
Die Atmosphäre erinnert eher an eine schlecht inszenierte Talkshow als an eine politische Konferenz. Der große Saal des Centro Cultural Kirchner im Zentrum von Buenos Aires, das bald in „Freiheitspalast“ umbenannt werden soll, ist ganz in dunkelblaues Licht gehüllt. Im Hintergrund erklingt Dudelmusik, die an eine Telefonwarteschleife erinnert. Aus dem Off begrüßt eine weibliche Stimme die Anwesenden: „In Argentinien wird ein Kampf um die Freiheit geführt, der die Zukunft aller Nationen Lateinamerikas bestimmen wird.“
Bereits der Einstieg in das Programm macht deutlich: Heute und morgen werden hier große Töne gespuckt. Es ist Anfang September, noch sind die Morgende in Buenos Aires kalt. Das sogenannte Forum Madrid hat zum zweitägigen „Regionaltreffen Río de la Plata 2024“ geladen. Gekommen sind Vertreter*innen der internationalen Ultrarechten, größtenteils aus spanischsprachigen Ländern. Die bekanntesten Namen sind die des Chefs der faschistischen Partei Vox aus dem spanischen Staat, Santiago Abascal, des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten und Vorsitzenden der chilenischen Republikaner, José Antonio Kast und der von Javier Milei.
Letzterer ist eindeutig der Star der Konferenz. Seit Ende 2023 Präsident Argentiniens, ist Milei der erste Staatschef, der als Gastgeber eines Regionaltreffens des Forum Madrid fungiert. Die Allianz, die offiziell am 26. Oktober 2020 gegründet wurde, vereint ultrarechte Parteien und Organisationen aus Spanien und Lateinamerika, doch auch Vertreter*innen aus den USA – wie die Heritage Foundation – und von europäischen rechten Parteien sind eingebunden. Die Initiative für die Gründung geht auf die Stiftung Disenso („Dissens“) zurück, die zur spanischen Vox gehört.
Als Milei als dritter Redner des noch jungen Tages an das Sprecherpult auf der hölzernen Bühne tritt, kommt tosender Applaus auf. Die Zuschauer*innen erheben sich von ihren Sitzen, jubeln, rufen in den Saal. Immer wieder wird die folgende und für Milei typisch trocken gehaltene Rede von Anfeuerungsrufen unterbrochen, die der argentinische Präsident teils mit einem Lächeln, teils mit einer Antwort quittiert. Milei genießt es, im Mittelpunkt zu stehen. Sich selbst bezeichnet er als „bekanntesten Politiker der Welt neben Donald Trump“.
Es sind nur wenige hundert Zuschauer*innen, die sich zu der Konferenz eingefunden haben. Obwohl offiziell rund 1.000 Eintrittskarten abgegeben wurden – gratis, wohlgemerkt –, sind nur wenige Sitze im großen Saal des Kulturzentrums besetzt. Dank der während fast des gesamten Programms herrschenden Dunkelheit fällt das auf den ersten Blick nicht auf. Auch die Kameras, die die Reden und Podiumsdiskussionen frei ins Internet übertragen, achten penibel darauf, dass ein gegenteiliger Eindruck entsteht.
Interesse besteht vor allem an Mileis Rede, in deren Anschluss viele die Konferenz wieder verlassen. Tatsächlich nehme Milei „eine sehr spezielle Rolle“ in der internationalen Ultrarechten ein, bestätigt auch Miquel Ramos. Der Journalist und Experte für die spanische und internationale radikale Rechte führt diese Rolle unter anderem darauf zurück, dass Milei der ultrarechten Bewegung „mit seiner zur Schau gestellten Respektlosigkeit und seiner Rolle als Fernsehpersönlichkeit“ eine Art ästhetisches Element gebe. Damit sei der argentinische Präsident für die internationale Ultrarechte „sehr nützlich“.
In Mileis Rede wird deutlich, was die in Buenos Aires Versammelten inhaltlich verbindet. Es sind weniger konkrete politische Vorschläge, als vielmehr eine eindeutige Feindmarkierung. Dieser Feind steht links, wird mal – je nach Kontext – Sozialismus, Kommunismus, Kaste, Staatspartei, mal einfach nur Diktatur genannt. Diese „Ratten an der Macht“ sähen den Politbetrieb als „eine Kiste, aus der sie sich ihr Leben lang parasitär bedienen“ könnten. Sie seien „dreckig, gescheitert und domestiziert“, tobt Milei.
Abascal, der Gründungsvater der Vernetzung zwischen spanischer und hispanoamerikanischer Ultrarechter, hatte zuvor auf den Punkt gebracht, was den Hintergedanken der Zusammenkunft darstellt. In seiner Eröffnungsrede erklärte der Vox-Chef, während „die Bösen vereint sind“, seien „wir Guten uneinig und unorganisiert“ gewesen. Von Seiten der Ultrarechten habe es früher „keine Organisation, keine Struktur, keinen Willen zur Zusammenarbeit“ gegeben. „Das war der Grund für die Gründung des Forums vor drei Jahren. Und es macht mich stolz, zu sehen, wie weit wir es gebracht haben.“ Letztlich, fassten Abascal und auch andere auf dem Kongress vertretene Politiker*innen zusammen, handle es sich um einen Kampf zwischen jenen, die „die Freiheit“ verteidigen, und dem „organisierten Verbrechen“, das die Linke repräsentiere.
„Iberosphäre“ als ideologisches Fundament
Einen zentralen Platz nimmt dafür das von der Vox-Stiftung Disenso vertretene politische Projekt der „Iberosphäre“ ein. Demnach verfügen die Länder der Iberischen Halbinsel sowie Lateinamerikas über gemeinsame Werte. Verwiesen wird auf die „gemeinsame Geschichte“ – dass es sich bei dieser Verbindung um die eines Kolonisatoren mit seinen Kolonien handelte, wird verschwiegen –, ebenso wie auf Traditionen, Bräuche, die gemeinsame Sprache und den christlichen Glauben. Verortet wird die „Iberosphäre“ eindeutig in einer „westlichen“ Tradition.
Das Gründungsmanifest des Forums, die „Charta von Madrid: in Verteidigung der Freiheit und der Demokratie in der Iberosphäre“ spricht von der Notwendigkeit der „Verteidigung des Erbes der westlichen Zivilisation, des kulturellen Vermächtnisses Spaniens in der Welt und seiner Berufung in Europa und Amerika“. Ein Teil Hispanoamerikas befinde sich in „Geiselhaft totalitärer, kommunistisch inspirierter Regime, die vom Drogenhandel und von Drittstaaten unterstützt werden, alle unter der Ägide Kubas“. Auch sozialdemokratische Regierungen wie die Mexikos, Kolumbiens oder Honduras’, aber auch die des spanischen Premiers Pedro Sánchez werden in den selben Topf geworfen. Der Journalist Ramos betont, dass die Feindmarkierung der Linken den gemeinsamen Nenner des Forum Madrid ausmache. Hinzu komme das, „was sie Identitätspolitik nennen, also die Politik der Gleichstellung von Frauen oder LGTBQ-Personen“. Darauf verweisen auch die zahlreichen Aufrufe des Forums, einen „allumfassenden Kulturkampf zur Verteidigung des Westens gegen den zerstörerischen Kulturmarxismus“ zu führen.
Denn, auch das wird beim Regionaltreffen der Allianz in Buenos Aires deutlich: Es gibt durchaus große Unterschiede zwischen den verschiedenen Akteuren. Während beispielsweise Milei den entgrenzten Kapitalismus zu seinem Flaggschiff gemacht hat, setzen Parteien wie Vox oder auch die US-Rechte um Trump auf eine protektionistische Wirtschaftspolitik.
Zuschnitt der Länder auf Kapitalinteressen
Letztlich handelt es sich jedoch um zwei Seiten der gleichen Medaille: Das Projekt der lateinamerikanischen Rechten besteht darin, die Funktion ihrer Länder auf die Bedürfnisse des Globalen Nordens zurechtzuschneiden. Konkret bedeutet das: billige Rohstofflieferanten zu sein, Spielplatz für ausländisches Kapital und Wirtschaftsräume mit günstiger Arbeitskraft, deren Beschäftigte so wenig wie möglich bürgerliche und gewerkschaftliche Rechte haben. Nutznießende sind die Kapitalvertreter*innen Ges globalen Nordens.
Es war das dritte Mal, dass das Forum Madrid in Südamerika zusammenkam. In der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá hetzten die Teilnehmer*innen 2022 gegen den damaligen Kandidaten und heutigen Präsidenten des Landes, Gustavo Petro, den sie als „Kommunisten“ brandmarkten. Im vergangenen Jahr ging es nur kurze Zeit nach der Amtsenthebung des Staatschefs Pedro Castillo ins peruanische Lima, wo das Forum den Staatsstreich verteidigte und Castillo und seiner Anhänger*innenschaft Demokratiefeindlichkeit vorwarf.
Auch bei der Zusammenkunft in Buenos Aires spielten neben den abstrakten „Warnungen“ vor der Linken aktuelle politische Entwicklungen eine wichtige Rolle. Einen besonderen Platz nahm die Situation in Venezuela im Nachgang der Präsidentschaftswahl vom Juli ein. Aus dieser war laut nationaler Wahlbehörde Amtsinhaber Nicolás Maduro als Sieger hervorgegangen. Zahlreiche Ungenauigkeiten und die Nichtveröffentlichung der Stimmzettel lassen allerdings Zweifel am offiziellen Ergebnis aufkommen (siehe LN 603/604).
Das Forum Madrid, das in der venezolanischen Regierung auch weiterhin eine Vertreterin der „internationalen Linken“ sieht, rief bereits in der Einladung zur Konferenz zur Unterstützung „des venezolanischen Volkes“ auf. Die Europäische Union wurde kritisiert, nicht genug gegen die „Maduro-Diktatur“ zu unternehmen. Beifall erhielt diese Positionierung unter anderem auch von rechtsoppositionellen Venezolaner*innen im Publikum, die jedes Mal aufjohlten, wenn Maduro als „Tyrann“ oder „Mörder“ geschmäht wurde. Auch Unterstützende des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro waren mit Nationalfahnen und einheitlichen T-Shirts gekommen. Sie forderten „Freiheit für die politischen Gefangenen des 8. Januar“, also die wegen des Umsturzversuchs gegen Präsident Luiz Inácio Lula da Silva Anfang 2023 Festgenommenen. Nur kurz vor dem Treffen in Buenos Aires hatte der brasilianische Bundesrichter Alexandre de Moraes den Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) wegen der Verbreitung von Fake-News und weil das Unternehmer von US-Milliardär Elon Musk über keine rechtliche Vertretung im Land verfügte, sperren lassen. Den Schritt kritisierten mehrere Redner*innen als „Schlag gegen die Meinungsfreiheit“.
Neben der Parteinahme für alle rechtsgerichteten Kräfte in der Region nahm auch die eindeutige Positionierung für „den Westen“ großen Raum ein. Omnipräsent waren der Krieg in der Ukraine, dem das uneingeschränkte „Recht auf Verteidigung“ zugesprochen wurde, sowie der Krieg Israels gegen Gaza, der als „Selbstverteidigung gegen den Terrorismus“ bezeichnet wurde. In der bei dem Treffen beschlossenen „Deklaration“ heißt es darüber hinaus: „Wir lehnen das Vordringen nach Lateinamerika und Europa von totalitären Mächten und Feinden des Westen ab, darunter Iran, China und Russland.“