Bolsonaro hinter verschlossenen Türen

Vor Gericht Jair Bolsonaros Untersuchungshaft ist bereits ein Sieg für die brasilianische Bevölkerung (Foto: Ton MolinaSTF, Gustavo MorenoSTF e Fellipe SampaioSTF_Flickr)

Die brasilianische Bevölkerung hatte das Bier schon kaltgestellt, in der Hoffnung, dass Bolsonaro jeden Moment verhaftet würde. Er und sieben weitere Angeklagte werden vom Obersten Bundesgericht wegen eines Putschversuchs verhört, der während der Invasion des Platzes der drei Gewalten am 8. Januar 2023 (siehe LN 609) unternommen wurde – eine Woche nach der Amtseinführung von Präsident Lula, der Bolsonaro in einer Stichwahl im Oktober des Vorjahres knapp besiegt hatte.

Sie werden wegen fünf Straftaten angeklagt: bewaffnete kriminelle Vereinigung; schwere Sachbeschädigung durch Gewalt und schwere Bedrohung des Bundesvermögens mit erheblichem Schaden für das Opfer; Beschädigung von denkmalgeschütztem Eigentum; Versuch der gewaltsamen Abschaffung des demokratischen Rechtsstaats und schließlich Staatsstreich. Das Urteil wird auf fünf Tage verteilt, wobei die letzte Sitzung am 12. September stattfindet.

Im Laufe der Ermittlungen wurden gegen Bolsonaro vorsorgliche Maßnahmen verhängt. Wegen Verletzung dieser Maßnahmen wurde er am 4. August unter Hausarrest gestellt. Seine Untersuchungshaft ist bereits ein vorläufiger Sieg für die brasilianische Bevölkerung, die während seiner Amtszeit (2019-2022) unter Angriffen und Hassreden gegen die Schwarze und Indigene Bevölkerung, LGBTQ+, Frauen und andere marginalisierte Gruppen gelitten hat. Eine Regierung, die vor allem während der Pandemie grausam war: nicht nur wegen ihrer Nachlässigkeit, sondern auch wegen der leugnenden politischen Maßnahmen, Kritik an Impfungen und vor allem wegen ihrer Gleichgültigkeit gegenüber mehr als 700.000 Todesfällen durch Covid-19.

2022 verlor Jair Bolsonaro (Liberale Partei) die Wahlen gegen Luiz Inácio Lula da Silva (Arbeiterpartei) in einem hart umkämpften Wahlkampf mit 1,8% Unterschied. Bolsonaro und seine Anhängerinnen reagierten darauf mit der Behauptung, die Wahl sei manipuliert worden.

Am 8. Januar 2023 drangen selbsternannte „Patrioten” in den Platz der drei Gewalten in Brasília ein und verwüsteten ihn. Nach Untersuchungen wurde das Attentat als Putschversuch angesehen, und Bolsonaro wurde als einer der Verdächtigen identifiziert, da er bei der Planung der Angriffe geholfen haben soll.

Lange Liste der Anklagen

Am 30. Juni 2023 erklärte das Oberste Wahlgericht Bolsonaro bis zum 2. Oktober 2030 für nicht wählbar. Der Grund dafür ist ein Treffen mit ausländischen Botschafterinnen im Jahr 2022, bei dem Bolsonaro das Wahlsystem attackierte. Das Treffen wurde als Missbrauch politischer Macht und als missbräuchliche Nutzung der Medien angesehen.

Im November 2024 wurde Bolsonaro schließlich im Rahmen einer Untersuchung wegen des Putschversuchs vom 8. Januar angeklagt. Laut dem Bericht der Bundespolizei soll Bolsonaro „vollständige Kenntnis” von dem Vorhaben gehabt haben und wurde wegen gewaltsamer Abschaffung der demokratischen Rechts­staatlichkeit, eines Staatsstreichs und der kriminellen Vereinigung angeklagt. Die Ermittlungen ergaben auch, dass der Putschversuch einen Plan zur Ermordung von Präsident Lula, seinem Vizepräsidenten Geraldo Alckmin und dem Minister des Obersten Bundesgerichts, Alexandre de Moraes, beinhaltete.

Monate später, im Februar 2025, wurden Bolsonaro und sieben weitere Mitglieder seiner Regierung auch wegen des versuchten Staatsstreichs und anderer Verbrechen im Zusammenhang mit dem Anschlag angeklagt.
Am 18. Juli verhängte Alexandre de Moraes einige vorsorgliche Maßnahmen gegen Bolsonaro, unter anderem wegen Fluchtgefahr, Behinderung der laufenden Ermittlungen vor dem Obersten Gerichtshof, Angriff auf die nationale Souveränität und internationale Zusammenarbeit gegen den Obersten Gerichtshof. Zu den Maßnahmen gehören das Tragen einer elektronischen Fußfessel, Hausarrest, das Verbot der Nutzung sozialer Netzwerke und das Verbot der Kommunikation mit Diplomatinnen, Botschafterinnen, Angeklagten und Verdächtigen.

Einige Tage nach der Verhängung der Maßnahmen zeigte Bolsonaro der Presse seine elektronische Fußfessel und erklärte, er sei unschuldig und Opfer einer „extremen Demütigung”. Am 3. August, erschien Bolsonaro in den sozialen Netzwerken seiner drei Söhne bei Demonstrationen der extremen Rechten, die die Judikative attackierten.
Laut Moraes habe Bolsonaro durch soziale Netzwerke Botschaften verbreitet, die „eindeutig zu Angriffen auf den Obersten Gerichtshof auffordern und offen die Einmischung des Auslands in die brasilianische Justiz unterstützen”.

So wurde am 4. August Hausarrest für Jair Bolsonaro angeordnet. Nach dem Urteil könnte Bolsonaro laut Juristinnen für die begangenen Verbrechen zu einer Gesamtstrafe von 43 Jahren verurteilt werden, mindestens aber zu 12. Obwohl sich das Urteil gegen Bolsonaro vor allem auf den Putschversuch bezieht, hat es auch eine symbolische Bedeutung als historische Wiedergutmachung für den Schaden, den er in seinen vier Jahren als Präsident angerichtet hat, unter anderem durch die aktive Vernachlässigung des Schutzes der Bevölkerung während der Pandemie. Bolsonaro verspottete die 700.000 Menschen, die an Covid-19 starben, sprach sich aktiv gegen Impfungen aus und verhinderte den Zugang zu diesen.

Politik mit vielen Opfern

Untersuchungen der parlamentarischen Untersuchungskommission zur Pandemie, die zwischen April und Oktober 2021 stattfanden, ergaben, dass die Regierung Bolsonaro mindestens elfmal Angebote zum Kauf von Impfstoffen ablehnte. Nach Berechnungen des Epidemiologen Pedro Hallal hätten mindestens 95.000 Menschenleben gerettet werden können, wenn die Regierung Bolsonaros die Impfstoffangebote nicht ignoriert hätte. Dimas Covas, Direktor des Butantan-Instituts, erklärte im Mai 2021 in einer Anhörung vor dem Untersuchungsausschuss zur Pandemie, dass Brasilien das erste Land der Welt gewesen wäre, das mit der Impfung begonnen hätte, „wenn alle Akteure zusammengearbeitet hätten“. Die Bolsonaro-Regierung hat nicht nur Todesfälle verursacht. Sie hat auch Zerstörung und Hass gefördert: Sie hat die Verwüstung des Amazonasgebiets und die Invasion Indigener Gebiete zu verantworten und homophobe, rassistische und frauenfeindliche Äußerungen normalisiert, die weiterhin von seinen Anhängerinnen verbreitet werden.

Bis zum 12. September bleibt die Hoffnung, dass Gerechtigkeit walten wird und dass ein Land des globalen Südens als Beispiel dafür dienen kann, dass die Demokratie trotz ihrer Mängel keine rechtsextremen Putschist*innen toleriert. Und bis dahin wird Bolsonaro gezwungen sein einen Lockdown einzuhalten, den er vor fünf Jahren im Kontext der Pandemie dämonisierte.


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HAUSARREST FÜR EX-PRÄSIDENT URIBE

Internationale Proteste Demonstration gegen die Regierung in Berlin (Foto: Unidos por la Paz – Alemania)

Am 4. August dieses Jahres ordnete der Oberste Gerichtshof Kolumbiens Hausarrest für den Ex-Präsidenten Álvaro Uribe Vélez an. Es ist das erste Mal in der kolumbianischen Geschichte, dass ein Ex-Präsident verhaftet wird. Uribe war von 2002 bis 2010 Kolumbiens Regierungspräsident. Er gilt noch immer als einer der einflussreichsten Politiker*innen des Landes und Hardliner der Rechten. Die Meinungen über ihn spalten das ganze Land. Die einen rühmen ihn für sein Vorgehen gegen die FARC, seine Politik rief eine politische Bewegung, den Uribismo, ins Leben. Die anderen werfen ihm vor, die Paramilitärs mit aufgebaut zu haben und Schuld an massiven Menschenrechtsverletzungen zu tragen.

Gegen Uribe laufen schon seit Jahren Ermittlungsverfahren, doch noch nie musste er sich vor Gericht verantworten. Er wird auch der „Teflon-Präsident” genannt, da alle Anschuldigungen an ihm abperlen. Doch nun ist er unter Hausarrest gestellt, um die Gefahr der Justizbehinderung zu verringern, so die Richter*innen, die den Arrest anordneten. Bis zu einem Jahr könnte er dort verbleiben müssen, auch wenn noch keine formelle Anklage gegen ihn erhoben wurde.

José Miguel Vivanco, geschäftsführender Direktor der Americas Division von Human Rights Watch, äußert sich positiv über die Festnahme. „Ich gratuliere dem Obersten Gerichtshof zu seinem verantwortungsvollen Handeln bei der Anordnung des Hausarrests von Uribe“, so Vivanco. „Das Gericht zeigt, dass niemand – auch nicht der Mächtigste – über dem Gesetz steht. Die richterliche Unabhängigkeit muss respektiert werden.“

Alles begann damit, dass der Senator Iván Cepeda der sozial-demokratischen Partei Demokratischer Alternativer Pol (PDA) im Jahr 2012 der Staatsanwaltschaft und dem Kongress eine Akte vorlegte, in der es um Uribes angebliche Verbindungen zum Paramilitarismus geht. Fotografien und Zeug*innenaussagen sollen beweisen, dass in den neunziger Jahren auf einem Grundstück im Besitz der Familie Uribe eine paramilitärische Gruppe entstand. Damals war Álvaro Uribe Gouverneur von Antioquia, einem Verwaltungsgebiet im Nordwesten Kolumbiens.

Mehr und mehr Stimmen fordern Duques Rücktritt

Als Cepeda 2014 den Fall erneut vor den Kongress brachte, versuchte Uribe die Geschichte umzudrehen. Der Ex-Präsident nutzte die Besuche Cepedas in den Gefängnissen, die dieser machte, um mit den inhaftierten Paramilitärs zu reden, um zu behaupten, dass Cepeda selbst versuche, die Zeug*innen zu manipulieren. Vier Jahre später verkündete das Gericht, dass es keinen Grund zur Ermittlung gegen Cepeda gebe. Es gab jedoch Beweise gegen Uribe, die Anlass zur Untersuchung waren.

Konkret geht es im laufenden Fall um Juan Guillermo Monsalve, ein vermeintliches Mitglied einer paramilitärischen Gruppe. Uribe soll Monsalve dazu gebracht haben, eine Aussage zurückzunehmen, die den Ex-Präsidenten in Verbindung mit der Aufstellung einer paramilitärischen Gruppe bringt. Auch soll Uribe in verschiedene Massaker verwickelt gewesen sein, die von Paramilitärs durchgeführt wurden. Wird er schuldig gesprochen, könnte er für sechs bis acht Jahre in Haft kommen.

Die Inhaftierung von Uribe könnte auch den amtierenden Präsidenten Iván Duque schwächen. Dieser ist stark von seinem Vorgänger Uribe abhängig. Es ist weithin bekannt, dass Duque die Wahl 2018 nicht ohne die Hilfe und Zustimmung des ehemaligen Präsidenten gewonnen hätte. Uribe erhoffte sich durch Duque das Wiederaufleben des Uribismo und die Stärkung der von ihm gegründeten Partei Demokratisches Zentrum (CD). Doch in den vergangenen Monaten sank die Beliebtheit von Duque in der Bevölkerung. Seine Umfrage- werte lagen im Februar nur noch bei 23 Prozent. Der Präsident hat es versäumt, der Polarisierung der Bevölkerung entgegen zu wirken. Auf Demonstrationen Ende vergangenen Jahres forderten mehr und mehr Stimmen seinen Rücktritt.

Schon seit Jahren wird gegen Uribe ermittelt

Duque zeigt sich auf Twitter solidarisch mit Uribe. In einer Videoansprache sagt er: „Als Kolumbianer tut es weh, dass ein vorbildlicher Beamter, der den höchsten Posten im Staat besetzt hat, sich nicht in Freiheit und mit der Unschuldsvermutung verteidigen darf.“ Nach der Inhaftierung Uribes stellten Duque und seine Anhänger*innen außerdem die Unabhängigkeit der Richter*innen in Frage.

Uribe trat inzwischen vom Amt als Senator zurück, das er seit 2014 ausübte. Am 18. August gab er bekannt, dass er sein Mandat abgeben werde. Er warf dem Obersten Gerichtshof in dem Schreiben zusätzlich vor, dass seine Festnahme nicht rechtmäßig gewesen sei. Auch will er sich weiterhin für eine Reform und Entpolitisierung des Justizwesen einsetzen. Der Senat hat indes seinen Rücktritt als Senator abgesegnet. Das hat unter anderem zur Folge, dass nun die Generalstaatsanwaltschaft und nicht mehr der Oberste Gerichtshof in dem Verfahren ermittelt.

„Wenn man nicht mehr die Funktion eines Kongressabgeordneten inne hat, wie zum Beispiel jetzt, wo der Rücktritt angenommen wurde, behält das Gericht nur noch die Zuständigkeit für diejenigen Tatsachen, die sich auf die Funktion eines Kongressabgeordneten beziehen“, erklärt der Anwalt Uribes, Jaime Granados, gegenüber dem Fernsehsender NTN24. Im Falle Uribes seien die vermeintlichen Verbrechen nicht im Bezug zu seiner Funktion als Senator geschehen, so das Statement des Obersten Gerichtshofes zur Entscheidung.

Zusätzlich gibt es derzeit ungefähr 400 Klagen gegen den Beschluss des Obersten Gerichtshofs, Uribe unter Hausarrest zu stellen. Viele von Uribes Anhänger*innen kritisieren den Arrest im Hinblick darauf, dass sich viele FARC Kämpfer*innen durch das Friedensabkommen 2016 nicht vor der Justiz verantworten mussten. Die ersten 177 dieser Klagen wurden bereits abgelehnt.

Der Skandal entfaltet sich, während die Corona-Pandemie das Land fest im Griff hat. Das neuartige Virus verschärft die strukturelle Ungleichheit im Land. Arbeitslosigkeit und Armut steigen, die Wirtschaft wird noch weiter geschwächt. Zudem nehmen häusliche Gewalt und Xenophobie im Land zu, es gibt einen Anstieg an Morden. Der Ex-Präsident Uribe befindet sich währenddessen auf seinem Anwesen El Ubérrimo im Norden Kolumbiens. Nach einer überstandenen Covid-19 Infektion Anfang August muss er darauf warten, wie es in seinem Fall weitergehen wird.


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