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Foto: Jorge Mejía Peralta 2.0 Generic (CC BY 2.0)
„Ich verstehe überhaupt nicht, weshalb man mich dazu beglückwünscht, neunzig Jahre alt geworden zu sein. Das ist doch furchtbar.“ Das sagte Ernesto Cardenal vor fünf Jahren zu mir. Ich musste lachen. So war er. Brüsk. Bissig. Er hatte diese grantige Seite, die keine Rücksicht darauf nahm, was die anderen von ihm erwarteten. Es war ihm egal, ob er die sozialen Standards erfüllte oder nicht, aber er liebte seine Freund*innen, still, doch unbeirrt. Das sah man, wenn man ihm in die Augen schaute, die unendlich sanft dreinblicken konnten. Und man brauchte nur vom Universum, von der Wissenschaft, von der Poesie anzufangen, dann beendete er sein Schweigen gleich und begann, angeregt von dem zu erzählen, was er jüngst in der Zeitschrift „Scientific American“ oder einer der anderen Wissenschaftszeitschriften gelesen hatte, die er abonnierte, dazu den „New Yorker“, denn ebenso wie das Universum interessierte er sich auch für das Weltgeschehen. Er war ein Mystiker, stand jedoch mit beiden Beinen fest auf dem Boden dieser Erde. Er aß gern, mochte deutsche Wurst und guten Wein, doch er lebte wie ein Mönch in seinem Häuschen in Managua mit einem Bett, einem Nachttischchen und einer Hängematte in seinem Zimmer.
Seine Jugendgedichte waren messerscharfe Verurteilungen der Somoza-Diktatur
In der Revolution war Ernesto dann Kulturminister. Er wollte die Poesie überall verbreiten und organisierte Workshops, in denen die Menschen aus den Armenvierteln lernten, dass jedes alltägliche Ereignis ihres Lebens in Versform erzählt werden konnte. Doch sein konkreter, beschreibender Stil, der „Exteriorismus“, der so typisch für sein Werk war, wollte nicht Feuer fangen, der gehörte ihm allein. Er, Ernesto, war es, der ihn meisterhaft anwendete, sowohl um vom politischen Kampf zu erzählen, als auch um von den Sternen zu sprechen. Sein Gedicht „Nationallied für Nicaragua“, das der Sandinistischen Befreiungsfront gewidmet war, vervielfältigten wir in den 1970er Jahren auf den damals üblichen Geräten und ließen es von Hand zu Hand kursieren. Er kleidete den Schmerz und die Hoffnung dieses verbissenen Kampfes in Worte. Dieser Kampf, der ihn, als der Sandinismus schließlich an der Macht war, nicht nur in Frontstellung zu Papst Johannes Paul II. brachte, der ihn mit erhobenem Zeigefinger rügte, kaum dass dieser nicaraguanischen Boden betreten hatte, sondern auch zur Schriftstellerin Rosario Murillo.
In den 1980er Jahren, als wir Rosario Murillo kritisierten, damals Generalsekretärin der Gewerkschaft der Kulturschaffenden und Ehefrau Daniel Ortegas, und deshalb um ein Gespräch mit der sandinistischen Führung baten, aber ohne Ortega, kam dieser dennoch hinzu, um seine Frau zu verteidigen. Nie werde ich vergessen, was Cardenal bei diesem Treffen als erstes sagte: „Mit Ihnen wollten wir eigentlich nicht reden, weil Sie mit ihr verheiratet sind.“ Cardenals Integrität und Klarheit waren die Tricks und Intrigen zuwider, mit denen Ortega in den 1990er Jahren die FSLN unter seine Kontrolle brachte. Der Dichter kehrte der Partei den Rücken.
Von der Politik enttäuscht, zog sich Cardenal in ein mönchisches Leben zurück, in ein Leben, von dem aus er sein „Teleskop in die dunkle Nacht“ richtete (so der Titel eines Gedichtbands von ihm) und begann, Gott im Universum zu suchen. Fasziniert vom Geheimnis menschlichen Lebens inmitten dieser unergründlichen Unendlichkeit, schrieb er sein monumentales Werk „Kosmische Gesänge“. „Wir sind Sternenstaub“, so lautet eine Zeile daraus.
Jetzt ist er dort draußen, wurde sicher gut aufgenommen in der Milchstraße. Für uns, für Nicaragua, ist es hart, ihn verschwinden zu sehen. Seine schwarze Baskenmütze, seine Gestalt werden uns fehlen, seine Stimme, wenn er uns seine Gedichte las, sein heiliger Zorn gegen die Tyrannei.