„WIR SIND MENSCHEN DES KAMPFES UND DES WIDERSTANDS!“

Kampf um Antworten Miriam Miranda vor der Generalstaatsanwaltschaft in Tegucigalpa (Foto: HondurasDelegation)

„Wir sind wieder einmal hier, um Gerechtigkeit zu fordern, um Freiheit zu fordern, um zu fordern, dass unsere angestammten Rechte respektiert werden. Wir sind nicht hier, um Geld zu erbitten. Wir sind Millionärinnen und Millionäre.

Wir haben die Strände, wir haben das Land, wir haben unsere Gemeingüter. Wir wollen, dass wir respektiert werden. Denn dort leben wir seit mehr als zwei Jahrhunderten. Wir lassen uns nicht sagen, dass wir von außen kommen. Wisst Ihr warum? Weil diejenigen, die dieses Land kontrollieren, noch nicht einmal seit hundert Jahren hier sind. Und doch sind sie es, die an der Macht sind. Und sie sind Teil des organisierten Verbrechens. Wir wissen genau, wer wer ist.

Als unsere Brüder aus Triunfo de la Cruz verschleppt wurden, sagten sie, es seien Drogenhändler gewesen. Das war die Lüge, die sie konstruiert haben. Der wichtigste Drogenhändler des Landes wartet in den USA auf seinen Prozess. Aber die Mafia, die Juan Orlando Hernández aufgebaut hat, ist in diesem Land lebendiger denn je, und sie muss zerschlagen werden, Compañeros und Compañeras. Wir fordern, dass diese Regierung den Auftrag erfüllt, den ihr die Bevölkerung mit der Wahl von Xiomara Castro erteilt hat.

Xiomara Castro wurde gewählt, weil die Menschen es satt hatten, von einer Narco-Diktatur regiert zu werden. In diesen Gebäuden sitzen noch deren Leute. Sie haben sie nicht (in die USA, Anm. d. Red.) mitgenommen. Wir wollen, dass die Präsidentin diese Beamten, die das Land ins Unglück gestürzt haben, abberuft. Auch deshalb sind wir hier. Diese Generalstaatsanwaltschaft hat sich der Verfolgung der Garífuna verschrieben, der Verfolgung der indigenen Gemeinschaften. Aber die großen Gauner, die Diebe, die Mörder in Anzug und Krawatte verfolgen sie nicht.

Vor zwei Jahren wurde ein Staatsverbrechen an den Garífuna begangen, als sie unsere Brüder aus Triunfo de la Cruz entführten. Letztes Jahr im Juli 2021, zum Jahrestag des Verbrechens, sind wir mit einer konkreten Petition zu der Generalstaatsanwaltschaft gegangen. Wir haben nicht einmal eine Antwort bekommen. Diese Generalstaatsanwaltschaft verachtet uns indigene Garífuna. Wir sind nicht hier, um über Geld zu sprechen. Wir wollen den politischen Willen sehen. Wir wollen Anzeichen dafür sehen, dass diese Regierung und vor allem die Verantwortlichen in dieser Regierung wirklich die Rechte der Bevölkerung stärken wollen. Sie verstecken sich dort (im Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft, Anm. d.Red.) wie Ratten.

Sie verstecken sich dort und glauben, dass wir kein Recht haben, gehört zu werden, uns mit ihnen an einen Tisch zu setzen und zu diskutieren. Um über ein so wichtiges Thema wie das gewaltsame Verschwindenlassen zu sprechen. Man hat nicht nur unsere Brüder und Schwestern entführt, sondern auch ein Verbrechen an allen Honduraner*innen verübt. Wie viele Menschen verschwinden in diesem Land!

Heute, am 9. August, dem internationalen Tag der indigenen Bevölkerungen, fordern wir von der Generalstaatsanwaltschaft erneut eine Antwort. Aber nicht nur eine Antwort. Wir wollen sie sehen!

An den Stränden, woher wir kommen, haben viele der staatlichen Funktionär*innen ihre Wochenendhäuser, sie sind Teil der Mafia, die dieses Land kontrolliert, die für uns das schlimmste Unglück bedeuten. Honduras ist ein Land, dessen Menschen im absoluten Elend leben, es ist aber ein Land mit vielen Ressourcen. Uns wird gesagt, dass es kein Geld gäbe. Womit werden denn all die millionenschweren Projekte realisiert? Natürlich gibt es in diesem Land Geld! Es ist nur in den Händen weniger und an die traut man sich nicht ran. Wir wollen sehen, dass diese Regierung Entscheidungen gegen diejenigen trifft, die sich dieses Land unter den Nagel gerissen haben.

Was denken sie, wer wir sind? Denken sie, dass wir hier sind, um beim Tanzen fotografiert zu werden? Nein! Wir sind Menschen des Kampfes und des Widerstands! Sie benutzen uns für ihre folkloristischen Tourismusprojekte, sie benutzen uns, um Geld zu verdienen. Wir haben es satt, benutzt zu werden und wir sagen es ihnen deutlich: Dies ist eine Kampfansage!“

Dieser Artikel erschien in unserem Dossier “Sein oder Schein? – Die neue progressive Welle in Lateinamerika”. Das Dossier lag der Oktober/November-Ausgabe 2022 bei und kann hier kostenlos heruntergeladen werden.

ENTFÜHRER*INNEN IN POLIZEIWESTEN

Gegen Gewaltsames Verschwindenlassen Protest auf der Straße zwischen Tela y La Ceiba (Foto: Deiby Yánes)

Es war an einem Samstagmorgen um fünf Uhr und es herrschte wegen der Corona-Pandemie Ausgangsperre, als drei Fahrzeuge ohne Nummernschilder mit Schwerbewaffneten in die Garífuna-Gemeinde Triunfo de la Cruz im Norden von Honduras einfuhren. Die Bewaffneten waren maskiert und trugen Westen der Ermittlungspolizei (DPI). Sie steuerten gezielt die Häuser von Snider Centeno, Suami Mejía, Milton Martínez, Gerardo Róchez und Junior Juarez an, holten sie zum Teil aus ihren Betten und nahmen sie ohne weitere Erklärung mit. Das geschah am 18. Juli 2020. Seither fehlt von den fünf Entführten jede Spur. Drei der jungen Männer setzten sich aktiv für die Landrechte der Garífuna ein, Snider Centeno ist zudem der Gemeinderatsvorsitzende von Triunfo de la Cruz. Die Organisation Fraternal Negra de Honduras (OFRANEH), die sich seit mehr als 40 Jahren für die Rechte der Garífuna einsetzt, spricht von einem Fall gewaltsamen Verschwindenlassens, ebenso wie das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte.

Seit dem 18. Juli fehlt von den Entführten jede Spur

„Sie wurden an einem Tag aus ihren Häusern entführt, an dem eigentlich niemand auf der Straße unterwegs sein sollte. Nur die Vertreter der Staatsgewalt, die Polizei und das Militär dürfen sich an einem frühen Samstagmorgen auf der Straße bewegen“, erläutert die Koordinatorin von OFRANEH, Miriam Miranda. Es ist daher unwahrscheinlich, dass die drei Fahrzeuge mit Bewaffneten unbeobachtet von Polizei oder Militär nach Triunfo de la Cruz gelangen konnten. Das legt nahe, dass es auf staatlicher Seite entweder Mitwissende oder selbst an der Entführung Beteiligte gibt. Doch die Ermittlungsbehörden hüllen sich in Schweigen.

Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte hat den honduranischen Staat am 6. August aufgefordert, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um den Aufenthaltsort der Entführten zu ermitteln. Am 25. August hat der Staat, wie vom Gerichtshof gefordert, einen Bericht über die bisher ergriffenen Maßnahmen vorgelegt. Allerdings ist der Bericht nach Einschätzung von Miriam Miranda absolut unzureichend: „Der Bericht sagt fast nichts. Er enthält nur Sitzungsprotokolle, aber nichts Substanzielles, was Fortschritte in den Ermittlungen zeigen würde. Wir als OFRANEH weisen diesen Bericht zurück, weil er nicht dem entspricht, was der Gerichtshof vom honduranischen Staat verlangt hat.“ OFRANEH schätzt es außerdem als problematisch ein, dass mit der DPI dieselbe Polizeibehörde in die Ermittlungen einbezogen ist, die auch am Verschwinden der fünf Männer beteiligt sein könnte. Hier würde ein Interessenskonflikt bestehen.

Über das Verschwindenlassen wird kaum berichtet

Nicht nur der honduranische Staat und die Ermittlungsbehörden schweigen, auch in den meisten Medien wird kaum über das Verschwindenlassen berichtet. Stattdessen kursieren Falschmeldungen und Diffamierungen in sozialen Medien, die die Verschwundenen mit dem Drogenhandel in Verbindung bringen – eine altbekannte Strategie, um politische Aktivist*innen zu diskreditieren. Beispielsweise passierte dies gegen den OFRANEH-Aktivisten Alfredo López aus Triunfo de la Cruz, der unter dem falschen Vorwurf des Drogenbesitzes sieben Jahre im Gefängnis verbrachte, bis der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte den honduranischen Staat dazu verurteilte, López freizulassen.

Im Fall von Snider Centeno könnte es eher so sein, dass er den Aktivitäten von kriminellen Drogenbanden in die Quere kam. Denn die geschäftlichen Aktivitäten der sogenannten narcos in Honduras sind vielfältig und beschränken sich nicht allein auf den Drogenhandel. Wie OFRANEH berichtet, hatte Centeno gemeinsam mit einer Gruppe junger Leute aus Triunfo de la Cruz versucht zu verhindern, dass Mangroven für die Anpflanzung von Ölpalmen abgebrannt werden. Illegale Ölpalmenplantagen in Naturschutzgebieten gehören zum Geschäftsportfolio von narcos. Nachdem sich die Bewohner*innen Triunfos im Sommer vergangenen Jahres der Umweltzerstörung in den Weg stellten, erhielt Centeno mehrfach Drohungen, weshalb er sich im November an den Schutzmechanismus für Menschenrechtsverteidiger*innen gewandt hatte.

Doch die Aktivitäten von Centeno und anderen Landrechtsaktivist*innen aus Triunfo de la Cruz mögen nicht nur kriminellen Drogenbanden ein Dorn im Auge gewesen sein. Es geht auch um ihren andauernden Einsatz für die kollektiven Landrechte der Garífuna und die Umsetzung eines Urteils des Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte aus dem Jahr 2015. Dieses besagt, dass der honduranische Staat dafür zu sorgen hat, dass die Gemeinde ihren kollektiven Landbesitz an angestammten Territorien zurückerhält. Innerhalb der Gemeinde gibt es nach wie vor Grundstücke, die sich – widerrechtlich – im Besitz mächtiger Oligarch*innen befinden. Ähnlich ist die Situation in der kleineren Garífuna-Gemeinde Punta Piedra, für die der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte ebenfalls die Rückgabe von Grundstücken an die Gemeinde angeordnet hat. Doch in beiden Fällen tut der honduranische Staat nichts, um den Garífuna-Gemeinden ihre Territorien zurückzugeben. Denn dazu müsste er besagte Oligarch*innen enteignen und möglicherweise entschädigen. Dass sich der Staat über das Urteil eines internationalen Gerichtshofs hinwegsetzt, kann als Freibrief verstanden werden, die Garífuna weiter von ihren angestammten Territorien zu vertreiben.

„Der Staat leugnet, dass er mit seiner Weigerung, die Verantwortung zu übernehmen und seinem fehlenden politischen Willen, die Urteile umzusetzen, die Voraussetzungen für die jetzigen Taten geschaffen hat. In diesem Moment, inmitten der Pandemie, haben Verfolgung, Repression und Gewalt gegen die Garífuna-Gemeinden zugenommen. Es ist eine Auseinandersetzung darüber, wer die Territorien der Garífuna kontrolliert“, meint Miranda. Viele der 46 Gemeinden an der Nordküste des Landes haben in den vergangenen Jahren eine Zunahme der Gewalt erlebt; allein im Jahr 2019 wurden 17 Garífuna ermordet. Erst im Juni dieses Jahres war in Punta Piedra der 71-jährige Antonio Bernardez verschwunden und nach einigen Tagen ermordet aufgefunden worden.

KOLLEKTIVE VERSORGUNG

Miriam Miranda
ist Koordinatorin der Organización Fraternal Negra Hondureña (OFRANEH), die sich seit 30 Jahren für die Rechte der Garífuna in Honduras einsetzt. Gemeinsam mit ihrer Organisation engagiert sie sich gegen Landraub und Menschenrechtsverletzungen, von denen die afroindigenen Garífuna betroffen sind. Die meisten Garífuna leben in einer der 48 Gemeinden an der Karibikküste. Doch das Territorium der Garífuna ist stark umkämpft und wird sowohl durch Gruppen der organisierten Kriminalität bedroht als auch durch touristische Großprojekte, Bergbauvorhaben sowie die neoliberalen Pläne der Regierung, Sonderwirtschaftszonen einzurichten. Allein 2019 wurden 17 Garífuna in Honduras ermordet, darunter vor allem Menschenrechtsverteidiger*innen und Umweltaktivist*innen (siehe LN 548).

(Foto: Rel-UITA Regional Latinoamericana via Flickr, CC BY 2.0)


Warum haben die Garífuna-Gemeinden angesichts der Corona-Krise beschlossen, sich selbst zu organisieren?
Wir wussten mit Sicherheit, dass es viele Tote in den Garifuna-Gemeinden geben würde, wenn wir kein eigenes System zum Schutz der Gemeinden entwickeln. Honduras wird seit dem Putsch 2009 ausgeplündert. Es wurde nie in den Gesundheitsbereich investiert. Bei einem Skandal um das Sozialversicherungsinstitut, das IHSS, wurde öffentlich, dass dieses völlig ausgenommen wurde (Anm. d. Red.: Korruptionsskandal, bei dem 2015 öffentlich wurde, dass hochrangige Funktionäre der Wirtschaft und Politik über 300 Millionen US-Dollar veruntreut haben, u.a. wurde damit 2013 die Wahlkampagne der regierenden Nationalen Partei finanziert, siehe LN 493/494). Das hat zum Zusammenbruch des Gesundheitssystems im Land geführt. Es gab so schreckliche Fälle, bei denen die Gesundheitsstationen nicht einmal eine Spritze hatten. Nicht nur in den ländlichen Gebieten, sondern sogar in den großen Städten. Außerdem erleben wir in Honduras seit Jahren eine große Krise mit dem Dengue-Fieber, an dem viele Leute sterben. Die Regierung hat das vertuscht, aber die Situation mit dem Coronavirus kann sie nicht verstecken, weil die Erkrankungen an dem Virus so exponentiell wachsen.

Wie bewerten Sie den Umgang der honduranischen Regierung mit dem Coronavirus?
Der Staat hat vor einem Monat die Strategie der „intelligenten Öffnung“ beschlossen. Es ist eine Dummheit, dem Druck der Unternehmer nachzugeben, die fordern, die Wirtschaft zu öffnen, egal, ob sich dadurch Menschen infizieren. Ich denke, dass die Öffnung der Wirtschaft den Bedingungen im Land entsprechen muss, mit der Pandemie umzugehen. Und das Gesundheitssystem in Honduras ist eine Katastrophe. Das Coronavirus entblößt dieses desaströse Gesundheits­system. Den Ärzten bleibt nur noch die Möglichkeit zu sagen: „Bitte bleibt zu Hause und kommt nicht ins Krankhaus. Es gibt keinen Platz.“ In Honduras werden Tests nur in Tegucigalpa ausgewertet, das heißt, wenn jemand in der Mosquitia oder in Gracias a Dios lebt, kommt das Testergebnis erst an, wenn die Person schon gestorben ist. Besonders schlecht ist die Gesundheitsversorgung in vielen indigenen Gemeinden. Sehr viele Misquitos sind an Corona gestorben und den Staat interessiert das nicht. Es ist schrecklich. Regierungen wie die in Honduras provozieren einen Genozid an der armen Bevölkerung, weil sie wissen, dass sie unter den aktuellen sanitären Bedingungen die Wirtschaft nicht auf diese Weise öffnen dürfen. Die Zahl der Ansteckungen hat seit der Öffnung auf unglaubliche Weise zugenommen, zum Beispiel in der Hauptstadt. Diese Pandemie zeigt sehr deutlich die soziale Ungleichheit in Honduras. So wurde beispielsweise das Militärkrankenhaus geöffnet, um den Präsidenten und alle ihm nahestehenden Personen zu versorgen.

Welche Strategien verfolgen Sie in dieser Situation in den Gemeinden?
Seit dem 7. März haben wir begonnen, uns in den Gemeinden kollektiv zu organisieren, um Gesundheitszentren zu schaffen. Bisher haben wir 31 Zentren eingerichtet. Unser Ziel ist es, so viele Leben wie möglich zu retten. Dafür ist es notwendig, Gesundheit ganzheitlich zu denken, denn Gesundheit hat auch damit zu tun, wie wir uns ernähren und welche Luft wir atmen. Das sehen wir auch daran, dass mehr Menschen am Coronavirus sterben, die in Gebieten leben, in denen die Luft kontaminiert ist. Die Infektionsherde liegen momentan in den Industriezentren, wie San Pedro Sula. Die Pandemie hat eine Gesundheitskrise ausgelöst, aber diese ist eng verknüpft mit Umweltfragen und der Klimakrise. Die Pandemie lehrt uns, dass Gesundheit nicht einfach bedeutet, zum Arzt zu gehen und Tabletten zu nehmen. Deshalb kämpfen wir in den Garífuna-Gemeinden auch gegen den Bau von Wasserkraftwerken und die Ausbeutung natürlicher Ressourcen, weil auch das die Gesundheit gefährdet.

Uraltes Wissen Tees Zubereitung von Tee zur Stärkung des Immunsystems (Foto: OFRANEH)

Wie spiegelt sich der ganzheitliche Ansatz von Gesundheit in der Arbeit der Gesundheitszentren wider, die Sie in den Gemeinden aufgebaut haben?
Viele Menschen in den Gemeinden zählen zur Risikogruppe, weil sie Diabetes oder Bluthochdruck haben. Das brachte uns auf die Idee, dass es wichtig ist, das Immunsystem zu stärken, im Besonderen bei unseren Großmüttern und Großvätern. In den Gemeinden existiert ein uraltes Wissen darüber, welche Pflanzen medizinische Wirkungen haben und welche hilfreich für das Immunsystem sind, wie Eukalyptus- und Avocadoblätter, Zitronen, Knoblauch und Zitronengras. Die Corona-Krise sehen wir auch als Möglichkeit, dieses Wissen wieder mehr zu verbreiten. Ein Bestandteil der Kultur der Garífuna ist das Trinken von aus frischen Kräutern zubereitetem Tee. Daher ist eine der Aufgaben der Gesundheitszentren die Zubereitung von medizinischen Tees, die zur Stärkung des Immunsystems beitragen. Außerdem haben wir ein Handbuch über die Medizin unserer Vorfahren und Vorfahrinnen veröffentlicht, das auch in anderen Ländern Lateinamerikas von indigenen Gemeinden und anderen Menschen genutzt wird. Innerhalb der Gemeinden arbeiten wir als Kollektiv, um zu verhindern, dass sich das Virus ausbreitet, und um betroffene Personen zu unterstützen. Beispielsweise werden in den Gesundheitszentren Masken hergestellt und verteilt. Wir kümmern uns um Menschen, die Vorerkrankungen haben. Mittlerweile gibt es compañeras und compañeros, die fast schon die Arbeit von Ärztinnen und Ärzten übernehmen, indem sie Hausbesuche machen und Menschen, die Symptome von COVID-19 zeigen, beobachten und versorgen. Ebenso haben wir Suppenküchen eingerichtet und registrieren in den Gesundheitsstationen Fälle von häuslicher Gewalt, um Frauen, die davon betroffen sind, unterstützen zu können.

Wer ist an dieser kollektiven Arbeit beteiligt?
Das sind Menschen, die sich in den einzelnen Gemeinden organisiert haben. OFRANEH hat diesen Prozess angestoßen und Freiwillige haben sich angeschlossen. In einer Gemeinde sind es 20 oder 30 Personen, die sich in Arbeitsgruppen organisiert haben, in einer anderen 80. In jeder Gemeinde teilt die Arbeitsgruppe die anfallenden Aufgaben unter den Mitgliedern auf.

Diese Arbeit wird vor allem von Frauen geleistet. Ich würde sagen, 99 Prozent der selbstorganisierten Gesundheitszentren sind in den Händen von Frauen. Wir nennen die Frauen Kämpferinnen, denn es ist harte Arbeit, sieben Tage die Woche dafür zu sorgen, dass alles funktioniert, dass es Medizin und Essen gibt und nicht so viele Neuinfektionen.

Wir sind sehr zufrieden, dass die Garífuna-Gemeinschaft im Moment im Vergleich zu den umliegenden Regionen die geringste Anzahl an Infektionen aufweist. Die zwei Zonen, in denen sich Garífuna-Gemeinden befinden, die aktuell die höchsten Infektionsraten haben, sind Trujillo und Punta Gorda, aber die Mehrheit der an COVID-19 erkrankten Menschen sind keine Garífuna, sondern leben in der Nähe der Gemeinden. Aber das kann sich in den nächsten Monaten ändern, denn wir sind keine Insel, die von der Umwelt isoliert ist, sondern die Menschen verlassen die Gemeinden, um einkaufen zu gehen und ihre Produkte zu verkaufen.

Freiwillige in den Gesundheitszentren Vor allem Frauen engagieren sich (Foto: OFRANEH)

Wurden Vorkehrungen getroffen, um die Mobilität zwischen den Gemeinden einzuschränken?
Dafür zu sorgen, dass nicht alle möglichen Leute in die Gemeinden kommen, ist ein wichtiges Thema. Deshalb wurden an den Eingängen Kontrollpunkte eingerichtet. Dies hat zu Konflikten geführt, in einem Fall sogar zu einem Mord. Als ein compañero aus Río Tinto, Edwin Fernández, sich weigerte, die Schlüssel an Personen auszuhändigen, die nachts seine Gemeinde betreten wollten, töteten sie ihn. Die Region der Karibikküste, in der wir leben, wird von Gruppen der organisierten Kriminalität für den Drogenhandel genutzt. Sie sind es gewohnt, dass sie in den Gemeinden ein- und ausgehen können, wie sie möchten, auch nachts, wenn die Menschen schlafen. Das geht jetzt nicht mehr so einfach, denn die Eingänge werden Tag und Nacht kontrolliert. Es wäre die Aufgabe des Staates für unsere Sicherheit zu sorgen, aber in Honduras sind das organisierte Verbrechen und der Staat eng miteinander verwoben. Wir fordern von der Regierung, dass sie den Mord an Edwin Fernández aufklärt und diejenigen dafür bestraft, die in unsere Gemeinden kommen und unsere Leute umbringen.

Wie hat die Regierung darauf reagiert, dass sich die Garífuna-Gemeinden zur Eindämmung des Virus selbst organisiert haben?
Die Regierung respektiert unserer Autonomie und unsere Souveränität nicht. Sie missachtet die Menschenrechte derjenigen, die in ihren Gemeinden dafür arbeiten, dass sich das Virus nicht weiter ausbreitet. Zum Beispiel hat die Polizei versucht, die Menschen einer Gemeinde im Department Cortés daran zu hindern, dass sie ihre Gemeindegrenzen einzäunen. Wenn der Staat schon nicht hilft, muss er wenigstens unsere Arbeit respektieren, denn wir haben ein Recht darauf, für unsere eigene Gesundheit zu sorgen und auch darauf, dies auf eine Art und Weise zu tun, die unserer Kultur und Identität entspricht. Das ist ein Thema, für das wir immer kämpfen mussten. Die Arbeit, die wir geleistet haben, wird missachtet. Zum Beispiel wurde staatlicherseits zu Beginn der Pandemie gesagt, dass wir Masken tragen müssen, aber hier haben die Menschen keinen Zugang zu einer Maske. Also haben wir unser eigenes System zur Herstellung von Masken entwickelt. Anfangs haben sie gesagt, dass die selbst hergestellten Masken, nichts taugen.

Worin ist diese Missachtung Ihrer Meinung nach begründet?
Das hat mit vielen Dingen zu tun. Dahinter stecken wirtschaftliche Interessen, aber es hängt auch mit Rassismus zusammen, da es eine Missachtung dessen ist, was die Menschen selbstbestimmt tun. Wenn etwas nicht wissenschaftlich erwiesen ist, wird dem jeglicher Wert abgesprochen. Und es sind dieselben Unternehmen, die das entscheiden, die in der Krise durch die Produktion von unter anderem Masken eine Menge Geld verdienen. Sie haben auch gesagt, dass unsere medizinischen Tees nichts nutzen. Mittlerweile trinken alle Leute Tee, weil sie wissen, dass sie ihr Immunsystem stärken müssen und es keinen Sauerstoff zu kaufen gibt. Dies zeigt, dass das Wissen unserer Vorfahren und Vorfahrinnen sowohl eine Antwort auf die derzeitige Gesundheitskrise gibt als auch auf die Pandemien, die noch kommen werden. Diesem Wissen muss wieder mehr Wert zugesprochen werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass einfach zur sogenannten Normalität zurückgekehrt wird, sondern wir sollten diese Pandemie nutzen, um dieses System in Frage zu stellen, in dem die Wirtschaft wichtiger ist als Menschenleben, nicht nur in Honduras, sondern auf der ganzen Welt.

KAMPF UMS ÜBERLEBEN

Miriam Miranda
ist eine prominente Menschenrechtsaktivistin in Honduras. Sie ist Koordinatorin der Garífuna-Organisation OFRANEH. Im November 2019 erhielt sie den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie setzt sich seit 30 Jahren für die Rechte der Garífuna ein. Neben der unermüdlichen Arbeit, Fälle von Landraub, Menschenrechtsverletzungen und Korruption anzuzeigen und diesen nachzugehen, arbeitet sie an der Verwirklichung einer Vision vieler Garífuna mit. Gemeinsam haben sie das selbstverwaltete Dorf Vallecito, Dpto. Colón inmitten von Ölpalmenplantagen aufgebaut. Für sie ist die Arbeit in Vallecito eine konkrete Strategie, Land zu verteidigen und zum Erhalt der Kultur der Garífuna beizutragen.
Im Sommer 2020 findet eine Solidaritätsreise nach Vallecito statt. Interessent*innen finden weitere Informationen auf der Webseite der HondurasDelegation. (Foto: HondurasDelegation)


Mirna Teresa Suazo wurde am 8. September 2019 von Unbekannten in ihrem Restaurant in Masca (Dpt. Cortés) erschossen. Die Täter flohen mit einem Motorrad. Suazo war Gemeinderatspräsidentin in Masca. Die Gemeinde hatte sich zweimal erfolgreich dem Bau von Wasserkraftwerken am gleichnamigen Fluss entgegengestellt.

María Digna Montero war Lehrerin und Mitglied des Komitees für interkulturelle zweisprachige (Spanisch und Garífuna) Bildung bei OFRANEH (Organización Fraternal Negra Hondureña). Am 12. Oktober 2019 saß sie vor ihrem Haus in der Gemeinde Cusuna (Dpt. Colón), als Unbekannte auf sie schossen und mit einem Motorrad flohen. Die Morde liefen nach ähnlichem Muster ab; genau wie bei den anderen 15 Opfern waren es Ortsfremde, die die Taten ausübten.

„Für die Regierung existieren wir nicht“

„Das ist ein Plan, uns Garífuna auszurotten“, sagt Miriam Miranda, Koordinatorin der Organisation OFRANEH. Die afro-indigenen Garífuna leben seit ihrer Deportation von St. Vincent in der Karibik im Jahre 1797 durch England an der Atlantikküste von Zentralamerika, die meisten von ihnen in 46 Gemeinden in Honduras. Ihre Lebensgrundlage, das Land, die natürlichen Ressourcen und das Meer, wird jedoch immer stärker bedroht und die, die sie verteidigen, werden umgebracht.

Auch Miriam Miranda lebt mit ständigen Bedrohungen und Einschüchterungen, vor allem seitdem sie vor 10 Jahren Koordinatorin von OFRANEH geworden ist.

Das Territorium der Garífuna in Honduras ist von großem wirtschaftlichem Interesse von in- und ausländischem Kapital. Die Garífuna bewohnen das für Investor*innen attraktive Land an der karibischen Küste mit schönen Stränden und fruchtbarem Boden. Weiter im Landesinneren gibt es etliche Naturschutzgebiete, um den einzigartigen Waldbestand und die Biodiversität zu schützen.

Doch die neoliberalen Pläne der Regierung vertreiben die Garífuna von ihrem angestammten Land. OFRANEH klagt auf Grundlage der an die Garífuna vergebenen Landtitel, diese werden jedoch von korrupten Behörden meist missachtet.

Tourismusprojekte wie in der Bucht von Tela und der Bucht von Trujillo, Bergbauvorhaben und die geplante Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen (sogenannten Charter Cities nach einem Modell des Harvard-Ökonomen Paul Romer, siehe LN 535), in Honduras unter dem Namen ZEDEs (Zonas Especiales de Desarollo y Empleo) bekannt, stellen ernsthafte Bedrohungen für das Land dar. „Für die Regierung existieren wir nicht. Wenn die Regierung die ZEDEs im Ausland anpreist, sagen sie, dass die Gebiete unbesiedelt seien. Aus diesem Grund ist jedes Projekt für uns eine Gefahr“, so Miriam Miranda.

Unter den Mordopfern sind viele Frauen

Es ist kein Zufall, dass sechs Frauen unter den Ermordeten sind. Frauen kommt eine große Bedeutung bei der Verteidigung des Garífuna-Territoriums zu. „Frauen haben eine enge Bindung ans Land, sie sind der Erde verbundener als Männer, denn sie bauen Maniok an und schützen die Saat. Frauen kennen aus erster Hand die Notwendigkeit, das Land und die Natur zu schützen“, führt Miranda aus.

Doch auch wenn Frauen bei den Garífuna eine starke Position haben, sind auch sie von der dominanten Machismo-Kultur in Honduras betroffen, denn das Rechtssystem ist von patriarchalen Strukturen geprägt. Miranda sagt, dass Frauen per se erst einmal schuldig sind, egal, was vorgefallen ist. Frauen, die sich für die Rechte der Garífuna einsetzen, müssen sich anhören, dass sie besser am Herd stehen sollten. Sie seien selbst schuld, dass sie vor Gericht stehen, wenn sie sich in „Männerangelegenheiten“ einmischten.

Deshalb ist es für OFRANEH wichtig, sich neben der Verteidigung des Landes auch mit Genderfragen und frauenspezifischen Bedürfnissen auseinanderzusetzen. „Wir Frauen müssen uns selbst schützen und heilen, heilen vor allem vom Schuldgefühl, mit dem wir permanent konfrontiert sind, wir brauchen unsere Organisationsformen und unseren Platz für Heilung, der Selbstentdeckung; und vor allem müssen wir uns bewusst machen, dass die Gewalt nicht normal ist, auch wenn sie in einem Land voller Gewalt als normal erscheint“, erklärt Miranda die Arbeit von OFRANEH in Bezug auf Frauen.

„Wir beziehen das Recht am eigenen Körper genauso in die Arbeit ein wie das Recht auf eine intakte Natur.“ Dies ist für OFRANEH wichtig, da es Frauen sind, die vor allem durch die Kindererziehung die kulturelle Identität prägen und hierbei mit dem patriarchalen Schulsystem in Konkurrenz stehen. „Wenn Frauen selbst Land bebauen, erziehen sie ihre Kinder anders.“

Denn die landwirtschaftliche Praxis der Garífuna, so Miranda, stehe im Widerspruch mit der hegemonialen Wirtschaftslogik, die an Gewinnmaximierung orientiert ist, während die Garífuna Flächennutzung mit Brachzeiten abwechseln, damit sich das Land während der Brache regenerieren kann. Diese kulturelle Praxis wird durch die Gesetzgebung unterlaufen, die besagt, dass brach liegendes Land von den Personen in Besitz genommen werden kann, die es bebauen. Nach drei Jahren Landnutzung können die Landtitel dann geändert werden.

Bedrohung durch staatliche Interessen

Die Garífuna können sich bei der Verteidigung ihres Landes nur auf das von Honduras ratifizierte ILO Abkommen 169 berufen. Doch auch dieses soll untergraben werden.

Ein Entwurf für ein nationales Konsultationsgesetz ist mit Unterstützung internationaler Institutionen, wie dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), erarbeitet worden. Der Entwurf sieht kein Vetorecht für indigene Gemeinden vor. Momentan liegt das Gesetz jedoch auf Eis.

Miranda führt diesen Umstand auch auf die Arbeit von OFRANEH zurück, die Beschwerdebriefe an die ILO geschrieben hat. In Anbetracht anderer neu erlassener Gesetze in Honduras ist die ILO Konvention 169 für Indigene extrem wichtig.

So räumt das 2017 erlassene Gesetz zur Tourismusförderung die Möglichkeit ein, für Tourismusprojekte die Ausdehnung von Naturschutzgebieten bis zu ihren Kernzonen zu verkleinern. Miranda fürchtet, dass auf Tourismusvorhaben später Bergbauprojekte folgen, für die Naturschutzgebiete reduziert werden, wie es bisher auch schon in Guapinol im Departamento Colón für ein Bergbauprojekt und in der Garífuna-Gemeinde Sambo Creek für ein geplantes Wärmekraftwerk geschehen ist.

Viele Garífuna- Gemeinden grenzen an Schutzgebiete und sehen ihr Territorium durch diese Gesetzgebung zusätzlich gefährdet.

Die Ermordung von María Montero in Cusuna geschah ausgerechnet am lateinamerikaweiten Tag des Widerstandes, am 12. Oktober – eine Warnung an alle, die sich der aktuellen Regierung und deren Politik widersetzen.

Die Gemeinde Masca hat dies 2019 besonders deutlich zu spüren bekommen: Das Jahr endete mit zwei Attentaten in Masca gegen Amada Martínez, Vorstandsmitglied von OFRANEH und spirituelle Führerin der Garífuna, am 12. Dezember, dem Tag des Schutzheiligen von Masca, und am 29. Dezember.

Amada Martínez blieb zwar unbeschadet, zwei ihr nahstehende Personen wurden jedoch zum Teil schwer verletzt. Die Zeichen sind deutlich. Die Morde an den Menschenrechtsverteidiger*innen und Umweltaktivist*innen unter den Garífuna haben im Jahr 2019 einen traurigen Rekord erreicht. Doch aufgeben werden die Garífuna und vor allem die Frauen nicht.

BOTSCHAFTER DER GARIFUNA-MUSIK

„Best of“-Alben stehen unter dem Verdacht, zwecks schneller Geldscheffelei Altbekanntes nur lauwarm aufzuwärmen. Aurelio Martinez, bekanntester Botschafter der Garifuna-Musik, ist vor solchen Versuchungen gefeit: Sein Wirken und Einsatz für die Garifuna sind ein grandioses Beispiel für politische Musik. Mit dieser hat er vermutlich mehr erreicht als mit seiner Arbeit als einer der ersten afro-honduranischen Abgeordneten. Auch wenn Martinez den Staatsstreich in Honduras von 2009 klar verurteilt, so kritisiert er doch die Indigenen-Politik des geputschten Präsidenten Manuel Zelaya. „Ich war niemals Teil der wichtigen Kreise derjenigen, deren Entscheidungen etwas bewegen können“, berichtete Martinez vor zwei Jahren im LN-Interview (LN 486). „Als Präsident der nationalen Kommission für Ethnien wurde ich nicht ein einziges Mal vom Präsidenten empfangen, um über die Probleme der indigenen Völker zu sprechen.“

Wenn auch nicht beim Präsidenten, so verschafft Martinez der Sache der Garifuna mit seiner Musik Gehör. Als politisch-kultureller Botschafter hat er die Garifuna-Musik Paranda international weiter bekannt gemacht, ohne die Probleme um Landvertreibungen und Migration, Rassismus und Armut zu verschweigen. Gleichzeitig ist Paranda zum kulturellen Kitt der migrantischen Garifuna-Community zwischen Bronx und La Ceiba geworden, als Ausdrucksform und Mittel zum Spracherhalt. „Ich möchte, dass die jungen Garifuna hören, dass sich ihre Probleme in meinen Songs reflektieren, und zu diesen gleichen Problemen tanzen.“

Und so ist Darandi (Dreißig) alles andere als ein Best-of-Album zur schnellen Geldscheffelei, keine lieblose Playlist bekannter Songs, sondern eine Hommage und Neuinterpretation von Paranda-Klassikern wie von Aurelios eigenen Hits. Das musikalische Ergebnis ist ausgesprochen abwechslungsreich. Trotzdem zieht sich ein stilistischer Faden durch die Songs, wurde die CD doch in einem Take aufgenommen. Besonders die E-Gitarre von Guayo Cedeño fällt im Vergleich mit den Originalen auf. In Live-Manier lässt dieser sich immer wieder zu kleinen Soli hinreißen, ohne jedoch zu aufdringlich zu werden.

Das Album eröffnet mit dem Stück Dondo von Junie Aranda. Der Musiker aus Belize hat mit seiner Gitarre Aurelios Stil genauso inspiriert wie die Band Sielpa, denen der gleichnamige Song auf der Platte gewidmet ist. Von Garifuna Soul, dem ersten Studioalbum, mit dem Aurelio Martinez 2004 der internationale Durchbruch gelang, haben es immerhin drei Songs in die Favoritenliste geschafft. Neben Yalifu werden Fans vor allem Dügü wiedererkennen. Auch wenn die Drums in dieser Version etwas mehr in den Hintergrund treten, kann man dabei immer noch nicht ruhig sitzen bleiben. Lumalali Lumaniga hatte Aurelio im Original noch zusammen mit seinem großen Mentor Andy Palacio gesungen, der 2008 verstarb. Nun kommt der Song fast ohne Percussion aus und wird damit auch zu einem ruhigen Gedenken an Palacio, auch wenn der Song eigentlich von jenen ohne politische Stimme handelt. In ähnlich ruhigem Ton endet das Album mit einer zur Hymne gewandelten Interpretation von Naguya Nei, einem der bekanntesten Songs des 2014 verstorbenen Paul Narbor.

Mit Darandi streift Aurelio nicht nur durch die Geschichte der Paranda-Musik und haucht ihren Größen neues Leben ein. Er verbeugt sich vor den Personen und der Musik, die ihn bis heute inspirieren. Darandi ist deshalb auch für alle, die Aurelio Martinez’ Songs schon kennen, ein ausgesprochen spannendes Album.

 

„WIR GEBEN UNSER LAND NICHT AUF“

Unser Kleinbus schaukelt durch die Schlaglöcher einer Schotterpiste. Ab und zu bricht ein kurzer Regenschauer über uns herein. Je weiter wir uns von der Hauptstadt Tegucigalpa nach Norden Richtung Atlantikküste begeben, desto flacher wird es, umso tropischer werden die Temperaturen. Nach neun Stunden Fahrt sind wir froh, die erste Station unserer dreiwöchigen Reise zu erreichen: Trujillo, die ehemalige Hauptstadt zu frühkolonialen Zeiten. Wir, das sind sechs Menschen aus Honduras, Spanien und Deutschland, die sich in der Solidaritätsbewegung HondurasDelegation engagieren. Wir haben uns für diese Reise zusammengetan, um uns ein Bild von der aktuellen Menschenrechtslage in Honduras zu machen und in Deutschland darüber zu berichten. Seit dem Putsch 2009 ist es bereits die fünfte HondurasDelegation. Aus den Reisen entstanden zahlreiche Berichte, Filme und eine Fülle von Kontakten. Jede Delegation hatte andere Schwerpunkte, wir interessieren uns besonders für den Kampf der indigenen Bevölkerung um ihre Landrechte.

Fotos: Rita Trautmann

In Trujillo erwarten uns blauer Himmel und strahlender Sonnenschein. Das Meer liegt ruhig in der Bucht. Das Städtchen ist auf einer kleinen Anhöhe gelegen und neben einem Denkmal für Christoph Kolumbus, der hier 1502 erstmals den amerikanischen Kontinent betrat, haben wir einen guten Blick über die Bucht. Wir treffen Malvin Morales, Aktivist bei OFRANEH (Organización Fraternal Negra Hondureña), der Bewegung der afro-indigenen Garifuna. Malvin begrüßt uns herzlich und berichtet sofort von den Landkonflikten in der Bucht: „Wir haben als Garifuna seit 1901 kollektive Landtitel, die der damalige Präsident Manuel Bonilla ausstellte. Doch nach und nach hat man uns dieses Landes beraubt.“ Er zeigt auf die gegenüberliegende Landzunge: „Dort befand sich mein Dorf Puerto Castilla. Wir mussten der staatlichen Hafengesellschaft weichen und haben dabei einen guten Teil unseres Landes verloren. Nun wohnen wir südlich vom Hafen und sind wieder von einer Umsiedlung bedroht.“ Wir spähen gegen das Sonnenlicht herüber und können Umrisse der riesigen Container im Hafen erkennen. Von dort werden Bananen von den Plantagen in die USA verschifft.

Die Garifuna sind Nachfahren der karibischen Arawak-Indigenen und afrikanischer Versklavter, die Ende des 18. Jahrhunderts von englischen Kolonisator*innen nach Honduras deportiert wurden. Von dort aus besiedelten sie die Küste Zentralamerikas zwischen Belize und Nicaragua. Die meisten leben in 46 Gemeinden der honduranischen Karibikküste. Seit mehreren Jahren plant die honduranische Regierung in der Bucht von Trujillo eine sogenannte ZEDE (Zona de Empleo y Desarrollo Económico), auch bekannt als „Modellstadt“ oder Sonderwirtschaftszone (LN 466), die zusätzlich Investor*innen anlockt. „Alle Gemeinden sind von diesen Plänen gefährdet. Dazu kommen illegale Landverkäufe an Privatinvestoren“, fährt Malvin fort. „Auf der westlichen Seite der Bucht sind die Gemeinden Santa Fé, San Antonio und Guadelupe von Landraub durch einen kanadischen Investor betroffen“. Was all dies für die Garifuna-Gemeinden bedeutet, wird schnell klar. Sie werden vertrieben und verlieren ihre Lebensgrundlage, die vor allem auf Fischfang und kleinbäuerliche Landwirtschaft basiert. Die Regierung übt Druck auf die Garifuna aus: Während Malvin von den Regierungsplänen zur Schaffung der sogenannten Modellstadt in der Bucht von Trujillo berichtet, patrouillieren ständig Militärs an uns vorbei. Er lässt sich davon allerdings nicht beeindrucken.

Bereit zum Rückerobern: Landaktivist Malvin Morales

Malvin hat sich OFRANEH angeschlossen, um die kollektiven Landrechte der Garifuna zu verteidigen und bereits geraubtes Land zurückzugewinnen. Bevor die Sonne höher steigt und es noch wärmer wird, machen wir uns mit ihm auf den Weg, um zwei der OFRANEH-Projekte zur Landrückgewinnung, sogenannte recuperaciones, zu besuchen. Wir fahren einen malerischen, aber unbefestigten Küstenweg entlang und treffen Carmen Alvarez, ebenfalls Aktivistin bei OFRANEH. Sie erzählt uns, wie die Garifuna-Gemeinden Teile ihres Landes verloren: „Unsere Landwirtschaft funktioniert so, dass wir nicht alles Land gleichzeitig bebauen, sondern immer einen Teil des Landes brachliegen lassen. Die Brachen  wurden nach und nach von anderen besetzt und, wenn wir dort im Folgejahr etwas anbauen wollten, war das Land bereits eingezäunt. Hinzu kommt, dass staatliche Behörden, besonders die Gemeindeverwaltung von Trujillo, korrupt sind. Sie verkaufen Land, das uns gehört, ohne uns zu fragen. Sie erkennen unseren kollektiven Landtitel von 1901 einfach nicht an. So konnte zum Beispiel Randy Jorgensen unser Land kaufen.“

Jorgensen, ein als „Porno-König“ bekannter Kanadier, nutzt seine Nähe zu konservativen Politikern in Honduras, um sich im großen Stil Land für Tourismusprojekte anzueignen. „Er versprach den Gemeinden, dass sie vom Tourismus profitieren würden. Und der einzige, der verdient, ist Randy“, berichtet Carmen. Auf dem Weg zur recuperación des Dorfes Guadelupe kommen wir an mehreren neuen Luxus-Altersresidenzen für Rentner aus dem globalen Norden vorbei, die sich in seinem Besitz befinden. In direkter Nachbarschaft zu einer dieser Residenzen, die hinter Mauern und mit Sicherheitspersonal gut vor Blicken von außen abgeschirmt ist, liegt das Gelände des Projektes. Ein großes Banner mit der Aufschrift: „Unsere Kultur und unser Land sind nicht zum Verkauf! – OFRANEH“ kündigt es an. Wir werden bereits von einer Gruppe junger Menschen aus Guadelupe erwartet. Einige Frauen haben in einer provisorischen, mit Plastikplanen überdachten Küche Essen zubereitet. Auf dem Grundstück der recuperación stehen fünf fertige Häuser, an weiteren wird gebaut.

Tatort Landraub: Puerto Castilla

Von den rund 30 jungen Menschen, die sich an diesem OFRANEH-Projekt beteiligen, hatten viele den Traum vom großen Glück in den USA. Sie wurden deportiert oder kamen nie bis zur Grenze. Ohne Besitz und ohne Aussicht auf Arbeit kehrten sie zurück und schlossen sich den Landprojekten an. Einer von ihnen, Darwin Arriola, erzählt von seiner Motivation: „Ich kam bis Mexiko, hatte kein Geld mehr und wusste nicht mehr weiter. Ich hatte Hunger und Durst und hoffte darauf, dass mir jemand etwas geben würde, ich habe geweint. Es war ein furchtbar entwürdigender Moment. So etwas möchte ich nie mehr erleben. Ich bin froh wieder hier zu sein und möchte arbeiten, deshalb habe ich mich der recuperación angeschlossen.“ Die meisten Menschen in diesem Projekt haben zuvor nicht in der Landwirtschaft gearbeitet. Wir sind beeindruckt, wie viel Kraft und Arbeit sie in die Nutzbarmachung des Landes stecken. Ausführlich zeigen uns einige aus der Gruppe das Gelände: Hier eine kleine Pflanzung von Bananen, dort Maniok. Sie wissen, dass das Land ihnen die einzige Chance bietet, um zu überleben. Deshalb gehen sie die Risiken ein, die damit verbunden sind.

Malvin erzählt uns, dass OFRANEH und die Aktivist*innen, die bei den recuperaciones dabei sind, kriminalisiert, verfolgt und eingeschüchtert werden. Alle Projekte in der Bucht haben bereits Räumungsversuche der Polizei erlebt, auch wenn es rechtlich dafür keine Grundlage gibt. Medelín David Hernández, eine der Aktivist*innen aus Guadelupe, wurde im November von der Polizei unrechtmäßig verhaftet und misshandelt. Dennoch lässt sie sich nicht einschüchtern: „Wir haben Gruppen gebildet und wechseln uns hier auf der recuperación ab, so dass eine Gruppe im Dorf ist und die andere hier arbeitet, so ist immer jemand auf diesem Grundstück. Es ist unser Land und wir werden es nicht aufgeben.“ Medelín David Hernández wurde wegen Landbesetzung angezeigt. Während sie erzählt, hält sie ihren kleinen Sohn an der Hand. Er ist für Medelín eine große Motivation, das Land zu verteidigen. Bei den Gesprächen mit den Aktivist*innen merken wir kaum, wie schnell die Zeit vergeht. Aber da der Weg von Guadelupe nach Trujillo nicht beleuchtet ist, müssen wir noch vor der Dämmerung aufbrechen.

Gemeinsam stark: OFRANEH-Aktivistin Medelín David Hernández mit ihrem Sohn 

Am folgenden Tag besuchen wir Puerto Castilla auf der Landzunge, die sich östlich von Trujillo um die Bucht erstreckt. Die nicht weit entfernten Bananenplantagen und der Hafen machen das Garifuna-Land attraktiv für Investitionen verschiedenster Art. Wir fahren durch das Dorf und wir ahnen, wie dringend für die Bewohner*innen die Rückgewinnung ihres Landes ist. Die Häuser stehen dicht gedrängt, es gibt keinen Platz für Hausgärten, manchmal nicht einmal Platz, um Wäsche hinter dem Haus aufzuhängen. Malvin, der selbst aus Puerto Castilla stammt, bestätigt dies: „Wir alle haben Kinder, aber wir haben nicht genug Häuser und wir haben nicht einmal mehr ein kleines Stück Land, um Maniok anzubauen. Was sollen wir unseren Kindern geben? Und das, obwohl wir die Landtitel für viel größere Flächen besitzen.“ *Es bleibt noch viel zu tun, bis diese Titel und das Recht der Garifuna auf Land wieder respektiert werden

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