
Wie kamst du zum Rap? Was bedeutet er für dich?
Ich habe von klein auf Rap gehört; es war Liebe auf den ersten Reim. Ich bin in Frankreich geboren und mit Kindern von Immigranten aufgewachsen. Unsere Eltern waren aus Algerien, Marokko, Kongo oder Lateinamerika. Der Rap hat unsere Community zusammengebracht. Für uns, die nicht im Land ihrer Eltern geboren wurden, bot er ein neues Territorium.
Mit der französischen Kultur konnte ich mich nur teilweise identifizieren. Chile wiederum habe ich in den Worten meiner Eltern kennengelernt; in der Musik, die wir hörten, als wir Kinder waren. So ging es vielen, die außerhalb von Chile aufwuchsen. Wir haben Chile in den Liedern von Victor Jara verstehen gelernt. Diese Nostalgie tat weh, aber hat auch meine Neugier geweckt. Und einen Stolz, ohne dass ich das Land kannte oder komplett verstand. Für all diese Gefühle habe ich im Rap einen Ausdruck gefunden. Der Hip-Hop gab mir den Ort, den ich nicht hatte.
Wie zeigt sich die Erfahrung, in der migrantischen Community im Frankreich der Achtzigerjahre aufgewachsen zu sein, in deiner Musik?
Seitdem ich denken kann, war Politik ein Thema in meinem Leben. Das hat etwas mit meiner Familiengeschichte zu tun: Meine Eltern sind 1976 nach Europa gekommen, nachdem sie die Folterzentren der Pinochet-Diktatur überlebt hatten. Kurze Zeit später kam ich zur Welt. Auch wenn das nicht ausgesprochen wurde, ist es doch in der Erziehung vermittelt worden.
Die Diktatur in Chile war immer ein Thema. Mein Vater blieb auch in Frankreich mit internationalistischer Perspektive politisch aktiv. Es waren immer Palästinenser bei uns im Haus, Geflüchtete aus anderen Ländern. Es war ein schönes Aufwachsen, aber ich wurde auch für Krisenzeiten erzogen.
So habe ich gelernt, dass es Feinde gibt, die zu mächtig sind, als dass man sich wegen Nichtigkeiten streiten sollte. Mein Vater war in den Händen von Miguel Krassnoff gewesen, einem der brutalsten Folterer der Pinochet-Diktatur. Ich habe ihn beim Prozess gegen Krassnoff begleitet und trotz der Verurteilung kamen während der Demokratisierung Chiles viele Schuldige ungestraft davon. Diese Straflosigkeit der Diktaturverbrechen macht mich wütend.
Die Politik ist also Teil von mir. Sie ist der Grund, dass ich nicht in Chile geboren wurde. Sie hat meinen Blick auf die Welt geprägt. Sie ist, was ich zu vermitteln versuche, auf und außerhalb der Bühne.
Die Straflosigkeit hat dich politisch mobilisiert. Wie ist dein Blick auf die feministischen Bewegungen der letzten Jahre?
Die Umstände meines Aufwachsens haben es mir einfacher gemacht, in die sehr maskuline Welt des Hip-Hops zu treten. Selbst wenn es Machismus gab, ist es mir damals nicht aufgefallen. Ich war von anderen Themen wie der Straflosigkeit in Chile besessen. Mein Vater zeigte mit den Dokumentarfilm Shoa, der mich sehr beeindruckt hat: Er zeigte, wie die Folteropfer ihre Folterer konfrontieren.
Sicherlich habe ich viel Machismus erlebt, aber dem keine Bedeutung beigemessen. Dass ich mir dessen bewusster wurde, lag an Fällen, wie mir nahestehenden Kollegen, denen übergriffiges Verhalten vorgeworfen wurde. Ich habe ein enges Verhältnis zu meinem Vater, ich habe einen Sohn und es ist einfach, auf sie zu zeigen und zu sagen, dass sie alle Machos sind. Ich beschäftige mich lieber damit, wie machistisch ich in meinem Alltag bin. Wir leben in einem patriarchalen System, also versuche ich auch, mich selbst zu hinterfragen. Dieses System zu überwinden wird viel Zeit und Reflektion kosten.
Aber der Kapitalismus frisst alles, und es ist ihm gelungen, einen Feminismus zu vereinnahmen, der mich überhaupt nicht mehr repräsentiert. Ich finde mich vielmehr in einem Feminismus von unten wieder. Die interessantesten Gespräche, die ich mit Frauen hatte, von denen ich fürs Leben gelernt habe, waren mit Arbeiterinnen. Eine war eine bolivianische Arbeiterin in Argentinien. Für diese Frauen habe ich das Lied „Antipatriarca“ (Antipatriarchin) geschrieben. Ich erinnere mich an andere Gespräche, die ich mit Frauen hatte, die ihre Töchter in Guerrero (Mexiko) suchten. Das sind Frauen, die sich die Nägel lackieren, sich schminken, sich depilieren.
Dieser Feminismus ist anders als der weiße, akademische. Er führt dazu, dass ich mich selbst hinterfrage. Er ist viel näher am Alltag der Menschen.
Mein Problem mit dem weißen, akademischen Feminismus ist, dass er mir sagt, was ich zu tun habe. Schwanger zu sein hat mich extrem glücklich gemacht. Aber klar, das ist etwas sehr Persönliches. Ich habe viele Freundinnen, die keine Mütter sein wollen. Und das ist gut so. Stellt euch vor, es gibt einen anti-trans-Feminismus. Leuten vorschreiben zu wollen, wie sie zu sein haben ist furchtbar. Das finde ich geradezu faschistisch.
Es ist, als würde der Staat über meinen Körper entscheiden und dann kommt ein akademischer Feminismus, um zu bestimmen, wie ich mich als Frau fühlen sollte. Für mich hat das mit Feminismus nichts mehr zu tun..
Du sprachst von einem internationalistischen Blick. Was bedeutet das für dich?
Meine Eltern hatten schon immer einen internationalistischen Blick auf die Welt. Es ging viel, aber nicht nur um Chile. Zu Gesprächen kamen Freunde aus Argentinien oder Uruguay, um nur einige zu nennen. Wir spürten eine Verbindung zu allen Teilen der Welt, denn wir erlebten sehr ähnliche Dinge.
Das hat mir auch erlaubt, zu verstehen, dass Migration ein Muster ist. Ausgelöst durch Diktaturen, den Klimawandel, Kriminalität oder was auch immer. Alle Migrationsbewegungen, alle Menschen, die aus welchem Grund auch immer gehen müssen, sind Teil von etwas so Menschlichem wie Migration.
Heutzutage herrscht ein sehr migrationsfeindlicher Diskurs. Egal ob in Frankreich, Deutschland, den USA. Was ICE dort macht und alles, was an den Grenzen passiert. Diese furchtbare Idee des „reinen Bluts, des reinen Vaterlands“…, ein extrem faschistischer Diskurs.
Alles in allem ist es ein fruchtbares Terrain für einen modernen Faschismus. Heutzutage ist es völlig normal zu sagen, dass man Rassist ist. Vielleicht war es schon immer so, aber jetzt ist es politisch korrekt. Die Gewalt heizt sich auf, wie das Klima. Der Blick auf die USA ist wichtig, denn sie sind die Avantgarde der Gewalt. Dieser Rassismus hat viel mit Klasse und der kolonialen Vergangenheit zu tun.
Wie siehst du die Verbindung von Rassismus, Klasse und kolonialer Vergangenheit?
Es ist nicht das gleiche, Schwarz oder weiß zu sein. Dazu lassen sie dich glauben, dass du Mittelschicht bist, weil du dich verschulden kannst. Aber die Mittelschicht gibt es nicht. Und dazu kommt der Hass auf Migranten: egal ob in Deutschland, Argentinien, Chile oder den USA, das Muster wiederholt sich.
Besonders Gaza markiert für mich ein Davor und Danach. Auf diesem Territorium vereinen sich alle Grausamkeiten des Kapitalismus: Extraktivismus, Patriarchat, Klassenkampf, Rassismus, Kolonialismus.
Als Gaza implodiert ist, wurden alle Menschen, die etwas gesagt haben, direkt des Terrorismus bezichtigt. Das scheint mir so grotesk und grausam, ich kann diese Art von Propaganda einfach nicht mehr ertragen. Denn wir haben noch nie einen Genozid in Echtzeit erlebt.
Das erinnert mich an den chilenischen Sänger Victor Jara, der über Vietnam sang. Ich weiß nicht, ob er je dorthin gereist ist, vermutlich nicht. Aber er hat über Vietnam gesungen, da es, wie Gaza heute, alle Bedingungen vereint hat. Das ist, was mich meine Kultur gelehrt hat, das sind meine Werte. Ich kämpfe, damit kein Mensch Folter, Deportation und Vertreibung erleben muss.
Europa hingegen fühlt sich alt an. Es fehlt der Schwung anderer Orte. Vielleicht liegt das an der Kolonialgeschichte. Die Geschichte, die Straßen, die Nachbarn, alles ist umgeben von einem kolonialen Erbe. Vielleicht sind die Menschen hier deshalb politisch müder und ängstlicher als Personen in Lateinamerika oder den USA. Orte, an denen sich viel Wut vereinigt. Die koloniale Wut und die der Afrodiasporischen und Indigenen Communities verbinden sich und lösen etwas sehr Verrücktes, sehr Dynamisches aus. Sowohl in der Kultur als auch in der Politik.
Hier hingegen sehen sich alle als Opfer und das ist sehr gefährlich. Ich sehe das an jenen, die keine Anteilnahme daran zeigen, was in Palästina geschieht. Aber es geht nicht um uns. Es geht um Gaza. Niemand zweifelt die Schrecken der Vergangenheit an. Aber darum geht es heute nicht.
Was gibt dir angesichts all dessen Hoffnung und Antrieb, Musik zu machen?
Ja, vieles sieht hoffnungslos aus. Aber es gibt Dinge, die mir Hoffnung geben. Greta Thunberg zum Beispiel: Dass sich eine weiße Person radikalisiert und Dinge fordert, die Indigene Gemeinschaften seit Jahrzehnten einfordern, zeugt von einem grundlegenden Wandel. Es gibt viele Menschen wie sie, Menschen, die nicht mehr warten möchten. Ich denke an Gruppen wie Jews for Peace, Jews anti-Zionist, wie hart das für sie sein muss. Das erfüllt mich mit Hoffnung.
Hast du eine Botschaft für das deutsche Publikum, das dich durch dieses Interview kennenlernt?
Hier laufen alle wie auf rohen Eiern. Aber das ist nicht genug angesichts eines Genozids. Wenn Chile heute das peruanische oder bolivianische Volk massakrieren würde, würde ich das gleiche sagen. Was haben wir denn gelernt aus den Büchern über den Holocaust? Aus all den Geschichtsbüchern der Welt?
Wie soll die Menschheit morgen weitergehen, wenn wir nicht einmal fähig sind, den Anderen als menschliches Wesen zu betrachten? Wir dürfen die Barbarei nicht wiederholen. Wir müssen die Menschlichkeit und das Leben verteidigen. Ich denke, es braucht nicht viel mehr Botschaft als das.








