// Feminismus in die Offensive

Es ist einer der schwersten Angriffe auf die feministische Bewegung seit langem: Anfang Februar brachte die Partei des ultrarechten argentinischen Präsidenten Javier Milei einen Gesetzentwurf ein, mit dem das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche abgeschafft würde. Der Entwurf sieht stattdessen Strafen von bis zu zehn Jahren Haft vor. Damit wäre das Gesetz noch restriktiver als die Regelung vor der hart erkämpften Legalisierung von Abtreibungen im Dezember 2020. Eine Attacke sondergleichen, der nur wenig später die nächste folgte. Ende des Monats verkündete Mileis Sprecher Manuel Adorni, fortan sei die Nutzung inklusiver Sprache in der öffentlichen Verwaltung untersagt – eine Regelung, die bereits zuvor für die Streitkräfte festgelegt worden war. Auch die Antidiskriminierungsbehörde wurde von der Regierung aufgelöst. Im selben Stil verfügte der kürzlich im Amt bestätigte Nayib Bukele, Genderperspektiven aus Lehrplänen und Schulbüchern sowie Materialien im Gesundheitswesen in El Salvador zu entfernen.

Die Maßnahmen zeigen: Frauen und disidencias sollen unsichtbar und die von ihnen erkämpften Erfolge rückgängig gemacht werden. Die Rechte und Ultrarechte, die sich lateinamerika- und weltweit auf dem Vormarsch befindet, hat Angst vor Selbstbestimmung. Zu recht. Das macht die argentinische Aktivistin Verónica Gago klar, die von den Vorbereitungen der feministischen Bewegung in Buenos Aires für den feministischen Kampftag berichtet – der erste 8. März, an dem es „gegen eine ultrarechte Regierung mit dezidiert antifeministischer Agenda“ auf die Straße ging. Oft sind es gerade feministische Bewegungen, die am hartnäckigsten Widerstand leisten. Das zeigten Aktivist*innen in El Salvador, die die erste und bisher einzige Demonstration gegen den Wahlbetrug von Bukele organisierten. Der Widerstand gegen das rechte Verfassungsprojekt in Chile kam auch und vor allem aus der feministischen Bewegung.

Milei, das wird in Gagos Bericht deutlich, hat sich die Falschen zu seinen Feind*innen gemacht. Dabei bleiben die Feminist*innen nicht unter sich. Im Aufruf vom Bündnis Ni una menos hieß es: „Schließt euch mit denen zusammen, die hungrig sind, mit denen, die Angst haben, mit denen, die die Nase voll haben. Wir kommen zusammen, denn gemeinsam sind wir unbesiegbar!“ Wie die Afrofeministin Sandra Chagas betont, nehmen rassistische Gewalt und Diskriminierung auch durch die Hassreden der Regierung Mileis zu.

Um zusammenzukommen ist es notwendig, einander zuzuhören – insbesondere den Personen, die am stärksten von Gewalt und Marginalisierung betroffen sind. Nicht nur in Argentinien wird darauf großen Wert gelegt. Die Coordinadora Feminista 8M aus Chile rief für den 8. März zum landesweiten feministischen Generalstreik auf. Dafür vernetzt sie sich mit anderen Gruppen, so solchen aus den Kämpfen ums Wohnen, für menschenwürdige Arbeit, Pflege und Umwelt, mit Feminist*innen und disidencias. Verschiedene Ebenen werden so miteinander verknüpft. Die Coordinadora spricht in ihrem Aufruf explizit über die Zunahme von Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten, „wenn wir über Migrant*innen, rassifizierte Menschen, Pflegekräfte, die Gesundheit der Bevölkerung, verschuldete Menschen und die Kriminalisierung von Armut sprechen“.

Auch in Deutschland sind ultrarechte Kräfte auf dem Vormarsch, die erkämpfte Rechte in Frage stellen wollen. Sie sind noch nicht an der Macht, aber vereinnahmen geschickt Kritik und beeinflussen den gesellschaftlichen Diskurs. Um dem wirksam etwas entgegen zu setzen, muss es jetzt auch in Deutschland darum gehen, verschiedene Kämpfe zu verbinden. Die Feminist*innen Lateinamerikas zeigen, wie das gehen kann.

Explosiver März gegen Milei

Ob organisiert oder nicht Die feministische Vollversammlung gibt allen eine Stimme (Fotos: Julieta Bugacoff)

Die feministische Vollversammlung fungiert als Koordinationsorgan der feministischen Bewegung Argentiniens: Seit 2016 bietet das Gremium den verschiedensten Strömungen der Bewegung einen Raum zur Vernetzung und Organisation. Auf dem Treffen diskutieren die Teilnehmer*innen, ob in politischen Strukturen und Kollektiven organisiert oder nicht, die aktuelle Situation und planen den Kampf auf der Straße. Dieses gemeinsame Treffen, welches auch immer einen Neuanfang darstellt, ist, was die Bewegung zu einer Einheit werden lässt.

Am 14. Februar fand das erste Vorbereitungstreffen für den kommenden 8. März im Hof der ATE, der Gewerkschaft der Staatsbediensteten von Buenos Aires, statt. Das Treffen war als Reaktion auf einen Eilaufruf zustande gekommen. Zugleich versuchte die Regierung, die parlamentarische Niederlage des Omnibus-Gesetzes zu vertuschen, indem sie einen schlecht recherchierten Gesetzentwurf zur erneuten Illegalisierung von Abtreibung aufsetzte. Ein wichtiges Anliegen der Vollversammlung war, die Empörung darüber nicht in den sozialen Medien verpuffen zu lassen. Damit fällt die feministische Bewegung nicht auf Mileis Provokationen herein, die ein doch nur zu offensichtliches Ablenkungsmanöver von der katastrophalen, aktuellen Situation darstellen, in welcher sich das Land befindet.

Die Vollversammlung wiederholt sich zwar jährlich, sie versucht jedoch jedes Mal, neue Antworten in Bezug auf aktuelle Geschehnisse zu finden. In ihr vereinigen sich Stimmen und Erfahrungen, die sonst in der Politik nicht gehört werden.

Der offene Charakter erlaubt es dabei auch Personen, die bisher nicht organisiert sind, sich einzubringen. Die erste Großdemonstration zum 8. März fand in Argentinien 2017 während der Regierung von Mauricio Macri statt. Der diesjährige 8M wird der erste gegen eine ultra-rechte Regierung sein, die schon im Wahlkampf ihren explizit antifeministischen Charakter zeigte und diesen seit der Übernahme der Präsidentschaft immer weiter bestätigt. Von seiner Rede vor dem Wirtschaftsforum in Davos, in der Javier Milei den Feminismus attackierte, bis hin zu seinen wiederholten Angriffen auf die Sängerin Lali, weist alles auf seine Besessenheit hin, den Feminismus als Feindbild zu konstruieren. Diese Sichtweise macht ihn zu einem Teil des globalen Skripts reaktionärer politischer Akteur*innen, die panische „Angst vor Gender“ haben, um den Titel eines kürzlich erschienenen Buches von Judith Butler zu verwenden.

Streiken gegen den Hunger

Der Raum der Vollversammlung im Februar war zum Bersten voll. Ihre Zusammensetzung und die Fürsorge als Teil der so genannten unsichtbaren politischen Arbeit ist das, was die „vielstimmige“ Gemeinschaft, wie Dora Barrancos sie zu Beginn nannte, zusammenhält. Unterschiedliche Stimmungen, Erwartungen und Sprechweisen treffen aufeinander, aber es gelingt ihnen, gemeinsame Strategien zu erarbeiten, um auf der Straße Schlagkraft zu entwickeln. Im Mittelpunkt der Redebeiträge stand dabei besonders die Frage des Hungers: Der Lebensmittelnotstand in den Suppenküchen, den Stadtvierteln und Haushalten. Dina Sánchez, stellvertretende Generalsekretärin der UTEP (Unión de Trabajadores y Trabajadoras de la Economía Popular; Gewerkschaft der Arbeiter*innen im informellen Sektor) sprach von der „leeren Tupperbox, mit der die Genossinnen aus Suppenküchen zurückkommen, die nicht alle versorgen können“.

Ihr Redebeitrag bringt etwas zum Ausdruck, was die feministische Bewegung in den letzten Jahren wie keine andere erreicht hat: Gleichzeitig von bezahlter und unbezahlter, formeller und informeller, sichtbarer und unsichtbarer, häuslicher und gemeinnütziger Arbeit zu sprechen. Dies hat es den feministischen Streiks des 8. März ermöglicht, viele unterschiedliche Realitäten zu berücksichtigen. Auch die derjenigen, die sich zunächst einen Weg zu streiken erfinden müssen: Erst durch die Abwesenheit der von ihnen übernommenen Aufgaben wird ihrer nicht als solchen anerkannten Arbeit Aufmerksamkeit zuteil.

Dass dabei die meisten zentralen gewerkschaftlichen Organisationen vertreten sind, zeugt von der Bedeutung des gewerkschaftlichen Feminismus. Angesichts der brutalen Abwertung von Löhnen, Renten und Subventionen unterstreicht die gewerkschaftliche Präsenz auch den Anschluss an den Generalstreik vom 24. Januar.

Neben analytischen Perspektiven auf die politischen Veränderungen werden deren direkte Folgen im Alltag beschrieben: Medikamente, die nicht mehr bezahlt werden können, Schulsachen, die zum Luxus werden, Mietpreise, die Diebstahl gleichkommen und alle drei oder sechs Monate erhöht werden, das SUBE-Guthaben (Anm. d. Red.: Bezahlsystem für den ÖPNV in Buenos Aires), das immer schneller verschwindet.

Feministisch zuhören Wie wirken sich die politischen Umstände auf den Alltag von FLINTA* aus?

Diese Erfahrungsberichte zeigen, dass das Zuhören eine zentrale Funktion der Versammlung ist. So ist sie ein Ort, an dem verständlich wird, wie das Leben durch die immer dringlicheren, prekäreren Umstände gefährdet ist, die selbst die grundlegendsten Alltagsroutinen durcheinanderbringen. Mehrere Beiträgen der Vollversammlung hoben die perversen Auswirkungen des DNU (Decreto de necesidad y urgencia; dt.: Dekret der Notwendigkeit und Dringlichkeit) hervor. Wie die Afrofeministin Sandra Chagas betont, schafft dieses Dekret eine Atmosphäre der Gewalt: Rassistische Gewalt und Diskriminierung gegen rassifizierte Menschen, insbesondere gegen diejenigen, die auf der Straße arbeiten, würden durch die Hassreden der Machthaber*innen gefördert und seien heute schon an der Tagesordnung.

Feministisch zuhören und analysieren

Ein weiteres Thema, das sich durch die Versammlung zog, war das der Kriminalisierung des Protests und politischer Verfolgung als zentrales Problem der feministischen Bewegung. Dabei wurde auch eine absurde Verdrehung feministischer Anliegen seitens der Institutionen zum Zwecke der Kriminalisierung aufgezeigt. So zum Beispiel im Fall der beiden Personen, die in Jujuy wegen eines Tweets verhaftet wurden und bei denen „geschlechtsspezifische Gewalt“ als strafverschärfender Faktor in den Urteilen verwendet wurde, wie die Lebensgefährtin einer der beiden Personen per Video erläuterte. Das Manöver ist unheimlich: Es handelt sich um einen Versuch, ein feministisches Anliegen heranzuziehen und zu instrumentalisieren, um Protest zu kriminalisieren und die Meinungsfreiheit aufzuheben.

Ebenfalls anwesend war die lesbische Aktivistin Pierina Nocchetti, die ohne Beweise beschuldigt wird, in Necochea ein Graffiti mit dem Slogan „Wo ist Tehuel?“ (Anm. d. Red.: Vermisstenfall eines jungen trans Mannes) gemalt zu haben, und die sich in der Woche des 8. März der Gerichtsverhandlung stellen muss.

Kehren wir zu Butlers Frage zurück: Warum ist „Gender“ zu einem phantomhaften Symbol geworden, das in der Lage ist, Ängste, Unsicherheiten und Befürchtungen so zu binden, dass es zur Grundlage für die Feindbildkonstruktion reaktionärer Politiker*innen und Machthaber*innen wird? Den Faschisten des 21. Jahrhunderts erlaubt dies, eine Art konzentrierte Schuld – und eine wirksame, gemeinsame Sache – für die Übel zu finden, die der Neoliberalismus an Unsicherheiten mitbringt, wie etwa Zukunftsängste, Beziehungsängste und Existenzängste. So wird die Fantasie der Rückkehr zur patriarchalen Ordnung erzeugt: Eine idyllische Zeit, die es nie gab, die aber die Rolle einer „natürlichen“ Ursprungsgeschichte spielt.

Die feministische Vollversammlung bietet für die kommenden Wochen ein Rendezvous inmitten des Trubels, einen Ort des arbeitsamen Treffens mit der Aufgabe, einen politischen Moment in einem März zu schaffen, der, wie man jetzt schon spürt, explosiv sein wird. „Wir werden nicht aufgrund unserer Fehler als Feinde bezeichnet, sondern weil wir tiefe Strukturen der Ungleichheit ins Wanken gebracht haben. Gegen diese werden wir uns organisieren“, fasste Luci Cavallero vom Kollektiv Ni Una Menos am Ende der ersten Versammlung zusammen.

“Diese Verfassung ist schlimmer und gefährlich”

“Für meine Oma, für meine Mama, für meine Schwester” Feministischer Demonstrationszug am 8. März 2022 auf der Alameda in Santiago (Foto: Josefa Jiménez)

Die feministische Bewegung gehörte zu den ersten Akteur*innen, die sich gegen die neue Verfassung ausgesprochen haben. Warum? Was war der entscheidende Moment?
Wir haben von Anfang an kritisch auf bestimmte Aspekte hingewiesen. Zuerst einmal darauf, dass alle sozialen Bewegungen von diesem Ver­fassungs­­­prozess ausgeschlossen waren. Der Prozess wurde von jenen politischen Kräften getragen, die in den vergangenen 30 Jahren das neoliberale System verwaltet und während der sozialen Revolte breite Ablehnung erfahren haben. Er sah keine Geschlechter­parität vor, keine reservierten Sitze für Indigene. Er war in gewisser Weise das Gegenteil des ersten verfassung­gebenden Pro­zesses und eine fast schon strafende Antwort darauf. Das war das erste Alarmsignal. Zum zweiten Mal schlugen wir Alarm, als mit der Republikanischen Partei eine ultrarechte und neoliberale Kraft eine Mehrheit im Verfassungsrat gewann. Das dritte Alarmsignal war für uns das Ergebnis ihrer Arbeit im Verfassungsrat.

Welches sind – aus feministischer Perspektive – die kritischsten Punkte des Textes?
Wir sehen darin Verfassungsnormen, die unsere Leben als Frauen in Gefahr bringen und unsere Lage sogar verschlechtern würden. Zum Beispiel die Norm, die das Recht auf Abtreibung in drei Fällen in Gefahr bringt. Eine weitere Verfassungsnorm könnte das sogenannte Papito Corazón-Gesetz außer Kraft setzen. Das Gesetz ist erst im Mai 2023 in Kraft getreten und ermöglicht es dem Staat, unterhaltspflichtige Personen – in Chile sind das zu 95 Prozent Männer – dazu zu bringen, ihrer Verantwortung nachzukommen. Das Gesetz ist ein historischer Erfolg der Mütter in Chile und steht jetzt auf dem Spiel. Kritisch sehen wir auch den Umgang mit Sorgearbeit in der Verfassung. Sorgear­beit wird darin aus­schließlich auf den familiären Rahmen bezogen, nicht etwa auf die Gesellschaft als Ganzes wie etwa im ersten Verfassungsentwurf. Als feministische Bewegung kämpfen wir seit langem für die Anerkennung einer gesellschaftlichen Verantwortung von Sorgearbeit.

Als Coordinadora 8M konntet ihr nicht aktiv auf die Ausarbeitung dieser Normen einwirken. Wie habt ihr den Prozess von außen begleitet?
Wir haben an diesem Prozess nicht teilgenommen, denn wir waren davon ausgeschlossen. Unsere Rolle bestand vor allem darin, über die Gefahren dieses Verfassungsprojekts zu infor­mieren. Wir sehen das als unsere Pflicht an, denn der Entwurf ist nicht nur eine Gefahr für Frauen, Kinder und Queers, sondern auch für das ganze Land: Er behält die neoliberalen Elemente bei, die wir seit 30 Jahren kritisieren und die unsere Leben arm gemacht haben, oder vertieft sie sogar noch.

Wie sieht eure aktuelle Arbeit aus?
Wir haben die „Kampagne von Frauen und Queers für das Dagegen“ gestartet, die sich vor allem an Frauen und Jugendliche richtet, die noch unentschieden sind. Unter dem Motto „Die Verfassung ist noch schlimmer und gefährlich“ arbeiten wir mit anderen feministischen Organi­sationen zusammen, zum Beispiel ABOFEM, einer Vereinigung feministischer Anwältinnen, oder den compañeras von La Rebelión del Cuerpo. Unsere Arbeit folgt zwei Achsen: erstens die Verbreitung über soziale Netzwerke und Medien, zweitens die Arbeit vor Ort mit Frauen, Nachbar­schaftsgruppen und lokalen gemeinschaftlichen Zusammen-hängen. Letzte Woche waren wir zusammen mit Universitätsstudierenden unter­wegs, denn für sie steht auch das staatliche System für Hochschulbildung auf dem Spiel. Außerdem könnte die Verfassung die jüngsten Fortschritte beim Umgang mit Missbrauch in Bildungs-einrichtungen zunichtemachen.
Es ist eine mühsame Arbeit, aber wir sind überzeugt, dass wir die Ultrarechten nicht gewinnen lassen dürfen, denn das würde eine direkte Gefahr für die Leben von Frauen und Queers bedeuten.

Wie stehen die Chancen für den 17. Dezember?
Im Allgemeinen sehen die Prognosen einen Vorsprung für das „Nein” voraus. Wir haben aber beschlossen, den Umfragen nicht zu vertrauen und uns nicht darauf auszuruhen. Denn es gibt noch immer einen großen Anteil unentschiedener Wähler*innen, der das Ergebnis umdrehen könnte. Wir haben also noch nicht gewonnen, sondern müssen unsere Anstrengungen verdoppeln, um mit der Kampagne noch mehr Menschen zu erreichen.

Welche Themen werden gerade am meisten diskutiert?
Die Rechte setzt Themen und Diskurse, die wir widerlegen müssen. Dazu gehört die Behauptung: „Wenn das ‚Ja’ gewinnt, werden wir als Land stabiler.“ Wir vertreten die Ansicht, dass das nicht stimmt. Denn die Probleme, die seit 30 Jahren ungelöst sind, werden damit nicht gelöst. Die Rechte spielt mit der Idee, den Verfassungs­konflikt abzuschließen und bringt viele Leute dazu, für die neue Verfassung zu stimmen – ganz unabhängig von ihrem Inhalt, sondern nur, weil die Leute es müde sind, in ständigem Konflikt zu sein. Wir sagen klar: Dieser Konflikt bleibt ungelöst, denn wir haben als Land noch keine Lösung für die Probleme gefunden, die während der sozialen Revolte, aber auch schon davor eine Rolle spielten: seit 2000 mit der Schüler*innen- und Studierenden­ewegung und mit den sozialen und Umwelt­bewegungen. Denn das ist das Gefährliche an der Verfassung: Sie stärkt das System der Privati­sierung unserer Rechte, die komplette Kontrolle des Marktes.

Ein Nein zur neuen Verfassung ist ein Ja dazu, die Pinochet-Verfassung zu erhalten. Wie geht ihr mit diesem Dilemma um?
Wir stehen vor der Wahl, entweder die Verfassung von Pinochet zu erhalten oder eine Verfassung anzunehmen, die von Pinochetisten geschrieben wurde. Aber diese Verfassung kann 50 Jahre nach dem Putsch nicht die Alternative sein. Sie ist das Ergebnis des Scheiterns der Demokratie in den vergangenen 30 Jahren und zeigt, dass wir es nicht geschafft haben, wiederaufkommenden pinochetistischen Kräften klare Grenzen aufzuzeigen. Dazu gehört es, Diskurse, die Menschenrechtsverletzungen gutheißen, nicht einfach zuzulassen. Es fehlt auch eine Politik gegen die Straflosigkeit, für die Entschädigung der Opfer und Bildung in Sachen Menschenrechte und Erinnerungspolitik. Im jetzigen Moment können wir uns nicht erlauben, Rückschritte zu machen. Wir können keine Verfassung verabschieden, die noch schlimmer ist, wir können die kleinen Fortschritte, die wir als soziale Bewegungen gemacht haben, nicht einbüßen. Aber ja, natürlich ist das eine brutale Entscheidung.

Mit der Arbeit im Verfassungskonvent haben 2021/2022 viele Bewegungen wie die Coordi­nadora aktiv an einem institutionellen Prozess teilgenommen. Wie seht ihr das heute?
Als Coordinadora sind wir eine undogmatische Organisation. Wir haben damals die Möglichkeit erkannt, die Lage analysiert und bereuen es nicht, in die Institution gegangen zu sein, denn es handelte sich beim Verfassungskonvent um eine außerordentliche Institution. Uns war es aber immer wichtig, unseren eigenständigen Charakter nicht zu verlieren: die Unabhängigkeit von politischen Kräften in Machtpositionen, auch linken Parteien. Jetzt gerade sehen wir, dass es keine Möglichkeit gibt, auf die Institutionen einzuwirken. Wir sehen weder kurz- noch langfristig eine Chance darin, wieder in die Institutionen zu gehen. Unsere Anstrengungen werden sich weiterhin auf die Arbeit vor Ort, auf den Dialog und die Eigenständigkeit beziehen, die schon seit langem die Arbeit der femi­nistischen Bewegung in Chile auszeichnet.

In Chile und vielen anderen Ländern gewinnt die Rechte gerade an Kraft. Wie versucht ihr, dieser Entwicklung entgegenzutreten?
Eine der wichtigsten Aufgaben für feministische und andere soziale Bewegungen ist es jetzt, wieder eigene Alternativen zu schaffen und attraktive politische Projekte aufzubauen. Wir haben zu lange nur reagiert, statt selbst die Initiative zu ergreifen. Eine andere unmittelbare Aufgabe ist die des Zuhörens. Wir müssen die Menschen, die Probleme und Nöte, die wir alle erleben, wieder hören, aufmerksam sein und in Dialog darüber treten. Außerdem müssen wir breite Bildungsprozesse von unten schaffen. Darauf konzentrieren wir uns als Coordinadora und wollen ein Ausbildungs­zentrum aufbauen. Es soll nicht darauf ausgelegt sein, dass die Leute nichts wissen und wir schon, sondern zu einem Dialog einladen.
Bei alledem geht es darum, die Rebellion und Frustration der Menschen aufzufangen. Die Rechte hat genau das geschafft: Sie hat der Aufsässigkeit und dem Ärger der Leute einen Sinn gegeben und ihnen eine Alternative angeboten. Wir wissen, dass uns diese Alternative am Ende nicht helfen wird, denn zumindest in Latein­amerika bedeutet sie den Erhalt und Ausbau des neoliberalen Systems. Die Linke und wir soziale Bewegungen scheitern immer nur. Wir müssen dieses Scheitern jetzt als Möglichkeit sehen, als Impuls. Denn noch können wir uns neue Welten, neue Arten des Zusammenlebens miteinander und mit der Umwelt erträumen. Diesen Wunsch nach einer anderen Welt müssen wir uns wieder aneignen. Und dafür ist jetzt ein fruchtbarer Moment.

“Abgetrieben wird immer und überall”

Errungenschaft der feministischen Bewegungen Seit dem Gerichtsurteil im August gibt es in Mexiko ein Recht auf Abtreibung (Foto: Gabriela Sanabria)

Viele Medien berichteten hierzulande im August über die Entscheidung der mexikanischen Justiz für ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Wurde diese Entscheidung denn nicht schon früher gefällt?
Ja und nein. Es gab bereits ein historisches Urteil des obersten Gerichtshofs am 7. September 2021, das Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisierte. Das bedeutet, dass seither jede Frau auf mexikanischem Territorium abtreiben darf und kein Staatsanwalt gegen sie ermitteln kann. Jetzt, nach zwei Jahren, wurde diese Erklärung erneuert, was viel Aufmerksamkeit geschaffen hat. Denn obwohl das Bundesrecht über Landesrecht steht, blieb der Straftatbestand in den meisten Landesverfassungen bestehen. Das erste Urteil war nicht bindend und musste nicht umgehend umgesetzt werden, das neue schon. Für mich ist das nicht der eigentliche Sieg, denn im Prinzip waren wir schon so weit. Was wir nun gewonnen haben, ist die Sichtbarkeit. Nun müssen wir den Staat dazu bringen, dieses Recht auch umzusetzen.
Aktuell haben wir zusammen mit dem Netzwerk für reproduktive Gesundheit in Chiapas eine Verfassungswidrigkeitsklage gegen den chiapanekischen Staat eingereicht. Unser Ziel ist es, den Begriff „Delikt“ in Bezug auf Abtreibungen zu streichen – außer natürlich im Falle einer Abtreibung gegen den Willen der schwangeren Person. Ganz zu Schweigen von den Zwangssterilisationen indigener Frauen durch staatliche Gesundheitseinrichtungen, die es hier ja auch gibt. Das Landesgericht von Chiapas hat die Klage abgelehnt, nun machen wir auf Bundesebene weiter.

Lässt sich die mexikanische Gesetzgebung zu Abtreibung mit der deutschen vergleichen?
Bei euch ist es restriktiver, denn es ist nur straffrei. Das heißt ein Abbruch steht grundsätzlich unter Strafe und nur unter bestimmten Bedingungen ist die abtreibende Person von der Strafe befreit. Bis vor kurzem gab es in Deutschland ja sogar das sogenannte Werbungsverbot. An dieser Stelle: Glückwunsch an die Genoss*innen, die die Kampagne zu dessen Streichung organisiert haben! Außerdem darf bei euch eine Abtreibung nur nach einer offiziellen Beratung und durch anerkannte Gesundheitsdienstleister*innen durchgeführt werden. Das ist in Mexiko anders. Wir folgen hier den Vorgaben der WHO. Diese besagen, dass es jeder Person – also nicht nur medizinischem Personal – erlaubt ist, Abtreibungsprozesse zu begleiten, wenn sie die nötigen Fähigkeiten und Fortbildungen vorweisen kann. Absaugen oder Ausschabung muss natürlich von ausgebildetem medizinischem Personal durchgeführt werden. Eine medikamentöse Behandlung jedoch kann auch ambulant stattfinden. Dabei wird von der WHO die Verwendung von Misoprostol oder einer Kombination der Wirkstoffe Mifepriston und Misoprostol empfohlen. Die WHO erklärte, dass sich seit der Pandemie viel mehr Frauen für eine Abtreibung zu Hause entscheiden und dass dies eine sichere Vorgehensweise sei. Das können wir bestätigen. Seit 16 Jahren arbeiten wir in Mexiko mit diesen Medikamenten und es gab nicht einen Todesfall.
Unser Ziel ist es, diese Informationen für alle frei zugänglich zu machen. Wir müssen sie jedoch bis in die Dörfer und Familien bringen, um zu verhindern, dass Frauen mit unsicheren Mitteln und Werkzeugen abtreiben. Denn wie wir wissen: Abgetrieben wird immer und überall unabhängig von Gesetzen, sogar die Zahlen sind relativ konstant. Die Wahl der Mittel ist entscheidend.
Mit dem neuen Urteil sind alle staatlichen Gesundheitseinrichtungen gezwungen, diese Leistung auch zu erbringen. Abtreibung ist somit ein Recht, das ich als erwachsene, sexuell aktive Frau oder Person, die schwanger werden kann, habe. Genauso wie ich gebären kann, kann ich auch abtreiben. Und das auch zweimal, dreimal, so oft ich will. Sogar der oberste Gerichtshof hat das deutlich gemacht. Abtreibung ist ein Recht der Frauen auf ihre körperliche Autonomie, auf ihre reproduktive Autonomie. Und eben auch auf ihre Gesundheit. Das ist neu und wichtig endlich anzuerkennen: Ein sicher durchgeführter Abbruch ist für einen Körper weniger gesundheitsgefährdend als eine Geburt.

Wie sieht eure Strategie aus, diese Informationen zu verbreiten?
Wir haben seit Jahren über das ganze Land Begleitnetzwerke von Personen geschaffen, die andere bei einer Abtreibung betreuen und die nötigen Medikamente besorgen. Sie haben Fortbildungen besucht und rund um die Uhr ist eine medizinische Fachkraft für sie erreichbar. Wir unterstützen auch Frauen auf der Durchreise und Migrant*innen. Unser aktuelles Projekt in Chiapas ist die Ausbildung von Multiplikator*innen, die die verschiedenen indigenen Sprachen sprechen, mit dem Ziel, dass sie in ihren Regionen weitere Begleiter*innen ausbilden.
Oft bieten die Begleitpersonen auch ihr Zuhause an, damit die betroffenen Personen einen sicheren Ort haben. Denn manchmal ist es in der eigenen Familie unmöglich, die Abtreibung durchzuführen.
In vielen Familien bekommt immer irgendjemand etwas mit, sei es eine spontane oder eine veranlasste Abtreibung. Klassischerweise ist das die Schwiegermutter, da kenne ich einige Fälle. Die sagt dann der Frau: „Du hast nicht das Recht, meinen Enkel zu töten. Du musst mich ausbezahlen für meinen Enkel. Sonst zeige ich dich an.“ Stell dir das mal vor! Das kann natürlich auch der Partner sein, oder sonst wer. Und die Frauen denken bis heute, dass sie dann ins Gefängnis kommen. Man kann Leute für alles Mögliche anzeigen. Aber niemand wird – nach der neuen Gesetzeslage – deswegen ins Gefängnis kommen. Denn es ist seit 2021 in ganz Mexiko untersagt, Ermittlungen wegen Abtreibung aufzunehmen – egal was die Landesverfassung des jeweiligen Bundesstaates sagt.

Unterstützt ihr auch über die Abbrüche hinaus?
Die Begleitnetzwerke unterstützen auch Betroffene sexualisierter Gewalt. Wollen sie im Krankenhaus abtreiben, müssen sie eine Anzeige aufgeben. Abgesehen von Mexiko-Stadt, war dies für lange Zeit der einzige Weg, um legal abzutreiben. Doch bis heute ist eine Abtreibung aus diesem Grund ein sehr langer Prozess. Manche wollen das nicht durchmachen, befürchten erneut viktimisiert oder gar kriminalisiert zu werden. Andere wollen, dass erst mal niemand von alledem erfährt. Das ist ihr gutes Recht! Die Begleiter*innen informieren sie über die verschiedenen Optionen, über private und staatliche Kliniken, Medikamente, etc. All das ist eine komplexe Arbeit und bedarf einer feministischen Perspektive!
Daher sind unsere Unterstützungsnetzwerke so wichtig. Sie informieren und geben Sicherheit, damit die Personen in Ruhe entscheiden können und nicht unter Druck gesetzt werden von ihren Familien, Partnern oder gar dem Staat und konservativem oder rassistischem Krankenhauspersonal.

Was passiert mit den Personen, die in der Vergangenheit wegen eines illegalisierten Schwangerschaftsabbruchs verurteilt wurden?
Den Daten zufolge, die wir von anderen Organisationen haben, sollte sich aktuell keine Frau wegen dem Delikt der Abtreibung mehr in Haft befinden. Dennoch gibt es in Mexiko den – zugegebenermaßen uneindeutigen – Tatbestand des „Totschlags aus Gründen der Verwandtschaft“. Somit gibt es Frauen, die nicht wegen eines Schwangerschaftsabbruchs verurteilt wurden, sondern wegen Mordes. Da ist das Strafmaß wesentlich gravierender. Diese Frauen müssen wir nun ausfindig machen. Man weiß gar nicht, wie viele das sind. In Chiapas wissen wir mindestens von einer Frau und es wird aktuell daran gearbeitet, dass sie freigesprochen wird.
Gleiches gilt auch für Fehl- oder Frühgeburten, auch die galten oft als Mord. Hier in Chiapas werden diese Prozesse gegenüber indigenen Personen geführt, ohne soziale Realitäten und feministische Perspektiven einzubeziehen. Es gibt nicht mal Übersetzung. Viele Frauen sprechen nur Tseltal oder andere Sprachen. Das ist ein Verbrechen, das der Staat hier gegenüber diesen Frauen begeht. Gleiches wissen wir aus vielen anderen Bundesstaaten.

Was sind eure weiteren Schritte und welche Erkenntnisse ziehst du aus den letzten Entwicklungen?
Meiner Meinung nach hätten wir schon vor zwei Jahren mit einer großen Kampagne starten sollen, um Frauen und Personen, die gebären können, darüber aufzuklären, dass sie nicht mehr kriminalisiert werden können. Darüber hinaus müssen wir dringend die gesellschaftliche Stigmatisierung des Themas angehen. Denn auch heute gilt: Legalisierung hin oder her, wie kann eine schwangere Person in den beschriebenen Kontexten unserer Gesellschaft eine freie Entscheidung treffen?
Aber ich finde, dass wir mit den Netzwerken zur Begleitung bei Schwangerschaftsabbrüchen einen wichtigen Zug gemacht haben. In all den Ländern, in denen die Rechte nun eingeschränkt wurden, wie in den USA oder in einigen europäischen Ländern und Kriminalisierung zunimmt, wie in Zentralamerika, zeigt sich, wie wichtig unabhängige Organisierung ist. Zwischen Frauen und Personen, die gebären können, damit wir uns gegenseitig begleiten und sichere Abtreibungen ohne Diskriminierung gewährleisten können. Das hat uns gestärkt und das kann uns kein Gesetz der Welt nehmen. Das wäre auch in anderen Ländern anwendbar. Unabhängig von Staat und Gesetz: Einfach anfangen und die Kontrolle über unsere Körper in die eigene Hand nehmen. Gerne geben wir unsere Erfahrung weiter!

Globale Schwesternschaft

Anlässlich ihres 40-jährigen Bestehens hat das österreichische Zeitschriftenkollektiv frauen*solidarität einen Sammelband herausgebracht. In sechs Kapiteln werden zentrale Fragen der feministischen Bewegung verhandelt: (Anti-)Rassismus und Postkolonialismus, Gewalt, Reproduktion, Politik, Arbeit, Umwelt und Klima. Es begann mit Empörung. 1982 fand sich eine Gruppe feministischer Aktivistinnen in Wien zusammen, um gegen die Frauenfeindlichkeit in der sogenannten Entwicklungshilfe aufzubegehren. Ihre Anliegen waren vielfältig: Es ging um das Recht auf Selbstbestimmung, aber auch darum, eine kritische Gegenöffentlichkeit zu patriarchaler Gewalt, Rassismus und Diskriminierung zu schaffen. Das war die Geburtsstunde der Zeitschrift frauen*solidarität. Von Anfang an war ein reger Austausch mit Menschen aus dem Globalen Süden Teil ihrer aktivistischen Arbeit. In der Zeitschrift, wie auch in den anderen Projekten im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit, wurden fortan klassische Themen des feministischen Diskurses erörtert, wie etwa sexualisierte Gewalt und Reproduktion. Zu Zeiten der großen Friedensdemos der 1980er Jahre forderten Menschen atomare Abrüstung und „neben dem Recht auf Frieden“ auch ihr Recht auf Mitbestimmung. Daraus ergaben sich Fragen nach Herrschaftsansprüchen und Umverteilung. Wie für viele andere soziale Bewegungen und politische Organisationen dieser Zeit wurde die internationale Solidarität die Basis für alle folgenden Aktivitäten der frauen*solidarität.

Auf dieses solidaritätsbewegte Netzwerk konnten die Herausgeberinnen von Global Female Future nun zurückgreifen. Es ist ihnen gelungen, ein vielstimmiges Buch mit Texten aus aller Welt und „ohne Glättung des Sperrigen“ zusammenzustellen. Selbstermächtigung als Gegenentwurf zu kolonialen Kontinuitäten, Widerstand gegen patriarchale Gewalterfahrungen, feministische Ökonomie als Antwort auf kapitalistische (Selbst-)Ausbeutung sind nur einige der Schwerpunkte. Darunter finden sich namhafte Autorinnen, Politikerinnen, Forscherinnen und Aktivist*innen wie Elisa Loncón, Gloria E. Anzaldúa, Verónica Gago, LASTESIS und viele andere.

Die verschiedenen Formate wie Essay, Manifest, Interview, Lyrik, aber auch wissenschaftliche Analyse, Reportage und Erfahrungsbericht sind eine abwechslungsreiche Lektüre. Infokästen ergänzen die Texte mit einem umfassenden Überblick zu einzelnen Initiativen und der Bewegung. Damit leistet Global Female Future einen wertvollen Beitrag zur feministischen Debatte. Der intersektionale Blick aus den verschiedenen Kämpfen wirkt inspirierend und birgt zugleich wertvolle Erfahrungen für Konfliktbewältigungen und Strategien zur Überwindung globaler Ungerechtigkeiten. Denn, so beschreibt es die peruanische Schriftstellerin und ehemalige Kongressabgeordnete Rocío Silva Santisteban, „(…) ein auf Fürsorge ausgerichtetes Leben ist etwas, das wir als zivilisatorischen Paradigmenwechsel in Betracht ziehen müssen: Es ist ein konkretes Handeln, das wir Frauen uns, vereint, auf der ganzen Welt auf unsere Fahnen schreiben müssen.“

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Meilenstein Ausschnitt aus dem LN-Cover zur Legalisierung von Abtreibungen in Argentinien (LN 560 – Februar 2021)

Die hart erkämpfte Legalisierung der Abtreibung in Argentinien 2020 war ein Meilenstein für die feministischen Kämpfe in Lateinamerika. Kolumbien folgte 2022 mit einem der liberalsten Abtreibungsgesetzte der Welt und auch in Mexiko haben mittlerweile immer mehr Bundestaaten Schwangerschaftsabbrüche legalisiert.

Auch in anderen Bereichen gibt es Fortschritte: Seit 2018 ist beispielsweise die Anzahl der Gründ­ungen feministischer Medien in Lateinamerika signifikant angestiegen. Zudem haben sich zahlreiche Vernetzungsstrukturen für feministische Journalist*innen gebildet, so auch das seit 2019 jährlich stattfindende Festival Zarelia. Bei diesem tauschen sich über 100 Teilnehmer*innen aus der ganzen Region darüber aus, wie feministischer Journalismus gestärkt werden kann. Die Fotojournalistin María Ruiz vom mexikanischen Onlinemedium Pie de Página beschreibt feministischen Journalismus in einem Interview mit der DW als Notwendigkeit, um der Reviktimisierung, der mangel­nden Präsenz feministischer Themen sowie der Objektivierung und Sexualisierung weiblicher Körper etwas entgegenzusetzen.

So wichtig die Erfolge der marea verde („grüne Welle“) und der feministischen Bewegung insgesamt auch sind, sind sie doch nur einige der vielen Erfolge, die es für den Fall des Patriarchats braucht. Wie Ni Una Menos-Gründerin Marta Dillon 2018 schon analysierte, wurde die Forderung der feministischen Bewegung in Lateinamerika nach einer grundlegenden Veränderung des Systems in den vergangenen Jahren noch stärker formuliert: Feministische Kämpfe müssen antikapitalistisch und antikolonial gedacht werden und sich auf alle Lebensbereiche ausweiten.

Im Hinblick darauf kann auch die feministische Bewegung in Deutschland noch das ein oder andere lernen. In der Vergangenheit haben Bewegungen aus Lateinamerika in Deutschland wichtige Debatten anstoßen können – nicht nur, aber auch in der symbolischen Verbindung von Feminist*innen aus aller Welt durch Performances wie Un violador en tu camino („Ein Vergewaltiger auf deinem Weg“) vom chilenischen Kollektiv LASTESIS. Nicht zuletzt ist der 8. März als Demonstrations- und Streiktag auch dank vieler Impulse aus Lateinamerika nun wieder eine feste Institution. Viele der heutigen Kämpfe sind transnational, sie werden an verschiedensten Orten der Welt und oft in Bezug aufeinander geführt. Auch feministische Demonstrationen in Deutschland stellen nun die Themen sexualisierte Gewalt und körperliche Selbstbestimrmung in den Mittelpunkt. Wichtige Fragen nach der Organisierung von Care-Arbeit haben weder in Lateinamerika noch hierzulande an Aktualität verloren. Doch insbesondere hier werden auch die Fallstricke deutlich, wenn Feminismus nicht in globalen Zusammenhängen gedacht wird: Zurecht kritisieren Kampagnen wie „Legalisierung jetzt!“ in Berlin die vermeintliche Emanzipation einiger privilegierter Frauen in Deutschland durch die Abgabe von Sorgearbeit an prekarisierte Migrant*innen, unter anderem aus Lateinamerika. Denn Sorgearbeit muss grundsätzlich anders organisiert werden. Auch deshalb werden wir also den feministischen Stimmen aus Lateinamerika und der lateinamerikanischen Diaspora aufmerksam zuhören. Der Blick auf die interne Heterogenität der Bewegung darf dabei nicht fehlen.

Denn bei aller Euphorie, die manches Foto von riesigen feministischen Demonstrationen auslösen kann, wurden in den vergangenen Jahren auch interne Konflikte offenkundig. Sei es die berechtigte Kritik aus Schwarzer oder indigener Perspektive, die einen dekolonialen Feminismus fordern und sich am städtischen Mittelklasse-Fokus der Bewegung stören, oder Probleme wie Transfeindlichkeit in den eigenen Reihen – diverse Stimmen lassen uns erkennen, dass auch diese neue Welle des Feminismus nicht romantisiert werden sollte.

Und apropos nicht romantisieren: „Frauenthemen“, wie sie im Editorial von 1990 (siehe unten) genannt werden, wurden über Jahrzehnte der LN-Geschichte komplett ausgeblendet, wie dort selbstironisch zugegeben wird. Heute sind Artikel, die sich mit feministischen, queeren und intersektionalen Fragen auseinandersetzen, glück­licherweise regelmäßig in den Lateinamerika Nachrichten zu finden. Was mit ein paar Frauen in der Redaktion der 1990er begann, die sich über diese Leerstelle beschwerten, ist heute Schwer­punktthema vieler Mitglieder der Redaktion. Auch die Leser*innen scheint das Thema zu beschäftigen, so ist zum Beispiel das feministische Dossier Nr. 18 „Vivas nos queremos” nicht nur eines der meistgelesenen, sondern in gedruckter Fassung inzwischen sogar vergriffen. Mit Sicherheit werden wir also auch in Zukunft über Bewegung und Entwicklung feministischer Anliegen in Lateinamerika berichten. Schon in den vergangenen zehn Jahren gab es mehr LN-Ausgaben und Artikel zu feministischen Themen als in der gesamten Zeit zuvor – und das ist auch gut so!

Johanna Saggau ist LN-Redakteurin und studiert Lateinamerikastudien
Johanna Fuchs ist LN-Redakteurin und Politikwissenschaftlerin

Zusammen kommen wir weiter

Das Viertel umgestalten, feministische Kämpfe von unten führen Sitz der Mujeres en Espiral in Havanna (Foto: Jana Salcedo Strausfeld)

In einem bunt angemalten Gebäude warten die Mujeres en Espiral mit zuckrigen Getränken und selbstgebackenen Keksen in der kubanischen Hauptstadt auf uns. Ihr Hauptsitz ist ein liebevoll gestaltetes Haus im Kolonialstil und befindet sich in Marianao, einem ökonomisch schwachem Randbezirk Havannas. Dort versammeln sie sich wöchentlich, um Frauen aus ihrer Gemeinschaft Workshops und psychologische Beratung anzubieten, die ihnen bei ihrer Emanzipation helfen soll. Oftmals wenden sich Frauen an sie, die psychische, physische und emotionale Gewalt erfahren und sich in Abhängigkeitsdynamiken mit ihren Ehemännern befinden.

Tanja, América und ihre Kolleginnen empfangen uns während unseres dreimonatigen Aufenthaltes im Herbst 2022 in Kuba, in dem wir ein soziales Kleinprojekt zum Thema Ressourcenmanagement und Wasser durchführen. Krise nach Krise verschärft die bereits bestehenden Konflikte des Inselstaates: Auf die Corona-Pandemie folgt der Angriffskrieg auf die Ukraine, im September 2022 der verheerende Hurrikan Ian. Bereits 2020 war Kuba mit einer Nahrungsmittel- und Gesundheitskrise konfrontiert. Fehlende Ressourcen, Stromausfälle, Verhaftungen von jungen Protestierenden im Juli 2020 sowie das Jahrzehnte andauernde Handelsembargo und die deutlich verschlechterten Beziehungen zu den USA unter Trump (2017 bis 2021) belasten die Kubaner*innen enorm (siehe LN-Dossier 19).

Im Jahr 2022 nahm die (irreguläre) Abwanderung von der Insel stark zu – nie seit der Revolution 1959 war sie höher. Mit einem monatlichen Durchschnittseinkommen von umgerechnet 25 bis 30 Euro hat der Großteil der kubanischen Bevölkerung kaum Perspektiven auf ein würdevolles Leben.

Die Mujeres en Espiral kämpfen mit ihrem Projekt für mehr soziale Gerechtigkeit in Kuba, für die Gleichstellung der Geschlechter und für die Verbreitung solidarischer Volkswirtschaft. Sie verstehen sich als Bewegung, die aus feministischen, sich selbst ermächtigenden Unternehmer*innen besteht und in ihrem Viertel für soziale Verantwortung, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Aktivismus bekannt ist. Die Gruppe vereint auf freiwilliger Basis Frauen aus verschiedenen Gemeinden, sozialen Sektoren, Ethnien und Religionen Havannas, die mit sozio-produktiven Erfahrungen, Dienstleistungen und Workshops für die ganzheitliche Umgestaltung des Viertels kämpfen und dabei die Rolle der Frau stärken. Unter dem Motto Solas vamos más rápido, juntas llegamos más lejos (Allein kommen wir schneller voran, gemeinsam kommen wir weiter voran) und Juntas aprendemos, juntas producimos, juntas decidimos (Gemeinsam lernen, produzieren und entscheiden wir) führen sie Workshops durch, in denen sie mit den stereotypischen Rollenbildern der patriarchalen Gesellschaftsstruktur brechen. Sie bieten Frauen eine Ausbildung in diversen Berufen an und ermöglichen ihnen durch Fortbildungen den Einstieg in den Arbeitsmarkt.

Die Mujeres en Espiral sind eine Gemeinschaft von 75 Frauen und haben bereits zur Entstehung von 15 Kleinunternehmen beigetragen, die sich dem Kunsthandwerk oder der Herstellung von Bio-Lebensmitteln, Brot oder Süßigkeiten widmen. Auch ein Friseursalon und eine Wäscherei sind entstanden sowie zwei Gemeindeberatungen für Frauen und Familien in Gewaltsituationen, die sich aus Fachleuten für Gemeindearbeit und Pädagog*innen zusammensetzen.

Nähateliers, Kunstwerkstätten, Friseursalons Aus dem Projekt Mujeres en Espiral sind bereits 15 Kleinunternehmen entstanden (Foto: Jana Salcedo Strausfeld)

Nach dem interessanten und lehrreichen Gespräch mit den Gründerinnen der Mujeres en Espiral besuchen wir Frauen in der Nachbarschaft, die bereits an den Workshops teilgenommen und ihr eigenes kleines Unternehmen gegründet haben. Darunter ist Alina Saborit in ihrem Näh-Atelier Atrévete, eres más (Traue dich, du bist mehr wert) und Paula Margarita Montalvo Jorrín sowie ihre Nichte Maritza vom Recycle- und Kunstprojekt La Muñeca Negra (Die Schwarze Puppe). Alina Saborit nimmt in ihrem Nähstudio vor allem junge Frauen aus problematischen Umfeldern auf, die dort nähen lernen und sich so berufliche Aussichten verschaffen. Sie spezialisieren sich auf die Herstellung von Konfektionskleidung, auf Reparatur und Upcycling. In Pandemiezeiten nahmen sie Aufträge zur Stoffmaskenherstellung an und nähten zudem aufgrund eines Lieferengpasses Schuluniformen. Ihnen bietet der Job eine erste kleine Einnahmequelle und die Hoffnung, in Zukunft selbst ein Kleinunternehmen zu starten.

Von den zehn Frauen, die bereits bei Alina ausgebildet wurden, haben vier bereits eigene Unternehmen gegründet und Mitarbeiter*innen angestellt. Auf eine lange Geschichte blickt das Recycle- und Kunstprojekt La Muñeca Negra zurück. Es wurde bereits 1980 von Paula Margarita gegründet und besteht derzeit aus einer Gemeinschaft älterer Frauen, die aus recycelten Materialien und Naturprodukten Kunst herstellen. Ihre Kunst zeichnet sich durch die Repräsentanz der Schwarzen Frau sowie farbenfrohe Muster und Stoffe aus. Das Projekt hat bereits kubanische und spanische Auszeichnungen erhalten.

Paula Margarita ist studierte Künstlerin und bietet seit 40 Jahren Wochenendkurse für Kinder an, die bei ihr diverse Recycle- Kunsttechniken lernen können und dadurch ein kostenloses Freizeitprogramm erhalten. Die Mütter schicken ihre Kinder dankend zu den Kursen von Paula Margarita und Maritza, die Mitglieder der Mujeres en Espiral sind. Sie haben selbst Workshops zur Stärkung der Frauen mitgemacht und implementieren das erworbene Wissen in den Wochenendkursen mit den Kindern. Zudem ist den beiden bewusst, dass ihr Projekt den älteren Frauen eine Einnahmequelle sowie ein soziales Umfeld bieten. Auf Handwerksmärkten und Veranstaltungen verkaufen sie ihre Kunst und auch im Ausland und bei Tourist*innen treffen sie auf Interesse. Bei meinem letzten Besuch bei Maritza bereitete sie sich für einen Besuch der Mujeres en Espiral auf einer feministischen Messe in Mexiko vor, mit dem Titel Expo Mujer: Generando comunidad entre Mujeres (Ausstellung Frau: Gemeinschaft zwischen Frauen schaffen). Es war bereits ihre zweite Auslandsreise, die ihr das feministische Netzwerk ermöglichte.

Eine weitere erwähnenswerte Initiative ist eine Seminarreihe zu toxischer Männlichkeit in Kuba. Das Konzept haben Ania und ihr Team von zwölf Frauen erstellt und möchten es im August 2023 mithilfe der gemeinnützigen Organisation Centro Félix Varela implementieren. Die Seminare sollen einen Raum für den Austausch von männlich gelesenen Personen bieten, in dem eine offene Kommunikation stattfindet und Emotionen ausgedrückt werden dürfen. Sie richten sich an Schul- und Universitätsgruppen, aber auch an allgemein Interessierte aus Havanna und Umgebung. Dafür haben sie 60 diverse Freiwillige angefragt, die als Mentor*innen trainiert werden und die ihre persönlichen Erfahrungen zu toxischer Männlichkeit mit den Teilnehmenden teilen wollen. Mit diesem Konzept möchten sie den Jugendlichen und Männern einen Raum und einen Zugang zu ihren Emotionen geben sowie Offenheit und Akzeptanz diverser Sexualitäten und fluider Geschlechtsidentitäten fördern.

Die Frauen schaffen eine in Krisen bestmögliche Realität

Das Streben nach Gleichberechtigung und Unabhängigkeit, die feministische Solidarität und der Unternehmer*innengeist, die die kubanischen Frauen in ihrem Kampf für Geschlechtergleichstellung antreibt, bereichern ihre Gemeinschaft und bringt eine neue Perspektive in das Leben der Beteiligten. Ihr Aktivismus und ihr weites Netzwerk sind bewundernswerte Beispiele für einen lebendigen, kubanischen Feminismus. Diese inspirierenden Aktivist*innen machen Frauen ihre Handlungsfähigkeit bewusst gzeigen, dass gemeinschaftliches Wirken die Lebensrealität von Vielen verbessern kann, ganz nach ihrem oben genannten Slogan. Kein Ideologiekrieg und kein autoritäres System können diese Art von sozialem Handeln und Fühlen kritisieren oder unterdrücken. Auf ihre sprudelnde und solidarische Weise kämpfen sie für Gerechtigkeit und erschaffen die beste Realität, die sie inmitten von vielen Krisen erschaffen können.

“NOCH NIE HAT ES EINE SO STARKE MOBILISIERUNG GEGEBEN”

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In Brasilien machen Schwarze Frauen 28 Prozent der Bevölkerung aus, was sie zur größten demografischen Gruppe macht. Nach der letzten Wahl im Jahr 2018 hatten sie jedoch weniger als zwei Prozent der Sitze im Nationalkongress inne. Hat sich ihre Repräsentativität nach dieser Wahl verbessert?
Es werden nun 2,5 Prozent anstatt 2,3 Prozent der Sitze von Schwarzen Frauen besetzt, es gab also keine größeren Veränderungen, was die Repräsentanz angeht. Zudem wurden bei diesen Wahlen zwar viele Schwarze Kandidatinnen gewählt, aber nicht alle setzen sich für die antirassistische Agenda ein. Oft stehen sie mit rechten Parteien in Verbindung, stehen Bolsonaro nah. Das liegt auch daran, dass die Wahlgesetzgebung geändert wurde, eigentlich um die Kandidatur Schwarzer zu fördern. Die Parteien nutzen diese Vorschriften aber aus, um mehr Mittel zur Finanzierung ihrer Kampagne zu erhalten.

Bei dieser Wahl unterstützte Mulheres Negras Decidem 27 Schwarze Frauen mit einer progressiven politischen Agenda bei ihren Kandidaturen, eine in jedem brasilianischen Bundesstaat und im Bundesdistrikt. Wurden diese Kandidatinnen gewählt?
Wir konnten gute Ergebnisse erzielen. Viele Kandidatinnen erhielten eine große Anzahl an Stimmen. Aber von den 27 wurden leider nur zwei gewählt, Laura Sito von der PT und Camila Valadão von der Partei PSOL. Als junge Schwarze Frau gelang es Laura beispielsweise bei den Wahlen zum Landesparlament von Rio Grande do Sul, einem Bundesstaat, der historisch viele Probleme mit Rassismus hat, mehr als 30.000 Stimmen zu erhalten.

Seid ihr zufrieden mit diesem Ergebnis?
Mit der Zahl der gewählten Kandidatinnen liegen wir weit unter unseren Erwartungen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass neben uns Hunderte von Gruppen für Schwarze Kandidatinnen mobilisiert haben. Aber die von den Bewegungen unterstützten Kandidatinnen, die gewählt wurden, starten mit einem enormen Rückhalt aus der Zivilgesellschaft in die nächste Legislaturperiode. Diesen brauchen sie auch, um einiges von dem rückgängig zu machen, was die Regierung von Bolsonaro in der Gesetzgebung festgeschrieben hat. In diesem Sinne sind wir zufrieden. Noch nie hat es eine so starke Mobilisierung gegeben wie bei diesen Wahlen.

Wie erklärst du dir diese große Mobilisierung?
Die brasilianische Bevölkerung hat erkannt, dass tiefgreifende soziale Veränderungen nur durch Politik möglich sind. Die Art und Weise, wie Bolsonaro mit der Pandemie umging, zeigte die großen gesellschaftlichen Ungleichheiten auf, die in Brasilien bestehen und die Notwendigkeit, politische Vertreter*innen zu haben, die ein breiteres gesellschaftliches Profil haben und damit den Forderungen einer Mehrheit der Bevölkerung gerecht werden.

Warum ist es notwendig, Schwarze Frauen bei ihrer Kandidatur zu unterstützen?
Die Frauen, die wir unterstützen, haben ein politisches Profil, das weit über das gängige Profil hinausgeht. Sie kommen aus den sozialen Basisbewegungen, aus der Quilombola-Bewegung. Für diese Frauen ist es nicht einfach, sich zur Wahl zu stellen, zunächst innerhalb der Parteien und dann im politischen Wahlkampf selbst. Denn ihre politischen Ideen haben zum Ziel, die Demokratie zu vertiefen, und stellen die etablierten Machtverhältnisse infrage. Deshalb greift man sie an. Gleichzeitig bringt es die Gesellschaft als Ganze weiter, sie zu wählen, denn ihre politischen Anliegen beziehen sich auf öffentliche Interessen der brasilianischen Gesellschaft insgesamt.

Kannst du dafür ein Beispiel nennen?
Ein Beispiel dafür ist die neu gewählte Abgeordnete Laura Sito, die sich für Themen einsetzt, die von den Wählerinnen in Brasilien als prioritär angesehen werden, wie zum Beispiel das Thema Bildung. Laura setzt sich jedoch für eine inklusive, antirassistische und emanzipatorische Bildung ein.

Wie ist in eurer Gruppe die Stimmung nach dem Krimi der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen?
Ich persönlich bin weniger beunruhigt als vor dem zweiten Wahlgang. Das Militär ist weniger eine Gefahr für die Demokratie und Verfassung, als wir dachten. Verschiedene Instanzen haben das Wahlergebnis bereits anerkannt und die gegenwärtig stattfindenden Proteste wurden nicht nur vom Obersten Wahlgerichtshof TSE, sondern auch vom Obersten Gerichtshof STF, dem Kongress und den Medien verurteilt. Wir haben diese institutionelle Hürde überwunden, aber ich mache mir Sorgen um die Anerkennung in der Bevölkerung. Wir haben eine große Anzahl von Menschen auf der Straße, die einen Putsch fordern und antidemokratische Handlungen verteidigen. Das zu verändern bedarf eines längerfristigen Prozesses, für den es eine starke demokratische Führung, ausgehend von den Landesparlamenten und dem Kongress benötigt, sowie eine starke Bewegung aus der Basis, die die Politisierung der neuen Generationen übernimmt. Er hängt auch von der Wiederbelebung einer öffentlichen Debatte über drängende Alltagsfragen ab.

Heißt das, der bolsonarismo geht weiter?
Die extreme Rechte ist unter der Regierung Bolsonaro gewachsen und hat sich organisiert. Aber das geht weit über Bolsonaro, seine Familie und seine politischen Anhänger hinaus. Diese autoritären Ideen sind ein globales Problem, das in Brasilien auf fruchtbaren Boden gefallen ist.

Die Gouverneure, die in São Paulo, Minas Gerais und Rio de Janeiro gewählt wurden, stehen Bolsonaro sehr nahe. Wird dies die Arbeit der sozialen Bewegungen und Gruppen wie Mulheres Negras Decidem behindern?
In diesen Bundesstaaten sind die Bewegungen bereits stark, gut strukturiert und haben viele Ressourcen. Viel schwieriger ist es weiterhin hauptsächlich im Nordosten, Norden und vor allem im Mittleren Westen des Landes, wo die Strukturen weniger gefestigt sind.

Wie sollen die 51 Prozent der Brasilianer*innen, die zur Wahl gegangen sind und für Lula gestimmt haben, mit den 49 Prozent der Wähler*innen Bolsonaros umgehen?
Das ist eine große Herausforderung. Der designierte Präsident Lula konzentriert sich auf Einheit und Versöhnung, aber er wird Hilfe von den sozialen Bewegungen brauchen, um diese Spaltung zu überwinden. Diejenigen, die Bolsonaro unterstützen, verstehen ebenfalls die Bedeutung von Politik. Aber diese Wähler*innen glauben, dass es einen Kampf zwischen Gut und Böse gibt. Jetzt geht es darum, dieses Verständnis zu verändern, diese Menschen wieder in die Debatte über unsere gemeinsame Realität einzubinden. Diese ist nicht nur für die 49 Prozent problematisch, sondern für uns alle. Die Realität des durchschnittlichen Brasilianers und der durchschnittlichen Brasilianerin ist sehr prekär. Je schneller es uns gelingt, wieder über praktische Fragen des täglichen Lebens zu diskutieren, um unser aller Situation zu verbessern, desto leichter wird es uns fallen, mit diesen Unterschieden umzugehen.

Lula wird die Unterstützung der sozialen Bewegungen brauchen. Viele haben seine Kampagne unterstützt, dabei aber betont, dass sie Teil der Opposition werden, sobald Lula sein Amt antritt. Wie kann seine Regierung so überhaupt erfolgreich werden?
Im ersten Jahr werden die Bewegungen der Regierung sehr nahestehen. Es wird ein Jahr, in dem das Ausmaß des entstandenen Schadens gemessen und Strategien für den Wiederaufbau geplant werden. Alles wird davon abhängen, wie sich die neue Regierung personell zusammensetzt. Es wurde bereits Kritik an jener Gruppe geäußert, die den Regierungswechsel vollzieht. Sie besteht vor allem aus weißen Männern. Bis zur Bekanntgabe der Minister*innen verbleiben noch einige Wochen. Es ist wichtig, dass Lula Frauen, Schwarze und indigene Minister*innen benennt. Dies würde auch die Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit zwischen Regierung und Zivilgesellschaft verbessern.

Was sind eure Erwartungen an die Regierung Lula?
Ich habe große Erwartungen bezüglich der Anzahl der Frauen, die zukünftig Teil der Regierung sein werden. Darüber hinaus ist es vor allem in den Gremien, die sich mit Rassismus befassen, wichtig, dass Lula Personen mit einem Profil einsetzt, das der Agenda der Schwarzen Bewegungen entspricht. Lula muss auf die personellen Empfehlungen hören, die aktuell ausgesprochen werden, wie zum Beispiel die für die Abgeordnete Erica Malunguinho, eine Schwarze trans Frau, für das Sekretariat zur Förderung der Rassengleichheit oder für die Palmares-Stiftung.

Welche Rolle haben Frauen während der Wahl eingenommen?
Sie spielten vor allem für die Arbeit an der Basis eine wichtige Rolle. Die Zahl der Stimmenthaltungen ging im zweiten Wahlgang zurück, was maßgeblich an den Frauen lag, die andere Personen in der Familie zur Stimmabgabe bewegt haben. Dank ihnen änderte Lula auch den Schwerpunkt seiner Kampagne und sprach mehr über die Zukunft, über Chancen für junge Menschen. Die 18- bis 35-Jährigen waren sich lange unsicher, ob sie für Lula oder Bolsonaro stimmen sollten, aber stimmten im zweiten Wahlgang mehrheitlich für Lula.

Fast ein Viertel der wahlberechtigten Bevölkerung enthielt sich oder wählte ungültig. Ist das ein Zeichen dafür, dass die Demokratie in Brasilien in einer Krise steckt?
Die niedrige Wahlbeteiligung trotz Wahlpflicht ist Ausdruck der Krise der Repräsentativität und des Vertrauens in die Institutionen, die seit mindestens zehn Jahren besteht. Ein großer Teil der Bevölkerung glaubt nicht an die Möglichkeit eines Wandels, und ein anderer Teil befindet sich in einer so prekären Lage, dass er nicht in der Lage ist, sich am politischen Prozess zu beteiligen.

Welche internationalen Auswirkungen hat die Wahl in Brasilien?
Mit der Rückkehr der Regierung Lula werden wir uns wieder Themen von weltpolitischer Bedeutung widmen, vor allem klima- und umweltpolitisch in Bezug auf das Amazonasgebiet, aber auch in den Bereichen Gesundheit, beim Thema Menschenrechte und Konfliktmediation. Das sind alles Themen, bei denen Brasilien früher schon führend war. Dass wir auf der Weltbühne zurück sind, davon profitiert nicht nur Brasilien.

„UM GANHO PARA ALÉM DO BRASIL“

Für die deutschsprachige Version hier klicken.

No Brasil, mulheres negras são, com 28 % da população, o maior grupo demográfico do país. Porém, depois da última eleição de 2018, elas ocupavam menos de 2% de cadeiras no congresso nacional. A questão da representatividade melhorou depois dessa eleição?
Não tivemos grandes mudanças. Passamos de 2,3% para 2,5%. Então ainda estamos no mesmo patamar. Nessas eleições, apesar de muitas mulheres negras terem sido eleitas, não são todas comprometidas com a agenda anti racista. Muitas vezes são asociadas com partidos de direita, são Bolsonaristas. Isso pode ser explicado com o fato que houve uma mudança na legislação eleitoral para impulsionar essas candidaturas de pessoas negras, os partidos se aproveitarem dessas regras e assim conseguirem mais recursos para o financiamento de campanhas.

Nessa eleição, o Mulheres Negras Decidem apoiou 27 mulheres negras com uma agenda políticaprogressista nas suas candidaturas, uma em cada estado brasileiro e também no Distrito Federal. Essas mulheres conseguiram se eleger?
Tivemos bons resultados, muitas delas receberam muitos votos. Mas das 27, infelizmente só duas foram eleitas, a Laura Sito do PT e a Camila Valadão do PSOL. Como mulher jovem negra, a Laura por exemplo conseguiu mais de 30.000 votos na eleição para a Assembleia Estadual no Rio Grande do Sul, um estado que historicamente tem muitas questões com racismo.

Vocês estão satisfeitas com esse resultado?
Em termos de quantidade de candidatas que foram eleitas é bem abaixo do que era esperado, considerando toda mobilização de centenas de grupos que apoiaram candidaturas negras. Mas as candidatas apoiadas pelos movimentos que se elegerem são pessoas que chegarão na próxima legislatura muito fortalecidas e com um apoio da sociedade civil. Elas vão precisar reverter alguns dos atrasos que foram aprovados em termos de legislação no governo Bolsonaro. Elas chegam muito fortes nesse sentido mesmo se não são tantas como nós queríamos. Nunca existiu uma mobilização tão forte quanto nessas eleições.

Como você se explica que a mobilização foi maior esse ano?
A sociedade brasileira se deu conta de que transformações sociais profundas só são possíveis fazendo política. O jeito com que Bolsonaro lidou com a pandemia mostrou a desigualdade no acesso de direitos que existe no Brasil. Isso mostrou a urgência de ter representantes com um perfil mais popular para atender as demandas da maioria da população.

Porque é necessário apoiar candidaturas de mulheres negras? 
São mulheres que têm perfis políticos muito fora do comum, de movimentos sociais de base, de religiões de matriz africana, mulheres quilombolas. Para essas mulheres não é fácil participar de uma disputa, primeiro dentro dos partidos e depois na campanha política em si. Porque os projetos políticos delas se preocupam com o aprofundamento da democracia e questionam o poder como ele está estabelecido. Então elas são muito atacadas. Ao mesmo tempo, votar nelas é uma coisa boa para todo mundo porque uma vez eleitas, elas produzem políticas públicas que são do interesse de todos.

Você pode dar um exemplo?
Um exemplo seria a recém eleita Deputada Estadual Laura Sito que defende agendas consideradas prioritárias pelos eleitores no Brasil, como a educação. Mas a Laura fala de uma educação inclusiva, anti racista e emancipadora. 

Como você está se sentindo depois do suspense que era o segundo turno da eleição?
Estou menos preocupada do que estava antes do segundo turno. As forças armadas não estão tão dispostas contra a democracia e a constituição como nós imaginávamos. As instituições reconheceram o resultado e os protestos golpistas têm sido condenados não só pelo TSE mas também pelo STF, pelo Congresso e também pelamídia. Vencemos a etapa institucional mas me preocupo com o reconhecimento pela população. Temos uma quantidade significativa de pessoas nas ruas defendendo atos golpistas e antidemocráticos. É uma disputa de mais longo prazo que depende das lideranças democráticas fortes nas assembléias regionais e no Congresso, de movimentos de base fortes para a politização das novas gerações e a recuperação do debate público das questões do dia a dia. 

Isso significa que o Bolsonarismo vai permanecer?
A extrema direita cresceu e se organizou durante o governo Bolsonaro. Mas ela vai bem além do Bolsonaro e da família dele, como também dos seus apoiadores políticos. Essas ideias autoritárias são uma questão global que encontrou um terreno muito fertil no Brasil.

Os governadores que foram eleitos em São Paulo, Minas Gerais e Rio de Janeiro estão bem próximos aBolsonaro. Isso dificulta o trabalho de movimentos e grupos sociais como o Mulheres Negras Decidem?
Nesses estados os movimentos já têm muita força, estrutura e recursos. O nosso desafio continua sendo principalmente em regiões nordestinas, norte e principalmente no Centro Oeste onde as estruturas são mais fragilizadas. 

Como os 51% dos brasileiros que foram votar e votaram no Lula deveriam lidar com os 49% das pessoas que votarem no Bolsonaro?
Isso será um grande desafio. O Presidente eleito Lula tem esse perfil de união e reconciliação, mas ele precisará muito da ajuda dos movimentos sociais para recuperar esse tecido social e promover unidade no Brasil. Quem apoia o Bolsonaro entende a importância da política também. Mas seus eleitores acreditam que existe uma luta do bem contra o mal. A questão agora é trabalhar para que essa compreensão seja desfeita. Trazer essas pessoas de volta para o debate sobre a realidade concreta que é uma dificuldade não só para os 49% mas para todo mundo. A realidade do brasileiro em média é de muita precariedade. Quanto mais cedo a gente conseguir voltar a discutir questões práticas do nosso dia a dia, para melhorar a situação de todo mundo, mais facilmente vamos conseguir lidar com essas diferenças.

O Presidente-eleito Lula precisará do apoio dos movimentos sociais. Vários grupos apoiaram a campanha dele, mas falam que vão virar oposição no momento em que ele tomará posse. Como seu governo poderia dar certo então?
No primeiro ano, os movimentos de base que apoiarem o Lula vão estar muito junto do governo. Vai ser um ano de reconhecimento do tamanho dos estragos que aconteceram e de planejar estratégias para reconstrução. Agora tudo vai depender muito de como vai ficar a configuração desse novo governo. Já saíram críticas sobre a configuração do grupo que está fazendo a transição do governo. Há poucas mulheres, não há pessoas negras. Ainda faltam alguns meses até o Lula anunciar os ministros. Será importante incluir mulheres, negros e indígenas. Isso aumentaria as possibilidades da cooperação entre governo e sociedade civil.

Quais são as suas expectativas para o novo governo Lula?
Essa questão da composição ministerial com muitas mulheres. Em cima disso, será importante, principalmente nos orgãos que cuidam da questão do enfrentamento do racismo, que ele coloque pessoas com perfil alinhado a agenda histórica dos movimentos negros. O Lula tem que escutar essas as sugestões que está recebendo para os cargos de confiança, como por exemplo, a Deputada Erica Malunguinho, uma mulher negra trans, para a Secretaria de Promoção da Igualdade Racial ou para a Fundação Palmares.

Qual foi o papel das mulheres nessas eleições?
Elas tinham um papel principalmente no trabalho de base. O número das abstenções diminui no segundo turno e as mulheres tiveram um papel muito importante nessa decisão de outras pessoas da família irem votar. Graças a elas o Lula também mudou o foco na campanha e falou mais sobre o futuro, oportunidades para os jovens. Esse grupo, entre 18 e 35 anos, estava muito em dúvida se era para votar no Lula ou Bolsonaro, mas votaram no Lula no segundo turno.

Também teve quase um quarto da população com direito a voto que não votou, votou nulo ou branco. Isso sinaliza que a democracia brasileira está em crise?
É um reflexo da crise de representatividade e de confiança nas instituições que está acontecendo pelo menos nos últimos dez anos. Uma parcela grande está desacreditada de qualquer possibilidade de mudança e uma outra é impossibilitada de participar do processo político porque está em situação de grande vulnerabilidade. 

Qual será o efeito dessa eleição no âmbito global?
Com a volta do governo Lula conseguimos recuperar questões que são de política global, especialmente em relação a região amazônica, mas também em saúde, direitos humanos e mediação de conflitos que são agendas que o Brasil liderava. Isso é um ganho para além do Brasil.

WACH UND VOLLER HOFFNUNG

Evadir, no pagar, otra forma de luchar („Bahnfahren ohne zu zahlen, eine andere Art zu kämpfen!“), schallte es Anfang Oktober 2019 durch die Metrostationen von Santiago de Chile. Mutige Schüler*innen hatten damit gegen steigende Kosten für Bus und Bahn protestiert und eine Revolte ausgelöst, die ihre Spuren bis heute zieht: Im September stimmen die Chilen*innen über eine neue Verfassung ab (siehe Artikel auf S. 38). Die in Hamburg lebende chilenische Illustratorin Su Rivas hat diese historischen zweieinhalb Jahre in einem farbenfrohen Comic nachgezeichnet, das nun auf Deutsch im Unrast Verlag erschienen ist: Chile ist aufgewacht! Das Ende einer neoliberalen Ära.

Zwei neugierige Protagonist*innen begleiten durch die drei Kapitel des Comics, das zunächst die verschiedenen Bewegungen und Themen der von den Schüler*innen entfachten Revolte vorstellt. Da sind zum Beispiel die feministischen Bewegungen, die spätestens seit dem feministischen Frühling im Jahr 2018 aus der chilenischen Politik nicht mehr wegzudenken sind. Und auch überall im Comic ist ihr Erkennungszeichen, das grüne Tuch der Verfechter*innen eines Rechts auf legale Schwangerschaftsabbrüche, zu entdecken. Doch die Themen der feministischen Bewegungen sind vielseitig: Es geht ihnen auch um das Ende sexualisierter Gewalt und patriarchaler Machtstrukturen, die Anerkennung von Sorgearbeit und mehr politische Mitbestimmung (siehe Bild unten).

Die Themen sind vielseitig Eine Seite zu den feministischen Bewegungen und ihren Forderungen

Schnell wird klar, was die Protestierenden unterschiedlicher Bewegungen vereint: der Wunsch nach einem Ende des Neoliberalismus. Und der ist in Chile in der Verfassung von 1980, die mitten in der Diktatur unter Augusto Pinochet entstand, festgeschrieben. Gut verständlich erklärt das Comic die Kritik an der Verfassung und warum bisherige Versuche sie zu ändern oder grundlegend zu reformieren, scheiterten.

Besonders gut erklärt Rivas wichtige Begriffe und Symbole der Revolte und ordnet sie für ein deutschsprachiges Publikum historisch ein. So entsteht eindrucksvoll das Bild der Revolte, die häufig als „gesellschaftlicher Knall“ bezeichnet wird, als Wendepunkt in der chilenischen Geschichte.

Dass das folgende zweite Kapitel sehr ausführlich zeigt, wie die rechtskonservative Regierung unter Präsident Sebastián Piñera mit der Coronapandemie umging, mag zunächst verwundern. Doch schließlich ist der weitere Verlauf der Revolte eng mit der Pandemie verwoben, legte letztere doch die großen Mobilisierungen lahm und zwang die Protestierenden, ihre Stimmen auf andere Weise zu erheben. Gleichzeitig zeigt das Pandemiemanagement der Regierung auf, wie tief neoliberale Grundsätze in der Politik verankert sind und jegliche Bereiche des Lebens durchdringen. So wurden als Reaktion auf den in der Pandemie verbreiteten Hunger in ärmeren Bevölkerungsteilen Lebensmittelpakete verteilt – rein zufällig mit Produkten von Unternehmen, mit denen Regierungspolitiker*innen in Verbindung standen. Und falls die nicht reichten, sollten die Chilen*innen doch einfach 3 Liter Wasser am Tag trinken – das stille das Hungergefühl, so die Fernsehköchin Paula Arenas. Eine hämische Bemerkung, wo doch das Wasser in Chile privatisiert ist und viele Familien wöchentlich nicht genug Trink- und Nutzwasser zur Verfügung haben.

Besonders gut erklärt Rivas wichtige Begriffe und Symbole der Revolte“

So bleiben im Comic auch kleine Aussagen und Ereignisse, die sonst vielleicht nicht jede*m in Erinnerung geblieben wären, für die Zukunft anschaulich festgehalten. Die beiden Protagonist*innen stellen dabei stets die richtigen Fragen und decken die rhetorischen Schachzüge und Strategien rechter Politiker*innen schamlos und unterhaltsam auf. Dabei trifft Rivas mit ihren detailgetreuen Porträts einzelner Personen zweifellos einen Nerv: Vertreter*innen der neoliberalen Politik werden als düster, mies gelaunt und böse stilisiert, wohingegen die Protestierenden mit all ihren Transparenten, Parolen und Symbolen bunt aufleuchten.

Ebenso vielseitig werden im dritten Kapitel die Menschen vorgestellt, die die Chilen*innen im Mai 2021 gewählt haben, um eine neue Verfassung für das Land auszuarbeiten. Zahlreiche Vertreter*innen im Verfassungskonvent, viele davon Aktivist*innen aus sozialen Bewegungen, kommen auf den letzten Seiten des Comics zu Wort und erklären, welche Themen ihnen in der neuen Verfassung wichtig sind.

Mit Chile ist aufgewacht! ist eine anschauliche Chronik der Revolte und ihrer Folgen in einem besonderen Format gelungen. Auch wenn die Übersetzung an kleinen Stellen ruckelt, liest sich das Comic wie im Fluge. Während der Lektüre wird glasklar, warum eine neue Verfassung für Chile so wichtig wäre und warum so viele trotz großer Hürden ihre Hoffnungen in das aktuelle Verfassungsprojekt setzen. Auf die Frage nach den Chancen im Plebiszit antwortet eine der Protagonist*innen: „Darauf setze ich meine ganze Hoffnung.“

„DIE KUNST IST EINE GROSSE VERBÜNDETE FÜR ALLES, WAS AUF DER STRASSE PASSIERT“

Mariela Scafati (Foto: Jorge Miño)

Sie kommen gerade von einer Ausstellung in Madrid, jetzt sind Sie in Berlin und fahren bald nach Kassel zur Documenta. Wie sind diese Ausstellungen verbunden?
Es gibt eine klare Verbindung, und das ist der Globale Süden: In Kassel sind wir alle Gruppen aus dem Globalen Süden, Künstler*innen, die nicht zum hegemonialen Zentrum gehören. In Madrid ist es eine Ausstellung lateinamerikanischer Grafiken, die aus einer sechs Jahre langen Recherche entstanden ist. Dort war es einfach, sich wohlzufühlen, zwischen all den Menschen, mit denen man etwas gemeinsam hat. Zwischen dieser Ausstellung und der Documenta 15 gibt es eine zentrale Verbindung: das Nachdenken über und das Arbeiten mit dem Ort. Die Arbeiten entstehen im Museum, verlassen dieses dann, gelangen in Form von Workshops in die Nachbarschaft, um wieder ins Museum zurückzukehren. Die Ideen von Ruangrupa für Kassel sind vergleichbar. Es ist ein dezentrales Denken. Das ist etwas, das hier in Berlin nicht wirklich passiert.

In welchem Verhältnis stehen Aktivismus und künstlerische Arbeit für Sie?
Es bestehen immer Spannungen: Die Kunst ist eine große Verbündete für alles, was auf der Straße passiert, aber sie folgt einer anderen Logik. Mich persönlich hat die Politik vor der Kunst gerettet. Das meine ich natürlich ironisch, aber ich fühle das vor allem auch umgekehrt: Die Kunst hat mich vor der Politik gerettet, sie hat mir eine Pause verschafft. Sie hat eine Zeit kreiert, die außerhalb der politischen Zeit liegt. In den letzten Jahren haben wir in Argentinien und in anderen Ländern des Kontinents nicht mehr innegehalten, wir mussten auf den Straßen sein. Das ist ein sehr physischer Akt, in dem der Körper eine große Rolle spielt und in Argentinien ist es unmöglich, dieser Realität zu entkommen. Diese politische Kultur hat die Kunst sehr stark geprägt.

Ihre Arbeit „Movilización“ (Mobilisierung) ist während der Corona-Pandemie entstanden. Hat die Arbeit einen Zusammenhang mit dem Pandemiegeschehen und den kollektiven Formen, die Sie eben beschrieben haben?
Ja, hier wird das Kollektive sehr deutlich. Bereits bevor die Pandemie begann, waren die Leinwände auf dem Weg nach Berlin. Diese bildeten stehende Körper von Freundinnen und Freunden, kurz bevor wir zu einer Demonstration gehen. Mit dem Beginn der Pandemie hatte ich das Gefühl, dass das zu viel Fiktion war und nichts mit dem Moment zu tun hatte.

Inwiefern?
Ich dachte an die Außensicht: Was erwartet ein europäisches Publikum von Lateinamerika? Heldenhafte Körper, die protestieren gehen, die sich widersetzen. Während des Lockdowns begann ich die Kurator*innen davon zu überzeugen, dass die Körper liegen müssten. Zunächst sagten sie, dass auf dem Boden liegende Körper Assoziationen zu Leichen hervorrufen würden. Es sind jedoch keine Leichen, sondern die Art und Weise, wie meine Freundinnen und Freunde während der Pandemie protestierten, war eben auf dem Boden liegend.

Haben Sie künstlerische Vorbilder?
Für mich sind die größte künstlerische Inspiration die Großmütter und Mütter der Plaza de Mayo. Ich denke dabei an den siluetazo, eine Strategie der Menschenrechtsbewegung in Argentinien. Er ist von Künstlerinnen und Künstlern entwickelt worden, aber ohne den Dialog mit den Müttern und Großmüttern wäre das nicht möglich gewesen. Die ursprüngliche Idee war, die Silhouetten auf den Boden zu malen. Doch für die Mütter und Großmütter konnten ihre Kinder nicht auf dem Boden liegen, weil es keine Leichen waren. Deshalb wurden die Silhouetten auf Papier gezeichnet und an Wände geklebt. Dieser Gedanke ist sehr künstlerisch. Darin liegt die Macht, die zwischen Kunst und Politik entsteht.

Die Farbe Weiß ist bis heute mit der Geschichte der Mütter und Großmütter verbunden. Sie arbeiten viel mit Farben, welche Bedeutung hat das für Sie?
Farben sind nicht neutral. In Madrid war ich mit dem Kollektiv Cromoactivismo eingeladen, wir verstehen uns als Anti-Pantone-Gruppe; als Künstlerinnen und Künstler betreiben wir einen poetischen und transversalen Aktivismus mit Farbe. Wir arbeiten auf der Straße.

Als während des Macrismo versucht wurde, die Strafen für Folterer der Diktatur zu reduzieren, waren wir geschockt, niemand hätte das für möglich gehalten. Unsere Reaktion bestand darin, mit weißen Stoffen auf die Straße zu gehen. Dadurch entstand eine öffentliche Debatte. Einige sagten, dass das Weiß heilig sei, es sei das Tuch der Mütter. Genau in diesem Moment trat die indigene Aktivistin Milagro Sala hervor und hielt ein weißes Tuch an zwei Ecken in die Luft. Damit war der pañuelazo (kollektive Protestaktion mit dreieckigen Tüchern, Anm. d. Red.) geboren, den wenig später die feministische Bewegung aufgriff. Es ist ein weiteres Werkzeug des Protests, das allen gehört.

Der pañuelazo entfaltet seine volle Wirkung nur im Kollektiv. Solche Arbeitsweisen spielen in Ihrer Praxis eine große Rolle…
Das ist ähnlich wie das, was ich über die Beziehung zwischen Kunst und Politik gesagt habe: Zwischen meiner persönlichen Arbeit und der Arbeit im Kollektiv bestehen Spannungen und gegenseitige Befruchtungen. Meine persönliche Arbeit besteht aus Geschichten, Dialogen und kollektiven Erinnerungen. Die Sätze, mit denen wir mit der Gruppe Serigrafistas Queer arbeiten, ergeben sich auf den Straßen, auf den Plätzen, gemeinsam mit anderen Gruppen. All das sieht man nicht, aber es geht um die Botschaften, die dabei entstehen. So ist auch die Arbeit „Algo se rompió“ (Etwas ist zerbrochen) im Hamburger Bahnhof zu verstehen: sie ist voller Zitate aus meiner Umgebung, es ist eine Arbeit von mir, aber ohne andere könnte sie nicht bestehen.

“EIN VORBILDHAFTES EXPERIMENT FEMINISTISCHER POLITIK”

Javiera Manzi (Foto: privat)

Javiera, wo befinden wir uns gerade auf dem Weg zu einer feministischen Verfassung für Chile?
Wir stehen kurz vor der Abstimmung der einzelnen Artikel in den verschiedenen Kommissionen des Verfassungskonvents. Wir kommen also der Festschreibung einer feministischen Agenda in der Verfassung immer näher. Der breiten feministischen Bewegung ist es gelungen, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Verfassungskonvents politische Allianzen gegen die zunehmende Prekarisierung des Lebens zu bilden. Innerhalb des Verfassungskonvents wird die feministische Bewegung durch Politiker*innen, indigene Feminist*innen sowie durch Aktivist*innen repräsentiert, die gemeinsam eine paritätische, plurinationale Demokratie für dieses neue Chile aufbauen.
Ausgangspunkt dieses neuen politischen Systems ist die Idee einer paritätischen Demokratie, die nicht nur die Sichtbarkeit von Frauen sondern auch von trans und nicht-binären Personen garantiert. Damit haben wir eine transformatorische Alternative zu den klassischen Strukturen politischer Repräsentation geschaffen. Dass es nie wieder einen Kongress geben wird, der nur zu 23 Prozent aus Frauen besteht, ist dem feministischen Engagement im Verfassungsprozess zu verdanken.

Welche Forderungen der Bewegung fließen in den Verfassungskonvent ein?
Wir haben zentrale Forderungen der feministischen Bewegung umsetzen können, angefangen bei der Anerkennung der sexuellen und reproduktiven Rechte. Dies wird die erste Verfassung weltweit sein, in der das Recht auf freiwilligen Schwangerschaftsabbruch verankert ist. Außerdem soll die neue Verfassung die Anerkennung von Fürsorgearbeit, das Recht auf ein Leben frei von sexualisierter Gewalt und das Grundrecht auf Wasser garantieren.
Das sind nur einige Beispiele, die zeigen, wie die feministische Bewegung die historischen Versäumnisse der letzten Jahrzehnte hinsichtlich demokratischer Rechte von Frauen und Minderheiten zu beheben sucht und gleichzeitig neue Räume des politischen Handelns schafft.

Wie beurteilst du die diesjährige Mobilisierung für den 8. März? Inwiefern beeinflusst sie den verfassunggebenden Prozess?
Mit der Coordinadora 8M, die aus einer Serie feministischer Proteste weltweit hervor ging, haben wir es geschafft, am 8. März 2019 für die größte Demonstration seit Ende der Diktatur in Chile zu mobilisieren. Diese Mobilisierung stellt für uns einen Meilenstein dar, weil sie großen Einfluss auf die im Oktober 2019 einsetzende Revolte hatte. Die feministische Bewegung war von Beginn an die treibende Kraft im Kampf gegen das undemokratische neoliberale System.
Wir vertreten einen Feminismus, der sich nicht nur für Frauen einsetzt, sondern der die kapitalistischen, patriarchalen, rassistischen und kolonialen Strukturen aus einer intersektionalen Perspektive hinterfragt.
Am vergangenen 8. März ging es darum, ein letztes Mal vor Ende der Amtszeit Piñeras ein Zeichen gegen die Straflosigkeit des Regimes und die systematischen Menschenrechtsverletzungen zu setzen und deutlich zu machen: Die feministische Bewegung macht sich für eine neue gemeinsame Zukunft stark, um der Pinochet-Verfassung ein Ende zu setzen. Auch die baldige Abstimmung über die neue Verfassung war ein wichtiges Thema der Mobilisierung für den 8. März dieses Jahres. Denn wir wissen, dass es vor allem die Frauen und Minderheiten sind, die diese neue demokratische Verfassung tragen.

Ziel der feministischen Bewegung ist es, den verfassunggebenden Prozess aktiv zu gestalten. Wie würdest du diese Erfahrung aus Perspektive der sozialen Bewegung beschreiben?
Wir haben bewusst einen radikal-aktivistischen Standpunkt innerhalb der Bewegung eingenommen. Und dabei erkennen wir neben dem politischen Aktivismus innerhalb der Parteien auch das Engagement innerhalb der Kollektive und der verschiedenen sozialen Gruppen an. Von dieser gemeinschaftlichen Perspektive ausgehend wollen wir Netzwerke knüpfen, die unsere gesamte Diversität abbilden. Unser Feminismus ist eine Politik der Allianzen verschiedener Feministinnen mit unterschiedlichen politischen Schwerpunkten. Unsere gemeinsame Aufgabe ist es, die autoritären neoliberalen Strukturen abzubauen und stattdessen eine nachhaltige Demokratisierung der Politik zu erzeugen. Die stärkste politische Mobilisierung in Chile geht heute von den feministischen Gruppen aus. Wir sehen uns als Teil einer weltweiten Bewegung und glauben, dass der verfassunggebende Prozess in Chile ein bedeutendes und vorbildhaftes Experiment feministischer Politik ist.

Inwiefern bringen die sozialen Bewegungen die Vielfalt der feministischen Forderungen in den Verfassungskonvent ein?
Wir spüren noch immer die Folgen der Pandemie. Sie hat es uns unmöglich gemacht, auf die Straße zu gehen und im öffentlichen Raum zu agieren, wie wir es die Jahre zuvor getan haben; vor allem bei der sozialen Revolte 2019. Für uns ist es von großer Bedeutung, dass die Fortschritte des Verfassungskonvents von einer permanenten politischen Mobilisierung begleitet werden, was nicht leicht ist, denn viele umweltpolitische und gewerkschaftliche Gruppen sind derzeit geschwächt. Die neue chilenische Verfassung muss dem extremen Neoliberalismus und der extraktivistischen Gewalt, die ganze Gemeinschaften und Gebiete zerstört hat, Einhalt gebieten. In diesen ökologischen Themen überschneiden sich die Ökofeministinnen mit den Vertreter*innen anderer politischer Gruppen. Es ist unbedingt notwendig, dass der verfassungsgebende Prozess von dieser Art politischen Drucks begleitet wird.

Wie könnte sich die Rolle der feministischen Bewegungen mit der neuen Regierung unter der Präsidentschaft von Gabriel Boric verändern?
Die feministische Mobilisierung spielte während der Kampagne für die Stichwahl eine wichtige Rolle. Denn uns allen war klar, dass die neue Regierung die Bedingungen für den Aufbau der neuen chilenischen Verfassung gestalten würde. Unsere Kampagne trug Früchte: Es waren vor allem die Stimmen von jungen Frauen, die Boric zum Sieg verhalfen. Aber trotz dieses Erfolgs werden wir sehr genau beobachten, ob die neue Regierung ihre Versprechen umsetzt und wir werden nicht aufhören, auf die Straße zu gehen. Die sozialen Bewegungen müssen ihre Autonomie bewahren und sich weiterhin jenseits der politischen Institutionen engagieren, ohne dabei den historischen politischen Transformationsprozess, der Antwort auf die Krise der sozialen Reproduktion ist, aus den Augen zu verlieren.

TRIUMPH DER SOZIALEN BEWEGUNGEN

„Schluss mit der Represssion!“ Kreativer Protest gegen das Gesetz 5.272 (Foto: Didy Aceituno)

Ausgerechnet am 8. März – dem Internationalen Frauentag – verabschiedete der Kongress in Guatemala das Gesetz 5.272 und das sogenannte Dekret 18-2022 „Zum Schutz des Lebens und der Familie“. 101 Abgeordnete stimmten dafür, acht dagegen, 43 enthielten sich. Einen Tag später erklärte der Präsident Alejandro Giammattei Guatemala-Stadt zur „Pro-Life Hauptstadt Iberoamerikas“. Dazu fand ein feierlicher Akt statt, angeführt vom Präsident Giammattei selbst sowie der Vorsitzenden des Kongresses, Shirley Rivera. Doch die Präsenz und Stärke von feministischen Kollektiven und sozialen Organisationen aus verschiedenen Bevölkerungsschichten, die auf der Straße ihre Ablehnung gegen das rechts- und verfassungswidrige Gesetz deutlich machten, zeigte Wirkung: Der Rücknahme des Gesetzes eine Woche später stimmte wieder die große Mehrheit der Abgeordneten zu, obwohl sie zuvor selbst für das Gesetz gestimmt hatten.

Das besagte Gesetz war Ausdruck der konservativen Agenda der politischen Bündnisse, von denen Guatemala regiert wird und die gegen Frauenrechte und Rechte von queeren Menschen vorgehen. Das Gesetz wurde in Angesicht der Erfolge feministischer Bewegungen in Lateinamerika erlassen. Zu diesen Erfolgen gehören die Legalisierung von Abtreibung in Argentinien und in einigen Bundesstaaten Mexikos sowie jüngst die Zustimmung des Verfassungskonvents in Chile zur Aufnahme des Rechts auf Abtreibung in den Entwurf für die neue Verfassung.

Das Gesetz verbietet die gleichgeschlechtliche Ehe – obwohl die nie legalisiert wurde

Das Gesetz sah die Erhöhung der Haftstrafen für Schwangerschaftsabbrüche auf bis zu zehn Jahre vor sowie die strafrechtliche Verfolgung von Personen, die Abtreibungsdienste aufsuchen oder anbieten. Außerdem erhöhte sich durch das Gesetz das Risiko einer Gefängnisstrafe im Falle einer Fehlgeburt, da es für die Betroffenen schwierig ist, zu beweisen, dass es sich hierbei nicht um einen absichtlich herbeigeführten Schwangerschaftsabbruch handelt. Außerdem lehnte das Gesetz jegliche Formen des Zusammenlebens, die von der heterosexuellen und cisgeschlechtlichen Norm abweichen, als „nicht normal“ und „unvereinbar mit der christlichen Moral“ ab. Es verbot explizit eingetragene Lebenspartnerschaften ebenso wie die gleichgeschlechtliche Ehe. Sämtliche Formen von Aggressionen und Hassverbrechen gegen LGBTIQ-Personen wurden legitimiert, in dem das Gesetz die strafrechtliche Verfolgung solcher Taten verbot. Außerdem wurde Sexualkundeunterricht in Schulen verboten und das Konzept von Familie beschränkt.

Sandra Morán ist Feministin, lesbisch und Aktivistin und saß von 2016 bis 2019 für die linke Partei Convergencia im guatemaltekischen Kongress. Morán hat öffentliche Positionen besetzt und Gesetzesinitiativen, die Frauen- und Kinderrechte sowie die Rechte queerer Personen stärken, angestoßen und verteidigt. Bereits während ihrer Zeit als Abgeordnete hat sie sich gegen die Initiative 5.272 ausgesprochen, die die Regierung schon seit 2017 einzuführen versucht. Außerdem ist sie Mitglied der Gruppe Mujeres con Poder Constituyente („Frauen mit verfassungsgebender Macht“), die sich in Guatemala für eine neue Verfassung einsetzt.

Auf die Frage, wie es gelungen ist, dass das besagte Gesetz vom selben Kongress zurückgenommen wurde, der ihm zuvor zugestimmt hat, sagt Sandra Morán: „Es klingt beschämend und das ist es auch. Es ist genauso skandalös, wie es auch der Inhalt des Gesetzes war.“ Die ehemalige Abgeordnete berichtet, dass es 2017 gelungen sei, ein Gesetz zur Änderung von zwei Artikeln des Strafgesetzbuchs zur Verringerung der Strafen bei Korruptionsdelikten zu verhindern. Damit war ein Präzedenzfall geschaffen, von dem nun erneut Gebrauch gemacht wurde, um die Rücknahme des Gesetzes zu erzwingen. Damit ein Gesetz in Kraft treten kann, muss es innerhalb von zehn Tagen von der Exekutive bestätigt werden. In diesem Zeitraum wurden die Ablehnungsbekundungen der Bevölkerung im Land und auch der internationalen Gemeinschaft unüberhörbar. Diejenigen, die das Gesetz beschlossen hatten, konnten dem öffentlichen Druck im Angesicht bevorstehender Wahlen nicht standhalten, schlussfolgert Morán. „Das Gesetz war ein technischer Irrtum und aus mehreren Gründen verfassungswidrig“, erklärt die Aktivistin. So wurde beispielsweise politischen Mandatsträger*innen untersagt, an internationalen Veranstaltungen teilzunehmen, wenn diese eine andere als die im Gesetz festgelegte Meinung verträten. „In Fragen der internationalen Politik ist es nicht angebracht, dass der Kongress die politische Meinung des Präsidenten in diesem Bereich bestimmt“, erläutert Morán. Das Gesetz verletzte außerdem die Rechte von Mädchen, Frauen und nicht-binären Personen sowie von Jugendlichen und Kindern. Der Sexualkundeunterricht an Schulen werde verboten und das alles unter dem Vorwand, das ungeborene Leben zu schützen. Es handele sich um ein Gesetz, das Trans- und Homofeindlichkeit unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit offen zuließe. Das Gesetz bestärke die Heteronormativität der Gesellschaft, indem es die traditionelle Familie als Mann und Frau, „die so geboren wurden“, definiere, die Existenz von trans Personen verbiete und die 14 restlichen Familienformen, die es laut der letzten Volkszählung in Guatemala gibt, außenvorlasse. „Die Initiative“, betont Morán außerdem, „verbietet die gleichgeschlechtliche Ehe – obwohl die noch nicht mal legalisiert wurde, nur für den Fall – ebenso wie die Anerkennung von Lebenspartnerschaften.“

Breite Solidarität im Kampf gegen Unterdrückung, Gewalt und Hass


Es handele sich um ein Gesetz der evangelikalen Pfingstkirchen, das die fundamentalistische Agenda der rechtsgerichteten Partei Visión con Valores (VIVA) zum Ausdruck bringe: „Seit Langem versucht diese Partei, die Ausweitung der Frauenrechte zu verhindern und den Vormarsch des Feminismus zu unterbinden und zu kontrollieren, weil sie sieht, dass die Bewegung sehr stark ist. Das Gesetz, mit dem die Regierenden vorgeben, das Leben und die Familie schützen zu wollten, ist ein Beispiel für diese Reaktion auf organisierten Aktivismus.“ Morán gibt zu bedenken, dass das Gesetz möglicherweise erneut vorgelegt wird. Schließlich basiere es auf einer Denkweise, die ebendiese verfassungswidrigen Handlungen auf die Agenda setzt, die sie und andere Aktivist*innen seit 2017 anprangern. Im Fall des Gesetzes 5.272 hatten sogar einige Organisationen, die sich gegen Frauen- und Abtreibungsrechte aussprechen, auf dessen Verfassungswidrigkeit hingewiesen. Dennoch haben die Abgeordneten das Gesetz beschlossen, betont Morán und skizziert das weitere Vorgehen: „Jetzt müssen wir eine Strafanzeige gegen die 101 Personen stellen, die dafür gestimmt haben, wegen Pflichtverletzung und Verstoßes gegen die Verfassung, die zu respektieren sie geschworen haben.“

Nach Zahlen der Beobachtungsstelle für reproduktive Gesundheit in Guatemala wurden im Jahr 2021 mehr als 65.000 Mädchen und junge Frauen unter 19 Jahren schwanger, häufig als Folge einer Vergewaltigung. 2.041 davon waren unter 14 Jahre alt, viele starben bei der Geburt. 70 Prozent der Betroffenen leben in Armut und jedes zweite Kind leidet an chronischer Unterernährung. Es sei paradox, so Sandra Morán, dass die Regierung das Land zur iberoamerikanischen Hauptstadt des Lebens und der Familie erkläre, während die Menschen in Wirklichkeit erschöpft seien und Hunger litten. Gerade jetzt, wo inmitten der unsicheren Weltlage auch noch die Preise für Grundnahrungsmittel in die Höhe schnellen.

Viele Menschen sind mit der extrem konservativen Politik nicht einverstanden und gingen deshalb gegen das Gesetz auf die Straße und demonstrieren. Morán erzählt, dass die jüngere Bevölkerung nicht mehr in einem Klima der Unterdrückung, der Gewalt und des Hasses aufwachsen will. Sie begrüßt es, dass sich in den letzten Wochen auch Männer, Jugendliche, Studierende und die indigene Bevölkerung öffentlich zu Wort gemeldet haben, um ihre Solidarität in diesem Kampf zu signalisieren. „Das erschien mir wichtig, denn vorher waren wir zersplittert, doch jetzt ist Zeit für mehr Einigkeit.“ Aufgrund von Verfolgung und Schikanierung habe es lange keine Massendemonstrationen mehr gegeben. Jetzt sieht die ehemalige Abgeordnete Fortschritte im Hinblick auf die Wiederherstellung einer breiteren Bewegung. Diese sei auch bitternötig, angesichts politischer Situation in Guatemala: „Sie wollen uns im Vorfeld der Wahlen eine Lektion erteilen, um die Schaffung eines kriminellen oligarchischen Staates voranzutreiben. Ein Staat, der von militärischen Kriegsmördern, korrupten Politikern, Drogenhändlern und evangelikalen Kirchen getragen wird. Das ist das Bündnis, das Guatemala seit zwölf Jahren regiert.“

„FÜR DAS LEBEN, DAS SIE UNS SCHULDEN“

“Für meine Oma, für meine Mama, für meine Schwester” Der 8M-Demonstrationszug auf der Alameda (Foto: Josefa Jiménez)

«Manchmal reicht ein einziger Tag oder ein einziges Symbol aus
um zu verstehen, dass alles politisch ist; dass alles 
äußerst politisch für die Frauen ist. Und dann werden wir
uns vielleicht eines Tages alle wieder treffen und lernen,
wie wir unsere künftigen Alleen füllen.»
Julieta Kirkwood (chilenische Soziologin und
feministische Aktivistin, 1936-1985)

Zwei Jahre nach Beginn der Pandemie, am 8. März 2022, versammelten wir uns wieder: Tausende von Frauen protestierten in den Straßen Lateinamerikas und füllten die Alleen. In Chile steht dieser 8. März im feministischen Kontext der vergangenen Jahre. Dazu gehört nicht nur die Pandemie, sondern auch die im Oktober 2019 von Schüler*innen begonnene Revolte und der feministische Mai im Jahr 2018, als Studierende ein Ende der sexuellen Belästigung von Frauen und der Vertuschung dieser in den Bildungseinrichtungen forderten (siehe LN 528).

Der März ist in Chile immer ein wichtiger Monat für die Politik und die sozialen Bewegungen, weil nach der Sommerpause Arbeits- und Schulalltag wieder anlaufen. In diesem Jahr begannen gleichzeitig die letzten Tage von Präsident Sebastián Piñera im Amt. Er gilt als der schlechteste Präsident Chiles seit der Rückkehr zur Demokratie.

Die systematischen Menschenrechtsverletzungen, vor allem die Gewalt gegen Studierende, Professor*innen und Arbeiter*innen während der Revolte (siehe LN 547), haben gezeigt, wie unfähig Piñera war, zu regieren. Sie haben außerdem klar gemacht, dass er ökonomische Interessen über das Leben, die Gesundheit, Arbeit, Bildung und Würde stellt. Genau deshalb lautet das Motto, das wir Feministinnen für diesen 8. März gewählt haben: Vamos por la vida que nos deben („Setzen wir uns für das Leben ein, das sie uns schulden“). In diesem Rahmen haben wir unseren Nicht-Präsidenten Piñera am 7. März mit der Aufführung der Performance „Ein Vergewaltiger auf deinem Weg“ des chilenischen Kollektivs LasTesis vor dem Präsidentenpalast La Moneda verabschiedet.

Am Nachmittag des 8. März stehe ich auf der Alameda, der zentralen Verkehrsader von Santiago de Chile. Die Demonstration soll um 17.30 Uhr losgehen und vier Kilometer von der Plaza Dignidad bis zur Straße Echaurren ziehen. Schon um 16 Uhr sind in dieser Gegend der Stadt Hunderte Frauen verschiedener Generationen auf den Straßen. Zuvor haben einige von ihnen vor Frauengefängnissen demonstriert, darunter auch Fabiola von der Frauenkooperative Manos Libres. Sie erzählt: „Am 6. März haben wir mit unterschiedlichsten feministischen Organisationen zum dritten Mal zu einer Kundgebung vor dem Frauengefängnis von San Joaquín aufgerufen. Es ging uns auch um eine dringende basisfeministische Positionierung gegen den Kapitalismus, die Gewalt des Staates und die politische Verfolgung aller, die kämpfen. Denn das Gefängnissystem ist ein patriarchales System und der Kampf hört erst dann auf, wenn wir alle frei sind“. Andere Frauen, die sich für das Recht auf ein Wohnen in Würde einsetzen, haben Straßen blockiert. Feministische Gruppen verteilen Zeitungen und Infomaterial über den 8. März und geschlechtsspezifische Gewalt. Unterschiedlichste Frauen demonstrieren an diesem Tag gemeinsam für ein Ende der sexualisierten patriarchalen Gewalt.

„Wir sind als Frauen und Arbeiterinnen zu dieser 8. März-Demo gekommen“, erzählt Verónica González. Sie ist Teil der Versammlung selbstorganisierter Arbeiterinnen des chilenischen Statistikinstituts INE. „Wir alle erleben die Ungerechtigkeiten, die es in unserem Land, in unserer Gesellschaft gibt. Dazu gehören zum Beispiel die ungleich verteilte Care-Arbeit und die daraus folgende doppelte Arbeitsbelastung für Frauen. Wir als Angestellte des Statistikinstituts wissen, welche Bedeutung eine geschlechtsspezifische Perspektive auf unsere Arbeit hat: Wir selbst erstellen Statistiken über Prekarisierung und die Feminisierung bestimmter Arten von Arbeit.“

Die wichtigsten Forderungen, die von den Universitätsbesetzungen im feministischen Mai 2018 und von der Revolte 2019 ausgingen, werden auch an diesem 8. März auf die Straßen getragen. Sie lauten: „Abtreibung ja, Abtreibung nein, das entscheide ich“, „Wir brauchen dringend eine feministische und queere Erziehung“, „Nein heißt Nein (No es No)! Welchen Teil hast du nicht verstanden, das N oder das O?“ und „Piñera soll sterben, nicht meine Freundin“.

Feministischer Druck auf die Institutionen – von innen und außen

Die Revolte von 2019 hat in Chile einen historischen Prozess angestoßen, bis hin zur Erarbeitung einer neuen Verfassung. Wir Feministinnen haben uns erstmals an einem solchen Prozess beteiligt und etwas historisch Neues geschaffen: Wir nehmen an diesem institutionellen Prozess von innen und von außen teil – auf der Straße und im Verfassungskonvent. „In diesem Jahr haben wir gemeinsam mit Vertreterinnen im Verfassungskonvent demonstriert“, erzählt Javiera Manzi von der feministischen Dachorganisation Coordinadora 8M. „Die Demo wurde damit gleichzeitig zum Auftakt unserer Kampagne für die Annahme der neuen Verfassung im Plebiszit. Elisa Loncon (Vertreterin im Verfassungskonvent, Anm. d. Übers.) hat den Demonstrierenden zugerufen: „für ein entschlossenes und überzeugtes Ja (Apruebo) im Abschlussplebiszit!“ Dieser Meilenstein der feministischen Bewegung ist auch Ausdruck des Wunsches, sich überall zu erheben: auf den Straßen, in Prozessen wie dem für eine neue Verfassung und in allen jenen Räumen, die wir schon heute einnehmen, um die staatlichen Strukturen zu verändern“, so Manzi.

Gleichzeitig musste die feministische Bewegung im vergangenen Jahr bereits gewonnene Rechte verteidigen. José Antonio Kast, ein patriarchaler, frauenhassender und machistischer Politiker, hat versucht, uns diese Rechte im Laufe des Wahlkampfes um die Präsidentschaft abzusprechen. Zum Beispiel wollte er das Ministerium für Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter abschaffen. Um zu verhindern, dass Kast Präsident wird, setzten wir uns zusammen mit anderen sozialen Bewegungen für den Kandidaten Gabriel Boric ein, der nun am 11. März das Präsidentenamt angetreten hat. Mit ihm ist Antonia Orellana als Frauenministerin in die Regierung eingezogen. Sie ist aktive Feministin und war lange im chilenischen Netzwerk gegen Gewalt gegen Frauen (siehe LN 549) aktiv. 

Der feministische Wandel entrinnt uns, wenn er nicht in der neuen Verfassung verankert wird

Es ist wichtig, all diese Entwicklungen im Hinterkopf zu haben, um über diesen 8. März in Chile, die Politik und ihre Zerbrechlichkeit zu sprechen. Ereignisse, die auch von den feministischen Bewegungen und ihren jahrelangen Kämpfen beeinflusst werden. Doch heute sind wir ein aktiver und hoffnungsvoller Teil institutioneller Prozesse geworden. In diesen sehen wir winzig kleine Schritte eines strukturellen geschlechtergerechten und antikapitalistischen Wandels. Ein Wandel, mit dem wir das Leben bekommen, das sie uns schulden. Auch die Ernennung von Antonia Orellana zur Ministerin ist ein kleiner Schritt. Trotz der Differenzen, die unseren Feminismen innewohnen, macht sie Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Doch als feministische Bewegung heißt es, wachsam zu bleiben. „Zum 8. März gab es eine breite Mobilisierung. Das freut uns, denn es ist eine Art, zu zeigen, dass unsere Erfahrungen ernst genommen werden. So erreichen wir auch die neue Regierung, die sich selbst feministisch nennt“, meint auch Verónica González. Trotz allem: Auf der Straße, in den Haushalten, in Schulen und auf der Arbeit erfahren Frauen weiterhin Gewalt. Sie werden objektifiziert, für häusliche Arbeiten nicht bezahlt, man überlässt ihnen allein die Verantwortung für die Kinder und die Alten, während man weiterhin willkürlich über die Freiheit ihrer Körper entscheidet. Alle unsere zukünftigen institutionellen Erfolge sind also nur Schritte eines tiefgründigen feministischen Wandels. Und der droht uns durch die Finger zu entrinnen, wenn er nicht in der neuen Verfassung verankert wird.

Die Demonstration zum 8. März kommt in der Straße Echaurren zu ihrem Höhepunkt. Frauen und Queers gestalten zusammen mit vielen Künstler*innen die Abschlusskundgebung mit Reden, Performances und Musik. Camila Astorga von der feministischen Gruppe La Rebelión del Cuerpo ist zufrieden: „Seit der riesigen Demo im Jahr 2020, also noch vor Beginn der Pandemie, haben wir es nicht mehr geschafft, so viele Menschen, so viele Frauen zum 8. März auf die Straße zu bringen. Das war sehr gut, wunderschön und kraftvoll.“ Sie bemängelt nur, dass nach der Demo Frauen angegangen wurden: „Für die nächsten Demos sollten wir daher mit anderen Kollektiven sprechen und eine Art Sicherheitsgruppe organisieren, um uns zu schützen und auf Aggressionen reagieren zu können“, so die Aktivistin.

Die Zeit vergeht, der 8. März bleibt zurück, aber der feministische Kampf geht weiter und wir schreiben unsere Geschichte fort. Schon eine Woche später, am 15. März, entscheidet der chilenische Verfassungskonvent, freie, legale und kostenlose Schwangerschaftsabbrüche als grundlegendes Recht in der Verfassung zu verankern. Chile könnte damit das erste Land weltweit werden, das dieses Recht explizit in der Verfassung festhält. Die Chilen*innen müssen den Verfassungstext noch im Plebiszit annehmen. Aber wir haben Vertrauen. Vertrauen in uns, in die Veränderungen und darin, uns erneut auf den Straßen zu versammeln, wie wir es die letzten Jahre jeden 8. März getan haben und weiterhin tun werden – für das Leben, das sie uns schulden.

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