GROẞE FREUDE UND HEFTIGER WIDERSTAND

„Ich dachte, dass ich diesen Tag nicht erleben würde“, kommentierte Marco Castillo seine Hochzeit. Am 26. Mai gab der prominente LGBTQ-Aktivist seinem langjährigen Partner vor einer Familienrichterin das Jawort. Bereits einige Minuten nach Mitternacht hatten Daritza Araya und Alexandra Quirós Geschichte geschrieben: Das lesbische Paar machte als erstes von dem gerade in Kraft getretenen Recht der zivilrechtlichen Ehe gleichgeschlechtlicher Paare Gebrauch. Aufgrund der Corona-Sicherheitsmaßnahmen konnte keine Feiergemeinde anwesend sein. 15.000 Zuschauer*innen wohnten der Zeremonie jedoch im Livestream bei, darunter auch die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet.

Costa Rica ist somit das erste Land Mittelamerikas und das sechste in Lateinamerika, das die zivilrechtliche Ehe für gleichgeschlechtliche Paare öffnet. Seit spätestens eineinhalb Jahren war klar, dass das Land diesen Schritt gehen würde. Dass es dennoch so lange dauerte, lag vor allem am Widerstand konservativer Abgeordneter und Richter*innen. Diese hatten bis zuletzt versucht, das Gesetz zu verhindern. Der Kolumnist Álvaro Murillo beschreibt den gesamten Prozess als „ein Zeichen des Hin und Hers und der Unsicherheit.“

Auf den Weg gebracht wurde der Legalisierungsprozess durch zwei Gerichtsurteile. Im August 2018 bestätigte das Oberste Gericht Costa Ricas ein Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der im Januar desselben Jahres geurteilt hatte, dass die Amerikanische Menschenrechtskonvention eine Gleichbehandlung gleichgeschlechtlicher Paare vorsieht: Costa Rica und de facto alle Staaten, die die Amerikanische Menschenrechtskonvention anerkennen, müssten somit die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare beenden.

Dem Urteil war eine Anfrage von Ana Helena Chacón vorausgegangen, die unter Präsident Luis Guillermo Solís von der sozialdemokratischen PAC von 2014 bis 2018 Vizepräsidentin Costa Ricas war. Manche Analyst*innen sagen, dass der Gang vor den Interamerikanischen Gerichtshof ein taktisches Manöver war. Chacón soll sich im Klaren darüber gewesen sein, dass es im konservativen Costa Rica keine parlamentarischen Mehrheiten für eine progressive Reform des Eherechts geben würde.

Das positive Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofs fiel im Januar 2018 mitten in den costa-ricanischen Wahlkampf und stellte diesen vollkommen auf den Kopf (siehe LN 526). Der größte Befürworter und der größte Gegner des Gerichtsurteils schafften es überraschend in die Stichwahl um das Präsidentenamt: Carlos Alvarado von der PAC und der evangelikale Prediger Fabricio Alvarado.

15.000 Menschen im Livestream der ersten gleichgeschlechtlichen Ehe

Fabricio Alvarado führte einen aggressiv homophoben und antifeministischen Wahlkampf, wie ihn das Land noch nie zuvor gesehen hatte. „Während der Wahlen hatte ich das erste Mal Angst in Costa Rica zu sein“, erinnert sich die bisexuelle Aktivistin, Anwältin und Menschenrechtlerin Larissa Arroyo Navarrete. Doch Carlos Alvarado setzte sich mit 60 Prozent deutlich gegen seinen evangelikalen Kontrahenten durch. Auf eine allgemeine Zustimmung zu seinen gesellschaftsliberalen Positionen ist der Sieg jedoch kaum rückführbar – bei den parallel stattfindenden Parlamentswahlen verlor Alvarados PAC rund ein Drittel der Stimmen. Vielmehr wollte auch eine große Zahl konservativer Katholik*innen ihr Land nicht von einem evangelikalen Hardliner regiert sehen. Dennoch stellen die Evangelikalen seit der Wahl ein Fünftel der Abgeordneten im Parlament und opponieren gemeinsam mit konservativen Katholik*innen gegen die Regierung.

Die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe ist nicht die erste kontroverse gesellschaftspolitische Reform in dieser Legislaturperiode. Ende 2019 unterzeichnete Präsident Alvarado die „Technische Norm über die medizinische Unterbrechung der Schwangerschaft“, die eine Gesetzeslücke schloss. Nach costa-ricanischem Strafrecht von 1970 sind Abtreibungen ein Strafbestand. Mit dem Artikel 121 des Strafgesetzbuchs wurden jedoch zwei straffreie Ausnahmen definiert: die Abtreibung im Fall der Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit der Mutter. Mit dem Gesetz wurden jedoch keine Vorgaben zu den Regularien und Verfahren der Eingriffe gemacht. Neben dem starken Einfluss der katholischen Kirche war dies der Hauptgrund dafür, dass es in Costa Rica de facto keine Mediziner*innen gab, die Schwangerschaftsabbrüche durchführten.

„Kein guter Wille, sondern Ergebnis jahrzehntelangen Kampfes“

Auch diese Reform des Abtreibungsrechts ist auf das Urteil eines internationalen Organs zurückzuführen. Zwei Frauen hatten 2007 und 2013 vor der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte (CIDH) Klage gegen Costa Rica erhoben. Trotz drohender Totgeburten wurden ihnen in Kliniken Schwangerschaftsabbrüche verweigert. Die CIDH urteilte daraufhin, dass Costa Rica die Umsetzung des durch das Strafgesetzbuch gesicherten Rechts auf straffreie Abtreibung im Gefährdungsfall zu garantieren habe. Larissa Arroyo Navarrete, die beide Frauen vor der CIDH als Anwältin vertrat, kommentierte: „Der Zugang zu straffreien Schwangerschaftsabbrüchen ist das Mindeste, was in einem Land gefordert werden kann, in dem dieser bereits durch das Strafgesetzbuch von 1970 als Recht anerkannt ist.“ Trotz der Reform zählt Costa Rica immer noch weltweit zu den Ländern mit den repressivsten gesetzlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch.

Die Reaktionen auf die Legalisierung der Ehe für alle verdeutlichen, wie polarisiert Costa Rica ist. Die Ministerin für Frauenangelegenheiten, Patricia Mora von der linken Frente Amplio, kommentierte: „Diesen 26. Mai werden wir in einem etwas besseren Costa Rica erwachen.“ Präsident Alvarado versuchte sich als großer Kämpfer für die Menschenrechte zu inszenieren und begrüßte das neue Gesetz als „tiefgreifende soziale und kulturelle Transformation.“ Larissa Arroyo Navarrete entgegnete, dass der freudige Anlass kein Verdienst der gegenwärtigen Regierung sei: „Der Staat erkennt unsere Rechte nicht durch eigenen guten Willen an, sondern aufgrund des jahrzehntelangen Kampfes vieler Personen.“

In anderen Teilen der Bevölkerung war die Stimmung gänzlich anders. Fabricio Alvarado kommentierte das Inkrafttreten der Ehe für alle mit: „Die Mehrheit der Bevölkerung feiert heute nicht, heute leiden wir unter dem Wirken einer kranken, korrupten und unheilvollen Partei, die sich nur für das Durchsetzen ihrer eigenen Ideologie interessiert.“ Die costa-ricanische Bischofskonferenz sendete bereits Mitte Mai ähnliche Signale: „Leider müssen wir feststellen, dass die Gender-Ideologie sich im Land immer weiter verbreitet.“

So bleibt trotz des Erfolges ein bitterer Nachgeschmack. Laut Umfragen gibt es keine klaren Mehrheiten für die Gleichstellung der Ehe für alle. In einigen Umfragen sprechen sich gar zwei Drittel der Befragten dagegen aus. Auch im Parlament ließ sich keine Mehrheit für die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe finden. Dort konnte sich nur auf das Streichen der Passage, die ein explizites Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe formulierte, geeinigt werden. Und angesichts der teils miserablen Umfragewerte des amtierenden Präsidenten könnte Costa Rica bei den nächsten Wahlen 2022 ein noch größerer konservativer Backlash drohen als der von 2018.

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