Kein Grund zur Eile

Mit einer Unterbrechung der Friedensverhandlungen und Forderungen nach einem konsequenten Vorgehen gegen die Paramilitärs reagieren die FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) auf den jüngsten Terror. Seit dem Beginn der Gespräche in San Vicente haben paramilitärische Verbände mehr als 150 Menschen in verschiedenen ländlichen Gebieten Kolumbiens ermordet. Mit der jüngsten Terrorwelle wollen die Todesschwadronen ihrer Forderung Nachdruck verleihen, in Friedensbemühungen einbezogen zu werden. Seitdem die Regierung nach der zweiten großen Guerilla des Landes, dem Nationalen Befreiungsheer (ELN), auch den FARC politischen Status zugebilligt hat, fordern die Paramilitärs dieselbe Akzeptanz. Dabei führen sie einen systematischen Krieg gegen die Bevölkerung, die sie der Sympathie für die Guerilla verdächtigen oder die einfach nur den Expansionsbestrebungen von GroßgrundbesitzerInnen sowie in- und ausländischen InvestorInnen im Wege ist.
Um der Regierung die Arbeit zu erleichtern, überreichten die Comandantes deren Delegation beim bisher letzten Treffen im südkolumbianischen San Vicente del Caguán eine Liste von Militärs und Politikern, die nach ihren Erkenntnissen mit den Todesschwadronen zusammenarbeiten. Die Liste ist brisant: Neben zehn ranghohen Generälen befindet sich darauf niemand geringeres als der Sicherheitschef von Präsident Andrés Pastrana. Bisher sind dessen Reaktionen auf diese Anschuldigungen in den Wirren des verheerenden Erdbebens untergegangen, das Ende Januar das Kerngebiet des Kaffeelandes Kolumbien zerstörte. Pastrana mußte deswegen auch seine geplante Europareise absagen, auf der er sicherlich auch bei Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) Geld zur Finanzierung seiner Friedensmission locker machen wollte.
Schließlich tritt der medienerfahrene Präsident auf zwei inländischen Bühnen gleichzeitig auf. Der Friedensprozeß mit dem ELN soll am 13. Februar seine Fortsetzung finden und in zweimonatigem Rhythmus vorangebracht werden. In den Verhandlungen mit den FARC bleibt ihm nach den jüngsten Entscheidungen der Guerilla nun etwas mehr Zeit.

Guerilla ohne Zeitdruck

Dabei hatte alles so verheißungsvoll begonnen. Mit zweimonatiger Verspätung zwar, aber voll Optimismus waren die Friedensgespräche zwischen der kolumbianischen Zentralregierung und der größten und ältesten Guerilla Lateinamerikas aufgenommen worden. Mit großem Bahnhof hatte Präsident Pastrana am 7. Januar in San Vicente del Caguán Einzug gehalten. Doch schon damals hatte ihm der FARC-Chef den Auftritt vermasselt: Manuel Marulanda erschien nicht zur Auftaktsitzung in dem herausgeputzten Viehzüchterstädtchen am Ostrand der kolumbianischen Anden. Die Guerilla argwöhnte ein Attentat auf ihren legendären, mittlerweile 68jährigen Anführer.
Das wäre, da sind sich alle Beteiligten einig, ein harter Schlag für die Friedensbemühungen. Nicht nur, weil der mit dem Spitznamen „Tirofijo“ (Schußsicherer) belegte Marulanda Vélez als entschiedener Verfechter einer friedlichen Beilegung des jahrzehntealten Konfliktes gilt. Viel bedeutsamer dürfte seine Rolle als eine Art Ur- und Übervater der FARC-Bewegung sein, der von vielen Aufständischen regelrecht verehrt wird. „Marulanda hat so viel Lebenserfahrung,“ meint beispielsweise Comandante Fabián, der 33jährige dritte Mann der Südfront, voller Bewunderung, „daß er viel schneller als die anderen die Zusammenhänge erkennt. Seine Entscheidungen sind richtig und weise.“ Der betagte Guerillero scheint als einziger in der Lage zu sein, die unterschiedlichen Strömungen innerhalb dieser Guerilla zusammenhalten zu können.
Bei einer derart großen und in völlig unterschiedlichen Regionen agierenden Organisation ist das keine leichte Aufgabe. „Die Konflikte sind eng mit regionalen und lokalen Problemen verbunden und unterliegen regionalen und lokalen Dynamiken,“ erklärt der stellvertretende Leiter des Forschungsinstituts CINEP in Bogotá, Diego Pérez. „So agiert die Guerilla beispielsweise in Urabá anders als im Süden des Landes, in Vaupés, Putumayo oder Guaviare oder als in Magdalena Medio. Es ist daher sehr schwierig, in Kolumbien globale, allgemeine und landesweite Lösungen zu finden.“ Das Hauptinteresse der Guerilla läge darin, ihre lokale Macht zu festigen. Eine Übernahme der zentralstaatlichen Macht sei trotz ihrer militärischen Stärke sehr kompliziert.
Leonel Narváez, der Vikar für Sozialpastoral in San Vicente und gleichzeitig Vorsitzender des örtlichen Friedenskomitees, beschreibt eine andere Kontroverse innerhalb der FARC: „Es gibt eine Spaltung in der Frage nach Krieg oder Frieden. Neben militärischen und kriegerischen gibt es eindeutig pazifistische Strömungen, wie sie Manuel Marulanda oder die Comandantes Raúl, Fabián und Joaquín repräsentieren, die Verantwortlichen für die Entspannungszone.“
Nach optimistischen Einschätzungen sind erste Veränderungen, die aus den Verhandlungen hervorgehen könnten, frühestens in fünf Jahren zu erwarten. Andere Beobachter verdoppeln diese Frist. Das bestätigt auch der Soziologe Alejo Vargas, Vizerektor der Nationaluniversität und Vertreter der sogenannten Zivilgesellschaft in den bisherigen Gesprächen mit der ELN-Guerilla. „Die FARC stehen nicht unter Druck und haben es keineswegs eilig, zu einer Lösung des bewaffneten Konflikts zu kommen.“ Vor allem in der Weite des südostkolumbianischen Amazonasbeckens könnten sie aus einer Position der Stärke in die anstehenden Verhandlungen gehen. Die Redakteurin Mariela Guerrero von der linken Zeitschrift Alternativa geht sogar davon aus, daß die FARC gar nicht über Frieden verhandeln wollen: „Ich glaube, ihr Hauptziel ist der Austausch von gefangenen Guerilleros gegen von ihnen festgehaltene Soldaten und Polizisten.“ Über dieses Problem, das viel Emotionen schürt und die Gemüter in Kolumbien mehr zu bewegen scheint als der mittlerweile fast vierzig Jahre dauernde Bürgerkrieg, beraten die Delegationen parallel in einem gesonderten Verfahren.
Die Comandantes in San Vicente betonen indes ihre Absicht, eine friedliche Beilegung des bewaffneten Konflikts zu erreichen. Allerdings, das dürfte die unterschiedlichen Interpretationen erklären, wollen sie keinen Frieden um jeden Preis. Ihr Ziel heißt: Frieden mit sozialer Gerechtigkeit. Nicht die Übernahme der Macht, keine sozialistische Umwälzung streben sie an, sondern die Beteiligung an einer pluralistischen Übergangsregierung. „Wir vertreten die Interessen der großen Mehrheit der Besitz- und Machtlosen,“ erklärt dazu Comandante Fabián von der Südfront. „Wir sind eine Bewegung mit tiefgreifenden politischen Motiven.“

“Sozialdemokratische Forderungen”

Auf die Frage, was das konkret bedeutet, verweist er auf ein Zehnpunktepapier für eine pluralistische Regierung aus dem Jahre 1993: „An diesen Forderungen hat sich im wesentlichen nichts geändert.“ Neben der Bekämpfung der Todesschwadronen und einer Reform von Armee und Polizei umfassen die grundsätzlichen FARC-Forderungen die Erhöhung der Sozialausgaben auf 50 Prozent des Gesamthaushalts, eine Landreform zu Gunsten der kleinen und mittleren Bauern, Staatsmonopol bei der Ausbeutung von Bodenschätzen und ein gerechteres Steuersystem. „Das sind alles Forderungen, wie sie auch eine linke sozialdemokratische Regierung aufstellen kann, meint dazu der langjährige Vorsitzende der kolumbianischen Bankiersvereinigung, César González, heute unabhängiger Wirtschaftsberater. Seiner Einschätzung nach gibt es in Teilen der Unternehmerschaft des südamerikanischen Landes durchaus die Bereitschaft, die erforderliche Modernisierung der Wirtschaft auch mit sozialen Verbesserungen zu begleiten.

Tauwetter zwischen Medien und FARC

Doch von den politischen Forderungen der Aufständischen ist in Kolumbien ebenso wenig bekannt wie von den Ursachen des fast vierzig Jahre währenden Bürgerkriegs. Die Guerilla ist zwar fest in ihren Stammgebieten verankert, doch in den Städten und nicht betroffenen Landesteilen begreifen nur Wenige den bewaffneten Konflikt und seinen AkteurInnen. Gerade die FARC haben zudem mit einem enormen Imageproblem zu kämpfen. In den Köpfen vieler KolumbianerInnen hat sich hartnäckig das Bild einer gewaltbereiten, rücksichtslosen und eine kommunistische Herrschaft anstrebenden Guerilla festgesetzt, die dem Land keine Ruhe gönnen will. Erheblichen Anteil an diesem Dilemma haben die kolumbianischen Medien, die politisch wie wirtschaftlich abhängig sind und bis auf wenige Ausnahmen recht unverblümt im Herrschaftsinteresse agieren. Die Guerilla beklagt sich zu Recht über regelmäßige Manipulationen und Verfälschungen in der Berichterstattung.
Das gegenseitige Mißtrauen zwischen den Aufständischen und der kolumbianischen Journaille sitzt tief. Doch im Vorfeld der Aufnahme der Gespräche in San Vicente ist etwas Bewegung in die starren Fronten gekommen. Es besteht großes Interesse von Seiten der PressevertreterInnen, die in den letzten zwei bis drei Jahren ganz vorsichtig eingeleitete Öffnung der Medien gegenüber der Guerilla fortzusetzen. Und die FARC weichen ihre aus Unkenntnis im Umgang mit der Presse und Angst vor ständiger Verfälschung entstandene Blockadepolitik auf. Die Ernennung des ehemaligen Priesters „Camilo“ zum Pressebeauftragten der FARC in San Vicente ist ein weiterer Schritt in diese Richtung und erfüllt eine häufige Forderung der JournalistInnen.

Von politischen zu wirtschaftlichen Kämpfen

Ihre Politik der Abschottung konnten die Aufständischen auch deshalb so lange verfolgen, weil der Krieg in Kolumbien vorwiegend in abgelegenen, wenig zugänglichen und wirtschaftlich unterentwickelten Regionen stattfindet. Dazu gehört auch das jetzt entmilitarisierte Territorium in den Departments Caquetá und Meta. Im Laufe dieses Jahrhunderts haben Bauern aus anderen Landesteilen allmählich die „Llanos“, den kolumbianischen Teil Amazoniens, besiedelt. Im Unterschied zu den früh kolonialisierten Regionen gehört den Campesinos das Land, auf dem sie leben und das sie bebauen. Historisch zeigte der Staat in dieser Region keinerlei Präsenz und nahm weder soziale Aufgaben noch wirtschaftliche Funktionen wahr. Staatliche Organisationen konnten somit nie die Rolle eines Vermittlers in alltäglichen oder politischen Konflikten ausfüllen. „Die Guerilla hat in dieser Region praktisch staatliche Aufgaben übernommen,“ erklärt Diego Pérez von CINEP, die ausgeprägte Verankerung der Aufständischen in der Zivilbevölkerung. „Die Guerilla wendet Recht an, auf ihre Art, aber sie übernimmt die Rechtsprechung. Sie schlichtet Konflikte, löst alltägliche Probleme der Gemeinden und ist eine Art Beschützer der Bevölkerung gegenüber externen Angreifern.“
In erster Linie gegenüber den Vernichtungsfeldzügen gegen die Drogenproduktion, die der kolumbianische Staat gemeinsam mit der US-amerikanischen DEA (Drugs Enforcement Agency) regelmäßig startet. Der politisch motivierte Guerillakampf ist längst durch massive ökonomische Auseinandersetzungen überlagert. „Die Gewalt in Kolumbien wird in zunehmendem Maße nicht mehr von politischen, sondern verstärkt von Wirtschaftsinteressen bestimmt,“ meint Diego Pérez. „Was im Süden des Landes, in den Departments Meta, Caquetá oder Putumayo passiert, hängt im wesentlichen mit der Ökonomie der Kokaproduktion zusammen. Und die Guerilla ist wichtigste Nutznießerin dieser illegalen Anbauprodukte.“ Eine direkte Beteiligung an Produktion und Handel, die ihr immer unterstellt wird und mit dem Kampfbegriff der „Narcoguerilla“ in den Köpfen verankert werden sollte, habe CINEP allerdings noch bei keiner Untersuchung feststellen können.
Die Position der FARC gegenüber der Drogenproduktion ist eindeutig. „Wir haben nie den Kokaanbau als solchen verteidigt,“ erklärt Comandante Joaquín, der Chef der Südfront, „sondern die Leute, die davon leben. Wir können nicht einfach sagen, hört auf Koka anzubauen – wovon sollen diese Leute denn sonst leben.“ Von den Zwischenhändlern, die Kokapaste herstellen oder weiterverkaufen, kassiere die Guerilla eine Art Steuern, schließlich würde der Staat ja auch vergleichbare Wirtschaftsaktivitäten besteuern. Die Kontrolle über den Südosten Kolumbiens ist daher für die Guerilla nicht nur aus strategischen Gründen überlebenswichtig.
Für die kolumbianische Regierung und vor allem für die USA ist der Drogenanbau von zentraler Bedeutung, der große Bruder im Norden betrachtet es gar als ein Problem der nationalen Sicherheit. „Bisher gibt es keinen überzeugenden Vorschlag,“ kritisiert Alejo Vargas, „denn ein Substitutionsprogramm für die Kokaproduktion in einem so ausgedehnten Gebiet und einer so großen Zahl davon abhängiger armer Bauern wie in Amazonien ist nur an ein mittel- oder langfristiges Programm zu denken. „Für eine Fläche von 100.000 Hektar bedarf es Investitionen im Umfang von mindestens zehn Milliarden Dollar. Das würde die Kapazität des kolumbianischen Staates schlichtweg überfordern“.

KASTEN

Interview mit Comandante Joaquín, Chef der FARC-Südfront und Unterhändler in den Friedensverhandlungen mit der Regierung

Denken Sie, die politische Klasse dieses Landes ist reif, die Präsenz der FARC im politischen Leben Kolumbiens zu akzeptieren?

Das ist kein Problem der Reife der politischen Klasse. Denn das ist eine rückständige, reaktionäre und blutrünstige politische Klasse, die sich mit gegen das Volk gezücktem Bajonett und Blei an der Macht gehalten hat und an der Macht hält. Immer wenn eine politische Bewegung entstand, die reale Chancen hatte, die Macht zu ergreifen, schalteten sie sie physisch und mit Gewehren aus.

Was ist ihre Konsequenz daraus für die jetzigen Verhandlungen?

Wir haben immer gesagt, daß wir die Waffen nicht abgeben werden. Jetzt verhandeln sie mit uns, weil wir die Waffen haben. Und später sind diese Waffen die Garantie dafür, daß die Vereinbarungen eingehalten werden.

Bis wohin reicht im Moment der Friedenswillen der FARC? Das ist der dritte derartige Prozeß in den letzten 15 Jahren, was hat sich gegenüber früher geändert?

Da hat sich gar nichts geändert. Unsere Suche nach Frieden geht auf den Ursprung unserer Bewegung zurück. Unsere Perspektive ist ein Frieden mit sozialer Gerechtigkeit, daran hat sich nichts geändert. Wie wir den Frieden sehen und wie wir gesehen werden, da gibt es natürlich große Unterschiede.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Nach außen wird das Bild verbreitet, daß unsere Bewegung nur deshalb in den Bergen hockt, weil es uns Spaß macht, wir bequem leben und uns so um alles drücken, weil es uns gefällt, daß uns die Mücken stechen. Die Leute wissen einfach nicht, was wir wollen. Das Entscheidende wäre es, die historischen, sozialen und wirtschaftlichen Ursachen zu verbreiten, die dazu geführt haben, daß eine Handvoll Leute einen bewaffneten Aufstand beginnen, der heute unsere Bewegung ist.

Eine Frage zur EU: Könnte nicht eine Freilassung der festgehaltenen Europäer zu besseren Beziehungen beitragen?

Nein, dazu ist eines zu sagen: Die wirtschaftlichen Entführungen erfolgen mit politischen Zielen. In diesem Krieg, der im wesentlichen vom Kapital aufgezwungen wird, müssen die Kapitalisten die Kosten tragen. Die Europäer, die hierherkommen, sind Vertreter der transnationalen Unternehmen. Einige davon bezahlen die paramilitärischen Gruppen dafür, daß sie die Besitzer des Landes ermorden und vertreiben.

Also steht jemand im Dienste internationaler Unternehmen, bevor Sie ihn entführen. Trifft es nie einen Touristen?

Na ja, die werden vielleicht auch manchmal festgehalten, aber mit dem Ziel, ihnen die Lage zu erklären, damit sie in ihr Land zurückkehren und sie dort öffentlich machen. Denn bei den Touristen sind wir daran interessiert, daß sie unsere Realität verbreiten, die Marginalisierung der Bevölkerung, die abgrundtiefen Unterschiede zwischen arm und reich.
Interview: Jens Holst

“Eine politische Lösung ist keine Frage von sechs oder zwölf Monaten“

In Kolumbien wird überall von Friedensverhandlungen gesprochen. Die Angriffe von Armee und Paramilitärs sind aber so heftig wie schon lange nicht mehr. Es gibt neue Flüchtlingsströme. Was gibt es mit so einem Staat überhaupt noch zu verhandeln?

Natürlich gibt es viele Anzeichen dafür, daß das Establishment keine friedliche Lösung will, aber das heißt nicht, daß wir uns als politische Bewegung nicht um eine solche Lösung bemühen würden. Wir sind der Meinung, daß man die Oberschicht zum Einlenken zwingen muß: durch soziale Proteste, den Druck der internationalen Öffentlichkeit und durch militärische Aktionen gegen die Armee. Außerdem wollen wir nicht nur mit der Regierung, sondern auch mit den verschiedensten gesellschaftlichen Sektoren sprechen. In den inzwischen 50 Jahren bewaffneten Konflikts hat es in Kolumbien mehr als eine Million Tote gegeben sowie allein seit 1990 mindestens 1,2 Millionen Flüchtlinge. Aus diesem Grund müssen wir uns um eine politische Lösung bemühen.

Wie lange bleiben die von der Armee geräumten fünf Munizipien in den Händen der FARC? Wie sehen die nächsten Schritte bei den Gesprächen aus?

Mit der Regierung ist eine dauerhafte Räumung des Gebietes vereinbart worden. Eine politische Lösung des Konflikts in Kolumbien ist ja keine Frage von 6 oder 12 Monaten, nicht einmal von vier Jahren. Der Verhandlungsprozeß wird über mehrere Regierungsperioden hinweg gehen, denn die Ursachen des bewaffneten Konflikts liegen sehr tief. In dieser Zeit müssen die sozialen Probleme, die dem Konflikt zugrunde liegen, beseitigt werden.
Das schwerwiegendste Problem ist im Augenblick der schmutzige Krieg und die staatliche Repression gegen die Opposition. Solange die kolumbianische Bevölkerung ihre Rechte nicht frei einfordern kann, kann es keinen offenen Dialog geben. Sobald die freie Meinungsäußerung garantiert ist, können wir über jene Veränderungen diskutieren, die längerfristig ein friedliches Zusammenleben ermöglichen. Darunter fällt die Reform des Justizapparats, also unter anderem die Abschaffung der Denunziations- und „Anti-Terror“-Gesetze, die Umstrukturierung der Armee, das heißt ein Ende der Nationalen Sicherheitsdoktrin, eine grundlegende Landreform sowie einschneidende Reformen der wirtschaftlichen Struktur.

Mit der Räumung der fünf Munizipien durch die Armee ist faktisch auch anerkannt worden, daß die Guerilla eine legitime politische Kraft im Land darstellt. Inwiefern wollen Sie in diesen Gebieten eigentlich auch beweisen, daß Sie besser und verantwortungsvoller verwalten können als das Establishment?

Unser wichtigstes Ziel ist im Moment, daß dort so viele Leute wie möglich an Gesprächen teilnehmen können. Wir wollen eine freie politische Auseinandersetzung gewährleisten und dort Gewerkschafter, Stadtteilorganisationen, Kirchen, Bauern, Studentengruppen, internationale Organisationen, ja sogar RegierungsvertreterInnen empfangen. Das heißt, wir müssen das Gebiet wirklich unter Kontrolle haben. Ansonsten wird die Armee die Gespräche mit Anschlägen sabotieren und von paramilitärischen Aktionen sprechen.

Welche Rolle spielt die kommunale und regionale Selbstverwaltung, also so etwas wie das von der ELN vorschlagene „Poder Popular“ (Volksmacht), in den von den FARC dominierten Gebieten?

Wir haben durchaus positive Erfahrungen gesammelt, vor allem in Gemeinden, die früher Coca angebaut haben und nun zur Produktion von Lebensmitteln übergegangen sind. Wir wollen, daß für derartige kommunale Projekte die Gelder zur Verfügung gestellt werden, die Kolumbien aus dem Erdöl-und Kohleexport zieht…

Aber das sind ökonomische Projekte und keine politische Selbstverwaltung. Haben Sie nicht das Ziel, in den von Ihnen dominierten Gebieten ein alternatives, paralleles Kolumbien aufzubauen?

Nein, nicht in dem Sinne eines parallelen Landes. Wir wollen natürlich ein Beispiel für eine gute Verwaltung abgeben, aber nicht indem wir die Integrität des Landes in Frage stellen.

Sie streben also keine „befreiten Gebiete“ an, sondern es geht vor allem darum, daß politische Gespräche stattfinden können.

Natürlich wollen wir auch, daß es eine transparente Verwaltung gibt. Aber das wichtigste ist, daß in diesen Gebieten alle politische Meinungen und Glaubensrichtungen respektiert werden, egal ob die Leute liberal oder konservativ, katholisch oder adventistisch sind. Es muß dort wirklich demokratische Verhältnisse geben.

Sie sagen, daß Sie politische Meinungsfreiheit gewährleisten wollen, aber es ist auch kein Geheimnis, daß die Guerilla vielerorts autoritär gegenüber der Bevölkerung auftritt. Was gibt es für Garantien, damit nicht wieder die Macht der Waffen entscheidet?

Alle GuerillakämpferInnen in Kolumbien unterliegen einem von der Guerillakoordination vereinbarten Verhaltenskodex, der die Beziehungen zur Zivilbevölkerung klärt. Dieser Kodex wird in Kursen und Schulungen unterrichtet. Es ist tatsächlich nicht auszuschließen, daß der Kommandant einer Einheit Anhänger der Liberalen oder Konservativen Partei für Verbrechen ihrer jeweiligen Parteiführung bestrafen will. Aber genau deswegen gibt es diesen Kodex, der besagt, daß Meinung und Glauben der Zivilbevölkerung in jeder Hinsicht respektiert werden muß.

Ein Verhaltenskodex ist eine Sache, seine Umsetzung eine andere. Welche Kontrollmechanismen gibt es?

Die Guerilleros sind verpflichtet, Verstöße gegen den Kodex zu melden, auch wenn diese von ihrem Vorgesetzen begangen wurden. Nach allen Aktivitäten gibt es außerdem eine Auswertung, in der Verstöße angesprochen werden können. Und drittens nehmen wir die Kritik der Zivilbevölkerung sehr ernst. Wenn eine Gemeinde eine Beschwerde gegen eine Einheit hat, kann die Bevölkerung sie jederzeit an eine höhere Befehlsebene weitergeben. Vergehen gegen die Zivilbevölkerung werden als schwere Delikte behandelt und von uns bestraft.

Was Sie sagen, ändert doch nichts am Problem: Wenn der örtliche Guerillakommandant nicht von einer unabhängigen Instanz kontrolliert wird, sondern von seinen Untergebenen und Freunden, ist es kein Problem für ihn, jede Kritik unter den Teppich zu kehren.

Es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen Guerilla und staatlichen Autoritäten. Bei uns kämpfen alle Leute aus politischen und ethischen Prinzipien. Wenn jemand die Zivilbevölkerung schlecht behandelt, haben alle die Verpflichtung, diese Vergehen öffentlich zu machen. Da gibt es keinen Korpsgeist. Wenn wir uns wie die Armee verhalten würden, hätten wir kaum die Unterstützung, die wir heute haben.

Die FARC haben sich bis 1989 eng am sowjetischen Beispiel orientiert. Das ist inzwischen zusammengebrochen, Sie aber vertreten immer noch ein sozialistisches Konzept. Was unterscheidet Sie von realsozialistischen Organisationen von früher?

Wir halten den Sozialismus für weiterhin notwendig, weil der Kapitalismus die sozialen Probleme vor allem der unterentwickelten Länder nicht lösen kann. Hier hat ein Großteil der Bevölkerung keinen Zugang zu Erziehung und Gesundheit.
Die Sowjetunion ist unserer Meinung nach untergegangen, weil sie die Grundprinzipien des Sozialismus nicht umgesetzt hat: die Befriedigung der materiellen und spirituellen Bedürfnisse der Bevölkerung. Das heißt jedoch nicht, daß es dort nicht auch positive Resultate gegeben hätte. Alle hatten Arbeit, etwas zu essen, kostenlosen Zugang zu Bildung, Kultur und Gesundheit. Wir müssen also ausgehend von den Eigenheiten Kolumbiens die positiven Seiten des Realsozialismus von den negativen trennen.
Aber das ist nicht unser unmittelbares Ziel. Wir kämpfen heute in Kolumbien für eine Regierung der nationalen Aussöhnung, die innerhalb des Kapitalismus agiert. Ihre Aufgabe ist es, eine Demokratie herzustellen, die es allen ermöglicht, ihre Ideen zu vertreten.

Die FARC kämpfen also heute für die Durchsetzung der Sozialdemokratie…

Nicht für die Sozialdemokratie, die es heute in unseren Ländern gibt. Aber es stimmt, wir kämpfen im Moment auch nicht für den Sozialismus. Wir wollen ein demokratisches System, das die Bedürfnisse der gesamten Bevölkerung berücksichtigt, und in dem wir dann legal für den Sozialismus arbeiten können. Trotzdem sind wir keine Sozialdemokraten. Wir wollen ein System, das sich nicht nur für die Belange der Menschen im eigenen Land interessiert. Das ist ein wesentlicher Unterschied zur Sozialdemokratie.

Das Projekt „demokratische Revolution“ ist ja nicht gerade eine Innovation im Parteikommunismus, es entspricht dem klassischen Etappenmodell des Leninismus. Doch in allen Fällen bisher haben diese Revolutionen nicht zu mehr Demokratie geführt, sondern zur Errichtung einer bürokratischen Herrschaft unter Führung der KPs. Was können Sie der kolumbianischen Bevölkerung sagen, damit man Ihnen diesmal glaubt?

Das war tatsächlich ein Kernproblem des Sozialismus. Es ist ein großer Vorteil für uns, daß wir heute von diesen Erfahrungen lernen können. Wir wissen, daß die große Herausforderung lautet, eine Demokratie zu gewährleisten, die die Entfaltung des Individuums ermöglicht, und das ist auch der Grund, warum wir heute in der Guerilla erwarten, daß alle politischen Meinungen respektiert werden. Wir wollen natürlich Leute von kommunistischen Ideen überzeugen, aber das kann man nicht erzwingen. Wir können allerdings durchsetzen, daß es eine Ordnung gibt, in der alle frei debattieren können.

Wenn man die aktuellen Verhandlungsvorschläge von FARC und ELN betrachtet, sieht man eigentlich nur Gemeinsamkeiten. Warum hat man sich da nicht zusammengeschlossen, um gemeinsam Gespräche zu beginnen?

Das ist eine Frage, die wir uns auch stellen. Es gibt wirklich kaum taktische und strategische Unterschiede. Wir haben es einfach mit der Geschichte zweier unterschiedlicher Organisationen zu tun. Es gab Versuche, sich zusammenschließen, es gab 1987-92 die Guerillakoordination Simón Bolívar, aber diese Zusammenarbeit ist auseinandergegangen. Wir haben aber inzwischen viele gemeinsame Erfahrungen gesammelt und respektieren uns gegenseitig. Ich habe daher die Hoffnung, daß wir früher oder später zu einer Vereinbarung mit allen Guerillaorganisationen kommen werden, nicht nur mit der ELN, sondern auch mit den kleineren Organisationen EPL und dem Jaime Bateman.

USA forcieren eine militärische Lösung

Bei der ungewohnten Selbstkritik von Madeleine Albright Anfang Dezember war es unter anderem um die Rolle der Militärschule „School of America“ in Fort Brenning/Georgia gegangen, auf der in den vergangenen Jahrzehnten Tausende von lateinamerikanischen Generälen in Anti-Guerilla-Strategien und psychologischer Kriegsführung unterrichtet worden sind. Doch während sich Albright wegen der Vergangenheit in Chile in Betroffenheit übte, machte die Clinton-Regierung in Kolumbien weiter wie gehabt – und dies, obwohl die Greueltaten dort immer schrecklichere Ausmaße annehmen.

Eskalation der Gewalt

In einer noch nicht dagewesenen Eskalation der Gewalt massakrierten paramilitärische Gruppen seit September mehr als 1000 Menschen. Mit Todeslisten in der Hand durchkämmten Todesschwadrone in der Erdölstadt Barrancabermeja und San Carlos ganze Stadtviertel, in der Provinz Bolívar zerstückelten die Schlächter Bauern mit der Motorsäge und folterten Kinder vor den Augen ihrer Eltern zu Tode. Allein in der zweiten Januarwoche des neuen Jahres töteten sie im ganzen Land 150 Zivilisten aufgrund vermeintlicher Guerilla-Sympathien.
Die engen Verbindungen zwischen Todesschwadronen und der Armee sind dabei nirgends ein Geheimnis. So retteten in Montecristo in der Provinz Bolívar Armee-Einheiten im vergangenen Oktober 150 von der Guerilla eingekreiste Paramilitärs durch die Entsendung von Helikoptern und Spezialeinheiten. Auch die Massaker in den Städten Barrancabermeja, San Carlos und San Pablo fanden mit offensichtlicher Rückendeckung der Armee statt. Darüber hinaus deckte die Washington Post schon im vergangenen August auf, daß der damalige Geheimdienstkoordinator der kolumbianischen Armee Iván Ramírez nicht nur bis vor kurzem auf der Gehaltsliste der CIA stand, sondern auch als enger Vertrauter des Paramilitär-Chefs und Drogenhändlers Carlos Castaño gilt. Zudem stellte die Washington Post auch den Kommandanten der 5. Brigade Fernando Millán sowie den Chef der 17. Brigade Rito Alejo Del Río als Kriegsverbrecher fest. Der demokratische Abgeordnete Kennedy ergänzte diese Enthüllungen mit der Information, daß mehr als die Hälfte der 240 in Fort Brenning/Georgia ausgebildeten kolumbianischen Offiziere in Menschenrechtsverletzungen verwickelt seien.

Direkte Unterstützung in der Guerillabekämpfung

Dennoch bekräftigt das US-Verteidigungsministerium seit einigen Monaten die Notwendigkeit einer direkten Unterstützung der kolumbianischen Armee. Der Chef des US-Kommandos Süd Charles Wilhelm kündigte auf dem Militärgipfel in Cartagena an, daß die USA die kolumbianische Regierung nicht mehr nur in der Drogenbekämpfung, sondern nun auch offen im Krieg gegen die linke Guerilla unterstützen werde. „Wenn Kolumbien weiter destabilisiert wird, wird dies Auswirkungen auf die ganze Region haben“, erklärte Wilhelm besorgt vor der Presse. Im Rahmen des neuen Kooperationsvertrages vereinbarte man deshalb, verstärkt US-Militärberater einzusetzen, um eine Professionalisierung der kolumbianischen Armee und ihres Geheimdienstapparates zu gewährleisten. Zur strukturellen Absicherung der Kooperation gründeten die beiden Regierungen zudem eine „Bilaterale Verteidigungsgruppe Kolumbien-USA“, in der die US-amerikanische Seite von einem Beamten mit dem seltsamen Titel „Staatssekretär für Spezialoperationen und Konflikte geringer Intensität des US-Departments“ vertreten sein wird.
Das neue Programm ist bereits im Januar angelaufen. In den nächsten Wochen werden 300 US-amerikanische Ausbilder von Spezialeinheiten sowie eine unbestimmte Zahl von CIA-Hochtechnologiespezialisten in Kolumbien erwartet. Von zwei neugegründeten kolumbianischen Elite-Bataillonen, die offiziell zur Drogenbekämpfung dienen sollen, aber in unmittelbarer Nähe des Hauptquartiers der FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) agieren, wird eines direkt von US-amerikanischen Militärberatern geleitet. Zudem stellte die US-Luftwaffe der kolumbianischen Regierung Satelliten und Spionageflugzeuge zur Überwachung der im Rahmen der Friedensgespräche demilitarisierten Gebiete im Süden des Landes zur Verfügung.
Insgesamt erwarte man in diesem Jahr, so der Politologe Eduardo Pizarro von der Universidad Nacional in Bogotá, die Aufstockung der US-Militärhilfe auf 400 Millionen US-Dollar, womit Kolumbien zum drittgrößten Empfänger dieser Art von Finanzhilfen in der Welt avancieren würde. Das größte Problem stellt dabei das US-amerikanische Leahy-Gesetz dar, das Waffenlieferungen an solche Armee-Einheiten verbietet, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht werden. Da es in Kolumbiens Armee kein einziges Bataillon gab, das diesen Auflagen entsprach, wurde auf Anraten der USA Ende 1998 kurzerhand eine bisher in den internen Konflikt nicht involvierte Grenztruppe in eine Brigade umgewandelt. Von Einreiseverboten für in Menschenrechtsverletzungen verwickelte Generäle ist hingegen nicht mehr die Rede.

Im Zeichen der Drogenpolitik

Der Soziologe Alfredo Molano, der als einer der wichtigsten Beobachter des Friedensprozesses gilt, äußerte in der Tageszeitung El Espectador Mitte Januar aus diesem Grund besorgt die Einschätzung, daß eine US-amerikanische Militärintervention immer wahrscheinlicher werde.
Das einzige positive Zeichen in diesem Zusammenhang war das Treffen zwischen dem Lateinamerika-Berater Clintons, Peter Romero, und den FARC in Costa Rica Ende 1998. Bei der nicht-öffentlichen Zusammenkunft, für die Romero in den USA von republikanischen Politikern inzwischen scharf kritisiert wurde, unterbreitete die Guerilla den USA den Vorschlag, den Coca-Anbau in ihren Gebieten völlig zu unterbinden, wenn die US-Regierung Finanzhilfen für Substitutionsprogramme zur Verfügung stelle.
Doch trotz dieses Lichtblicks stehen die Zeichen weiter auf Sturm. Nach den schweren Niederlagen der kolumbianischen Armee im Kampf gegen die Guerilla sind in den vergangenen 18 Monaten alle wichtigen US-Sicherheitsorgane in Kolumbien zur Inspektion gewesen, darunter nicht nur Verteidigungsminister William Cohen, sondern auch der Chef der “Drogenpolizei “ (DEA) Thomas Constantine, FBI-Direktor Louis Freeh, der Anti-Drogen-Zar Barry McCaffrey, sowie der Kommandant des „Kommandos Süd der US-Armee Charles E. Wilhelm. Der Hintergrund dafür war die Anfang 1998 veröffentlichte US-Studie, wonach die Guerilla den Krieg in den kommenden fünf Jahren gewinnen könne, wenn die USA nicht entschlossener in den Konflikt eingriffen.
Offensichtlich ist die von der US-Administration verkündete Kehrtwende in der Außenpolitik sowohl in ihrem Vokabular als auch in ihrer Praxis sehr viel weniger grundlegend, als gemeinhin angenommen wird. Zwar redet die Clinton-Regierung nicht mehr vom „Kampf gegen den Kommunismus“, sondern von „internationalem Drogenhandel und Terrorismus“, aber für die betroffene Bevölkerung der ländlichen Regionen macht dies keinen Unterschied.

Pastrana in der Zwickmühle

Die Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens), der größten Guerillaorganisation des Landes, sind in greifbare Nähe gerückt. Innerhalb der kommenden Wochen wird die wichtigste Vorbedingung der Rebellen erfüllt sein: Präsident Andrés Pastrana Arango wird die Armee anweisen, fünf Munizipien im Süden des Landes vollständig zu räumen. Damit wächst die Hoffnung auf einen Dialog ohne Waffen in dem von Gewalt gebeutelten Land – mit gutem Willen allein ist der aber nicht zu erreichen. Während paramilitärische Gruppen drohen, die Verhandlungen mit Gewalt zu stören, haben die FARC bislang nur Forderungen gestellt, ohne Zugeständnisse zu machen. Die Friedensbemühungen der ELN (Nationale Befreiungsarmee), erhalten hingegen von Pastrana bislang wenig Aufmerksamkeit. Krieg oder Frieden in Kolumbien hängen davon ab, ob der Präsident eine behutsame Gesamtstrategie entwickeln wird, um das Land zur Versöhnung zu führen.
Großspurig gab Ramón Isaza, Kommandant und zweiter Kopf der Vereinten Selbstverteidigungstruppen Kolumbiens AUC (Auto-defensas Unidas Columbianas) gegenüber der Tageszeitung El Espectador bekannt, die Regierung habe sich der Guerilla zu Füßen geworfen – gemeint sind die erheblichen Zugeständnisse des Präsidenten an die mächtigen FARC. Die Botschaft Isazas ist eindeutig: Entweder der paramilitärische Terror der AUC wird ebenfalls als politischer Kampf anerkannt und seine Organisation mit der Guerilla gleichgestellt, oder bewaffnete Gruppen werden ver-suchen, die Verhandlungen mit den Rebellen gewaltsam zu stören.
Pastranas Politik ist mit derartigen Ankündigungen kaum gefährdet. Er genießt breite Unterstützung für seinen Kurs und hat neben dem angekündigten Truppenabzug, durch den eine Verhand-lungszone für Gespräche mit den FARC geschaffen werden soll, sogar einen Gefangenenaustausch zwischen Guerilleros und von den Rebellen festgehaltenen Soldaten und Polizisten in Aussicht gestellt. Sein wichtigster Gegner, der ehemalige Präsidentschaftskandidat und Führer der liberalen Partei Horacio Serpa Uribe, welcher sich im Wahlkampf selbst als Verfechter des Dialogs angepriesen hatte, erklärte, daß Kolumbiens wichtigstes Ziel der Frieden sei: „Darum hat die Regierung unsere vollständige Solidarität für ihre Anstrengungen, Versöhnung und Verständigung herzustellen.“
Ähnlich bedingungslose Unterstützung kommt von Seiten der Armee. Ihr Oberkommandierender, General Fernando Tapias Stahelin, bekräftigte erst kürzlich, daß der Frieden keinesfalls an den Streitkräften scheitern wird.

Bittere Erfahrungen der Vergangenheit

Trotz allem machte die Drohung Isazas erneut klar, wie schwierig der bevorstehende Friedenspro-zeß werden wird. Der bewaffnete Konflikt in Kolumbien hat in den letzten Jahren unter anderem deswegen an Intensität gewonnen, weil zur Auseinandersetzung zwischen Staat und Guerilla die paramilitärischen Banden als dritter unübersehbarer Machtfaktor hinzugekommen sind. Mit ihnen kann die Regierung keine Verhandlungen aufnehmen, da dies das sofortige Ende der in Kürze beginnenden Gespräche mit den FARC zur Folge hätte. Diese fordern von der Regierung ein unerbittliches Vorgehen bei der Bekämpfung der Privatjustiz-Gruppen. Ohne deren Auflösung wird zudem keine Guerillaeinheit ihre Waffen abgeben: Zu bitter waren die Erfahrungen mit der Wiedereingliederung der Rebel-lengruppe M-19 Ende der acht-ziger Jahre unter dem damaligen Präsidenten Belisario Betancur. Unzählige AnhängerInnen und politische FührerInnen dieser demobilisierten Guerilla wurden nach und nach Opfer einer dramatischen „Säuberungswelle“, durchgeführt von rechten Todesschwadronen.
Eine politische Anerkennung der paramilitärischen Privatarmeen ist zudem kaum denkbar, da diese laut Menschenrechtsorgani-sationen für die überwiegende Anzahl der Menschenrechtsverletzungen – vor allem selektive Massaker in der Zivilbevölkerung gegen vermeintliche Guerilla-un-terstützerInnen – verantwortlich sind. Nach Informationen der Vereinten Nationen wurde ein Drittel des Binnenflüchtlingsstroms in Kolumbien durch ihre Greueltaten ausgelöst.

Fehlende Entschlossenheit

Angesichts des Ausmaßes des Problems hätte auch eine militärisch-juristische Offensive des Staates wenig Aussicht auf Erfolg, zumal die „Paras“ insbesondere im Militär mächtige Verbündete haben, für die der paramilitärische Terror gegen die Landbevölkerung eine unkonventionelle und „erfolgreiche“ Art der Guerillabe-kämpfung darstellt. Anführer und Teilnehmer der Massaker sind in Kolumbien durchaus keine Unbekannten: Die Staatsanwaltschaft hat insgesamt rund 600 Haftbefehle gegen mutmaßliche Para-militärs ausgestellt – tatsächlich verhaftet wurde bis jetzt aber nur der kleinste Teil der Beschuldigten. Die Verstrickungen zwischen Personen aus Militär- und Justizapparat mit den Privatarmeen gehen soweit, daß den „Selbst-justizgruppen“ offenbar die kompletten Suchlisten der Behörden zugespielt wurden.
Pablo Beltrán, einer der Sprecher der Guerillagruppe ELN, warf Pastrana vor, an der Politik seines Amtsvorgängers Ernesto Samper Pizano in Bezug auf die Paramilitärs nichts geändert zu haben: Der Wechsel in der Militärführung, den der frisch vereidigte Pastrana Anfang August vorgenommen hatte, brachte laut Bel-trán erneut Offiziere an die Spitze, die mit den Paramilitärs in Verbindung stehen. Konkret beschuldigte er unter anderem Ge-neral Jorge Enrique Mora Rangel, Kommandant des Heeres, und General Rafael Hernández López, Chef des Generalstabs der Streitkräfte.
Präsident Pastrana und sein Hochkommissar für den Frieden Victor G. Ricardo haben sich offenbar für ein schrittweises Taktieren entschlossen. Letzterer antwortete auf die Drohung Isazas, man sei wohl bereit, mit den AUC zu reden, aber nicht an einem Tisch mit der Guerilla. Man werde die Paramilitärs im Rahmen von „dem Staat eigenen Instrumenten“ zum Gespräch rufen – was das genau heißen soll, weiß derzeit wahrscheinlich nicht einmal Ricardo selbst. Pastrana hat den Vizepräsidenten Gustavo Bell, eine politische Gestalt, die im politischen Alltag kaum präsent ist, beauftragt, innerhalb von drei Monaten ein Programm für eine „dauerhafte staatliche Politik gegen paramilitärische Gruppen“ zu erarbeiten. Das Dilemma des Präsidenten ist, daß er – vor allem gegenüber der Guerilla – nicht tatenlos wirken darf, sich aber de facto keine direkte Konfrontation mit den „Paras“ leisten kann.

Spielen die FARC mit offenen Karten?

Die FARC hingegen werden aus einer Position der Stärke heraus in die Verhandlungen gehen. Sie haben bis jetzt – außer der Bereitschaft zu Gesprächen, sofern die fünf Munizipien tatsächlich geräumt werden – noch kein deutliches Zeichen des guten Willens gesetzt, wie etwa die ELN, welche in den letzten Wochen mehrere entführte Bürgermeister freigelassen haben. FARC-Chef Manuel Marulanda Vélez („Tirofijo“) will offenbar die Gunst der Stunde nutzen, um die in den vergangenen Monaten systematisch als „Kriegsgefangene“ entführten Soldaten und Polizisten gegen Guerilleros einzutauschen – allerdings nicht im Verhältnis eins zu eins: Die 245 Männer, die sich in der Gewalt der FARC befinden, sollen 450 FARC-Anhängern, darunter wichtige ideologische und militärische Anführer, die Freiheit zurückgeben.
Für großen Unmut hat außerdem in der Öffentlichkeit die Behauptung des zweiten Mannes der FARC, Jorge Briceño („Mono Joyjoy“) gesorgt, der bestritten hatte, daß die Guerillagruppe zivile Geiseln genommen habe. Diese Aussage wird von Analysten als unwahr betrachtet. Ferner fehlen nach Angaben der Regierung 30 Namen von verschwundenen Soldaten auf den Listen, welche „Tirofijo“ der Regierung hat zukommen lassen.

Frieden als Wahlversprechen

Politischer Klimawechsel in Kolumbien: auf einmal beherrschte das Thema „Frieden“ die Debatten. Der bis dahin für das Amt des Präsidenten als Geheimtip gehandelte rechtspopulistische Ex-Heereschef Haroldo Bedoya erlebte einen rasanten Absturz in den Meinungsumfragen, während die anderen KandidatInnen, der konservative Andrés Pastrana, der liberale Horacio Serpa und die unabhängige Kandidatin Noemi Sanín sich in Friedensversprechungen überboten. Pastrana stellte gar ein Abkommen mit der Guerilla innerhalb von sechs Monaten in Aussicht.
Die Eskalation des Krieges und das Ausmaß der Gewalt lassen sich nicht mehr ignorieren: Paramilitärs entvölkern auf brutalste Weise inzwischen ganze Regionen. Weit über eine Millionen KolumbianerInnen sind auf der Flucht und mittlerweile greift der Terror auch auf die Großstädte über. Auch für die staatliche Seite spitzt sich die Lage zu: Die Guerillaorganisation FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) hat der Armee in den vergangenen Monaten verheerende Niederlagen zugefügt, und trotz mehrerer neuer Sondereinheiten gelingt es der Polizei nicht, die Entführungen von PolitikerInnen und UnternehmerInnen in den Griff zu bekommen.
Vor diesem Hintergrund hatten sich regierungsnahe Gruppen für die Kongreßwahlen im Oktober 1997 einen „Stimmzettel für den Frieden“ ausgedacht. Die völlig unverbindliche „Papeleta por la Paz“ traf die Stimmung in der Bevölkerung in ihrem Kern: Tatsächlich wählten trotz einer Boykott-Kampagne der Guerilla so viele KolumbianerInnen wie noch nie. Das politische Establishment setzte sich mit diesem politischen Manöver selbst unter Druck: nun waren die KandidatInnen gezwungen, konkrete Vorschläge für Verhandlungen zu präsentieren.
Präsident Samper versuchte daraufhin auf recht plumpe Weise, seinem designierten Nachfolger Horacio Serpa behilflich zu sein. Im Februar diesen Jahres unterzeichneten die Guerillaorganisation ELN (Ejército de la Liberación Nacional) und Vertreter der Regierung im Madrider Außenministerium ein Abkommen, mit dem der Friedensprozeß offiziell wiederaufgenommen werden sollte und konkrete Gesprächsrunden für die Sommermonate vorgesehen waren. Doch der liberale Kandidat Serpa, der anders als sein konservativer Kontrahent Pastrana nicht zu den traditionellen Machteliten des Landes gehört und deswegen schlechtere Ausgangsbedingungen hatte, konnte es nicht abwarten und ging mit dem Erfolg hausieren: Entgegen der Vereinbarung strengster Vertraulichkeit wurde das Abkommen veröffentlicht. Die ELN erkannte darin – sicher nicht zu Unrecht – ein Wahlkampfmanöver und setzte alle weiteren Gespräche bis nach den Wahlen aus.

Wahlkampf im Zeichen der Guerilla

Beide Guerillaorganisationen verstanden es, die KandidatInnen während des Wahlkampfs mit dem Thema von links unter Druck zu setzen. Die FARC empfing mit dem Abgeordneten Victor Ricardo unmittelbar vor den Stichwahlen den persönlichen Berater von Andrés Pastrana in ihrem Hauptquartier. Das Foto von der FARC-Spitze und dem konservativem Wahlkampfleiter war eine Ohrfeige für den liberalen Kandidaten Serpa, denn mit dieser Geste vermittelten die FARC, daß sie Pastrana für den „friedenstauglicheren“ Kandidaten hielten. Zwar erklärte der FARC-Sprecher Juan Antonio Rojas in Europa, daß für seine Organisation „keinerlei Unterschied zwischen Samper und Pastrana“ bestehe, aber er wies auch darauf hin, daß es unter keinem Präsidenten bisher eine derartige Repression gegeben habe wie unter Samper.
Pastrana und sein Wahlkampfteam akzeptierten weitgehend die Forderungen der FARC: innerhalb der ersten 90 Tage seiner Präsidentschaft wolle er den FARC-Kommandanten Marulanda treffen und fünf Munizipien im Süden des Landes entmilitarisieren. Die FARC wurde damit eindeutig aufgewertet.

Die „Himmelspforte“ von Würzburg

Auch die kleinere ELN hat auf dem politischen Parkett bemerkenswerte Erfolge erringen können. Anfang Juli traf sich die lange Zeit vom kürzlich verstorbenen spanischen Pfarrer Manuel Pérez geleitete Guerillaorganisation unter Schirmherrschaft der katholischen Bischofskonferenz Deutschlands mit mehr als 40 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Kolumbiens, darunter zahlreichen Unternehmern. Das im Kloster Himmelspforten unterzeichnete Abkommen verpflichtet die beteiligten Seiten, eine nationale Versammlung vorzubereiten. Eine solche „Nationalkonvention“, auf der bei breiter gesellschaftlicher Beteiligung über notwendige soziale und politische Veränderungen im Land diskutiert werden soll, wurde von der ELN bereits Ende 1995 vorgeschlagen. Die Krise der Samper-Regierung war zu diesem Zeitpunkt auf ihrem Höhepunkt angelangt: die Rechte bereitete unverhohlen einen Putsch vor. Erst jetzt ermöglichten die besondere Situation im Wahlkampf, die Unterstützung aus dem Bonner Kanzleramt und die militärischen Erfolge der Guerilla eine Vereinbarung. Die kolumbianischen Eliten zeigen sich unter dem Druck der Ereignisse etwas kompromißbereiter als sonst. Die Frage ist nur: Für wie lange?

Parallele Verhandlungsprozesse…

Für beide Guerillaorganisationen ist der bisherige Verlauf der Gespräche als politischer Erfolg zu werten. Noch nie in den letzten zehn Jahren wurden in den Medien die Positionen der Linken so unverfälscht wiedergegeben wie in den vergangenen vier Monaten. Zudem erkennt der kolumbianische Staat mit der geplanten Entmilitarisierung einiger Munizipien implizit an, daß die Aufständischen in zahlreichen Regionen Regierungsfunktionen ausüben. Und schließlich ist die durch den staatlichen Vernichtungsfeldzug gegen die legale Opposition hervorgerufene politische Isolation durch den Dialog zumindest ansatzweise durchbrochen. Verglichen mit der Situation vor wenigen Monaten stehen FARC und ELN politisch erstaunlich gut da. Nicht einmal die Tatsache, daß sie unabhängig voneinander Gespräche aufgenommen haben, hat ihnen bisher geschadet. Die beiden Organisationen agieren faktisch seit 1992 getrennt voneinander, halten sich aber weiterhin an damals getroffene Vereinbarungen und erwarten, daß sich die unterschiedlichen Ansätze zukünftig ergänzen. So haben sowohl FARC als auch ELN mehrmals bekräftigt, daß sie über Sondierungsgespräche hinausgehende Verhandlungen nur gemeinsam und auf kolumbianischem Territorium führen werden.

… aber unterschiedliche Strategien

Die Verhandlungskonzepte der beiden großen Guerillaorganisationen unterscheiden sich allerdings deutlich. Die FARC konzentrieren sich auf Kontakte mit der Regierung, was den Vorteil hat, die Gegenseite auf ein einheitliches Vorgehen festlegen zu können. Pastrana wird sich bei einem Abkommen verpflichten müssen, die Paramilitärs aufzulösen und gegebenenfalls strafrechtlich verfolgen zu lassen. Bilaterale Verhandlungen zwischen Staat und Guerilla, wie sie die FARC vorschlagen, bergen jedoch die Gefahr, daß die Dynamik des Krieges fortgesetzt wird.
Diesem Problem versucht die ELN zu begegnen, indem sie wie im Kloster Himmelspforten Gespräche mit allen gesellschaftlichen Sektoren aufnimmt. Sie setzt auf politische Spielräume, indem sie den offiziellen Diskurs („die ganze Gesellschaft für den Frieden“) beim Wort nimmt: Die ganze Gesellschaft soll sich an der Debatte beteiligen, wie die kolumbianische Realität verändert werden könnte. So soll die nationale Versammlung zu „einem Forum für diejenigen werden, denen sonst nie Gehör geschenkt werden: den Indígenas, Schwarzen, Frauen, Vertriebenen, Studenten und Arbeitern.“ (Vgl. Interview mit ELN-Sprecher Pablo Beltrán)

Wider dem Friedensprozeß

Schon jetzt ist fraglich, welche Zukunft der Friedensprozeß überhaupt noch hat. Die massiven Vertreibungen von Bauern gehen weiter. In den Departments Arauca, Santander und Bolívar sind seit den Wahlen insgesamt 40.000 Bauern in die nächstgelegenen Städte geflohen und haben Schulen und Universitäten besetzt.
Schwere Vorwürfe gab es gegen das US-amerikanische Unternehmen Corona Goldfields, das in Bolívar paramilitärische Gruppen finanziert. Armee und Paramilitärs haben sich dort zum Ziel gesetzt, die Guerilla aus dem Gebiet zu vertreiben. In Montecristo und Puerto Coca wurden in den letzten Wochen mehr als 30 Bauern vor den Augen ihrer Nachbarn von Paramilitärs ermordet.
Vor diesem Hintergrund unterstrichen die Guerilla-Organisationen zur Amtsübernahme Pastranas, daß sie gewillt sind, die Armee zurückzudrängen. Zeitgleich starteten FARC und ELN eine Großoffensive gegen drei Armee-Stützpunkte, besetzten Dutzende Städte und verübten Sprengstoffanschläge auf Polizei- und Armeestützpunkte in Medellin, Barrancabermeja und Cúcuta. Die Krise der Armee hat sich dadurch weiter verschärft.

Umbildung der Armeespitze

Pastrana hat unmittelbar nach seiner Amtsübernahme die Armeespitze völlig umgebildet, wobei er sich im Einvernehmen mit den USA darum bemüht, den Eindruck einer gesäuberten Armee zu erzeugen. Gegen eine Reihe hochrangiger Offiziere wurde Anklage wegen Menschenrechtsverletzungen und Beziehungen zum Drogenhandel erhoben. Der abberufene Generalinspekteur der Armee Ivan Ramírez wurde von der Washington Post gar als Vertrauter des Paramilitär-Kommandanten Carlos Castaño und CIA-Agent entlarvt. Doch am Problem hat sich nichts geändert. Der neue Chef des Generalstabs Rafael Hernández López ist der Verantwortliche für die Ermordung von 13 Bauern in Riofrío (Valle de Cauca) im Jahre 1993.

Politischer Status für Paramilitärs

Torpediert werden die Gespräche mit der Guerilla auch durch den Kontakt mit den Paramilitärs. Unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus Deutschland unterzeichnete eine Delegation des „Friedensrates“, ein aus Generalstaatsanwalt, Unternehmern und Gewerkschafter zusammengesetztes Gremium, das das Treffen bei Mainz organisiert hatte, ein Abkommen mit den Paramilitärs, das diesen praktisch den lang ersehnten politischen Status zugestand. Dabei wurden die Gewerkschafter durch die gegen sie ausgesprochenen Morddrohungen mehr oder weniger zu einer Beteiligung am Treffen gezwungen. „Dialog oder Exil“, hatte Gewerkschaftschef Hernández im Vorfeld seine Situation klargestellt. Für die Paramilitärs war die Anwesenheit der Linken eine wichtige öffentliche Aufwertung. Als Ergebnis verlauteten die Paramilitärs, „Massaker zukünftig so weit wie möglich zu vermeiden.“
Die ELN setzte nach Bekanntwerden des Abkommens zwischen Friedensrat und Paramilitärs die Gespräche zur Vorbereitung der „Nationalkonvention“ zunächst einmal aus. Der Rat solle erst einmal klarstellen, ob man ausgemachte Drogenhändler, die für zahllose Massaker verantwortlich seien, nun als politische Gesprächspartner betrachte. Unternehmerchef Sabas Pretelt und Generalstaatsanwalt Jaime Bernal beeilten sich zwar, dies zu verneinen, aber dennoch ist unübersehbar, daß die staatsnahen Kräfte im Friedensrat eine Gleichsetzung von Paramilitärs und Guerilla durchsetzen wollen. Damit ließe sich eine weitere Aufrüstung der Sicherheitsorgane rechtfertigen und von der staatlichen Verantwortung ablenken.

Verteidigungsministerium übt Ungehorsam

Der Druck auf Präsident Pastrana, die Entmilitarisierung der von der FARC geforderten Gebiete auszusetzen, wird immer größer. Das Abkommen von Mainz wird vom Verteidigungsministerium grundsätzlich in Frage gestellt. Verteidigungsminister Lloreda erklärte Mitte August, daß man nicht an das Abkommen mit der ELN gebunden sei, weil es kein Regierungsvertreter, sondern nur zivile Persönlichkeiten unterzeichnet hätten. Ohne Sicherheitsgarantien der Regierung ist jedoch ein Treffen wie die nationale Konvention unvorstellbar. Zudem weigert sich die Armee, wie von den FARC gefordert, 200 in ihrer Hand befindliche Soldaten gegen eine vergleichbare Zahl Guerilleros auszutauschen.
Da wird es auch nichts nützen, daß ELN und kolumbianischer Kongreß in der letzten Augustwoche ein Vorabkommen unterzeichneten, das der Guerilla eine Präsenz bei den anstehenden Parlamentssitzungen ermöglichen soll. Einmal abgesehen davon, daß die Kongreßsitzungen vor einem leeren Haus stattfinden könnten – gegen mehr als 100 Abgeordnete laufen Strafverfahren wegen der Samper-Drogenaffäre.

“Den herrschenden Eliten die Ohren öffnen”

Sie haben im Zusammenhang mit dem Friedensprozeß von der Möglichkeit gesprochen, Kolumbien in einen Kantonalstaat zu verwandeln. War es in der Schweiz so schön?

Die Eliten in Kolumbien sind bei allen Verhandlungsprozessen bisher davon ausgegangen, daß die Gespräche mit dem Verschwinden der Guerilla, also mit ihrer Demobilisierung enden müssen. Das Modell des Kantonalstaats diente dazu, ihnen klar zu machen, daß wir bereit sind zu reden, aber nicht zu verschwinden –und zwar weder als politische Akteure noch als bewaffnete Kraft.

Das heißt, Sie wollen einen zeitlich definierten Rückzug der Armee aus den Guerillagebieten und keine Aufteilung Kolumbiens wie etwa die Bosnien-Herzegowinas…

Langfristig strebt die ELN und die gesamte Guerillakoordination Simón Bolívar nach wie vor die Machtübernahme an; das heißt im Fall der ELN: Machtübernahme und Aufbau von Selbstverwaltung. Doch dabei kann es durchaus ein Zwischenstadium geben, bei dem die Eliten anerkennen, daß wir in vielen Regionen eine neue Staatlichkeit aufgebaut haben. Das wäre eine Phase gegenseitigen Respekts.

Wie kann man Friedensverhandlungen führen und gleichzeitig auf einen revolutionären Umsturz hinarbeiten?

Wir sind eine Bewegung zur nationalen Befreiung, kämpfen für eine sozialistische Gesellschaft und vertreten ein gerechtes Anliegen. Die Tatsache, daß wir mit verschiedenen Sektoren des Staates geredet haben, bedeutet nicht, daß wir unsere Ziele aufgegeben hätten. Außerdem ist der Dialog noch ganz am Anfang. Es gibt bisher keinerlei Vereinbarungen mit dem kolumbianischen Staat. Und das haben wir auch allen Gesprächspartner hier in Europa gesagt – allen Regierungen, Staatsvertretern und Kirchenleuten. Unsere Option ist sozialistisch.

Der deutsche Agent Mauss, der Ihnen beim Zustandekommen der Reise geholfen hat, ist als Polizeiagent und Kommunistenfresser bekannt. Ein Spitzel, der in den 70er aktiv gegen deutsche Linke vorgegangen ist. Wieso unterhält eine Organisation wie die ELN Kontakte zu einem solchen Agenten?

Das geht zurück auf die 80er Jahre, als wir die Firma Mannesmann angriffen. Das Unternehmen baute damals eine Pipeline durch Ostkolumbien, und wir verhafteten einige Techniker, bis es zu einer Vereinbarung kam. Mannesmann baute damals Sozialeinrichtungen in den Ölfördergebieten und zahlte eine Kriegssteuer an die ELN. Die deutsche Regierung entsandte daraufhin mehrere Agenten, darunter auch Mauss, um sie bei uns einzuschleusen. Wir waren in ihren Augen eine „terroristische Organisation“. Die Agenten berichteten ihrer Regierung jedoch, daß wir nicht nur bewaffnet kämpften, sondern auch politische Konzepte für eine andere Gesellschaft besaßen. Die Einschätzung der Bundesregierung veränderte sich, und sie begann, uns als politische Kraft anzuerkennen. Natürlich verfolgt sie dabei Staatsinteressen. Aber trotzdem ist es wichtig festzustellen, daß ihre Einschätzung heute eine andere ist als vor 15 Jahren.

Was für Beziehungen unterhalten Sie zu Mauss und der deutschen Regierung? Sind es rein diplomatische Kontakte oder gibt es auch so etwas wie einen persönlichen Respekt?

Nach meinem Eindruck gibt es in der Bundesregierung Leute, die über das Ausmaß des Staatsterrorismus in Kolumbien tatsächlich besorgt sind. Das heißt, die kolumbianische Regierung hat an Legitimität verloren, und das verleiht alternativen oder sogar linksradikalen Kräften wie uns Gewicht als Gesprächspartner.

Sie glauben also, daß die Bundesregierung die Legitimität der aufständischen Bewegung in Kolumbien im Prinzip anerkennt?

Ja.

… aber doch nicht bedingungslos…

Deswegen habe ich von der Staatsräson der deutschen Regierung geredet. Über die außenpolitischen Ziele hinaus gibt es wirtschaftliche Interessen. Viele europäische Unternehmen würden gern in Kolumbien investieren, trauen es sich aber wegen des Konfrontationsniveaus nicht. Wir wissen, daß wir um Distanz bemüht sein müssen, wenn wir einen Rest von Souveränität verteidigen wollen. Aber europäische Regierungen und Institutionen können ein Gegengewicht zur Einmischung der USA in Lateinamerika sein.

Mauss hat beim Zustandekommen der Gespräche eine wesentliche Rolle gespielt. Glauben Sie nicht, daß er nur eingesetzt wurde, um sie zu manipulieren?

Das ist möglich. Wir unterhalten weiterhin Verbindungen zur Bundesregierung, und das ermöglicht es uns, in Kontakt mit anderen offiziellen Stellen zu treten. Aber die ELN-Delegation in Europa ist hauptsächlich außerhalb Deutschlands aktiv. Wir waren in Holland, der Schweiz und Spanien und werden weitere Länder besuchen. Die Themen, die wir dort behandeln, haben mit den deutschen Interessen nichts zu tun.

Wird Mauss weiterhin eine Rolle im Verhandlungsprozeß spielen?

Das ist schwierig vorherzusagen. So weit wir wissen, ist die Sicherheitssituation des Ehepaars Mauss’ nach dessen Freilassung nicht geklärt worden. Es gab eine Intrige anderer Geheimdienste gegen die beiden, und sie können deshalb nicht einfach zurück nach Kolumbien. Das wird ihre Rolle bei den weiteren Gesprächen natürlich einschränken.

Es heißt, daß die ELN im Zusammenhang mit den Entführungen wirtschaftliche Verbindungen zu den Mauss’ unterhielt?

Ja, darüber kam der Kontakt zu dem Ehepaar zustande. Die beiden waren im Auftrag der Bundesregierung in Kolumbien unterwegs, um sich um deutsche Staatsangehörige zu kümmern, die wir festgehalten haben. In dieser Hinsicht haben sie eine Rolle gespielt.

…eine wirtschaftliche Rolle…

Natürlich. Wie 1984: Mannesmann hat uns eine Steuer gezahlt und Sozialeinrichtungen gebaut.

Wird die ELN mit Mauss auch weiterhin Lösegeldzahlungen abwickeln?

Bei den Gesprächen in Deutschland haben wir darüber geredet, wie eine andere Finanzierung der ELN aussehen könnte. Alle Seiten wollen ja, daß wir die Entführungen einstellen. Daraufhin haben wir geantwortet: Die Entführungen sind ein Problem, das andere ist nur, wie man eine Organisation wie die ELN finanziert. Wir sind bereit, über andere Modelle zu diskutieren, aber wir sind nicht bereit, als Organisation zu verschwinden.

Es wurde davon geredet, daß es einen von der EU verwalteten Fond für die ELN geben könnte. Eine Guerilla am Schlauch ausländischer Regierungen. Das klingt komisch.

(lacht) Es gibt schon eine Menge Angebote, unter anderem von der Interamerikanischen Entwicklungsbank, einer Abteilung der Weltbank. Letztlich geht es für uns aber um die Anerkennung von zwei Punkten. Erstens: Wir sind eine legitime Kraft, und zweitens: Wir haben ein Recht auf eine eigene Steuerpolitik. Als die Vorschläge unterbreitet wurden, hieß es: „Wer garantiert, daß die ELN mit diesen Geldern nicht offensive Aktionen durchführt?“ Aber die Frage ist falsch gestellt, richtig müßte sie heißen: „Warum sollte die ELN aufhören, eine politisch-militärische Organisation zu sein, die strategische Fortschritte zu erzielen versucht?“ Für uns ist es unverzichtbar, weiter offensiv zu sein. Eine Linke, die stagniert, löst sich auf. Wir lassen uns also unsere Politik nicht vorschreiben. Aber wir sind bereit, über eine Form der Steuererhebung zu diskutieren, die ohne Festnahmen von Industriellen und Viehzüchtern auskommt.

Vor einigen Tagen haben Sie in Genf ein Abkommen mit kolumbianischen Kongreßabgeordneten unterzeichnet, das den Guerillaorganisationen eine Präsenz bei den Parlamentssitzungen zusichert. Die FARC haben die Idee in einer ersten Stellungnahme abgelehnt, weil es keine Sicherheitsgarantien für Guerillasprecher geben würde. Eine FARC-Sprecherin sagte: „Wenn der Kongreß mit der Guerilla reden will, soll er in die Guerillagebiete kommen.“

Das ist eine akzeptable Position, aber nicht die der ELN. Das Internationale Rote Kreuz hat sich angeboten, den Transport und die Unterkunft der Guerillasprecher zu garantieren. In El Salvador hat das funktioniert, die Guerilla-Comandantes haben in Botschaften übernachtet und sind dann zu den Parlamentssitzungen gefahren worden. Das wäre praktisch möglich.

Was wollen Sie überhaupt im Kongreß? Die politische Klasse Kolumbiens ist doch völlig am Ende.

Da gab es beim Treffen in Genf eine schöne Szene. Ich habe die Abgeordneten gefragt, wie viele von ihnen wegen der Absolution Sampers vor zwei Jahren unter Anklage des Obersten Gerichtshofs stehen (damals hatte der Kongreß Gerichtsverfahren gegen den Präsidenten abgewehrt, d. Red.). Es sind 110 Abgeordnete, gegen die ein Verfahren angestrebt wird, aber unter ihnen war angeblich keiner dabei. Ich hab also gefragt, ob die nächsten Parlamentssitzungen im Gefängnis stattfinden werden, und sie haben geantwortet, daß das möglich sei. Also wir wissen, was das für ein Parlament ist, aber auch dort gibt es Leute, die nicht über Stimmenkauf und Klientelismus gewählt worden sind. Wir wollen, daß diese Leute unsere Diskussionen kennenlernen und umgekehrt, daß wir hören, was sie zu Krieg und Frieden zu sagen haben.

Worüber haben Sie mit den Abgeordneten konkret geredet?

Sie wollten wissen, was wir von einer politischen Reform Pastranas halten. Unserer Meinung nach kann es keine solche Reform ohne eine Reform der Armee geben. Nach dem Massenmord an der Unión Patriótica (3000 Aktivisten der linken Partei wurden seit 1985 erschossen, d.Red.) wird nur ein Verrückter auf den Gedanken kommen, in Kolumbien legal aktiv werden zu wollen. Die Armeereform jedoch würde auf einen einzigen Punkt hinauslaufen: Einstellung des Paramilitarismus. Und das hängt nicht von Pastrana, sondern von den USA ab. Ein zweiter Punkt war, daß wir wissen wollten, ob der Kongreß die Paramilitärs politisch anerkennen will. Einige der Abgeordneten waren mit uns einer Meinung, daß das inakzeptabel wäre, aber daß man diese Ablehnung nicht öffentlich äußern dürfe. In einem Land, in dem selbst die Kongreßabgeordneten Angst haben, was kann es da für eine politischen Dialog geben? Und was passiert, wenn es keinen Dialog gibt?

Was sind die nächsten Schritte im Verhandlungsprozeß?

Wir werden weiter mit Vertretern verschiedener sozialer Sektoren die nationale Konvention vorbereiten, wir bleiben in Kontakt mit der Regierung und anderen Teilen des Staates. Diese Gespräche finden gleichzeitig statt. Die wichtigste Frage an Pastrana heißt: Welche Sicherheitsgarantien gibt die Regierung für einen Dialog? Die Nationalkonvention wird in einem von der ELN kontrollierten Gebiet stattfinden. Wir garantieren dort für Verteidigung, Versammlungsorte und Unterkünfte. Aber wir verlangen, daß es in diesem Zeitraum keine Armeeoperationen gibt und anreisende TeilnehmerInnen nicht schikaniert werden.

Die Nationalkonvention wird eine Massenversammlung. Was soll dort eigentlich verhandelt werden?

Das Problem ist, daß diejenigen, die unter dem Konflikt und der Armut in Kolumbien am meisten leiden, keine Stimme besitzen, während die andere Seite, die am wenigsten Probleme hat, mehr als genug Medien zur Verfügung hat. Auf der Konvention sollen diejenigen über die sozialen und politischen Probleme diskutieren können, denen sonst nie jemand zuhört. Vor kurzem wurden acht Foren vereinbart, die ich gern vorlesen würde: 1) soziales und wirtschaftliches System, Staat und Korruption; 2) Demokratie und Staat: Streitkräfte, Klientelismus und Medien; 3) Konflikt und aufständische Bewegung; 4) Menschenrechte und Straflosigkeit; 5) soziale Probleme; 6) Bodenschätze, Souveränität und Ökologie; 7) Kultur und nationale Identität; 8) Agrarproblem und Drogenhandel.

Das Treffen bei Mainz ist von kolumbianischen Linken kritisiert worden, weil z.B. Flüchtlinge, Schwarze und Studenten gar nicht vertreten waren, während Unternehmer und Politiker überrepräsentiert waren.

Das ist richtig. Die Einladungsliste für Mainz haben wir nicht alleine ausgearbeitet, und sie ist in sehr kurzer Zeit zustande gekommen. Für die Konvention wird das Vorbereitungskomitee allerdings auch jene einladen, die in Mainz gefehlt haben: also Studenten, Schwarze, Frauen, Indígenas, Flüchtlinge usw. Die Teile der Gesellschaft, die keine Massenmedien zur Verfügung haben, werden die große Mehrheit des Treffens ausmachen.

Eine weitere Kritik war, daß der Begriff „Treffen mit der Zivilgesellschaft“ der offiziellen Sprachregelung entgegenkommt, die von einer neutralen Gesellschaft ausgeht. Nach dem Motto: „Die Gesellschaft als Opfer der bewaffneten Extreme von rechts und links“.

Die intellektuellen Autoren des Paramilitarismus sind neben der Regierung der USA einheimische Unternehmer und Viehzüchter. Das ist wahr. Genau aus diesem Grund verwendet die ELN den Begriff „Zivilgesellschaft“ nicht. Wir reden einfach von der „kolumbianischen Gesellschaft“. Neutralität gibt es in diesem Zusammenhang nicht. Staat und Guerilla kann man nicht gleichsetzen. Wir verüben keine Massaker, wie sie es tun, und wir verfolgen keine Privatinteressen oder ökonomische Ziele. Wir verfolgen die soziale Opposition nicht. Wenn wir eine gesellschaftliche Debatte anstreben, dann deswegen, damit die Gesellschaft selbst feststellt, wie sie zusammengesetzt ist. In einigen Friedensinitiativen gibt es augenblicklich scharfe Auseinandersetzungen darum, ob Unternehmer die Gesellschaft repräsentieren. Genau darum geht es: zwischen reichen Minderheiten und besitzlosen Mehrheiten zu differenzieren.

Entstehen denn wirklich soziale Bewegungen, die wie Sie erhoffen, die soziale Wirklichkeit thematisieren?

Ja, aber leider als Konsequenz der Angst. Die Bevölkerung hat im letzten Jahr zunehmend gefordert, die Kriegshandlungen einzustellen. Allmählich beginnen aber viele festzustellen, daß Frieden auch etwas mit Gerechtigkeit zu tun hat. Sie merken, daß von den 30.000 Morden jährlich nur 3000 unmittelbar mit dem Bürgerkrieg zu tun haben. Oder daß jährlich 300.000 Kleinkinder an Infektionskrankheiten sterben. Die Gesellschaft formiert sich zu einem politischen Subjekt. Das absurde daran ist, daß der Paramilitarismus diese Reaktion selbst provoziert hat. Er hat den Terror entfacht, damit die Bevölkerung irgendwann fordert: „Stoppt, entwaffnet euch alle“ – ohne daß es soziale Veränderungen gegeben hätte. Aber die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit nimmt zu, und wir werden einen Prozeß unterstützen, in dem Frieden nicht mit Demobilisierung, sondern mit Gerechtigkeit gleichgesetzt wird.

Warum wollen Sie die Paramilitärs eigentlich auf keinen Fall als Gesprächspartner akzeptieren?

Das ist die Kernfrage. Wenn wir die Paramilitärs als selbständige Kraft anerkennen würden, sprächen wir die intellektuellen Hintermänner von jeder Verantwortung frei und amnestierten auch noch gleich die materiellen Autoren mit. Denn sobald die Paramilitärs einen politischen Status erhalten, ist ihnen die Amnestie sicher. Das ist angesichts der Kriegsverbrechen ethisch völlig inakzeptabel.

Sie sagen, daß die USA hinter dem Paramilitarismus stehen. Aber in den vergangenen Wochen hat die Regierung in Washington die Absetzung mehrerer hochrangiger Offiziere und die Auflösung einer Geheimdienstbrigade gefordert.

Es gibt tatsächlich eine Veränderung in der Politik, aber keinen strategischen Wechsel. Die USA sagen sich von den brutalsten Verbrechern los und verweigern ihnen das Einreisevisum. Sie haben sogar zugegeben, daß Generalinspekteur Ramírez CIA-Agent war. Aber das ist Heuchelei. Die US-Regierungen haben diese Generäle im Staatsterrorismus ausgebildet und jetzt, wo sie an Prestige verloren haben, sagen sie sich von ihnen los. An der Strategie ändert sich nichts. Ein Beispiel: In Europa ist die kolumbianische Regierung mit der Behauptung hausieren gegangen, sie hätten die Militärspitze gesäubert. Doch der neu ernannte Chef des Generalstabs Rafael Hernández ist der Verantwortliche eines Massakers an 13 Bauern im Jahre 1993. General Alejo del Rio, der für den Massenmord an Schwarzen, Indígenas und Bananenarbeitern in Urabá verantwortlich ist, steht zwar unter Anklage, wird aber nicht vom Dienst suspendiert. Die US-Regierung weiß das, doch sie will daran nichts ändern. Die Doktrin des US-Außenministeriums geht nämlich davon aus, daß die kolumbianische Armee ineffizient ist und deswegen von Paramilitärs unterstützt werden muß. Vor allem, wenn die Regierung derartig im Nachteil ist wie im Augenblick.

Warum sind die Guerillas in Kolumbien eigentlich noch getrennt? Früher galten die FARC als reformistisch und die ELN als ultraradikal, inzwischen haben sich die Positionen angenähert. Die FARC agieren heute sogar offensiver als die ELN…

Also zunächst: die Guerillakoordination Simón Bolívar existiert. Es geht ihr zwar gesundheitlich schlecht, aber sie liegt auch nicht im Koma. Es fehlt an Begegnungen zwischen den Organisationen, obwohl die politischen Differenzen nicht groß sind. Unser Verhältnis ist ein bißchen wie das zwischen Cousins. Wir sind verwandt, aber wir gehören zu verschiedenen Familien. Ich glaube jedoch, daß es ganz gut ist, daß es zwei verschiedene linke, radikale Organisationen gibt, damit die Bevölkerung wählen kann. Wenn in den Gebieten, wo FARC und ELN präsent sind, eine der beiden Organisationen ihre Macht mißbraucht, beschwert sich die Bevölkerung bei der anderen Organisation und das führt dann zu einer Diskussion. Die Existenz von zwei Organisationen wirkt also wie ein Korrektiv. Die Guerilla ist nicht allmächtig.

Sie streben weiterhin eine bewaffnete Revolution an. Das klingt ein bißchen aus der Mode.

Revolutionen sind grundlegende strukturelle Veränderungen. Wenn auf dem Treffen bei Mainz festgestellt wurde, daß solche Veränderungen notwendig sind, dann ist etwas Wesentliches in der kolumbianischen Gesellschaft im Gange. Unsere Aufgabe ist es, mit revolutionärer Gewalt soziale Fragen auf die Tagesordnung zu bringen. Man spricht heute deswegen von der Ausbeutung des Erdöls durch Multis, weil wir jahrelang Pipelines sabotiert haben, und man diskutiert mit den protestierenden Flüchtlingen, weil wir den Senator Espinosa entführt haben. In einer Gesellschaft, in der die herrschenden Eliten nicht zuhören wollen, muß man ihnen die Ohren mit Gewalt öffnen. Und das tun wir.

Frieden „inmitten des Krieges“

Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe: Mitte Februar drangen Berichte der Defense Intelligence Agency (DIA) der USA an die Öffentlichkeit, denen zufolge das kolumbianische Militär „ungeeignet, schlecht ausgebildet und armselig bewaffnet“ für den Kampf gegen die Guerrilla sei. Innerhalb von fünf Jahren, so die Experten weiter, könnten die Rebellen den endgültigen Sieg davontragen und das südamerikanische Land sich aufgrund der wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Guerrillagruppen und Drogenhändlern in einen „Narcostaat“ verwandeln.
Auch wenn hinter der Veröffentlichung des Berichtes, als Teil der konstanten US-amerikanischen Druckstrategie gegenüber Kolumbien, wohl in erster Linie politische Interessen stehen, ist die militärische Bilanz der Armee seit zwei Jahren in der Tat ausgesprochen dürftig. Bei mehreren Angriffen der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC), die mit rund 15.000 Mann und Einnahmen von 480 Millionen Dollar im Jahr 1997 (Schätzung des kolumbianischen Verteidigungsministeriums) die größte Rebellenorganisation des Landes ist, mußte das Militär empfindliche Niederlagen einstecken. Allein bei einer Attacke von etwa 1000 Guerrilleros der FARC auf die Antidrogenbasis Miraflores im Department Guaviare im Süden Kolumbiens wurden Anfang August mehr als 100 Soldaten und Polizisten als „Kriegsgefangene“ entführt und die Militäreinrichtungen dem Erdboden gleichgemacht. Der Angriff bewies erneut die strategische und logistische Stärke der Rebellenorganisation, der das unflexible kolumbianische Militär wenig entgegenzusetzen hat. Es ist fraglich, ob die von Verteidigungsminister Rodrigo Lloreda Caicedo angekündigten internen Reformen oder das Versprechen von US-Präsident Bill Clinton, die Militärhilfe um 21 Millionen Dollar zu erhöhen, zu einer grundsätzlichen Änderung führen. Caicedo will die Militäreinheiten zukünftig in größeren und weniger exponierten Stützpunkten konzentrieren und die Zahl der Wehrdienstleistenden ab Ende des Jahres um 10.000 verringern, aber im Gegenzug mehr Berufssoldaten einstellen. Die Idee einer „Professionalisierung“ der Streitkräfte entspringt nicht nur militärstrategischen Überlegungen. Nach einer Umfrage der Tageszeitung El Espectador schwindet die Unterstützung der Bevölkerung für den 18monatigen Kriegsdienst: 60 Prozent der Befragten sprachen sich gegen die Wehrpflicht aus.
Zusätzlich sieht sich die Armee schwerwiegenden Anschuldigungen gegenüber: in einem offenen Brief vom Mai stellte amnesty international fest, daß die Streitkräfte gemeinsam mit den paramilitärischen Gruppen für die überwiegende Anzahl der Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Neben direkten Übergriffen von Soldaten gegen die Zivilbevölkerung geraten immer wieder hohe Offiziere ins Kreuzfeuer der Kritik, denen die Gründung oder Unterstützung solcher Vereinigungen vorgeworfen wird.

Schuldeingeständnis mit einem Staatsakt

In einem offiziellen Staatsakt am 29. Juli erkannte der damalige Noch-Präsident Ernesto Samper Pizano gegenüber Familienangehörigen der Opfer die Schuld des Staates für drei Massaker und zwei außergerichtliche Hinrichtungen an, die zwischen 1991 und 1993 in den Provinzen Cauca, Antioquia und Santander Norte sowie in der Hauptstadt Bogotá von Mitgliedern des Militärs und der Polizei begangen wurden. Sie befinden sich fast alle auf freiem Fuß, da sie nur von Militärgerichten belangt werden können und derartige Prozesse in der Regel mit Freispruch enden. Der Anwalt Luis Carlos Domínguez, der einige Familien der Opfer vertritt, wies darauf hin, daß Präsident Samper „die Verantwortung für Sachverhalte übernimmt, die vor seinem Amtsantritt stattfanden. Der nächste Präsident wird allerdings zusätzlich die Schuld des Staates für die Zunahme des Paramilitarismus während dieser vier Jahre übernehmen müssen.“
Ebenfalls haben verschiedene regionale bewaffneten Banden, die sich oft selbst als autodefensas bezeichnen und deren vorrangiges Ziel die gewaltsame Bekämpfung der Guerilla ist, in besorgniserregendem Umfang an Einfluß gewonnen. Vor allem durch gezielte Hinrichtungen von Personen, die angeblich Kontakte zur Guerilla unterhalten. Die Schwäche des Staates dient als Rechtfertigung für eine radikale Einschüchterungs- und „Säuberungs“-Politik, der nicht selten auch engagierte MenschenrechtlerInnen zum Opfer fallen, die sich um die Aufklärung der Sachverhalte bemühen.
Offenbar agieren paramilitärische Privatarmeen ebenfalls im Auftrag von Großgrundbesitzern und Firmen bei der Durchsetzung von Landinteressen. Ins öffentliche Bewußtsein rückte das Problem im Mai, als in Folge eines Massakers im am Rio Magdalena gelegenen Ölhafen Barrancabermeja ein Generalstreik ausgerufen wurde, der das Land nach vier Tagen an den Rand einer Benzinversorgungskrise brachte. Am Abend des 16. Mai drang eine Gruppe schwerbewaffneter Männer in die Stadt ein, erschoß elf Personen an Ort und Stelle und entführte weitere 35. Die Bildung einer „Wahrheitskommission“ unter Beteiligung der katholischen Kirche und verschiedener Nichtregierungsorganisationen hat dazu geführt, daß die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen neun Angehörige von Polizei und Militär eingeleitet hat, die möglicherweise an dem Überfall beteiligt waren.

„Weihnachten ohne Guerrilla“

Zu direkten Gefechten zwischen Guerilla und Paramilitärs kam es u.a. Ende August im Süden des Departments Bolívar (Nordkolumbien). Dem Vernehmen nach wollen letztere die traditionelle Vorherrschaft der Rebellengruppen in der Bergregion von Perijá brechen. Carlos Castaño, Chef der paramilitärischen Vereinigungen, hat angekündigt, dort an Weihnachten „seine Hängematte aufzuspannen“. Offenbar hält er seine Gegner in dieser Region, die ELN (Nationale Befreiungsarmee) sowie die unbedeutende Abspaltung ERP (Armee der Volksrevolution), für relativ schwach. Zwischen „Paras“ und FARC ist es hingegen bislang kaum zu offenen Gefechten gekommen.

Konspiratives Treffen im Urwald

Innerhalb dieses komplexen Szenarios, in dem Guerillagruppen (vor allem FARC und ELN), paramilitärische Banden und der Staat mit seinen Streitkräften von zweifelhafter Reputation und Kompetenz eine Rolle spielen, wird von Seiten der Politik – insbesondere seit Amtsantritt von Präsident Andrés Pastrana am 7. August – und verschiedenen Vertretern der “Zivilgesellschaft” ein Ausweg gesucht. Das konspirative Treffen im kolumbianischen Urwald zwischen Pastrana und FARC-Chef Manuel “Tirofijo” Marulanda Vélez war zwar eine Überraschung und ein Hoffnungsschimmer für die kolumbianische Öffentlichkeit, ist jedoch zweifellos von langer Hand vorbereitet worden. Da niemals zuvor ein kolumbianischer Präsident persönlich mit den Anführern der FARC gesprochen hatte, war das Echo auf die Videoaufzeichnungen entsprechend enthusiastisch. Doch spätestens zehn Tage darauf – in den drei Tagen vor Vereidigung des neuen Präsidenten – wurde klar, daß der Weg zum Frieden noch sehr weit ist: Die Rebellen griffen in einer landesweiten Offensive massiv staatliche Einrichtungen an. Die FARC bekräftigten zwar erneut ihren grundsätzlichen Willen zum Frieden, machten aber deutlich, daß der Frieden nur „inmitten des Krieges“ geschlossen werden kann.
Auch der anfängliche Optimismus, den der Vertrag von Mainz zwischen Vertretern der kolumbianischen Zivilgesellschaft und der ELN ausgelöst hatte, ist mittlerweile gedämpft. Die Zweifel an der Legitimität dieser “Zivilgesellschaft” werden immer lauter.
Das Ergebnis der Mainzer Verhandlungen nimmt sich ohnehin eher mager aus. So wird das Versprechen der ELN, künftig keine Minderjährigen, Schwangeren oder Personen über 65 Jahre mehr zu entführen, von einigen als falsches Zugeständnis interpretiert, da die Zivilgesellschaft damit indirekt allen „sonstigen“ Entführungen zustimme. Einer der schärfsten Kritiker der Mainzer Verhandlungen ist Verteidigungsminister Caicedo, der darauf hinwies, daß die Menschenrechtskonvention Geiselnahmen grundsätzlich nicht zuläßt.
Die ELN ihrerseits argumentiert, daß sie finanziell von der Lösegelderpressung abhänge und nur bereit sei, von Entführungen abzusehen, wenn eine entsprechende Ersatzfinanzierung bereitgestellt würde. Insgesamt bleibt der Verdacht, daß die ELN durch relativ unbedeutende Konzessionen eine politische Anerkennung sucht und auf politischem Terrain Land gewinnen will, ohne wirklich an der Beendigung des bewaffneten Konfliktes interessiert zu sein.
Zunehmend setzt sich jedoch die Auffassung durch, daß die Rebellen an den anstehenden politischen Reformen beteiligt werden müssen. Im Gespräch ist beispielsweise das Verbot von Privatgeldern für politische Kampagnen und eine grundlegende Neugliederung des Kongresses. Daß der Staat den Krieg auf militärischem Wege nicht mehr gewinnen kann und der (Verhandlungs-)Frieden, vor allem mit den starken FARC, keineswegs „umsonst“ zu haben ist – dieses Bewußtsein hat inzwischen weite Teile von Bevölkerung und Politik erfaßt.

Angst vor dem Militärabzug

Präsident Pastrana hat bereits mit Einverständnis des Militärs angekündigt, der Forderung der FARC nachzukommen, aus fünf Munizipien im Süden des Landes die Streitkräfte komplett abzuziehen. Diese Region soll dann nach Vorstellungen der FARC zur neutralen Verhandlungszone deklariert werden. Im Gespräch ist eine Fläche von über 60.000 Quadratkilometern mit rund 100.000 EinwohnerInnen, welche vorwiegend von Landwirtschaft und Viehzucht leben. Die Gegend ist traditionelles „Hoheitsgebiet“ der Guerilla und hat in den letzten Jahren besonders heftig unter dem bewaffneten Konflikt gelitten. Währenddessen herrscht in den betroffenen Munizipien Angst: „Viele Familien ziehen weg. Sie lassen ihre Finca zurück und verkaufen ihre Rinder zu Tiefstpreisen, weil sie nicht wissen, was hier mit ihnen passieren wird“, berichtet ein Bewohner des Ortes La Macarena (Meta).
Die Forderung nach einem Abzug der Armee scheint tatsächlich auf den ersten Blick harmloser als sie ist: Militärstrategen warnen davor, daß im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen möglicherweise eine blutige Rückeroberung des „verlorenen Raums“ notwendig werden würde, deren Ausgang nicht vorhersehbar ist.
Guerillaführer „Tirofijo“ träumt außerdem schon seit langem davon, Teile von Südkolumbien in einen Bundesstaat mit weitgehender Autonomie zu verwandeln. Ein ähnlicher Vorschlag der ELN, auf ihr Einflußgebiet bezogen, hat energischen Widerspruch in der Politik ausgelöst. Der Senator Lemos Simmonds bezeichnete ihn als „Wahnsinn“ und sieht die „Integrität und Souveränität Kolumbiens“ gefährdet.
Angesichts der spezifisch kolumbianischen Erfahrungen mit Krieg und Friedensverhandlungen ist ein negativer Ausgang des Verhandlungsversuchs nicht auszuschließen, wenngleich die positiven Signale insgesamt überwiegen. Der politische Schaden in dem Land, das von jahrzehntelangem gegenseitigen Mißtrauen beherrscht wird, wäre allerdings fatal – und der Frieden auf Jahre wieder in weite Ferne gerückt.

Der Agent als Stehaufmännchen

Nach der Festnahme von Werner und Ida Mauss bei Medellín im November 1996 mochte kaum einer an die Friedensmission des berühmt-berüchtigten Privatagenten und seiner Frau glauben, die sie immer wieder zu ihrer Verteidigung ins Feld führten. Zu trübe schienen die Wasser, in denen sie seit 1984 in Kolumbien gefischt hatten – undurchsichtige Mittlerdienste für Mannesmann und Siemens, schließlich ausgiebige Hilfestellung für die Guerillaorganisation ELN (Ejército de Liberación Nacional) bei deren Entführungsgeschäften (vgl. LN 271)
Knapp zwei Jahre später hat sich das Blatt gewendet. Bereits im Juli 1997 wurde das Agentenpärchen – mit den Entlassungscheinen Nummer 007 und 008 – auf freien Fuß gesetzt, allerdings mit der Auflage, bis zur endgültigen Beendigung des Prozesses in Kolumbien zu bleiben. Im Mai dieses Jahres war es dann soweit: Die Staatsanwaltschaft übernahm die Argumente der Verteidigung und sprach den 58jährigen und seine italienische Frau in allen Punkten frei. Der eigentliche Paukenschlag folgte einige Wochen später, als in Mainz Friedensgespräche zwischen der ELN und VertreterInnen der kolumbianischen „Zivilgesellschaft“ angekündigt wurden. Tatsächlich fanden diese vom 12. bis zum 15. Juli im fränkischen Zisterzienserkloster Himmelspforten statt – unter der Schirmherrschaft der deutschen katholischen Bischofskonferenz.

Nach Freilassung wieder auf Mauss-Mission

Daß es dazu kam, war auch das Verdienst von Mauss & Mauss, die nach ihrer Freilassung – diesmal mit Wissen der kolumbianischen Regierung – zweimal ins zentrale Lager der ELN reisten und andererseits Kontakte zu einflußreichen Vertretern des Establishments aufnahmen, etwa dem Unternehmer Sabas Pretelt, einem führenden Mitglied des vom Parlament eingesetzten „Friedensrates“.
Der Zeitpunkt der Gespräche war aus Sicht der ELN günstig gewählt: Der Regierungswechsel von Samper zu Pastrana stand bevor; in der Mainzer Gruppe befanden sich zwar einige Samper-Berater, aber kein Mitglied der neuen Regierung, die vor allem den Kontakt mit den mächtigeren FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) pflegte. Mit der Einbeziehung gesellschaftlicher Gruppen, einer alten ELN-Forderung, wurde ein Präzedenzfall geschaffen, den Pastrana nicht mehr ignorieren kann. Das in Kolumbien zunächst mit Optimismus aufgenommene Himmelspfortener Abkommen war ein Erfolg für die ELN um Chefunterhändler Pablo Beltrán, der auf der Pressekonferenz nach der Unterzeichnung zum ersten Mal unmaskiert an die Öffentlichkeit ging.
Doch in den darauffolgenden Wochen zeigte sich, daß Pastrana keineswegs auf das Kalkül der Rebellen einzugehen bereit ist: Sein Friedensbeauftragter Víctor Ricardo traf sich zwar mit Kanzleramtsminister Schmidbauer und den in Itagüí (bei Medellín) inhaftierten ELN-Sprechern Francisco Galán und Felipe Torres. Daß es jedoch bereits, wie in Himmelspforten angekündigt, im Oktober zur „Nationalen Konvention“ kommen wird, auf der ELN, Regierung und „Zivilgesellschaft“ Grundsatzdebatten über die zukünftige politische und soziale Ordnung Kolumbiens und vor allem über die Erdölpolitik führen werden, scheint derzeit unwahrscheinlich. Pastrana selbst distanzierte sich deutlich vom Himmelspfortener Abkommen mit dem Hinweis, die dort vertretene „Zivilgesellschaft“ sei von der ELN ausgesucht worden.

Um Rehabilitation bemüht

Wie ist die Rolle der Bundesregierung und ihrer inoffiziellen Mittler vor Ort einzuschätzen? Natürlich streicht Schmidbauer immer noch die konsularische Begleitung der „humanitären Mission“ von Mauss und Mauss heraus, als diese bei der ELN die Freilassung deutscher Geiseln erwirkten. Aber ebenso hatte und hat er immer auch deutsche Wirtschaftsinteressen im strategisch interessanten Kolumbien im Blick. Dafür nimmt er auch kurzzeitige Verstimmungen mit Washington in Kauf. Auch jetzt haben die USA signalisiert, daß zumindest Mauss bei weiteren Friedensschritten außen vor bleiben soll.
Für Werner und Ida Mauss lag es nahe, sich nach ihrer Freilassung um ihre Rehabilitierung zu bemühen. Möglich wurde der Erfolg durch ihre langjährigen freundschaftlichen Beziehungen zur ELN-Spitze, die anhaltende Rückendeckung Schmidbauers, aber auch ihr Geschick bei der Einbeziehung kolumbianischer Unternehmer, Kirchenleute und Politiker – besonders hierbei dürfte Ida Mauss eine Schlüsselrolle gespielt haben. Entscheidend war aber auch, daß die Staatsanwaltschaft keine stichhaltigen Beweise für kriminelle Aktivitäten des Agentenpärchens beibringen konnte. Dies auf den Druck aus Bonn zurückzuführen, greift entschieden zu kurz – Mauss´ Intimfeinde, allen voran Antioquias Ex-Gouverneur Alvaro Uribe, hätten nur allzu gerne Justiz und Presse mit handfesten Belegen über Waffenschmuggel, Zahlungen von Bestechungsgeldern im Auftrag deutscher Multis oder ähnlichem versorgt. So scheint sich im Fall Mauss tatsächlich das rechtsstaatliche Prinzip in dubio pro reo durchgesetzt zu haben.
Ob es in absehbarer Zeit zu einem Friedensschluß kommen wird, hängt nun wirklich nicht vom Gespann Schmidbauer/Mauss ab. Als schillernde Figuren sind Werner und Ida Mauss zwar dankbare Objekte für die kolumbianische Presse. Zunächst galten sie als finstere Spione, nach ihrer Freilassung konnten sie als populäre Abenteurer auf Friedensmission punkten. Über Krieg und Frieden jedoch entscheiden andere.

KASTEN

Büchertip: Die Vorgeschichte, spannend erzählt

Ignacio Gómez und Peter Schumacher, die Ende 96/Anfang 97 in der Bogotaner Tageszeitung El
Espectador über die sich langsam entfaltenden Vorgeschichte von Mauss in Kolumbien berichteten, haben zwei Bücher vorgelegt: »Der Agent und sein Minister – Mauss und Schmidbauer in geheimer Mission« (Elefanten Press, Berlin 1997) und »La última misión de Werner Mauss« (Planeta, Bogotá 1998). Bereits in Titelgebung und Aufmachung zeigt sich, daß die jeweils federführenden Autoren unterschiedliche Akzente gesetzt haben: Das Cover der deutschen Ausgabe ziert ein stilisierter Schattenmann mit Schlapphut, auf dem Planeta-Titel ist ein Foto des müden „zivilen Beraters“ (Eigencharakterisierung Mauss) zu sehen, aufgenommen auf der Pressekonferenz nach seiner Festnahme. Schumacher schildert den Aufstieg des Pferdewirts aus einfachen Verhältnissen bis zum Agenten, der es durch seine vielfältigen Aktivititäten – einschließlich eines einjährigen Vertrages beim BND – zum Multimillionär brachte. Detailliert und packend wird das Mauss´sche Kolumbienengagement aufgerollt. Zu Recht kritisiert Schumacher in seiner Schlußanalyse die deutsche Geheimdiplomatie – die kolumbianische Regierung war über die engen Beziehungen von Mauss zur ELN im Dunkeln gelassen worden, auch, als der Agent parallel zur Vorbereitung des für Dezember 1996 geplanten Friedenstischs im Bonner Kanzleramt die Freilassung europäischer Geiseln betrieb – teilweise gegen Zahlung von Lösegeldern in Millionenhöhe. So kommt er zur harten Einschätzung des Friedensplans als „peinliche Farce“, denn „mißbrauchtes Vertrauen erstickte die zarten Ansätze von Gesprächsbereitschaft zwischen den Konfliktparteien“, die Entführungsindustrie sei angeheizt worden.
Auch Gómez´ Buch erschien vor der überraschenden Wendung der letzten Monate. Doch er hält sich mit Bewertungen zurück, erzählt hingegen manche Episoden geradezu romanesk. Besonders aufschlußreich sind seine Enthüllungen über die Mauss-Konkurrenz der Sicherheitsfirma Control Risks, die ihre Mitarbeiter aus den diversen britischen Geheimdiensten rekrutiert und weltweit dem lukrativen Geschäft der „Beratung“ bei Entführungen nachgeht. Sie assistierte der kolumbianischen Polizei, als diese die Verhaftung von Werner und Ida Mauss plante. Gómez macht kein Hehl daraus, daß er Hoffnungen auf einen Friedensprozeß mit der ELN setzte – verständlich also, daß aus dieser Perspektive Mauss besser wegkommt.
Fazit: Beide Bücher sind spannend geschrieben und zum besseren Verständnis der heutigen Entwicklungen wärmstens zu empfehlen.

Der Wirbelsturm und die Sonne

Gut ein Drittel des Sammelbandes “Kolumbien heute” wird kulturellen Phänomenen gewidmet, unter anderem der modernen Lyrik, dem Roman und dem Theater, sowie – üppig vielfarbig illustriert – den bildenden Künsten und der Architektur. Nicht nur das kolumbianische Spanisch, sondern auch zwei karibische Kreol- und zahlreiche Indianersprachen werden charakterisiert. Leider fehlt ein vergleichbarer Überblick über die reichhaltige Musiklandschaft. Dennoch: Gründlich wie sonst keine andere deutschsprachige Publikation führt dieser Teil in die Kulturszene jenseits von García Márquez ein.
Dagegen wird mit vornehmer akademischer Zurückhaltung das Wirken der Regierung Samper ausgeklammert, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung immerhin bereits drei Jahre im Amt war und schon damals ein Paradebeispiel für das Phänomen „Machterhalt durch Vetternwirtschaft“ darstellte. Die historische Dimension ihrer Themen arbeiten jedoch alle AutorInnen gründlich heraus, so auch in den Beiträgen zur indigenen und zur schwarzen Bevölkerung. Ohne die jahrhundertelange Diskriminierung zu verharmlosen, werden hier die realen Fortschritte in der Organisation und Bewußtwerdung von Indígenas und AfrokolumbianerInnen aufgezeigt, die etwa in der Verfassung von 1991 ihren Niederschlag gefunden haben. Allzuoft geraten diese Menschen allerdings zwischen die Fronten der bewaffneten Auseinandersetzungen von (weiß-mestizisch geführten) Armee-Einheiten, Paramilitärs und Guerillagruppen. Oder sie stehen einem westlich geprägten Entwicklungsbegriff im Wege, etwa bei Großprojekten der Erdölförderung, der Energiegewinnung durch Wasserkraftwerke oder des Agrobusiness.
Die Landfrage wird zwar häufig gestreift, aber nicht als eigenes Thema unter die Lupe genommen – ein Manko, ist sie doch eine zentrale Ursache für die heutige Konfliktsituation, die in manchen Gegenden bereits bürgerkriegsähnliche Züge angenommen hat. Die seit 1961 zaghaft laufende Agrarreform wird seit gut zehn Jahren von einer Gegenreform überlagert: Mit Unterstützung der Armee vertreiben Paramilitärs im Dienste der neuen Großgrundbesitzer, meist Drogenhändler, Hunderttausende von Campesinos. Wer als Guerillasympathisant bezeichnet wird und nicht schnell genug flieht, muß mit seiner Ermordung rechnen. In den letzten Jahren wird so das strategisch hochinteressante Gebiet im Nordwesten geräumt, wo nach dem Willen staatlicher Entwicklungsplaner ein weiterer interozeanischer Kanal gebaut werden soll.

Zeugnisse gegen das Vergessen

Viel plastischer werden solche Fragen wie auch die vielfältige Komplizenschaft des Staatsapparates mit den rechten Todesschwadronen im Misereor-Buch „Gegen das Vergessen“ behandelt. Der exilierte Menschenrechtsanwalt Luis Guillermo Pérez läßt ausführlich neun Frauen und sieben Männer zu Wort kommen, politisch aktive Menschen und Angehörige von Verschwundenen. In diesen erschütternden Zeugnissen treten die Einzelschicksale hinter den immer wieder zitierten Zahlen hervor – über 20 000 politische Morde in zehn Jahren, die wiederum „nur“ rund 10 Prozent aller Morde ausmachen, eine Aufklärungsrate, die gegen Null tendiert, über eine Million Flüchtlinge im eigenen Land…
Der Erzbischof von Cali sieht in der Abkehr von der neoliberalen Wirtschaftspolitik eine grundlegende Voraussetzung für den Frieden: „Gerechtigkeit ist eher gefordert als Barmherzigkeit“.
Eine breite Blutspur zieht sich durch fast sämtliche Texte, und der systematische Charakter des „paramilitärischen Projekts“ von der Auslöschung der linken Partei Unión Patriótica (UP) über Repressionen gegen Gewerkschafter und Menschenrechtler bis zur Vertreibung von Campesinos wird evident. Bewundernswert der Optimismus des engagierten Rechtsanwalts und UP–Mannes Josué Giraldo: „Bei einem verheerenden Wirbelsturm weiß man sehr wohl, daß an irgendeiner Stelle am Himmel die Sonne noch immer da ist (…). Nach den Unwettern wird der Himmel wieder wolkenlos sein…“
Eine fundierte Einleitung und weitere verbindende Texte von Bettina Reis stellen den gesamtgesellschaftlichen Kontext her, von der Menschenrechtsarbeit unter schwierigsten Bedingungen, den Hintergründen des „schmutzigen Krieges“, der sozialen Lage in Stadt und Land, der Fortschritte der Indígenabewegung bis hin zur Repression gegen GewerkschafterInnen. Unter permanentem Ausnahmezustand, der die Ansätze zu einer zivilen Gesellschaft systematisch zertrümmert, kann sich eine demokratische Linke ebensowenig entwickeln wie eine zivile Gesellschaft.
Merkwürdig blaß bleiben allerdings hier wie auch im Sammelband die Aktivitäten von FARC, ELN und den kleineren noch aktiven Guerillaverbänden, die nun wahrlich mehr als ein marginales Phänomen darstellen. Bei aller Abscheu gegenüber den Paramilitärs: Ihr Vormarsch ist auch eine Reaktion auf das Erstarken der Guerilla in den letzten fünfzehn Jahren, die ihre Kriegskassen mit Entführungen, Erpressung von Schutzgeldern und der „Besteuerung“ des Drogenhandels auffüllt.
Eine Analyse der langlebigsten lateinamerikanischen Rebellengruppen steht also noch aus – auch in Kolumbien gibt es hierzu nur Bruchstückhaftes. Ob es unter dem neuen Präsidenten Pastrana tatsächlich zu einem Friedensprozeß und zum Abklingen des “Wirbelsturms“ kommen wird? Für Josué Giraldo käme dies auf jeden Fall zu spät – wenige Monate nach seinen bewegenden Ausführungen wurde er im Beisein seiner zwei kleinen Töchter erschossen.

Der Tod des Comandante

Der spanische Priester, der die ELN seit 1982 geleitet hatte, war am 14. Februar, 60jährig, an Hepatitis gestorben: militärisch ungeschlagen und doch ein Opfer des strapazenreichen Lebens im Untergrund. General Fernando Tapias, der die Meldung bestätigte, gab zu, es wäre ihm lieber gewesen, den Guerillachef zu fangen, doch entscheidend sei, daß der „Oberterrorist“ keine Sabotageakte mehr leiten könne. Erstaunlich moderat fiel dagegen das offizielle Regierungskommuniqué aus, in dem der Friedenswille des Kommandanten gewürdigt wird: „Sein letzter Wille liegt im Vorabkommen von Viana, das unter seiner Anleitung unterschrieben wurde.“

Ein Priester in der Guerilla

Eigentlich wollte er in der Heimat sterben, im Dorf Alfamén der spanischen Provinz Zaragoza. Seine Verwandten, die heute noch dort leben, hat er nicht mehr gesehen, seit er sich vor 30 Jahren der Guerilla anschloß. Manuel Pérez Martínez war damals ein junger Priester, der, vom Fieber der Befreiungstheologie angesteckt, zwei Jahre durch Lateinamerika vagabundiert war. Aus der Dominikanischen Republik hatte man ihn ausgewiesen und auch in der kolumbianischen Hafenstadt Cartagena, wo er mit zwei Kollegen in den Armenvierteln arbeitete, durfte er nicht lange bleiben. Nach Spanien deportiert, kehrte er kurz darauf heimlich nach Kolumbien zurück, um sich dem Volksbefreiungsheer (ELN) als Kämpfer anzubieten. Das war damals für engagierte Geistliche nichts Ungewöhnliches: schon der legendäre Camilo Torres hatte 1966 in der an der kubanischen Revolution orientierten Guerillagruppe den Tod gefunden.
Aber auch bei der Guerilla eckte der hitzköpfige Aragonier an. Nach einem Disput mit Comandante Ricardo Lara Parada wurde er nach wenigen Wochen aus dem ELN ausgestoßen und durfte erst 1970, als sich eine andere Fraktion innerhalb der Organisation durchsetzte, wieder zurückkehren. Camilo Torres war es gelungen, in den Flügelkämpfen innerhalb der Organisation zu vermitteln. Aber nach seinem Tod entbrannten wieder heftige Dispute zwischen der aus Studenten und Arbeitern zusammengesetzten urbanen Fraktion und dem Campesino-Flügel. Die inneren Konflikte erlaubten es der Armee, die ELN-Guerilla 1972/73 fast völlig aufzureiben. Der Oberkommandierende Fabio Vásquez verschwand auf Nimmerwiedersehen nach Kuba, seine beiden Brüder und zwei Priester fielen im Kampf.
Es schlug die Stunde des Manuel Pérez, alias Poliarco, dem es gelang, die revolutionäre Organisation wieder auf die Beine zu bringen. 1982 übernahm er formal den Vorsitz der politischen Kommission, ließ es sich aber auch nicht nehmen, immer wieder bei militärischen Aktionen mitzumischen. Unter seiner Führung wurde verstärkt die wirtschaftliche Infrastruktur Kolumbiens attackiert. Die Armee macht Manuel Pérez für mehr als 500 Anschläge auf Ölpipelines verantwortlich: “Sabotage der Infrastruktur für die Auslieferung der Naturschätze an die Multis”, wie der Guerillachef die Aktionen rechtfertigte.
Die Stärke des ELN, so wissen Insider, besteht in seiner horizontalen Organisation. Die wichtigen Entscheidungen werden immer mit den etwa 5.000 Mann und Frau starken Truppen diskutiert. Von der größten Guerilla Kolumbiens, den militärisch vertikal organisierten kommunistischen FARC, unterscheidet es sich auch durch die größeren Skrupel gegenüber Geschäften mit den Drogenhändlern.

Die Guerillakoordination Simon Bolívar

Dennoch suchte Manuel Pérez die Friedenspolitik mit den Rivalen abzustimmen. Er ist der geistige Vater der „Guerillakoordination Simon Bolívar“, die in drei gescheiterten Verhandlungsrunden der Regierung gegenübertrat.
Das vor wenigen Wochen in Madrid unterzeichnete Abkommen, das neuen Verhandlungen den Weg bereiten soll, war ein Alleingang des ELN. Manuel Pérez, bereits todkrank, konnte es noch absegnen.
Daß dieses unter Vermittlung der spanischen Regierung geschlossene Abkommen wirklich noch unter dieser Regierung zu ernsthaften Friedensverhandlungen führt, ist eher zweifelhaft. Der neue Oberkommandierende der ELN, Nicolás Rodríguez Bautista, alias Gabino, hat angedeutet, die Übereinkunft sei wegen einiger Vorbehalte eingefroren. Gabino, der beim ELN aufgewachsen ist und als engster Vertrauter des Verblichenen galt, dürfte zwar keine grundsätzlich andere Politik vertreten, doch er ist eine Generation jünger und hat es nicht so eilig, zu Lebzeiten noch große Taten zu setzen.
Eilig hat es nur Präsident Ernesto Samper, dem wenig mehr als zwei Amtsmonate verbleiben und der in dieser knappen Zeit noch etwas leisten will, das den Skandal um die Spende des Drogenkartells von Cali für seinen Wahlkampf in den Hintergrund treten läßt.

Die Gringos gehen – der Weihnachtsmann kommt

In Albrook, einer der bereits verlassenen Kasernen des Kommando Süd der US-Streitkräfte am Kanal von Panama, hat in einem der zurückgelassenen Verwaltungsgebäude die City of Knowledge Einzug gehalten, panamaisches Prestige-Projekt unter besonderer Fürsorge des Staatspräsidenten Ernesto Perez Balladares. In der Werbebroschüre wirbt die Stiftung für sich als „einzigartiges Projekt“, unter dessen Dach die Koordination internationaler Lehr- und Forschungsinstitutionen betrieben werden soll, mit dem Ziel, Panama als internationalen Forschungsstandort zu etablieren. Zugpferd ist der US-Forschungskoloß Smithsonian Institute, der seit Jahren schon in den tropischen Wäldern Panamas Biodiversitäts-Studien durchführt.
Kürzlich beschloß die EU, innerhalb der City of Knowledge einen Technologie-Park mit 1,1 Mio US-Dollar zu unterstützen. Die Zugangskriterien zur Ciudad del Saber, wie sie wahlweise genannt wird, scheinen zwar hoch (Internationalität, Renomée und Erfahrung, Interdisziplinarität, Kompatibilität, Innovation, etc.), in der Praxis aber reduziert sich die Sache auf das Zur-Verfügung-Stellen von Infrastruktur für jedwedes Unternehmen, das die Standortvorteile Panamas für seine Zwecke, seien es akademische oder privatwirtschaftliche, nutzen will. Im Dezember vom Parlament ins Leben gerufen, wird nun mächtig die Werbetrommel gerührt. Wenn die City of Knowledge Ende nächsten Jahres nach Fort Clayton, zur Zeit noch von US-Amerikanern besetzt, umziehen wird, „hat sie sich“, so hofft Direktor Prof. Jorge Arosemena, Ex-Chef der Universidad de Panama, „international als First-Class-Forschungszentrum etabliert“.

Rückgabe bis zum Jahr 2000

Die City of Knowledge ist das Vorzeigeobjekt Panamas innerhalb der nicht ganz einfachen Aufgabe, die Territorien der nach und nach an die Staatssouveränität übergebenen US-Kasernen an den Ufern des Kanals in den urbanen und ökonomischen Großraum Panama-Stadt zu integrieren. Viel mehr an städteplanerischen Ideen hat sich die Autoridad de la Region Interoceanica (ARI), die für die Verwaltung, Planung und Nutzung der übergebenen Kasernen-Areale zuständig ist, für die zum Teil ziemlich heruntergekommenen Grundstücke und Immobilien noch nicht einfallen lassen.
Auf dem Gelände des ehemaligen Militärflughafens Albrook wird der Regionalflughafen Paitilla, der zur Zeit noch im Herzen der Stadt die Bankentürme säumt, angesiedelt, hier und da hat man sich eine Altenwohnanlage oder ein Ärztezentrum ausgedacht, verschiedene Regierungsinstitutionen sollen hierher umziehen. Der Großteil der Freizeitanlagen, Sozialzentren, Supermärkte, Verwaltungs-, Büro- und Wohnhäuser aber wird schlicht verkauft. Ursprünglich wollte man eine Quote für InländerInnen freihalten, mangels städteplanerischer Visionen wurde dies dann aber obsolet und schließlich vergessen.
Die Kanal-Verträge zwischen Panama und den USA, 1977 von den Präsidenten Torrijos und Carter unterzeichnet, sehen den vollständigen Abzug der US-Truppen aus Panama bis zum 31.12.1999 vor. Nun ist er im vollen Gange, nach und nach werden unter zeremonienschweren Gedenkfeiern die einzelnen Territorien übergeben und die US-Flaggen eingeholt. Im September 1997 begann der offizielle Abzug, zur Zeit verbleiben noch rund 4000 Soldaten mit ihren Familien in den Basen Davis und Espinar an der Atlantikküste, sowie Amador und Albrook am Pazifik.
Von der Mehrheit der panamaischen Bevölkerung wird der Abzug der Gringos begrüßt, in bestimmten Kreisen erzeugt er allerdings durchaus auch Unbehagen. Die Präsenz der US-Armee bedeutete nämlich in dreierlei Hinsicht einen bedeutenden Faktor für die nationale Ökonomie: Sie steigerte den direkten und indirekten Konsum, sei es in Form von Konstruktionen und Reparaturen oder aller Arten von Dienstleistungen. Außerdem ließ Washington sich die Gastfreundschaft Panamas Ausgleichszahlungen von etlichen Millionen US-Dollar kosten, die jährlich direkt in die Staatskassen flossen. Und nicht zuletzt sind der Kanal und die Freihandelszone das wichtigste Standbein der panamaischen Ökonomie.
Die Einnahmen aus dem Export von landwirtschaftlichen Gütern oder Tourismus sind gering, als internationaler Finanzstandort hat Panama in den letzten zehn Jahren stark an Bedeutung verloren. Die US-Amerikaner waren Garant für die „Stabilität“ im Land und die Offenhaltung des Kanals. Was, wenn sie nun weg sind?, fragen sich nicht wenige. Werden wir in der Lage sein, die Sicherheit und Zukunft des Kanals zu schützen?

Das Centro Multilateral Antidrogas (CMA)

So liegt die Idee nahe, nach einer Möglichkeit zu suchen, unter Umgehung der Torrijos-Carter-Verträge weiterhin die Anwesenheit amerikanischer Streit- und Sicherheitskräfte im Land zu gewährleisten – eine Idee, die im State Department schon zu genüge erörtert worden sein dürfte. Folgerichtig hatte man von US-Seite aus schon frühzeitig das Interesse an einer „reduzierten militärischen Präsenz“ auch nach der Erfüllung der Torrijos-Carter-Verträge angekündigt.
1995 begannen die Regierungen Panamas und der Vereinigten Staaten diesbezüglich informelle Gespräche. Rasch war die Idee eines multilateralen Zentrums zum Anti-Drogen-Kampf geboren, das Centro Multilateral Antidrogas (CMA). Der verstorbene Außenminister Panamas, Gabriel Lewis Galindo, bot in nobler und uneigenütziger Geste panamaisches Territorium zur Initiierung des internationalen Anti-Drogen-Kampfes feil, die Vereinigten Staaten brauchten nur noch, ebenso nobel und uneigennützig, die Geste anzunehmen. Wenngleich als ziviles Projekt konzipiert, war die militärische Komponente von Beginn an fundamental. Aufgabe der US-Streitkräfte und Sicherheitsdienste wäre die Überwachung des Luft- und Seeraumes. Das Gespenst des Drogenhandels tat seine Dienste. Am 23. Dezember des vergangenen Jahres kamen die Unterhändler der beiden Staaten zu einer vorläufigen Übereinkunft. Obschon geheim gehalten, veröffentlichte die mexikanische Presse Ende Januar die wesentlichen Inhalte: 2500 (US-)Soldaten sollen vom 1. Januar 2000 an ihre Arbeit aufnehmen, insgesamt spricht man von einem Personalstock von bis zu 3500 Personen. 53,5 Millionen Dollar jährlich werden die USA dem südlichsten Staat Mittelamerikas für die ersten zwölf Jahre zahlen, danach soll der Vertrag alle fünf Jahre neu ausgehandelt werden. 33 Gebäude auf der 1914 erbauten Howard Base stehen für das CMA zur Verfügung. Um die Multilateralität (und Legitimität) des Zentrums zu garantieren, sieht der Vor-Vertrag vor, die Unterstützung und Mitwirkung von mindestens vier weiteren lateinamerikanischen Staaten zu erreichen.

Quarry Heights – Abschied und Kontinuität

Politisch koordiniert werden soll das CMA von einer Außenstelle des Ministerio de Relaciones Exteriores auf der Quarry Heights Base, jener Base, die 84 Jahre lang das logistische Nervenzentrum der Aktivitäten des Kommando Süd der US-amerikanischen Streit- und Sicherheitskräfte darstellte. Unzählige Operationen und militärische Eingriffe in etlichen Staaten Lateinamerikas wurden von hier aus geplant und geleitet. Auch die Invasion im Dezember 1989 gegen das Regime des General Manuel Antonio Noriega, der jahrelang auf der Gehaltsliste der CIA gestanden und eng mit der Reagan-Administration gegen die sandinistische Revolution in Nicaragua gearbeitet hatte, wurde von hier aus durchgeführt. Noriega verbüßt nun in den USA eine Haftstrafe von 40 Jahren. Hunderte von Zivilisten wurden bei der nur wenige Tage andauernden Invasion getötet.
Im vergangenen September wurde die Kommandantur nach Miami verlegt. Am 8. Januar diesen Jahres übergab der Botschafter der Vereinigten Staaten, William Hughes, dem Außenminister Ricardo Alberto Arias offiziell die Verwaltung von Quarry Heights. Der US-Repräsentant hatte es sich bei dieser Gelegenheit nicht nehmen lassen, eine glorienreiche Rede zu halten über den Sieg der Freiheit über totalitäre Ideologien in der Hemisphäre, dank der würdevollen Arbeit tausender Männer und Frauen, die stets vor Ort waren, „wann und wo auch immer sie gerufen waren“.

Anlaß zur Sorge – Beispiel I

Ein nicht unwichtiger Teil der strategischen Arbeit des Comando Sur der USA wird zu Hause erledigt. Georgia, Fort Benning: Escuela de las Americas. Hunderte lateinamerikanischer Militärs erhielten hier Ausbildung in Kriegsstrategie, Aufklärung, Anti-Guerilla-Kampf, Terror, Zensur und Folter. Heute bekleiden sie, wenn sie nicht gerade zufällig im Gefängnis sitzen wie Noriega, hohe Posten innerhalb ihrer Armeen.
Vor wenigen Wochen wurden Friedensrechtler in den USA zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie es gewagt hatten, die Einfahrt der Escuela de las Americas für einige Stunden zu blockieren und die Militärs Mörder zu schimpfen. Es ist somit ein äußerst heikler Punkt, daß eine Aufgabe des CMA laut Vertragstext „Anti-Drogen-Training für Militärs und Polizisten“ sein wird. Panama hatte nach der Invasion 1989 seine Armee offiziell abgeschafft. Entsprechend wurden seitdem keine Personen mehr nach Georgia gesandt. Nun besteht durchaus Anlaß zur Befürchtung, daß zwar Panamaer nicht mehr nach Fort Benning, Fort Benning aber nach Panama kommen wird.

Anlaß zur Sorge – Beispiel II

Ende des vergangenen Jahres ging ein Kooperationsvorschlag bei der City of Knowledge ein mit dem Ziel, das Tropic Test Center (TTC), ein angeblich ziviles Forschungszentrum, in die Akademie zu integrieren. In der Beschreibung seiner Tätigkeiten wird man dann stutzig. 60 Prozent seiner Arbeit bestehe aus Munitionstests, die man auf speziellem Gelände in Gamboa, Nuevo Emperador oder Fort Sherman durchführe.
Die Friedensorganisation Fellowship of Reconciliation (FOR) gibt Aufschluß über das TTC. Es handele sich um eine militärische Agentur, die seit 30 Jahren Tests mit aller Art von Geschossen, darunter Nervengas und radioaktive Munition, im Auftrag des Pentagons durchführe. „Das TTC versucht in Geheimverhandlungen, auf panamaischem Boden verbleiben zu können“, gibt FOR zu wissen. Da das TTC keine Möglichkeit mehr für eine Angliederung an das multilaterale Drogenzentrum sehe, versuche man nun die Variante über die City of Knowledge (man erinnere sich an den hübschen Euphemismus jener in Klassenzimmer umgerüsteten Baracken und durch Studenten ausgetauschten Soldaten). „Mein Eindruck ist, daß alles (was in Vietnam benutzt wurde)“, so Rick Stauber, Autor eines Pentagon-Berichts über uranhaltige Projektile, „vorher hier in Panama vom TTC unter tropischen Bedingungen an verschiedenen Orten getestet wurde.“ Balladares scheint eine weitere Präsenz des TTC unter bestimmten Bedingungen gewährleisten zu wollen, die Verhandlungen werden auch hier geheim geführt.

Internationale Unterstützung

Für das CMA sucht man nun dringend internationale Unterstützung, sei es zu Zwecken der Legitimation, sei es der Funktionalität des CMA wegen. Die Regierungen El Salvadors und Boliviens haben Zustimmung und Interesse signalisiert, am CMA mitzuwirken.
Bei seinem Staatsbesuch im November des vergangenen Jahres erkundigte sich der spanische Staatspräsident José María Aznar nach dem Stand der Verhandlungen und setzte ebenfalls schon den ersten Fuß in die Tür des High-Tech-Zentrums: „Wir werden die Sache mit höchstem Interesse verfolgen, und in dem Maße, in dem die Gespräche und Verhandlungen fortschreiten, sehen wir die mögliche Beteiligung Spaniens und anderer Staaten der Europäischen Union“. Im Hinblick auf die Dominanz der Vereinigten Staaten in den Anfangsverhandlungen betonte er allerdings die Notwendigkeit, „die Multilateralität des CMA“ zu garantieren. José Ignacio Salafranca, Präsident der Europäischen Volkspartei, versicherte anläßlich einer Delegationsreise von Abgeordneten des Europäischen Parlaments, die EU sei durchaus in der Lage, das CMA zu unterstützen, sobald denn erstmal seine Parameter definiert seien. Er wies auf die „wichtigen finanziellen Mittel hin“, die die EU in der Vergangenheit „im Subkontinent“ mobilisiert habe, „um dieses Problem zu bekämpfen“ und betonte, die EU könne sich “des Anti-Drogen-Kampfes nicht entziehen“, darum ihr „positiver und aktiver Beitrag“ zum CMA. Es gilt als sicher, daß Kolumbien zu den ersten gehören wird, die sich am CMA beteiligen – zu verlockend ist die Aussicht für die vom Guerillakampf geschundene Armee, Training und Militärhilfe zu ergattern.

Internationale Skepsis

Doch die internationale Zustimmung ist reichlich beschränkt. Die Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten steht der Verlängerung US-amerikanischer Präsenz in Mittelamerika eher skeptisch gegenüber.
Mexikanische Sicherheitskreise drücken ihre Ablehnung aus gegen ein „verkleidetes Projekt, das die Vergewaltigung regionaler Souveränitäten legitimiert“. Sergio Gonzales Galvez, bis Februar Außenminister Mexikos (seine Nachfolgerin, Rosario Green, hält gleichwohl nun schon moderatere Töne für das Projekt bereit), bekräftigte die Opposition seines Landes gegen das Projekt, solange sein ziviler und multilateraler Charakter nicht gewährleistet sei und damit die Möglichkeit für die USA ausgeschlossen sei, von dort aus militärische Operationen gegen andere Nationen des Kontinents durchzuführen. Der Vertragstext aber hält sich über die konkreten Aktivitäten des CMA relativ bedeckt. Vom „Einholen und Verarbeiten von Primärinformationen über Wege des Drogenhandels“ ist die Rede, der Koordinierung von Überwachung und Kontrolle in der Region, von humanitären Rettungsaktionen sowie von „weiteren Missionen“ – und hier liegt der Hase im Pfeffer. Als US-Chefunterhändler Thomas McNamara im Februar nach Panama reiste, um die offensichtlich ins Stocken geratenen Verhandlungen wieder aufleben zu lassen, wurde er zu jeder Gelegenheit nach der Bedeutung dieser Formulierung gefragt – und blieb eine Antwort schuldig. Und dies, obwohl seitens der USA bzw. des Pentagons darauf beharrt wird, daß jene Textpassage „unentbehrlich und nicht verhandelbar“ sei: „Ohne das bringt das ganze Projekt nichts“, erklärte ein Pentagon-Funktionär lapidar.
Um was es bei „weiteren Missionen“ letztendlich gehen könnte, läßt das Beispiel Kolumbiens ahnen. Das Bekanntwerden wiederholter Menschenrechtsverletzungen der kolumbianischen Armee, Foltercamps, Massenermordungen und die Zusammenarbeit mit guardias blancas hatten deren Unterstützung im internationalen Rahmen problematisch werden lassen. So war in den letzten zehn Jahren die US-Militärhilfe für die berüchtigte Armee stark zurückgeschraubt worden.
Da es den USA aber mit der Zeit gelungen war, ihrer Militärhilfe durch die strategische Anwendung von Begriffen wie Menschenrechte, Humanismus und eben Drogenhandel ein neues Outfit zu verleihen, konnte im letzten Jahr militärisches Gerät im Wert von mehr als 100 Millionen US-Dollar übergeben werden. Kolumbien ließ sich natürlich nicht lange bitten und beantragte sogleich den Kauf von zwölf Kampfhubschraubern Cobra. (Sollte der Handel von US-Seite genehmigt werden, wäre Kolumbien das erste Land Lateinamerikas, das nach der Aufhebung des US-Embargos gegen den Verkauf von High-Tech-Waffen in die Hemisphäre durch Präsident Clinton Ende vergangenen Jahres solch hochentwickeltes Gerät erhielte.) Ist der Anti-Drogen-Kampf aber erst einmal institutionalisiert und legitimiert, läßt er sich beliebig mit anderen, allzu bekannten Interessen verbinden. „Wir sehen das Problem des Drogenhandels als vorrangig an“, zitiert Ende März die Washington Post einen hohen Pentagon-Funktionär, „aber wir sind sehr sensibel gegenüber der Tatsache, daß es eine Verbindung gibt zwischen Drogenhändlern und den Aufständischen“ (gemeint sind FARC- und ELN-Guerilla). Dann wird er deutlich: Obschon seine Regierung noch (!) nicht „präpariert“ sei, einen militärischen Schlagabtausch direkt zu unterstützen, der nicht mit dem Thema Drogen zu tun hätte, so herrsche doch große Besorgnis angesichts jüngster Niederlagen der Armee und einer wachsenden Feuerkraft der Guerilla.

Nationaler Widerstand

Zur gleichen Zeit regt sich Widerspruch innerhalb des Landes gegen eine verlängerte Präsenz der US-Streitkräfte. „Die Übereinkünfte zwischen Panama und USA, ein Anti-Drogen-Zentrum am Kanal zu installieren“, so Ex-Präsident Guillermo Endara, „sind ein teuflisches Geschenk an die Clinton-Administration“. Kurioserweise ist es eben jener Politiker, den die USA nach ihrer Invasion 1989 als Präsidenten der Republik einsetzten, der heute als einer der vehementesten Wortführer gegen das CMA Front zu machen sucht. Gewerkschaftliche, religiöse und studentische Gruppen rufen zum Widerstand auf gegen das CMA, welches nichts mehr sei als „ein neuer Mechanismus der Kontrolle über die Region“, mit dessen Hilfe und „dem Vorwand des Drogenhandels die USA ihre üblen hegemonialen Interessen im neuen Jahrhundert weiterführen werden“.
Selbst innerhalb der Regierungspartei Panamas, der revolutionären demokratischen PRD, wird das Unternehmen mit verhaltener Kritik begutachtet, war es doch der Gründer der Partei selbst, General Omar Torrijos, der zu seiner Zeit meinte, seine Heimat sei nicht eher souverän, bevor die USA nicht gänzlich das Land verlassen hätten.
Als Staatspräsident Balladares im Februar seine Absicht verkündete, bei den Wahlen 1999 erneut als Kandidat anzutreten, stellte er ein Volksreferendum in Aussicht, bei dem gleichzeitig über eine dazu notwendige Verfassungsänderung und über das CMA-Projekt abgestimmt werden solle. Die Chancen, in beiden Punkten erfolgreich zu sein, stehen nicht allzu schlecht. Obschon eine Mehrheit der Bevölkerung der ökonomischen Situation des Landes und der Außenpolitik der Vereinigten Staaten eher kritisch gegenübersteht und trotz des autokratischen Regierungsstils von Balladares, befürwortet doch eine große Anzahl die weitere Präsenz US-amerikanischer Streitkräfte im Land, und genießt die Opposition des Landes keine große Popularität.
In einer am 23. März veröffentlichten Umfrage (Dichter & Nerira; http/www.prensa.com/encuesta) sprachen sich 60 Prozent der Befragten für das CMA aus. Auf die Frage, ob man zufrieden sei mit der Weise, wie die Regierung die Verhandlungen führe, antworteten allerdings 31 Prozent mit Ja, 48 Prozent mit Nein, 21 Prozent beantworteten die Frage gar nicht. Befragt nach der Erfüllung seines Amtes waren 63 Prozent der Meinung, Balladares erfülle dies gut bis exzellent, bei der Sonntagsfrage schneidet er mit rund 30 Prozent als eindeutiger Sieger ab. Der Regierung stellen 58 Prozent der Befragten ein gutes Zeugnis aus, in Kontrast zum Parlament, dessen Arbeit 64 Prozent mit schlecht oder miserabel bewerten. 58 Prozent der Befragten hält die Opposition des Landes für nicht vorbereitet, ab 1999 die Regierungsgeschäfte zu übernehmen.

Stillstand der Verhandlungen

Doch auch mit diesem demographischen Rückhalt ist die Zukunft des CMA noch ungewiß. Nicht nur inländische Opposition und auswärtige Kritik blasen der endgültigen Verabschiedung eines CMA-Vertrages zwischen Panama und den USA Wind ins Gesicht. Die Verhandlungsbasis der Panamaer ist weder politisch noch ökonomisch souverän, und so hat die Regierung durchaus etwas zu verlieren – bzw. zu gewinnen. Offensichtlich sind sich Balladares und sein Chef-Unterhändler Jorge Eduardo Ritter dessen sehr bewußt, und man ist nicht bereit, sich zu billig zu verkaufen.
Ein Punkt, der die Geister scheidet, ist die Eigentumsfrage über die Einrichtungen des CMA. Panama weigert sich strikt, der Forderung der USA nachzukommen, ihr juristische Verfügung über das Zentrum zu überlassen. In den letzten drei Monaten sind die Verhandlungen praktisch keinen Schritt weiter gekommen. „Ich bin sicher, daß die Vereinigten Staaten ihre Überwachung von einem anderen Ort aus fortführen werden, sollte Panama nicht zu einer Übereinkunft kommen“, meinte spitzfindig Außenminister Ricardo Alberto Arias im vergangenen November. Und im gleichen Ton, befragt nach dem Verhandlungsstand mit den USA, bekräftigte am 26. März Präsident Balladares, daß sein Land keinerlei Eile habe, das Thema einer möglichen Einrichtung eines CMA zu definieren. „Sollte sich dies hinauszögern und kein Referendum vor Ende des Jahres möglich sein, nun dann lassen wir das halt offen“. In jedem Fall dürften die Verhandlungen die Wahlen, die im Mai 1999 abgehalten werden, nicht stören. Und er wurde noch deutlicher: „Wir werden nicht akzeptieren, daß das CMA als Vorwand für die Errichtung einer Militärbasis benutzt wird.“ Es sei nicht einfach, mit den USA zu verhandeln. „Die Geschichte der Beziehungen unseres Landes mit den Vereinigten Staaten ist geprägt von dem Versuch, sich von vornherein unseren Konditionen zu entledigen.“ Während das State Department schon zufrieden sei, daß es eine gewisse US-amerikanische Präsenz in Panama gebe, „hätten die im Pentagon am liebsten, daß das ganze Land eine Militärbasis sei“.
Es bleibt also abzuwarten, wann und unter welchen Konditionen das CMA seine Arbeit aufnehmen wird. Panama, soviel scheint jedenfalls sicher, wird ohne die Mitwirkung anderer Staaten keinen offiziellen Startschuß geben. Und den USA läuft die Zeit davon, nachdem der Versuch, über die Drohung mit Ausweichstandorten wie Miami oder Honduras Druck zu machen, nicht aufgegangen ist.
Nachtrag: Am 29.März erklärte der Botschafter Panamas in Washington, Eloy Aljaro, die Verhandlungen seien bis auf weiteres ausgesetzt, und man warte nun auf den nächsten Schritt, der von Washington kommen müsse.

Welche Wahl hat Kolumbien?

Im westeuropäischen Koordinatensystem würden Pastrana als Christ- und Serpa als Sozialdemokrat spielend durchgehen – ersterer sollte Ende März auf Einladung der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung einen werbewirksamen Deutschlandtrip absolvieren, Treffen mit Kanzler Kohl inklusive. Wie schon Ernesto Samper bezeichnet sich Serpa gerne als Sozialdemokrat – doch in der Regierungspolitik der letzten vier Jahre, die er über weite Strecken als Innenminister mitgestaltete, war davon nichts zu spüren. Überschattet war diese zum einen von den – berechtigten – Vorwürfen gegen den Präsidenten, dieser habe seinen Wahlsieg über Pastrana letztlich der Millionenspritze des Cali-Kartells in der Endphase des Wahlkampfs zu verdanken. Zum anderen weitete sich der Krieg aus, wobei die Guerillagruppen ELN und FARC militärisch besser dastehen als je zuvor.
Eine „dritte Kraft“, die die weitverbreitete Politikverdrossenheit aufbrechen, Wechsel- und NichtwählerInnen mobilisieren und das Zweiparteiensystem durcheinanderwirbeln könnte, hat unter den jetzigen Rahmenbedingungen keine Chance. Da gibt es zum einen den rechtsextremen ehemaligen General Harold Bedoya, der letztes Jahr von Präsident Samper als Armeechef abgesetzt wurde. Auf der anderen Seite präsentieren sich als bürgerlich-unorthodoxes Gespann Noemí Sanín und Antanas Mockus, die nach einer Befragung festlegen wollen, wer sich noch vor der ersten Runde zurückzieht, um ihre Kräfte zu bündeln (diese Entscheidung soll Anfang April bekanntgegeben werden). Die derzeitigen Umfragen sagen Serpa, Pastrana und den übrigen Kandidaten zusammen jeweils etwa ein Drittel der Stimmen voraus.

Keine Chance für die „Anti-Politik“

Für die meisten KolumbianerInnen ist „Politiker“ ein Schimpfwort – als größtes nationales Übel sehen sie die Korruption. Deswegen kommt es bei Kommunal-, Regional- und auch Kongreßwahlen immer wieder zu Überraschungserfolgen von sogenannten „Anti-PolitikerInnen“ – so zogen zuletzt der Filmemacher Sergio Cabrera (Die Strategie der Schnecke), Journalisten und Fernsehstars ins Parlament ein. Vor allem in den Großstädten ist die Stimmabgabe an „freie“ Kandidaten beliebt – der Philosophieprofessor Antanas Mockus brachte es 1994 nach einem „Anti-Wahlkampf“ sogar bis zum Bogotaner Bürgermeister. Doch auf dem Land haben parteilose KandidatInnen kaum eine Möglichkeit, sich gegen die Tricks liberaler und konservativer Klientelisten durchzusetzen – wer überhaupt wählt, tut das zumeist nur, um an handfeste Vorteile zu kommen (zum Beispiel Freibier, kostenlose ärztliche Behandlung, Stipendien). Und die sind nur über die lokalen „Kaziken“ zu haben – da wird schon mal kurzfristig der zur Wahl erforderliche Personalausweis ausgeliehen. Der kolumbianische Euphemismus hierfür lautet „gebundene Stimmabgabe“.
Als Retter des Vaterlandes präsentiert sich Harold Bedoya, der mit klassischen Law-and-Order-Sprüchen brilliert. Ob er Ende der siebziger Jahre, als er an der berüchtigten US-Militärakademie „School of the Americas“ einen Lehrauftrag hatte, auch die Todesschwadronen Alianza Americana Anticomunista leitete, wurde nie offiziell untersucht. Umso offensichtlicher war jedoch sein Obstruktionskurs als Chef der Streitkräfte, etwa 1995, als er die Gesprächsversuche der Regierung mit der FARC-Guerilla vereitelte. Von Samper verlangte er seinerzeit einen schriftlichen Befehl zum Truppenabzug von einer weitläufigen Fläche im Südosten des Landes – dies eine Vorbedingung der FARC zur Aufnahme von Friedensgesprächen. Wäre der Präsident darauf eingegangen, hätte er – so Bedoyas Kalkül – vor dem Verfassungsgericht des Vaterlandsverrats angeklagt werden können.

Das Phänomen Bedoya

Doch in der Folgezeit geriet die Armee militärisch immer mehr ins Hintertreffen. Als sich der Militär vor einem halben Jahr als Präsidentschaftskandidat outete, analysierte das Magazin Semana, das Phänomen Bedoya sei „eher Ausdruck einer landesweiten Frustration als eine erfolgversprechende Kandidatur“. Nach einem Zwischenhoch im Februar stagnieren die Umfragewerte des Ex-Generals bei etwa 10 Prozent – damit zeigt sich zwar ein beträchtliches Stimmenpotential auf der extremen Rechten, doch um es etwa Alberto Fujimori gleichzutun, fehlt dem rhetorisch unbeholfen wirkenden Hardliner das Charisma.
Eine nennenswerte demokratische Linke kann sich weiterhin nicht entfalten, denn im Schatten des Krieges geht die Repressionswelle gegen BasisaktivistInnen unvermindert weiter – zuletzt wurde der Vorsitzende der Medelliner Menschenrechtskommission ermordet. Bis auf den ehemaligen Chef der Linkspartei M-19, Antonio Navarro Wolff, der als Bürgermeister der Provinzhauptstadt Pasto erfolgreich war und mit einem glänzenden Ergebnis ins Repräsentantenhaus gewählt wurde, sind kaum noch fortschrittliche PolitikerInnen im Kongreß vertreten. Bleibt als geringstes Übel bei den Präsidentschaftswahlen das Duo Sanín/Mockus, die sogenannte „Option für das Leben“. Die unter Präsident Gaviria (1990-94) als Außenministerin amtierende Konservative hat aus gutem Grund auf den Segen ihrer Partei verzichtet, und mit ihrer (derzeitigen) Partnerschaft mit Mockus möchte sie die aufgeklärten urbanen Wählerschichten ansprechen, die mit den Klientelisten Serpa und Pastrana nichts anfangen können. Linksliberale Publizisten unterstützen Sanín und Mockus wegen ihrer persönlichen Integrität. Doch kaum jemand rechnet damit, daß einer von ihnen in den zwei verbleibenden Monaten noch auf Platz zwei kommen könnte – denn als ausgesprochene Individualisten haben sie erst gar nicht versucht, eine Bewegung um ihre programmatischen Leitmotive „Gewaltabbau durch Bewußtseinsbildung“ und „Kampf der Korruption“ zu scharen.
Das derzeit plausibelste Szenario ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Serpa und Pastrana im Juni. Pastranas Vater Micael war von 1970-74 einer der reaktionärsten Präsidenten des Landes. Pastrana selbst sammelte nach einer Blitzkarriere als mehrfach ausgezeichneter Journalist 1988 als erster gewählter Bürgermeister von Bogotá Verwaltungserfahrung. Ebenso wie vor vier Jahren gibt sich der mittlerweile 43jährige als überparteilicher Kandidat.

Déjà vu: Das rot-blaue Duell

Da er von prominenten (neo-)liberalen Samper-Gegnern wie Ex-Generalstaatsanwalt Alfonso Valdivieso und dem Sekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), César Gaviria, sowie von protestantischen Gruppen unterstützt wird, könnte er als „Blauer“ tatsächlich nennenswert ins „rote“, liberale Wählerpotential einbrechen. Ebenfalls nichts Neues ist seine Scheu vor direkten Debatten mit seinen Konkurrenten: Am sichersten fühlt er sich, wenn er sich bei Wahlkampfauftritten auf wohlfeile Allgemeinplätze zurückziehen kann. Nach US-amerikanischem Vorbild hat er ein professionell geführtes Wahlkampfteam aufgebaut; im Internet stößt man nicht nur rasch auf seine Homepage, sondern auch auf Anti-Serpa-Pamphlete.
Folgender Witz erhellt das gespannte Verhältnis zwischen der Bogotaner Oberschicht und dem in jenen Kreisen als links verschrieenen Serpa: Als der liberale Kandidat in den elitären Contry Club geht, wird er von den Kindern der Mitglieder mit Jubel begrüßt. Auf Nachfrage erhält der überraschte Serpa die Erklärung: „Wenn Sie die Wahlen gewinnen, ziehen unsere Eltern mit uns nach Miami um.“
In der Tat gefällt sich der schnauzbärtige, schlagfertige Populist, der vor knapp zwei Jahren auf Initiative von Werner Mauss im Bonner Kanzleramt mit Geheimdienstkoordinator Schmidbauer an einem Friedensplan zwischen Regierung und ELN bastelte, gerne in Sozialrhetorik. Und kürzlich gestand er ohne Umschweife ein, daß die Regierung Samper auf sozialem Gebiet versagt habe. Er wolle „eine andere Politik einleiten, die sich um die Verbesserung der Wirtschaft“ drehe. Und mit den Rebellen wolle er nun das persönliche Gespräch suchen. Die bedingungslose Solidarität, mit der er dem angeschlagenen Samper immer wieder den Rücken freihielt, und sein enger Draht zu selbst den korruptesten liberalen Provinzfürsten garantieren ihm zwar eine solide Stammwählerschaft, doch ungebundene WählerInnen werden ihn als Verlängerer der diskreditierten Samper-Herrschaft sehen und sich schon deswegen auf die Seite Pastranas schlagen. Durch die frühzeitige Nominierung der letzten Außenministerin María Emma Mejía als Kandidatin für die Vizepräsidentschaft ist Serpa jedoch zuletzt wieder in die Offensive gegangen.
Wie auch immer der nächste kolumbianische Präsident heißen wird: Auf eine baldige Befriedung des Landes wagen bisher nur die unverdrossensten Optimisten zu hoffen.

Die etwas andere Geschichte der Guerillas in Kolumbien

Anfang März bewiesen die kolumbianischen Aufständischen wieder einmal Stärke. Ihnen gelang es nicht nur, trotz einer noch nie dagewesenen Militarisierung, die Parlamentswahlen in vielen Regionen zu sabotieren, die FARC fügten der Armee im Süden auch noch die bisher schwerste Niederlage in der kolumbianischen Geschichte zu. Eine ganze 120-köpfige Eliteeinheit von Berufssoldaten wurde im Caquetá aufgerieben. Die Reaktionen von Regierung und Armeespitze waren dementsprechend nervös. Mehrere tausend Soldaten wurden zusätzlich in die Region verlegt, die von der Regierung offensichtlich nicht einmal mehr mit Hilfe von Großoperationen unter Kontrolle zu bringen ist.

Die Wurzeln der bewaffneten Bewegung

Schon über die Entstehung der FARC und der ELN kursieren oft falsche Vorstellungen. Im Gegensatz zu den meisten in den 60er Jahren gegründeten bewaffneten Gruppen bauten die beiden Organisationen nicht vorrangig auf dem nach 1959 von Kuba ausgehenden Fokismus, sondern auf der 200jährigen Geschichte von Bauernaufständen auf, die seit 1792 Kolumbien in regelmäßigen Abständen erschütterten. Wer García Márquez’ „100 Jahre Einsamkeit“ gelesen hat, weiß von den zahllosen Bemühungen des Generals Aureliano Buendía, der sich 17 Mal erhob und immer wieder scheiterte. Diese Aufstände werden, wie auch der Bürgerkrieg 1948, oft als liberal-konservative Konflikte interpretiert. Die kritische Sozialforschung hat sich dagegen immer verwehrt: So wie auch Aureliano Buendía (eine trotz „magischer“ Verfremdung recht reale Person) kämpften die Aufständischen des 19. und 20. Jahrhunderts zwar unter dem Banner der liberalen Partei, aber sie waren keine Parteigänger.
Ihre Rebellion richtete sich vielmehr allgemein gegen die oligarchische Land- und Machtkonzentration. Die Tatsache, daß ihr Widerstand fast immer bewaffnet war, hatte damit zu tun, daß der soziale und politische Protest von der Oberschicht eigentlich immer mit Waffengewalt beantwortet wurde. Obwohl es seit der Unabhängigkeit nur zwei Militärputsche in Kolumbien gab, wurde die Opposition immer in die Illegalität gedrängt.

Die Geschichte der blutigen Massaker

Der erste große Einschnitt im 20. Jahrhundert war das Massaker in den Bananenplantagen 1928 (auch in „Hundert Jahre Einsamkeit“ nachzulesen). Die gesamten 20er Jahre waren von einer Aufbruchsstimmung geprägt, wobei sich die Opposition – neu entstandene Gewerkschaften, Indígena-Gruppen, Frauenbewegung und SozialistInnen – unter dem Dach des Partido Socialista Revolucionario versammelte. Eine interessante Organisation, denn die PSR nahm als „Bewegungspartei“ viel von dem vorweg, was Jahrzehnte später, zum Beispiel in den Diskussionen um die brasilianische PT, wieder eine Rolle spielen sollte.
1928 erreichte die Bewegung ihren Höhepunkt. Die Streiks griffen wie ein Flächenbrand um sich, und auch auf den Plantagen der United Fruit Company bei Ciénaga an der Karibikküste kam es zum Aufstand. In der Nacht zum 6.Dezember massakrierte die Armee 2000 auf dem Bahnhof friedlich versammelte streikende Familien: Die Toten wurden einfach ins Meer geworfen, die überlebenden Anführer der Bewegung im ganzen Land zu langen Haftstrafen verurteilt. Damit endete die erste sozialrevolutionäre Bewegung des 20. Jahrhunderts.
1948 kam es zum zweiten blutigen Höhepunkt. Am 9. April ließ die konservative Oligarchie den linkspopulistischen Sozialreformer Jorge Eliécer Gaitán, der als Kandidat der Liberalen beste Chancen besaß, neuer Präsident zu werden, in Bogotá ermorden. Die Hauptstadt erhob sich, und im ganzen Land bewaffnete sich die Opposition. Der darauffolgende Bürgerkrieg von 1948-53, der als Violencia in die Geschichte einging, mündete in ein Gemetzel unter der Zivilbevölkerung und kostete rund 250.000 Menschen das Leben. Das Ende des Krieges ist charakteristisch für die Bewältigung sozialer Konflikte in Kolumbien: Die Parteiführungen von Liberalen und Konservativen handelten eine liberale Teilhabe an der Macht aus, die Anführer der bewaffneten Gruppen wurden nach ihrer Demobilisierung einfach ermordet. Somit wurde auch in den 50er Jahren die Erkenntnis bestätigt, daß man mit der kolumbianischen Oberschicht nicht verhandeln kann.
Eine Reihe der in der Violencia entstandenen Bauerngruppen, vor allem solche, die politisch von der KP beeinflußt worden waren, verweigerten sich jedoch nach 1953 der Demobilisierung. Diese Gruppen strebten nicht nach einer Machtübernahme, sie waren Selbstschutzmechanismen der ländlichen Bevölkerung und Ausdruck bäuerlicher Selbstverwaltung.
Auf diese Weise bestanden Anfang der 60er Jahre mehrere Repúblicas Independientes, die ihre Autonomie gegenüber dem Zentralstaat durchsetzten . Die wichtigste von ihnen, die im Zentrum des Landes gelegene „Republik von Marquetalia“, wurde 1964 von der Armee brutal zerschlagen, worauf sich verschiedene Selbstverteidigungsgruppen zu den Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) zusammenschlossen. Die FARC waren damit alles andere als eine revolutionäre Kadertruppe, im Prinzip agierte sie bis 1990 eher defensiv als militärischer Arm der KP.
Etwas anders gelagert ist der Fall des Ejército de Liberación Nacional (ELN), das ebenfalls 1964 entstand. Obwohl die Organisation von in Kuba ausgebildeten Studenten gegründet wurde, hat auch sie in vieler Hinsicht ihre Wurzeln in den Bauernrevolten der Violencia. Viele combatientes der ersten Generation waren Veteranen der liberalen Guerilla von 1948-53 oder nahe Verwandte von diesen. Wenn die ELN trotz schwerer Niederlagen 34 Jahre überlebte, liegt das zum einen an der hohen moralischen Integrität ihrer comandantes – des Bauern Nicolás Bautista und des spanischen Pfarrers Manuel Pérez –, zum anderen aber an der Tatsache, daß sie, wie die FARC, an einen historischen Widerstand anknüpfte, dessen Radikalität sich aus der sozialen Wirklichkeit ableitete.

Verhandlungsprozesse und schmutziger Krieg

In den 70er Jahren erlebte die kolumbianische Linke eine gewaltige Ausdifferenzierung. Im Verlauf dieses Jahrzehnts bildeten sich 18 maoistische Gruppierungen (darunter viele mit bewaffnetem Arm), mehrere trotzkistische Strömungen und sieben größere Guerillas heraus. Ansonsten aber tat sich relativ wenig. Erst der linksnationalistischen M-19, die sich 1973 in Abgrenzung zu den leninistischen Gruppen gegründet hatte, gelang es mit mehreren spektakulären Guerillaaktionen, in den Städten eine neue Phase einzuläuten. 1979 schien die Guerilla auf einmal wieder eine reale Bedrohung für den Staatsapparat zu werden. Präsident Turbay Ayala versuchte die Entwicklung mit Repression aufzuhalten, aber Anti-Terrorgesetze und systematische Folter brachten keine positiven Ergebnisse – im Gegenteil, vor allem die M-19 wuchs weiterhin.
Daraufhin kam es zu einer dramatischen Wende. Der neue Präsident Belisario Betancur (1982-86) erließ eine Generalamnestie und fädelte Friedensverhandlungen ein, die 1984 in einen Waffenstillstand mit FARC, M-19 und EPL (dem Ejército Popular de Liberación) mündeten; die ELN verweigerte sich damals den Gesprächen. Aber erneut wiederholte sich die Geschichte: Die legalisierten UntergrundkämpferInnen wurden zur Zielscheibe des schmutzigen Krieges. Ab 1983 entstanden unter der Schirmherrschaft der Armee im ganzen Land mehr als 150 paramilitärische Gruppen, die die nun offen auftretende Opposition regelrecht ausmerzte. Dörfer wurden überfallen, Gewerkschafter erschossen, zahlreiche Massaker mit bis zu 50 Toten verübt. Der Waffenstillstand zerbrach 1985, der schmutzige Krieg aber ging weiter.
Allein die sozialistische Wahlkoalition UP verlor 2000 AktivistInnen. Insgesamt kalkuliert man, daß bis zu 20.000 Menschen (Bauern, Gewerkschafter, Straßenkinder etc.) jährlich (!) Opfer von „sozialen Säuberungen“ und Paramilitarismus sind. Das ist weitaus mehr als in Argentinien unter der Militärdiktatur.
Dennoch kam es wenig später erneut zu sogenannten Friedensverhandlungen. Der Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten und interne Krisen hatten die Linke schwer getroffen. Die M-19 war zu einer kleinen, nur noch 300 KämpferInnen zählenden Gruppe zusammengeschrumpft, und die sich am albanischen Sozialismus orientierende (sic!) EPL verfiel in tiefe Selbstzweifel. Die Folge war die bedingungslose Demobilisierung der beiden Organisationen 1990-92. Die höheren Kader integrierten sich in den Staatsapparat, die combatientes mußten sich alleine durchschlagen, zu sozialen Veränderungen kam es nicht. Letztendlich zahlte sich das Abkommen jedoch nicht einmal für alle Guerilla-Führer aus. Der Präsidentschaftskandidat der demobilisierten M-19, Carlos Pizarro, wurde erschossen, die M-19 verwandelte sich in eine kleine politische Partei ohne linke Ansprüche.

Modernisierungsprozeß und neue Konflikte

Es blieben also nur FARC und ELN (sowie eine kleine Abspaltung des EPL) übrig, die von der Krise der Linken auf sehr widersprüchliche Weise getroffen wurden. Zum einen erfuhren sie politisch zweifellos eine Schwächung, denn die Regierung Gaviria nutzte die Demobilisierung von M-19 und EPL zu einer Modernisierung des Systems. Mit der Verfassunggebenden Versammlung 1990/91 schien sie die seit langem schwelende politische Krise endlich überwinden zu können.
Noch fataler jedoch als diese Verfassungsreform war für FARC und ELN der Zerfall der legalen Opposition. Nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus und der sandinistischen Wahlniederlage machte sich Orientierungslosigkeit und Skepsis breit; zudem hatte der schmutzige Krieg die Linke völlig ausgeblutet. So lösten sich die politischen Massenorganisationen UP, A Luchar und Frente Popular auf, die Gewerkschaften verloren an Bedeutung, die Koordination der StadtteilbewohnerInnen CNMC und der BäuerInnen-Verband ANUC waren nicht mehr in der Lage, die Bevölkerung zu mobilisieren.
Damit erschien die Guerilla auf einmal als rein militärisches Projekt – eine verständlicherweise wenig überzeugende Option. Interessanterweise gingen die politischen Probleme von FARC und ELN mit einem beachtlichen personellen und militärischen Wachstum einher. Im Land existiert heute die absurde Situation, daß politisierte Jugendliche eher in die Berge gehen, als einer Gewerkschaft beizutreten – das Risiko ermordet zu werden, ist in der Guerilla geringer. So zählen die beiden Organisationen heute zusammen über 150 Fronten oder Frontprojekte und sind nach Regierungsangaben in fast 600 der 1000 Munizipien präsent. In einem allerdings gering bevölkerten Drittel des Landes üben sie die Funktion einer klandestinen Gegen-Administration aus. Sie sind in der Lage, das Land wochenlang mit ihren Aktionen lahmzulegen und sind in den unmittelbaren Vororten Bogotás und Medellín aktiv.

Selbsterhaltung, Friedensprozeß oder Revolution?

Es klingt unzeitgemäß, aber FARC und ELN streben einen politischen Umsturz an – und dies in gewisser Weise sogar kompromißloser als früher. Seit der strategischen Wende der FARC 1991/92, die bis dahin mehr oder weniger als Instrument der KP agierte und auf eine Verhandlungslösung abzielte, operiert die Guerilla immer offensiver. Daß es dazu kam, hat mit zwei Ereignissen zu tun: Zum einen starb 1991 der comandante Jacobo Arenas, der als der Mann der KP in den FARC galt (an altersbedingten Herzproblemen – auch eine „macondianische“ Biographie); zum anderen jedoch beging die Regierung Gaviria den idiotischen Fehler, ausgerechnet während einer Dialogrunde in Mexiko das mehr oder weniger offizielle Hauptquartier der FARC in La Uribe/ Meta anzugreifen. Die großangelegte Operation war wie ein Tritt in den Ameisenhaufen. Die FARC-comandantes teilten sich in dezentrale Gruppen auf und verlegten die in La Uribe konzentrierten Fronten in die Nähe der Hauptstadt. Damit begann das strategische Projekt „Einkreisung Bogotás“. Seit 1992 ist es keine Seltenheit mehr, daß die FARC 20 bis 30 Kilometer vor der Hauptstadt gelegene Städte besetzt.
Ganz offensichtlich schenkt die FARC den Wahl- und Verhandlungsstrategien keine Bedeutung für eine Konfliktlösung mehr. Das Bündnis mit der KP und UP ist aufgekündigt; Verhandlungen mit der Regierung wollen die FARC wie auch die ELN nur noch über punktuelle Fragen (wie die Nationalisierung der Bodenschätze), aber nicht mehr über eine generelle Demobilisierung führen. Außerdem arbeitet die FARC am Aufbau einer klandestinen Massenbewegung. Das Movimiento Político Clandestino Bolivariano soll dazu beitragen, den sozialen Protest der Bevölkerung auf die Straße zu bringen, ohne sich mit wahltaktischen Fragen (wie im Fall der UP) selbst zu behindern.
Insofern ist in Kolumbien eine Situation eingetreten, die in ihrer Brisanz nur mit der Mexikos zu vergleichen ist. Die Guerillaorganisationen, die an einem Sozialismus mit Poder Popular festhalten, die neoliberale Wirtschaftspolitik sabotieren und die Erdöl- und Kohle-Multis aus dem Land werfen wollen, befinden sich in einer paradoxen Situation. Zum einen wissen sie, daß der kolumbianische Konflikt keine militärische Lösung zuläßt; zum anderen ist ihnen aber auch klar, daß die staatliche Repression der politischen und sozialen Opposition keinerlei Spielräume bietet. Der Paramilitarismus breitet sich rasant aus. Es gibt kaum noch Gegenden, in der die parastaatlichen Terrorgruppen nicht aktiv wären. In einem Drittel des Landes, darunter die strategisch und ökonomisch wichtigen Regionen Urabá (Bananenexport, Kanaloption) und Magdalena Medio (Erdöl, Viehzucht) üben sie gemeinsam mit der Armee eine brutale Kontrolle aus. Bereits 1,8 Millionen KolumbianerInnen sind vor ihnen und dem Krieg in die Städte geflohen. Was droht, ist ein Bürgerkrieg von den Ausmaßen der Violencia.
In diesem Zusammenhang ist das Interesse der Guerilla zu sehen, über konkrete Regelungen mit der Regierung zu verhandeln. Es geht nicht um eine Demobiliserung, sondern um punktuelle Vereinbarungen: Einhaltung der Genfer Menschenrechtskonventionen, Schutz der Zivilbevölkerung und der legalen Opposition, Demobilisierung der Paramilitärs, Nationalisierung der Bodenschätze, Stop der Privatisierungen und Wiedereinführung von Arbeits- und Kündigungsschutzgesetzen.

Der schlechte Ruf der Guerilla

Politsch sind ELN und FARC durchaus auf der Höhe der Zeit – zumindest nicht weniger als die Linke anderswo auf der Welt. Sie suchen durchaus, wenn auch manchmal etwas unbeholfen, die Kommunikation mit dem Rest der Gesellschaft, fördern Selbstverwaltungsstrukturen und begreifen anders als die superrevolutionäre Linke der 70er Jahre die Notwendigkeit sofortiger Reformen. Wenn sie dennoch einen so schlechten Ruf haben („Narcoguerilla“, „stalinistisch“, „kriminell“ etc.), hat das wenig mit eigenen Fehlern zu tun. Natürlich gibt es in Kolumbien (wie in der FMLN und FSLN) Militarismus und Autoritarismus von links. Das ist anzugreifen, aber bei einer Militarisierung des Konflikts, wie er von der kolumbianischen Oberschicht in den letzten 50 Jahren betrieben wurde, nicht besonders verwunderlich. Mit den Organisationsführungen und -positionen hat das auf jeden Fall wenig zu tun. In der ELN forciert man schon seit 15 Jahren die innerorganisatorische Demokratie, die für eine Armee (mit Ausnahme der EZLN) wohl ziemlich einzigartig sein dürfte.
Viel wesentlicher für das schlechte Bild ist die permanente Desinformationskampagne in den Medien: Seit 1985 gibt es praktisch kein Massaker mehr, das nicht zunächst den Aufständischen in die Schuhe geschoben wird, und wenn, wie beim Überfall auf Segovia, dem Mord an zehn Justizbeamten in La Rochela oder dem Massaker an den Bananenarbeitern in Urabá, zehn Jahre später die Beteiligung von hochrangigen Militärs wie dem General Farouk Yanine Díaz nachgewiesen wird, dann interessiert das natürlich niemanden mehr.
Ein weiteres Mittel ist die Strategie, die Aufständischen in den internationalen Medien als „kriminelle Narco-Guerilla“ zu stigmatisieren. Dabei werden vor allem Entführungen und Verbindungen zum Drogenhandel aufgeführt. Ein genauerer Blick macht jedoch auch dieses Argument zunichte: Was die Entführungen von ausländischen Technikern und Großgrundbesitzern angeht, bewegen sich diese auf der gleichen Ebene wie Haftstrafen für Steuerbetrüger in einem bürgerlichen Rechtsstaat, denn die Guerilla übt in vielen Regionen de facto Regierungsfunktionen aus, und treibt daher Steuern ein. Man muß begreifen, daß es sich bei der kolumbianischen Guerilla nicht um eine privat agierende Minitruppe, sondern um eine aufständische Gegenautorität handelt. Wer sich über diese Entführungen empört, darf über staatliche Gefängnisse nicht schweigen.
Und auch hinsichtlich ihrer Drogenpolitik hat sich die Guerilla nicht viel vorzuwerfen: die ELN lehnt den Coca-Anbau völlig ab und hat in Bolívar dieses Jahr ein ehrgeiziges Projekt der Substitution bis zum Jahre 2003 begonnen. Die FARC hingegen setzen die Abnahmepreise fest und kassieren von den Einkäufern Steuern. Das hat zwar die Beziehungen mit der ELN bis an den Rand eines offenen Bruchs belastet, aber den Bauern im Süden des Landes ein Mindesteinkommen garantiert. Verglichen mit der Verwicklung der Samper-Administration in die Geschäfte des Cali-Kartells ist diese Politik sowieso nur ein lächerliches Vergehen. Es ist im übrigen ganz erhellend zu wissen, daß der Begriff der „Narco-Guerilla“ in den 80ern vom damaligen US-Botschafter Lewis Tambs kreiert wurde, dem wenig später selbst Verwicklungen mit dem Drogenhandel nachgesagt wurden.
So gesehen ist das Image der kolumbianischen Aufstandsbewegung eindeutig erneuerungsbedürftig. Während die kolumbianische Oberschicht seit nun 16 Jahren ungestraft die Landbevölkerung abschlachten läßt, schreiben sich JournalistInnen, die außer den 4-Sterne-Hotels von Bogotá und Cartagena nicht viel von Kolumbien gesehen haben, die Finger über das lukrative Geschäft der Narco-Guerilla wund. So wie es in den 80ern falsch war, FSLN und FMLN unkritisch abzufeiern, ist es heute unmöglich, sich eine Emanzipation Kolumbiens ohne die Guerilla vorzustellen. Man muß nicht gleich in ehrfurchtsvolle Bewunderung verfallen, um die aufständische Bewegung politisch ernstnehmen zu können. Und in diesem Punkt scheint, um mit einer kleinen Gehässigkeit zu schließen, Geheimdienstminister Schmidbauer (aus was für Motiven auch immer) weiter zu sein als so manche/r Lateinamerika-Bewegte.

Die certification, eine abgenutzte Waffe

Anders als in den vergangenen beiden Jahren wurde Kolumbien, dessen Präsident Ernesto Samper bis zum letzten Moment zittern mußte, die Bescheinigung „im nationalen Interesse“ der USA ausgestellt. Zwar wurde der bedingte „Freispruch“ von Vertretern der kolumbianischen Regierung und Opposition, von Unternehmern und Menschenrechtsaktivisten gleichermaßen gefeiert, doch gibt es in Kolumbien kaum mehr jemanden, der diesen Mechanismus als taugliches Instrument zur Eindämmung des Dro-genhandels und -konsums betrachtet.
Nicht einmal der Präsidentschaftskandidat der Konservativen, Andrés Pastrana, der 1994 in der Stichwahl gegen Ernesto Samper unterlegen war, hätte sich über eine neuerliche Bestrafung seines Landes gefreut. In einem Brief an den US-Kongreß hatte er sich für die Zertifizierung eingesetzt, obwohl er behaupten kann, er hätte seinerzeit nur verloren, weil Samper von den Drogenbossen sechs Millionen Dollar für die Wahlkampfkasse bekommen hat. Diese von Samper nicht glaubwürdig widerlegten Vorwürfe waren ja auch der Grund für die Maßregelung Kolumbiens durch die US-Regierung.
Im Jahre 1986 verabschiedete der Kongreß in Washington das Drug Abuse Act. Alarmiert durch den steilen Anstieg von Drogenkriminalität und Suchtmittelmiß-brauch in den USA, sollte so die Drogenbekämpfung vor allem zu einer polizeilich-militärischen An-gelegenheit gemacht werden.

Hehre Vorsätz

Seither muß der Präsident jedes Jahr eine Bescheinigung ausstellen, daß Staaten, auf deren Territorien verbotene Suchtmittel hergestellt oder für den Export verladen werden, in der Drogenbekämpfung ausreichend kooperieren. Gerechtfertigt wird diese interventionistische Zeugnisverteilung mit dem Argument, daß es um Steuergelder der US-Bürger gehe. Denn wer nicht besteht, bekommt keine Wirtschaftshilfe.
Seit Ronald Reagan hat denn auch jeder US-Präsident mit einem neuen Programm den Drogen den Krieg erklärt. Mit geringem Erfolg. Der steile Aufstieg der Modedroge Kokain ist nicht aufzuhalten, während das ebenso billige wie gesundheitsschädliche Nebenprodukt Crack ganze Generationen von – hauptsächlich schwarzen – Jugendlichen ruiniert. Der Kokainbedarf der gestreßten Manager, Yuppies, Rockmusiker und Filmsternchen wird fast zur Gänze aus der Produktion der Andenländer gedeckt. Ursprünglich vor allem aus Bolivien und Peru, wo der rituelle Konsum des Coca-Blattes seit Jahrtausenden medizinische und religiöse Bedeutung hat. Verarbeitet wurden die Blätter teils in den Ursprungsländern, teils in Kolumbien. Dort entwickelte sich in den 70er Jahren eine auf den Transport in die USA spezialisierte Mafia. In den letzten Jahren hat sich Kolumbien, wo es kaum traditionelle Coca-Konsumenten gibt, auch als wichtigstes Anbaugebiet etabliert. Zig-tausende Hektar Tropenwälder mußten weichen, um dem rentablen Agrarprodukt Platz zu machen.
Daß Staaten, denen die Zer-tifikation verweigert wird, keine Wirtschaftshilfe von den Vereinigten Staaten bekommen, können die meisten verkraften. Schmerzhafter ist, daß ihnen der Zugang zu günstigen Krediten der internationalen Finanzinstitutionen verwehrt wird, weil sich die USA querlegen. Zusätzlich kann es noch Wirtschaftssanktionen setzen, etwa die Kürzung von Exportquoten oder das Streichen von Zollpräferenzen. Länder wie Afghanistan, Myanmar und Nigeria stehen regelmäßig auf der schwarzen Liste. Nicht zufällig handelt es sich um politisch ausgegrenzte Staaten, mit denen die USA sowieso kaum Wirtschaftsbeziehungen unterhalten.
Für die cocaproduzierenden Andenländer, die wirtschaftlich sehr eng mit den USA verflochten sind, wurde die certification jahrelang nur als Damoklesschwert eingesetzt. Sie diente vor allem dazu, die Regierungen zu radikalen Anti-Drogenprogram-men zu zwingen. Mit verheerenden innenpolitischen Folgen. In Bolivien wurden Spezialeinheiten der Armee eingesetzt, um die Coca-Sträucher auszureißen. Bei Zusammenstößen gab es in diesem sonst eher friedlichen Land Tote und Verletzte.

Wo kein Rubel rollt

Als Kolumbiens Präsident Virgilio Barco 1989 begann, wunschgemäß Drogenhändler an die USA auszuliefern, antwortete das Kokainkartell von Medellín mit einer beispiellosen Terrorwelle, der Richter, Journalisten und mehrere Präsidentschaftskandidaten zum Opfer fielen.
Der Erfolg: Die Anbaufläche der verbotenen Kulturen, Coca und zunehmend Schlafmohn für die Heroingewinnung, weitete sich aus, weil die Nachfrage in den USA zunahm. Programme, die alternative Kulturen fördern sollten, erwiesen sich mehrheitlich als politische Feigenblätter. Zur nachhaltigen Existenzsicherung der Bauern dienen sie nicht.
Schon lange erscheint es den Kritikern des Zertifikationsme-chanismus obszön, daß der größte Kokainkonsument der Welt über den größten Kokainproduzenten richtet. Schließlich gehorcht die vermehrte Produktion nur dem marktwirtschaftlichen Prinzip von Angebot und Nachfrage.

Bei Mexiko ist manches anders

Daß Kolumbien vor zwei Jahren, ausgerechnet nach der Festnahme der wichtigsten Chefs des Drogenkartells von Cali, erstmals dezertifiziert wurde, war auch in den USA nicht unumstritten. So griff die New York Times das Thema in einem Leitartikel auf und stellte die Tauglichkeit der certi-fication als Instrument der Dro-genbekämpfung in Frage. Die Pro-duzentenländer zu bestrafen sei gefährlich und trage nur zur Mythenbildung über die Drogenproblematik bei. Den Menschen werde vorgegaukelt, daß nur Lateinamerika schuld sei und nicht die USA, wo die Nachfrage ständig steige. Im übrigen hätte Kolumbien sicherlich mehr gegen die Drogen unternommen als Mexiko.
Dort erreichte die Verstrickung der Drogenmafia mit allerhöchsten Kreisen von Regierung und Armee zwar unter Präsident Salinas de Gortari (1988-1994) einen makabren Höhepunkt, wird aber unter Ernesto Zedillo keineswegs wirksam bekämpft. Dennoch kann das Land aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus nicht dezertifiziert werden. Eine rote Karte für den NAFTA-Partner wür-de die Integrationspolitik, von der besonders die USA profitiert haben, zunichte machen.
Kolumbien hat zwar in den letzten Jahren keine Wirtschaftshilfe, aber zunehmend Militärhilfe bekommen. Daß die für Drogenbekämpfung bestimmten Gelder in zunehmendem Maße für die Guerillabekämpfung eingesetzt werden, ist dem Pentagon längst bekannt. Schließlich wurden die Guerillaorganisationen FARC und ELN, die Coca-Bauern beschützen und „Steuern“ von Zwischenhändlern kassieren, erfolgreich als „Narco-Guerilla“ gebrandmarkt. Unangenehm nur, daß selbst das State Department in seinen jüngsten Länderberichten einen Zusammenhang mit den zunehmenden Menschenrechtsverletzungen durch Armee und Paramilitärs herstellt. Der Zertifikationsmecha-nismus hat damit entscheidend an Überzeugungskraft eingebüßt. Wenn Präsident Clinton durch eine Offensive gegen die Drogen von seinen Grapsch-Affairen ablenken will, wird er sich wohl eine neue Strategie zurechtlegen müssen.

Warten auf die neue Regierung

Am 1. März wird US-Präsident Clinton wieder einmal die Liste jener Länder veröffentlichen, die nach dem Dafürhalten von Regierung und Kongreß in Washington bei der Bekämpfung von Suchtmitteln und Drogenkriminali-tät nicht ausreichend mit den USA kooperieren. Alles deutet darauf hin, daß Kolumbien zum dritten Mal in Serie gemeinsam mit internationalen Parias wie Afghanistan, Myanmar, Syrien und Nigeria die „Zertifizierung“ des Wohlverhaltens verweigert wird. Die Mißbilligung, so werden die Verantwortlichen nicht müde zu betonen, gelte nicht der bei der Ergreifung von Drogendealern äußerst erfolgreichen Polizei sondern der Regierung und dem Parlament, die die Vorwürfe, in Dro-genkorruption verstrickt zu sein, nicht glaubwürdig widerlegen konnte.
Präsident Samper und der Kon-greß haben zwar bedeutende Zugeständnisse bei der Anti-Drogen-Gesetzgebung gemacht, doch blieben diese für die strengen Augen Washingtons zu halbherzig. Nach jahrelangem Zögern wurde Ende letzten Jahres die erst 1991 von der Verfassung ausdrücklich ausgeschlossene Auslieferung von kolumbianischen StaatsbürgernInnen an die Justiz anderer Staaten neuerlich im Parlament diskutiert. Was dabei herauskam, war eine Lösung, die alle Seiten unbefriedigt läßt, die aber mit einem der wichtigsten strafrechtlichen Prinzipien in Einklang steht: Auslieferung ja, aber nicht rückwirkend. Die in den Jahren 1995/96 gefaßten Chefs des Kartells von Cali laufen also nicht Gefahr, in den USA zu Haftstrafen von mehreren hundert Jahren verdonnert zu werden. Außer die nächste Regierung wirft alles wieder über den Haufen. Gerade auf die Gebrüder Rod-riguez Orejuela, die in Kolumbien dank mehrerer gesetzlich vorgesehener Vergünstigungen weniger als 20 Jahre abzusitzen haben, und auf deren unvorstellbares Vermögen haben es die USA aber abgesehen.

Die Macht der Drogenbosse

Auch das Gesetz der „Extincion de domino“, das die Beschlagnahme unrecht erworbener Güter, also mit Drogengeldern erworbener Liegenschaften und Luxusartikel, ermöglicht, stößt bei der Anwendung auf enge Grenzen. Ende September schritt eine Del-egation der Staatsanwaltschaft zur Konfiszierung eines Landgutes im Departament Meta, östlich von Bogotá. Die Gruppe geriet auf dem Heimweg in einen Hinterhalt und wurde fast gänzlich aufgerieben. Nachdem anfangs die kommunistische Guerilla FARC der Tat verdächtigt wurde, stellte sich bald heraus, daß eine bewaffnete Gruppe im Dienste der Drogenhändler verantwortlich war.
Diese Bluttat führte vielen kolumbianischen StadtbewohnerInnen drastisch vor Augen, welch enge Grenzen der staatlichen Zwangsgewalt auf dem Lande gesetzt sind. Wer der Guerilla, die in jeder zweiten Gemeinde operiert, heute Einflußzonen streitig macht, sind nicht die Streitkräfte sondern paramilitärische Verbände, die mit oder ohne offiziellen Segen agieren. Fidel Castaño zum Beispiel herrscht im nördlichen Antioquia und benachbarten Provinzen wie ein feudaler Warlord. Gegen ihn läuft dort nichts.
Paramilitärische Verbände mit insgesamt etwa 5000 Mitgliedern schützen die Interessen von Dro-genbossen und Großgrundbesitzern und versuchen den Einfluß der Guerilla zurückzudrängen. Die Territorialdispute werden in der Regel über Racheakte an der Zivilbevölkerung ausgetragen. Nach dem jüngsten Bericht der Kolumbianischen Juristenkommission werden alljährlich 3000 Menschen aus politischen Motiven ermordet, zu zwei Dritteln von Para-militärs. Nicht mehr als drei Prozent der Täter werden gefaßt und verurteilt.
Seit einiger Zeit werden diese kriminellen Verbände nicht nur nicht verfolgt, sondern geradezu gefördert. Mit der Schaffung sogenannter Selbstverteidigungsgenossenschaften (CONVIVIR) im Jahre 1996 erklärte der Staat implizit seinen Verzicht auf das Ge-waltmonopol. Weit entfernt, sich auf ihren offiziellen Auftrag der Selbstverteidigung gegen Angriffe der Rebellengruppen zu beschränken, üben diese „Kooperativen“ in manchen Landesteilen offenen Terror gegen die Zivilbevölkerung aus. Die blutige Verfolgung von Menschenrechtsakti-vistInnen durch derartige Gruppen hat in den letzten Monaten derart zugenommen, daß am-nesty international das Thema ganz oben auf der Agenda angesetzt hat. Selbst das State Department in Washington bescheinigte Kolumbien im letzten Jahr die schwärzeste Menschenrechtsbilanz Lateinamerikas.

Friedensgespräche für Alle?

Zu Beginn seines letzten Amtsjahres hat Präsident Samper eine neue Friedensinitiative lanciert. Auf Vorschlag des damaligen Innenministers Carlos Holms Trujillo sollten in einen Friedensdialog nicht nur die Guerillaorganisa-tionen FARC und ELN sondern auch die Paramilitärs eingebunden werden. Die kriminellen Banden wurden dadurch zu politischen Kräften aufgewertet. Samper bat beim Iberoamerikanischen Gipfel auf der venozolanischen Insel Margarita sogar Fidel Castro um seine guten Dienste bei den grei-sen Guerillaführern Manuel Perez und Manuel Marulanda, alias Tiro-fijo. Der Dialog kommt allerdings mit Sicherheit nicht mehr unter dieser Regierung zustande. Nicht nur, weil die Armee kurz nach Bekanntgabe der Dialogpläne in einer Großoffensive die südlichen Urwaldregionen bombardierte, um die Chefs der FARC auszuheben, sondern auch weil die Guerillakommandanten derzeit an Friedensgesprächen wenig Interesse zeigen. Der durch den Prozeß 8000 um die Vorwürfe der Wahlkampffinanzierung durch das Cali-Kartell geschwächte Samper, der noch schnell etwas für seinen Platz in den Geschichtsbüchern tun will, ist für sie kein interessanter Gesprächspartner. Erst der neue Präsident, der am 31. Mai gewählt und im August vereidigt wird, hat Aussichten dem Prozeß neue Dynamik einzuhauchen.
Derzeit läuft die Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung. Barry Mc Caffrey, der Antidrogenzar der USA, hat im Herbst bei einem Besuch in Bogotá eine längst gängige Praxis mit einer offiziellen Genehmigung legitimiert: die Umwidmung von Mitteln, die eigentlich für die Drogenbekäm-pfung bestimmt sind, für den Anti-Guerilla-Kampf. Mit dem generellen Apostrophieren der Aufständischen als „Narko-Guerilla“ wurden von Seiten der Armee längst die Grenzen verwischt.
Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein Überfall der Guerilla oder der Paramillitärs gemeldet wird. Die einen profitieren von der stillschweigenden Unterstützung oder aktiven Förderung duch die Armee, die anderen von deren verkrusteten Kommando- und Kom-munikationsstrukturen. Obwohl der lokale Kommandant längst verdächtige Bewegungen gemeldet und auf ein Sicherheitsdefizit aufmerksam gemacht hatte, konnten die FARC im Dezember die Armeebasis am Cerro Patascoy im Südwesten überrennen und 18 Soldaten gefangennehmen. Schon vor einem halben Jahr hatte die Guerilla aus der feierlichen Übergabe von Kriegsgefangenen politisches und publizistisches Kapital geschlagen. Jetzt dürfte diskutiert werden, ob die Soldaten wieder im Rahmen einer internationalen Show an das Rote Kreuz und die Angehörigen übergeben werden, oder ob ihre Freilassung den Grundstein zu umfassenden Friedensgesprächen mit der nächsten Regierung bilden soll. Den FARC schwebt als politische Forderung die Einberufung einer Art verfassungsgebender Versammlung vor.
Der Wahlkampf, der zwar nicht offiziell eröffnet wurde, aber in den Medien bereis seit Monaten mit aller Heftigkeit tobt, wird vor allem von den Themen Drogen-politk und Frieden beherrscht. Daß der von Ernesto Samper letztes Jahr zwangspensionierte General Harold Bedoya mit seinen rechtsextremen Parolen nur unwesentlich hinter den drei prominentesten Kandidaten liegt, wirft ein vielsagendes Bild auf die Stimmung in der Bevölkerung. Mehr-heitsfähig dürften diese Positionen allerdings nicht sein. Dafür sprechen die zehn Millionen Stimmen, die während der Kommunalwahlen vom 26. Oktober in einer symbolischen Volksabstimmung für den Frieden abgegeben wuden.

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