VON DER STRASSE INS NETZ UND ZURÜCK

“Frauenrechte sind Menschenrechte” (Foto: Mirjana Mitrovic)

„Catalina, Sambuca… Sagt mal: Können Feministinnen eigentlich Sex haben?“ „Nein… also Sex… also was meinst du eigentlich mit Sex? Denn Sex ist doch nur, wenn eine Penetration durch einen Penis stattfindet, oder?“ „Klar, kein Penis, keine Penetration, kein Sex. Logisch.“ Unter dem Titel #PreguntasParaFeministas (#FragenAnFeministinnen) machen sich die (e)stereotipas, ein Kollektiv aus Mexiko-Stadt, auf Youtube über die stereotypen Ansichten über Feministinnen lustig. In der Serie finden sich weitere Fragen wie „Ihr als Feministinnen, seid ihr eigentlich alle lesbisch?“ oder „Und warum sind alle Feministinnen immer so verbittert?“. Doch nicht alles ist lustig bei den (e)stereotipas: Hinter der Kamera unterstützt von Marcela Zendejas nehmen Catalina Ruiz-Navarro und Estefanía Vela Barba (alias Sambuca) in einem anderen Video machistische Argumente gegen die „Demonstration gegen Gewalt gegen Frauen“ in Mexiko auseinander. Die Demonstration im November 2016 war unter dem Hashtag #25N in ganz Lateinamerika organisiert worden und hatte Tausende auf die Straße gebracht. Reaktionäre bis stupide Gegenargumente wie „Aber Männer leiden auch!“ durften dort natürlich nicht fehlen. Mit Zahlen, Fakten und einer Portion Satire begegnen die Journalistin und Poetin Ruiz-Navarro und ihre Kollegin Vela Barba – die unter anderem gerade in Yale ihre Doktorarbeit in Jura zur Weiterentwicklung des Strafrechts zur Durchsetzung von Frauenrechten entwickelt – den „Argumenten“.

Youtube als Plattform nutzen, um feministische Inhalte zu verbreiten und auf die Situation von Frauen in Mexiko aufmerksam zu machen – allein sind die (e)stereotipas damit nicht. Zahlreiche Kollektive in Mexiko nutzen das Web 2.0 und digitale Medien auf vielfältige und kreative Weisen, um die Zustände in dem stark machistisch geprägten Land anzuprangern. Dabei wird die Straße literarisch in Netz getragen: In schwarze Röcke und Tops gekleidet gehen Las Morras (Die Mädels) durch die Straßen Mexiko-Stadts und nehmen versteckt auf, wie sie von allen Seiten angepfiffen und belästigt werden. Gleichzeitig stellen sie ihre Aggressoren zur Rede – die wenigsten haben tatsächlich etwas zu sagen. Bei Youtube hatte das Video Las morras enfrentan a sus acosadores (Die Mädels konfrontieren ihre Belästiger) seit seiner Veröffentlichung im Mai 2016 über 1,3 Millionen Aufrufe. Wie die mexikanische Zeitung El Excelsior berichtet, erreichten die vier Frauen aufgrund des Videos Hasskommentare bis hin zu Todesdrohungen. An diesem Punkt zerbricht die Illusion vom Internet als offenem Diskussionsraum für alle. „Alles was außerhalb des Internets passiert, findet sich auch online wieder: Dazu gehören auch Stigmatisierung, Stereotypisierung, Gewalt. Oft wird diese Konvergenz nicht wahrgenommen“, erklärt die Hackerin Estrella Soria. Zusammen mit anderen Hacker*innen ist sie bei Tierra Común (Gemeinsames Land) und AutoDefensaDigitalFeminista (Digitale Selbstverteidigung von Feministinnen, ADDFEM) aktiv. Sie unterstützen Menschenrechts-Verteidigerinnen, Journalistinnen, Aktivistinnen und interessierte Frauen dabei, ihre Daten sicher zu verschlüsseln. Auch um möglichen Erpressungen vorzubeugen. „Als Frau in einer Stadt wie Mexiko-Stadt zu leben ist nicht das allereinfachste. Du musst dich behaupten, dich auf eine Weise in den Straßen bewegen, die es dir erlaubt zu überleben. Und wir müssen dieselben Aktionen und Strategien, die wir tagtäglich offline benutzen auch in die sozialen digitalen Netzwerke bringen: Solidarität, Widerstand, Organisation – um eine größere Schlagkraft zu entwickeln“, fährt sie fort. Zusammen mit ADDFEM will sie Frauen zu einem kritischeren und aufgeklärteren Umgang mit digitaler Technologie anregen.

Doch was tun, wenn die Hasskommentare und Anfeindungen losgehen? Ein Phänomen, das feministischen Aktivistinnen – und generell Frauen – weltweit begegnet. Dabei können die virtuellen Anfeindungen genauso „reale“ Folgen wie Kommentare auf der Straße haben. „Füttert den Troll nicht“, empfiehlt Anaiz von den Luchadoras (Kämpferinnen), die beim Internetfernsehsender rompeviento.tv Sendungen zu frauenspezifischen Themen produzieren. „Sie leben davon, dass du ihnen antwortest und genießen es. Außerdem begibst du dich in einen Kampf, der nie aufhört.“ „Genau, fallt nicht auf das Spiel herein. Aber: dokumentiert alles. Macht zum Beispiel einen Screenshot und meldet den Vorfall“, kommentiert ihre Kollegin Eve. Die von Estrella Soria angesprochene „Konvergenz“ zwischen offline und online sowie die Vorfälle der Hasskommentare und Gewalt auch im Internet machen eines deutlich: Eine Grenze zwischen beiden Welten – virtuell und „real“ – ist nur schwer zu denken. Für Soria gibt es die Trennung überhaupt nicht mehr. Aber was bedeutet das für Kollektive und Aktivistinnen? In einem gemeinsamen Projekt versuchen verschiedene Gruppierungen in Mexiko-Stadt eine Antwort zu finden – konkret geht es um die Verbindung von digitaler und körperlicher Selbstverteidigung. Neben den Luchadoras und anderen vornehmlich digital arbeitenden Kollektiven ist deshalb auch das Comando Colibrí dabei. Eine Gruppe von Frauen, die für Frauen und Trans* auf Verteidigung ausgelegte Kampfkurse gibt.

Was also kann das Internet für die organisierten Frauen in Mexiko leisten? „Wir können uns über die Netzwerke weiter verbinden. Und das tun wir. Doch innerhalb der Logiken, nach denen die sozialen Netzwerke und Web 2.0 derzeit funktionieren, ist das schwierig“, erzählt Estrella Soria. Sie wirbt gleichzeitig für eine pro-aktivere Positionierung: „Die Aneignung ist die Attacke. Wie können wir die Technologie zu unserer machen, um damit zu kreieren, was wir wollen? Es ist bestimmt nicht gut, immer in einem Zustand der Verteidigung zu sein.“ Ziel sei die Schaffung einer neuen Infrastruktur, in der die einzelne Person respektiert würde und es Frauen möglich wäre, wirklich frei zu kommunizieren.

Gleichzeitig zeigen Projekte wie die (e)stereotipas, Las Morras oder die Luchadoras, dass das Internet in Verbindung mit digitalen Medien durchaus als aktivistischer Raum genutzt werden kann. Auch Twitter bietet immer wieder Möglichkeiten: #25N vernetzte die Demonstrationen von Frauen gegen Gewalt auf dem Kontinent, der Hashtag #miprimeracoso (#MeineErsteBelästigung) schwappte von Brasilien nach Mexiko und gab tausenden Frauen eine Möglichkeit, ihre Stimme im virtuellen Raum zu erheben und sich zu solidarisieren. Zuletzt zeigte der #Womens- March im Januar eindrücklich, wie groß die Bewegung gegen Donald Trumps misogyne Politik weltweit ist. Auch in Mexiko-Stadt waren zahlreiche Menschen auf die Straße gegangen. Es bleibt jedoch noch einiges zu tun, um das etwaige politische Potential des Internets in Mexiko voll auszunutzen. Laut dem mexikanischen Nationalen Institut für Statistik und Geografie (INEGI) hatten 2016 nur rund 40 Prozent der Haushalte eine Internetverbindung. Bei über der Hälfte der Menschen ohne Zugang liegt dies laut Daten aus dem Jahr 2015 in ihrer individuellen ökonomischen Situation begründet. Auch Estrella Soria äußert Kritik an diesem Zustand und verweist auf die Untätigkeit des Staates, den Zugang auszubauen. Gleichzeitig ermahnt sie: „Ich glaube, das Internet ermöglicht einiges, aber es ist nicht das einzige Werkzeug. Würden wir aufhören uns zu organisieren, wenn das Internet weg wäre? Ich denke nicht. Wir würden neue Wege finden.“

 

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