EVO MORALES IM ABWÄRTSTREND

Konfrontation Protest in La Paz im Oktober (Foto: Paulo Fabre via wikimedia, CC BY-SA 4.0)

„Ich habe dreimal Evo Morales gewählt“, erklärte mir eine Bekannte kurz nach der Wahl in einem mondänen Café im reichen Süden von La Paz und seufzte, „dieses Mal ging es wirklich nicht mehr, aber Carlos Mesa konnte man eigentlich auch nicht wählen.“ Das Statement bringt das ganze Dilemma derjenigen zum Ausdruck, die in der Präsidentschaftswahl gerne Kandidat*innen gesehen hätten, die sich mit Vorschlägen, wie sie das Land gestalten wollten, einbringen. Stattdessen wurde seit Anfang des Jahres in Bolivien vor allem darüber gestritten, wer ein legitimer Kandidat für die Wahlen sei.
Evo Morales lastet ganz klar der Makel an, dass er in einem Referendum 2016 kein Mandat für eine weitere Wiederwahl erhalten hatte. Eine knappe Mehrheit stimmte damals gegen eine Verfassungsänderung. Damit blieb die Amtszeit eines Präsidenten oder einer Präsidentin auf zwei direkt aufeinanderfolgende Wahlperioden beschränkt. Das Verfassungsgericht hebelte diese Regelung Ende 2018 für Evo Morales aus und ebnete so den Weg zur erneuten Kandidatur.
Das umstrittene Wahlergebnis liegt im Rahmen des Erwartbaren. Evo Morales verlor massiv an Stimmen, blieb dennoch mit Abstand Wahlsieger, der zweitplatzierte rechtskonservative Carlos Mesa schnitt etwas stärker ab als erwartet. Auf dem dritten Platz landete als Überraschungskandidat Chi Hyun Chung, der durch sein strikt konservatives, antifeministisches und homophobes Familienbild den Kandidat der Cruzeños, (der Tieflandbewohner*innen um Santa Cruz) Oscar Ortíz, auf den vierten Platz verwies.
Da es bei der Auszählung der Stimmen am Wahlabend des 20. Oktober zu Unstimmigkeiten kam – zunächst lag Carlos Mesa nur sieben Punkte hinter Evo Morales, am nächsten Tag waren es mehr als zehn Prozentpunkte – akzeptierte die Opposition das Ergebnis nicht. Bereits vor den Wahlen hatte die Opposition eine reguläre Durchführung der Wahlen angezweifelt und verkündet, es würde ein Wahlbetrug organisiert. Am Montag nach den Wahlen kam es im Süden des Landes, in Potosí, Sucre und Tarija zu heftigen Ausschreitungen. Es wurden Straßenbarrikaden errichtet und Büros der Wahlbehörde in Brand gesetzt.

In Santa Cruz rief die Opposition zu einer unbefristeten Blockade auf


In Santa Cruz rief die Opposition zu einer unbefristeten Blockade auf. Seitdem ist die Wirtschaftsmetropole des Landes paralysiert. Auch im Süden des Landes gibt es Blockaden und Proteste. In anderen Regionen, wie dem Regierungssitz La Paz, gibt es zwar Proteste, diese haben bisher jedoch nicht die gleiche Kraft entfaltet. Hier kommt es bisher nur teilweise zu Störungen des öffentlichen Lebens, vor allem wegen Demonstrationen nahe des Regierungspalastes. In El Alto, der zweitgrößten Stadt, die indigen geprägt ist, verläuft das Leben weitgehend normal. Im Panorama der Proteste spiegelt sich die Spaltung des Landes wider, die sich bereits in den Wahlergebnissen zeigten.
„Man kann den Verschleiß von Evo Morales und seine Entfernung von der Bevölkerung nicht mehr leugnen“, meint der Journalist Julio Prado und ergänzt: „Er kam an die Macht, weil er einmal Teil der einfachen Leute war. Aber in den vergangenen fünf Jahren hat er keinen Kontakt mehr zu den Leuten.“ In der Tat haben sich Regierung und Präsident in der vergangenen Regierungsperiode weiter von einer Regierung mit Beteiligung der sozialen und indigenen Bewegungen entfernt und immer mehr mit traditionellen Methoden des Machterhalts regiert. Es handelt sich hier um eine Rückkehr der paternalistischen Republik, in der klientelistische Strukturen und Loyalitätsverhältnisse eine wichtigere Rolle spielen als themenorientierte Politik. Unter diesen Bedingungen ist eine Polarisierung entstanden, die, so der Wirtschaftswissenschaftler Huáscar Salazar, „die Kämpfe wie den Widerstand gegen den Extraktivismus tendenziell unsichtbar macht.“
Das Regierungshandeln basiert schon seit längerer Zeit auf der Vertiefung eines extraktivistischen Wirtschaftsmodells auf der Basis der Ausbeutung von Rohstoffen. Forderungen wie die Autonomie indigener Gebiete, der Schutz von Mutter Erde, einer alternativen wirtschaftlichen Entwicklung oder der Bildungsreform, wurden weitgehend ins Reich der Sonntagsreden verwiesen. Für Gabriel Villalba, ein junger Anwalt aus La Paz und MAS-Anhänger, ist diese Politik notwendig: „Es ist blauäugig, zu glauben, dass ein alternatives Wirtschaftsmodell ohne eine wirtschaftliche Entwicklung möglich ist. Zuerst müssen wir die Wirtschaft mit der Ausbeutung der Ressourcen entwickeln, und dann können wir über Alternativen nachdenken. Wir haben in den vergangenen Jahren große Erfolge erzielt.“

Experten*innen der OAS zählen die Stimmen aufgrund der Wahlbetrugsvorwürfe erneut aus


Die MAS, Partei von Evo Morales, setzte im Wahlkampf von Anfang an darauf, dass die gute Wirtschaftslage ausreichen würde, um die Wähler*innen zu überzeugen, dass es gut sei, weitere fünf Jahre mit der MAS zu leben.
Seit Anfang November ist klar: Es ist alles andere als sicher, ob Morales auch die nächsten fünf Jahre an der Macht bleibt. Im Moment zählen Expert*innen der OAS die Stimmen aufgrund der Wahlbetrugsvorwürfe erneut aus. Das Ergebnis wird in den kommenden Tagen erwartet. Die Opposition hat jedoch bereits angekündigt, dass sie das Ergebnis nur dann anerkennt, wenn die OAS einen Wahlbetrug feststellt und die Wahl annulliert. Zudem werden seit einigen Tagen die Stimmen immer lauter, die einen sofortigen Rücktritt von Evo Morales fordern. Das zeigt, dass in der Opposition immer mehr radikale Kräfte die Oberhand gewinnen. Inzwischen hat Fernando Camacho, Vorsitzender des Bürgerkomitees von Santa Cruz, den Präsidentschaftskandidaten Carlos Mesa als Oppositionsführer in der öffentlichen Erscheinung abgelöst. Der frühere Vorsitzende der Jugendvereinigung Santa Cruz (Unión Juvenil Cruceñista), einer paramilitärisch organisierten ultrarechten Gruppe, die zu Beginn der Regierung von Morales mit rassistischen Aktionen gegen Indigene auf sich aufmerksam machte, redet bei den Versammlungen gerne mit der Bibel in der Hand. Er hat inzwischen offen zum Sturz der Regierung aufgerufen und gebärdet sich in Anlehnung an Venezuelas Oppositionsführer als bolivianischer Guaidó. Im Gegensatz zu Mesa kann Camacho jedoch noch weniger im Hochland punkten, damit hat sich die Spaltung auch regional verfestigt.
Die MAS schart derweil ihre Anhänger*innen um sich. Das sind vor allem die sozialen Organisationen, die seit Jahren im Bündnis mit der Regierung stehen, wie die Frauenorganisation Bartolina Sisa, die nationale Koordination für den Wandel (CONALCAM) oder den Gewerkschaftsverband COB. Das Problem dabei: Die Politik der vergangenen Jahre und die Strategie der Spaltung hat die Loyalitätsverhältnisse innerhalb der Gewerkschaft zur MAS ausgehöhlt. Ein Resultat ist, dass der Gewerkschaftsverband COB in seiner Position gespalten ist. Während die nationale Führung hinter Morales steht, haben sich einige regionale Verbände der Opposition angeschlossen. Auch innerhalb der indigenen Bevölkerung genießt die Regierung lange nicht mehr den Rückhalt.
Die Opposition hat ein größeres Interesse an einer Verschärfung des Konflikts auf der Straße, denn nur so kann sie den Druck auf Morales aufrecht erhalten. Immer wieder kommt es zu heftigen Zusammenstößen zwischen Regierungsanhänger*innen und Oppositionellen. Am 6. November starb in Cochabamba ein Demonstrant, der dritte Tote im bisherigen Konflikt. In diesen Tagen ist der ultrarechte Fernando Camacho erneut nach La Paz gereist. Dort hat er mit den oppositionellen Cocaleros (Bewegung der Cocabäuerinnen und -bauern) eine Verbrüderung inszeniert.

Die Opposition hat ein Interesse an einer Verschärfung des Konflikts auf der Straße


Es scheint so, als ob er schnell eine Entscheidung sucht und den Druck jetzt am Regierungssitz konzentrieren will. „Bis 11. November wird Evo Morales zurücktreten“, hat er angekündigt und ergänzt, „ich bleibe in La Paz, bis die Regierung abgedankt hat.“ Ob die Strategie der Spannung aufgeht, ist jedoch ungewiss. Bisher sind die Truppen, die er in La Paz aufbieten kann, begrenzt. Die Studierenden der Universität UMSA in La Paz haben wenig Kampferfahrung und die Organisation der Kokabäuerinnen und -bauern, ADEPCOCA, mit der er sich verbündet hat, ist durch interne Auseinandersetzungen geschwächt. Die Mittel- und Oberschicht aus den Stadtvierteln Zona Sur und Sopocachi organisieren Blockaden, die aber oft nur von neun bis fünf und mit Mittagspause stattfinden.

Die verschiedenen Fraktionen der Opposition sind sich nur in der Ablehnung von Evo Morales einig

Zudem gibt es einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung, die zwar Morales nicht mehr wollen, Camacho aber noch weniger. Viele wollen Camacho nicht folgen, vor allem in La Paz nicht und im indigenen El Alto noch weniger. Die Radikalisierung der Opposition zeigt ihre Schwäche. Denn die verschiedenen Fraktionen einigen sich in der Ablehnung von Evo Morales, ansonsten sind sie aber zersplittert.
Allmählich beginnt sich die Position stärker zu artikulieren, die sich auf keine der beiden Seiten stellt. Maria Galindo, bekannte Feministin in Bolivien, machte bereits vor der Wahl deutlich, dass sie keinen der „Streithähne“ für wählbar hält. Dafür wurde sie von den Evo-Gegner*innen heftig ausgebuht. Fernando Camacho hält sie für einen Faschisten, der weder Frauen, noch die Rechte der Indigenen respektiert. Es sind vor allem Frauen, die in den vergangenen Wochen Versammlungen im ganzen Land organisierten, um alternative Positionen zu bestimmen. Shezenia Hannover, Aktivistin aus El Alto: „In der jetzigen Situation ist es wichtig, die Zivilgesellschaft zu stärken, damit wir die soziale Kontrolle zurück gewinnen und bestimmen können, wer regiert.“ Im Moment scheint es jedoch unmöglich, mit einer themenorientierten Position durchzudringen. Der Journalist Julio Prado sieht hier erst eine Möglichkeit in ein bis zwei Jahren: „Sollte Morales im Amt bleiben, dann bestünde die Möglichkeit, dass sich die Gesellschaft reorganisiert und in zwei Jahren ein Abwahlverfahren organisiert, das wäre laut Verfassung möglich.“

 

WIRTSCHAFT GUT, EVO GUT

„Bolivien sagt Nein“ Slogan des Außenseiterkandidaten Oscar Ortíz (Foto: Paula Fischer)

Die ausgedehnten Waldbrände überschatten Evo Morales’ jüngste Erfolge: Händeschütteln auf der Expocruz, der größten Messe Boliviens, Blitzlichtgewitter, zufriedene Gesichter. Boliviens Präsident verkündete im Juli, dass man mit China übereingekommen sei, Rindfleisch dorthin zu exportieren. Óscar Ciro Pereyra, Präsident der bolivianischen Viehzuchtvereinigung Congabol, zeigte sich hoch erfreut über den Deal. Zur gleichen Zeit unterzeichnete der Präsident ein Dekret, das in den Departamentos Santa Cruz de la Sierra und Beni „kontrollierte Feuer“ im Rahmen des Modells der nachhaltigen Bewirtschaftung des Waldes zuließ, um die landwirtschaftlichen Flächen des Landes zu erweitern. Was dann geschah, waren keine kontrollierten Feuer, sondern ein Flächenbrand in den Trockenwäldern der Chiquitanía im Osten des Landes, der eine Fläche etwa der Größe Brandenburgs vernichtet hat. Jeder Hektar mehr kostet Morales Stimmen. Wirtschaftsexpert*innen warnen schon, dass das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts sich durch die Feuer von den vorhergesagten vier Prozent in diesem Jahr auf zwei Prozent halbieren könne.
Der Journalist Tuffi Aré aus Santa Cruz vergleicht den Wahlkampf in Bolivien mit einem Fußballspiel: „Bis zu den Waldbränden schien die MAS mit 4:2 in Führung zu liegen.“ Man versuchte das Spiel zu kontrollieren, gab sich staatstragend und hielt sich in den Auseinandersetzungen weitgehend zurück. „Jetzt könnte die Situation kippen“, denn wie überall auf der Welt macht sich auch die junge und städtische bolivianische Bevölkerung, die gut ein Drittel der Stimmen und die unentschlossenste Gruppe von Wähler*innen ausmacht, zunehmend Sorgen ums Klima.
Bringen die Feuer in der Chiquitanía den Vorsprung von Evo Morales ins Wanken? Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat die Umfragen der vergangenen fünf Jahre untersucht und kommt zum Ergebnis, dass Morales seit dem Jahr des Referendums 2016 einen Aufwärtstrend verzeichnen konnte. Im November 2016 war die Zustimmung mit 27 Prozent am niedrigsten, als der Staatschef an einer erneuten Wiederwahl festhielt, obwohl er die Abstimmung um die Verfassungsänderung verloren hatte. Seitdem ging es jedoch bergauf. Im ersten Halbjahr erreichten die Zustimmungswerte ein gutes Drittel. Der größte Widersacher von Evo Morales, Carlos Mesa, kam nach der Zusammenfassung der Umfragen lediglich im November 2018 an den Staatschef heran, als er seine Kandidatur verkündete. Seitdem verliert er an Zustimmung und liegt nun bei Zustimmungswerten von 25 bis 27 Prozent. Ein Grund dafür ist die zunehmende regionale Stärke eines weiteren Kandidaten, Oscar Ortíz von der Wähler*innenvereinigung Bolivia Dice No („Bolivien sagt Nein“), die vor allem in den Tiefland-Departamentos hohe Zustimmungswerte erreicht und landesweit auf rund zehn Prozent kommt.
Inwiefern die jeweiligen Einzelumfragen und ihre Zusammenfassung aber ein genaues Bild zeichnen, ist fraglich. Zum einen gibt es die bereits erwähnten städtischen Jungwähler*innen, die weniger an traditionelle politische Lager gebunden sind und sich in den Umfragen unentschlossen zeigen. Zum anderen gibt es die ländlichen Wähler*innen aus den sogenannten zerstreuten Regionen, die von keiner Umfrage erfasst werden. Die im Andenhochland oder im amazonischen Urwald lebende Bevölkerung hat ein anderes Wahlverhalten als die städtischen oder stadtnah lebenden Wähler*innen und macht etwa ein Fünftel der Wähler*innen aus.
Meist liegen diese abgelegenen Regionen geografisch gar nicht sehr abgeschieden. Nicht weit vom Regierungssitz La Paz entfernt, wo die Anden zerklüftet und schwer zugänglich ins Tiefland abbrechen, befinden sich kleine Bergwerkstollen. In den provisorischen Minen wird von kleinen Kooperativen oft Gold geschürft, häufig unter unsicheren Bedingungen und selten unter Einhaltung von Umweltstandards. Die mineros (Bergleute) hatten vor drei Jahren einen heftigen Konflikt mit der Zentralregierung. Mehrere Bergleute wurden von der Polizei getötet, außerdem kam der Staatssekretär Rodolfo Illanes ums Leben, als er in die Hände der protestierenden Bergleute geriet. Es ging damals um die Kontrolle des Bergbaus. Den Konflikt gewann die Bewegung zum Sozialismus (MAS) von Evo Morales, die nach dem Tod des Staatssekretärs mit harter Hand gegen die Kooperativen durchgriff. Bis heute wirkt der Konflikt nach: „Die mineros werden dennoch Evo Morales wählen“, davon ist Veronika Cardenas* überzeugt. Die junge Umweltingenieurin macht Fortbildungen mit den Kooperativen und bereist die abgelegenen Orte des Departamentos La Paz. Ihrer Meinung nach hat die MAS es geschafft, die Führungskräfte der Kooperativen auf ihre Seite zu ziehen. „In letzter Zeit sieht man öfter modernes Gerät in den Bergwerken, das kommt von der MAS“, meint sie, „die Chefs der Kooperativen sind gekauft und die werden dafür sorgen, dass die Mehrheit der Bergleute die Regierung wählen“.
Immer wieder kursieren Gerüchte, dass die MAS Gruppen von Wähler*innen gezielt in solchen Regionen platziert, um den Wahlsieg zu sichern. Grundsätzlich kann sich jede Wählerin und jeder Wähler in Bolivien registrieren lassen, wo er oder sie möchte, der Wohnort verpflichtet nicht zu dortigen Registrierung.
Ob alle abgelegenen Regionen automatisch mehrheitlich die MAS wählen, ist indes nicht ausgemacht.

„Die mineros werden dennoch Evo Morales wählen“

Grundsätzlich ist das Land gespalten. Im Tiefland haben sich Indigene auf den Weg gemacht, um gegen die Feuer im östlichen Tiefland und das Krisenmanagement der Regierung zu protestieren. Auch in den Städten herrscht ein gewisser Unmut über die Zentralregierung. Von daher könnte Tuffi Aré recht damit behalten, die verheerenden Feuer könnten den Präsidenten entscheidende Stimmen kosten, die zumindest zu einer Stichwahl führen könnten. Hunderttausende gingen wegen der Feuer am 4. Oktober in Santa Cruz auf die Straßen und forderten, Morales bei der Wahl abzustrafen. An dem Protestzug nahmen auch indigene Gruppen aus dem Amazonasgebiet teil. Um in der ersten Runde zu gewinnen, müssen mindestens 40 Prozent der Stimmen und ein Vorsprung von zehn Punkten gegenüber dem Zweit­pla­zier­ten erreicht werden._Auf der anderen Seite gibt es auf dem Land Menschen, die die Brandrodungen durchführen und im Prinzip für die Feuer verantwortlich sind. Diese wollen das Vorhaben der Regierung umsetzen, die landwirtschaftlichen Flächen in Bolivien zu erweitern. Und so vom in Aussicht stehenden Geschäft mit China profitieren.
„Natürlich hat unsere Regierungspolitik eine extraktivistische Komponente“ meint Gabriel Villalba, Anwalt und Aktivist der MAS, „alles andere wäre blauäugig.“ Die Ausbeutung der Ressourcen sei notwendig, um das Land zu entwickeln, „erst in einer zweiten Stufe können wir darüber nachdenken, eine andere Wirtschaftsform zu entwickeln.“ Damit meint er die Idee einer gemeinschaftlichen Ökonomie, die im Regierungsprogramm der MAS steht, von der die Partei aber seit geraumer Zeit abgerückt ist. Priorität haben momentan der Bergbau, die Industrialisierung des Batterie-Grundstoffs Lithium und der Ausbau der Landwirtschaft. So hatte es der Vizepräsident Álvaro García Linera vor zwei Jahren in der Zeitung La Razón verkündet. Das Projekt der Industrialisierung Boliviens hat Evo Morales Stellvertreter erst bei einer Rede am 6. August beim Nationalfeiertag betont. Dabei erklärte er auch, dass Bolivien seiner Meinung nach mehr für den Klimaschutz tue als andere Länder, „Bolivien hat laut Weltbank 5.465 Bäume pro Einwohner, Deutschland hat 107 Bäume“. Auch beim CO2-Ausstoß liege Bolivien mit 1,9 Tonnen pro Kopf weit hinter Deutschland, wo pro Einwohner*in immerhin neun Tonnen CO2 verbraucht würden.
Während die MAS versucht, das Thema der größten Waldbrände seit Jahren in der Öffentlichkeit so klein wie möglich zu halten und hofft, dass der Spuk vor den Wahlen vorbei ist, versuchen die beiden Herausforderer Morales’, Carlos Mesa und Oscar Ortíz, naturgemäß politisches Kapital daraus zu schlagen. Beide warfen der Regierung Unfähigkeit in Sachen Brandbekämpfung vor. In der Tat hat die Regierung das Ausmaß der Feuer unterschätzt. Allerdings wissen auch Morales’ Herausforderer, dass zu einer wirtschaftlichen Entwicklung auch eine Ausweitung der landwirtschaftlichen Produktion gehört. Denn trotz der immensen Flächen, die das Land hat, importiert Bolivien noch immer Nahrungsmittel.
Im Wahlkampf bekämpfen sich Oscar Ortíz und Carlos Mesa fast schärfer untereinander, als dass sie Morales angehen. Sie haben es bisher versäumt, eine klare Abgrenzung zur Regierungspolitik im Themenfeld Wirtschaft zu finden. Carlos Mesa versucht mit Korruptionsbekämpfung zu punkten. Oscar Ortíz hat den Hauptpunkt seines Wahlprogramms im Namen seiner Wähler*innenvereinigung Bolivia Dice No zur Wiederwahl von Evo Morales. Dies bezieht sich auf das Referendum von 2016, bei dem eine knappe Mehrheit der Bolivianer*innen gegen eine mögliche Aufstellung von Evo Morales zur Wiederwahl gestimmt hatte. Entgegen dieser Entscheidung hatte das Verfassungsgericht 2017 allerdings seine erneute Kandidatur als Präsident erlaubt. Am 20. September verkündete der Ex-Sprecher der Bürger*innenplattform (Comunidad Ciudadana) von Carlos Mesa, Diego Ayo, in der Presse, Ortíz habe ihm viel Geld angeboten, um einen Krieg gegen Carlos Mesa anzuzetteln.
Die Uneinigkeit der Opposition erhöht die Chancen, dass Evo Morales die Wahl vielleicht schon in der ersten Runde gewinnt. Denn dazu kommt, dass im Land keine Wechselstimmung herrscht und über 50 Prozent glauben, dass der alte Staatslenker auch der neue sein wird. Allerdings mit einem knappen Ergebnis und eventuell einem Parlament, dass von der Opposition beherrscht wird. Denn neben dem Präsidentenamt werden auch die 36 Sitze des Senats und die 130 Mandate im Abgeordnetenhaus neu vergeben.

 

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