Verschmutzt und allein gelassen

Im Norden Kolumbiens wird in mehreren Minen Kohle gefördert. Neben der Region La Guajira mit dem bekannten Tagebau El Cerrejón geschieht dies auch in der Region Cesar. Der Kohleabbau ist dort in der Hand multinationaler Unternehmen wie Glencore (aus der Schweiz) und Drummond (aus den USA). Gemäß kolumbianischer Gesetze haben diese Unternehmen gegenüber den Gemeinden eine soziale Verantwortung in Bezug auf Bildung und Infrastruktur, sie haben zudem eine Verantwortung gegenüber der Umwelt – selbst nachdem sie ihre Bergbaulizenzen zurückgegeben oder verkauft haben.

Drummond ist noch da Nach Schließung der Glencore-Minen leiden die Städte immer noch unter der Verschmutzung durch andere Minen wie El Descanso von Drummond

Glencore schloss im Jahr 2020 offiziell zwei ihrer Minen (La Jagua und Calenturitas) aufgrund der COVID-19-Pandemie sowie angeblich fehlender Ressourcen zur Fortsetzung des Bergbaus. Da die Wirtschaft der Region Cesar hochgradig abhängig von diesen Minen war, ließ ihre Schließung die meisten zuvor dort tätigen Menschen ohne Einkommensquelle zurück.

Minenarbeiter*innen auf dem Weg zur Arbeit

Ein Mangel an staatlicher Präsenz und damit an Kontrolle der Bergbauunternehmen im Hinblick auf Umweltverschmutzung und soziale Investitionen führten zur Entstehung vergessener Ort­schaften wie Boquerón.

Einfaches Spielzeug Ein Junge hat sich etwas aus recycleten Eierpackungen gebastelt
Don Guillermo, ein örtlicher Bauer hat aufgrund der Verschmutzung all seine Fische, Rinder und Mais verloren. Sie waren die einzige Einnahmequelle neben der Kohle

Regiert manchmal von Kriminellen, manchmal von Guerillakämpfern, manchmal von paramilitärischen Gruppen und manchmal von sich selbst, schafft es Boquerón, auch ohne staatliche Präsenz zu überleben. Die Straßen sind nicht asphaltiert, die Energieversorgung erstreckt sich nur auf bestimmte Haushalte und die Schule. Die Mehrheit der Bewohner von Boquerón arbeiteten in den Glencore-Minen, bevor diese geschlossen wurden. Jetzt sind die meisten arbeitslos und kämpfen jeden Tag um das Nötigste.

Unasphaltierte Straßen sind die Regel in Boquerón

Bereits im Jahr 2010 wurde Glencore vom kolumbianischen Bergbauministerium aufgefordert, die Menschen von Boquerón aufgrund der Verschmutzung durch Kohlestaub umzusiedeln. Dies ist jedoch nie geschehen, stattdessen wartete das Unternehmen elf Jahre ab, bis die zuständige Behörde im Jahr 2021 feststellte, dass Boquerón nun unterhalb des gesetzlichen Verschmutzungslimits lag. Die Einheimischen erhielten von den Bergbauunternehmen nie eine Entschädigung für die Verschmutzung. Während sie die Landwirtschaft als alternative Einkommensquelle durch die Verschmutzung verloren, existieren die Minen, für die sie immer gearbeitet hatten, nicht mehr.

Der örtliche Supermarkt Hier kaufen die Leute alles, von Reis bis hin zu Spirituosen

PACHAMAMA IN DEN ANDEN

Fotos: Jonas Klünemann

„In einem abgelegenen Teil Boliviens, weit weg von der Stadt, liegt ein Dorf namens Independencia, in dem ich aufgewachsen bin. Wir – seine Einwohner – gehören der Quechua-Kultur an.

Doña Isabel lebt als traditionelle Bäuerin, eine sogenannte Cholita

Unser Leben in den comunidades der Region steht in enger Verbindung mit der Pachamama (Mutter Erde). Für sie veranstalten wir Rituale mit Opfergaben wie die q’owa – ein verbrannter Lamafötus – und der ch’alla, das rituelle Begießen der Opfergabe mit starkem Alkohol oder Chicha, einem selbst gebrauten Maisbier. Sie werden von Tänzen begleitet, um Mutter Erde zu danken oder um ihren Segen zu erbitten. Außerdem praktizieren wir in den Gemeinden weiter die von unseren Vorfahren übernommenen Werte Ama llulla, Ama suwa und Ama qhella, was übersetzt so viel bedeutet wie „Lüge nicht, Stehle nicht, sei nicht faul“.

Don José trinkt chicha, ein selbstgebrautes Maisbier. Chicha ist wichtig für alle festlichen Momente in der Gemeinschaft, sie ist ein verbindendes Element: Es gibt nur eine Schale, die im Uhrzeigersinn herumgereicht wird und aus der alle Anwesenden trinken. Vor dem Trinken schüttet man einen Schluck auf den Boden, um die Chicha mit Pachamama zu teilen.

Es liegt in der Verantwortung unserer Bürgermeister, ihre Gemeinde auf dem richtigen Weg zu leiten und vor allem die Werte der indigenen Justiz durchzusetzen. Dazu gehört, dass Menschen, die auf Abwege geraten sind, von der Gemeinde und den Gemeindeautoritäten mit eigenen Händen bestraft werden und wieder in die Gemeinschaft eingegliedert werden müssen. Bei schlimmeren Vergehen kann es passieren, dass zum Beispiel Mörder oder Vergewaltiger bei lebendigem Leib verbrannt werden. In unserem engeren Umfeld richten wir uns überwiegend noch immer nach den Lehren unserer Großeltern.

Diese besagen etwa, dass man die eigene Kultur wertschätzen soll: die Musik der Region, die typische lokale Kleidung – wie die polleras und die aguayos (Tragetücher), die von den Frauen in den Gemeinden selbst hergestellt werden. Außerdem praktizieren wir die Prinzipien der mink’a – „Ich bekomme Essen von Dir und helfe Dir bei etwas anderem” – und der ayni – „Heute hilfst Du mir, morgen helfe ich Dir“ – bei denen wir gemeinsam arbeiten, um uns gegenseitig bei den Aufgaben in den Gemeinden zu unterstützen.

Don Angulo besitzt einen kleinen Bauernhof, auf dem er mit seiner Familie lebt. Wenn der Schulbus mal wieder ausfällt, laufen seine Kinder zwei Stunden zur Schule. Während der täglichen Arbeit auf dem Hof und auf den Feldern kaut Don Angulo Kokablätter.

In den Gemeinden verrichten die Bauern – begleitet vom Kokablatt, das sie mit Energie versorgt – Tag für Tag anstrengende Arbeit und streben so danach, etwas zum Leben zu haben.

Unsere kulturelle Identität ist fundamental mit Pachamama verknüpft, die uns jeden Tag neue Kraft gibt und uns im Kampf für eine bessere Zukunft unterstützt: ¡El pueblo unido jamás será vencido!“

Doña Maura in ihrem Garten. Auf der Wäscheleine trocknen ihre ajayo-Tücher und ihre polleras.


AN DER FRONT

Der Fotograf Emmanuel Guillén Lozano reiste mit seiner Kamera vom Norden Mexikos bis zur Südküste. Im Blick Orte, die das Verbrechen zeigen. Dort wo die organisierte Kriminalität herrscht und sich Bürger*innen selbst organisieren und zur Wehr setzen, weil die örtliche Polizei Teil des Problems ist (siehe LN 504). Manchmal scheinen seine Fotos unwirklich, die bittere Realität wird zu einem Ausschnitt aus einer Szene mexikanischen Alltags, der schwer zu fassen ist. Lozano bildet gesichts­lose Auftragskiller in einer Umgebung ab, die zu Folter und Verschwindenlassen benutzt wird.

2017 wird das gewaltsamste Jahr in der Geschichte Mexikos, bis September registrierte das Innenministerium 18.505 Morde, 866 gemeldete Entführungen und 4.315 Erpressungen. Die Lateinamerika Nachrichten zeigen eine Auswahl des Fotografen.

Weitere Bilder: www.emmanuelguillen.com

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