LYRIK AUS LATEINAMERIKA

Illustration: Joan Farías Luan

Pequeñas ampolletas de colores

hasta que encontramos una voz para decir lo que falta
la palabra es un ticket de ida y vuelta
es la máquina a lo que realmente tememos
en Quintay había un puerto ballenero
y las montañas se deshacían cada verano
tú habrás pensado en cómo silba el viento en los pinares
la tierra sacudida a contrapelo hasta su desgaste
en Quintay una vez entré a una habitación con luces y espejos
que imitaban el cielo donde nací
la pureza de esa imagen no la encuentro en este punto
nada es posible de ser asegurado en torno a las corrientes que nos envuelven
bajo el océano se escucha avanzar el canto de las ballenas


Kleine Farblichter

bis wir eine Stimme finden um zu sagen was fehlt
ist das Wort ein Hin- und Rückfahrschein
die Maschine was wir wirklich fürchten
in Quintay gab es einen Walfanghafen
und Sommer für Sommer verblassten die Berge
du wirst dich schon gefragt haben wie der Wind in den Kiefernhainen pfeift
die Erde durchgerüttelt gegen den Strich bis sie rissig wird
in Quintay trat ich einmal in ein Zimmer voller Lichter und Spiegel
die den Himmel abbildeten unter dem ich geboren bin
die Klarheit dieses Bildes kann ich darin nicht finden
sicher zu sein was die uns einhüllenden Winde betrifft ist unmöglich
der nahende Gesang der Wale ertönt aus der Tiefe des Ozeans

LYRIK AUS LATEINAMERIKA

Illustration: Joan Farías Luan (www.cuadernoimaginario.cl)

EXTRACCIÓN

Una montaña que fuera roja o
la sombra de una montaña que fuera roja en
otra montaña azul y abajo
en el lago, sumergidas, la montaña que fuera
roja y detrás la azul con una sombra proyectada
de la montaña que fuera roja, árboles separan
los dos universos cortados por el hilo de plata
con el que abrirán, literalmente, las montañas
para extraer: oligisto, mercurio, calcantita,
carbón, esquisto y algunas vetas de brillante oro.
La sombra de una montaña que fuera roja
se disuelve en cianuro al caer el sol.

aus: Dos objetos elegidos al azar, Caleta Olivia, 2020


GEWINNUNG

Ein vielleicht roter Berg oder
der Schatten eines vielleicht roten Berges auf
einem zweiten, blauen Berg und darunter,
versunken im See, der vielleicht rote Berg und
dahinter der blaue mit dem Schattenwurf
des vielleicht roten Berges. Bäume teilen die
zwei Universen, durchtrennt vom silbernen Faden,
mit dem man wortwörtlich die Berge
aufbrechen wird zur Gewinnung von Blutstein, Quecksilber, Kupfersulfat,
Kohle, Schiefer und einigen glänzenden Goldadern.
Der Schatten eines vielleicht roten Berges
löst sich bei Sonnenuntergang in Blausäure auf.

LYRIK AUS LATEINAMERIKA

Illustration: Joan Farías Luan

2

la casa de campo
la casa de playa
la casa de otros
estaban allí
en el patio

no sé
si en el sur
crecerán membrillos
las parras cubrirán
tantos espacios

infancia que sucede en un tronco
manos astilladas
tierra incrustada entre las uñas
que recorren los dientes a punto de caer

mi madre espantaba los gatos
la máquina no dejaba de zurcir

qué grande me parecía el barrio
copa de un árbol sin nombre
la piscina huele a cloro
noches de verano
parches de bicicleta
para que no huya el agua

qué difícil volver a niña
a estos árboles
donde cae fruta verde
en tierra madura


2

das landhaus
das strandhaus
das haus der anderen
waren dort
im innenhof

ich weiß nicht
ob im süden
quitten wachsen
reben bedecken wohl
so viele räume

kindheit die in einem stamm verläuft
splittrige hände
erde die unter fingernägeln hängt
die über zähne fahren kurz vorm ausfallen

meine mutter verscheucht die katzen
die maschine hörte nicht auf zu stopfen

wie groß mir das viertel erschien
eine baumkrone ohne namen
das schwimmbecken riecht nach chlor
sommernächte
fahrradflicken
damit das wasser nicht entweicht

so schwer wieder zum kind zu werden
zu diesen bäumen
wo die grüne frucht
auf reife erde fällt

LYRIK AUS LATEINAMERIKA

Illustration: Joan Farías Luan (www.cuadernoimaginario.cl)

Prueba de vida

Cara frente al fuego cuenta una historia.
Su boca la modula lentamente
y la suelta como a un animal.
Todo relato lleva intrínseca la buena noticia de poder contarlo
de haber sobrevivido.
Todo relato es un testimonio,
una prueba de vida.


Lebensbeweis

Mit dem Gesicht zum Feuer erzählt er eine Geschichte.
Sein Mund formt sie bedächtig
und lässt sie frei wie ein Tier.
Jeder Bericht trägt die gute Nachricht in sich, *vom Überleben erzählen zu können.
Jeder Bericht ist ein Zeugnis,
ein Lebensbeweis.

LYRIK AUS LATEINAMERIKA

Esperançar

Fiquem juntas
Nenhuma de nós
Nenhuma
Vai aguentar sózinha
Fiquem Juntas!
É preciso procurar
As outras
É preciso ser procurada
Pelas Outras
Fiquem juntas,
Uma Chora
A outra enxuga
Outra Cai
Uma levanta
Fiquem Juntas!
Nenhuma de nós
Nenhuma vai agüentar sozinha
Precisamos mais do que nunca
Ter sempre uma mulher por perto. Fiquem juntas!


Hoffnung geben

Bleibt zusammen
Keine von uns
Nicht eine
Wird es allein ertragen
Bleibt zusammen!
Es bleibt nichts als sie zu suchen
Die anderen
Es bleibt nichts als sich suchen zu lassen
Von den anderen
Bleibt zusammen,
Die eine weint
Die andere trocknet Tränen
Die eine fällt
Die andere hilft ihr auf
Bleibt Zusammen!
Keine von uns
Nicht eine wird es allein ertragen
Wir brauchen es mehr als jemals zuvor
Immer eine Frau in unserer Nähe zu haben. Bleibt zusammen!

LYRIK AUS LATEINAMERIKA

Illustration: Joan Farias Luan (www.cuadernoimaginario.cl)

Bacterias

Soy un microbio, una bacteria danzante,
un grano de arena en un desierto colorido,
una pestaña ajena que vive en otro párpado.
Soy el sol que nos alumbra sin saber que se llama sol,
la luna que nos guía sin tener luz propia,
nosotros mismos como seres divinos.
Mis dramas son más dramas que tus dramas,
los vidrios de mis ventanas, el fin del mundo.
Bajo y subo escaleras sin saber hacia dónde voy.
Sus huesos no son tan huesos entre mis manos,
su piel menos tersa en mi boca.
Persisto en una búsqueda que en mi espejo tampoco existe.
Soy un microbio, una bacteria danzante,
una bocina en un barrio de sordos,
una revolución sin escudos ni banderas.

Bakterien

Eine Mikrobe, eine tanzende Bakterie,
Sandkorn aus einer bunten Wüste,
Wimper, die einem fremden Lid beiwohnt, bin ich.
Bin die Sonne, die uns beleuchtet, ihres Namens ungewiss,
Mond, der uns führt, ohne eigenes Licht,
wir selbst als göttliche Wesen.
Meine Dramen sind dramatischer als deinige,
die Gläser meiner Fenster, das Ende der Welt.
Treppen rauf, Treppen runter, meines Weges ungewiss.
Ihre Knochen, zwischen meinen Händen, sind solche nicht,
ihre Haut weniger glatt in meinem Mund.
Ich beharre auf einer Suche, die auch in meinem Spiegel nicht vorkommt.
Eine Mikrobe, eine tanzende Bakterie,
ein Hupengetöse in einem Gehörlosenviertel,
eine Revolution ohne Wappen und Flaggen, bin ich.

LYRIK AUS LATEINAMERIKA

 

Illustration: Joan Farías Luan (www.cuadernoimaginario.cl)

MI VIDA SIN MÍ

en la casa de mi madre
la humedad hizo que el techo cediera
sobre las cajas de cartón con mis viejos diarios
donde mi gemela desconocida
la que habita este lugar cuando no estoy
dejó escrito tu nombre en letra cursiva
lo deletreo y me siento una encargada del mantenimiento de mí misma
que persigue sus recuerdos escabulléndose como diminutas lagartijas
de una puerta a otra de la mente
hasta tropezar con una habitación donde mi madre
comparte un rincón con mis muñecas
esos cadáveres de nenas momificados
y pinta rosas realistas
mientras yo escucho cedés de autoestima
y olas de mar
me ajusto el camisón
con un hilito de piel muerta
el mismo que nos ata
a este cuarto con humedades
en la soledad sin fin
de la vida adulta


MEIN LEBEN OHNE MICH

im Haus meiner Mutter
gab die feuchte Decke schließlich nach
über den Kartons mit meinen alten Tagebüchern
in denen meine unbekannte Zwillingsschwester
die diesen Ort bewohnt wenn ich nicht da bin
in Schreibschrift deinen Namen hinterlassen hat
ich buchstabiere ihn und fühle mich wie meine eigene Selbsterhaltungsbeauftragte
die ihren Erinnerungen nachjagt und wie winzige Eidechsen
von einer Tür des Geistes zur nächsten huscht
bis sie auf einen Raum stößt in dem meine Mutter
eine Ecke mit meinen Puppen teilt
diese Mädchenleichen mumifiziert
und realistisch rosig
während ich mir Selbstwert-CDs
und Meeresrauschen anhöre
nähe ich mir das Nachthemd enger
mit einem Fädchen toter Haut
dasselbe das uns
an dieses feuchte Zimmer bindet
in der endlosen Einsamkeit
des Erwachsenenlebens

LYRIK AUS LATEINAMERIKA

Illustration: Luciana Amado Sandberg (@_lulu_lunera_)

Afuer (a) dentro

Llegué
dejé el pañuelo
el cartel
la bandera
los volantes
/me saqué
los borcegos
la ropa
/quedé
desnuda
de calle
de lucha
de marcha
de plaza
/te pedí
que me llenes
de algo
que sea
solo
de vos
y de mí


Drauß
en
drinn

Angekommen
das grüne Tuch*
das Transpi
die Fahne
die Flyer
abgelegt
/ mir
die Stiefel
die Klamotten
ausgezogen
/ ich blieb
nackt zurück
von der Straße
von der Demo
von der Plaza
/ ich wollte von dir
dass du mich füllst
mit etwas
dass nur
dir
und mir
gehört

* Das Pañuelo ist ein grünes Halstuch, das Symbol der argentinischen Bewegung für das Recht auf Abtreibung.

LYRIK AUS LATEINAMERIKA

Illustration: Joan Farías Luan (www.cuadernoimaginario.cl)

LO QUE UNO ES

Lo que uno es se rompe
se rompe
lo que uno es
es falla
de fábrica
calibrable
cada tanto
por tecnologías
bajo órdenes
de policías
secretas
controles
remotos
retocan
inadvertidamente
lo que uno es
pero
como toda cosa
dentro
del proceso productivo
en esta fase
del gran reino
animal
lo que uno es se rompe
se rompe
lo que uno es
es reemplazado
por otra
pieza.

WAS EINER IST

Was einer ist geht kaputt
geht kaputt
was einer ist
ist Fabrikations-
fehler
okkasionell
kalibrierbar
durch Technologie
auf Kommando
der geheimen
Polizei
Fern-
bedienungen
korrigieren
unbemerkt
was einer ist
aber
wie jedes Ding
im
produktiven Prozess
dieser Phase
des großen Tier-
reichs
geht kaputt was einer ist
geht kaputt
was einer ist
wird ersetzt
durch ein
Ersatzteil.

LYRIK AUS LATEINAMERIKA

 

De dónde vengo y a dónde voy

Me preguntan siempre
de dónde vengo
qué edad tengo
qué hago aquí
y adónde voy.

A veces siento
que no es simple curiosidad,
si quieres saber de verdad
te diré que:

vengo del vientre
de mi madre
voy donde me lleva
mi intuición
y sigo siendo una niña
en mi interior.

No hay vallas
muros ni fronteras
que me detengan,
cruzo el océano
con mi imaginación.

Subo los Andes
para tocar el cielo
no tengo miedo
mi hogar es
el mundo entero.



Woher ich komme und wohin ich gehe

Sie fragen mich immer
woher ich komme
wie alt ich bin
was ich hier mache
und wohin ich gehe.

Manchmal fühle ich
dass es nicht bloße Neugier ist,
wenn du es wirklich wissen willst
werde ich dir sagen:

ich komme aus dem Bauch
meiner Mutter
ich gehe dahin,
wo meine Intuition mich hinführt
und in meinem Innern
bin ich immer noch ein Kind.

Es gibt weder Zäune
Mauern noch Grenzen
die mich aufhalten,
ich überquere den Ozean
mit meiner Vorstellungskraft.

Ich erklimme die Anden
um den Himmel zu berühren
ich habe keine Angst
meine Heimat ist
die gesamte Welt.

LYRIK AUS LATEINAMERIKA

Illustration: Joan Farías Luan, www.cuadernoimaginario.cl

 

Posso vislumbrar meu futuro
num mundo de caricatos moribundos
Sou o anterior e assim sendo
mais belo, mais eu, mais puro
Era apenas uma sombra
hoje, sobra luz agonizante
como pás de cal em cima do assunto
Monólogo: monótono proparoxítona
ou seja, me sentas na sílaba fraca
A palavra mata.
A palavra mesmo morta mata.
Olho ao redor e pressinto
labirintos em espirais coloridos
longe do arco-íris; perto de ti
tão perto que te confunde
A roda emperra na areia da frase solta
e eu guardo meu riso de escárnio
para usá-lo na presença
de apenas uma testemunha:
O meu retrovisor.

 

Ich sehe den Schimmer meiner Zukunft
in einer Welt grotesker Moribunder
Der Vorige bin ich und darum
schöner, selbster, reiner
Kaum mehr als ein Schatten war ich
heute, verbleichendes Licht überflüssig
wie die Schippe Kalk aufs begrabene Thema
Monolog: monotones Proparoxytonon
das heißt, du setzt mich auf die schwache Silbe
Das Wort tötet.
Selbst das tote Wort tötet.
Ich sehe mich um und spüre
bunte Labyrinthe in Spiralen
fern dem Regenbogen; nah bei dir
so nah, dass es dich verwirrt
Das Rad blockiert im Sand des losen Satzes
und ich hebe mir mein höhnisches Lachen auf
zur Benutzung
vor nur einem Zeugen:
Meinem Rückspiegel.

GUERILLERO DES STILS

Er ist vermutlich eines der letzten unentdeckten Genies der chilenischen Gegenwartsliteratur im deutschsprachigen Raum. Pablo de Rokha – legendärer Erzfeind seines Namensvetters Neruda und Wegbereiter der literarischen Moderne Chiles – erlebt mehr als ein halbes Jahrzehnt nach seinem Suizid eine verdiente Renaissance. Einen wichtigen Beitrag zu diesem späten Comeback leistet nicht zuletzt die junge Generation Latein-amerikas, welche de Rokhas zutiefst sozialkritischen Gedichten eine neue Plattform bietet. Trotz seiner enormen Wichtigkeit als Begründer des Avantgardismus in Chile und seiner Nähe zu literarischen Größen wie Pablo Neruda und Vicente Huidobro verwundert es, dass sein Werk bisher nicht in deutscher Sprache zu lesen war. Mit der zweisprachigen Anthologie “Mein Herz brüllt wie ein rotes Tier. Gedichte 1916 – 1966” eröffnet Reiner Kornberger durch seine hingebungsvolle Übersetzung der deutschsprachigen Leserschaft das Universum der Zerrissenheit de Rokhas.

Wichtigste Konstante im Leben und Inspirationsquelle für sein Schaffen stellte seine Frau, die Dichterin Winétt de Rokha dar. Die gegenseitige künstlerische Bezugnahme der beiden aufeinander ist so stark, dass das Werk Pablos in seinem Ganzen nur in Zusammenhang mit Winétts Lyrik zu erfahren ist. So enthält diese Gesamtschau eine bezeichnende Auswahl an Gedichten von Winétt und kommt damit einem Willen Pablos nach. Die Anthologie stellt den literarischen Dialog zwischen den beiden Liebenden wieder her. Sie liest sich wie ein offenes Buch ihrer innigen Verbindung, aber auch ihrer geteilten Erschütterung über die menschliche Existenz – geprägt von Ausbeutung und Fremdbestimmung.

Ungeachtet dieser besonderen Verbindung zeigen die Texte eine intensive Auseinandersetzung mit dem Selbst. Die Suche nach Identität und der Ausdruck des persönlichen Schmerzes ist jedoch niemals losgelöst von der Außenwelt, sondern offenbart sich als Spiegel, welcher die desolaten sozialen und psychischen Zustände des modernen Menschen reflektiert. Tragische Übertreibung und radikaler Expressionismus durchziehen das Werk. Dabei bleibt de Rokha auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen für den zerrissenen Menschen der Moderne stets seinen linken politischen Überzeugungen treu. Stilistisch sprengt er dabei jeden Rahmen, bedient sich einerseits volkstümlicher Kunstformen, wie dem Canto oder der Satire und begründet andererseits eine eigene metasprachliche Ästhetik. Als einen „Guerillero des Stils“ tauft ihn sein Übersetzer daher zu Recht. Zerfall, Verwesung und Widersprüchlichkeit prägen die sprachlichen Bilder, welche eine von den Schrecken des Krieges geläuterte Menschheit abbilden.

Die Verzweiflung der Zeit äußert sich in Winétts Werk weniger gewaltig, doch sie spielt bewusst mit der Sprache und stellt eine explosive Diskrepanz zwischen Form und Inhalt her. Das Entsetzen über den Kapitalismus, psychische Zerrüttung und scharfe Kritik am Faschismus drücken sich in frommer Form und sanften Versen aus.

De Rokha ist nicht einfach zu fassen, weshalb die detaillierte Übersicht über Leben und Schaffen des Dichterpaars eine hilfreiche Einführung des Übersetzers darstellt. Die Anthologie ist ein energiegeladenes Werk, das mal erschüttert, mal erzürnt, Abgründe eröffnet und dann wieder tief berührt. Vor allem aber revolutioniert es das ästhetische Empfinden.

LYRIK AUS LATEINAMERIKA

Sanguínea
(anotaciones sobre el corazón humano)

el estudio de la anatomía humana oculta una simbología detrás
de lo que entendemos como sistema / órgano / aurículas y
ventrículos y venas y arterias y válvulas y sangre

tenemos un corazón:
un músculo hueco y piramidal una bomba inteligente aspirante
formada por dos bombas en paralelo que trabajan al unísono
latiendo entre sesenta y ochenta veces por minuto bombeando
cinco litros por minuto

sientes cómo late
lees y hablas sobre él
morirás sabiendo
que lo tuviste y jamás se lo entregaste
a nadie
que no te arrepientes de nada

tenemos dos ojos / dos pulmones / dos riñones
y un estómago y a veces tenemos un corazón:
una bomba de tiempo cuando el cuerpo grita sobre sí mismo
no sé cuándo el mío ha tentado
explotar

he forzado la enfermedad para ser un arma
pero
contra quién

luego de cien mil latidos siete mil quinientos setenta y un litros
de sangre
a veces lo ignoro a veces
lo observo lento
a veces
solo
escucho
su vacío


Bluts-
(notizen zum menschlichen herzen)

das studium der menschlichen anatomie verbirgt eine symbolik hinter
dem, was wir als system / organ / vorhöfe und kammern und
venen und arterien und klappen und blut verstehen

wir haben ein herz:
einen pyramidenförmigen hohlmuskel eine intelligente saugpumpe
bestehend aus zwei parallelen pumpen die im einklang arbeiten
zwischen sechzig- und achtzigmal pro minute pochen fünf
liter pro minute pumpen

du fühlst wie es pocht
du liest und sprichst darüber
du wirst im wissen darum sterben
dass du es hattest und nie jemandem
überlassen hast
dass du nichts bereust

wir haben zwei augen / zwei lungen / zwei nieren
und einen magen und manchmal haben wir ein herz:
eine zeitbombe wenn der körper über sich selber schreit
ich weiß nicht wann meins versucht hat
zu explodieren

ich habe die krankheit gezwungen eine waffe zu sein
aber
gegen wen

nach hunderttausend schlägen 
siebentausendfünfhunderteinundsiebzig litern blut
ignoriere ich es manchmal und manchmal
kommt es mir langsam vor
manchmal
höre ich
nur
seine leere

LYRIK AUS LATEINAMERIKA

Illustration: Joan Farías Luan, www.cuadernoimaginario.cl

Enfance (Extrait)

Tandis que l’aïeule égrène ses prophéties
les étoiles se posent sur les lèvres
de la petite fille
celle qui refuse les tutus l’organdi
le marché aux illusions des marionnettistes
À la tombée de la nuit
elle dérobe les masques confondus
les fait voler en éclats au bas des falaises
Comme chaque animal
elle fait confiance à ses antennes
à ses côtés nul corps céleste
nul ange gardien
Elle va dans l’espérance de ses semelles
et dans la lumière de l’instant

 

Kindheit (Auszug)

Während die Ahnin ihre Prophezeiung aufsagt
legen sich die Sterne auf die Lippen
des kleinen Mädchens
das Tutus und Batist verweigert
den Trugbildermarkt der Marionettenspieler
Bei Einbruch der Nacht
stiehlt sie die vertauschten Masken
zerschmettert sie am Fuß der Klippen
Wie jedes Tier
vertraut sie auf ihre Fühler
an ihrer Seite kein Himmelskörper
kein Schutzengel
Sie geht in der Hoffnung ihrer Schritte
und im Licht des Augenblicks

 

LYRIK AUS LATEINAMERIKA

Illustration: Joan Farías Luan, www.cuadernoimaginario.cl

Fines del siglo XVI (1584), Pedro Sarmiento de Gamboa, a bordo del bajel «Nuestra Señora de la Esperanza», fundó la “Ciudad del Rey Don Felipe», hoy «Puerto del Hambre»: el sitio es testamento mudo del primer enclave español a orillas del Estrecho; murieron allí 300 colonos que quedaron esperando ese barco: “Nuestra Señora de la Esperanza”.

 

EN PUERTO DE HAMBRE UN NIÑO PIDE ENCONTRAR LA ESPERANZA

 

Detrás de la pared de la iglesia
yo pinté el ese barco que yo pido
para Navidad, yo pido cien barcos
entrando en el Puerto antes
que yo sea grande quiero
y también cien barcos de juguete
y un árbol lleno
de cosquillas, de terror.
Pero mejor los barcos y no
más lágrima para mi hermano, ni palabra
de mi madre, sino barcos
ese barco, uno, por favor
te prometo, portarme
bien yo quiero
que los barcos
me lleven hasta el sol.
Muchos más barcos quiero
cien más barcos, mejor
que sean mil.

_________________________________________________

 

Ende des 16. Jahrhunderts (1584) gründete Pedro Sarmiento de Gamboa an Bord des Fregattenschiffs „Nuestra Señora de la Esperanza“ (Unsere Liebe Frau der Hoffnung) die „Ciudad del Rey Don Felipe“ (Stadt des Königs Don Felipe), heute „Puerto del Hambre“ (Hafen des Hungers): Der Ort ist stummer Zeuge der ersten spanischen Enklave an der Magellanstraße; 300 Siedler verhungerten dort, weil das Schiff „Unsere Liebe Frau der Hoffnung“ nie zurückkam.

 

IN PUERTO DEL HAMBRE WÜNSCHT SICH EIN KIND, DIE HOFFNUNG ZU TREFFEN

 

Hinten auf die Wand von der Kirche
hab ich das Schiff gemalt, was ich mir wünsche
zu Weihnachten, ich wünsch mir hundert Schiffe,
die in den Hafen laufen, bevor
ich groß bin, genau, und außerdem
hundert Spielzeugschiffe
und ein Baum voll mit
Kitzeln, mit Schreck.
Aber lieber Schiffe und keine
Tränen mehr für meinen Bruder oder Wörter
von meiner Mutter, einfach nur Schiffe,
dieses Schiff, nur eins, bitte bitte
ich versprech dir, ich bin auch
brav, ich will,
dass die Schiffe
mich mitnehmen zur Sonne.
Und noch mehr Schiffe will ich, noch
hundert Schiffe mehr, noch besser
wären tausend.

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