“SCHANDE FÜR DIE ARGENTINISCHE JUSTIZ”

Milagro Sala hat das Sagen / Foto: Tupac Amaru

Sie war die erste politische Gefangene der neuen argentinischen Regierung. Milagro Sala, soziale Basis-Aktivistin und eine der einflussreichsten Frauen Argentiniens, wurde im Januar 2016 mit dubioser Begründung festgenommen und saß seither ohne Gerichtsurteil in illegaler Präventionshaft. Am 29. Dezember 2016 schließlich verurteilte sie das Landesgericht der Jujuy wegen „Anstiftung zum Protest“ aufgrund eines Vorfalls aus dem Jahr 2009 zu drei Jahren Haft auf Bewährung. Am darauffolgenden Tag wurde sie in einem parallelen Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit mit einer Geldstrafe sowie einem quasi Berufsverbot belegt, das ihr für drei Jahre und drei Monate die Mitgliedschaft in einer sozialen Organisation untersagt. Beide Urteile haben nicht nur aufgrund zahlreicher Verfahrensfehler, fehlender Beweise oder mangelnder Glaubwürdigkeit des einzigen Zeugen Empörung ausgelöst. Neben dem hohen Strafmaß verstößt das verhängte Verbot, sich in sozialen und kulturellen Vereinen und Organisationen zu beteiligen, gegen das verfassungsmäßig garantierte Recht auf Protest und öffentliche Meinungsäußerung. Beide Gerichtsprozesse verkommen so zu einer Farce, mit der der amtierende Gouverneur der Provinz Jujuy, Gerardo Morales, versucht, seine größte Widersacherin für den Rest seiner Amtszeit außer Gefecht zu setzen.

Die Dämonisierung der sozialen Figur Milagro Sala und die „fast pathologische Art“, wie sich Gouverneur Morales in den Fall hineinsteigere, seien „ein Skandal“, empört sich Salas Verteidigerin Elizabeth Gómez Alcorta am Tag des ersten Urteils, die Methoden, mit denen die Spielregeln der Justiz mit allen Mitteln umgeworfen werden, „unerhört“. Mit einem fairen Prozess habe sowieso niemand mehr gerechnet, aber das Urteil sei eine „Schande für die argentinische Justiz“, so Alcorta. Die persönliche „Hexenjagd“ des Gouverneurs beruht auf einer langen Geschichte. Denn Sala, von den einen verehrt, von den anderen gehasst, ist in den vergangenen zwanzig Jahren zu einer unentbehrlichen politischen Figur und sozialen Referenz in der Provinz Jujuy im Norden Argentiniens geworden. Sie ist Kopf (und Herz) der sozialen Basisorganisation Túpac Amaru, die in den 1990er Jahren als Reaktion auf die politische Krise der Provinz gegründet wurde. Fehlende politische Repräsentation, inaktive Parteien und die „Unregierbarkeit“ einer der ärmsten Provinzen des Landes – kaum ein Gouverneur konnte seine reguläre Amtszeit beenden – führten zu einem politischen Vakuum, in dem Raum für neue Formen der außerparlamentarischen politischen und sozialen Organisation entstand. Die Menschen, geplagt von Massenarbeitslosigkeit und Entlassungen, machten sich diesen Raum zu eigen und entwickelten eine neue Protestkultur, in der sowohl die gewerkschaftliche Organisation als auch die Energie der Arbeitslosen kanalisiert wurde.

Auch Milagro Salas Figur ist in dieser Zeit gewachsen, heraus aus peronistischen Jugendbewegungen und Gewerkschaften und hinein in die neue aktive Rolle, die Frauen in den neuen sozialen Protesten einnahmen. Heute ist sie für viele eine Referenz, die inspiriert und ein anderes Selbstvertrauen gibt. Denen, die am wenigsten haben, Würde zu geben, sei das, was sie bei der Túpac gemacht habe, sagt sie selbst noch vor der Urteilsverkündung: „Wir haben gearbeitet, ausgebildet, erklärt, uns die Kultur der Arbeit zurückerobert. Und Arbeiten bedeutete, jedem einzelnen unserer compañeros Würde zu geben“.

Milagro Salas Organisation Túpac Amaru hat allein in Jujuy über 70.000 Mitglieder und ist als politische und soziale Akteurin in der Provinz nicht mehr wegzudenken. Die Túpac, wie sie in Kurzform genannt wird, verteilt Ressourcen des Staates um und ist der gesellschaftliche Kitt, der die Nachbarschaft organisiert und zusammenhält, für Ordnung sorgt, Protestpotenzial bündelt. Sie setzt sich für die ein, die es am meisten benötigen, mit Wohnraum, Bildung, medizinischer Versorgung und sozialem Zusammenhalt. Gefestigt hat sich die Stellung der Organisation vor allem seit 2003 durch die zunächst skeptische, dann immer fruchtbarere Zusammenarbeit mit den Vorgängerregierungen Néstor und Cristina Kirchners. Túpac Amaru ist ein Paradebeispiel für die Rolle sozialer Organisationen im Kirchnerismus als Mittlerin zwischen Staat und ärmeren Teilen der Bevölkerung auf lokaler Ebene. Eine relativ neue Erscheinung – politischer Aktivismus, der zwar nicht parteilich gebunden ist, aber dennoch starke Verbindungen zur damaligen Regierungspartei Frente para la Victoria unterhielt.

Über die effiziente Verwaltung von Sozialprogrammen der Bundesregierung gewann die Túpac Bedeutung und Einfluss. Dabei bildete sie ein Flaggschiff in der Entwicklung von Kooperativen und dem damit verbundenen Wirtschaftsmodell, setzte sich ein für Arbeiter*innen- und Menschenrechte. In den eigens gegründeten Kooperativen zur Umsetzung von öffentlichen Programmen zum sozialen Wohnungsbau konnten sie vorhandene Mittel weitaus schneller, sparsamer und zielführender einsetzen als private Baufirmen und dabei weitaus mehr Menschen beschäftigen. Über 8.000 Wohnungen und ganze Stadtviertel wurden in Jujuy von den Menschen gebaut, die später selbst darin wohnen sollten. Auch das benötigte Material wurde in kooperativ betriebenen Fabriken produziert, somit Mittelsmänner ausgeschaltet und die eingesparten Ressourcen in Gesundheitszentren, Schulen, Rehabilitierungs- und Freizeitangebote innerhalb der Wohnblöcke investiert. Die Implementierung der staatlichen Programme hat die Túpac Amaru zu einem der größten Arbeitgeber in der Provinz gemacht. Mit dem Machtwechsel in Buenos Aires fiel Ende 2015 der größte Finanzgeber für die Túpac weg.

Die Gerichtsprozesse waren die reinste Farce.


Um die unangefochtene Führungsperson Milagro Sala existiert nahezu ein Kult. Wichtige Entscheidungen werden zwar im Plenum diskutiert, aber das Sagen hat Milagro Sala. Sie leitet mit Härte und Disziplin, es heißt, nicht wenige ihrer Anhänger*innen würden bis ans Äußerste für sie gehen. Sala hat selbst auf der Straße gelebt. Ihr politischer Aktivismus hat sie aus der Marginalität geholt, weg vom Drogensumpf und einem Leben zwischen Knast und Straße. Dort ist sie allerdings durch eine harte Schule gegangen und hat sich den Respekt der Menschen erkämpft. Durch Stärke, Strenge, Verbindlichkeit und Geradlinigkeit. Deswegen sind sie und die Organisation von den villeros, den Menschen, die in den Armenvierteln leben, akzeptiert, denn sie fühlen sich repräsentiert. Milagro Sala hat zudem die Fähigkeit, sich der konkreten Probleme der Menschen anzunehmen und sie oft gar zu lösen – mit staatlichen Mitteln. So wie es eigentlich sein sollte.

Doch durch ihr zunehmendes Gewicht ist die Organisation der Machtelite ein Dorn im Auge. Und Milagro Sala, als ihr Aushängeschild, wird als „Provokation“ wahrgenommen. Denn in der stark von Rassismus und Klassismus geprägten Provinz geht es nicht nur um politische und territoriale, sondern auch um symbolische Macht. Milagro Sala ist das absolute Gegenteil dieser Machtelite, von der sie gehasst wird: Sie ist eine Frau, sie ist Schwarz, das heißt nicht weiß, sie stammt nicht aus der Oberschicht, sondern aus dem Slum, sie sieht aus wie eine Indígena, so wie alle einfachen Menschen im Norden Argentiniens, deren sozialer Status sinkt, je dunkler die Hautfarbe. Aber sie ist stolz, rotzig und trotzig statt unterwürfig – ein Affront. Social Media-Kampagnen gegen sie sind oft von grauenhaftem Rassismus durchzogen. Dass sie, dieses „Negativ“ der weißen Justiz- und Politikelite, Ansehen, Macht und Einfluss gewonnen hat und in ihrer Arbeit Prinzipien umsetzt, die den herrschenden Status quo herausfordern, ist für diese eine Verhöhnung. Für sie ist die Túpac Amaru allemal eine Unruhestifterin und gefährlich aufgrund des enormen Protestpotenzials, der politischen Mobilisierungskraft und ihrer Legitimation in der Bevölkerung. Mit ihren Anhänger*innen können sie die ganze Provinz lahmlegen. In den vergangenen Jahren gab es Dutzende (mittlerweile eingestellte) Anzeigen gegen Sala, bei denen es immer um Widerstand gegen die Staatsgewalt ging – Demonstrationen, Besetzungen, Auseinandersetzungen mit der Polizei. Aber die Túpac ist weit mehr als bloßer Protest.

Die von der Túpac gebauten Stadtviertel sind eine Art Sozialbau, der seinesgleichen vergeblich sucht. In der britischen Zeitung The Guardian verglich der Journalist McGuirk das von Túpac gebaute Barrio Alto Comedoro mit einer ironischen Version der Country Clubs der Reichen, einer Kombination aus Vorstadt, disneyeskem Vergnügungspark und radikalem Sozialismus. Denn neben den Freizeitbädern wurden Nachbildungen indigener Kultstätten Tiwanakus gebaut und prangt die gesammelte revolutionäre Ikonographie auf den Wasserspeichern des Viertels: die Konterfeis Che Guevaras, Evitas und Túpac Amarus, Widerstandskämpfer der Indigenen gegen die spanische Kolonialisierung. Die Sport- und Freizeitangebote sind symbolische Gesten, die aber auch dazu führen, dass in den Vierteln eine Community nicht nur durch das Wohnen im Ballungsraum entsteht, sondern durch gemeinsame Freizeitaktivitäten, die sonst nur Reichen vorbehalten sind. Die Wohnprojekte seien ein „Stinkefinger für Politiker und private Bauunternehmen“, so McGuirk.

Nicht weiter verwunderlich, dass die neu gewählte Regierung – bestehend aus der bourgeoisen Elite der Provinz – alles daran setzt, die Organisation zu zerschlagen. Allen voran der ehemalige Senator Gerardo Morales, der im Dezember 2015 zum neuen Gouverneur von Jujuy gewählt wurde. Angetreten war er für die aus Oppositionsparteien zum Kirchnerismus bestehende Wahlallianz Frente Cambia Jujuy, der lokalen Variante der Regierungskoalition Cambiemos von Präsident Maurico Macri auf Bundesebene. Eine von Morales’ ersten Amtshandlungen war die Inhaftierung Milagro Salas. Die vagen und unhaltbaren Anschuldigungen gegen Sala wurden im Laufe der Anklage ständig verändert. Eine klar politisch motivierte Verhaftung, die zudem aufgrund zahlreicher Unregelmäßigkeiten im Verfahren unrechtmäßig war. Festgenommen wurde Milagro Sala zunächst am 16. Januar 2016 aufgrund eines friedlichen Protestcamps zur Zahlung von Sozialprogrammen und Wiederaufnahme des Dialogs mit der neu gewählten Regierung: „Anstiftung zu kriminellen Aktivitäten“.

Salas ist das Gegenteil der regierenden Machtelite.

Nachträglich wurde die Anklage fallengelassen, aber am selben Tag mehrere Klagen aufgrund anderer Delikte eingereicht – Veruntreuung öffentlicher Gelder, öffentlicher Aufruhr, Nötigung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Das Protestcamp wurde stattdessen in einem Verfahren wegen Ordnungswidrigkeit verhandelt, woraus das Urteil vom 30. Dezember resultierte. Das Vergehen, das jetzt vor dem Strafgericht beschieden wurde, ist allerdings ein Eierwurf aus dem Jahr 2009 auf den damals noch als Senator tätigen Morales, zu dem Sala angeblich aufgerufen haben soll, sie selbst aber nicht einmal anwesend war. Keine der anhängigen Klagen hatte jedoch die bald ein Jahr andauernde Präventionshaft gerechtfertigt, die unter höchst dubiosen Umständen zustande gekommen war: mit einem ad hoc erweiterten Obersten Gerichtshof, der dann von ehemaligen Abgeordneten aus der Partei neu besetzt wurde, die zuvor für seine Erweiterung gestimmt hatten; mit per Dekret ernannten Staatsanwält*innen, mit Untersuchungen ohne Durchsuchungsbefehl, mit Aufnahme von Anklagen in der Ferienzeit der Gerichte, mit Diffamierungen der Verteidiger*innen von Milagro Sala und vielen weiteren Unregelmäßigkeiten im Verfahren im Laufe des vergangenen Jahres, die gegen lokale und nationale Rechtsprechung verstoßen. Die Willkürlichkeit der Methoden, mit denen versucht wird, Sala außerhalb rechtlicher Konventionen in Haft zu behalten, zeigt eine Gesetzesinitiative aus Morales Regierungskoalition kurz vor der Urteilsverkündung, die sich für ein Referendum über den Verbleib in Untersuchungshaft der Angeklagten einsetzt. In Jujuy sind Justiz und Politik so sehr miteinander verknüpft, dass praktisch keine Unabhängigkeit besteht. Man könne gar nicht von Rechtstaatlichkeit sprechen, erklärt der Journalist und Menschenrechtler Horacio Verbitsky. Zu alledem müsste Sala als Abgeordnete des PARLASUR eigentlich parlamentarische Immunität genießen und auch die UN-Arbeitsgruppe zu willkürlichen Festnahmen hatte bereits im Oktober 2016 bestätigt, dass es keine legale Rechtfertigung für die Inhaftierung Salas geben würde – ohne Reaktion.

Auch nach der Urteilsverkündung gibt es weiterhin keine rechtliche Handhabe dafür, dass Sala in Haft verbleibt. Da es sich bei der Freilassung aber um eine rein politische Entscheidung handele, bleibe diese sehr unwahrscheinlich, bis sich die Machtverhältnisse geändert hätten, so die Pressesprecherin der Túpac Amaru Sabrina Roth gegenüber den LN. Dass die Willkürlichkeit und Korrumpierung des Justizsystems durch die Provinzregierung auch auf Bundesebene Unterstützung findet, ist besonders besorgniserregend. Denn nicht nur verfassungsmäßige Garantien und Regeln des Strafrechts werden missachtet, sondern friedlicher Protest und freie Meinungsäußerung werden als schwerwiegende kriminelle Handlungen dargestellt und auch als solche geahndet. Das kürzliche Urteil gegen Milagro Sala ist daher ein gefährlicher Präzedenzfall im Zusammenhang mit der Verbindlichkeit von grundlegenden Menschenrechten und vertieft die Sorge der Aktivist*innen um ein wieder aggressiver werdendes Klima gegenüber sozialen Protesten im neoliberal regierten Argentinien.

„WILLKOMMEN ZU HAUSE, BRÜDER UND SCHWESTERN!“

Elva Cutz erinnert sich noch gut an die kühle, vorletzte Nacht des Jahres 1996. „Meine Mutter und ich gingen zur Plaza de la Constitución im Zentrum von Guatemala-Stadt und sahen da Teile der Friedensverkündung. Aber ich habe das damals gar nicht verstanden. Ich sah nur Menschen, die weinten, Menschen, die sich vor Glück umarmten, und die vielen Parolen des Friedens dort auf dem riesigen Platz.“ Zwanzig Jahre sind vergangen seit jener Nacht. Auf der Plaza de la Constitución, dem Platz der Verfassung, dem wichtigsten Platz Guatemalas, hatten sich tausende Menschen versammelt. Sie jubeln, als der damalige Präsident Álvaro Arzú verkündet, dass über 35 Jahre Krieg zu Ende seien. Elva war damals noch zu klein, um zu begreifen, was dort passierte und welche Bedeutung dieser Tag für Ihr weiteres Leben haben sollte. Die Erwachsenen hatten es geschafft, für sie, wie für viele Kinder Guatemalas, eine Welt fern der schlimmen Erlebnisse zu schaffen, die sie selbst geprägt hatten. „Ich habe als Kind viele Geschichten gelesen“, erzählt die indigene Aktivistin Andrea Ixchiú. „Eine dieser Geschichten hieß Blutbad im Wald, von Ricardo Falla, einem jesuitischen Priester. Ich wollte wissen, warum die Geschichten der Erwachsenen so traurig und schrecklich sind. Ich erinnere mich, dass mein Vater sich zu mir gesetzt hat und sagte: Das sind keine Märchen, das ist wirklich passiert in Guatemala. Dass es einen Krieg gab, in dem schlimme Sachen passiert seien, aber dass das Land dann begonnen habe, Frieden zu schließen.“

Die, die damals schon älter waren, erinnern sich sehr wohl. Rafael Herrarte, Jahrgang 1959, stammt aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater war Straßenarbeiter, seine Mutter besaß ein kleines Geschäft. Als Jugendlicher war Rafael Mitglied einer Kirchengruppe, später dann Gewerkschafter. „Meine Generation ist gezeichnet durch die Morde an Intellektuellen in den 1970er Jahren. 1980 dann stürmte die Polizei eine nationale Arbeiterversammlung und verschleppte 39 Gewerkschafter – Menschen, für die ich größten Respekt empfinde und die ich nie wieder gesehen habe. Das hat in mir den endgültigen Bruch mit dem ausgelöst.“

Community-Radios im Hochland: Radioaktivist Tino in Aktion (Fotos: Voces Nuestras)

1944 hatten die Guatemalteken den letzten einer langen Reihe von Diktatoren gestürzt. Bis dahin war Guatemala ein Feudalstaat gewesen, in dem Bäuerinnen und Bauern zur Arbeit auf den Kaffee- und Bananenplantagen gezwungen wurden und Arbeiter*innen kaum Rechte hatten. Die folgenden zehn Jahre der beginnenden Demokratie gelten bis heute als der „guatemaltekische Frühling“, eine Zeit des Aufbruchs, der Modernisierung. Nicht nur die Frauen erhielten das Wahlrecht, auch Analphabet*innen und damit ein Großteil des ländlichen und indigenen Guatemalas. Die demokratischen Regierungen machten sich an die Arbeit: Über den Ausbau der Universitäten, den Aufbau eines Gesundheitssystems, durch Bildungsreformen und Infrastrukturprojekte sollte Guatemala in das 20. Jahrhundert katapultiert werden.

Die Pläne für eine Landreform berührten jedoch direkt die Interessen der Großgrundbesitzer und des US-amerikanischen Bananenkonzerns United Fruit, bekannt vor allem durch seine Marke Chiquita. United Fruit kontrollierte damals riesige Ländereien in Guatemala und hatte beste Verbindungen zur US-Regierung des damaligen Präsidenten Dwight D. Eisenhower und zur CIA. Der Putsch gegen den gewählten Präsidenten Jacobo Árbenz kam schließlich im Juni 1954.

Die Militärs ergriffen mit US-Unterstützung für Jahrzehnte die Macht und gingen gegen Widerstand zunehmend brutal vor. In den 1970er Jahren vernichteten politische Morde einen Großteil der intellektuellen Klasse von Guatemalas, in den 1980er Jahren wurde das Land Schauplatz des schlimmsten Völkermordes der westlichen Hemisphäre seit dem Zweiten Weltkrieg – mit über Hunderttausend Toten, Verschwundenen, Vertriebenen.

Gerade auf die indigene Beteiligung am Aufstand reagierte die Militärdiktatur mit brutalster Gewalt. Ilom, Chel, Chisis, Acul, Río Negro, Sacuchum Dolores, San José und San Antonio Sinaché: es sind heute nicht nur Namen von indigenen Dörfern, sie stehen auch für die Massaker, die Guatemalas Armee und Todesschwadronen an der indigenen Bevölkerung begangen haben. Vor allem ein Name steht für die Gräueltaten der jahrzehntelangen Militärdiktatur: Efraín Ríos Montt. Als Junta-Chef von 1982 bis 1983 soll er mindestens elf Massaker an indigenen Dorfgemeinschaften befohlen haben.

Die guatemaltekische Politik hat jedoch bis heute kaum ein Interesse, die Konfliktursachen anzugehen, geschweige denn Verantwortung für die vom Staat begangenen Verbrechen zu übernehmen. Doch ein Staat, der seine Kriegsverantwortung nicht anerkennt, kann kaum den Frieden gestalten. Rafael Herrarte, dessen Jugend durch die Morde der Militärs geprägt war, ist heute Chef des Forensischen Institutes CAFCA. CAFCA hat nach dem Friedensschluss vor 20 Jahren, auch mit europäischer Unterstützung, Dutzende Massengräber aufgespürt und untersucht. Die meisten Massaker hatte die Armee angerichtet, in den Gräbern liegen die Skelette vieler Kinder. Viele Frauen waren vor ihrer Ermordung vergewaltigt worden. Wunden, die nur schwer verheilen.

In den 1990er Jahren änderte sich die Lage. Guatemala war aufgrund der Schreckensmeldungen international zunehmend isoliert. Dies ging der dominierenden Unternehmer- und Großgrundbesitzerkaste, den ehemals großen Unterstützern der Militärdiktatur, zunehmend ans Geld. Um wieder Geschäfte machen zu dürfen, musste der Staat auf internationalem Parkett wieder eine gewisse Legitimität zurückgegeben werden. Dazu musste man den Frieden schließen.

Während die einen zurück zu internationalen Märkten wollten, wollten Hunderttausende andere zurück auf ihr Land, zurück nach Hause, zurück zu ihren Familien. Frieden war in den 1990er Jahren die Antwort für alle. 1991 endlich begann Guatemalas Regierung unter Aufsicht der Vereinten Nationen in Mexiko und Skandinavien mit der URNG-Guerrilla zu verhandeln. Im Dezember 1996 wurden schließlich zwölf Friedensabkommen unterzeichnet. Auch César Saloj kann sich noch gut an jenen Tag erinnern. „Wir wohnten damals an der Interamericana, auf der tausende Flüchtlinge in unzähligen Bussen aus dem mexikanischen Exil zurückkehrten. Wir haben Transparente gemalt, wo drauf stand: ‚Willkommen zu Hause, Brüder und Schwestern!’. Wir haben Mandelmilch und Sandwichs verteilt. Mein Vater war sehr bewegt, er ging stundenlang von Bus zu Bus und hieß alle Willkommen. Aber wir Kleinen wussten nicht mal, warum all diese Menschen weggegangen waren.“

„Das sind keine Märchen, das ist wirklich passiert in Guatemala.“


Die zwölf Friedensabkommen handeln von Menschenrechten, von demokratischen Verfassungsreformen, von der Rückführung der Flüchtlinge und der Wiedereingliederung der Guerillakämpfer in die Gesellschaft. Sie versprechen Landreformen, ländliche Entwicklung und indigene Rechte, um die Ursachen des Konfliktes anzugehen. Eine Wahrheitskommission sollte die im Bürgerkrieg von allen Seiten begangenen Verbrechen aufklären. Unter dem Vorsitz des deutschen Völkerrechtlers Christian Tomuschat kam die Kommission 1999 zu dem Ergebnis, dass 93 Prozent der Gräueltaten von der Armee begangen worden und 83 Prozent der Opfer Indigene waren.

Alberto Ramirez, genannt Tino, stammt aus einer Maya-Familie. Als Tinos Vater Anfang der 1980er Jahre von der Armee verschleppt und ermordet wurde, flohen Mutter und Tino zu der Guerilla in die Berge. Aus dem heranwachsenden Tino wurde ein Guerillero – und kämpfte gegen Rassismus und ungleiche Besitzverhältnisse. Aber Tinos Waffen waren weder Gewehr noch Dynamit, sondern ein Mikrofon und ein Fahrrad. Anfang der 1980er war der Guerilla klar geworden, dass sie ein eigenes Medium brauchte – um aufzuklären, anzuklagen, zu mobilisieren. „Mich hat man über die Grenze nach Mexiko geschickt“, erzählt Tino. „Von dort aus habe ich produziert und die Tonkassetten mit dem Fahrrad nach Guatemala geschmuggelt, die wir dann vom Vulkan gesendet haben“. Neun Jahre lang sendete La Voz Popular von den Hängen des Vulkans Tajumulco. Für Tino war das Guerilla-Radio ein Sprachrohr der Stimmlosen, das von den Mächtigen als Bedrohung empfunden wurde. Mehrere Militäroffensiven am Vulkan waren die Folge. Doch der Friedensschluss 1996 bedeutete das Ende von La Voz Popular. Heute lebt der mittlerweile 50-jährige Tino in der Nähe von Quetzaltenango, der zweitgrößten Stadt Guatemalas. Radio macht er weiterhin. Nach dem Friedensschluss gründete Tino zusammen mit anderen ehemaligen Guerillafunker*innen die NGO Mujb’ab’l Yol. Hier produzieren Jugendliche kulturelle, bildungsorientierte und politische Programme. Dem Senderverbund Mujb’ab’l Yol gehören mittlerweile 26 Community-Radios im Hochland an.

„Es kann keine Demokratie ohne freie Meinungsäußerung geben und ohne freie Medien keine freie Meinungsäußerung“, sagt Tino und fügt hinzu: „Aber Sprachrohre der Stimmlosen, die sind auch in sogenannten Demokratien für die Mächtigen eine Bedrohung.“ In Guatemala gebe es eine herrschende Klasse, die nicht wolle, dass Indígenas ihre eigene Entwicklung gestalten. Community-Radios würden aber einen Beitrag zur lokalen Entwicklung, zur Kultur, zur Bildung, auch zur Mobilisierung der Menschen leisten. Vielleicht auch deshalb haben Guatemalas Regierungen nach Friedensschluss die Legalisierung von indigenen Radios verhindert und sie stattdessen kriminalisiert.

„Gestern, heute und immer“: Wandbild im Senderverbund Mujb abl yol

Die Provinz Zacapa liegt zwar im trockenen, heißen Osten des Landes, aber durch zwei große Flüsse ist Zacapa gleichzeitig wasserreich. In Flussnähe werden Bananen, Ananas, sogar Weintrauben angebaut, dazu Tomaten, Paprika und Maniok, die Viehwirtschaft hat große Bedeutung. Die Flüsse speisen sich aus den Bergen in der Umgebung von Zacapa. In  diesen Bergen arbeitet Pfarrer José Pilar Álvarez Cabrera. Die Gemeinde des 54-jährigen zählt 350 Einwohner*innen, fast alle sind Maya Chort’i, Indígenas aus den Bergdörfern.

Die Bergwälder sind bedroht, durch den Bevölkerungszuwachs, vor allem aber durch die Großgrundbesitzer, die hier seit Jahrzehnten abholzen. Heute sind nur noch 20 Prozent intakt. Das Wasser ist spürbar weniger geworden. Es waren die Chort’i-Gemeinden, die sich als erste gegen die Abholzung organisiert und dann mit der katholischen und der lutherischen Kirche eine „Ökumenische und soziale Koordination zur Verteidigung des Lebens” gegründet haben.

Die Bergwälder sollen endlich unter wirksamen Schutz gestellt werden – zum Nutzen aller. Doch was so einleuchtend erscheint, hat eine Welle von Gewalt ausgelöst, gegen die indigenen Gemeinden, in Form von Morddrohungen auch gegen Pfarrer José Pilar selbst. Profite aus illegalem Holzeinschlag scheinen wichtiger als Wasser für alle. Frieden in Guatemala sehe anders aus, meint José Pilar: „Die Friedensabkommen sollten ja die Ursachen des Konfliktes beseitigen – Diskriminierung, den Rassismus, die äußerst ungleiche Besitzverteilung. Aber das hat man schnell beiseite gelegt und die Regierung hat stattdessen einen neoliberalen Kurs eingeschlagen.“ Heute gebe es mehr gewaltsame Todesfälle als während des Krieges, fügt er hinzu.

„Alle haben ganz bewusst Gewalt gegen Frauen als Machtmittel eingesetzt.“


Die Berglandschaft im Osten Guatemalas ist auch die Region, aus der Lorena Cabnal stammt. Sie ist Xinca-Indígena und Feministin. Schon in vorkolumbianischer Zeit habe sich der Machismo der Vorfahren gegen die Frau gerichtet, urteilt sie. Dann kamen Kolonialisierung und Kirche, später Diktaturen und die Aufstandsbekämpfungspolitik während des Bürgerkriegs. Aus Lorenas Sicht „haben sie alle ganz bewusst Gewalt gegen Frauen als Machtmittel eingesetzt. Der Neoliberalismus nach Kriegsende hat diese Situation sogar noch verschärft.“

Heute zählt Guatemala zu den Ländern mit den meisten Fallen von Femiziden auf der Welt: Fast 1.000 Frauen sind allein im letzten Jahr ermordet worden. Auch Lorena hat mehrfach Todesdrohungen erhalten. Die Friedensverträge haben den Frauen in Guatemala also nicht unbedingt etwas gebracht. Oder, vielleicht doch. Lorena verweist auf die heranwachsende, junge Generation, eine Generation, die wortwörtlich die Schnauze voll habe: „Es gibt neue Formen des Protests und neue künstlerischen Ausdrucksformen, Gesichter eines vielfältigen Widerstandes – und zwar sowohl in den Städten wie auf dem Land, in mestizischen wie indigenen Gemeinschaften. Diese neue Generation hat das Potenzial, in Guatemala tatsächlich etwas zu bewegen.“ Und auch Rafael Herrarte, der Chef des Forensischen Institutes CAFCA, sieht deutlich positive Entwicklungen: Die Wiederherstellung der Meinungsfreiheit, dass es heute viel mehr Raum gebe, sich zu organisieren, und etwas zu bewegen. Er verweist auf die Justiz, die in den letzten Jahren einige Militärangehörige zur Verantwortung gezogen hat.

Aber es ist größtenteils der Zivilgesellschaft zu verdanken, wenn sich in den 20 Jahren nach Friedensschluss etwas bewegt hat. Dazu gehören auch die massiven Proteste gegen die Korruption, die im letzten Jahr den Präsidenten Otto Pérez Molina und seine Vizepräsidentin zuerst aus ihrem Amtssitz und schließlich ins Gefängnis beförderten. Aber wesentlich sozialer und gerechter, weniger rassistisch und sexistisch ist Guatemala bis heute nicht. Sechs von zehn Menschen leben in Armut, vier von zehn Kindern sind unterernährt. Menschen wandern in Scharen in die USA aus, zunächst wegen Armut und Perspektivlosigkeit, mittlerweile aufgrund der Gewalt. Heute sterben in Guatemala mehr Menschen eines gewaltsamen Todes als zu Zeiten des Bürgerkrieges. Vielleicht wäre alles anders gekommen, so denken viele Guatemaltek*innen, hätten die USA nicht den guatemaltekischen Frühling weggeputscht, damals, vor über 70 Jahren.

„WIR GEBEN UNSER LAND NICHT AUF“

Unser Kleinbus schaukelt durch die Schlaglöcher einer Schotterpiste. Ab und zu bricht ein kurzer Regenschauer über uns herein. Je weiter wir uns von der Hauptstadt Tegucigalpa nach Norden Richtung Atlantikküste begeben, desto flacher wird es, umso tropischer werden die Temperaturen. Nach neun Stunden Fahrt sind wir froh, die erste Station unserer dreiwöchigen Reise zu erreichen: Trujillo, die ehemalige Hauptstadt zu frühkolonialen Zeiten. Wir, das sind sechs Menschen aus Honduras, Spanien und Deutschland, die sich in der Solidaritätsbewegung HondurasDelegation engagieren. Wir haben uns für diese Reise zusammengetan, um uns ein Bild von der aktuellen Menschenrechtslage in Honduras zu machen und in Deutschland darüber zu berichten. Seit dem Putsch 2009 ist es bereits die fünfte HondurasDelegation. Aus den Reisen entstanden zahlreiche Berichte, Filme und eine Fülle von Kontakten. Jede Delegation hatte andere Schwerpunkte, wir interessieren uns besonders für den Kampf der indigenen Bevölkerung um ihre Landrechte.

Fotos: Rita Trautmann

In Trujillo erwarten uns blauer Himmel und strahlender Sonnenschein. Das Meer liegt ruhig in der Bucht. Das Städtchen ist auf einer kleinen Anhöhe gelegen und neben einem Denkmal für Christoph Kolumbus, der hier 1502 erstmals den amerikanischen Kontinent betrat, haben wir einen guten Blick über die Bucht. Wir treffen Malvin Morales, Aktivist bei OFRANEH (Organización Fraternal Negra Hondureña), der Bewegung der afro-indigenen Garifuna. Malvin begrüßt uns herzlich und berichtet sofort von den Landkonflikten in der Bucht: „Wir haben als Garifuna seit 1901 kollektive Landtitel, die der damalige Präsident Manuel Bonilla ausstellte. Doch nach und nach hat man uns dieses Landes beraubt.“ Er zeigt auf die gegenüberliegende Landzunge: „Dort befand sich mein Dorf Puerto Castilla. Wir mussten der staatlichen Hafengesellschaft weichen und haben dabei einen guten Teil unseres Landes verloren. Nun wohnen wir südlich vom Hafen und sind wieder von einer Umsiedlung bedroht.“ Wir spähen gegen das Sonnenlicht herüber und können Umrisse der riesigen Container im Hafen erkennen. Von dort werden Bananen von den Plantagen in die USA verschifft.

Die Garifuna sind Nachfahren der karibischen Arawak-Indigenen und afrikanischer Versklavter, die Ende des 18. Jahrhunderts von englischen Kolonisator*innen nach Honduras deportiert wurden. Von dort aus besiedelten sie die Küste Zentralamerikas zwischen Belize und Nicaragua. Die meisten leben in 46 Gemeinden der honduranischen Karibikküste. Seit mehreren Jahren plant die honduranische Regierung in der Bucht von Trujillo eine sogenannte ZEDE (Zona de Empleo y Desarrollo Económico), auch bekannt als „Modellstadt“ oder Sonderwirtschaftszone (LN 466), die zusätzlich Investor*innen anlockt. „Alle Gemeinden sind von diesen Plänen gefährdet. Dazu kommen illegale Landverkäufe an Privatinvestoren“, fährt Malvin fort. „Auf der westlichen Seite der Bucht sind die Gemeinden Santa Fé, San Antonio und Guadelupe von Landraub durch einen kanadischen Investor betroffen“. Was all dies für die Garifuna-Gemeinden bedeutet, wird schnell klar. Sie werden vertrieben und verlieren ihre Lebensgrundlage, die vor allem auf Fischfang und kleinbäuerliche Landwirtschaft basiert. Die Regierung übt Druck auf die Garifuna aus: Während Malvin von den Regierungsplänen zur Schaffung der sogenannten Modellstadt in der Bucht von Trujillo berichtet, patrouillieren ständig Militärs an uns vorbei. Er lässt sich davon allerdings nicht beeindrucken.

Bereit zum Rückerobern: Landaktivist Malvin Morales

Malvin hat sich OFRANEH angeschlossen, um die kollektiven Landrechte der Garifuna zu verteidigen und bereits geraubtes Land zurückzugewinnen. Bevor die Sonne höher steigt und es noch wärmer wird, machen wir uns mit ihm auf den Weg, um zwei der OFRANEH-Projekte zur Landrückgewinnung, sogenannte recuperaciones, zu besuchen. Wir fahren einen malerischen, aber unbefestigten Küstenweg entlang und treffen Carmen Alvarez, ebenfalls Aktivistin bei OFRANEH. Sie erzählt uns, wie die Garifuna-Gemeinden Teile ihres Landes verloren: „Unsere Landwirtschaft funktioniert so, dass wir nicht alles Land gleichzeitig bebauen, sondern immer einen Teil des Landes brachliegen lassen. Die Brachen  wurden nach und nach von anderen besetzt und, wenn wir dort im Folgejahr etwas anbauen wollten, war das Land bereits eingezäunt. Hinzu kommt, dass staatliche Behörden, besonders die Gemeindeverwaltung von Trujillo, korrupt sind. Sie verkaufen Land, das uns gehört, ohne uns zu fragen. Sie erkennen unseren kollektiven Landtitel von 1901 einfach nicht an. So konnte zum Beispiel Randy Jorgensen unser Land kaufen.“

Jorgensen, ein als „Porno-König“ bekannter Kanadier, nutzt seine Nähe zu konservativen Politikern in Honduras, um sich im großen Stil Land für Tourismusprojekte anzueignen. „Er versprach den Gemeinden, dass sie vom Tourismus profitieren würden. Und der einzige, der verdient, ist Randy“, berichtet Carmen. Auf dem Weg zur recuperación des Dorfes Guadelupe kommen wir an mehreren neuen Luxus-Altersresidenzen für Rentner aus dem globalen Norden vorbei, die sich in seinem Besitz befinden. In direkter Nachbarschaft zu einer dieser Residenzen, die hinter Mauern und mit Sicherheitspersonal gut vor Blicken von außen abgeschirmt ist, liegt das Gelände des Projektes. Ein großes Banner mit der Aufschrift: „Unsere Kultur und unser Land sind nicht zum Verkauf! – OFRANEH“ kündigt es an. Wir werden bereits von einer Gruppe junger Menschen aus Guadelupe erwartet. Einige Frauen haben in einer provisorischen, mit Plastikplanen überdachten Küche Essen zubereitet. Auf dem Grundstück der recuperación stehen fünf fertige Häuser, an weiteren wird gebaut.

Tatort Landraub: Puerto Castilla

Von den rund 30 jungen Menschen, die sich an diesem OFRANEH-Projekt beteiligen, hatten viele den Traum vom großen Glück in den USA. Sie wurden deportiert oder kamen nie bis zur Grenze. Ohne Besitz und ohne Aussicht auf Arbeit kehrten sie zurück und schlossen sich den Landprojekten an. Einer von ihnen, Darwin Arriola, erzählt von seiner Motivation: „Ich kam bis Mexiko, hatte kein Geld mehr und wusste nicht mehr weiter. Ich hatte Hunger und Durst und hoffte darauf, dass mir jemand etwas geben würde, ich habe geweint. Es war ein furchtbar entwürdigender Moment. So etwas möchte ich nie mehr erleben. Ich bin froh wieder hier zu sein und möchte arbeiten, deshalb habe ich mich der recuperación angeschlossen.“ Die meisten Menschen in diesem Projekt haben zuvor nicht in der Landwirtschaft gearbeitet. Wir sind beeindruckt, wie viel Kraft und Arbeit sie in die Nutzbarmachung des Landes stecken. Ausführlich zeigen uns einige aus der Gruppe das Gelände: Hier eine kleine Pflanzung von Bananen, dort Maniok. Sie wissen, dass das Land ihnen die einzige Chance bietet, um zu überleben. Deshalb gehen sie die Risiken ein, die damit verbunden sind.

Malvin erzählt uns, dass OFRANEH und die Aktivist*innen, die bei den recuperaciones dabei sind, kriminalisiert, verfolgt und eingeschüchtert werden. Alle Projekte in der Bucht haben bereits Räumungsversuche der Polizei erlebt, auch wenn es rechtlich dafür keine Grundlage gibt. Medelín David Hernández, eine der Aktivist*innen aus Guadelupe, wurde im November von der Polizei unrechtmäßig verhaftet und misshandelt. Dennoch lässt sie sich nicht einschüchtern: „Wir haben Gruppen gebildet und wechseln uns hier auf der recuperación ab, so dass eine Gruppe im Dorf ist und die andere hier arbeitet, so ist immer jemand auf diesem Grundstück. Es ist unser Land und wir werden es nicht aufgeben.“ Medelín David Hernández wurde wegen Landbesetzung angezeigt. Während sie erzählt, hält sie ihren kleinen Sohn an der Hand. Er ist für Medelín eine große Motivation, das Land zu verteidigen. Bei den Gesprächen mit den Aktivist*innen merken wir kaum, wie schnell die Zeit vergeht. Aber da der Weg von Guadelupe nach Trujillo nicht beleuchtet ist, müssen wir noch vor der Dämmerung aufbrechen.

Gemeinsam stark: OFRANEH-Aktivistin Medelín David Hernández mit ihrem Sohn 

Am folgenden Tag besuchen wir Puerto Castilla auf der Landzunge, die sich östlich von Trujillo um die Bucht erstreckt. Die nicht weit entfernten Bananenplantagen und der Hafen machen das Garifuna-Land attraktiv für Investitionen verschiedenster Art. Wir fahren durch das Dorf und wir ahnen, wie dringend für die Bewohner*innen die Rückgewinnung ihres Landes ist. Die Häuser stehen dicht gedrängt, es gibt keinen Platz für Hausgärten, manchmal nicht einmal Platz, um Wäsche hinter dem Haus aufzuhängen. Malvin, der selbst aus Puerto Castilla stammt, bestätigt dies: „Wir alle haben Kinder, aber wir haben nicht genug Häuser und wir haben nicht einmal mehr ein kleines Stück Land, um Maniok anzubauen. Was sollen wir unseren Kindern geben? Und das, obwohl wir die Landtitel für viel größere Flächen besitzen.“ *Es bleibt noch viel zu tun, bis diese Titel und das Recht der Garifuna auf Land wieder respektiert werden

// KEIN AUFATMEN IM HINTERHOF

Trump versus Clinton – wenn diese LN in den Briefkästen liegt, ist die Schlammschlacht um die US-Präsidentschaft zum Glück vorbei. Das Aufatmen könnte von kurzer Dauer sein, hält man sich vor Augen, was nun folgen könnte. Sexistisch, rassistisch, unberechenbar: Über Donald Trumps Charakter bestand schon lange Klarheit – vor seinen Beleidigungen mexikanischer Migrant*innen, vor seiner Forderung eines Mauerbaus an der Südgrenze, vor „Pussygate“, vor seinen Aussagen, dass er den Einsatz von Atomwaffen nicht ausschließen möchte. Im Vergleich zu Trump wirkt Hillary Clinton wie ein Hort der Vernunft: intelligent und rational, fähig zu Kompromissen und mit viel politischer Erfahrung. Je länger dieser Wahlkampf dauerte, desto leichter fiel es, in ihr nicht nur das kleinere Übel, sondern eine gute Wahl zu sehen. In Lateinamerika sehen das viele anders – aufgrund der Erfahrungen mit der Außenministerin Clinton.

Da ist das Beispiel Honduras: 2009 jagten Militär und alte Eliten den gewählten Präsidenten Manuel Zelaya mit einem Putsch außer Landes. Er stand für ein progressives Programm, das Ungleichheiten zwischen Arm und Reich abbauen und demokratische Teilhabe verbessern sollte. Offiziell verurteilte „Hillary the Killary“ zwar Zelayas Absetzung, nur um flugs zur „Normalisierung“, das heißt: faktischen Anerkennung der Putschisten, überzugehen. Die Militärhilfe wurde Zug um Zug aufgestockt – trotz aller Hinweise, dass Militär und Polizei an den vielfachen Morden an Gewerkschafter*innen, Polit- und Umweltaktivist*innen beteiligt sind.

Da ist das Beispiel Paraguay: 2012 erfolgte der sogenannte „Parlamentsputsch“ gegen den ebenfalls als progressiv geltenden Präsidenten Fernando Lugo. Den Vorwand für das „Express-Amtsenthebungsverfahren“ war das Massaker von Curuguaty. Dabei kamen elf Landlose und sechs Polizisten ums Leben, die Verantwortung für diese Gewalttat ist weiter ungeklärt. Mittlerweile regiert der konservative Horacio Cartes, dem Verbindungen zum Drogengeschäft nachgesagt werden. Das Land wird militarisiert, soziale Proteste der Landlosen kriminalisiert. Clinton hatte sich beeilt, die paraguayischen Regierungen nach dem Amtsenthebungsverfahren politisch wieder salonfähig zu machen.

Da ist das Beispiel Mexiko: Die Enthüllungen von Clintons E-Mail-Verkehr offenbaren, dass sich die Außenministerin von 2009 bis 2011 dort vehement einmischte, um die Privatisierung des Erdölsektors voranzubringen. Clinton hat ein Herz für die Wall Street, die Folgen der Liberalisierung für Mexikos Arme lassen sie kalt.

Spätestens seit Clinton Anfang dieses Jahres einen „Plan Colombia für Zentralamerika“ forderte, um der Ausbreitung der Drogenkriminalität Herr zu werden, schrillten bei sozialen Bewegungen die Alarmglocken. Zu gut sind die schlechten Erinnerungen an das Original präsent. Der von Hillarys schlechterer Hälfte Bill in dessen Präsidentschaft 2000 auf den Weg gebrachte „Plan Colombia“ führte zu einer Gewaltwelle gegen Gewerkschafter*innen, Landlose, Indigene und afro-kolumbianische Gemeinden. Massenvertreibungen führten zu weiterer Landkonzentration in den Händen von Agrarindustriellen, die mit Paramilitärs verbündet waren und sind. Die globale Drogenkriminalität wurde durch den Plan nicht gestoppt. Und nun fordert dies Clinton für Zentralamerika: Frieden schaffen mit noch mehr Waffen.

Egal, wie die Wahl am 8. November ausgegangen ist – Lateinamerika wird sich auch zukünftig mit einer offensiven hegemonialen Politik aus dem Norden des Kontinents auseinandersetzen müssen. Jede Bewegung mit auch nur halbwegs sozialrevolutionärem Anspruch wird aus dem Weißen Haus direkt oder indirekt bekämpft. Aufatmen ist in Lateinamerika nicht angesagt.

VERSPIELTE CHANCE?

Das ‚Nein‘ zu dem Friedensvertrag zwischen der Regierung und den bewaffneten Streikkräften Kolumbiens (FARC-EP) löste weltweit Bestürzung aus. Und angesichts des unerwarteten Ausgangs herrscht in Kolumbien jetzt vor allem Unsicherheit: Ist der Friedensprozess gescheitert oder bietet das ‚Nein‘ eine neue Chance für einen breiteren nationalen Konsens? In der kolumbianischen Bevölkerung gehen die Meinungen auseinander.

Der drohende erneute Griff zu den Waffen scheint zunächst abgewendet. Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos hat die Waffenruhe mit der FARC-EP bis zum Ende des Jahres verlängert. Sowohl die Regierung als auch die Delegation der Guerilla in Havanna bemühen sich weiterhin um ein Gelingen des Friedensprozesses. Dazu sollen die Bedingungen des Vertrags neu verhandelt werden, um einen breiteren Rückhalt in der Bevölkerung zu erreichen.
Die zentrale Figur der Kampagne gegen den Friedensvertrag, jetziger Senator und Ex-Präsident Álvaro Uribe Vélez, soll nun an den Verhandlungen beteiligt werden. Zudem hat die Regierung wenige Tage nach dem Plebiszit auch offizielle Verhandlungen mit der nationalen Befreiungsarmee (ELN), der zweitgrößten Guerilla im Land, aufgenommen. Dies wird als wichtiger Schritt hin zu einem dauerhaften Friedensprozess gewertet. Beobachter*innen hatten bereits zu Beginn der Verhandlungen zwischen FARC-EP und Regierung kritisiert, dass ein nachhaltiger Frieden und ein Ende der Gewalt ohne die Einbindung der ELN in die Verhandlungen nicht zu erreichen ist.
Jedoch birgt die Einbindung Uribes auch eine neue Bedrohung für den Erfolg des Friedensprozesses. Gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Gruppierungen wie den konservativen Eliten aus den ländlichen Gebieten Kolumbiens und den evangelikalen Bewegungen führte er einen regelrechten Propagandafeldzug gegen den Friedensvertrag. Zu den Argumenten gehörten neben der durchaus nachvollziehbaren Kritik an der Sonderjustiz für Ex-Kombattant*innen auch fragwürdige Behauptungen bis hin zu eklatanten Lügen. So machten besonders die evangelikalen Kirchen Stimmung gegen die im Vertrag verankerte Gleichstellung der LGBTI-Gemeinschaft und stilisierten den Gender-Diskurs zu einer Ideologie, der sich das kolumbianische Volk zu unterwerfen habe.
Uribe selbst beschwor ebenso immer wieder das Gespenst des drohenden „Chavismus“ herauf und mahnte, die Kolumbianer*innen würden venezolanische Verhältnisse erwarten, sollte die linksgerichtete FARC-EP das im Friedensvertrag zugesicherte Recht auf politische Partizipation erhalten. Der Ex-Präsident zielte damit auf die Angst vor politischer und ökonomischer Instabilität in der Bevölkerung, da Kolumbiens Nachbar Venezuela seit Monaten eine der schwersten Krisen seiner Geschichte erlebt.
Angesichts der Polarisierung im Land und der Unsicherheit gegenüber der weiteren Entwicklung des Friedensprozesses stellt sich die Frage, wie die Bevölkerung auf das ‚Nein‘ reagiert und welche Hoffnungen und Ängste die Kolumbianer*innen mit den aktuellen Entwicklungen verbinden. Die – im wahrsten Sinne des Wortes – Unsicherheit im Land wird deutlich, wenn man mit Aktivist*innen spricht, die in den größeren Städten die Kampagne für den Friedensvertrag unterstützten. Da in den urbanen Zentren im Land mit Ausnahme der Hauptstadt Bogotá das ‚Nein‘ gewonnen hatte, sehen sie sich teilweise massiven Anfeindungen ausgesetzt. Eine Studentin in Bogotá, deren Familie in Medellín über Wochen für das ‚Ja‘ geworben hat, ist seit dem Plebiszit am Boden zerstört – nicht nur aufgrund der „vergebenen historischen Chance auf Frieden“, sondern auch, weil sie und ihre Familie seit dem Morddrohungen erhalten. Aus diesem Grund will sie ihren Namen in keiner Zeitung lesen.
Die indigenen Minderheiten im Land sind ebenso um die Sicherheit in ihren Gemeinden besorgt. Die häufig in Selbstverwaltung lebenden Gemeinschaften waren in der Vergangenheit immer wieder zwischen die Fronten geraten. Um die Menschen in ihren Gebieten vor den Auseinandersetzungen zwischen Guerilla, Paramilitärs und Militär zu schützen, versuchten sogenannte Guardias Indigenas (Indigene Wachen) im Konfliktfall die Kampfhandlungen von den bewohnten Gebieten fernzuhalten und die Menschen in Schulen oder Kirchen in Sicherheit zu bringen. In den letzten Monaten mussten sie dieser lebensbedrohlichen und extrem komplizierten Aufgabe nicht mehr nachkommen. Jetzt herrscht  die Angst, dass sie bald wieder ihr Leben für ihre Gemeinschaft aufs Spiel setzen müssen.
Dieser asymmetrische Charakter des Konflikts, dem in großer Zahl unbeteiligte Zivilist*innen, Aktivist*innen und auch Politiker*innen zum Opfer fallen, ist auch ein essentieller Teil der traumatischen Geschichte der Unión Patriótica (UP). Die Partei wurde 1985 als politische Exit-Option von demobilisierten Guerillakämpfer*innen gegründet. Die zu Beginn beachtlichen politischen Erfolge der Partei gingen jedoch in einem regelrechten Massenmord an ihren Mitgliedern unter. Zwischen 3.000 und 5.000 Personen wurden von paramilitärischen Todesschwadronen, Drogenhändlern und vom Militär selbst ermordet, teilweise im Rahmen blutiger Massaker mit bis zu 43 Toten.
Dementsprechend präsent waren die aktuellen Entwicklungen rund um den Friedensprozess auf dem jährlichen Treffen der Opfer am 21. Oktober in Bogotá. Dabei äußerte sich die Sorge um die Fortdauer des Prozesses in einem klaren Appell von allen Sprecher*innen an die Regierung Santos, die Friedensverhandlungen fortzusetzen und  die Sicherheit der demobilisierten Kämpfer*innen zu garantieren. Ex-Präsident Uribe, der zwischen 2003 und 2006 die Demobilisierung der hauptsächlich für die Massaker an den UP-Mitgliedern verantwortlichen Paramilitärs verhandelte, wurde dabei die Torpedierung des Friedens und seine auf Falschinformationen beruhende Kampagne vorgeworfen.
Viel Lob dagegen fand die „besonnene und dem Frieden zugewandte Reaktion der Unterhändler*innen in Havanna“. Eric Sottas, Direktor der Weltorganisation gegen Folter (OMCT) wies darauf hin, dass man „die kleine Minderheit des ‚Nein‘-Lagers, die einen ohnehin unmöglichen militärischen Sieg verfolgt, isolieren und durch die Annäherung an die übrigen Vertreter*innen dieses Lagers die Chance auf einen besseren Friedensvertrag realisieren muss“.
Eine ähnliche positive Perspektive vertritt auch Eduardo Pizarro Leon Gómez, heute kolumbianischer Botschafter in den Niederlanden. Pizarro war von 2005 bis 2009 Vorsitzender der Nationalen Kommission für Reparation und Aussöhnung, die die rechtliche Aufarbeitung des Paramilitarismus in Kolumbien überwachte. Zwei seiner Brüder kämpften für die Guerilla und waren von Paramilitärs ermordet worden, nachdem sie die Waffen niedergelegt hatten. „Das mit 50.000 Stimmen Vorsprung denkbar knappe ‚Nein‘ zum Friedensabkommen war zwar nicht der optimale Ausgang, stellt aber dennoch eine neue Chance dar“, so der Botschafter. „Dieses suboptimale Ergebnis zwingt uns dazu, einen nationalen Konsens zu finden. Hätte das ‚Ja‘ so knapp gesiegt, wäre dies dagegen ein katastrophaler Ausgang gewesen, da der Friedensvertrag so keine breite Legitimierung gehabt hätte, diese aber auch nicht durch Neuverhandlungen hätte erreicht werden können.“
Seine Deutung der geringen Wahlbeteiligung von knapp über 37 Prozent unterscheidet sich auch von der zahlreicher anderer Beobachter*innen: „Die Wahlbeteiligung war außerordentlich hoch. Da Kolumbien historisch ein enthaltsames Land ist, was Wahlen betrifft, war der Plebiszit geradezu dramatisch. Mit dieser Wahl wurde nicht über politische Ämter abgestimmt, weswegen es kaum zu einer Mobilisierung der Wählerschaft seitens der Politiker kam. Es war vielmehr eine reine Meinungswahl, bei der die Zukunft der Politiker nicht auf dem Spiel stand. Das war ein außerordentlicher Tag und ein Triumph für die kolumbianische Demokratie, der das Land mitten in einer politisierten Debatte zurückgelassen hat.“ Seine Einschätzung für die Zukunft des Landes ist ähnlich positiv. Er verweist auf das Potenzial, das mit dem Freiwerden von Kapazitäten im Sicherheitsapparat verbunden ist, sobald dieser nicht mehr durch den Konflikt mit FARC-EP und ELN gebunden ist. Kolumbien verfügt dank der cirka 6 Milliarden Dollar US-Militärhilfe, die im Rahmen des Plan Colombia ins Land geflossen sind, mit über 600.000 Mann über den größten Militärapparat Lateinamerikas.
Eine andere Position vertritt Jorge Gómez, einer der Gründer der Menschenrechtsorganisation Reiniciar, die unter anderem den jährlichen Kongress der UP-Opfer organisiert. Seiner Meinung nach birgt die Polarisierung der kolumbianischen Gesellschaft durch die aggressive Propaganda des ‚Nein‘-Lagers die Gefahr neuer Gewalt. „Aufgrund der Geschichte des Landes, die seit Jahrzehnten von politischer Gewalt geprägt wird, ist Kolumbien anfällig für Gewaltdynamiken, die aus politischen Disputen erwachsen sind“, so Gómez.
Darüber hinaus sieht er noch eine weitere Gefahr, die mit dem Friedensprozess verbunden ist: Seit dem offiziellen Ende der Demobilisierung der Paramilitärs im August 2006 haben sich zahlreiche neue bewaffnete Gruppen im Land gebildet und den zuvor von den Paramilitärs kontrollierten Drogenhandel unter sich aufgeteilt. Die Gruppen ständen bereits in den Startlöchern, um das Vakuum zu füllen, das eine Demobilisierung der FARC-EP hinterlässt. „Diese Gruppen dringen in die ehemals von der FARC-EP kontrollieren Gemeinden vor, mit den Worten ‚Wir sind gekommen, um zu bleiben‘“, warnt der Menschenrechtsaktivist.
Genau diese Befürchtung bestätigen auch Vertreter*innen der UP aus Urabá. Die für den Drogenhandel strategisch wichtige Region im Nordwesten des Landes liegt an der Grenze zu Panama. In der früheren Hochburg der Vereinten Bürgerwehren Kolumbiens (AUC) herrscht heute mit den Urabeños eine Gruppe, die sich nur im Namen von den früheren AUC-Gruppen in der Region unterscheidet. Sie kontrolliert die Bevölkerung und so gut wie jede ökonomische Aktivität. Ihre Mitglieder haben wichtige Positionen in der Gemeinschaft besetzt und pflegen enge Beziehungen zu den dortigen Eliten. Diese sind häufig Großgrundbesitzer*innen, Drogenbosse und lokale Politiker*innen, die durch die im Friedensvertrag verankerten politischen und sozialen Veränderungen nur verlieren würden.
„Polizei, Militär, Politiker, Großgrundbesitzer – sie alle stecken unter einer Decke mit den Urabeños.“  – so eine Aktivistin, die wegen der gefährlichen Sicherheitslage anonym bleiben möchte. „Ein Frieden mit der FARC-EP hat keine Bedeutung für uns, da er nichts an den bestehenden Verhältnissen in unseren Gemeinden verändern würde. Die Urabeños warten bereits darauf, in die Gebiete vordringen zu können, die zurzeit noch von der Guerilla kontrolliert werden“.
Und darin liegt das tragische der Ablehnung des Friedensvertrags: Ein offizielles Ende des Konfliktes zwischen FARC-EP und Regierung würde bestenfalls einen Teil der Gewaltdynamik in Kolumbien zum Stillstand bringen. Viel dramatischer ist die verpasste Chance auf einen politischen und sozialen Wandel im Land, den der Friedensvertrag in seiner ursprünglichen Form festschrieb.
Durch die Neuverhandlung des Vertrages und die Einbeziehung der konservativen Kräfte um Ex-Präsidenten Uribe sind zahlreiche Projekte wie die dringend notwendige Landreform, die Öffnung des politischen Systems für linke Positionen und die Ausdehnung der Versorgung mit öffentlichen Gütern in die ländlichen Gebiete in Gefahr. Ohne diesen Wandel werden Gruppen wie die Urabeños weiterhin in der Lage sein, gemeinsam mit den lokalen Eliten die Bevölkerung durch Gewalt zu kontrollieren.
Auch die Perspektive, dass sich der gesamte Sicherheitsapparat nach der Demobilisierung von FARC-EP und ELN auf die Verfolgung von Gruppen wie den Urabeños konzentrieren kann, scheint wenig Hoffnung auf eine Verringerung der Gewalt im Land zu geben. Zwar können kriminelle Gruppen im Gegensatz zur politisch motivierten Guerilla durch eine strafrechtliche Verfolgung bekämpft werden. Die militarisierten Strategien des kolumbianischen Sicherheitsapparates in Kombination mit der grassierenden Korruption und den engen Verbindungen zwischen Drogenhändler*innen, lokalen Eliten und Politiker*innen werden aber bestenfalls nur zu einer kurzfristigen Verdrängung von Gruppen wie den Urabeños in den Untergrund führen.
Während die Guerilla uniformiert und vor allem in dünn besiedelten Gebieten aktiv ist, sind die Mitglieder der neuen bewaffneten Gruppen nur schwer von der Zivilbevölkerung zu unterscheiden und in beinahe allen Teilen des Landes aktiv. Sollte das Militär und die militarisierten Polizeieinheiten gegen diese Gruppen vorgehen, wird die asymmetrische Gewalt des Konfliktes um ein Vielfaches zunehmen und erneut besonders Zivilbevölkerung und Aktivist*innen treffen.
Wo also steht Kolumbien nach dem gescheiterten Versuch, einige der grundlegenden Ursachen für den bewaffneten Konflikt im Land durch einen Friedensvertrag und soziale wie politische Veränderungen zu neutralisieren? Präsident Santos hat trotz des ‚Neins‘ im Plebiszits den Friedensnobelpreis erhalten, die Verhandlungen in Havanna gehen weiter und mit dem ELN und Ex-Präsident Uribe werden nun weitere wichtige Partner in den Prozess mit eingebunden.
Gleichzeitig hat US-Außenminister John Kerry am 7. Oktober Uribe per Telefon wissen lassen, dass die USA weiterhin auf dessen Dialogbereitschaft und Engagement für den Frieden zählen. Dies deutet darauf hin, dass die Regierung von US-Präsident Barack Obama hinter den Kulissen Druck auf Uribe aufbaut um zu verhindern, dass dieser den Friedensprozess blockiert. Immerhin ist Kolumbien seit dem Beginn von Plan Colombia 2000 und den Milliarden von Dollar an Militärhilfe ein enger Verbündeter der USA im „War on Drugs“ und im „War on Terror“. Dass die USA mit dem Ende des bewaffneten Konflikts mit der FARC-EP zumindest formell einen partiellen „Erfolg“ ihrer Strategien verbuchen können, ist für den angeschlagenen Ruf der Weltmacht natürlich von großem Interesse. Ob dieser Druck von internationaler Seite ausreicht, um den dringend notwendigen politischen und sozialen Wandel in Kolumbien umzusetzen, bleibt abzuwarten. Gleiches gilt auch für die Hoffnungen, die viele in die Ausdehnung der Verhandlungen setzen. Sicher ist aber, dass solange paramilitärische Nachfolgeorganisationen wie die Urabeños weiterhin große Teile des kolumbianischen Territoriums kontrollieren und mit Gewalt gegen jeden gesellschaftlichen Wandel vorgehen, das Land nicht zur Ruhe kommen wird.

“NICHT EINE WENIGER, NICHT EINE TOTE MEHR!”

Foto: Josefina Jauregiberry

Am 19. Oktober kamen tausende Frauen und Mädchen zum Nationalstreik der Frauen zusammen und protestierten unter dem gemeinsamen Motto „Ni una menos, ni una muerta más“ („Nicht eine weniger, nicht eine Tote mehr“) gegen die machistische Kultur, die die Zahl der Feminizide im ganzen Land alarmierend ansteigen lässt. Allein im Oktober sind neunzehn Frauen durch machistische Gewalt gestorben, für das gesamte Jahr 2016 liegt die Zahl der bekannten Frauenmorde bei 226.

Der Plaza de Mayo versank in einem Meer aus Regenschirmen. Tausende Frauen schrien aus Wut und Empörung, bis ihnen die Stimme versagte. Und so wie der Regen am 19. Oktober in Buenos Aires nicht aufhören wollte zu strömen, riss auch der Strom von Frauen und Mädchen nicht ab, die aus den Straßen auf den Platz kamen, um sich vor dem Regierungsgebäude, der Casa Rosada zu versammeln. Mit Plakaten und Rufen prangerten Frauen jeden Alters, darunter auch viele Trans-Frauen und Lesben, die misogyne Kultur an, die schon so vielen das Leben genommen hat und sich unter dem Mantel des Normalen zu verstecken versucht.
Anfang Oktober dieses Jahres fand auf dem Nationalen Frauentreffen in Rosario ein Diskussionsforum unter dem Namen „Ni una menos“ statt, in dem die Themen Feminizid und Bekämpfungsstrategien diskutiert wurden. Das Nationale Frauentreffen versammelt seit 1986 jedes Jahr tausende Frauen aus dem ganzen Land, die gemeinsam in verschieden Workshops und Foren speziell über Themen diskutieren, die sie als Frauen betreffen. Dieses Jahr nahmen 70.000 Frauen teil. Während die Frauen und Mädchen bei der traditionellen Abschlussdemonstration von der Polizei mit Tränengas und Gummigeschossen angegriffen wurden, wurde die 16-jährige Lucía Pérez in Mar del Plata vergewaltigt, gefoltert und ermordet. Die schreckliche Nachricht verbreitete sich über die Medien und sozialen Netzwerke rasend schnell und führte auch weit über Argentiniens Grenzen hinaus zu Wut und Empörung.
Der lateinamerikanische Kontinent ist geprägt von Plünderung, Missbrauch und kolonialer Unterdrückung. Dies zeigt sich auch in der tiefen Verwurzelung von Gewalt und Ungleichheit in seinen Kulturen, der Machismus ist nur ein Beispiel dafür. Doch dieses schwierige Erbe bringt auch das Vermächtnis des ehrfurchtslosen Widerstands und der Selbstorganisation mit sich, wie der Fall Argentinien momentan eindrücklich zeigt. Argentiniens Gesellschaft hat im Widerstand und über die Tragödie gelernt. Seit dem Staatsterrorismus der 70er und 80er Jahre kennt sie die Angst, aber auch den Mut, sie kennt die Zensur und die Erinnerung. Und nachdem sie 2001 in das wohl brutalste Gesicht des Kapitalismus geblickt hat, ist sie außerdem vertraut mit der Macht der Selbstverwaltung und des Kooperativismus.
Der Geist, der heute durch Argentinien und viele andere Länder des Kontinents wandelt heißt Feminismus. Ein Feminismus, der sich nicht zufriedengibt mit der Zerschlagung des Patriarchats, sondern eine Neustrukturierung der gesamten Gesellschaft fordert. Nur Stunden nach dem Bekanntwerden der schrecklichen Tat in Mar del Plata entschlossen sich 50 Organisationen und etwa 300 Frauen in einer kurzfristig organisierten, offenen Versammlung zu einem Nationalstreik der Frauen.
Der Streik und die Demonstration richteten sich nicht nur gegen die Feminizide, sondern auch gegen das hierarchische und patriarchalische System als Ganzes, das das Leben der Frauen in Argentinien bestimmt und dessen maximaler Ausdruck die Morde an Frauen sind. Dieses System bestimmt, ob wir nachts zu Fuß gehen oder welches Verkehrsmittel wir nehmen, es bestimmt unser Gehalt und den Moment, in dem wir der Justiz gegenüberstehen. Es ist kein Zufall, dass Frauen 27 Prozent weniger verdienen als Männer oder wir in prekären Arbeitsverhältnissen sogar bis zu 76 Prozent weniger Lohn bekommen. Es ist auch kein Zufall, dass im Fall einer Klage wegen Belästigung oder Vergewaltigung, zunächst die psychologische Verfassung der Frau in Frage gestellt und gegen sie, anstatt gegen die Täter, ermittelt wird, wie im Fall der 19-jährigen Ayelén Arroyo geschehen. Sie hatte ihren Vater wegen mehrmaliger Vergewaltigung angezeigt, woraufhin der zuständige Richter eine psychologische Untersuchung anordnete. Ayelén wurde kurz darauf von ihrem Vater ermordet.
Der Machismus herrscht, wenn die sexuellen Belästigungen auf der Straße normal sind, wenn der frühe und gewaltvolle Tot von Transvestiten als natürlich betrachtet wird und wenn das Recht auf legale, kostenlose und sichere Abtreibung hartnäckig ignoriert und bestraft wird. Und es ist auch kein Zufall, dass die Aktivistin und politische Anführerin Milagro Sala seit Januar unrechtmäßig inhaftiert ist (siehe LN 503). Der Grund ist „weil sie eine Frau ist, weil sie indigen ist und weil sie sich organisiert hat“, wie es auf den Plakaten bei der Demonstrantion in Buenos Aires heißt.
Es geht also nicht bloß darum, das Strafgesetz zu verschärfen, sondern darum, die strukturelle Ungleichheit sichtbar zu machen und das System zu dekonstruieren, in dem Gewalt gegen Frauen kein Verbrechen wie andere ist, sondern ein geschlechtsbedingtes: ein Feminizid. Diese Art von Gewalt liegt in der Institutionalisierung der ungleichen, hierarchischen und gewaltvollen Beziehungen, die aus Frauen Besitzgegenstände machen.
“Die Mädchen und Frauen, die sich jetzt dem Feminismus nähern und anfangen, über das Patriarchat nachzudenken und zu protestieren, machen Hoffnung. Aber es ist schade, dass wir uns immer wieder das mansplaining (aus „man“ und „explain“ im Englischen, bezieht sich auf herablassendes besserwisserisches Erklärverhalten, meistens von Männern gegenüber Frauen*, Anm. d. Red.) anhören müssen und Energie darauf verwenden, genau die Männer aufzuklären, die nicht die geringste Intention haben, sich zu verändern. Oder dass wir Frauen, die den Machismus hassen, uns mit Frauen streiten, die ihn immer noch verteidigen. Das ist ein großer Sieg des Patriarchats“, meint Rana Vegana, eine der Demonstrantinnen auf dem Plaza de Mayo.
Die Proteste und der Ruf „Ni una menos“ haben sich ausgebreitet und in Uruguay, Brasilien, Chile, Bolivien, Mexiko, Spanien und Frankreich ein Echo hervorgerufen, das deutlich macht, dass dies kein nationales Problem Argentiniens ist. „Auch wenn die Bewegung in Argentinien begann, umfasst sie doch eine Problematik, die in ganz Lateinamerika existiert. Dass ‚Ni una menos‘ auf Spanisch ist, bewirkt, dass sich viele lateinamerikanische Länder damit identifizieren können, was die Bewegung repräsentiert und es als etwas Eigenes übernommen haben. Was diese Bewegung so besonders macht, ist, dass unsere Stimmen immer dann viel lauter sind, wenn sie geeint sind“, sagt Amy Ramírez, eine andere Demonstrantin.
Auch Érika Díaz findet den Zusammenhalt besonders wichtig: “‚Ni una menos‘ drückt aus, worüber ich als Frau schon oft nachgedacht habe. Auf der Demonstration trifft man Leute, die genau so denken, vorher fühlte ich mich damit alleine. Jetzt ist klar, dass es eine große Gruppe in der Gesellschaft gibt, die fordert, dass diese Situation sichtbar gemacht wird. Außerdem fangen Leute an, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, die das vorher nicht getan haben. Das einzige Merkwürdige, sowohl heute auf der Demo, als auch am Tag der Frau und dem Nationalen Frauentreffen, sind die Fahnen. Jede mit ihrer politischen Partei, dabei geht es doch darum, gemeinsam etwas sichtbar zu machen, alle unter dem Motto ‚Ni una menos‘.“
Nach Schätzungen waren es bis zu 400.000 Frauen, die in Buenos Aires auf die Straße gingen und immer wieder „Ni una menos, ni una muerta más“ riefen, wie es die mexikanischen Dichterin und Aktivistin Susana Chávez Castillo sagte, bevor sie umgebracht wurde – weil sie kämpfte, weil sie Feministin war, und weil sie eine Frau war.

“ES GIBT KEIN GUTES LEBEN OHNE BETEILIGUNG”

Guillermo Churuchumbi Der Politiker gehört zum linken Flügel der indigenen Partei Pachakutik. Er gewann 2014 die Bürgermeisterwahl und regiert seither als erster Indigener den Kanton Cayambe. Der trotz Morddrohungen vor Energie sprühende Bürgermeister nutzt die Spielräume, die die Verfassung bietet: zum Beispiel, um die Wasserversorgung nicht nur für die großen Blumenproduzenten in der Stadt Cayambe, sondern auch für die indigenen Gemeinden der Umgebung zu sichern. (Foto: Ulli Winkler)
Guillermo Churuchumbi
Der Politiker gehört zum linken Flügel der indigenen Partei Pachakutik. Er gewann 2014 die Bürgermeisterwahl und regiert seither als erster Indigener den Kanton Cayambe. Der trotz Morddrohungen vor Energie sprühende Bürgermeister nutzt die Spielräume, die die Verfassung bietet: zum Beispiel, um die Wasserversorgung nicht nur für die großen Blumenproduzenten in der Stadt Cayambe, sondern auch für die indigenen Gemeinden der Umgebung zu sichern. (Foto: Ulli Winkler)

Guillermo Churuchumbi ist seit 2014 erster indigener Bürgermeister eines Bezirks in Ecuador, Cayambe mit 120.000 Einwohner*innen. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit ihm über Ecuador nach den Erdbeben und das Einbringen indigener Elemente in die Realpolitik.

Seit dem schweren Erdstoß im April 2016 gab es bis zuletzt viele Nachbeben. Sie sind Bürgermeister im Landkreis Cayambe. Inwiefern ist Ihre Region betroffen?
Die Erdbeben haben das ganze Volk getroffen – die einen direkt, die anderen indirekt. Wenn wir über Cayambe sprechen: Hier leben viele Menschen, deren Familien ursprünglich von der Küste im Nordwesten stammen, wo das Epizentrum lag. Die meisten sind auf der Suche nach Arbeit wegen der Blumenplantagen nach Cayambe gekommen. Viele Familien haben nun Verwandte aus der betroffenen Provinz aufgenommen, die kein Obdach mehr haben und müssen sie mitversorgen. Wir haben mehrere Solidaritätskampagnen organisiert, um Lebensmittel, Wasser, Kleidung zu beschaffen und gemeinsame Mittagessen zu veranstalten. Das alles unter Beteiligung der Bewohner und der kommunalen Behörden. Wir bemühen uns, die Hilfe direkt dort ankommen zu lassen, wo sie die Menschen benötigen.

An Solidarität fehlt es nicht?
Nein. Es gab und gibt sehr viel Solidarität. Leider haben wir nicht alle Orte erreicht, die Hilfe benötigen könnten, weil sie zu weit entfernt und zu schwer erreichbar sind. So sind manche Betroffenen zu kurz gekommen. Dessen ungeachtet praktizieren wir in Cayambe weiterhin gelebte Solidarität mit einigen der betroffenen Gemeinden in der nördlichen Küstenprovinz Esmeraldas.
Das Erdbeben mit über 650 Toten ist nun bald ein halbes Jahr her. Ist der Wiederaufbau im Gang?
An einigen Stellen, an anderen Stellen noch nicht. Es gibt ja auch nach wie vor Nachbeben, einschließlich in der Hauptstadt Quito. Wie lange das noch andauert, ist ungewiss. Aber was wir sagen können, ist, dass betroffene Familien bereits Pläne für den Wiederaufbau gemacht haben. Was es nun braucht, ist, dass auf allen Ebenen dafür gearbeitet wird, dass die Menschen sich selbst organisieren, um ihren Bedürfnissen beizukommen – selbstverständlich bedarf es dabei der staatlichen Unterstützung. Der Staat muss für die wirtschaftliche Wiederbelebung sorgen, beim Tourismus, bei der Landwirtschaft und beim Prozess der Vermarktung. Wenn diese Sektoren wieder in Schwung kommen, entstehen auch Einkommen für die Familien. Wir müssen gemeinsam den Wiederaufbau und die Wiederbelebung der Wirtschaft vorantreiben. Die Häuser, die Schulen, die zerstörte Infrastruktur muss neu aufgebaut werden. Da setzen unsere Solidaritätskampagnen in Cayambe an. Unser Schwerpunkt liegt dabei auf der Region Cabo San Francisco und der Stadt Muisne in der Provinz Esmeraldas..

Es ist eine große Herausforderung für das ganze Land?
Genau. Für alle. Für die Bürgermeister wie mich, ob nun direkt betroffen oder nicht, allein wegen unserer Verantwortung und den sozialen Beziehungen, die wir zwischen den Regionen haben. Insgesamt ist es eine gemeinsame Verantwortung von allen für alles. Das geht bei der Zentralregierung los, die Steuern und Sonderabgaben auf den Weg gebracht hat, um Gelder für den Wiederaufbau zu generieren. So leisten alle Ecuadorianer ihren Beitrag für den Wiederaufbau der Küste im Norden.

Stimmt es, dass Sie seit 2014 der erste Bürgermeister in Ecuador mit indigenem Hintergrund sind?
Auf kantonaler Ebene, ja. Seit vor 180 Jahren Ecuador in Kantone strukturiert wurde, bin ich der erste indigene Bürgermeister eines solchen Kantons. Im Kanton leben 120.000 Menschen, die Hälfte davon sind Indígenas. Es gibt aber eine kulturelle Vielfalt, nicht nur die indigene Kultur. Für mich und die indigene Partei Pachakutik bedeutet das eine Herausforderung.

Wie kam es zum Wahlsieg?
Wir haben 2014 die Wahlen gewonnen, weil die Leute die Zustände satt hatten: die Korruption, die Vetternwirtschaft, den Populismus. Keiner konnte sich auf den öffentlichen Sektor verlassen. Öffentliche Politik muss doch heißen, die Menschen zu beteiligen, muss doch heißen, sich mit den Bürgern über ihre Forderungen abzustimmen. All das war leider keine Praxis in der Vergangenheit. Weil die Leute mit der traditionellen Politik nichts mehr anfangen konnten, waren sie offen für die neuen Ansätze und Ideen, die die indigene Partei Pachakutik einbringt, und für neue Personen.

Neue Personen wie Sie. Wie wurden Sie überhaupt Kandidat?
Ich wurde von den sozialen Bewegungen auf den ersten Listenplatz von Pachakutik gewählt. Die sozialen Bewegungen haben entschieden, dass ich der Kandidat für das Bürgermeisteramt sein sollte. Das ist das Prinzip: Der Kandidat braucht die Unterstützung der sozialen Bewegungen, die politischen Ansätze den Rückhalt der Bevölkerung. Für den Sieg brauchten wir eine kollektive Kampagne, denn wir mussten uns auch der üblichen Praxis des Stimmenkaufs erwehren, wir mussten uns der traditionellen Parteien erwehren, die den Kanton immer in ihrer Hand hatten. Wir haben uns als Alternative präsentiert und damit gewonnen!

Worin besteht die Alternative?
In der Partizipation, wir beteiligen die Bürger am Entscheidungsprozess. Wir stehen im ständigen Dialog mit der Bevölkerung im Allgemeinen und mit den Stadtteilbewohnern im Konkreten, wenn es darum geht, Politik umzusetzen. Bei der Müllentsorgung, bei der Parkerneuerung, bei der Wasserversorgung. Hier geht es nicht darum, dass die Leute passiv darauf warten, dass der Staat alles für sie tut. Sie sollen in direkter Demokratie mit­entscheiden, aber auch direkt mitgestalten und dabei mit Hand anlegen, sodass Stadtverwaltung und Bürger wirklich zusammenarbeiten.

Und funktioniert das?
Ja. Das Problem der Wasserqualität war über viele Jahre ungelöst: In weniger als zwei Jahren haben wir es geschafft, die Wasserversorgung nicht nur für die großen Blumenproduzenten in der Stadt Cayambe, sondern auch für die indigenen Gemeinden der Umgebung zu sichern und das mit qualitativ gutem Wasser. Auch den Kampf gegen die Korruption haben wir angepackt, sowohl im Transportwesen als auch bei den sozialen Programmen. Dort setzen wir auf einen Prozess der transparenten Beteiligung. Das gibt uns eine Garantie, dass wir ein nachhaltiges Regieren schaffen, und das bedeutet, dass wir eine partizipative Demokratie entwickeln mit den Menschen, von den Menschen, für die Menschen.

Im Einklang mit sich selbst: Im Kanton Cayambe wird an der Praxis des "Guten Lebens" gearbeitet (Foto: Marcio Ramalho CC-BY-2-0 )
Im Einklang mit sich selbst: Im Kanton Cayambe wird an der Praxis des “Guten Lebens” gearbeitet (Foto: Marcio Ramalho CC-BY-2-0 )

Das partizipative Element entspricht ja auch dem „Buen Vivir“ oder „Sumak Kawsay“, dem „Konzept vom Guten Leben“, wie es seit 2008 auch in der Verfassung Ecuadors festgehalten ist. Wo liegen die Schwierigkeiten, dieses Konzept in Realpolitik zu überführen?
Vorab muss festgehalten werden, dass es sich bei „Buen Vivir“ oder „Sumak Kawsay“ auch um eine Utopie handelt, einen Traum, wie der Mensch in Fülle und Harmonie mit Mutter Natur zusammenlebt. Aber davon abgesehen geht es darum, sich im Hier und Jetzt die Frage zu stellen, wie man jeden Tag das „Gute Leben“ praktizieren kann. Gut zu leben bedeutet, mit sich selbst im Einklang zu leben, mit deiner Familie glücklich zusammenzuleben, mit deinen Nachbarn glücklich zusammenzuleben, deinen Freunden und Bekannten und sich zu überlegen, wie man in Harmonie mit der Natur leben kann. Wenn das in einer Gemeinde möglich ist, ist es im Prinzip auch in einem Land möglich, ist es auch geopolitisch möglich. Man kann in Deutschland das „Gute Leben“ praktizieren.

Sie halten „Buen Vivir“ im Kapitalismus für möglich?
In Ansätzen. Leider ist der Kapitalismus in jede Ecke Deutschlands, aber auch Ecuadors vorgedrungen. Was bedeutet Kapitalismus? Konzentration des Reichtums, Armut von vielen Menschen, Ausbeutung der natürlichen Ressourcen zur Bereicherung weniger und nicht zur Umverteilung an viele. Das ist mit „Sumak Kawsay“ unvereinbar. Beim „Sumak Kawsay“ wird der Natur nur so viel entnommen, wie man zum „Guten Leben“ benötigt, der Reichtum wird umverteilt zum Wohlbefinden der Menschen und der Natur. Das ist die ökonomische Ebene. Man darf nicht vergessen, dass der Kapitalismus bereits über 150 Jahre währt und sich nicht von heute auf morgen überwinden lässt. Aber klar: Es ist notwendig, den Kapitalismus zu überwinden, um den Weg für ein „Buen Vivir“ frei zu machen. Mit dem Kapitalismus lässt sich der Klimaerwärmung nicht begegnen, mit dem Kapitalismus geht die Armut von vielen Millionen Kindern einher und ein paar wenige Familien haben unermessliche Reichtümer angesammelt. Das ist kein humanes System, das ist Barbarei. Wegen der Akkumulation der Reichtümer existieren Kriege.

In Ihrer Region Cayambe wird das „Sumak Kawsay“ schon angewandt. Wie läuft das, wenn es in der Bevölkerung Gruppen gibt, die unter „Gutem Leben“ eher den „American way of life“ verstehen und vor allem ihre Konsumlust ausleben wollen?
Dieser Frage stellen wir uns praktisch. Ein Thema, an dem wir arbeiten, ist, wie wir das Gemeinschaftswesen zurückerlangen. Das gemeinschaftliche Wissen, die gemeinschaftlich betriebene Wasserversorgung, das gemeinschaftliche Nutzen von Brachflächen. Wir wollen auch eine gemeinschaftliche Ökonomie entwickeln, eine solidarische auf Gegenseitigkeit beruhende Wirtschaft. In kleinen Gemeinden funktioniert das schon. Was im Kleinen funktioniert, kann auch im Großen funktionieren. Wir arbeiten am Thema Minga: So heißt die besondere Form der Gemeinschaftsarbeit, die in Ecuador Tradition hat. In zwei Jahren haben wir es geschafft, dass diese Form auch in städtischen Vierteln praktiziert wird und nicht nur in den indigenen Gemeinden, wo sie herstammt. Auch in den Städten müssen die Menschen lernen, wie Selbstorganisation funktioniert.

Und die Leute sind mit Ihrer Regierungsführung zufrieden?
Bis zum jetzigen Zeitpunkt 70 Prozent. 15 Prozent aus der Opposition, die die Wahlen verloren hat, sind gegen uns, auch weil sie bis heute nicht verstehen, warum sie verloren haben.

Bei den nationalen Präsidentschaftswahlen 2017 tritt Präsident Rafael Correa nach zehn Jahren nicht mehr an. Wie ist seine Bilanz?
Die Regierung Correa hat Erfolge und Misserfolge vorzuweisen. Ich bin weder Correalista noch Opposition – die Opposition ist die Rechte. Wir von Pachakutik sind eine linke Alternative, kommen aus alternativen Bewegungen und schlagen Alternativen auf lokaler und nationaler Ebene vor. Correa hat den Staat modernisiert und gestärkt, auf der Strecke blieb die Partizipation. Die Regierung hört nicht auf die Bevölkerung, bezieht sie nicht mit ein und die Ureinwohner auch nicht. Die Regierung war sehr stark in den fetten Zeiten, aber in Zeiten der Wirtschaftskrise zeigt sie sich schwach, aber auch die sozialen Bewegungen zeigen da ihre Schwächen. Was auch immer die Wahlen 2017 bringen mögen, ob die Regierungspartei Alianza País gewinnt oder nicht. Wir haben eine Empfehlung an alle: Bezieht die Ureinwohner mit ein, gewinnt sie für die Gesellschaft, nutzt ihr Wissen und wendet „Sumak Kawsay“ an, erklärt den Leuten alles, macht alles mit den Leuten und hört ihnen zu. Deswegen halten wir von Pachakutik es für wichtig, mit einer eigenen Kandidatin anzutreten, das wird Lourdes Tibán sein, die die parteiinternen Vorwahlen im August deutlich gewonnen hat. Wir werden auch versuchen, Allianzen für eine Alternativregierung zu schmieden. Wir hoffen, dass wir von Pachakutik bei den Wahlen 2017 mit unserem Alternativprojekt Anklang finden. Sonst droht Ecuador der rohe Neoliberalismus, so wie in Argentinien derzeit unter Mauricio Macri: Privatisierung der Bildung, Entlassungswelle bei den staatlich Beschäftigten, Preiserhöhungen bei Strom und Wasser. Oder was mit Dilma Rousseff in Brasilien passiert ist: Krise – und die Rechte ist zurück.

Wie viel Realitätsgehalt hat der Slogan „Bürgerrevolution“, den die Regierung Correa propagiert?
Er ist auf alle Fälle mehr Slogan als Wirklichkeit. Wie gesagt, es gab Erfolge, bedeutende Fortschritte in der Gesundheit, Bildung und Infrastruktur. Aber es fehlt die Partizipation. Der Staat ist engagiert, aber der Staat kann so stark sein, wie er will, ohne die Beteiligung der Bürger lässt sich kein „Buen Vivir“ schaffen.

DAS PRINZIP DES KLEINEREN ÜBELS

Peru hat viele Tage der Anspannung hinter sich. Am 5. Juni gingen die Präsidentschaftswahlen in die zweite Runde – eine Stichwahl zwischen der rechtspopulistischen Keiko Fujimori und dem liberalen Technokraten Pedro Pablo Kuczynski, der in Peru in der Vergangenheit schon die Posten als Wirtschafts- und Premierminister inne hatte. Die Hochrechnungen am Wahltag sahen Kuczynski mit seiner Partei Peruanos Por el Kambio (PPK) mit etwa einem Prozent vor der Kandidatin Fujimori von der Partei Fuerza Popular – zu feiern wagte bei solch einem knappen Vorsprung jedoch niemand.
Vier Tage lang blieb die Situation unklar und mit der wachsenden Unsicherheit kam auch die Angst vor einem Wahlbetrug auf – und zwar auf beiden Seiten. Am 9. Juni gab die Nationale Wahlorganisation (ONPE) schließlich die Ergebnisse bekannt, die den Sieg von Kuczynski mit knappen 50,12 Prozent bestätigten – gegen 49,88 Prozent der Stimmen für Keiko Fujimori.
Das Erstaunliche daran: Noch zehn Tage vor den Wahlen hatte Keiko Fujimori bei allen Umfragen vorne gelegen, während Kuczynski eine Niederlage vorausgesagt wurde. Was auf den ersten Blick wie ein plötzliches Erstarken der PPK aussieht, ist aber aller Wahrscheinlichkeit nicht der Partei als solcher zuzurechnen. „Die Ergebnisse der Stichwahl stellen weniger einen Triumph des Kandidaten Kuczynski, als vielmehr einen Sieg der Kampagne ‚Nein zu Keiko‘ dar“, so die Einschätzung des Journalisten und Wirtschaftswissenschaftlers Augusto Álvarez Rodrich in der Zeitung La República.
Keiko Fujimori ist die Tochter von Alberto Fujimori, der von 1990 bis 2000 als Präsident von Peru amtierte und extrem autoritär unter Missachtung der Menschenrechte regierte. Für viele Peruaner*innen symbolisiert Keiko Fujimori die Fortsetzung des autoritären Regimes – von Mitte bis Links gibt es daher eine geschlossene Ablehnung gegen alle Politiker*innen der Familie Fujimori.
Kuczynski hat diese Stimmung vor der anstehenden Stichwahl für sich zu nutzen gewusst. „Ich möchte Präsident von Peru sein, um die Demokratie zu verteidigen”, sagte er im zweiten Fernsehduell, das Ende Mai zwischen ihm und Fujimori stattfand. „Ich glaube an die Freiheit und ich bin überzeugt, dass diese Freiheit in Peru extrem gefährdet ist. Deshalb möchte ich alle Peruaner, egal welcher politischen Überzeugung, dazu aufrufen, die Freiheit zu verteidigen und die Rückkehr der Diktatur, der Korruption und der Lügen mit unseren Stimmen zu verhindern. Bürger, jetzt oder nie. Bis zum letzten Tisch, bis zur letzten Wahlstimme, es lebe Peru!“. Mit diesen Worten hatte Kuzcynski sich erfolgreich als Antifujimorist und als Demokrat positioniert, was denn auch der Schlüssel zu höheren Umfragewerten war. Wähler*innen von links und aus der Mitte konnte Kuzcynski für sich gewinnen, sofern sie gegen Fujimori waren. Auch hatte Kuczynski es geschafft, sich glaubhaft als Bekämpfer der Korruption zu präsentieren.
Fujimori hatte sich besonders mit zwei Fällen in der Öffentlichkeit unbeliebt gemacht. Zum einen wird der Generalsekretär und Hauptfinanzier der Wahlkampagne von Keiko Fujimori, Joaquín Ramírez, offenbar von der US-amerikanische Drogenfahndung DEA gesucht – wegen möglicher Verbindungen zum Drogenhandel und Verwicklung in Geldwäsche. Das behauptet zumindest der peruanische Ex-Pilot Jesús Vásquez. Zum anderen besteht der Verdacht, dass José Chlimper, der unter Fujimori als Vizepräsident kandidierte und die Kampagne ihrer Partei anführt, einem Fernsehsender eine gefälschte Audio-Datei zukommen lassen habe, auf der angeblich derselbe Jesús Vásquez gesteht, dass die Anschuldigungen gegen Ramírez falsch seien.
Dieser versuchte Betrug, zusammen mit den Beschuldigungen gegen Ramírez und gegen andere Mitglieder der Fuerza Popular, von denen sich Keiko Fuijimori bis heute nicht klar distanziert hat, dürfte viele ihrer Anhänger*innen und Sympathisant*innen abgeschreckt haben. Das war wiederum entscheidend für die Stärkung der anti-fujimoristischen Bewegung, der sich Kuczynski am Ende seiner Wahlkampagne anzunähern vermochte.
Aber auch die formale Unterstützung in letzter Minute von Seiten der peruanischen Linken war entscheidend für den plötzlichen Stimmungswechsel unter den Wähler*innen. Die Kandidatin des linken Parteienbündnisses Frente Amplio („Breite Front“), Verónika Mendoza, verpasste in der ersten Wahlrunde als Dritte knapp die Stichwahl. Für den zweiten Wahlgang rief sie ihre Anhänger*innen überraschend dazu auf, Kuczynski zu wählen „um dem Fujimorismus den Weg zu versperren, der heute eng mit Korruption und Drogenhandel verbunden ist.“
Durch diesen Aufruf, der auch auf Quechua über  diverse lokale Radios ausgestrahlt wurde, konnte Verónika Mendoza die Bevölkerung im Süden des Landes erreichen, die eigentlich gegen Kuyzynski und vor allem das von ihm repräsentierte Wirtschaftsmodell ist. Der Süden hatte in der ersten Runde großenteils Mendoza gewählt. Ihr Aufruf dürfte maßgeblich dazu beigetragen haben, Wähler*innen für Kuzcynski zu gewinnen, die andernfalls ungültige oder leere Wahlzettel bei der Stichwahl abgegeben hätten.
Der Anti-Fujimorismus stellte das ganze Land unter Spannung. Bezeichnend dafür war eine nationale und internationale Großkundgebung am 31. Mai, die von dem Kollektiv „Nein zu Keiko“ organisiert wurde. Eine große Demonstration fand unter anderem auf dem Platz Dos de Mayo in Lima statt: Mehr als 70.000 Menschen nahmen teil, unter ihnen Politiker*innen, Arbeiter*innen, Gewerkschafter*innen, unabhängige Aktivist*innen, Angehörige der Opfer des Regimes von Alberto Fujimori, soziale Bewegungen, öffentliche Personen, Journalist*innen und Studierende. Obwohl bei dieser Demonstration nicht dazu aufgerufen wurde, Kuczynski zu wählen, gab es eine klare Ablehnung der Wahlenthaltung. Dadurch wurden indirekt viele noch unentschiedene Anti-Fujimorist*innen überzeugt, den Ökonomen und ehemaligen Minister zu wählen.
„Der Anti-Fujimorismus stabilisiert sich als ein großer Akteur des politischen Lebens“, schreibt auch der Historiker Antonio Zapata mit Anspielung auf die peruanischen Wahlen im Jahr 2011, wo es zu einem ähnlichen Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Keiko Fujimori und dem damaligen Kandidaten Ollanta Humala gab, bei dem die rechtspopulistische Kandidatin ebenso verloren hatte. Damals hatte es eine ähnliche Bewegung gegen sie gegeben, die das Wahlergebnis maßgeblich beeinflusst hatte.
Die Partei Fujimoris ist damit dauerhaft in eine schwierige Situation geraten. Für den Historiker und Sozialwissenschaftler Nelson Manrique werden sich „die Spannungen zuspitzen, die den Fujimorismus zerreißen“, so seine Einschätzung. Tatsächlich trägt Keiko Fujimoris Partei auch intern viele Konflikte aus. Ihr Vater Alberto Fujimori hat zum Beispiel wiederholt seine Unzufriedenheit mit der Wahlstrategie seiner Tochter gezeigt. Hinzu kommt ein Machtstreit zwischen ihr und ihrem Bruder Kenji darüber, wer die Partei anführt.
Vom Tisch ist das Erbe Alberto Fujimoris damit aber noch lange nicht. Mit 73 von insgesamt 130 Kongressmitgliedern stellt die Partei Fuerza Popular die absolute Mehrheit im Kongress und kann Kuczynskis Regierung in vielen Punkten blockieren. Keiko Fujimori hat außerdem eine starke Opposition angekündigt. Es bleibt offen, ob das in Form von Boykott passiert, oder ob es doch ein Stück weit Kooperationen geben wird, etwa in wirtschaftlichen Fragen, bei denen Fujimori und Kuczynski sich gar nicht so uneinig sind. So gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, dass die Fuerza Popular, die – wie Kuzcynski – den internationalen Markt für Bergbau-Investitionen öffnen will, Interesse daran hat, dass dieses Modell während der PPK-Regierung funktioniert, da sie im Falle eines Scheiterns keine Chance hätten, die nächsten Wahlen zu gewinnen.
Sie könnten aber auch die Taktik einschlagen, die nun an die Macht kommende Kuczynski-Regierung zu destabilisieren. „Wir wissen schon, wem der Kongress gehört“, sagte Pedro Spadaro, Vorsitzender von Fujimoris Partei Fuerza Popular, in einem Anfall von Überheblichkeit. Dieser Vorgeschmack auf möglicherweise Kommendes deutet eher auf eine autoritär und anmaßend agierende Fraktion hin.
Ein Fragezeichen ist die peruanische Linke mit der Fraktion der Frente Amplio. Einerseits war ihr Aufruf entscheidend für den Wahlsieg des zukünftigen Präsidenten: andererseits bedeutete diese Unterstützung in letzter Minute aber noch lange keinen Pakt mit Kuczynski. Die Frente Amplio hat nun also die Hände frei, um als echte Opposition zu handeln, die „die Logik der neoliberalen Akkumulation hinterfragt, die von beiden Präsidentschaftskandidaten repräsentiert wird“, wie Manrique hofft, und die „eine inklusive Politik fordert, ein Zurückholen unserer Kulturen und unserer Identität, und die sich mit jeder Form von Diskriminierung auseinandersetzt, indem sie radikale Änderungen fordert.“
Eine Koalition mit Kuczynski schloss Verónika Mendoza indes aus. Sie stellte klar, dass ihre 20 Kongressmitglieder eine wachsame Opposition stellen würden, die aber jene Projekte der Regierung unterstützen werden, die mit dem Programm der Fraktion vereinbar sind. Wenn die Frente Amplio sich Chancen auf die Präsidentschaft ab 2021 eröffnen will, wird ihre Arbeit im Kongress von zentraler Bedeutung sein. Dafür muss die Fraktion geschlossen und zusammen bleiben, und ihre politische Linie beibehalten, mit der sie sich als dritte politische Kraft in Peru stabilisiert hat – als progressive Linke: inklusiv, offen zum Dialog, dezentralistisch, interkulturell und respektvoll gegenüber Menschenrechten und  Umwelt. Es wird aber auch nötig sein, die mehr als acht Millionen Anhänger*innen von Fujimori zu verstehen und auf sie einzugehen, anstatt sie zu verteufeln.
Kuzcynski wird seine Amtszeit indessen in einem besonderen Kontext antreten. Für Sinesio López, Sozialwissenschaftler von der Katholischen Universität Lima, wird sich mit dem Wahlsieg Kuczynskis in Peru eine geteilte Regierung etablieren: Eine Partei stellt den Präsidenten, die andere Partei stellt die Mehrheit im Kongress. Angesichts diesem möglichen Problem der „Unregierbarkeit“ hält López es für wahrscheinlich, dass Kuczynski „die Konfrontation vermeiden und eine Politik der Einigung in mehrere Richtungen verfolgen wird: Einigungen mit dem Fujimorismus, was das wirtschaftliche Modell angeht, und Abkommen mit der Mitte und der Linken, was die Sozialpolitik und den Kampf gegen Korruption oder für Freiheit und Menschenrechte angeht.“ Das waren auch die ersten Worte Kuczynskis als gewählter Präsident. In einer Rede nach dem Wahlsieg stellte er klar, dass er eine Politik des Dialogs mit allen politischen Kräften im Land etablieren wolle.
Die Herausforderung, vor der der neue Präsident somit steht, ist groß: Ein Land regieren, das polarisiert ist zwischen einem starken Fujimorismus  im Kongress, und einem starken Anti-Fujimorismus, für den die Menschen auf die Straße gehen und der sowohl in der politischen Mitte als auch bei der Linken sehr präsent ist. Er wird daher zeigen müssen, mit beiden Seiten auf ausgeglichene Art und Weise verhandeln zu können. Das ist aber nicht einfach. Wird Kuczynski zum Beispiel mit den Fujimorist*innen über die Freilassung des Ex-Präsidenten verhandeln, der seit Jahren im Gefängnis ist? Als ihm die Frage gestellt wurde, antwortete Kuczynski, dass er Fujimori nicht begnadigen würde, ließ aber die Möglichkeit eines Hausarrests statt einer Gefängnisstrafe offen. Dabei darf er aber auch nicht vergessen, dass es der starke Antifujimorismus war, der ihn überhaupt in den Regierungspalast gebracht hat. Für diese Bewegung ist es inakzeptabel, den Ex-Präsidenten aus dem Gefängnis zu lassen.
Für Salomón Lerner Febres, ehemaliger Präsident der Kommission für Wahrheit und Versöhnung, ist einer der wichtigen Faktoren, dass die neue Regierung ihre Versprechen in Sachen Menschenrechte einhält. Das heißt, dass nicht nur alle Arten der Diskriminierung bekämpft werden, sondern auch ein Plan der Personensuche von Verschwundenen aufgestellt wird. Der „Plan Integral de Reparaciones“ für die Opfer der Gewaltperiode, die Peru zwischen 1980 und 2000 erlebt hat, müsse weitergeführt werden, so Lerner. Ein weiterer entscheidender Punkt ist, dass nach einem Null-Toleranz-Prinzip mit Korruption verfahren wird. Das Gesetzesprojekt des „zivilen Todes“ für Korrupte müsste daher weitergeführt werden, sowie die Unverjährbarkeit für Korruptionsdelikte.
Und schließlich müsste ein Gleichgewicht hergestellt werden zwischen der Wirtschaftspolitik Kuczynskis, die ausländische Investitionen besonders im Bergbau fördern will, und dem Schutz der Umwelt, zu dem sie sich verpflichtet hat, sowie der Einhaltung der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die die Befragung indigener Völker bei allem, was auf ihren Territorien stattfinden soll, vorschreibt.
Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass Kuczynski in der Vergangenheit sein öffentliches Amt als Minister dazu genutzt hat, den transnationalen Firmen große Vorteile zu bescheren – zum Nachteil der peruanischen Bevölkerung. Bekannt ist unter anderem der auf Kuczynski lastende Vorwurf, er habe der International Petroleum Company geholfen, aus dem peruanischen Finanzsystem 115 Millionen US-Dollar herauzuziehen, als er 1968 Geschäftsführer der Zentralbank war. Außerdem wurde er 2001 als Berater der Firma Hunt Oil eingestellt, im selben Jahr also, in dem er sein Amt als Wirtschaftsminister antrat. Als Minister soll er dem Unternehmen ein Preiszugeständnis für das Erdgasfeld (lote) Nr. 56 gewährt haben. Zudem hatte er auch maßgebliche Gesetzesänderungen unterstützt, die Hunt Oil ermöglichten, die Produktion des Erdgasfeldes Nr. 88 zu exportieren, was die Deckung des nationalen Gasbedarfs gefährdete.
Kuczynski bestreitet diese Vorwürfe bis heute. Viele befürchten, dass er transnationalen Unternehmen Vorteile einräumen wird. Seine öffentlich gezeigte Geringschätzung der andinen und indigenen Völker lassen jedenfalls Jahre der sozialen und ökologischen Konflikte befürchten, deren Preis menschliche Leben sein könnten, wie es in Bagua, Tía María oder Conga der Fall war. Man solle ihn nicht als „kleineres Übel“ wählen, hatte Kuczynski noch gesagt, sondern als Vorteil für das ganze Land. Wie das mit seiner industrienahen Position vereinbar ist, wird sich in den kommenden fünf Jahren zeigen.

RÜCKKEHR DER ALTEN REPUBLIK

Einen guten Start stellt man sich anders vor. Michel Temer dürfte mit den ersten Wochen seiner Amtszeit als Übergangspräsident alles andere als zufrieden sein. Man könnte fast abergläubisch werden, war es doch Freitag der Dreizehnte, an dem Brasilien zum ersten Mal mit einem regierenden Präsidenten Namens Temer erwachte.Dabei lief zunächst alles nach Plan für den regierenden Vizepräsidenten: Nachdem am 17. April die Abgeordnetenkammer für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff gestimmt hatte (siehe LN 503), gab auch der Senat am 11. Mai grünes Licht für das Impeachment. Verfassungsgemäß suspendierte damit die Legislative die Präsidentin der Arbeiterpartei PT für maximal 180 Tage von ihrem Amt.
Am 12. Mai übernahm Michel Temer die Regierung in Vertretung der gewählten Präsidentin. Doch er tat es nicht als Regierungsvertreter. Bereits am 29. März hatte seine Partei, die rechtsliberale PMDB, die Koalition mit der PT aufgekündigt (siehe LN 502). Im Kabinett von Temer befinden sich folglich keine Mitglieder der PT. Es sind ausschließlich Politiker von rechten Parteien für die 20 Ministerposten nominiert – und es sind ausschließlich weiße Männer. Die öffentliche Empörung folgte sofort. Seit 1979 und der Diktatur von General Ernesto Geisel, gab es in Brasilien kein Kabinett mehr, in dem nicht eine Frau vertreten war. Ebenfalls fehlen schwarze Brasilianer*innen und Repräsentant*innen von sozialen Bewegungen im Kabinett. Auch ethnische Minderheiten sind nicht vertreten. Es ist eine Regierung von alten Männern aus der Elite, die in keiner Weise repräsentativ für die Bevölkerung und die Diversität des Landes ist.
Dies erkannte Temer selbst in seinem ersten Fernsehinterview der Sendung Fantástico von TV Globo an: „Ich schließe eine Wiederwahl für mich aus, auch weil mir das mehr Ruhe bei meinen Entscheidungen gibt […] Ich kann sogar – sagen wir es so – unpopulär sein, aber wenn das dem Land Vorteile bringt, reicht mir das aus.“ Ganz so selbstlos für das Wohl des Landes ist Temers Entscheidung, bei der kommenden Wahl nicht als Kandidat anzutreten, aber nicht. Aufgrund eines Urteils wegen Unregelmäßigkeiten bei der Finanzierung seines letzten Wahlkampfs ist der 76-Jährige für acht Jahre von der Ausübung des passiven Wahlrechts ausgeschlossen.

Interimspräsident Temer - Zustimmung der Bevölkerung nicht zwingend notwendig
Interimspräsident Temer – Zustimmung der Bevölkerung nicht zwingend notwendig (Foto: Agencia Brasil)

Dennoch scheint die neue Regierung gewillt, eine 180-Grad-Wende in der Regierungspolitik zu vollziehen. Die Anzahl der Ministerien wurde von 31 auf 21 gekürzt. Welche Ministerien dem Rotstift zum Opfer fielen, weist den Weg: Das Ministerium für Ländliche Entwicklung, das für die Agrarreform zuständig war, wurde dem Landwirtschaftsministerium unterstellt. Das Sekretariat für Menschenrechte wird von nun an Teil des Justizministeriums sein. Dessen neuer Chef, Alexandre de Moraes von der rechten PSDB, war Sicherheitssekretär des Bundesstaates von São Paulo. Für seine harte Hand und die brutale Repression von sozialen Protesten wurde er in der Vergangenheit scharf kritisiert.
Dies ist allerdings nicht der einzige Fall, in dem Temer den Bock zum Gärtner macht. Landwirtschaftsminister ist Blairo Maggi, Großgrundbesitzer, auch bekannt als „Sojakönig“. Als Senator hatte er noch das Projekt für den Verfassungszusatz PEC 65/2012 auf den Weg gebracht. Nach Maggis Entwurf soll kein Bauvorhaben mehr gestoppt werden können, wenn ein Umweltverträglichkeitsgutachten vorliegt, egal wie Umwelt- und Indigenenbehörden das Gutachten bewerten.
Auch andere Gesetzesvorhaben von Poli­ti­ker*in­nen der neuen Regierungsparteien stellen direkte Angriffe auf die Rechte von Arbeiter*innen und Indigenen dar. Das Gesetzesprojekt PL 3842/12 des Abgeordneten Moreira Mendes ist ein deutliches Beispiel: Mit ihm soll die Definition, welche Arbeitsverhältnisse als Sklaverei gelten, abgeschwächt werden, ganz im Interesse der Agrarindustrie, denn auf Farmen im Hinterland gibt es immer wieder Fäller von extremer Ausbeutung, die eigentlich Sklaverei darstellen.
Die Agrarlobby freut sich auch über den geplanten Verfassungszusatz PEC 215/2000. Wenn der Text verabschiedet wird, ist in Zukunft der Kongress für die Ausweisung indigener Territorien verantwortlich, und nicht mehr die Indigenen-Behörde FUNAI. Da im Kongress die Lobby der Agrarindustriellen die Mehrheit hat, wäre das wohl das Ende von jeglicher Demarkierung indigener Gebiete. Zahlreiche Indigenengruppierungen protestieren seit Monaten gegen dieses Projekt.
Auch die Finanzpolitik der neuen Regierung ist wirtschaftsfreundlich und setzt auf klassisch neoliberale Rezepte. Neuer Finanzminister ist Henrique Meirelles. Der ehemalige Spitzenbanker und Ex-Chef der brasilianischen Zentralbank kündigte eine rigide Sparpolitik sowie eine Anhebung des Rentenalters an. Der Minister für Stadtentwicklung Bruno Araújo teilte mit, starke Kürzungen im staatlichen Wohnungsbauprogramm „Minha Casa, Minha Vida“ (Mein Haus, Mein Leben) vornehmen zu wollen. Auch erließ Temer bereits die Provisorische Maßnahme MP 727, mit der ein Programm zur Erleichterung von Public-Private-Partnerships geschaffen wird.
Die Entscheidung, das Kulturministerium abzuschaffen, musste die Regierung nach heftigen landesweiten Protesten von Künstler*innen wieder zurücknehmen. Aber das noch von Rousseff erlassene Präsidialdekret, das Transsexuellen das Verwenden ihres selbstgewählten Namens bei öffentlichen Angelegenheiten erlaubte, nahm Temer bereits zurück. Auch in anderen Bereichen legt Temer den Rückwärtsgang ein. Ebenfalls sollen Abtreibung – selbst nach Vergewaltigungen – künftig komplett verboten werden. Schließlich befinden sich in der Regierung auch evangelikale Pastoren. Ultrakonservative Christ*innen zählen zu einer der wichtigsten Stützen der politischen Rechten in Brasilien.

Nur wenige Tage im Amt: Ex-Minister Romero Jucá (Foto: Agencia Brasil)
Nur wenige Tage im Amt: Ex-Minister Romero Jucá (Foto: Agencia Brasil)

Renato Boschi, Professor für soziale und politische Studien an der Staatlichen Universität von Rio de Janeiro, erklärte gegenüber dem britischen Guardian: „Sogar Macri in Argentinien ist nicht so rechts wie Temers Regierung.“ Und Macris Regierung ist zumindest durch Wahlen legitimiert, die von Temer dagegen nicht. In seiner Kolumne in der Folha de São Paulo schrieb der Abgeordnete des Landesparlaments von Rio de Janeiro und Führungsfigur der linken Partei PSOL, Marcelo Freixo: „Die Regierung Temers würde mit ihrer Agenda niemals eine Wahl gewinnen!“
Dies alles scheint ihr herzlich egal zu sein. Dem Rückhalt der alten Eliten ist sie sich sicher. Die mehrheitlich älteren Minister aus den wirtschaftlich starken Bundesstaaten São Paulo und Minas Gerais haben beste Verbindungen in die Industrie. Die Regierung sieht aus wie eine Rückkehr in die „Alte Republik“ (1889-1930), als die kolonialen Eliten das Land wie ihren Privatbesitz regierten. Damals hatten weniger als fünf Prozent der Brasilianer*innen das Wahlrecht. Der Bevölkerungsteil, dessen Interessen von der jetzigen Regierung vertreten werden, dürfte kaum größer sein.
Um Korruptionsbekämpfung ging es bei der Regierungsbildung indes gar nicht. Gegen viele neue Minister wird in der Operation Lava Jato (Autowaschanlage) der Bundespolizei wegen Korruption ermittelt. Dabei geht es um ein gigantisches Komplott bei dem Baufirmen – darunter der Gigant Odebrecht – und der staatliche Erdölkonzern Petrobras Millionenzahlungen an Politiker*innen aller Parteien leisteten.
Der britische Journalist Glenn Greenwald erklärte deshalb, dass es beim Impeachmentverfahren nicht um die Bekämpfung der Korruption, sondern um die Bekämpfung der Aufklärung der Korruption gehe. Dies mag paradox erscheinen, gingen doch in den vergangenen Monaten Millionen Menschen in Brasilien wegen der Enthüllungen der Operation Lava Jato auf die Straße. Es war erst dieses gesellschaftliche Klima, das das Impeachmentverfahren ermöglichte. Bislang stützen aber die dominierenden Medien – allen voran das Konsortium Rede Globo – die rechte Regierung. Die Theorie des „Parlamentsputschs der Vertuschung“ wurde als linke Verschwörungstheorie abgetan.
Doch diese Sicht hat sich in den vergangenen Tagen massiv geändert. Die Zeitungen Folha de São Paulo und O Globo publizierten Tonbandaufnahmen von Gesprächen zwischen führenden Politikern und José Sérgio Machado, einem Ex-Manager von Petrobras. Offenbar nahm Machado die Gespräche heimlich im Rahmen einer Kronzeugenregelung auf. Aus der Staatsanwaltschaft wurden die Aufnahmen vermutlich an die Medien geleakt. Entstanden sind sie wohl im März, kurz vor der Abstimmung über das Impeachment.

In den Aufnahmen, die zu Redaktionsschluss nicht vollständig veröffentlicht waren, bespricht Machado mit führenden Politikern, dass man Rousseff absetzen müsse, um die wegen der Korruption in Misskredit geratene politische Klasse zu retten. Unter den Aufnahmen war auch ein Gespräch mit Romero Jucá. Der Interimsminister für Planung und enger Vertrauter von Michel Temer musste nach der Veröffentlichung zurücktreten. In den Tonaufnahmen erklärt Jucá, dass man das „Blutbad“ beenden müsse. Würde Rousseff abgesetzt, so Jucá, „dann haben wir alles begrenzt, dann hört das auf“. Worauf der Politiker aus dem nordbrasilianischen Bundesstaat Roraima hinaus will ist klar: eine Beendigung der Ermittlungen im Rahmen der Operation Lava Jato. In dem Gespräch ist außerdem davon die Rede, dass auch der Oberste Gerichtshof und die Militärführung in das Komplott involviert seien.
Auch Gespräche mit dem Präsidenten des Senats Renan Calheiros – gegen den die Bundespolizei im Rahmen von Lava Jato ermittelt – wurden von Machado aufgezeichnet. In den ebenfalls geleakten Aufnahmen spricht Calheiros von einem „großen Nationalen Pakt“. „So wie die Amnestie nach der Militärdiktatur: Ab jetzt läuft alles sauber“, erklärt Calheiros in dem Telefonat. Deutlicher formuliert: Alles Vergangene möge nun in Vergessenheit geraten.
Selbst in Brasilien, wo Korruption zum Alltag gehört, erstaunt und empört die kriminelle Energie, mit der die Absetzung Rousseffs geplant wurde. Viele Brasilianer*innen, die die Absetzung von Rousseff befürworteten, zeigen sich angesichts der Intrigen in der neuen Regierung erschüttert. Die jüngsten Enthüllungen diskreditieren die politische Klasse in ihrer Gesamtheit.

MAPUCHE IM VISIER

Foto: Arturo LedeZma / El Ciudadano
Foto: Arturo LedeZma / El Ciudadano

Die Aktion war groß angelegt. Etwa hundert Polizist*innen dursuchten in den frühen Morgenstunden des 30. März zwanzig Häuser in den indigenen Gemeinschaften von Lleupeco, Tres Cerro und Rahue, nahe der südchilenischen Stadt Temuco. Die Bewohner*innen berichten von heftigen Schlägen gegen die Türen, von Schreien und Beleidigungen und den Taschenlampen, mit denen die Polizist*innen ihnen direkt ins Gesicht leuchteten. Man habe sie zum Teil an den Haaren aus ihren Betten gezerrt. Elf Mapuche wurden festgenommen. Hintergrund des Einsatzes sind neue Ermittlungen im Fall des Großgrundbesitzers und Agrarunternehmers Werner Luchsinger und seiner Frau Vivianne Mackay, die vor drei Jahren bei einem Brandanschlag auf ihr Haus ums Leben kamen. Die aus der Schweiz stammende Familie Luchsinger besitzt Land, auf das Mapuche-Gemeinschaften Anspruch erheben, weigert sich jedoch, dieses zu verkaufen.
In den heute umstrittenen Besitz der 1.200 Hektar kam Familie Luchsinger Anfang des 20. Jahrhunderts durch das indigenenfeindliche Kolonisationsprojekt Chiles, in dessen Rahmen europäische Siedler*innen Land vom Staat geschenkt bekamen. Die Mapuche, die bis Ende des 19. Jahrhunderts ihre Autonomie im Süden Chiles verteidigen konnten, wurden dafür enteignet und vertrieben. Für jeden Siedler gab es 70 Hektar, plus 30 weitere Hektar für jeden Sohn und zehn für jede Tochter. Aber Familie Luchsinger zog Zäune und erweiterte ihr Areal stetig. „Früher gab es hier keine Zäune. Aber weil sie Geld hatten, konnten die Luchsinger Zäune und Markierungen ziehen, wie es ihnen gefiel. Danach wurde vermessen und die entsprechenden Dokumente wurden ausgestellt“, erklärt Moisés Quidel, Mitglied der Mapuche-Gemeinschaft.
Den angrenzenden Mapuche-Gemeinschaften sprach der chilenische Staat im Rahmen der sogenannten Barmherzigkeitstitel etwa 50 Hektar pro zehn Familien zu – zu wenig für die von der Landwirtschaft lebenden Gemeinschaften. „Die Alten sagen, der Landverlust war so immens und der ganze postkoloniale Prozess so gewalttätig, dass viele Menschen völlig verarmt sind. Es blieb ihnen weder Land, noch Vieh. Auch die Saat wurde ihnen weggenommen, sodass sie nichts mehr anbauen konnten”, erzählt comunero Moisés Quidel. Die Familie Luchsinger nutzte die Armut der Mapuche für sich: Schulden, die Mapuche in einem Lebensmittelgeschäft der Luchsinger machten, um nicht zu verhungern, wurden in Form von Landüberschreibungen beglichen.
Im Rahmen des chilenischen Indigenengesetzes wäre es heute möglich, dass die Familie Luchsinger Teile ihres Landes zu Marktpreisen an den Staat verkauft, der diese dann den Mapuche überschreiben würde. Doch dazu sind die Luchsingers nicht bereit. Nachdem auf legalem Weg nichts zu erreichen war, begannen die Mapuche Ende der 1990er Jahre unter anderem mit Landbesetzungen und Brandanschlägen gegen ihre immer noch prekäre Situation vorzugehen. Bei einer Besetzung eines der Luchsinger-Areale am 3. Januar 2008 wurde der Mapuche-Aktivist Matías Catrileo von einem Polizisten mit einer Maschinenpistole  erschossen. Der Fall ist einer der am häufigsten zitierten Fälle von exzessiver Polizeigewalt in Chile. Der Polizist, der Catrileo erschoss, wurde lediglich zu einer Strafe von drei Jahren Hausarrest verurteilt. Genau fünf Jahre nach dem Mord an Catrileo, am 3. Januar 2013 ging das Haus des Ehepaares Luchsinger-Mackay in Flammen auf.
2014 wurde der Machi (Heiler und religiös-spirituelle Autorität) Celestino Córdova wegen Brandstiftung mit Todesfolge zu 18 Jahren Haft verurteilt. Er wurde noch in derselben Nacht verhaftet, knapp 1800 Kilometer vom Haus Luchsingers entfernt. Der angebliche Beweis: Eine Schussverletzung, die ihm Werner Luchsinger vor seinem Tod zugefügt haben soll. Córdova bestreitet, bei der Tat vor Ort gewesen zu sein. Andere Spuren wurde jedoch nie verfolgt. Präsident Sebastián Piñera, das Innenministerium und die Staatsanwaltschaft forderten eine Verurteilung Córdovas nach dem Antiterrorgesetz. Dieses Vermächtnis der Militärdiktatur erlaubt unter anderem deutlich höhere Haftstrafen. Die Richter*innen konnten den terroristischen Charakter jedoch nicht feststellen. Möglicherweise ein Grund für die Staatsanwaltschaft, den Fall jetzt neu aufzurollen.
Denn obwohl das Urteil für Córdova 18 Jahre lautete, war es eine Niederlage für die einflussreiche Familie Luchsinger. Dass Celestino Córdova in so einem emblematischen Fall für den Konflikt zwischen Mapuche, Staat und Privatwirtschaft nicht als Terrorist verurteilt wurde, war für sie wohl eine Enttäuschung. Jorge Luchsinger-Mackay, Sohn des verstorbenen Paares, hatte nach dem Urteil gegen Córdova bereits weitere Schritte angekündigt: „Wir werden nicht zulassen, dass sie ihren Kurs ungestört fortführen können. Ich bin bereit für alle kommenden Gerichtsverfahren, ich will wissen wer diese Straftaten finanziert, organisiert, wer mitmacht und wer vertuscht.“
Dass der Fall Luchsinger-Mackay jetzt wieder aufgenommen wird, liegt laut Staatsanwaltschaft an einer neuen Zeugenaussage. Ein am Brandanschlag beteiligter Mapuche habe im Oktober auf Grund seines schlechten Gewissens ausgesagt und die Ermittlungen in Richtung der nun verhafteten Mapuche geführt. Bei der gerichtlichen Anhörung am Tag der Verhaftung gab der angebliche Schlüsselzeuge vor der Richterin jedoch an, diese Aussage unter Drohungen und massivem Druck von Seiten der Polizei und der Staatsanwaltschaft gemacht zu haben. Ein*e Anwält*in war offenbar auch nicht anwesend.
Für Innenminister und Vizepräsident Jorge Burgos ist das neue Verfahren trotzdem „eine gute Sache“. Es sei immer gut, wenn es bei Verbrechen solchen Ausmaßes nicht zu Straflosigkeit komme. „Das ist gut für das Land“, meint er. Über die Straflosigkeit in den vielen Fällen, in denen Mapuche verletzt und getötet wurden, sprach er nicht.
Unternehmer*innen wie Familie Luchsinger üben seit Jahren Druck auf die Regierung aus; sie fordern mehr Polizei in der Region und härtere Strafen für Mapuche-Aktivist*innen. Letztes Jahr drohten die Transportunternehmen aus Protest gegen das Inbrandsetzen von Lastwagen mit Straßenblockaden das ganze Land lahmzulegen (LN 495/496). Dass Innenminister Burgos kurzerhand alle seine Termine absagte, um Vertreter*innen der Transportunternehmen im Regierungspalast L zu empfangen und Zugeständnisse zu machen, zeigt welchen großen Einfluss die Privatwirtschaft aus La Araucanía auf die Regierung hat.

Der Forderung seitens der Unternehmer*innen nach mehr Polizeipräsenz kommt die Regierung zusehends nach. In Ercilla, einer ca. 100 km nördlich von Temuco gelegenen Gemeinde, wurde kürzlich eine ehemalige Schule zu einer Polizeikaserne umgebaut. Bis zu 300 Sondereinsatzkräfte sollen hier stationiert werden. Die Mapuche wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. Als sie auf dem Gelände mit einer symbolischen Besetzung gegen den Umbau protestierten, wurden sie von den Polizist*innen vor Ort gewaltsam festgenommen. Einer schrie: „Was glaubt ihr, wer ihr seid, diese Schule haben wir gekauft! Greift euch diese Indios und bringt sie rein!“, erinnert sich Mapuche Matías Huentecol. „Wir sind eine der ärmsten Kommunen des Landes, aber statt die Schule wieder aufzumachen, setzt die Regierung uns eine Polizeistation hier hin. Wenn sie klüger wäre, würde sie Bildung fördern und nicht Gewalt!“
Auch in Ercilla ist die Erinnerung an einen Mord an einem Mapuche noch lebendig. 2002 wurde der 17-jährige Schüler Alex Lemun von einem Polizisten bei einer Landbesetzung ermordet. Lemun starb an den Folgen eines Kopfschusses, sein Mörder wurde freigesprochen.
Die Polizeiausgaben in der Araucanía haben sich in den vergangenen Jahren dramatisch erhöht. In der Provinz Arauco haben sich die Ausgaben zwischen 2010 und 2015 versiebenfacht. Arauco ist geprägt von Konflikten zwischen Mapuche und Forstunternehmen – das erhöhte Polizeiaufgebot dient in erster Linie dem Schutz der Unternehmen vor Brandstiftung und angeblichem Holzklau. Mit dem Schutz der Bevölkerung vor Terror hat das nichts zu tun, zumal bei den Aktionen der Mapuche in diesem Fall nur materieller Schaden entsteht. Im Gegenteil, dass in der Region massenweise Polizist*innen stationiert werden, die schwer bewaffnet in gepanzerten Fahrzeugen patroullieren, soll die Menschen einschüchtern. Genauso wie die immer häufigeren, teilweise illegalen Dursuchungen von Mapuche-Gemeinschaften.
Diese finden momentan im Wochenrhythmus statt. 200 Polizist*innen durchsuchten Ende April ein Haus in der Comunidad Nicolás Calbullanca. Ein Helikopter kreiste ununterbrochen über der Comunidad. Die Einsatzkräfte zerstörten Fenster und Türen und schlugen so lange auf einen der Bewohner*innen ein, bis er so schwer verletzt war, dass sie selber einen Krankenwagen riefen. Sie zeigten weder einen Durchsuchungsbefehl, noch nannten sie Gründe für die Durchsuchung. „Es ist genau wie in der Diktatur: Wir wissen nur, was passiert, aber nicht warum“, sagt einer der Bewohner*innen.
Präsidentin Michelle Bachelet hatte in ihrem Wahlkampf zwar angekündigt, keinen Gebrauch vom Antiterrorgesetz aus Diktaturzeiten zu machen, aber bei den elf, momentan im Gefängnis von Temuco inhaftierten Mapuche, handelt es sich wohl wieder um eine „Ausnahme“: Die Regierung klagt nun wegen Brandstiftung mit Todesfolge und terroristischem Charakter. Es ist bereits das fünfte Mal in Bachelets zweiter Amtszeit und das vierte Mal in der Region La Araucanía, dass die Präsidentin ihr Versprechen bricht. „Ich und meine Familie haben für Sie gewählt“, schreibt die im Fall Luchsinger-Mackay festgenommene Machi Francisca Linconao aus dem Frauengefängnis in Temuco in einem offenen Brief an Präsidentin Bachelet. „Ich hatte gehofft, die Lage würde sich dann verbessern.“ Ihre Erwartungen wurden enttäuscht.

MORD MIT ANKÜNDIGUNG

„Wir werden angegriffen, sowohl vom juristischen Auftragsmord, der uns mit ungerechten Prozessen verfolgt, als auch von den Killern der Oligarchie und der Multinationalen. Es gibt viele politische Gefangene und viele Ermittlungsverfahren. Doch im Gefängnis zu enden, ist das kleinere Übel. Erst vor Kurzem haben sie das Auto sabotiert, in dem wir gereist sind, sie haben meine Familie bedroht. In Honduras existiert kein Rechtsstaat, jeden Tag setzen wir unser Leben aufs Spiel,“ sagte Berta Cáceres, Koordinatorin des indigenen Rates COPINH (Ziviler Rat der Völker und Indigenen von Honduras) in einem der letzten Interviews vor ihrem Tod mit der italienischen Tageszeitung Il Manifesto. Seit dem Putsch 2009, gegen den sie vehement aktiv war, erhielt Berta Cáceres massive Morddrohungen, seit November 2015 wurde sie mehrfach direkt bedroht. Vielen multinationalen Firmen war sie ein Dorn im Auge, weil sie Proteste gegen industrielle Großprojekte organisierte. Amnesty International erklärte auf einer Pressekonferenz in Tegucigalpa Anfang März, dass in Honduras 111 Menschrechts­­­aktivst*innen zwischen 2012 und 2014 ermordet wurden. Berta Cáceres traf es in der Nacht vom 2. auf den 3. März, Unbekannte erschossen sie in ihrem Haus. Keine zwei Wochen später fiel mit Nelson García ein weiteres Mitglied von COPINH einem Mord zum Opfer.
In den Wochen vor Berta Cáceres‘ Tod verschärfte sich die Repression gegen Proteste und Versammlungen von COPINH durch private Sicherheitskräfte des Hydroelektrikunternehmens Desarrollos Energéticos S.A. de C.V. (DESA) und der Polizei. Ein schwerwiegender Zwischenfall ereignete sich am 20. Februar 2016. Rund 100 Gegner*innen des von DESA durchgeführten Staudammprojekts Agua Zarca demonstrierten friedlich in San Francisco de Ojuera. Sie wurden von den privaten Sicherheitskräften von DESA und Angestellten des Bürgermeisters bedroht, festgehalten und schikaniert. Polizei und Militär, die vor Ort waren, griffen nicht ein, auch dann nicht, als Fahrzeuge und Busse durch DESA-Mitarbeiter zerstört wurden. Als die Mitglieder des Protestes aufgrund der zerstörten Fahrzeuge zu Fuß einen fünfstündigen, nächtlichen Marsch antreten mussten, um nach La Esperanza zurückzukehren, zog sich die Polizei zurück. Vermutlich verhinderte nur die sofortige Eilaktion internationaler Menschenrechts­beobachter*innen ein Massaker.
Die Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) gewährte Berta Cáceres aufgrund der anhaltenden Bedrohung bereits 2009 vorbeugende Sicherheitsmaßnahmen. Den honduranischen Staat forderte die CIDH wiederholt auf, diese umzusetzen und für den Schutz der renommierten Menschenrechts- und Umweltaktivistin zu sorgen, zuletzt am 21. Oktober 2015. Tomás Gómez, Interimsnachfolger von Berta Cáceres, berichtete im März der US-amerikanischen Menschenrechtsorganisation National Lawyers Guild, wie die honduranischen Polizei vorging: „Die Maßnahmen waren unzureichend, unangenehm und zudringlich. Wenn Schutz durch die Polizei beantragt wurde, forderte diese aufwändige Vorankündigungen. Zusätzlich sollte die Organisation der Polizei Unterkunft, Transport und Verpflegung während der Dauer des Einsatzes stellen.“ Aktuell berichten die Kinder von Berta Cáceres, dass Bewaffnete sie verfolgen. Für ihren Schutz sind dieselben Polizeibeamt‘innen zuständig, die bereits die Sicherheit ihrer Mutter garantieren sollten.
Die Untersuchung des Mordes an Berta Cáceres durch die Polizei hat bisher keine Ergebnisse­ geliefert. Der anerkannte honduranische Forensiker Dennis Castro Bobadilla kritisierte Ende März, dass drei Wochen nach ihrem Tod kein forensisches Gutachten vorliege, der Tatort von Polizeibeamt*innen ohne angemessene Schutzkleidung kontaminiert wurde, sowie wichtige Beweise, wie die eingeschlagene Eingangstür des Hauses, nicht beschlagnahmt wurden. Die Polizei konzentrierte sich bei der Suche nach Verdächtigen darauf, Mitglieder von COPINH zu verhören und nach Beweisen für einen Mord aus „persönlichen Motiven“ zu suchen. Aureliano Molina, Mitglied von COPINH wurde von der Polizei verhaftet und 48 Stunden festgehalten, obwohl mehrere Augenzeug*innen bestätigten, dass er sich zum Tatzeitpunkt in einem entfernten Ort aufgehalten hatte. Erst am 13. März, zehn Tage nach dem Mord, wurde laut Staatsanwaltschaft der Firmensitz der DESA durchsucht. Dabei wurden Waffen und Dokumente beschlagnahmt und Zeugen vernommen. Der die Ermittlungen leitende Staatsanwalt, José Duarte Portillo, arbeitete früher in einer Kanzlei, welche die DESA juristisch berät.
Der einzige Zeuge des Mordes an Berta Cáceres, Gustavo Castro Soto, ein bekannter mexikanischer Umweltschützer, der in derselben Nacht auch in dem Haus schlief, wurde ebenfalls von der Polizei in Gewahrsam genommen und tagelang verhört. Er wurde an der Ausreise gehindert und 24 Tage lang in Honduras festgehalten. Seine Rechtsanwältin, Ivania Galeano, wurde von der zuständigen Richterin in La Esperanza 15 Tage von der Ausübung ihres Mandats suspendiert. Laut Oscar Castro, Bruder des Zeugen, war dieser während mehrstündiger Verhöre enormem Druck durch die Polizei ausgesetzt, Schlaf wurde ihm entzogen und er wurde psychologisch gefoltert. Die sofortige medizinische Versorgung – auch Castro wurde während des Mordanschlags verletzt – wurde ihm verweigert. Amnesty International initiierte eine Eilaktion für Gustavo Castro Soto, woraufhin die honduranische Regierung 100.000 Briefe erhielt, die seine Freilassung forderten. Mit seiner Ausreise am 1. April ist der offensichtliche Versuch der Justiz, ihn als Täter zu präsentieren, gescheitert.
Im Fall des Mordes an Nelson García hat die Polizei mittlerweile einen Tatverdächtigen präsentiert, der am 31. März einem Untersuchungsrichter vorgeführt wurde. Tomás Garcia von COPINH äußerte aber öffentlich Zweifel an dessen Tatbeteiligung.
Inzwischen fordern neben der Interamerikanischen Menschenrechtskommission auch Amnesty International, Unterorganisationen der UN, Mitglieder des US-amerikanischen Kongresses und des EU-Parlaments, der Vatikan sowie fast 100 Träger des renommierten Goldman-Umweltpreises eine unabhängige Untersuchung des Todes von Berta Cáceres, das Ende des Agua-Zarca-Projekts und einen wirksamen Schutz von Menschrechtsverteidiger*innen in Honduras. 62 Mitglieder des US-amerikanischen Kongresses forderten die sofortige Einstellung der Militärhilfe an Honduras sowie aller weiteren Finanzierungen, bis sich die Menschenrechtslage in dem Land verbessert.
Dennoch kommt die honduranische Regierung bisher den Forderungen nach einer unabhängigen internationalen Untersuchung des Mordes an Berta Cáceres unter der Leitung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission nicht nach. Es steht daher zu befürchten, dass sich die nahezu hundertprozentige Straflosigkeit bei Mordfällen in Honduras auch im Fall von Berta Cáceres und Nelson García fortsetzen wird.

UNERMÜDLICHE KÄMPFERIN

Denken wir an Berta Cáceres, dann sehen wir sie als erstes auf einem Pickup mit einem Megafon, inmitten einer Demonstration, wie sie kämpferisch ruft: „La tierra no se vende, la tierra se defende!“ – Das Land verkauft man nicht, das Land verteidigt man! Sie war nicht nur die unbestrittene Führungspersönlichkeit der indigenen Organisation COPINH (Ziviler Rat der Völker und Indigenen von Honduras), sondern auch eine unermüdliche, kompetente und motivierende Kämpferin vieler sozialer Bewegungen in Honduras. Nach dem Putsch von 2009 musste sie zeitweise im Untergrund leben, weil die Morddrohungen gegen sie immer zahlreicher wurden. Als Mitbegründerin von COPINH wählten sie die mehr als 200 indigenen Lenca-Gemeinden zur Generalkoordinatorin. In dieser Rolle förderte sie Basisdemokratie und Partizipation. Junge Frauen und Männer trugen im Leitungsteam von COPINH gemeinsam mit den Älteren die Verantwortung für den politischen Widerstand gegen die zerstörerischen Umweltprojekte der honduranischen Regierung.
„Wann auch immer Berta in die Gemeinden kam, wurden spontane Versammlungen einberufen“, berichten Paola Reyes und Domingo Marin, internationale Menschenrechtsbeobachter*innen, die COPINH 2013 und 2014 begleiteten. „Sie war eine mitreißende Rednerin, die komplexe Inhalte in einfachen, aber klaren Worten erklären konnte. Ganz gleich, ob sie über den Artikel 169 der Internationalen Arbeitsorganisation oder den Zusammenhang zwischen Minenkonzessionen und Privatisierung der Flüsse sprach. Dabei hat sie es verstanden, den Lenca zu vermitteln, dass sie stolz auf ihre Identität sein können, auf ihre Weltsicht und Lebensweise, ihren Widerstand gegen Rassismus und gegen die Ausbeutung der Natur.“
Berta Cáceres selbst schöpfte Kraft aus ihrer tiefen Verwurzelung in der Kultur der Lenca und ihrer spirituellen Verbindung zu Land und Natur. Zuletzt kämpfte sie gegen die Errichtung des Wasserkraftwerkes Agua Zarca am Fluss Gualcarque, ein Kampf gegen die Oligarchie ihres Landes, gegen transnationale Unternehmen und internationale Banken. Dieser Fluss ist für die Lenca heilig: „Nach unserer Kosmovision wird er von femininen Geistern bewohnt, sie verkörpern die Spiritualität, sie schenken und bewahren Leben“, betonte Berta Cáceres, als sie 2015 den renommierten Goldman Umweltpreis entgegennahm.
Geprägt wurde sie in ihrer Kindheit und Jugend von der Arbeit ihrer Mutter Austra Bertha Flores, Hebamme und zeitweise Bürgermeisterin in La Esperanza. Das repressive politische Klima im Honduras der 1980er Jahre und die Situation der vor dem Krieg in El Salvador Geflüchteten beeinflussten sie. Als junge Erwachsene wurde sie zur Aktivistin gegen eine US-amerikanische Militärbasis. Sie engagierte sich in den sozialen Kämpfen in Honduras und in anderen Ländern, mit den Mapuche gegen Staudämme oder beim Kampf um Autonomie in Kurdistan. Nicht zuletzt durch diese internationale Ausrichtung inspirierte sie Menschen auf der ganzen Welt.
Berta Cáceres hinterlässt vier Kinder. Tausende begleiteten ihren Sarg in Tegucigalpa und trugen sie in La Esperanza zu Grabe. Der Welt hinterlässt sie die Mahnung, die Zerstörung der Umwelt aus Profitgier zu beenden: „Lasst uns erwachen, Menschheit, wir haben keine Zeit mehr!“

TOTE FÜR TURBINEN

Nach den Morden an Berta Cáceres und Nelson Garcia sowie weltweiten Protesten gegen die Gewalt in Honduras (siehe LN-Artikel auf Seite 36), sahen die europäischen Finanziers endlich Handlungsbedarf. Die Entwicklungsbanken FMO aus den Niederlanden und FinnFund aus Finnland, die das umstrittene Agua-Zarca-Staudammprojekt mitfinanzieren, gaben am 16. März bekannt, dass sie sämtliche Geschäfte in Honduras stoppen und alle laufenden Zahlungen suspendieren würden. Die Zentralamerikanische Bank für Wirtschaftliche Integration (CABEI), die das Agua-Zarca-Projekt mitfinanziert, schloss sich dieser Entscheidung der beiden europäischen Finanzinstute am 1. April an. Die Verantwortlichen der drei Entwicklungsbanken kündigten an, sich gemeinsam vor Ort ein Bild von der Lage zu machen, bevor sie über die weitere Finanzierung entscheiden.
Das deutsche Konsortium Voith Hydro distanzierte sich vorerst nur von der Gewalt in Honduras, hat aber weitere Untersuchungen angekündigt. Die brasilianische Niederlassung der Firma will drei Turbinen mit jeweils 7,52 MW Leistung, Generatoren und die Steuerungsanlagen an das geplante Wasserkraftwerk liefern. Voith Hydro gehört zu 65 Prozent dem Familienunternehmen Voith GmbH und zu 35 Prozent der Siemens AG.
In Pressemitteilungen erklärten Vertreter*innen der drei Banken und von Voith und Siemens, dass sie sich nicht in der Verantwortung für die Gewalt in Honduras sehen. Dass die europäischen Finanzinstitutionen und Unternehmen jegliche Mitverantwortung für den Mord an Berta Cáceres bestreiten, ist bestenfalls naiv. Schließlich gab es schon lange Morddrohungen. Dass die Menschenrechts- und Umweltaktivistin wegen ihres Kampfes gegen das Staudammprojekt Agua Zarca umgebracht wurde, wird kaum bezweifelt, auch wenn das Verbrechen noch nicht aufgeklärt ist. Als Koordinatorin von COPINH war sie eine der exponiertesten Aktivist*innen in der Protestbewegung gegen das geplante Wasserkraftwerk. Sie und andere Mitglieder von COPINH erhielten Morddrohungen, in denen sie aufgefordert wurden, die Proteste gegen Agua Zarca einzustellen.
Das Staudammprojekt Agua Zarca am Fluss Gualcarque in Honduras soll auf dem historischen Territorium der indigenen Lenca in der Region Rio Blanco (Departements Intibucá und Santa Barbara) realisiert werden. Wenn das Wasserkraftwerk gebaut würde, wären die Lenca ihrer Lebensgrundlage beraubt und massive Umweltschäden zu erwarten. Die dort lebende Bevölkerung wurde niemals nach ihrer Zustimmung zu dem Projekt gefragt, wie es die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verlangt, die 1995 von Honduras ratifiziert wurde. Im Gegenteil: Seit das Projekt 2011 bekannt wurde gab es friedliche Proteste der Lenca gegen das Staudammprojekt, die immer wieder zum Ziel gewalttätiger Repressionen durch staatliche Institutionen und private Sicherheitsfirmen wurden. Nachweisbar wurden Unterschriften von Staudammgegner*innen gefälscht, um deren angebliche Zustimmung zum Projekt zu belegen.
Derartige kriminelle Machenschaften gehen direkt oder indirekt auf die honduranische Firma Desarrollo Energético S.A. de C.V. (DESA) zurück, die das Staudammprojekt realisieren will. Agua Zarca ist ein Modell für 47 weitere Projekte: Wird das Wasserkraftwerk realisiert, könnten noch zahlreiche andere Flussläufe in Honduras verbaut werden. Diese Staudammprojekte sind ein Teil wesentlich weitreichender Pläne zur Umgestaltung weiter Landstriche in Honduras, in denen die indigenen Lenca und Garifuna kollektive Landrechte besitzen. Die Staudämme sollen Infrastruktur und Energie für Bergbauunternehmen und große Hotelanlagen bereitstellen. Die einkommensschwache Landbevölkerung würde durch solche Entwicklungspläne weiter an den Rand gedrängt und von ihrem Land vertrieben werden.
Die Betreibergesellschaft DESA gehört zum Netzwerk des Atala-Klans, einer der zehn Familien, die praktisch alle Unternehmen und Medien in Honduras kontrollieren. Jose Eduardo Atala Zeblah hat das Grundkapital für das Unternehmen beigesteuert und sitzt zusammen mit zwei seiner Brüder im Aufsichtsrat. Das Energieunternehmen ist dafür bekannt Sicherheitskräfte einzusetzen, die brutal gegen Staudammgegner*innen vorgehen. Über ihre Netzwerke besitzt die Firma gute Verbindungen in die Politik und die Justiz. Anzeigen, die die COPINH gegen die DESA oder das Staudammprojekt eingereicht hatte, verschleppte die Justiz. Polizei und Armee schauten bei der Repression durch das Sicherheitspersonal systematisch weg oder beteiligten sich sogar daran. Praktisch genießt die DESA Straffreiheit in Honduras.
Europäische Unternehmen und Finanzinstitutionen sind letztlich Komplizen dieser verbrecherischen Praktiken der DESA, wenn sie mit dem Unternehmen Geschäfte machen. Da die europäischen Partner von dem Staudammprojekt profitieren, tragen sie eine Mitverantwortung für Menschenrechtsverstöße und Umweltverbrechen, die im Kontext des Projekts begangen werden. Dass die Unternehmen sich nun von der Gewalt in Honduras distanzieren und erste Untersuchungen ankündigen, wirkt verlogen. Schließlich werden die Unternehmen bereits seit Jahren auf die Repression im Kontext des Agua-Zarca-Projektes hingewiesen.
Seit 2013 machen Nichtregierungsorganisationen die Verantwortlichen von Voith Hydro auf die Verbrechen aufmerksam, die im Kontext von Agua Zarca begangen werden. Auf den Hauptversammlungen der Siemens AG wurde der Vorstand immer wieder vom Dachverband der Kritischen Aktionär*innen über die Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung im Zuge des Agua-Zarca-Projektes informiert. Den Verantwortlichen beider Firmen wurde 2015 ein entsprechendes Dossier vorgelegt.
Zuletzt am 26. Januar diesen Jahres, also wenige Tage vor dem Mord an Berta Cáceres, wies Andrea Lammers vom Ökumenischen Büro für Frieden und Gerechtigkeit in einer Rede auf der Hauptversammlung von Siemens auf die Bedrohung der Aktivist*innen hin, die gegen Agua Zarca demonstrieren. In der Rede hieß es: „Siemens weiß, dass seit Oktober 2015 eine Todesliste lokaler Auftragskiller gegen mehr als 20 Staudammgegner und -gegnerinnen im Umlauf ist.“ Doch Siemens und Voith ignorierten bislang diese Hinweise. Offenbar waren ihnen die Gewinne aus dem Turbinenverkauf wichtiger.
Ein Bündnis internationaler Nichtregierungsorganisationen forderte deshalb am 18. März erneut in einem offenen Brief an die Vorstände der Voith GmbH und der Siemens AG, dass Voith Hydro keine Turbinen an das geplante Wasserkraftwerk liefern soll. In der Antwort vom 29. März auf den offenen Brief erklärte der Vorstandschef von Voith Hydro, Uwe Wenhard, dass das Unternehmen die Morde an Cáceres und García verurteile und sein Engagement bei Agua Zarcas „auf den Prüfstand stelle“. Das Unternehmen stehe dabei unter anderem in Kontakt mit der Betreibergesellschaft DESA. Das bedeutet, dass Voith Hydro seine Entscheidung für oder gegen eine weitere Beteiligung an Agua Zarca von Informationen abhängig macht, die von denen geliefert werden, die an der Repression gegen COPINH maßgeblich beteiligt sind.
Ähnlich ist die Lage bei den Entwicklungsbanken FMO und FinnFund. Auch hier haben internationale NRO gemeinsam mit Vertreter*innen von COPINH die Geschäftsführungen der Banken immer wieder auf die Folgen von Agua Zarca hingewiesen. Da die Entwicklungsbanken der DESA direkt Kredite zum Bau von Agua Zarca gaben, sahen sie offenbar schneller die Notwendigkeit zu handeln und stoppten vorläufig alle Zahlungen in das Land. Nun sollen alle Projekte der Banken in Honduras erneut untersucht werden.
Auch wenn dieser Schritt zunächst zu begrüßen ist, bedeutet das nicht das Ende von Agua Zarca. Johan Frijns von der niederländischen NRO Banktrack befürchtet, dass die Entwicklungsbank FMO die angekündigte Untersuchung aller Kredite in Honduras dazu nutzen will, die momentane mediale Aufmerksamkeit für Agua Zarca abzulenken. Wenn sich dann die Welt nicht mehr für Berta Cáceres und COPINH interessiert, könnte die Bank das Vorhaben einfach weiter finanzieren. Ohne weiteren öffentlichen und internationalen Druck wird der Bau von Agua Zarca wohl weiterlaufen.

OBERWASSER FÜR DIE ZAPATISTISCHE BEWEGUNG

Die Lage im indigen geprägten südmexikanischen Bundesstaat Chiapas ist komplex: Die deutliche Mehrheit der dortigen, vor allem ländlichen, Bevölkerung ist über lokale Machthaber*innen seit Jahrzehnten in die Parteien- und Regierungsstrukturen eingebunden. Eine gut organisierte Minderheit, rund 1.000 Dörfer und Siedlungen, verstehen sich als Basis der linksgerichteten Zapatistischen Befreiungsarmee EZLN. In diesen Gemeinden, die teils nicht zu 100 Prozent zapatistisch sind, unterstützen die indigenen Kleinbauern und -bäuerinnen der EZLN das Autonomiekonzept ihrer Organisation und akzeptieren keinerlei Regierungsgelder, um sich vor Korruption, politischer Abhängigkeit von den Eliten sowie zweifelhaften „Entwicklungsprojekten“ wie Ölpalmen-Monokulturen, Bergbau, Großstaudämmen, Privatautobahnen oder Luxustourismus zu schützen.
Für Aufsehen sorgen derzeit neue Untersuchungen der EZLN. In mehreren Kommuniqués wird über die soziale Situation der ländlichen Gemeinden berichtet. Der Regierung werden Aggressionen, Willkür, Korruption, Landraub, Einschüchterung, sexuelle Übergriffe sowie ein völliges Versagen in der Sozial- und Wirtschaftspolitik vorgeworfen.
Seit Beginn des zapatistischen Aufstands zum Jahresbeginn 1994 legt die Regierung, begleitet von großen Medieninszenierungen, so genannte Hilfsprogramme auf, um ihre Anhänger*innen mit Agrarförderung, Baumaterialien, Sozialmaßnahmen oder Geld bei der Stange zu halten und gleichzeitig Zapatistas aus dem Widerstand „herauszukaufen“. Die EZLN erkannte früh, dass diese Programme keine Hilfe, sondern Disziplinierungs- und letztendlich Ausbeutungsmaßnahmen darstellen – frei nach dem Motto: „Wenn Ihr weiter Regierungsgelder bekommen wollt, müsst Ihr diese störenden Zapatistas vertreiben, die unsere Entwicklungsprojekte verhindern.“
Tatsächlich ließen sich so viele Regierungs-anhänger*innen dazu drängen, gewaltsam gegen Oppositionelle vorzugehen. Doch die Enttäuschung vieler Regierungsunterstützer*innen ist heute groß, wie nicht wenige von ihnen der EZLN nun anvertrauten.
Die EZLN-Subcomandantes Moisés und Galeano fassten einige Zeug*innenaussagen jüngst zusammen: „In der Gegend von La Realidad erhielten die Leute ein Viehzuchtprojekt der schlechten Regierung. Alle erhielten Rinder, nicht als Gemeinschaft, jeder einzeln. […] Wie Sie sich vorstellen können, waren die Menschen sehr zufrieden. Sogar Poster und T-Shirts hatten sie, auf denen stand, dass die Regierung die Versprechungen einhält. Und die Politiker ließen sich fotografieren und bezahlten den kommerziellen Medien viel Geld, damit sie die große Nachricht veröffentlichten: ›In den Dörfern der Parteianhänger gibt es Fortschritt, den Zapatistas geht es gleich oder schlechter als 1994‹. […]
Der verfluchte Regierungsinspektor kam wieder und rief alle Dorfmitglieder zusammen. Da sagt er allen, während er Papiere herauszieht und den Menschen zeigt: ›Das ist die Liste über alles, was ihr schon von der Regierung bekommen habt. Daher gehört das Land jetzt nicht mehr Euch, Ihr müsst von hier weggehen. Und es ist besser, wenn Ihr im Guten geht, wenn nicht, wird es für Euch schlecht aussehen.‹ […] Das heißt, während die Menschen – vergnügt über die Unterstützung der schlechten Regierung – ihr Vieh betreuten, waren sie in Wirklichkeit Knechte, da das Vieh ihnen nicht gehörte. Alle Papiere, die sie unterschrieben, bedeuteten nichts anderes als den üblen Verkauf ihrer Ländereien, ohne dass sie das wussten. […] Da plötzlich gefror ihnen das Lächeln und das Lamentieren begann, die Trauer, der Schmerz und die Wut. Denn dort handelt es sich um eine Tourismuszone, da, wo der Jataté-Fluss wunderschöne kleine Inseln formt. Darauf sind sie aus, die Herren Trittbrettfahrer der Geldscheine.“
Offenbar schrecken Teile des Staatsapparates auch nicht vor sexueller Gewalt zurück: „In zwei Gemeinden wollten die Frauen ihre Projektgelder erhalten. Die Regierung sagte, dass auch die Mädchen kommen müssten. Das Treffen war in Tuxtla Gutiérrez, der Hauptstadt von Chiapas […]. Als sie nach Tuxtla kamen, trennten sie die Mädchen von den Frauen. Aber eine Erwachsene gelangte irrtümlich in die Gruppe der Mädchen. Sie nahm mit ihrem Mann Verbindung auf und sagte ihm, dass sie drei Stunden in einem Haus festgehalten wurden. Die Mädchen berichteten, dass sie zu sexuellen Handlungen gezwungen wurden. Heute wird in der Gemeinde erzählt, was die Beamten machen: Im Gegenzug für das Projekt zwingen sie sie zum Sex. […] Das heißt, die schlechte Regierung kehrt in den Gemeinden der Parteianhänger wieder zur Praxis des Rechts der ersten Nacht zurück. Wenn ein Mädchen vor der Heirat stand, hatte der Großgrundbesitzer das Recht, diese Frau zu vergewaltigen.“
Den autoritären Staatsstrukturen setzen die Zapatistas ihre Autonomie entgegen. Im direkten Gespräch berichtet eine Vorsitzende des zapatistischen »Rates der Guten Regierung« von Morelia, der mehrere 10.000 Menschen verwaltet, sichtlich zufrieden über die Situation in der Zone: „Das kapitalistische Tourismusprojekt von Agua Azul liegt auf Eis. Unsere Leute sind von Vertreibung bedroht, aber wir haben dort noch immer die Kontrolle.“
Ein Kollege ergänzt: „Es fehlt noch einiges. Aber wir haben vieles erreicht, in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Frauenrechte, Kollektivarbeit, Agrarökologie, Selbstversorgung, Medien und Rechtsprechung. Häufig kommen Parteianhänger, um sich Schiedssprüche von uns einzuholen, weil sie ihrer offiziellen Regierung nicht mehr vertrauen.“
In ihren Verlautbarungen betont die EZLN, das besonders die Projekte der Frauen gut vorankommen. „Aufgeben kommt nicht in Frage, wir machen weiter“, betont die Ratssprecherin aus Morelia selbstbewusst.
Ein älterer indigener Busfahrer, ein Kenner der Aufstandsregion im Osten von Chiapas – mitnichten Zapatist – bestätigt die Einschätzungen der EZLN im Gespräch: „Seitdem es diese Regierungsprogramme gibt, gehen die Leute nicht mehr auf den Feldern arbeiten. Das war früher anders! Viele Jugendliche hängen herum, sie gehen nicht einmal mehr zur Schule. Und dann fängt es manchmal mit der Kriminalität an. Aber da, wo die Leute noch mit Herzblut ihre Felder bearbeiten, geht es den Dörfern gut.“
Laut Angaben der EZLN in ihren Kommuniqués wächst die zapatistische Bewegung trotz widriger Umstände derzeit, vor allem Jugendliche treten ein. Ein zapatistischer Kaffee-Produzent berichtet im direkten Gespräch: „Zumindest einige der Regierungsanhänger kapieren jetzt, dass sie vom Staat schon lange und immer wieder verarscht werden. Wir hören, dass einige von ihnen deswegen Zapatistas werden wollen. Aber nicht wenige holen sich noch immer ihren Schnaps vom Regierungsgeld. Sie sind schlecht informiert. Sie machen sich keine Gedanken. Und daher bleiben sie bei der Regierung. Sie lassen sich für Almosen kaufen, damit sie bei den Wahlen schön brav ihre Stimmen abgeben.“
Nach den Analysen der EZLN steht die Welt vor einer äußerst schwierigen Situation in den Themenkomplexen gesellschaftlicher und ökologischer Verwerfungen. Verantwortlich dafür ist nach Einschätzung der EZLN das kapitalistische System als Ganzes sowie seine jeweiligen Profiteure. Die Zapatistas rufen daher für Sommer, Herbst und Winter 2016 zu drei rebellischen weltweiten Treffen zu den Themen Kunst und Kultur, indigener und Unterklassen-Widerstand sowie kritische Wissenschaften in Chiapas auf.

Selbstorganisiert gegen die Hydra

Eigentlich war alles ganz anders geplant. Als im März 2014 der spanisch-mexikanische Philosoph Luis Villoro starb, kündigte die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) ein Gedenktreffen für den Intellektuellen sowie das einwöchige Seminar „Die Ethik angesichts des Raubs“ für Juni desselben Jahres an. Dann jedoch wurde der zapatistische Lehrer Galeano am 2. Mai 2014 von Mitgliedern der paramilitärischen Bauernorganisation CIOAC-Histórica in seinem Dorf La Realidad in einen Hinterhalt gelockt und umgebracht. Die EZLN sagte daraufhin das Gedenken an Villoro ab und lud zu einer Ehrung Galeanos in das Caracol von La Realidad, eines der fünf zapatistischen autonomen Verwaltungszentren. Dort gab Subcomandante Insurgente Marcos sein eigenes Verschwinden bekannt, um als Subcomandante Insurgente Galeano wiederzukehren (siehe LN 480).
Am 2. Mai dieses Jahres, dem Jahrestag der Ermordung Galeanos, fand nun das Gedenken an Luis Villoro und an den Getöteten im Caracol von Oventik statt. Über eintausend Sympathisant*innen der EZLN sowie tausende Zapatistas aus den fünf autonomen Regionen nahmen daran teil. Als Gäste waren Familienangehörige der Geehrten, zwei Eltern der 43 gewaltsam verschwunden gelassenen Studenten von Ayotzinapa sowie der EZLN nahestehende Intellektuelle geladen. Zunächst sprachen der Sohn von Luis Villoro, Juan Villoro, und seine Witwe Fernanda Navarro. Juan Villoro zeichnete ein sehr menschliches Bild seines Vaters und hob hervor, dass jener Wert darauf gelegt habe, dass kritisches Denken nicht zur Doktrin oder zum Dogma verkommen dürfe. Fernanda Navarro beschrieb die Wertschätzung, die ihr verstorbener Mann der zapatistischen Bewegung entgegengebracht habe, und die gemeinsamen Erlebnisse in Chiapas seit dem Aufstand der EZLN im Jahr 1994. Lisbeth und Mariano, zwei der Kinder Galeanos, erzählten ihrerseits von den Lehren, die ihnen ihr Vater über den Kampf der Zapatistas mitgegeben hatte, sowie über ihre eigenen Erfahrungen im Widerstand.
Einen Großteil der Zeit aber sprach Subcomandante Insurgente Galeano über die Toten. Er machte der Familie Villoros das „Geschenk“, von „Don Luis, dem Zapatisten“ zu erzählen. Der Text, noch von Subcomandante Marcos geschrieben, berichtet von einer Begegnung zwischen Marcos und Villoro, als letzterer um Aufnahme in die Reihen der EZLN bat. Marcos habe ihm daraufhin all die Schwierigkeiten erklärt, die mit dem Leben in den Bergen und im Widerstand verbunden wären, doch Villoro habe am Ende nur gesagt: „Ich bin bereit“. Seit jenem Treffen sei Villoro Teil der EZLN gewesen, ohne Tarnnamen und Vermummung.

 

SubcomandanteGaleano_Treffen_EZLN
Die Pfeife ist geblieben. Subcomandante Galeano (früher Marcos) Foto: Thomas Zapf

Im Gedenken an den „Maestro Galeano“ sprach der Subcomandante gleichen Namens von der Grausamkeit, mit der ersterer ermordet worden war. Erneut verurteilte er die Berichterstattung durch einige kommerzielle Medien, die die Ermordung als Zusammenstoß zwischen Zapatisten und Mitgliedern der paramilitärischen CIOAC-Histórica dargestellt hatten (siehe LN 491). Dann las er aus den Notizen des Lehrers, die einen beeindruckenden Einblick in dessen Erlebnisse und Erfahrungen vor und nach dem Aufstand gaben. Zum Abschluss des Gedenkens sprach Subcomandante Insurgente Moisés, der die Wichtigkeit der Selbstorganisation betonte, um gegen das System kämpfen zu können.
Damit nahm er bereits den Grundtenor vorweg, der die nächsten sieben Tage prägen sollte. Diese standen im Zeichen des Seminars „Kritisches Denken angesichts der kapitalistischen Hydra“ – einer treffenden Analogie des bestehenden ökonomischen Systems zu jenem Ungeheuer der griechischen Mythologie, dem immer neue Köpfe nachgewachsen waren, wenn ihm einer abgeschlagen wurde. Eröffnet wurde das Seminar am Vormittag des 3. Mai noch im Caracol von Oventik, am Nachmittag desselben Tages und für die anschließenden Tage war die alternative Universität CIDECI-Unitierra am Rande von San Cristóbal de Las Casas Gastgeberin der Vortragenden und Teilnehmer*innen. Je eine drei- bis vierstündige Sitzung am Vor- und Nachmittag, unterbrochen von einer dreistündigen Mittagspause, brachten insgesamt über 2.500 Interessierte zusammen, um die verschiedenen Beiträge zu hören. Der Sechsten Kommission der EZLN, also den Subcomandantes Moisés und Galeano, war es vorbehalten, abwechselnd mit ihren Beiträgen die Sitzungen zu schließen.
In einem seiner ersten Beiträge wies Galeano die Zuhörenden darauf hin, dass sie der Anwesenheit einer „unterirdischen Drohne“ in Gestalt von Moisés beiwohnten, der „von unten“ über die Entwicklung des Zapatismus berichten würde. Eingeteilt in die Themen „Politische Ökonomie in den Gemeinden“ und „Widerstand und Rebellion“, gab Moisés sehr anschaulich und ausführlich Zeugnis vom zapatistischen Alltag, den Schwierigkeiten und Erfolgen der Bewegung. Immer wieder betonte er die Wichtigkeit, sich zu organisieren: „Wir Männer und Frauen mussten uns organisieren, um uns [das Land] zurückzuholen“, erinnerte er an den bewaffneten Aufstand der Zapatisitas 1994. Auch hob Moisés den Anteil der zapatistischen Frauen am Aufstand hervor, die sich nicht länger mit den Almosen der Regierung zufrieden geben wollten. Ebenso wehrte er sich gegen Kritik von außen, die den Zapatistas Inkonsequenz im Alltag – zum Beispiel das Trinken von Coca-Cola – vorwirft: „Ihr idealisiert uns. Ihr denkt, alles, was wir sagen, ist bereits so. Nein, compañeras und compañeros, Brüder und Schwestern. Aber wir sind organisiert.“
Galeano seinerseits sprach von der politischen Krise, in der Mexiko zurzeit steckt, mit dem Verschwinden der 43 Lehramtsstudenten von Ayotzinapa als deren deutlichstem Ausdruck. Wie schon in früheren Kommuniqués sparte er auch diesmal nicht mit Kritik und Spott über die politische Klasse und die „Bezahl-Medien“, wie die Zapatistas die kommerziellen Medien nennen.

 

Zapatistas_MilitaerischeBasis
Stärke zeigen. Die militärische Basis der Zapatistas (Foto: Thomas Zapf)

Galeano erinnerte daran, dass alle Vortragenden zum auch semillero (Brutstätte) genannten Seminar eingeladen wurden, weil die EZLN sich von ihnen „Provokationen zum Nachdenken“ erwarte. In einem seiner letzten Beiträge ging Galeano auf die zapatistische Perspektive der globalen Krise ein: „Der Kapitalismus, laut dem Zapatismus, ist Krieg. […] Der einzige Gegner des Kapitalismus ist die Menschheit.“ Mehrfach bezog er sich auf Marx, als er über die Krise der Wertschöpfungskette und die (fast) alles dominierende Rolle des Finanzsystems in der aktuellen Phase des Kapitalismus referierte.
Insgesamt kamen neben den Zapatistas mehr als 60 Aktivist*innen, Akademiker*innen und Vertreter*innen indigener Gruppen zu Wort. Dazu gehörten unter anderen so unterschiedliche Beiträge wie der von Havin Güneser von der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) über die Situation der Kurd*innen im Widerstand oder der der mexikanischen Soziologie-Koryphäe Pablo González Casanova über die aktuellen internationalen Krisen. Zapatismus-Theoretiker John Holloway erklärte, dass „wir die Krise des Kapitalismus“ seien, indem sich die Zapatistas dessen Logik verweigern würden. Der mexikanische Sozialwissenschaftler Daniel Inclán sprach von der „Pädagogik des Achtgebens“, der kolumbianische Mediziner Manuel Rozental wies auf die Ähnlichkeiten der Entwicklung seines Landes mit der von Mexiko in Bezug auf Gewalt und Vertreibung der ländlichen Bevölkerung zugunsten wirtschaftlicher Großprojekte hin. Carlos González vom Nationalen Indigenen Kongress (CNI) wiederum las zwei der „30 Spiegel“ vor. In diesem Dokument hat der CNI verschiedene Situationen von Vertreibung, Landraub und Repression seiner Mitglieder festgehalten hat.
Kurz vor Schluss einer der Sitzungen, in der verschiedene Feminist*innen sprachen, ergriffen fünf Zapatistinnen das Wort. Die Comandantas Miriam, Rosalinda und Dalia, Teil der politisch-militärischen Führung der EZLN, sowie Lizbeth und Selena wussten von unterschiedlichen Erfahrungen innerhalb des zapatistischen Kampfes zu berichten, repräsentierten sie doch drei Generationen zapatistischer Frauen. Miriam etwa sprach von der Zeit vor dem Aufstand auf den Fincas, als „der verdammte patrón uns behandelte, als ob wir sein Eigentum wären“. Anschließend berichteten Rosalinda und Dalia von der Phase, als die Frauen sich zu organisieren begannen und sich dem militärischen Teil der Bewegung anschlossen. Als Teil der dritten Generationen erklärten Lizbeth und Selena, wie ihre Beteiligung an den Aufgaben innerhalb der zivilen zapatistischen autonomen Strukturen aussieht, die sie „schon als Teil unserer Kultur“ sehen.

 

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Gedenken an den Vater. Der Sohn des ermordeten Galeano (Foto: Thomas Zapf)

Die Sechste Kommission der EZLN betonte auf dem Seminar mehrfach, dass Theorie und Praxis zusammengehören. Zwar gab es seit 1994 immer Aggressionen, doch in der letzten Zeit ist in einigen zapatistischen Regionen eine deutliche Zunahme der Einschüchterungen und Übergriffe durch regierungstreue Gruppierungen erkennbar. Das in Chiapas ansässige Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas (Frayba) veröffentlichte kurz nach dem Seminar einen zehnseitigen Bericht über die Situation in der Region des Caracols La Realidad. Unter dem doppeldeutigen Titel „La Realidad, Kontext des Krieges“ listet das Menschenrechtszentrum darin Bedrohungen, Übergriffe und Einschüchterungen im Rahmen der Aufstandsbekämpfung von Anfang 2014 bis heute auf. Erkennbar wird ein Handlungsmuster, bei dem Vetternwirtschaft, territoriale Kontrolle sowie eine Zermürbungstaktik gegen Zapatistas sowie mit ihnen sympathisierende Kleinbäuerinnen- und bauern eine zentrale Rolle spielen. Im Fall des Mordes am „Maestro Galeano“ gab es zwar zwei Verhaftungen, weitere Täter wurden jedoch nicht festgenommen, was den Schluss nahelegt, dass auch hier die Straflosigkeit über die Gerechtigkeit siegen wird.
Da sich an dieser Situation vermutlich auf absehbare Zeit nicht viel ändern wird, liegt vor den Aufständischen in Chiapas weiterhin ein beschwerlicher Weg in einem Umfeld, das ihnen alles andere als freundlich gesinnt ist. Worauf sie allerdings bauen können, sind 30 Jahre Selbstorganisation und mehr als 20 Jahre Erfahrung im offenen Widerstand.

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