsident und richtige Probleme
Doch die weitverbreitete Meinung, mit Mahuad endlich wieder einen „richtigen“ Präsidenten zu haben, täuscht nicht über die katastrophale wirtschaftliche Situation des Landes hinweg. Nicht nur den „klassischen“ Problemen wie hoher Inflation (über 40 Prozent), hoher Auslandsverschuldung und wachsendemn Haushaltsdefizit muß getrotz werden, sondern in der durch das Klimaphänomen El Niño verwüsteten Küstenregion stehen zusätzlich dringend benötigte Infrastrukturinvestitionen und die Wiederherstellung der sanitären Grundversorgung der Bevölkerung an.
Das von Mahuad angepeilte Wirtschaftswachstum von 5 Prozent muß nicht nur im Zeichen niedriger Weltmarktpreise für das Hauptexportprodukt Erdöl mit einem dicken Fragezeichen versehen werden. Die Asienkrise hat in Ecuador empfindliche Spuren hinterlassen, wurden doch auch die beiden anderen Hauptexportprodukte Shrimps und Bananen insbesondere von Ländern aus dem asiatischen Raum abgenommen. Mit der Förderung ausländischer Investitionen, einer rigoroseren Steuerpolitik und deutlich geminderten Staatsausgaben als zentralen Ansätzen im Kampf gegen Armut und die weitverbreitete Korruption bewegt sich Mahuad noch konsequenter auf neoliberalem Terrain als seine Vorgänger, die ihren Kurs mit den unterschiedlichsten Etiketten zu verschleiern suchten.

Konsequent neoliberal
„Schmerzhaft, aber notwendig“, verteidigte Mahuad seine Verordnungen und kündigte hartes Durchgreifen an. Der Abbau von staatlichen Subventionen bei Elektrizität, Gas und Diesel führte unter anderem zum Anstieg der Treibstoffpreise um 400 Prozent und zog eine Preiserhöhung der wichtigsten Grundnahrungsmittel und des öffentlichen Transports nach sich. Die geplante finanzielle Unterstützung in Höhe von 15 US-Dollar für Familien mit einem Monatseinkommen von unter 160 US-Dollar mutet vor diesem Hintergrund recht kläglich an und wurde von Sprechern der Dachgewerkschaft Frente Unitario de Trabajadores (FUT) als Farce gebrandmarkt. Mahuads Image als integrer und effizienter Politiker ist zweifelsohne eine nicht zu unterschätzende Starthilfe, letztendlich aber wurden durchgreifende wirtschaftspolitische Maßnahmen auch dem Populisten Bucarám zum Verhängnis. Ein Generalstreik gegen Mahuads Austeritätspolitik unter Federführung der indigenen Dachorganisation CONAIE ist nach Aussagen ihres Präsidenten Antonio Vargas Huatatoca nur eine Frage der Zeit.
Aber – so der Kommentar des Journalisten Jorge Ortiz in der Tageszeitung HOY Anfang Oktober – die Zeiten, in denen mit einer neuen Regierung auch die Hoffnung auf Linderung der drängendsten Probleme verbunden war, sind in Ecuador lange vorbei. Vorherrschend ist heute die Hoffnung, die neue Regierung möge zumindest nicht auch noch die letzten Perspektiven zerschlagen.

Friedensvertrag
als Chefsache
Ein anderer Schwerpunkt in Mahuads Wahlprogramm – das Friedensabkommen in dem seit über 170 Jahren schwelenden Grenzkonflikt mit Peru – stand zunächst ebenfalls unter einem schlechten Stern: Der peruanische Präsident Alberto Fujimori hatte seinen Besuch zum Amtsantritt Mahuads kurzfristig abgesagt, nachdem es Anfang August erneut zu Zwischenfällen an der Grenze im Amazonastiefland gekommen war. Inzwischen aber haben beide Mandatsträger den Friedensvertrag zur Chefsache erklärt – und zwar ausschließlich! Nachdem Fujimori und Mahuad bereits Ende September bei ihrer Zusammenkunft auf dem Landsitz des brasilianischen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso bei Brasilia ihre Außenminister zu Hause gelassen hatten, deutet auch ihr weiteres Vorgehen auf einen Alleingang in Sachen Frieden hin.

Fujimori – einer gegen alle
Der peruanische Außenminister Eduardo Ferrero reagierte auf dieses Präsidentensolo mit seinem Rücktritt. Seinem Beispiel folgte nicht nur sein Stellvertreter, sondern eine ganze Reihe namhafter Politiker in Schlüsselpositionen im Umfeld der für die Grenzverhandlungen zuständigen Kommission. Ferrero gilt als Vertreter der „harten Linie“, und die hinter seinem Rücktritt vermuteten Differenzen mit Fujimori über die Verhandlungsstrategie dürften auch das peruanische Militär interessieren. Während die ecuadorianische Presse die Angelegenheit als hoffnungsvolles Signal bewertete, herrschte in der öffentlichen Meinung in Peru Mißtrauen vor.
Fujimori geht nämlich nicht nur mit seinem politischen Umfeld und immer wieder auch dem Militär auf Konfrontationskurs, sondern hat außerdem den Volkszorn gegen sich: Ein nationaler Streik der LehrerInnengewerkschaft, Bauarbeiter und Studierenden am 30. September unter dem Motto „No a la dictadura“ war nur der Auftakt einer Reihe von Protestaktionen gegen Fujimori und seine Pläne einer erneuten Kandidatur. Fujimori stellte aus freiwerdenden Ressourcen des Militäretats 200 Millionen US-Dollar jährlich für soziale Projekte in Aussicht – außer einem handfesten Argument für den Frieden auch ein deutlicher Versuch, die Wogen zu glätten.

Politisches Prestige
im Ausland
Entscheidender Faktor in dieser unerwarteten Friedensdynamik ist jedoch zweifelsohne das außenpolitische Prestige, was beide Präsidenten sich versprechen. US-Präsident Clinton höchstpersönlich hatte die zügige Beendigung der Unstimmigkeiten am 30. September angemahnt. Der Konflikt ist nicht nur für größere Investitionsprojekte sondern auch für raumwirtschaftliche Integrationsvorhaben wie die Andine Gemeinschaft oder Clintons Vision einer panamerikanischen Freihandelszone ein bedeutendes Hemmnis. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum es sich in den USA viel gemütlicher plaudert als auf dem heimischen Sofa: Fujimorireiste seinem ecuadorianischen Amtskollegen kurzentschlossen nach New York hinterher, wo dieser am 3. Oktober vor den Vereinten Nationen und der Weltbank sein Regierungsvorhaben erörterte.

Freier Zugang
zum Amazonas
Aber die Verhandlungen sind alles andere als nur Fassade: Mit der Unterzeichnung eines Abkommens über freien Handel und Schiffsverkehr wurde Ecuador in Cardosos Landsitz der Zugang zum Amazonas garantiert, der von ecuadorianischer Seite als zentrale Forderung in die 1996 wieder aufgenommenen Verhandlungen eingebracht worden war. Der Friedensvertrag aus dem Jahre 1942 – das sogenannte Protokoll von Rio de Janeiro – wurde von Ecuador unter anderem all die Jahrzehnte grundsätzlich in Frage gestellt, da der in Artikel VI verankerte freie Zugang zum Amazonas nur auf dem Papier bestand. Ecuador hatte damals mit dem Vertrag de amistad y límites über 200.000 Quadratkilometer – rund die Hälfte des nationalen Territoriums – an Peru verloren. Das Zugeständnis von freiem Handel und Schiffsverkehr auf dem Amazonas ist insofern ein entscheidender Durchbruch, da Ecuador, das sich als pais amazónico versteht, damit die Möglichkeit einer „würdigen“ Lösung des Konfliktes eingeräumt wird.

„Sicherheitsabstand“
oder Nationalpark?
Tatsächlich ist der Abschluß eines Friedensvertrages noch vor Jahresende geplant. Bei einer endgültigen Demarkierung der 78 Kilometer des umstrittenen Grenzverlaufs in der Cordillera del Cóndor allerdings haben nicht die Präsidenten das Sagen sondern die Karthographen – und die sind nicht nur in Ecuador in erster Linie Angehörige des Militärs. Die multinationale Beobachtertruppe MOMEP aus Vertretern der vier Garantenstaaten des Rio-Protokolls Argentinien, Brasilien, Chile und den USA, plädierte deshalb für einen entmilitarisierten „Sicherheitsabstand“ von rund 60 Kilometern. Im Gespräch ist ebenso ein „grenzenloses“ binationales Naturreservat, das jedoch angesichts des Ressourcen- und Infrastrukturpotentials der Region wohl Wunschdenken bleibt.
Die Vertretung der Amazonasethnie Shuar, deren Untergruppen sowohl auf ecuadorianischem wie auf peruanischem Staatsgebiet leben, machte unterdessen deutlich, daß sie in dieser Angelegenheit auch ein Wörtchen mitzureden habe und Kolonisierungsvorhaben grundsätzlich ablehne.

Minen müssen
geräumt werden
Zumindest wird bereits über die Entschärfung der im Grenzgebiet ausgelegten Minen diskutiert – zwischen 60.000 und 100.000 Stück schätzen peruanische Experten auf ecuadorianischem Gebiet. Die gemeinsame Räumung – vor allem die gemeinsame Übernahme der Kosten – könnte somit zum Prüfstein einer politisch tragfähigen Lösung werden. Die USA signalisierten bereits Unterstützung, wie auch im wirtschaftlichen Bereich mit „Unterstützung“ zu rechnen ist, sobald das Abkommen unter Dach und Fach ist.
So üben sich Mahuad und Fujimori im öffentlichen Schulterschluß: In einer gemeinsamen Pressekonferenz in Brasilia betonten sie die „fruchtbare und herzliche“ Atmosphäre und bemühten das vielstrapazierte Bild vom gemeinsamen Boot, in dem sie den „Hafen des Friedens“ erreichen wollen. Alberto Fujimori beschwerte sich scherzhaft über die schlechten Telefonleitungen des nördlichen Nachbarstaates: „Jedesmal, wenn ich mit Präsident Mahuad telefoniere, bricht die Leitung zusammen. Aber Jamil hat mir versprochen, die Telekommunikation zu privatisieren.“
Doch trotz der Nähe, in die ein endgültiges Friedensabkommen gerückt zu sein scheint: Hinter einer politischen Einigung auf höchster Ebene stehen Jahrzehnte der Konfrontation und des gegenseitigen Mißtrauens, die vor allem in Ecuador im politischen Diskurs eine zentrale Rolle spielen und fest im gesellschaftlichen Bewußtsein verankert sind. Dem Nachbarn Peru heimliche Aufrüstung vorzuwerfen, ist nur eines der fest etablierten Rituale im ecuadorianischen Polit-Alltag.
Aber diese binationalen Empfindlichkeiten vergißt auch Fujimori gelegentlich: So insistierte er auf besagter Pressekonferenz in derselben ausgelassenen Stimmung, auch Jamil Mahuad solle die Einsparungen des Militärhaushaltes in einem Friedensabkommen verbindlich festlegen. Dessen trockene Anwort ließ ihm sein Lächeln zur Grimasse erstarren: „Im Gegensatz zu euch, gibt es bei uns ja kaum etwas einzusparen“.
Elisabeth Schumann

Das Gespenst Bucarams

Wenn Noboa Präsident wird, müssen wir gleich noch einen neuen Übergangspräsidenten wählen!“ Diese Aussage bringt das Horrorszenario vieler EcuadorianerInnen auf den Punkt. Die Angst ist groß, das Land könnte auch nach der Stichwahl am 12. Juli nicht zur Ruhe kommen. Die tiefe politische Krise der letzten Jahre könnte in die nächste Runde gehen. Andererseits haben bei Wahlpflicht rund 30 Prozent der WählerInnen eben diesem Noboa Ende Mai ihre Stimme gegeben – ein Ausdruck dafür, daß das Vertrauen der Bevölkerung in die politischen Institutionen des Landes einen neuen Tiefpunkt erreicht hat.
Noboa tritt als erfolgreicher und patriotischer Geschäftsmann im Namen des Poder de los Pobres auf, der „Macht der Armen“. Doch nicht nur hierin liegen Parallelen zu seinem politischen Ziehvater Bucaram, der sich aus seinem Exil in Panama immer wieder lautstark zu Gunsten Noboas in den Wahlkampf eingeschaltet hat. Mit der gleichen Sturheit wie der Ex-Präsident verweigerte er sich konkreten inhaltlichen Aussagen, Interviews und Fernsehdebatten. Und dennoch hat Noboa als der reichste Mann des Landes handfeste Argumente: Im Zentrum seiner ausschließlich auf die Küstenregion des Landes zugeschnittenen Kampagne stand sein Versprechen, den Wiederaufbau der durch das Klimaphänomen El Niño völlig verwüsteten Gebiete voranzutreiben. Er finanzierte mobile Krankenstationen, verschenkte Medikamente und Grundnahrungsmittel.
Nicht einmal eineinhalb Jahre ist es her, daß über zwei Millionen EcuadorianerInnen in landesweiten Demonstrationen die Absetzung des damaligen Präsidenten Bucaram von der populistischen Partido Roldosista Ecuatoriano (PRE) gefordert und bekommen haben: Am 7. Februar 1997 wurde er wegen „geistiger Unfähigkeit“ durch den Kongreß seines Amtes enthoben (vgl. LN 273). Nachträglich wurde diese juristisch äußerst umstrittene Entscheidung ebenso per Volksabstimmung legitimiert wie die Ernennung von Fabián Alarcón, dem damaligen Parlamentspräsidenten und ehemaligen Bucaram-Verbündeten, zum Übergangspräsiden-ten bis zu vorgezogenen Neuwahlen.

„Aladrón“ – zurück zur „Normalität“

Alarcóns Regierungsstil war von Anfang an dadurch geprägt, daß seine Präsidentschaft nicht auf einem überzeugenden Programm, sondern ausschließlich auf der öffentlichen Ablehnung Bucarams gründete. Im Parlament hing er von anderen ab: Seine Fraktion verfügte lediglich über zwei Abgeordnete. Schon im Moment seines Amtsantritts verpaßte Alarcón die Gelegenheit, Enthusiasmus und Entschlossenheit der Februar-Demonstrationen für seine Regierungsarbeit zu nutzen. Nachdem die von ihm angestrebte Verlängerung seines Mandates bis zum Jahre 2000 per Mehrheitsbeschluß des Parlaments vom Tisch war, beschränkte er sich darauf, unpopuläre Entscheidungen aufzuschieben und für die Dauer seiner eineinhalbjährigen Amtszeit zwischen den Fronten zu manövrieren. Wer geglaubt hatte, mit dem Ende Bucarams werde sich eine neue politische Kultur etablieren, wurde enttäuscht. Zwar ging die Korruption unter Alarcón auf ein „normales“ Ausmaß zurück, doch auch er hatte bald seinen Spitznamen weg: „Aladrón“ nach dem spanischen ladrón: Dieb, Räuber.
Die größeren Parteien erteilten jeglicher Kooperation mit der Regierung Alarcón früher oder später eine Absage und bereiteten sich sorgfältig auf den Wahlkampf vor. Gleichzeitig bestand jedoch kein Interesse daran, Alarcón vorzeitig abzusägen, das Ergebnis wäre schließlich nur eine Übergangsregierung zur Ablösung einer Übergangsregierung gewesen. So waren Belanglosigkeit und Übergangscharakter der beste Schutz für die Regierung Alarcón.
Für die ecuadorianische Wirtschaft war Alarcóns Verzögerungstaktik nicht unbedingt hilfreich. Krisenstimmung herrscht vor, denn sowohl der Grenzkonflikt mit dem Nachbarstaat Peru Anfang 1995 und das Durcheinander der Amtszeit Bucarams haben Spuren hinterlassen. Dazu kommen zwei aktuelle Probleme: zum einen die Folgen des Klimaphänomens El Niño, zum anderen der Verfall des Rohölpreises auf dem Weltmarkt.

Verschärfte Bedingungen: El Niño und sinkende Ölpreise

El Niño hat in der Küstenregion des Landes immense Sturm- und Überschwemmungsschäden verursacht, bei denen über 200 Menschen ums Leben kamen. Rund 26.000 Menschen haben ihre Hütten und geringen Besitztümer in den gewaltigen Wassermassen verloren und leben derzeit in provisorischen Aufnahmelagern oder sind in die Städte migriert. Trinkwasserknappheit sowie schlechte Hygienebedingungen tragen zur Gefahr von Epidemien bei: Denguefieber, Malaria, auch einige Cholerafälle sind bereits aufgetreten. Die Verkehrsinfrastruktur ist weitgehend zusammengebrochen: Zahlreiche Brücken sind eingestürzt, Straßen sind verwüstet. Das Ausmaß der Schäden ist bislang nur zu erahnen.
Der Ölpreis auf dem Weltmarkt ist seit November letzten Jahres von 16 US-Dollar auf 9 US-Dollar pro Barrel gesunken. Auf der Basis durchschnittlicher Exporterlöse der neunziger Jahre bedeutet jeder Dollar weniger pro Barrel für Ecuador einen Verlust von etwa 7,5 Millionen US-Dollar im Monat. Im Vergleich zu den achtziger Jahren hat die Abhängigkeit des Staatshaushaltes vom Erdölexport zwar abgenommen, nach wie vor aber nimmt der Erdölsektor mit 35,7 Prozent der Staatseinnnahmen eine entscheidende Rolle ein.

Alarcóns Erbe ist wenig verlockend

Vor diesem Hintergrund mußten die Konjunkturprognosen deutlich korrigiert werden. So erwarten Experten für dieses Jahr nur noch eine Wachstumsrate von 1,5 Prozent gegenüber prognostizierten 2,5 Prozent. Im Vorjahr konnte noch ein Wirtschaftswachstum vom 3,4 Prozent verzeichnet werden. Das Haushaltsdefizit von 6,9 Prozent des Bruttosozialproduktes, das Bucaram hinterlassen hatte, konnte nicht abgebaut werden, sondern nähert sich kontinuierlich der 8-Prozent-Marke.
Eine Inflationsrate von 25 Prozent hatte die Regierung für 1998 angesteuert, aber von diesem Wert spricht niemand mehr. Selbst Prognosen von 35-38 Prozent erweisen sich angesichts der Konjunkturdaten als sehr optimistisch.

Die Asamblea Nacional – Trumpfkarte der Regierung

Lange blieb der Übergangsregierung ein politischer Trumpf: Sie hatte versprochen, die von der indigenen Dachorganisation CONAIE seit Beginn der neunziger Jahre und später auch anderen Vertretern unterschiedlicher sozialer Bewegungen und den Gewerkschaften geforderten Versammlung zur Verfassungsreform einzuberufen – eine Art Aushängeschild für Alarcóns Zugeständnisse und für seine Dialogbereitschaft.
Erste Zweifel regten sich schnell: die amtlichen Formulierungen bezüglich des rechtlichen Status der Asamblea Nacional und somit ihrer Kompetenzen gegenüber Legislative und Exekutive ließen Hintertüren offen. Vorschläge der Versammlung zur Überarbeitung der Verfassung erfolgen somit „unter Vorbehalt“ (vgl. LN 279/280). Aus Protest veranstaltete die CONAIE gemeinsam mit der Koordinierungsstelle sozialer Bewegungen ab dem 12. Oktober vergangenen Jahres eine eigene Versammlung, eine Asamblea Popular, in der sie ihre Forderungen u.a. nach der Festschreibung Ecuadors als „plurinationalen Staat“, die Stärkung indigener Rechte und Institutionalisierung von Partizipationsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft formulierten.

Mühsame Einigung

Nach einer langwierigen Debatte erzielten Parlamentsabgeordnete und VertreterInnen aus Wirtschaft und sozialen Bewegungen eine Einigung: Die Versammlung sollte ihre Arbeit am 20. Dezember 1997 für die Dauer von 60 Tagen aufnehmen und Vorschläge zur Reform der Verfassung erarbeiten. Gemäß der Ergebnisse der Volksabstimmung erfolgte die Wahl der KandidatInnen direkt, wovon sich die VertreterInnen unterschiedlicher sozialer Bewegungen eine größere Chance versprachen als von Wahlen nach Listen. Leider verkehrte sich diese Hoffnung in das Gegenteil, da das System die etablierten Parteien und bekannten Persönlichkeiten begünstigte. Ursprünglich Ausdruck des Protestes weiter Teile der Bevölkerung und Vision einer Alternative, mutierte die Versammlung zu einem Forum mit vergleichbaren Konstellationen wie im Parlament, auch wenn immerhin nicht nur BerufspolitikerInnen, sondern auch andere Berufsgruppen vertreten waren.

Konservative Allianz gibt die Richtung vor

Im Vordergrund der Diskussionen standen formale Aspekte wie Anzahl der VertreterInnen, Abstimmungsmodalitäten usw.. Wie unterschiedlich indes die politischen Vorstellungen waren, wurde spätestens mit Beginn der Arbeit der Asamblea deutlich. Während die sozialen Bewegungen auf neue Partizipationsmöglichkeiten und die Stärkung ihrer Vertretung gehofft hatten, sahen viele der auf Machterhalt bedachten ParteienvertreterInnen in ihr allenfalls ein Instrument zur Stärkung der Exekutive. Die Allianz zwischen dem neoliberalen PSC und der christdemokratischen Democracia Popular (DP), mit 20 und 10 VertreterInnen von 70 Sitzen die beiden stärksten Fraktionen, gab die Richtung vor. Das Mitte-Links-Spektrum mußte seine Prioritäten zurückschrauben. Ex-Präsident Osvaldo Hurtado (DP) wurde zum Vorsitzenden der Versammlung gewählt und setzte sich für seine Vision der besseren Regierbarkeit ein, das heißt Reformen vor allem innerhalb der parlamentarischen Strukturen. Nach Ablauf des Mandats am 30. April beschlossen die VertreterInnen eigenständig die Verlängerung ihres Mandats bis zum 5. Juni, woraufhin Alarcón ihnen seine Unterstützung endgültig entzog.

Rückendeckung für Mahuad

Die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen am 12. Juli entscheidet somit auch über das Schicksal der erarbeiteten Vorschläge zur Verfassungsreform. Was Noboa aus diesen Vorschlägen machen würde, ist völlig ungewiß. Neben Noboas Nähe zu Bucaram liegt hier der Grund dafür, daß die Verlierer der ersten Runde, Ex-Präsident Rodrigo Borja von der sozialdemokratischen Izquierda Democrática (ID) und der bekannte Fernsehjournalist Freddy Ehlers mit seinen Movimiento Ciudadanos Nuevo País den christdemokratischen Gegenkandidaten Mahuad unterstützen.
„Auch wenn zwischen seinen ideologischen Ansichten und Prioritäten für das Regierungsprogramm und unseren Positionen gewaltige Unterschiede sind, Mahuad ist jedenfalls kein Instrument des Bucaram-Populismus“, verkündete Borja in einem Interview Anfang Juni. León Febres-Cordero, Ex-Präsident, Bürgermeister von Guayaquil und Oberhaupt der neoliberal-autoritären PSC hingegen hat sich die Unterstützung Noboas vorbehalten, ebenso wie auch einzelne Vertreter des Amazonas-Flügels der indigenen Partei Pachakutik noch mit dem populistischen Kandidaten in Verhandlungen stehen.
Ehlers, der sich bei den Wahlen 1996 als politischer Neuling und Hoffnungsträger breiter Teile des gemäßigten linken WählerInnenpotentials etablieren konnte, aber in der ersten Runde ausschied, kam diesmal nur auf knapp 13 Prozent und liegt damit noch hinter Borja, der knapp 15 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Ehlers gelang es nicht, die zersplitterte Linke hinter sich zu bringen und verlor, nachdem Mahuad (DP) und später Borja (ID) in den Wahlkampf eingestiegen waren, beständig an Boden.

Jaime Nebot – die „neue“ PSC?

Vor allem aber brachte Jaime Nebots Verzicht auf eine Kandidatur für den autoritär-neoliberalen Partido Social Cristiano (PSC) die Wahlprognosen gründlich durcheinander. Die PSC ist nicht nur traditionell die stärkste Fraktion im Kongreß, Nebot wurde auch sowohl 1992 und 1996 in der ersten Runde stimmenstärkster Kandidat. In der letzten Wahl bildete sich im Mitte-Links-Spektrum eine breite „Stop-Nebot-Front“, die Abdalá Bucaram als dem vermeintlich kleineren Übel zum Sieg verhalf.
Parteiinterne Streitigkeiten um Nebots Kooperationskurs gegenüber dem christdemokratischen Bündnispartner DP in der Asamblea Nacional führten dazu, daß die in Guayaquil beheimatete PSC letztendlich tatsächlich keinen eigenen Kandidaten stellte und damit der Bucaram-Marionette Noboa das Feld – das heißt die WählerInnenstimmen der Küste – überließ. Ecuador ist von regionalen Rivalitäten außerordentlich stark geprägt, so daß die geographische Heimat eines Kandidaten nicht selten bedeutender ist als seine politische Heimat. Um die Stimmen des Hochlands bemühten sich hingegen fünf KandidatInnen des Mitte-Links-Spektrums.

Mahuad als „Mann der Mitte der Welt“

Profitiert hat von Nebots Rückzug vor allem Jamil Mahuad, Bürgermeister von Quito und Kandidat der christdemokratischen DP. Er konnte sich als „Mann der Mitte“ profilieren und Nebots verwaistes WählerInnenpotential im Hochland mit dessen Unterstützung zum Teil für sich gewinnen. Mit 36,66 Prozent der Stimmen ging Mahuad als eindeutiger Sieger aus der ersten Runde hervor. Im andinen Hochland erfreut sich der Rechtswissenschaftler und Verwaltungswirt großer Beliebtheit. 1996 wurde er in seinem Amt als Bürgermeister von Quito bestätigt und hatte während der Demonstrationen und dem Sturz Bucarams im Februar 1997 eine entscheidende Vermittlerrolle zwischen Kongreß, Streitkräften und dem Botschafter der USA inne.
Sein Programm unterscheidet sich kaum von dem der anderen und läßt sich im wesentlichen auf die Modeworte Privatisierung, Flexibilisierung, Liberalisierung und Dezentralisierung reduzieren. In seinem Wahlkampfspot spazierte Mahuad um Ecuadors bekanntes Äquatordenkmal Mitad del Mundo (Mitte der Welt) mit einem Fuß auf der Nord- und dem anderen auf der Südhalbkugel – eben ein „Mann der Mitte“. Mahuad baut nun auf die Stimmen derer links von der Mitte, die Noboas Wahl in jedem Fall verhindern wollen.
Die Krise des politischen Systems Ecuadors geht weiter, die Parteien sind weit entfernt von der Gesellschaft und weitgehende Partizipationsmöglichkeiten, wie sie von sozialen Bewegungen ge-fordert werden, sind noch nicht in Sicht. Bucaram stellt zwar die Karikatur eines Politikertyps dar, ist aber in der ecuadorianischen „Partidocracia“ alles andere als ein Einzelfall. Das Vertrauen der WählerInnen in die politischen Institutionen des Landes ist so grundlegend erschüttert, daß die immer kurzfristigere Orientierung – „Der Staat kann mir sowieso nicht helfen, Noboa schenkt mir wenigstens Reis.“ – fatalerweise Sinn macht. Angesichts dieser verfahrenen Situation sind die von der Asamblea Nacional erarbeiteten Reformvorschläge trotz Bedenken grundsätzlicher Art ein Anlaß zur Hoffnung auf einen Minimalkonsens, der die Wahl des Bucaram-Freundes Noboas verhindern und den Staat über unterschiedliche politische Ansichten hinweg zumindest wieder manövrierfähig machen könnte.

“Mi loco vuelve”

Bucaram jedenfalls freut sich auf sein Comeback nach dem möglichen Amtsantritt Noboas im August. Seine Partei, der PRE, arbeitet bereits an einem Aufkleber zu seiner Begrüßung mit der Aufschrift „Mi loco vuelve“ – Mein Verrückter ist wieder da.

Politisch korrekt und trotzdem ohne Leben

Bei so viel Vollständigkeit ist es vielleicht korinthenkackerisch, auf Lücken hinzuweisen, was eine Beschreibung der Lebensweise der Oberschicht angeht, oder die wenig aktuelle Darstellung des Streits zwischen der EU auf der einen und Ecuador und den Bananenexporteuren auf der anderen Seite. Leider fehlen der Schiedsspruch der Welthandelsorganisation WTO zugunsten der bananenproduzierenden Länder von 1997, sowie ein Kommentar zu seinen Auswirkungen.
Doch das ist nicht die eigentliche Schwäche des Buches. Die Themen sind gut ausgewählt und verläßlich recherchiert, aber ihnen fehlt das Leben. Man findet alles, aber das so knapp, daß es nicht befriedigt. Für eine Landeskunde sind die siebzig Seiten zu lang, für eine Annäherung an das Land zu kurz und vor allem zu sachlich. Dadurch werden Darstellungen von Importsubstitution, Caudillos, und Bananenexporten austauschbar; sie gelten in dieser Form für Ecuador ebenso wie für viele andere lateinamerikanische Länder. Wodurch sich die ecuadorianische Variante auszeichnet, das kommt nicht heraus.
Ohne den Anspruch, lückenlos zu sein, wäre vielleicht eine anregendere Heranführung an das Land entstanden. Mit dem einen oder anderen Schwerpunkt hätte Interesse geweckt werden können. Aber vor allem sehnt man sich nach ein paar persönlichen Stimmen – von den AutorInnen oder aus dem Land. Denn Ecuador ist viel widersprüchlicher und komplizierter – viel schöner als man in diesem Buch überhaupt ahnt. Deshalb fehlt zu diesem Buch die Reise. Oder zumindest der lange Atem des Erzählens – den wünscht man sich nach der Lektüre.

Wilma Roos und Omer van Renterghem (Hrsg.): Ecuador in Focus, Latin America Bureau 1997, 80 Seiten, 17.80 DM (ca. 10 Euro).

Zwischen politischem Kalkül und revolutionärer Romantik

Der mittlerweile zu einem historischen Phänomen mutierte ostdeutsche Staat Deutsche Demokratische Republik ist heute ein Objekt der Begierde. PolitologInnen, SoziologInnen, PsychologInnen und HistorikInner haben das seltene Glück, auf dem Seziertisch ihrer wissenschaftlichen Analyse die Strukturen eines gerade gescheiterten politischen Systems freilegen zu können. Dabei scheint die von Hegel oft beschworene List der Geschichte zu bewirken, daß gerade jenes Herrschaftssystem, das im Innern jegliche Öffentlichkeit verbannte und sich nach Außen abkapselte, heute in den Archiven einer solch intensiven Durchleuchtung seiner 40jährigen Geschichte ausgesetzt ist, wie wohl kaum eines in der bisherigen deutschen Geschichte. Die Instrumentalisierung der gewonnenen Befunde in den politischen Grabenkämpfen des vereinten Deutschlands ist offenbar, und auch der Versuchung, post festum alte akademische Fehden nun zu einem siegreichen Ende zu führen, wird selten widerstanden.
Nachdem dieser Staat deutsche Geschichte ist, wird Gericht gehalten. Oftmals sind die Urteile schon vor Beginn des Prozesses gesprochen. Historischer Kontext und konkretes Wissen werden kaum abgefragt. Was die auswärtigen Beziehungen des untergegangenen östlichen deutschen Teilstaates angeht, so überwiegen heute Desinteresse oder einfach Ignoranz (1). Für einige zählen diese Beziehungen einfach nicht zur Geschichte der “deutschen Außenbeziehungen”. In der offiziellen deutschen Diplomatie wird die Erinnerung an die Beziehungen des verblichenen Rivalen heute eher vermieden. Gewiß kann die Analyse der Außenbeziehungen der DDR, auch die mit Süd- und Mittelamerika, den rationalen Diskurs über die jüngste deutsche Geschichte befördern. Dabei müssen unsere Forschungsboote den gefahrvollen Weg zwischen der Scylla nostalgisch eingefärbter Rechtfertigung der Außenpolitik des Ancien Regime um jeden Preis und der Charybdis ihrer Pauschalaburteilung in westlich-besserwisserischer Gutsherrenart finden, wollen wir uns dem Horizont historischer Wahrheit nähern. Wissenschaft, wenn sie sich als kritische versteht, sollte dies als Herausforderung annehmen. In diesem Sinne soll im folgenden über die Beziehungen der DDR zu diesem Raum – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – geschrieben werden. Dabei stütze ich mich vor allem auf die ungewöhnlich weit geöffneten Archive im Osten Deutschlands, speziell das der Parteien und Massenorganisationen der DDR in Berlin. Aber natürlich ist es dann auch hier, wie bei jeder historischen Betrachtung, die persönliche Erfahrung des Autors, die manche der bereits Staub ansetzenden Saiten zum Klingen bringen kann.
In größeren Abhandlungen zur DDR-Diplomatie nahmen die Beziehungen zu Süd- und Mittelamerika eher einen marginalen Platz ein. (2) Das entsprach auch dem tatsächlichen Stellenwert dieser Ländergruppe für die DDR-Außenpolitik. Dabei variierte zwar im Verlaufe der vierzig Jahre der Platz einzelner Regionen, wie z.B. Afrika oder der arabische Raum, in der Prioritätenskala. Jedoch waren stets die Beziehungen zur Sowjetunion, zu den östlichen Nachbarn Polen und CSSR sowie zur Bundesrepublik Deutschland an der Spitze der außenpolitischen Agenda. Dies galt sowohl für die politischen als auch für die wirtschaftlichen Beziehungen. Auf den ersten Blick kann die marginale Bedeutung Süd- und Mittelamerikas für die Politik der DDR-Führung aus deren Beschäftigung mit “lateinamerikanischen Themen” abgelesen werden. Erstmals beschäftigte sich das Politbüro am 23. Juli 1956 mit Süd- und Mittelamerika. Es war einverstanden, daß einer “in der UdSSR befindlichen Parlamentsdelegation aus Uruguay eine Einladung der Volkskammer zum Besuch in der DDR überreicht wird.” (3) Letztmalig war diese Region auf der 47. Politbüro-Tagung am 31. Oktober 1989 auf der Tagungsordnung. Verteidigungsminister Heinz Kessler berichtete von seinem Besuch in Nicaragua. Insgesamt kamen die lateinamerikanischen Themen relativ selten auf die Agenda des Machtzentrums der DDR-Gesellschaft, des SED-Politbüros.(4)
Gab es nach der Staatsgründung der DDR im Oktober 1949 angesichts der formal durch die UdSSR eingeschränkten Souveränität bis 1955 eine Zeit außenpolitischer Abstinenz, so begann danach ein Anrennen gegen den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik. Zeitlich reichte dies bis Anfang der 70er Jahre. Politisches Ziel war es, mit möglichst vielen Partnern einen hohen Grad der diplomatischen Beziehungen zu vereinbaren und damit die DDR völkerrechtlich als (zweiten) souveränen deutschen Staat zu etablieren. Süd- und Mittelamerika maß man zunächst dabei keine große Bedeutung zu.

Von anfänglicher Distanz zu informeller Berührung

Eher am Rande erwähnte der damalige Außenminister Lothar Bolz auf einer Botschafterkonferenz im Januar 1957: “Wir bemühen uns, mit einigen Ländern Süd- und Mittelamerikas Handelsbeziehungen aufzunehmen und diese zu erweitern.” Interessant ist dabei nur, daß Bolz auch auf die Bevölkerungsgruppen deutscher Herkunft in Süd- und Mittelamerika verweist, die stärker über den anderen deutschen Staat informiert werden sollten. (5) (In den 70er und 80er Jahren wurde auf diesen Umstand überhaupt nicht bzw. nur sehr zurückhaltend verwiesen.) Die lateinamerikanischen Staaten ihrerseits lehnten offiziell diplomatische Beziehungen ab. Dahinter standen sowohl ein gewisses Desinteresse als auch der erwartete Druck seitens der wirtschaftlich bedeutenderen Bundesrepublik. Während des Besuches einer Delegation des Bundestages im Frühjahr 1960 in Brasilien brachte dessen Präsident Gerstenmeier die Hallstein-Doktrin deutlich mit folgenden Worten zum Ausdruck: “Leider müßten wir mit Brasilien brechen, falls die Beziehungen zu Ostdeutschland aufgenommen würden.” (6) Dazu gehörte auch, daß das Protokoll, das der brasilianische Sonderbotschafter Dantas während seiner Osteuropa-Reise auch in der DDR unterzeichnet hatte, nach diplomatischer Intervention seitens der BRD nicht anerkannt wurde.
Das alles bedeutete jedoch nicht, daß es keine politischen Kontakte auf staatlicher Ebene gab. Der damalige stellvertretende Außenminister Georg Stibi definierte als Ziel der Politik gegenüber dieser Region “die Anerken- nung der DDR als rechtmäßigen deutschen Staat”. Dies mußte aber nicht unbedingt die offizielle Anerkennung bedeuten. Das zu fordern erschien unrealistisch. Es ging deshalb um die “faktische Anerkennung durch die lateinamerikanischen Regierungen”. (7) Dazu wurden verschiedene Kanäle genutzt. Der wichtigste befand sich in den Handelsvertretungen, die es seit Mitte der 50er Jahre in verschiedenen Ländern des Cono Sur gab. Diese arbeiteten auf der Basis von Bankenabkommen und hatten diplomatische Sonderrechte, die ihnen von den Gastländern stillschweigend gewährt wurden. So war es z.B. in Brasilien (8) und in Uruguay. Als weiterer Kanal dienten die diplomatischen Kontakte mit lateinamerikanischen Botschaften in Prag, Moskau und Genf. Hier wurden erste Gespräche über die Aufnahme von Handelskontakten geführt, so beispielsweise 1961/62 mit Mexiko in Genf. Von gewisser Bedeutung waren auch die Besuche von Parlamentsdelegationen aus Süd- und Mittelamerika in der DDR, die jedoch in der Regel inoffiziellen Charakter hatten.

Diplomatischer Durchbruch mit Verzögerung

“Projekt Mission einschließlich diplomatischer Rechte und Funk von Guevara gebilligt. Er sieht keine Schwierigkeiten.” telegraphierte K. sichtlich zufrieden am 12.8.1960 als “streng vertraulich” aus Havanna nach Berlin (Ost). K. führte im Auftrage der DDR-Regierung im Sommer 1960 Gespräche zur Herstellung diplomatischer Beziehungen und war dazu in der Nacht vom 9. zum 10. August 1960 mit Ernesto Guevara de la Serna, el Comandante Che, zusammengekommen. Kuba schien der nächste Stein zu sein, den man aus der Mauer der diplomatischen Nichtanerkennung des “anderen Deutschlands” herausbrechen konnte. “Kuba wird erstes lateinamerikanisches Land, das China und DDR anerkennt”, zitiert K. im artikellosen Telegrammstil Che Guevara. Dieser hatte ihm in einem zweiten Gespräch am 11.8.1960 erklärt, daß die kubanische Führung “bald völligen Wirtschaftsboykott seitens der USA und anderer NATO-Staaten” erwarte und deshalb “Totalumstellung Außenhandel Kuba” bevorstehe. (9) Die kubanische Revolution bedeutete auch eine Zäsur in den Beziehungen der DDR zu Süd- und Mittelamerika. Kuba wurde von nun an der wichtigste Partner in dieser Region. Zugleich verstärkten sich Interesse und Hoffnung der DDR-Führung gegenüber diesem Raum. Nach dem ersten Besuch von Politbüro-Mitglied Paul Verner im Sommer 1960 auf Kuba beschloß das Politbüro am 13.9.1960 nicht nur eine “Direktive über die Weiterentwicklung der Beziehungen mit der Republik Kuba”, sondern es beauftragte auch das Außenministerium “zur Auswahl der Kader und zur Bildung einer Abteilung für südamerikanische Länder in 14 Tagen die entsprechenden Vorbereitungen zu treffen.” (10) Daraufhin wurde auch die 6. Außereuropäische Abteilung geschaffen, die für die Beziehungen mit Süd- und Mittelamerika verantwortlich war. Jedoch verzögerte sich trotz der Zusagen von Che die Herstellung voller diplomatischer Beziehungen erheblich. Die Zeit lief gegen die DDR. Zwar hatte Guevara dem bundesdeutschen Botschafter von Spretti im Oktober 1960 noch erklärt: “Wir werden mit der DDR Missionen austauschen. Wenn Sie sich damit zufrieden geben, dann können unsere Beziehungen normal weiterlaufen. Falls nicht, so ist das allein Ihre Angelegenheit.” (11) Jedoch wurde den drängenden DDR-Vertretern dann sowohl von kubanischer Seite immer wieder die Bedeutung der kubanischen Wirtschaftsbeziehungen zur Bundesrepublik in Erinnerung gebracht. Dieser Faktor schien im Jahre 1961 angesichts der komplizierter werdenden Lage für die kubanische Führung sogar an Bedeutung zuzunehmen. Ein Abbruch der Beziehungen zur BRD, der von einer DDR-Mission zu erwarten war, sollte vermieden werden. Man schlug deshalb eine “Handelsvertretung” vor, deren Chef jedoch alle Rechte haben sollte. Das würde, so die kubanische Hoffnung, nicht zum Abbruch der Beziehungen zur BRD führen. Das sei aber, so nochmals DDR-Unterhändler K. im Telegramm nach Berlin, ein Widerspruch zu dem, was Che Guevara versprochen hatte, und er fügt etwas resignierend hinzu: “Haben Sache wirklich in günstiger Zeit ungebührlich verzögert.” (12) Die DDR akzeptierte letztlich die kubanische Haltung, und der erste Diplomat der DDR war im Frühjahr 1961 ein “Leiter der Vertretung” im Range eines Gesandten. Erst im Zuge der Verschärfung der Lage nach der Karibik-Krise (Im Westen unter dem Begriff Kuba-Krise bekannt [Anm. d. Red.]) im Oktober 1962 wurde die Vertretung in eine vollwertige diplomatische Mission umgewandelt. Sie erfolgte am 12.1.1963.
Neben Kuba definierte Stibi in der bereits erwähnten Konzeption von 1962 Brasilien als regionalen Schwerpunkt der Politik gegenüber Süd- und Mittelamerika. Hier erwartete man zumindest Regierungsvereinbarungen über Handel, die mit konsularischen Rechten verbunden sein könnten. Hoffnung setzte man auch auf die Entwicklung in Britisch-Guyana, wo nach der Unabhängigkeit mit einer Regierung unter Cheddi Jagan offizielle Beziehungen als möglich erschienen. Als potentielle Partner wurden weiterhin jene Staaten aufgeführt, die sich neben Brasilien auf der OAS-Tagung im uruguayischen Punta del Este 1962 gegen den Druck der USA nicht für den Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Kuba ausgesprochen hatten (Argentinien, Ecuador, Bolivien, Chile, Mexiko und Uruguay). Bei den “Hauptaufgaben 1962” gegenüber der Region wurde nicht nur an die Entsendung von Sonderbotschaftern an die Präsidenten einzelner Länder oder von Briefen an Parlamentspräsidenten zwecks Einladungen an die Volkskammer gedacht, sondern es wurde unter anderem auch die Möglichkeit erwogen, “eine größere Zahl von Facharbeitern aus Lateinamerika in der DDR auszubilden.” (13) Das in dieser Zeit deutlich gestiegene Interesse der DDR an Süd- und Mittelamerika kam auch in dem Vorschlag zum Ausdruck, einen “Sonderbevollmächtigten der DDR für Lateinamerika” mit ständigem Sitz in Brasilien einzurichten. Jedoch kam nach der Machtübernahme der Militärs in Brasilien im März 1964 nicht nur diese Idee nicht zur Umsetzung, sondern angesichts der geringen Aussichten auf eine stärkere diplomatische Präsenz schwand auch das politische Interesse der Führung der DDR an diesem Raum. Andere Regionen, wie Afrika und die arabische Welt, zogen in der Folgezeit stärker die politischen Aktivitäten der DDR an.

Von der Einheit zur Geschlossenheit

Jedoch blieb das Interesse an Kuba. Bis es jedoch zu der “brüderlichen Einheit” der 70er und der “ideologischen Geschlossenheit” der 80er Jahre kam, mußte noch so manche politische Klippe umschifft werden. Die kritische Distanz der SED-Führung gegenüber Fidel Castro und seiner Bewegung zog sich trotz vielfacher Solidaritätsbekundungen für Kuba durch die gesamten 60er Jahre hindurch. In internen Berichten wurde kritisiert, daß Castro “keine Volksvertretung, sondern so etwas wie die gelenkte Demokratie Sukarnos” (indonesischer Präsident in den 50ern, Anm. d. Red.) einführen wolle, wurden die “nicht vertrauenswürdigen Minister” aufgelistet und die “Partisanenmethoden” von Fidel Castro beklagt, die von den anderen nachgemacht würden, “so daß die Unordnung komplett” wäre. (14) Diese im Partei- und Wirtschaftsapparat gepflegten Ansichten müssen auch in offiziellen Verhandlungen sichtbar geworden sein. Fidel Castro beklagte in einem Brief vom 9. November 1964 zu vorangegangenen Wirtschaftsverhandlungen gegenüber Walter Ulbricht, “daß einige deutsche Genossen der Meinung sind, daß es bei einigen kubanischen Funktionären in früheren Verhandlungen spekulative und unredliche Momente gegeben habe.” (15) Ab Mitte der 60er Jahre kam dann das Schisma innerhalb der kommunistischen Bewegung hinzu. Dabei galten bis Anfang der 70er Jahre die kubanischen Sympathien, besonders die Che Guevaras, eher der chinesischen als der sowjetischen Seite.
Ende 1967/ Anfang 1968 kam es dann zu einer ernsthaften Krise in den bilateralen Beziehungen, die in den folgenden Jahrzehnten stets in den Hinterhof der Peinlichkeiten verbannt worden war. Auf der 3. Tagung des ZK der Kommunistischen Partei Kubas im Januar 1968 wurden namentlich Mitarbeiter der sowjetischen Botschaft und auch der DDR-Botschaft genannt, die man der Zusammenarbeit mit einer prosowjetischen und anticastristischen Fraktion innerhalb der Partei beschuldigte. Mit der als “Mikrofraktion” bezeichneten Gruppe um Anibal Escalante, die von Castro der “Kriecherei” und des “Knechtsinns gegenüber der Sowjetunion” bezichtigt wurde, hätte es (auch in der DDR-Botschaft selbst) Kontakte gegeben. Es gehört sicherlich auch zu den schon erwähnten Listigkeiten der Historie, daß Ende der 80er Jahre gerade jene an der Spitze der Botschaften der UdSSR bzw. DDR in Kuba standen, die 1968 der “Konspiration mit politischen Feinden” und der “Einmischung in die inneren Angelegenheiten” beschuldigt worden waren.
Zwei politische Entwicklungen trugen maßgeblich zu einem veränderten Verhältnis zwischen der DDR und Kuba zu Beginn der 70er Jahre bei. Zum einen war da der Canossa-Gang Fidel Castros nach Moskau und die danach erfolgte umfassende Eingemeindung Kubas in das sozialistische Lager. Angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage Ende der 60er Jahre, die sich mit der gescheiterten 10 Millionen Zuckerrohrernte 1970 zu einer ersten Legitimationskrise Castros verwandelte, sah sich der Máximo Lider aus machtpolitischen Gründen zu einer engeren Zusammenarbeit mit der UdSSR gezwungen. Politbüro-Mitglied Paul Verner hatte nach seinem Besuch Ende 1969 eine “echte Belebung” festgestellt.
Die andere politische Veränderung, die zu einem Wandel in der Sicht auf Kuba, Fidel Castro und auch die Person Che Guevaras in der DDR führte, war die Ablösung Walter Ulbrichts durch Erich Honecker an der DDR-Spitze. Im Unterschied zu Ulbricht, der sich angesichts der ernsthaften Probleme auf Kuba Ende der 60er Jahre in seiner Distanz zu den Barbudos, den Bärtigen, bestätigt sah, fand Honecker ein politisch anderes Kuba vor. Es war nun eindeutig im eigenen Lager gebunden und hatte zudem einen erstrangigen strategischen Wert für die UdSSR. Hinzu kam, daß der personelle Wechsel an der DDR-Spitze auch mit einem gewissen politischen Neuansatz verbunden war, der sich unter anderem auch in einer kulturellen Öffnung zeigen sollte. Das schlug sich z.B. auch in der nun eintretenden öffentlichen Beschäftigung mit Che Guevara nieder. Aus einem anfänglichen Tabu wurde ein propagandistisch breit aufgemachtes Thema. Die Ikone von Che kehrte nun auch in die Studierstuben zwischen Rostock, Babelsberg und Leipzig ein. Gerade bei der studentischen Jugend, die offenbar stets eine Dosis Utopie benötigt, sollte mit diesen beiden Märtyrern die Attraktivität des Sozialismus verstärkt werden. Das blieb nicht ohne Erfolg und machte Che nach seinem Siegeszug durch die Hörsäle von Hamburg, Frankfurt/a.M. und Berlin-West nun zu einem systemübergreifenden “gesamtdeutschen” Idol.
Im folgenden Jahrzehnt nahmen die bilateralen Beziehungen jene Form an, wie sie zwischen “sozialistischen Bruderländern” typisch war: gegenseitige Besuche der Partei- und Regierungsspitze (Honecker 1974 in Kuba und Castro 1977 in der DDR), Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit (1980), Koordinierung der Volkswirtschaftspläne, umfangreicher Delegationsaustausch auf allen Ebenen, der sich in den verschiedensten Abkommen niederschlug. Ideologischen Gleichklang hatte man nun auch im Kampf gegen Peking gefunden. Im Dezember 1978 betonte nun Fidel Castro die Wichtigkeit, sich “mit der antisozialistischen Politik der Pekinger Führer prinzipiell auseinanderzusetzen.” (16)
Für Kuba waren die wirtschaftlichen Beziehungen zur DDR von besonderer Bedeutung. Castro bat in mehreren Briefen an das Politbüro sowohl um zusätzliche Lieferungen (u.a. technische Ausrüstungen, Nahrungsmittel) als auch um die Beibehaltung der für Kuba außerordentlich günstigen Preisrelationen im bilateralen Handel, speziell bei Zucker. 1980 stimmte nach einer Bitte Castros das SED-Politbüro zu, die “gegenwärtigen Preisrelationen im Warenaustausch auch im Zeitraum 1981-1985 beizubehalten”, um die Kaufkraft der kubanischen Exporte zu erhalten. Castro nannte das dann “ein Musterbeispiel für die Beziehungen zwischen sozialistischen Ländern mit unterschiedlichen Entwicklungsniveaus.” (17) Ungeachtet der konkreten kubanischen Bedingungen und der eigenen Wirtschaftskraft wurde im “Leuchtturm des Sozialismus” (Honecker) solidarische Gigantomanie praktiziert. Kuba erhielt “die größte Brauerei” und das “größte Zementwerk” der Karibik. Beide konnten nie vernünftig ausgelastet werden. Diesen “politischen Entscheidungen”, die die reale wirtschaftliche Lage beider Länder kaum in Betracht zogen, versuchten in den 80er Jahren DDR-Ökonomen, wirtschaftlich sinnvolle Projekte zur Seite zu stellen (Bananenmarkproduktion, Kupferproduktion, Spritrektivikate). Kubanischerseits blieb das Interesse an Großprojekten ungemindert. Da Kuba auch seine Verpflichtungen bei der Lieferung der für die DDR-Innenpolitik so brisanten Südfrüchte kaum erfüllte (1988 hatte man nur zirka 50 Prozent der geplanten Menge geliefert), blieb Kuba bis zum Schluß primär eine “politische Frage”, die man – auch mit Blick nach Moskau – ungeachtet des eigenen wirtschaftlichen Desasters zu lösen versuchte. Bemerkenswert, da im Unterschied zu den anderen Projekten auch über das Ende der DDR hinaus von Relevanz, ist die zwischen 1984 und 1989 erfolgte Ausbildung von rund 30.000 Kubanern in der DDR (80 Prozent davon als Facharbeiter).

In den Farben der DDR

Ab Mitte der 80er Jahre erreichte die politische Übereinstimmung in der starren Ablehnung der Reform-Politik von Gorbatschow ihren Höhepunkt und schließlich auch ihr abruptes Ende. Castros “Rectificación” und Honeckers “Sozialismus in den Farben der DDR” waren gleichermaßen politische Versuche, sich vom sowjetischen Einfluß abzukoppeln und durch innere Verhärtung dem Druck aus Moskau zu widerstehen. Ende der 80er Jahre verstärkten sich nochmals die politischen Kontakte. Politbüro-Mitglieder der SED gaben sich 1988/89 in Havanna gegenseitig die Klinke in die Hand und ließen sich von den Kubanern ihren politischen Starrsinn als “ideologische Festigkeit” bestätigen. Honecker gab seinen Politbüro-Mitgliedern die Rede Castros vom 26. Juli 1989, in der er sich erneut gegen Perestrojka und Glasnost wandte, zur Pflichtlektüre auf. Mit den Worten Raúl Castros “Wir sind sehr stolz auf die Übereinstimmung mit der SED” (18) betonte im September 1989 letztmalig ein Mitglied der kubanischen Führung in Berlin dieses “Bündnis in Agonie”, ehe der andere Partner von der politischen Bühne für immer verschwand.

Ein Schwiegersohn in Chile

Was die Beziehungen zum “restlichen” Süd- und Mittelamerika betraf, so kam es zu Beginn der 70er Jahre, vor allem im Kontext der Aufnahme der beiden deutschen Staaten in die UNO, zu diplomatischen Beziehungen mit der großen Mehrheit der Staaten dieses Raumes. Begonnen hatte die lateinamerikanische Anerkennungswelle mit Chile. Die Regierung der Unidad Popular von Salvador Allende suchte sehr schnell Kontakte zur DDR. Im März 1971 kam es zu ersten Gesprächen über die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen. Chile war besonders an einer Kooperation in der Kupferproduktion und Chemie interessiert. Die DDR wiederum wünschte von Chile die Fürsprache bei internationalen Organisationen (z.B. in der WHO) und Unterstützung bei der Statuserhöhung ihrer Vertretungen in Süd- und Mittelamerika. (19) In der Folgezeit wurde eine Reihe wirtschaftlicher Abkommen geschlossen, deren volle Umsetzung jedoch durch den Militärputsch im September 1973 verhindert wurde. Das Politbüro beschloß im September 1973, “daß die diplomatischen Beziehungen mit Chile unterbrochen werden.” (20) Zugleich wurde ein Maßnahmepaket angenommen, das sowohl die Rückführung von DDR-BürgerInnen als auch die solidarische Unterstützung der chilenischen EmigrantInnen betraf. In den nachfolgenden 15 Jahren war die DDR Aufnahmeland für Tausende von ChilenInnen und ein Zentrum des chilenischen Widerstandes gegen die Pinochet-Diktatur. Dabei ist vor allem das von der Sozialistischen Partei unterhaltene Büro “Chile Antifascista” in Berlin zu nennen. Die Kommunistische Partei Chiles hatte ihre Auslandsführung in Moskau. Diese Unterstützung wurde mit propagandistischen Kampagnen im Innern verbunden, die mit der Herausstellung der “antifaschistischen Solidarität” eine Grundmaxime im Selbstverständnis der Führung der SED, den Antifaschismus, untermauern sollte. Hinzu kamen bei einer Reihe von Politbüro-Mitgliedern die Erfahrungen des eigenen Exils durch den Faschismus. Das stark innenpolitisch motivierte Festhalten an dem Konzept blockierte aber in den 80er Jahren sowohl die realistische Analyse der Entwicklung in Chile als auch eine adäquate Politik der DDR. Demgegenüber wurde z.B. während der blutigen Militärherrschaft in Argentinien Ende der 70er Jahre weder offizielle Kritik an dem Regime geübt noch in der Presse über die massenhaften Verbrechen berichtet. Offenbar ordnete man sich in diesem Falle stark den sowjetischen Interessen unter, für die Argentinien, vor allem wegen der Getreideimporte, ein wichtiger Faktor war. Sicherlich war für die Chile-Politik auch die durch seinen chilenischen Schwiegersohn entstandene persönliche Beziehung Honeckers zu diesem Land ein wichtiges Moment. Für die Politik gegenüber Chile wurde das jedoch immer mehr zur Selbstblockade. Ab Mitte der 80er Jahre begannen zwar im Apparat die Bemühungen, Chile neu zu thematisieren. Es dauerte aber noch geraume Zeit, bis im März 1989 im Politbüro eine als “Geheime Verschlußsache” eingestufte Vorlage zu “Maßnahmen zur Herstellung von Kontakten mit Chile” bestätigt wurde. (21)

Nicaragua – “Kein zweites Kuba”

Die nicaraguanische Revolution von 1979 fiel in eine Zeit gewachsener diplomatischer Potenz beziehungsweise internationalen Anspruchs der DDR. Die “europäische Mittelmacht DDR” verstand im Kontext des einsetzenden 2. Kalten Krieges die Beziehungen zu Nicaragua als wichtiges Moment der bipolaren Auseinandersetzung. Zugleich wurde bald die These formuliert, daß Nicaragua “kein zweites Kuba” werden solle. Neben der damit verbundenen militärstrategischen Komponente, eine zweite Raketen-Krise lag angesichts der praktizierten Dialogpolitik in Europa nicht im DDR-Interesse, waren es auch die “ökonomischen Erfahrungen” aus der Kuba-Problematik, die ein anderes Herangehen sinnvoller erscheinen ließen. Solidarische Unterstützung wurde verhältnismäßig strikt von bilateralen Geschäften getrennt. In den Konzeptionen wurde immer stärker die “Erwirtschaftung von Devisen” auch in den bilateralen Beziehungen mit Nicaragua betont. Die solidarische Unterstützung war quantitativ, im Vergleich zu Kuba, geringer. Sie entsprach aber viel stärker den konkreten Bedürfnissen des Landes. Die unterschiedlichen Entwicklungsprojekte der DDR waren besser den örtlichen Gegebenheiten angepaßt und orientierten sich an den Grundbedürfnissen der breiten Bevölkerungsmehrheit. Das gilt neben dem Berufsausbildungszentrum in Jinotepe vor allem für das Krankenhaus “Carlos Marx” in Managua.

Vorläufiges Fazit

Die Beziehungen zu Süd- und Mittelamerika hatten für die DDR nur eine relativ geringe Bedeutung und von einer “Lateinamerika-Politik der DDR” zu sprechen, wäre sicherlich verfehlt. Grob können zwei Etappen ausgemacht werden: In einer ersten stand die Frage der diplomatischen Anerkennung im Mittelpunkt. Sie reichte von Mitte der 50er bis Anfang der 70er Jahre. Die DDR bemühte sich, sowohl in Süd- und Mittelamerika selbst als auch mittels der lateinamerikanischen Staaten als gleichberechtigter internationaler Akteur akzeptiert zu werden. In der zweiten Etappe (ab 1972/73 bis 1989) ging es der DDR in den Beziehungen zu Süd- und Mittelamerika um den politischen und rechtlichen Ausbau dieser Beziehungen. Letzteres betraf vor allem die Konsularbeziehungen, in denen die politisch wichtige Staatsbürger-Problematik berührt, aber nie zur eigenen Zufriedenheit gelöst werden konnte. Die DDR-Führung bemühte sich zugleich um ein eigenständiges Auftreten in der Region. Die steigende Zahl von Besuchen lateinamerikanischer Außenminister in der DDR machte ebenfalls die beginnende Normalität in den bilateralen Beziehungen deutlich. Kuba hatte als Mitgliedsland des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und durch die engen bilateralen Bindungen einen besonderen Stellenwert für die DDR. Die Anstrengungen, die wirtschaftlichen Potentiale der Region stärker zu nutzen, scheiterten nicht zuletzt an der eigenen ökonomischen Schwäche und an der mangelnden internationalen Kooperationsfähigkeit. Wie in realsozialistischer Außenpolitik generell, so war auch in der Politik der DDR-Führung gegenüber dieser Region ein erhebliches Maß an Ideologie, manchmal auch revolutionärer Romantik, vorhanden. Diese Politik sollte dem System natürlich auch Legitimität verschaffen. Angesichts eigener Erstarrung waren lateinamerikanische Vitalität und Revolutionsrhetorik willkommen, wenn auch diese dann selbst an die realsozialistischen Mauern stießen.
Trotz einer gewissen Versachlichung des Lateinamerika-Bildes blieb der Subkontinent auch in der “späten DDR” ein Fluchtpunkt revolutionärer Ideen und romantischer Utopien. Damit stand man in jener jahrhundertealten westeuropäischen Geistestradition, die bis heute die “Neue Welt” als letzte Zufluchtsstätte revolutionärer Visionen versteht. Und das galt sowohl für die “alten Herren” des Politbüros als auch für viele Jugendliche und Intellektuelle. Viele Details der Beziehungen zu Nicaragua sind nur aus der großen Sympathie Erich Honeckers für Daniel Ortega, den er gewissermaßen als “politischen Enkel” verstand, erklärbar.
Die schwindende materielle Untersetzung des internationalen Engagements begrenzte jedoch sowohl den Ausbaus der sachlichen Beziehungen zur Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten als auch die unbegrenzte Fortsetzung der solidarischen Beziehungen zu einzelnen Ländern.
Ab Mitte der 80er Jahre führte das starre Festhalten an einem entwicklungsunfähigen Gesellschaftssystem innenpolitisch zur Agonie und außenpolitisch in die Isolation. Nach der Wende im Herbst ’89 fiel dieser Raum fast völlig aus dem Gesichtskreis der ostdeutschen Politik. Weder die zwei Modrow-Regierungen noch die erste frei gewählte Regierung unter de Maiziere verwanden ernsthaft politische Energien für die Beziehungen mit diesem Raum. Allein die entwicklungspolitisch aktiven Gruppen, die zum Teil in der Bürgerbewegung der Wende verwurzelt waren, thematisierten noch Süd- und Mittelamerika als Teil des Südens. Als dann der 3. Oktober 1990 nahte, blieb den DDR-Diplomaten in den lateinamerikanischen Hauptstädten nur noch übrig, ihre Gebäude besenrein zu übergeben. Sie selbst fielen in das schwarze Loch sozialer Unsicherheit. Vom Auswärtigen Amt wurde kaum jemand übernommen. Viele der DDR-Immobilien in diesen Ländern wurden veräußert und das Mobiliar großzügig verschenkt. Geblieben ist nur die Geschichte. Diese aber kann man weder verkaufen, noch verschenken, sondern wir müssen sie als Teil der deutschen Außenbeziehungen des 20. Jahrhunderts annehmen.

Anmerkungen:
1. Vgl. dazu ausführlich Erhard Crome/ Raimund Krämer; Die verschwundene Diplomatie. Rückblicke auf die Außenpolitik der DDR, in: WeltTrends, Heft 1 (1993), S. 128-146.
2. Vgl. Geschichte der Außenpolitik der DDR, Abriß, Staatsverlag: Berlin 1985. Das gilt auch für eine Abhandlung über die Außenpolitk der Entwicklungsländer, in der der Autor für den Abschnitt “Lateinamerika” verantwortlich war: Vgl. Autorenkollektiv, Die Außenpolitik befreiter Länder, Staatsverlag,: Berlin 1983, 6.Kapitel.
3. Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, Zentrales Parteiarchiv (im weiteren abgekürzt: SAPMO, BArch.-ZP), Sign.-Nr. J IV 2/2 – 491.
4. Im Zeitraum von 1949 bis 1989 war diese Region insgesamt 346 Mal auf der Tagungsordnung des Politbüros. Bei wöchentlich durchschnittlich 15 Tagesordnungspunkten (in den 70er und 80er Jahren war die Zahl deutlich höher als in den 50er und 60er Jahren) war es insgesamt nur zirka 1 Prozent der Protokollpunkte, in denen sich das höhste Machtgremium der DDR mit Süd- und Mittelamerika beschäftigte. Dabei konzentrierte sich dies auf Kuba (153 Mal auf der Tagesordnung), Nicaragua (56) und Chile (50).
5. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. IV 2/20/81.
6. Journal do Comercio, Rio de Janeiro, 29.3.1960.
7. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. IV 2/20/49.
8. Zu Beginn der 60er Jahre hatten in Brasilien der Leiter der Vertretung und seine Frau einen Diplomatenpaß, die Handelsvertretung konnte chiffrierte Telegramme empfangen und senden, deren Mitarbeiter hatten keine Steuern zu zahlen, ein Dienstsiegel mit DDR-Wappen konnte geführt und eine Art Vorvisabescheinigung ausstellt werden. Ebenda.
9. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. DY 30/ IV/ 2/ 20/147 Bl.1.
10. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. J IV 2/2-724.
11. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. DY/ IV/2/20/147/ Bl.21.
12. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. DY 30/IV/ 2/20/142/ Bl. 178.
13. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. IV 2/20//49.
14. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. J IV 2/202-367.
15. Ebenda.
16. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. IV B/20/592.
17. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr.J IV 2/2-1834.
18. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. IV 2/2. 035/41.
19. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr.J IV 2/2-1333.
20. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr.J IV 2/2-1469.
21. Zu diesen gehörten u.a. die “Errichtung einer Interessenvertretung der DDR mit konsularischen Rechten”, die Aktivierung der komerziellen Beziehungen, die Veränderungen der Sendungen von Radio Berlin International, dem Auslandssender der DDR, sowie der Wiederaufbau einer Freundschaftsgesellschaft DDR-Chile. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr.J IV 2/2-3204.

Der große Quinoa-Raub

Zwei amerikanische ProfessorInnen besitzen das Patent für den bolivianischen Quinoa, den traditionellen ‘Anden-Reis’. Zumindest für einen speziellen Teil einer speziellen Sorte Quinoa. Vertreter von bolivianischen Quinoa-Bauern haben bei den Vereinten Nationen dagegen protestiert und werden dabei von Organisationen im In- und Ausland unterstützt.

Derzeit gibt es viele Diskussio
nen über das geistige Eigentum an lebendem Material. Patente sollen genetische Erfindungen gegen Kopien schützen. Darüber werden Verträge abgeschlossen, unter anderem innerhalb der Europäischen Union. Zahllose Organisationen in der ganzen Welt machen jedoch gegen diese Patente mobil.
Die Diskussion über Patentrechte spiegelt die Problematik der Beziehungen zwischen Norden und Süden wieder. Den reichen Industrieländern wird vorgeworfen, genetisches Material von Entwicklungsländern zu stehlen. Ursprünglich traditionelle Pflanzen werden von großen Saatgutfirmen aus den industrialisierten Ländern patentiert. Die Folge: Bauern in den südlichen Ländern können ohne Genehmigung kein Saatgut von ihrer eigenen Ernte verwenden, wenn es ein Patent darauf gibt. Man spricht auch vom Neo-Imperialismus und Biopiraterie.
Ein Beispiel für diese Entwicklung ist, sogenannte große Quinoa-Raub: Zwei amerikanische ProfessorInnen haben 1994 ein Patent auf eine bestimmte Quinoa-Sorte beantragt. Es handelt sich hierbei um eine sehr spezielle Form der Sorte ‘Apelawa’, die aus der Umgebung des Titicacasees in Bolivien stammt.
Der Vorsitzende des bolivianischen Vereins von Quinoabauern Anapqui, Luis Oscar Mamani, hat im Juni bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen die Unrechtmäßigkeit des Patents angeklagt. Er brachte seine Klage gegen das Patent als Mißbrauch der Menschenrechte vor den Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte. „Unsere Großeltern haben seit Hunderten von Jahren Quinoa für das extreme Andenklima und den dortigen Boden angebaut und veredelt. Die Techniken hierfür haben die Wissenschaftler aus Amerika nicht gefunden. Das Patent hat zur Folge, daß wir unser Quinoa nicht frei produzieren können, mit allen Folgen für die Lebensmittelproduktion,“ erklärte Mamani.

Information via Internet
Die Rural Advancement Foundation International (RAFI), eine internationale Nichtregierungsorganisation aus Kanada, machte zum ersten Mal die Öffentlichkeit auf dieses Patent aufmerksam. Ausgehend von einem Pressebericht im Internet hat die Organisation die Diskussion eröffnet. Der Pressebericht meldete: „Das ist ein erschütterndes Beispiel von Biopiraterie. Das Patent erhebt nicht nur Anspruch auf Apelawa-Quinoa, sondern auch auf alle anderen Kreuzungen, die von Apelawa stammen. Darunter fallen viele traditionelle Sorten, die in Bolivien, Ecuador und Peru angebaut werden. Der Export von Quinoa in die Vereinigten Staaten kann hierdurch erschwert werden. Die US-amerikanischen Wissenschaftler sehen in dem Patent eine Chance, Quinoa auf der nördlichen Halbkugel kommerziell anbauen zu können,“ so RAFI.
Sarah Ward, eine der US-amerikanischen ProfessorInnen und Besitzerin des Patents, bestritt über Internet die Angriffe von RAFI. Sie stellte nachdrücklich klar, daß das Patent in keiner Beziehung zu den Quinoa-Kulturen in Bolivien stehe. Das Patent betreffe nur ein sehr spezifisches Zytoplasma, das in der Apelawa-Sorte gefunden wurde und US-amerikanischer Herkunft ist. Die Patentrechte schließen keine Quinoapflanzen oder Kreuzungen ein, die nicht dieses Zytoplasma enthalten. Ward stellte auch in Abrede, daß das Patent kommerziellen Wert habe. Das genetische Material befinde sich im Gefrierschrank der Universität Colorado und diene keinem besonderen Zweck. Außerdem sei es nach US-amerikanischer Patentgesetzgebung unmöglich, daß ein Patentbesitzer den traditionellen Anbau oder den Import in die Vereinigten Staaten verhindern kann.
Die Aufregung um Quinoa ist nur ein Beispiel für die Diskussion, die um das internationale Patentrecht auf lebendes Material geführt wird. Für die genetische Forschung ist es notwendig, über möglichst viele Pflanzenarten zu verfügen. Eine unbedeutende Art kann plötzlich einen Millionenwert besitzen, wenn darin ein Gen mit Resistenzverhalten vorkommt. Immer mehr Saatgutfirmen patentieren deshalb genetisches Material aus Entwicklungsländern. Etwa 80 Prozent der Bauern in den Entwicklungsländern produzieren ihr eigenes Saatgut. Falls sie dies nicht für den weiteren Anbau der eigene Kreuzungen verwenden dürfen, da es patentiert ist, werden künftig nur noch kapitalstarke Betriebe in der Lage sein, Pflanzen weiter zu veredeln.
Jeroen Breekveldt von NoGen, einer Organisation, die ein Archiv über Biotechnologie verwaltet, sagte hierzu: „Unser Protest gegen das Quinoa-Patent ist eine frühzeitige Warnung. Dieses Patent ist ein weiteres Beispiel, daß der Westen sich der Kontrolle der Biodiversität in den südlichen Ländern bemächtigt. Die amerikanischen ProfessorInnen erklären jetzt, daß sie kein besonderes Ziel mit diesem Patent verfolgen, aber was werden sie morgen damit tun? Vielleicht wird dann ein Multi das Patent besitzen. Im übrigen ist patentiertes Pflanzenplasma nicht von der westlichen Wissenschaft erfunden worden. Es handelt sich um Kenntnisse, die über Jahrhunderte hinweg in der einheimischen Bevölkerung gewachsen sind. Sollten diese Völker nicht wenigstens eine Entschädigung für die Verwendung ihrer Kenntnisse erhalten? Das hat mit Gefühlen zu tun. Das Patentieren von einheimischen Material ist wie ein Schlag ins Gesicht. Sicherlich werden die Menschen in Lateinamerika denken: Ist nun endlich Schluß mit dem Raub unserer Reichtümer? Es geht um Respekt, um die Verfügungsgewalt über das eigene Land und die Lebenswelt.“
Im Grunde wurde schon immer genetisches Material aus den Entwicklungsländern in den Norden importiert, wie zum Beispiel die Kartoffel und der Mais. Viele Pflanzen, die heute in den Industrieländern wachsen, stammen ursprünglich aus Lateinamerika. Und die Freiheit, Pflanzenarten der Südhalbkugel im Norden zu züchten, wird auch weiter fortbestehen. Jedoch sollten von der Verwendung genetischen Materials aus autochthonen Züchtungen auch die Züchter aus den Entwicklungsländern profitieren.

gekürzt aus: Alerta, Oktober 1997. Übersetzung aus dem Niederländischen: Petra Wessels.

KASTEN

Was ist Quinoa?

Quinoa, auch Anden-Reis genannt, ist das wichtigste Grundnahrungsmittel in den Anden-Ländern. Es ist ein hirseähnliches Getreide und zweimal so nahrhaft wie Mais oder Reis. Quinoa wird auch in Europa und Amerika immer populärer. Der Export von Quinoa aus Bolivien ist in den letzten Jahren stark angestiegen. 1995 brachte der Export von Quinoa mehr als 1,5 Millionen US-Dollar ein, womit der Exportwert innerhalb der letzten fünf Jahre um das Fünffache gestiegen ist. Ein Drittel davon wurde in die Vereinigten Staaten exportiert, zehn Prozent nach Deutschland, weitere zehn Prozent nach Frankreich.

Den arbeitenden Kindern nützt nur, was sie selbst wollen

In Lateinamerika, Westafrika und Südostasien sind seit einigen Jahren Organisationen arbeitender Kinder im Entstehen. Ihre Vorstellungen und Forderungen zur Kinderarbeit decken sich oft nicht mit dem, was Regierungen und internationale Organisationen wie ILO und UNICEF verkünden. Vor allem wenden sie sich dagegen, jede Arbeit von Kindern in Bausch und Bogen zu verdammen und abschaffen zu wollen. Statt dessen verlangen sie, Armut und Ausbeutungsverhältnisse ins Visier zu nehmen und die Kinder dabei zu unterstützen, bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen und in Würde und freier Entscheidung arbeiten zu können. Die Kinder wollen weiter ihre Familien unterstützen und eine aktive anerkannte Rolle in ihren Gesellschaften spielen.
Die Osloer Konferenz näherte sich ein Stück weit den Vorstellungen der Kinderorganisationen, indem sie sich auf die besonders ausbeuterischen und riskanten Formen der Kinderarbeit konzentrierte. Sie blieb aber meilenweit von den Erwartungen der Kinder entfernt, indem sie die internationalen und strukturellen Ursachen der Ausbeutung von Kindern ignorierte und sich wie eh und je auf gesetzliche Verbote und Boykottappelle kaprizierte. Eine neue Strategie, die wirklich den arbeitenden Kindern zugute käme und ihre Situation verbesserte, kam auf der Osloer ILO-Konferenz nicht in Sicht.
Die 300 MinisterInnen und ExpertInnen von ILO, UNICEF, Gewerkschaften, Unternehmensverbänden und Kinderhilfsorganisationen, die sich auf der Konferenz die Köpfe heiß redeten, duldeten sage und schreibe drei (3) handverlesene Kinder unter sich und störten sich auch noch daran, daß die anderen ihr Forum verließen und vor der Tür ihrer luxuriösen Konferenzstätte demonstrierten. In Oslo waren es vor allem einige Gewerkschaften und Regierungen, die sich die Mitwirkung und Kritik der Kinder verbaten.
Ihre Sturheit und Arroganz wurde selbst innerhalb der UNICEF, die die Konferenz mitveranstaltete, mit Empörung quittiert. Immerhin: In einem Brief an die norwegische Regierung erklärte Bill Myers, einer der profiliertesten UNICEF-Experten zur Kinderarbeit:
„Allein pragmatische Erwägungen erfordern, die arbeitenden Kinder gerade in dem Moment, in dem wir Maßnahmen zu ihrem Schutz beschließen, mitwirken zu lassen und uns ihnen zu stellen. Jedes Mal mehr erkennen die Experten, daß ein wirksamer Schutz der Kinder gegen den Mißbrauch am Arbeitsplatz nicht von oben gegen den Willen der Bevölkerung dekretiert werden kann, vor allem in Ländern mit einem hohen Anteil armer Familien, deren Kinder mehrheitlich in der Landwirtschaft, im Haushalt und im informellen Sektor arbeiten.“
In Oslo wurde die Chance verpaßt, neue Wege im Kampf gegen die wirtschaftliche Ausbeutung und den sozialen Ausschluß zusammen mit den direkt betroffenen Kindern zu suchen. Um so wichtiger ist es, die Kritik, Vorschläge und Forderungen der sich organisierenden Kinder selbst einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

KASTEN

Erklärung des V. lateinamerikanischen und karibischen Treffens
arbeitender Kinder an die internationale Gemeinschaft

Für Arbeit in Würde und eine Gesetzgebung, die uns schützt und anerkennt

Die VertreterInnen der Bewegungen und Organisationen arbeitender Kinder Lateinamerikas und der Karibik (NATs) sowie anwesende VertreterInnen der arbeitenden Kinder Afrikas und Asiens, die sich auf dem V. lateinamerikanischen und karibischen Treffen aller organisierten arbeitenden Kinder versammelt haben, geben hiermit im Namen von weiteren Millionen von arbeitenden Kindern dieser Regionen folgende Erklärung an die internationale Öffentlichkeit ab:
Die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen hat für uns Kinder die Rechte, angehört zu werden (Art. 12), uns zu organisieren (Art. 15) und beschützt zu werden (Art. 32) festgelegt. In unserem tagtäglichen Leben, in unserer Arbeit, in unseren Organisationen und auf diesem lateinamerikanischen Treffen haben wir NATs jedoch feststellen müssen, daß diese Rechte nicht ausreichend sind, denn sie werden in der Praxis nicht respektiert.
Man hört uns an, aber man berücksichtigt unsere Ansichten nicht. Man gibt uns das Recht, uns zu organisieren, aber unsere Organisationen arbeitender Kinder und Jugendlicher werden nicht anerkannt. Man „beschützt“ uns, aber man läßt uns nicht an der Ausarbeitung solcher „Schutz“programme mitwirken. Unsere Organisationen kämpfen Tag für Tag für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen, für unsere Rechte auf angemessene und qualitativ gute Ausbildung, für bessere Gesundheitsbedingungen, für Möglichkeiten, uns versammeln zu können, um gemeinsam Aktionen durchzuführen, das heißt dafür, in unserem Leben selbst die Protagonisten zu sein und in unseren Gesellschaften als soziale Subjekte anerkannt zu werden. Unsere Organisationen haben sich als die beste Art erwiesen, uns vor Ausbeutung, schlechter Behandlung und der Geringschätzung durch die Gesellschaft zu schützen. Innerhalb unserer Organisationen fühlen wir uns als würdige, fähige und vollwertige Personen und empfinden Stolz für unsere Arbeit. Hier bilden wir uns und finden Raum für Solidarität und für die Erarbeitung von Vorschlägen für Alternativen zum bestehenden System von Armut und Gewalt, das für uns unzumutbar ist.
Damit unsere Meinungen ernstgenommen werden, müssen unsere Organisationen auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene rechtlich voll anerkannt werden. Unsere demokratisch gewählten VertreterInnen müssen in allen lokalen, nationalen und internationalen Gremien mitreden und mitwählen können, in denen über Politik, die die Kinder und die Arbeit betrifft, entschieden wird, wie in der Bildungspolitik, der Arbeitspolitik sowie bei Plänen zur sozialen Absicherung und Gemeindeentwicklung. Die Präsenz der NATs innerhalb dieser Gremien gemeinsam mit Delegierten anderer sozialer Organisationen ist die beste Garantie im Kampf gegen Ausbeutung, Armut und Ausgrenzung und ein großer Schritt zur Durchsetzung der Menschenrechte. Wir NATs aus Lateinamerika und der Karibik wie auch unsere Freunde aus Afrika und Asien verstehen uns als ProduzentInnen DES LEBENS, angesichts der Kultur des Todes, die uns jegliche Rechte und unsere volle Eingliederung in die Gesellschaft verwehrt. Dies nicht anzuerkennen bedeutet, uns noch weiter als jetzt schon auszugrenzen. Gleichzeitig von Bürgerrechten zu uns zu sprechen, ist ein Hohn.
JA zur Arbeit in WÜRDE, NEIN zur Ausbeutung!
JA zur Arbeit unter SCHUTZ, NEIN zu schlechter Behandlung und Mißbrauch!
JA zu ANERKANNTER Arbeit, NEIN zu Ausschluß und Ausgrenzung!
JA zu Arbeit unter MENSCHLICHEN BEDINGUNGEN, NEIN zu unwürdigen Bedingungen!
JA zum RECHT, IN FREIHEIT ZU ARBEITEN, NEIN zur Zwangsarbeit!
Huampaní, Lima (Peru), 6.–9. August 1997
VertreterInnen der Bewegungen arbeitender Kinder: aus der Region Südamerika: Argentinien, Paraguay, Uruguay; aus der Andenregion: Kolumbien, Chile, Ecuador, Peru, Venezuela; aus Mittelamerika und der Karibik: Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua, Dominikanische Republik.
Übersetzung: Jutta Pfannenschmidt und Manfred Liebel

„Und deshalb machen wir unsere eigene Versammlung…“

LN: Die CONAIE setzt sich seit vielen Jahren für die verfassungsrechtliche Anerkennung Ecuadors als plurinationalen Staat ein. Während des großen Indígena-Aufstandes 1990 von der Rechten als erster Schritt zum Untergang des Staates als Schreckgespenst an die Wand gemalt, ist der Begriff des Estado Plurinacional heute in aller Munde und unter potentiellen Präsidentschaftskandidaten quer durch die Parteien ein beliebtes Mittel, die große Wählerschaft der indigenen Bevölkerung auf sich aufmerksam zu machen. Inwiefern hat sich die Rezeption des Konzeptes „plurinationaler Staat“ in den letzten Jahren verändert?
Yumbai: Enorm. Seit den 80er Jahren fordert die CONAIE eine Versammlung zur Verfassungsreform (Asamblea Nacional Constituyente), um Veränderungen durchzusetzen, die etwas mehr mit der konkreten Realität zu tun haben, in der wir leben. In Ecuador gibt es die unterschiedlichsten Nationalitäten. Wir betrachten Nationalität als besonderes Recht eines jeden indigenen Volkes auf ihre Territorien und ihre Sprache. Aber nicht mit dem Ziel, uns vom Staat abzuspalten. Andererseits reicht es nicht, das Wort Plurinationalität in die Verfassung aufzunehmen, wir brauchen weitreichende gesellschaftliche Reformen.
LN: In den letzten Monaten ist in der Öffentlichkeit intensiv über formale Aspekte der Asamblea diskutiert worden, während inhaltliche Fragestellungen leider im Hintergrund blieben. Welche Erfolge verspricht sich die CONAIE von der durch die Regierung für Dezember angesetzte Versammlung?
Yumbai: Wir haben immer eine Asamblea Nacional Constituyente gefordert, eine verfassungsgebende, nicht verfassungsverändernde Versammlung. Das und nichts anderes war der Kompromiß nach dem Rausschmiß Bucarams. Aber die Regierung und die wirtschaftlich Mächtigen haben kein wirkliches Interesse an einer Reform. Deshalb heißt die Asamblea jetzt nicht mehr Constituyente – so wie in der Volksabstimmung bestätigt – sondern nur noch Asamblea Nacional, was den Weg frei macht für zahlreiche Manipulationen.
Unsere Vorstellung dieser Versammlung ist, daß alle Sektoren der Gesellschaft sich versammeln und Absprachen über die wichtigsten Themen treffen: Zum Beispiel ein neues ökonomisches Modell, denn der Neoliberalismus hat hier nichts gebracht; oder Stichworte wie Dezentralisierung und Plurinationalität. In Ecuador gab es bereits 18 Verfassungsreformen, ohne daß sich etwas verändert hat. Da muß einfach ein ganz neuer Ansatz her. Die Politiker wollen wieder nur an der Oberfläche kratzen. Und deshalb machen wir jetzt unsere eigene Versammlung. Wir planen eine Asamblea Nacional Constituyente für den 12. Oktober mit der Mehrheit der Organisationen und repräsentativen Sektoren – wie eine große Minga: die gemeinsame Arbeit für die Gemeinschaft. Wir werden das ganze Land mobilisieren und am 12. Oktober symbolisch die Haupstadt Quito besetzen.
LN: Versteht Ihr Eure Versammlung als ein Vorbereitungsgremium oder eine Parallelveranstaltung?
Yumbai: Weder noch. Wenn wir es schaffen, die Unterstützung aller Sektoren zu bekommen, wer soll sich dann unseren Beschlüssen entgegensetzen und verhindern, daß sie in die Verfassung miteinfließen? Die Rechte glaubt doch, sie könnte in diesem Land tun und lassen, was sie will. Wenn wir tatsächlich breite Unterstützung bekommen – warum entheben wir dann nicht den Kongreß seiner Funktion und schicken die Abgeordneten nach Hause? Das Vertrauen in die Politiker ist sowieso ein für alle Mal verbraucht.
LN: Die Partei Pachakutik-Nuevo País ist aus der CONAIE hervorgegangen und hat mit den Wahlen im vergangenen Jahr Einzug in den Kongreß erhalten. Wie steht die CONAIE heute zu Pachakutik?
Guzmán: Man muß einfach deutlich unterscheiden zwischen der Bewegung und der Partei. Die CONAIE ist eine Massenbewegung, und da hat Pachakutik wenig zu sagen. Für die arme Bevölkerung ist sie keine wirkliche Alternative.
LN: Ex-Präsident Abdalá Bucaram hatte der indigenen Bevölkerung Ecuadors im Wahlkampf ein eigenes Ministerium versprochen, und Rafael Pandam, dem Vorsitzenden der Amazonasvertretung, den Ministerposten – und eine stattliche Summe Geld, wie sich später herausstellte. Im Gegenzug unterstützte dieser Bucarám in der Stichwahl gegen Jaime Nebot im Juli 1996, was zu einer tiefen Krise zwischen den regionalen Organisationen der CONAIE aus dem Amazonastiefland und der Sierra führte. Wie steht die CONAIE heute dazu?
Guzmán: Die ganzen Aktivitäten der Regierung Bucaram waren nichts als Schein, und auch das Ministerio Etnico-Cultural nur ein hohles Versprechen. Wir sind mit so einem Alibi-Ministerium grundsätzlich nicht einverstanden, und es ist schlimm, daß einige der Compañeros sich für so etwas hergeben.
LN: Im nächsten Jahr wird es vorgezogene Neuwahlen geben. Wen wird die CONAIE unterstützen? Was ist mit dem Journalisten und unabhängigen Kandidaten Freddy Ehlers, den die CONAIE bei den letzten Wahlen unterstützt hat?
Guzmán: Ich bin der Meinung, daß die sozialchristliche PSC und wir gegeneinander ins Rennen gehen. Die PSC hat einen ganz anderen Rückhalt in der Wirtschaft, und deshalb andere Möglichkeiten. Aber wir repräsentieren die Massen. Freddy Ehlers hat einige gute Ideen, aber ist noch lange kein Vertreter der indigenen Bevölkerung. Obwohl er beispielsweise für Plurinationalität eintritt, ist er gegen ein Moratorium für die Auslandsschuld und den Schutz der strategischen Bereiche der Wirtschaft. Er ist einverstanden, mit uns an die Macht zu kommen, sonst nichts.

KASTEN

Für Landreform und gegen Diskriminierung

Die CONAIE (Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador) wurde 1986 gegründet und versteht sich als Interessenvertretung der indigenen Gruppen Ecuadors. Sie umschließt die drei regionalen Unterorganisationen ECUARUNARI (gegründet 1972 und weiterhin größte Organisation des andinen Hochlandes), die CONFENAIE für die indigenen Gruppen des Amazonasgebietes und die COINCCE für die Küstenregion, welche seit kurzem auch die Interessen der afro-ecuadorianischen Bevölkerung vertritt. In den 60er und 70er Jahren lag das Hauptaugenmerk der Bewegung auf dem Kampf um Landrechte. Ab Ende der 70er Jahre veränderte sich parallel zu der Organisationsstruktur auch das Wirkungsfeld der Organe, die sich von nun an auch offensiv gegen Diskriminierung und für den Erhalt der indigenen Sprachen und Kultur einsetzten. Als übergreifende politische Organisation konnte die CONAIE eine kollektive Identität der indigenen Gruppen Ecuadors formulieren und etablieren. Als wichtiger Durchbruch wird der Verhandlungserfolg mit der sozialdemokratischen Regierung Borja von 1988 gewertet, der die Durchsetzung eines bilingualen Erziehungsprogrammes brachte.

KASTEN

Landesweite Straßenblockade als bewährte Form des Protestes

Im Juni 1990 folgten zehntausende dem Aufruf der CONAIE zu einem ersten landesweiten Indígena-Aufstand gegen drastische Preiserhöhungen im Zuge wirtschaftlicher Anpassung: Mehrere Tage lang waren die Hauptverkehrsachsen des Landes blockiert und der Verkehr flächendeckend lahmgelegt. Auch wenn die Regierung anfänglich versuchte, die Bedeutung der Zuvorkommnisse herunterzuspielen und der CONAIE subversives, fremdgelenktes Verhalten und Verrat am Staat vorwarf, mußte sie letztendlich die Bedeutung der indigenen Bewegung und der CONAIE zur Kenntnis nehmen. Seitdem hat die Indígena-Bewegung immer wieder in landesweiten Straßenblockaden ihre Stärke und Beharrlichkeit demonstriert, zuletzt am 11. und 12. August diesen Jahres, um gegen die Verschleppungstatik des Interimspräsidenten Alarcón im Hinblick auf die vereinbarte Asamblea Nacional zu protestieren.

Für uns selbst

Es wird immer wieder in Frage gestellt, ob der Feminismus auch ein für Lateinamerika geeignetes Konzept sei. Ebenso wird behauptet, lesbische Liebe sei ein westliches Phänomen. Wie aber läßt sich dann die Existenz feministischer und lesbischer Organisationen erklären?
Erinnerungen an eine exotische Bewegung?
Die Organisation von Frauen in Lateinamerika und der Karibik ist sichtbar, vielschichtig und oft kämpferisch. Mit dem Kampf um das Überleben und Fortkommen ihrer Familien begannen Frauen am politischen Geschehen teilzunehmen. Sie kämpften in Gewerkschaften, Berufsverbänden und politischen Parteien. Dazu kam noch der Kampf der Feministinnen um die Durchsetzung von Frauenrechten. Von Anbeginn, das heißt seit den 70er Jahren schlossen sich Feministinnen den oppositionellen Strömungen an. Sie klagten Militärregimes, aber auch demokratische Regierungen wegen ihrer sozialen, wirtschaftlichen und politischen Ausbeutung an.
Die feministische Bewegung und ihr Leitmotiv, das Persönliche als politisch zu begreifen und den Alltag zu reflektieren, brachten neue Themen auf (Gewalt gegen Frauen, Sexualität, Reproduktion, Machtverhältnisse in der Familie). Dies hatte unmittelbare Auswirkungen auf andere Bewegungen -so auf die Lesben-und Schwulenbewegung -,wobei in jedem Land das eigene kulturelle, soziale und wirtschaftliche Umfeld eine Rolle spielte.
Seit Ende der 60er Jahre entstanden in einigen Ländern gleichzeitig Bewegungen, die für die Rechte der Lesben und Schwulen eintraten. Diese individuellen und kollektiven Prozesse stießen in der Öffentlichkeit auf Widerstände oder wurden negiert, in vielen Ländern dauert die Diskriminierung im kulturellen Umfeld, ja sogar in der Rechtsprechung noch an.
Auf ihrer langen Suche nach einem unabhängigen politischen Weg veranstalteten feministische Frauen aus Lateinamerika und der Karibik zu Beginn der 80er Jahre ihr erstes regionales Treffen. Thema sollte der Wandel der feministischen Politik und ihre Beziehung zu jenen Bewegungen sein, die ebenfalls für eine Welt ohne Ausgrenzung und Unterdrückung eintreten. Mittlerweile hat es sieben solche Treffen gegeben…..
Obwohl die feministischen Lesben auf vielfältige Weise aktiv in der Frauenbewegung mitgearbeitet hatten, wurde dies nur selten anerkannt. Einerseits gab es in den 80er Jahren noch immer gesellschaftliche sexistische
Unterdrückungsmechanismen,
andererseits hatten einige Feministinnen auch Angst davor, “beschuldigt” zu werden, Feminismus mit Lesbianismus gleichzustellen, oder als Männerhasserinnen zu gelten. Es wurde für Lesben notwendig, eigene Organisationsstrategien zu entwerfen. Das führte zu den Treffen der ” Feministischen Lesben Lateinamerikas und der Karibik, ‘ die daraufhin in Mexiko (1987), Costa Rica (1990). Puerto Rico (1992) und Argentinien (1995) stattfanden.
Lesben: Mehr als eine exotische Minderheit
Sexualität ist ebenso wie Freundschaft, Glaube und Liebe ein Teil der privaten Sphäre, und niemand hat das Recht, sich hier einzumischen. Frauen haben sich diesbezüglich Freiräume und Rechte erkämpft, die religiösen und konservativen Teilen der Gesellschaft ein Dom im Auge sind. Insbesondere lesbische Liebe wird von dieser Seite her als “unmoralisch, lasterhaft und schädlich für das soziale Leben und die Gesundheit” angeprangert. Tatsächlich hat die Bewegung für eine freie sexuelle Orientierung einen bislang unerforschten Freiraum eröffnet, von dem aus ein zentraler Aspekt der herrschenden Vorstellung über das menschliche Leben hinterfragt werden kann: die Sexualität. Solange die Sexualität nach wie vor Gegenstand autoritärer Unterdrückung und eines verzerrenden und verdammenden Stillschweigens ist, trägt die Möglichkeit, diese Sicht offen zu hinterfragen, zu demokratischeren Beziehungen und einem gesellschaftlichen Klima der gegenseitigen Achtung bei.
Die Lesbenbewegung bedroht somit das vorherrschende Muster der weißen, heterosexuellen, männlichen Dominanz. Daraus entstehen nicht nur gesellschaftliche Konflikte, sondern auch Konflikte in den verschiedenen Organisationen und Basisbewegungen, die sich mit partizipatorischen Konzepten, mit Meinungsvielfalt, mit verschiedenen Optionen und Lebensstilen auseinandersetzen müssen.
Diskriminierung passiert an vielen Orten -trotz verschiedener internationaler Abkommen und Erklärungen, die von der UNO festgelegt wurden. In Ländern wie Chile, Nicaragua, Ecuador und Puerto Rico herrscht eine repressive Politik, die Lesben und Schwulen das Recht auf Versammlungsfreiheit vorenthält. In anderen Ländern ist die Repression durch die Gesellschaft drückender als die gesetzlichen Regelungen. Die katholische Kirche nimmt eine starre Haltung ein. Die traditionelle Familienstruktur, die mangelnde Information und der fehlende Respekt vor anderen Lebensformen -all das sind Hindernisse für die Bewegungsfreiheit von Lesben.
Sag mir, mit wem du gehst…
Da die lateinamerikanischen Lesben in ihrem jeweiligen Umfeld unterschiedlicher sexueller und gesellschaftlicher Unterdrückung ausgesetzt waren, wurden sie zu Expertinnen im Verheimlichen und im Entwickeln verschiedener kleiner Signale zum gegenseitigen Erkennen.
Die beste Art sich zu treffen, war die Teilnahme an Frauenaktivitäten. In diesem Umfeld war es für uns leichter, uns zu er-kennen und dies mit unseren feministischen Aktivitäten zu verbinden. Über das gegenseitige Erzählen der Lebensgeschichte fühlten sich viele gestärkt, und es kam der bis dahin unerhörte Gedanke auf, eine Lesbengruppe zu gründen.
wir wollten dadurch auch diejenigen Lesben unterstützen, die Angst hatten, sich offen zu bekennen und andere zu suchen, um aus ihrer Isolierung heraus-zukommen oder auch um einfach einmal ein bißchen Spaß zu haben. Die Freiräume und Tätigkeiten der Lesbenorganisationen sind vielfältig; einige &von sind kurzlebig, andere wiederum gefestigt.
Das Auftreten der AIDS-Krise wurde in einigen Ländern zum bestimmenden Merkmal der Lesben-und Schwulenorganisationen. Eine der sozialen Folgen ist die Homosexualisierung von AIDS und die sich daraus ergebende Ablehnung oder Diskriminierung aller Personen, von denen man annimmt, daß sie homosexuell sind. Dies führte zu neuen, sozialen, politischen und humanitären Aktivitäten. Kampagnen zur AIDS-Vorbeugung richteten sich meist an die ge-samte Gesellschaft. Dadurch wurden Tabuthemen wie Sexualität und vor allem Homosexualität öffentlich diskutiert.
Erstes öffentliches Auftreten von Lesben
Verschiedene feministische Ereignisse waren für die Bildung einer Lesbenbewegung entscheidend und prägten die gegenseitige Beziehung von Frauen-und Lesbenbewegung.
Im Juli 1983 kamen 600 Frauen beim II. Feministischen Treffen in Lima zusammen. Die geplante Tagesordnung sah das Thema der Liebe zwischen Frauen nicht vor. Dennoch veranstaltete eine Gruppe unabhängiger Frauen einen kleinen Workshop über Patriarchat und Lesbianismus. Dort trafen verschieden Erwartungen, Neugier, Spannung und die unvermeidlichen neutralen Beobachterinnen zusammen. Der Workshop berührte viele, brachte sie einander näher, führte zu den verschiedensten Diskussionen. Es war ein wichtiger Versuch, aus der Isolierung auszubrechen und einander als lesbische Feministinnen mit verschiedenen Hintergründen zu begegnen. Es war das erste öffentliche Auftreten der Lesben und eine Herausforderung für die heterosexuellen Feministinnen. die sich dadurch mit ihrer Homophobie auseinandersetzen mußten. Aus diesem Treffen entwickelten sich Organisationen wie die Gruppe der selbstbewußten feministischen Lesben (Grupo de Autoconciencia de Lesbianas Feministas -GALF) in Peru und des Lesbenkollektivs Ayuquelen in Chile.

Lesbianismus als Politikum
Beim III . Feministischen Treffen in Bertioga/Sao Paulo in Brasilien (1985) organisierte GALF einen geschlossenen Workshop zum Thema “Wie organisieren wir Lesben uns?” Wir tauschten unsere Erfahrungen aus, aber das reichte noch nicht. Wir entschieden, ein eigenes Treffen zu organisieren – eine Idee, die auch 1986 auf der internationalen Konferenz von ILIS (International Lesbian Information Service) in Genf wieder auftauchte, an der mehr als 700 Lesben aus Asien, Afrika Ost-und Westeuropa. Lateinamerika und der Karibik teilnahmen. Es wurde beschlossen, das I. Treffen der Feministischen Lesben Lateinamerikas und der Karibik in Mexiko -parallel zum IV. Feministischen Treffen in diesem Land -abzuhalten.
Fast 220 Frauen trafen sich im Oktober 1987 in Cuemavaca, Mexiko. Dieses I. Treffen Fe-ministischer Lesben Lateinamerikas und der Karibik wurde zu einem der repräsentativsten überhaupt.

Als Folge entstand ein Netzwerk, mit dessen Hilfe die Isolierung durchbrochen und solidarische Beziehungen gestärkt wer-den sollten. Solche regionalen Treffen sollten in Zukunft regelmäßig, d.h. alle zwei bis drei Jahre, stattfinden. Zur Teilnahme aufgerufen waren feministische Lesben, aber auch Lesben. die sich in anderen Zusammenhängen bewegen. Die Beschlüsse sollten einstimmig gefaßt werden. Um den Informationsfluß zu verbessern, sollte ein halbjährlich erscheinendes Bulletin herausgegeben werden. Trotz des Widerstands seitens der Regierung, der Kirche und der Medien fand das II. lateinamerikanische Treffen der Feministischen Lesben in Costa Rica im April 1990 statt. Frau mußte zu einer heimlichen Strategie greifen, denn die Einwanderungsbehörden hatten die Weisung, keine alleinreisende Frau einreisen zu lassen. Zugleich sollte die persönliche Sicherheit der Frauen im Land gewährleistet werden, und alle Teilnehmerinnen mußten -um jedes Risiko zu vermeiden -am Veranstaltungsort bleiben. Ein Treffen unter solchen Bedingungen war schwierig. Neben kulturellen Veranstaltungen wurden Workshops durchgeführt. Themen waren unter anderem die nicht immer freundschaftlichen Beziehungen zwischen Feminismus und Lesbianismus, die Problematik der lesbischen Mütter und ihr Kampf um das Sorge- recht für ihre Kinder, die gesetzliche Unterdrückung und die internalisierte Lesbophobie.
Auf dem VI. feministischen Treffen in Cartagena / Chile im November 1996, an dem fast 600 Frauen teilnahmen. drehten sich die Diskussionen in erster Linie um die politische Verortung und die Autonomie der Frauenbewegung, um Führungsrollen und Vertretung nach außen, um Ethik und um finanzielle Ressourcen. Das Treffen war sehr spannungsreich und polarisiert. Es nahmen viele, vor allem junge Lesben teil. Trotz ihrer großen Präsenz und Energie, die sich nicht zuletzt in künstlerischen Beiträgen und in der Abendgestaltung manifestierte, waren sie nicht imstande, ihre Vorstellungen und Visionen als konkrete politische Vorschläge zu formulieren. Sie ließen sich vielmehr von einer destruktiven
wußte Sichtbarmachung Ausdruck der nach wie vor bestehen- den Diskriminierung innerhalb der Frauenbewegung ist. Es scheint aber auch, daß es einem nicht unwichtigen Teil der Lesbenbewegung schwerfällt, eine gewisse Opferhaltung zu überwinden.
Perspektiven

Im Zuge ihrer Selbstorganisation hat sich die feministische Lesbenbewegung gewisse Freiräume in der Gesellschaft schaffen können. Diese Freiräume entstanden nicht aufgrund der Aktivitäten der Frauenbewegung oder als Zugeständnis der Gesellschaft. Die Lesben haben hart gearbeitet, das zu erreichen -sowohl innerhalb der Frauenbewegung als auch gemeinsam mit anderen Minderheiten, mit Männem und Frauen, Feministinnen und nicht-feministischen Frauen, national und international. Die Solidarität von Lesben-und Schwulenorganisationen aus dem Norden hat ebenfalls zur Schaffung dieser Freiräume beigetragen.
Die Zunahme an Sichtbarkeit, Legitimität, Anerkennung und die Vielfalt von Aktionen der feministischen Lesben in ihren jeweiligen -zum Teil gemischten -Organisationen bringt neue Spannungen und Herausforderungen in Bezug auf Prioritäten, den Kampf ums Überleben, den ungleichen Zugang zu Ressourcen. die Autonomie der Bewegung, die Teilnahme an anderen Gruppen oder Netzwerken, aber vor allem in Hinblick auf organisierte Strukturen der Bewegung. Diese Aufgaben werden lösbar, wenn Frau die alte Rendenz überwindet, sich Opposition zur Macht zu begreifen, wie es die linken Gruppen tun, denn diese Dynamik schränkt ein und führt zur Erschöpfung. Es geht drum, von der Wut zur Selbstermächtigung überzugehen, und nicht erstere als permanenten emotionalen Zustand zu kultivieren.
Die Zukunft der feministischen Lesbenbewegung wird also von ihrer Fähigkeit abhängen, unterschiedliche ideologische Vorstellungen, die es in der Bewegung gibt, zusammenzubringen und sie in globalere Strategien einfließen zu lassen, um so Antworten auf die komplexe Realität zu finden. Das bedeutet, daß die bestehenden Gruppen gestärkt werden und sich erweitern müssen, um auch schwarze, behinderte oder indigene Frauen zu integrieren. Ziel muß sein, als Bewegung Strategien zu entwickeln, die sich von jenen der NGOs, der Institutionen und der politischen Parteien unterscheiden. Mithilfe dieser Strategien sollen Brücken geschlagen und verschiedene Allianzen und Kooperationen auf regionaler und internationaler Ebene aufgebaut werden.
Es ist eine beständige Herausforderung für uns alle, die sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Verhältnisse so zu verändern, daß alle Menschen friedlich zusammenleben können.

Rebeca Sevilla

Das Regime Vladimori

Die Unzufriedenheit und Kritik gegenüber der Regierung, die seit einigen Monaten in der Bevölkerung vorherrscht, weist auf ein spätes politisches Erwachen hin, nachdem hohe Popularitätsraten Fujimori jahrelang bescheinigt hatten, daß sein autoritärer Stil vom Volk begrüßt wurde. Nachdem er sich im MRTA-Geiseldrama noch einmal als Retter präsentieren konnte, schnellte seine Popularität kurzfristig auf etwa 70 Prozent hoch, um dann nach einer Anhäufung von Skandalen rapide bis auf ein Tief von etwa 25 Prozent abzusinken. Der wichtigste Grund für die Unzufriedenheit mit der Regierung ist sicherlich die hohe Arbeitslosigkeit. Aber auch die beharrliche Zerrüttung der demokratischen Institutionen, die mit dem autogolpe 1992 begann (siehe LN 215) – damals hatte Fujimori den von der Opposition dominierten Kongreß aufgelöst und behauptet, die korrupte Justiz säubern zu wollen – wird von der Bevölkerung zunehmend als Bedrohung wahrgenommen.

Das Triumvirat der militärisch-zivilen Macht

Eine im Juli veröffentlichte Umfrage der Zeitschrift Debate zur Machtverteilung in Peru zeigt, daß sich die PeruanerInnen des Triumvirats der militärisch-zivilen Macht gewahr werden, das sie regiert. Intellektuelle und der politischen Szene zugehörige Persönlichkeiten halten zwar mehrheitlich Fujimori für den mächtigsten Peruaner, doch ganz dicht folgt dessen Berater, der dem Militär entstammende und dem Geheimdienst (SIN) angehörende Vladimiro Montesinos. An dritter Stelle rangiert der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, General Nicolás Hermoza Ríos. Kritiker sprechen deshalb auch vom Regime Vladimori.
In der Wahrnehmung der DurchschnittsperuanerInnen erscheint Montesinos gar noch vor Fujimori: 46 Prozent glauben, daß er die größte Machtkonzentration in Händen hält, während nur 37 Prozent diese Position Fujimori zuschreiben. Zugleich ist Montesinos eine der unpopulärsten Figuren des Regimes, insbesondere seit undurchsichtige Einkommensquellen dieser grauen Eminenz ruchbar wurden.
Die Judikative steht seit dem autogolpe zunehmend unter Kontrolle der Exekutive, was unter dem Euphemismus einer “Justizreform” verkauft wird. Doch auch hier scheint der Blick der Bevölkerung nicht allzusehr getrübt zu sein. In einer anderen Umfrage gaben 63 Prozent der Befragten an, die Justiz sei heute stärker von Fujimori und Montesinos beeinflußt als vor der Reform; nur 13 Prozent verneinten diese Ansicht. Die einzigen noch unabhängigen Organe im Bereich der Justiz sind der “Generalanwalt der Nation” und der “Ombudsmann des Volkes”. Beide äußern zwar in der Presse grundlegende Kritik an den autoritären Exzessen, was jedoch keine weiteren Konsequenzen zeitigt. Dagegen nutzt die Regierung sogenannte Exekutivkommissionen, die den Prozess der vermeintlichen Justizreform vorantreiben sollen. Diese besetzten jedoch nach Belieben Richterstühle um oder richteten ad-hoc-Kammern ein, die in den Fällen zu urteilen haben, die die Regierung kompromittieren könnten oder die Privatinteressen Fujimoris berühren.
Abgesetzt und zudem unter Anklage befinden sich auch drei ehemalige Richter des inzwischen faktisch aufgelösten Verfassungsgerichts. Diese hatten ihre Funktion ernstgenommen und Fujimoris Wiederwahlgesetz als verfassungswidrig erklärt.
Wegen der annähernd gleichgeschalteten oder geknebelten staatlichen Gewalten kommt der “vierten Gewalt”, den Massenmedien, eine überragende Bedeutung und Verantwortung zu.
So waren sie es, die wesentlich zur Aufdeckung der Verantwortung von Militärs im Fall La Cantuta beitrugen, in dem 1992 zehn Studenten mit einem Professor “verschwanden” und dann in einem Massengrab gefunden wurden. Bald darauf mußten sie freilich auch von einem für die Schuldigen maßgeschneiderten Amnestiegesetz berichten.
Einer der wenigen TV-Sender, die Themen so anpacken, daß sie nicht auf Regierungslinie liegen, ist Frecuencia Latina. In einer Sendung wurde Anfang April der Fall einer Agentin des Militärgeheimdienstes SIE bekannt, die von ihren Kollegen gefoltert worden war, weil diese sie verdächtigten, die Existenz des paramilitärischen Kommandos Colina verraten zu haben. Auch hier ist es der Militärgerichtsbarkeit gelungen, den Fall an sich zu reißen, obwohl dies gegen grundlegende Rechtsprinzipien und internationale Abkommen zur Verhinderung der Folter verstößt, in denen unabhängige Gerichte verlangt werden. Perverserweise muß das Opfer nun damit rechnen, selbst von den Militärs angeklagt zu werden. Ein ähnliches Beispiel ist die Entführung des ehemaligen Generals Rodolfo Robles Espinoza. Dieser hatte zur Aufdeckung des Falles La Cantuta beigetragen, und als dieser den zivilen Gerichten zugewiesen wurde, hat der SIE Robles entführt, weil sich die Militärs dieser richterlichen Entscheidung nicht fügen wollten.
Die zuständigen Richter sind inzwischen abgesetzt und stehen nun zum Teil selbst unter Anklage.
Über den gleichen Sender erfuhr die Öffentlichkeit am 13. Juli von den systematischen Abhorchpraktiken der Geheimdienste, von denen vor allem Journalisten und Oppositionspolitiker betroffen waren, wobei nur bestätigt wurde, wovon viele Oppositionelle längst ausgingen. Dennoch veranlaßte dieser Skandal die einzige noch respektable Figur im näheren Umfeld Fujimoris, den Außenminister Francisco Tudela, der sich selbst unter den Betroffenen befand, am Tag darauf von seinem Amt zurückzutreten. Mit der Untersuchung des Falles wurden aber wiederum Repräsentanten des Regimes betraut, so daß hier keine weiteren Konsequenzen zu erwarten sind.

Den Rechtsstaat ausgehebelt

Die Militärs, die sich von solcher journalistischen Unabhängigkeit auf die Stiefel getreten fühlten, starteten daraufhin eine Verleumdungskampagne gegen den Hauptaktionär von Frecuencia Latina, den Unternehmer israelischer Herkunft Baruch Ivcher Bronstein, und unterstellten diesem Waffengeschäfte mit dem Erzfeind Ecuador. Als dieses Konstrukt zusammenzubrechen drohte, begannen sie, dessen peruanische Staatsbürgerschaft infragezustellen, denn Nicht-Peruanern ist der Besitz von Fernseh- und Radiosendern untersagt. Wie auf Befehl erklärte die Migrationsabteilung des Innenministeriums die über zehn Jahre zurückliegende Nationalisierung Ivchers für nichtig. Ivcher habe “Unregelmäßigkeiten” zu verantworten, doch die Akte, die dies belegen soll, ist innerhalb des Ministeriums verschollen. Dieser Willkürakt kann Ivcher gemäß allgemein anerkannter Rechtsdoktrin nicht seiner Staatsbürgerschaft berauben, doch absurderweise scheint die Justiz vom Entzug derselben auszugehen. Ivcher droht nämlich trotz der offensichtlich verfassungswidrigen administrativen Entscheidung der Verlust der inhaltlichen Kontrolle über den Sender. Diese solle dann den Minderheitsaktionären Samuel und Mendel Winter übertragen werden. Wie dessen politische Linie dann aussehen dürfte, kann man sich ausrechnen, seit ein Treffen der Brüder Winter mit der militärischen Führung bekannt wurde.
Sollte die Regierung im Fall Ivcher letzten Endes dennoch einlenken, wofür es seit Ende August Anzeichen gibt, dürfte das auf die Beunruhigung zurückzuführen sein, die diese Mißachtung der Garantie des Eigentums unter Investoren ausgelöst hat. Selbst die ansonsten dem Regime verbundenen Unternehmerverbände haben sich öffentlich gegen diesen Angriff auf die Rechtssicherheit ausgesprochen.
Die Regierung jedoch schreibt die sich häufenden Repressalien gegen Jounalisten der allgemeinen Kriminalität zu, für das massive Abhorchen von Telefonen sollen Privatpersonen verantwortlich sein, und “Irrtümer” der Verwaltung oder der “unabhängigen” Justiz wie im Falle Ivcher seien nun einmal der Preis der “Demokratie”.
Statt der von Oppositionellen geforderten Anhörung des Innenministers und des Vorsitzenden des Ministerrates im Kongreß setzten die Militärs eine geheime Sitzung durch, in der sie angeblich zu erklären beabsichtigten, inwiefern Ivcher ein Risiko für die nationale Sicherheit sei. Der tatsächliche Zweck dieser Sitzung, zu der am 22. Juli 36 Militärs aufmarschierten, schien eher eine Machtdemonstration gegenüber den Parlamentariern zu sein, damit diese nicht vergäßen, wer faktisch die Macht innehat.
Als sich der Nationalfeiertag, der 28. Juli, näherte, richteten sich noch einmal Hoffnungen auf die traditionelle Rede des Präsidenten, in der dieser womöglich eine Kurskorrektur ankündigen würde. Doch wie schon Fujimoris Umgang mit dem Rücktritt Tudelas ahnen ließ – es folgte eine partielle Kabinettsumbildung, die den Einfluß der Montesinos-Fraktion eher noch stärkte -, bestätigte sich auch am 28. Juli die Arroganz des Regimes. Fujimori beteuerte, es herrsche unbeschränkte Pressefreiheit, und die Militärs stünden unter ziviler Kontrolle. Darüberhinaus kündigte er einige “Geschenke” an, wie die Steigerung der Bezüge der Angestellten im öffentlichen Dienst um fünfzehn Prozent – womit diese miserabel bleiben – oder staatliche Wohnungsbauprojekte. Diese populistischen Elemente konnten den Volkszorn tatsächlich etwas besänftigen.

Das Trauma des Terrorismus

Dennoch bewog der Fall Ivcher immerhin 3.000 Menschen dazu, sich spontan vor dem Sender von Frecuencia Latina zu einer Solidaritätskundgebung einzufinden, wenige Tage darauf zogen zehntausende Demonstranten, unter ihnen auch einige Gruppen von Studenten, vor den Regierungspalast. Die nüchtern betrachtet geringe Beteiligung läßt sich unter anderem darauf zurückführen, daß der Gewerkschaft des Baugewerbes, die neben der Lehrergewerkschaft zur Demonstration aufgerufen hatte, ein Ruf des Radikalismus anhaftet, der viele potentiell Protestgeneigte abschreckte.
Der Protest bleibt privat, solange die durch zehn Jahre bürgerkriegsähnlicher Zustände hervorgerufene Traumatisierung der Bevölkerung anhält. Doch auch ohne das Trauma des Terrorismus zu bemühen, wird die politische Apathie durch das Fehlen einer Alternative verständlich, denn es ist keine oppositionelle Führungsfigur in Sicht, und der frühere UNO-Generalsekretär und Präsidentschaftskandidat Javier Pérez de Cuellar – letztes Jahr noch als einflußreichster Oppositionspolitiker gehandelt, ist auf Rang sechs in dieser Kategorie abgerutscht.

Fujimorismo ohne Fujimori?

Als derzeit aussichtsreichster Kandidat für die nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 gilt der derzeitige Bürgermeister Limas, Alberto Andrade. Der aber verspricht außer einem neuen Gesicht vor allem Kontinuität. In Lima hat er sich nicht zuletzt als Saubermann eine breite Popularität gesichert. Ihm ist gelungen, woran sich seine Vorgänger die Zähne ausgebissen hatten: die Verbannung der unzähligen informellen Händler aus dem heruntergewirtschafteten historischen Kern Limas, der so wieder zu einem attraktiven Zentrum werden könnte. Abgesehen von solchen punktuellen Erfolgen hat er aber kein alternatives Regierungsprogramm zu bieten. Auch Andrades Kritik an der derzeitigen Regierung angesichts der Verstöße gegen den Rechtsstaat bleibt auffallend verhalten.

Nach dem großen Schwindel

In seiner nur sechs Monate dauernden Amtszeit hatte der Präsident Abdalá Bucaram – “el loco” – des populistischen Partido Roldosista Ecuatoriano PRE alle Rekorde gebrochen: Keiner vor ihm hatte derart dreist in die eigene Tasche gewirtschaftet und seinen Clan in die Schlüsselpositionen des Landes gehievt. Keiner hatte so selbstherrlich regiert und dabei über den kurzen Publikumserfolg hinaus so wenig an längerfristigen Konzepten eingebracht. Keiner hatte so unverhohlen die Presse- und Meinungsfreiheit in Frage gestellt und so inkohärente, aber entgegen allen Wahlversprechen drastische wirtschaftliche Maßnahmen durchgesetzt.
Und so reichte ein halbes Jahr, um auch die Teile der Bevölkerung gegen sich aufzubringen, die in Bucaram in der Stichwahl Anfang Juli 1996 im Gegensatz zu dem Kandidaten des konservativen Partido Social Cristiano PSC, Jaime Nebot, das kleinere Übel gesehen hatten. Sie hatten damals seinen Wahlsieg mit 54 Prozent der Stimmen möglich gemacht – trotz der ihm von den Medien bescheinigten Irrationalität und “Verhaltensauffälligkeit”. “O nos salvamos o nos hundimos”: Entweder wir retten uns, oder wir gehen unter. Alles oder nichts.

Nichts als Ablabla

Aber Bucaram ließ seine Versprechen platzen wie Seifenblasen: von einer Milderung der neoliberalen Anpassung keine Spur, paternalistische und inszenierte Almosen statt struktureller Hilfe, Großaufträge gingen außer Landes, keinerlei Investitionssicherheit, und das versprochene Ministerio Étnico kränkelte ebenfalls vor sich hin. Als Inbegriff des Neureichen von der Küste, der sich gegen die alteingesessenen Eliten aufbäumt und seinen Platz beansprucht, konnte er mit seinem discurso vulgar und seinem machistischem Gehabe eine Zeit lang von seiner Planlosigkeit ablenken. Mit unerschütterlichem Selbstbewußtsein schaffte es Bucaram, gegen ihn gerichtete Kritik und Attakken in Stärken umzudeuten, sein selbstgebasteltes Image als loco machte ihn geradezu immun: nicht-endenwollende kitsch-triefende Auftritte als Sänger, Fußballspieler oder “Freund der Armen”, mit denen er um die Gunst der breiten Massen warb. Die staunende ecuadorianische Mittel- und Oberschicht sah darin den letzten Rest an nationaler Würde dahinschwinden. Abdalá, róbate el país, ¡pero no cantes! steht in großen Lettern auf einer Häuserwand in der Neustadt von Quito: Plündere ruhig das Land, aber sing bitte nicht!
Präsident Abdalá Bucaram wurde am 5. Februar wegen “geistiger Unfähigkeit” seines Amtes enthoben. Erst unmittelbar vor seinem politischen Ende dämmerte es ihm, daß seine Show zu Ende war, daß er die Massen nicht länger hinter sich, sondern gegen sich hatte, daß Gewerkschaften nicht mit kleinen Häppchen zufriedenzustellen sind und die Indígena-Bewegung nicht mit schnöden Versprechungen. Bucaram hatte sich selbst in einem atemberaubenden Schwindel in die absolute politische Isolation manövriert, “einsamer als die Charaktere von García Márquez” und unfähig, die Tatsachen um sich herum richtig zu deuten. Bereits seit Anfang Januar wurde im Kongreß eigentlich nur noch darüber diskutiert, wie man Abdalá am besten loswerden könnte. Daß ausgerechnet Parlamentspräsident Fabian Alarcón, der nur mittels eines Paktes mit Abdalá in den Kongreß und in sein Amt gelangt war, dessen Amtsenthebung vorantrieb und schließlich zum Interimspräsidenten ernannt wurde, lindert die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verfahrens nicht gerade. Dennoch wurde die Entscheidung des Kongresses im Nachhinein bestätigt: Am 25. Mai befürworteten in einer Volksabstimmung rund 76 Prozent der Bevölkerung die Amtsenthebung Bucarams. Für die Ernennung Alarcóns als Übergangspräsidenten stimmten aber gleichzeitig nur 68 Prozent.

Fürs Fotoalbum mit weißer Weste

Alarcón ist seit jeher das Fähnlein im Winde, stets auf Allianzen zum eigenen Vorteil bedacht. Nun selbst im höchsten Amt, scheut er klare Entscheidungen und ist als Interimspräsident abhängig vom Kongreß beziehungsweise vom den Kongreß dominierenden PSC. Innenpolitisch ist sehr wenig passiert seit dem Rausschmiß Bucarams. Alarcón hält sich bedeckt und setzt auf Schadensbegrenzung, so weit das Erbe Bucarams dies erlaubt. Viele Bestimmungen der Regierung Bucaram wurden ausser Kraft gesetzt, wie zum Beispiel der drastische Wegfall von Subventionen zum Beginn des Jahres, in anderen Fällen wurde bei bereits unterzeichneten Verträgen nachverhandelt.
Zwar wurde eine Antikorruptionskommission ins Leben gerufen, und immerhin schloß der Kongreß siebzehn Abgeordnete wegen dringenden Korruptionsverdachts aus den eigenen Reihen aus. Aber es ist nicht schwer, Korruption mit Bucaram gleichzusetzen und selbst die Hände in Unschuld zu waschen. Auch bei seinem ersten Staatsbesuch in Paraguay zu Gesprächen über einen möglichen Beitritt Ecuadors in den Mercosur und das Protokoll von Rio de Janeiro war Alarcón ganz der Saubermann: eifrig bemüht, seinen rechtmäßigen Status zu unterstreichen und das Image Ecuadors zu kitten. Und was machen da schon die eine oder andere Anklage wegen Mißbrauchs öffentlicher Gelder im eigenen Lande…

Asamblea Light

Auch auf die zentrale Forderung der Massendemonstrationen vom 5. Februar war Alarcón vordergründig eingegangen: Die Einberufung eines Organs zur Überarbeitung der Verfassung war beschlossene Sache und durch die Volksabstimmung Ende Mai für dieses Jahr bestätigt. Doch dann ging die Diskussion um den Namen des Organs los: Asamblea Constituyente oder Asamblea Nacional? Dahinter verbirgt sich der Status der juristischen Kompetenz gegenüber Kongreß und Interimspräsidenten, und letztendlich wurde mit der Namensgebung Asamblea Nacional aus der Asamblea Constituyente eine Asamblea Light. In Ecuador ist es unter Velasco Ibarra bereits einmal dazu gekommen, daß eine verfassungsgebende Versammlung kurzerhand das Parlament aufgelöst hat, und da gingen die Abgeordneten doch lieber auf Nummer sicher.
Aber das war erst der Anfang. Während die sozialen Bewegungen auf eine schnelle Durchführung drängten, schienen die etablierten Parteien überhaupt keine Eile zu haben: lieber warten bis nach den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr, um den schönen Wahlkampf nicht zu beeinträchtigen, und wer weiß, vielleicht ist die Zusammensetzung dann ja auch eine ganz andere… Entgegen der durch die Volksabstimmung bestätigten Fristen wurde im Kongreß ein Termin für Ende nächsten Jahres festgesetzt.

Entscheidungshilfen für Alarcón

An dieser Stelle war nun Alarcón gefragt, der gegen die Vorlage des Kongresses Veto einlegen und den mehrheitlich festgelegten Ablauf der Dinge hätte durchsetzen können. Mit einem landesweiten Streik am 11. und 12. August tat die CONAIE, die nationale Konföderation der Indígenas, ihren Unmut über die Verschleppungstaktiken kund und versuchte so, Alarcón, welcher sich hinter dem Meinungsbild im Kongreß versteckte, zu einem Veto zu zwingen. Letztendlich bedurfte es jedoch eines radikalen Sinneswandels von Jaime Nebot. Der Kopf des konservativen PSC setzte sich – auch zum Erstaunen seiner eigenen Parteikollegen – auf einmal vehement für die sofortige Durchführung der Nationalversammlung ein, um so Alarcón zu einer eindeutigen Stellungnahme, “dem Veto”, zu bewegen.
Nach einem weiteren vorläufigen Termin ist die Asamblea Nacional – derzeit – auf den 20. Dezember angesetzt, mit einer strikten Befristung auf drei Monate. Sie verfügt über weite Befugnisse zur Verfassungsreform, und die von ihr beschlossenen Änderungen werden direkt – ohne weitere Einflußmöglichkeiten seitens des Interimspräsidenten oder des Kongresses – übernommen. Die Mitglieder der Versammlung werden Mitte November gewählt, und da sie auch über die Zukunft des Kongresses und das präsidiale System befinden kann, hat der erbitterte Kampf um diese Ämter nun begonnen. Die Versammlung soll sich aus 70 Vertretern der Provinzen und 20 nationalen Vertretern zusammensetzen. Die von dem neomarxistischen Movimiento Popular Democrático MDP vorgeschlagene gemischte Personen- und Listenwahl soll die im Kongreß vorherrschenden Parteistrukturen aufbrechen und die Vertretung von Minderheiten gewährleisten. Als Wahlmodus innerhalb der Asamblea wurde die sogenannte autoregulación beschlossen, was bedeutet, daß das Organ selbst entscheidet, in welchen Fällen es mit einer einfachen oder mit einer zwei Drittelmehrheit beschlußfähig ist. Im schlimmsten Fall also langwierige Abstimm-Marathons über den Modus einer Abstimmung.

Was denn, Inhalte?

Dann ist ja jetzt alles in Ordnung: Die Versammlung hat einen Namen, ein Datum und einen Wahlmodus, die notwendige Gesetzesänderung zur Wahl der Abgeordneten ist auch schon fast auf dem Weg, aber halt – was war noch gleich mit den Inhalten? Fast drei Monate hat sich die Diskussion um technische Angelegenheiten hingezogen, und wenn die Erarbeitung von inhaltlich – programmatischen Vorlagen auch nur annähernd so vor sich hinkriecht, sind die drei Monate der Asamblea um, bevor es zur ersten Abstimmung gekommen ist. Lange Zeit hatte nur die Indígena-Organisation CONAIE ein regelmäßiges Forum, in denen mögliche Tagesordnungspunkte der Nationalversammlung und Stellungnahmen diskutiert werden. Außerdem hat die CONAIE im Rahmen der Koordinierung sozialer Bewegungen zusammen mit den Gewerkschaften für Oktober ein eigenes Vorbereitungsgremium angekündigt. Auch die anderen Parteien fangen jetzt langsam an, schon mal Schlagworte zu verbreiten. Die Vorstellungen reichen von leichten Korrekturen bis zu einer radikalen Überarbeitung der Verfassung, zum Beispiel im Hinblick auf das Präsidialsystem. Die öffentliche Debatte um die Agenda der Asamblea aber ist im Gerangel um die technischen Daten vollkommen zu kurz gekommen.
Dabei steht die Verfassungsreform seit langem auf der Tagesordnung und ist besonders im Präsidentschaftswahlkampf vergangenen Jahres durch den von Indígenas und Gewerkschaften unterstützten Kandidaten Freddy Ehlers zu einem zentralen Thema geworden. Ehlers’ Hauptforderungen waren zum einen die Anerkennung Ecuadors als plurinationaler Staat und zum anderen die sogenannte “Unberührbarkeit” der als strategisch erachteten Sektoren wie Erdöl, Telekommunikation und Elektrizität. Die Debatte um den plurinationalen Staat, die 1990 während des ersten landesweiten Indígena-Streiks noch mit separatistischen Tendenzen und der Auflösung des ecuadorianischen Nationalstaates in einen Topf geworfen wurde, hat in den vergangenen Jahren breiten Rückhalt – auch in Teilen der nicht-indigenen Bevölkerung – bekommen. Eine Änderung der Verfassung in diesem Sinne würde für Ecuador einen riesigen Schritt in Richtung Anerkennung von Minderheiten und politische Partizipation bedeuten. Eine starke Dezentralisierung der Entscheidungskompetenzen sowie der Privatisierungsprozeß und im besonderen die Sozialversicherung werden wahrscheinlich weitere Hauptthemen der Asamblea Nacional sein.

Dieselben Kulissen

Nach Meinung des Soziologen Hernán Ibarra vom Centro Andino de Acción Popular CAAP wird sich in der Asamblea die Zersplitterung der politischen Parteien widerspiegeln, die auch den Kongreß immer wieder manövrierunfähig macht. (Ecuador verfügt über siebzehn Parteien bei rund fünf Millionen WählerInnen.) Damit bleibt das grundsätzliche Problem bestehen: Wie kann durch die Veränderung der Konstitution eine Veränderung der Politik erreicht werden? Zwar können größere Spielräume für Staatsbürgerrechte festgeschrieben werden, ohne politische Bereitschaft sind diese jedoch nutzlos.
Es scheint, als ob das politische System Ecuadors zu verhakt und starr ist, um sich selbst zu reformieren. Die landesweite Indígenabewegung – seit den Wahlen 1996 mit der aus ihr hervorgegangenen Partei Pachakutik-Nuevo País erstmals im Parlament vertreten – bleibt die dynamische Ausnahme im Polit-Establishment. Ihre Errungenschaften in den letzten Jahren sind zweifellos wichtige Impulse auch für andere Gruppierungen, selbst wenn es im Hinblick auf Pachakutik starke Meinungsverschiedenheiten gibt.
Die Zivilgesellschaft hat sich im Februar als mächtiger Akteur gezeigt, der nicht länger bereit ist, Clownereien auf seine Kosten durchgehen zu lassen. Mit dem Rausschmiß Bucarams ist der Showmaster außer Landes, bei genauerem Hinsehen erweisen sich die Kulissen jedoch als dieselben. Armut weiter Teile der Bevölkerung, Korruption in unvorstellbaren Ausmaßen und Politiker, die in ihrem alltäglichen Klein-Klein untereinander jegliche Beschäftigung mit zukunftsweisenden Projekten für das Land aus den Augen verloren haben – diese Gründe, die Abdalás Wahlsieg als Akt der Verzweiflung möglich gemacht haben, sind nach wie vor präsent. Abdalá hat Korruption, populistisches Gehabe und die “Unregierbarkeit” des Landes auf die Spitze getrieben, erfunden hat er sie jedoch nicht.
Die großen Hoffnungen auf bahnbrechende Veränderungen und ein “Neues Land” nach der Verfassungsreform sind durch den langatmigen und schwerfälligen Prozeß der Umsetzung stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Schon jetzt werden die ersten Unkenrufe laut: der Post-Asamblea-Frust kommt bestimmt. Also vom Post-Bucaramato in die Post-Asamblea-Analyse? Wann endlich kommt der Wechsel in vorwärtsgerichtete Visionen, wann der Spielraum für die im Land vorhandenen Gesellschaftsentwürfe?

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