Pharaonisches Projekt beerdigt sich selbst

Ortega Vaterlandsverkäufer Mobilisierungen gegen das Kanalprojekt im Jahr 2013 (Foto: Jorge Mejía Peralta via Flickr (CC BY 2.0))

Am 8. Mai verabschiedete die nicaraguanische Nationalversammlung den Gesetzentwurf zur Reform des Gesetzes des „Großen Interozeanischen Kanals von Nicaragua” sowie der in diesem Zusammenhang geschaffenen Kanalbehörde (Gesetz 800). Annulliert wurde dagegen das Gesetz 840, um dem chinesischen Geschäftsmann Wang Jing die ihm übertragene Konzession zu entziehen. Beide Gesetze bildeten die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Realisierung des gigantischen Bauprojekts einer Nicaragua durchquerenden Wasserstraße, wobei das Gesetz 840 Wang Jing gar die Nutzungsrechte für das Konzessionsgebiet für einen Zeitraum von 100 Jahren übertrug. Mit seiner Entscheidung bestätigt Ortega die Aussichtslosigkeit des Projekts, nachdem Wang Jing mit seiner Kanalbaufirma HKND wegen zweifelhafter Börsengeschäfte enorme Kapitalverluste hinnehmen musste.

Die vollmundigen Versprechen, die sich seit 2013 mit dem Kanalprojekt verbanden, um den Nicaraguaner*innen das Bauvorhaben schmackhaft zu machen, haben sich damit in Luft aufgelöst: ein jährliches Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von mehr als zehn Prozent, die Schaffung von mehr als 50.000 Arbeitsplätzen im Zusammenhang mit dem Bau von Zement- und Sprengstofffabriken, Straßen, Häfen, Flughäfen, dazu weitere tausend Arbeitsplätze in Freihandelszonen und großen Tourismuszentren, um nur einige der angepriesenen Vorteile zu nennen, die einen Ausweg aus der Armut mit sich bringen sollten.

„Heute ist ein Tag zum Feiern“

An die 100 Protestmärsche und der entschiedene Widerstand der Bäuer*innenbewegung haben zum Ende des Projekts beigetragen. Potenziellen Investor*innen haben die Proteste gezeigt, dass neben den technischen, ökologischen, finanziellen und kommerziellen Zweifeln an einem Projekt dieser Größenordnung auch mit Widerstand zu rechnen ist. Für die Anwältin und Expertin für Umweltrecht, Mónica López Baltodano, erweist sich die Unmöglichkeit, das Kanalprojekt zu verwirklichen, als „ungeheure Niederlage” für die Diktatur und als „Triumph” für den Umweltschutz und die bäuerlichen, indigenen und afro-deszendenten Gemeinschaften, die von den zerstörerischen Auswirkungen des Vorhabens unmittelbar betroffen wären. „Heute ist definitiv ein Tag zum Feiern, denn dies wäre ohne den konsequenten Einsatz von Tausenden von Nicaraguaner*innen, die sich der Auslieferung der nationalen Souveränität Nicaraguas widersetzt haben, nicht möglich gewesen”, so die Anwältin gegenüber der Nachrichtenplattform Confidencial in der Sendung Esta Semana. Gleichzeitig warnt sie jedoch vor allzu viel Optimismus. Man müsse aufpassen, „dass nicht andere Mafiaunternehmen um die Ecke kommen und wieder unter den Schutz des Gesetzes 800 gestellt werden”, zumal offensichtlich sei, dass „die Risiken der Enteignung und der Repression gegen die Gemeinden” fortbestehen.

Auch bei dem im Exil lebenden Umweltaktivisten und Direktoren der Umweltschutzorganisation Fundación del Río, Amaru Ruíz, überwiegt zunächst die Freude: In einem Interview mit Esta Noche sagte er, dass es endlich gelungen sei, „nach elf Jahren der Lobbyarbeit (…) zu beweisen, dass sowohl die Bäuer*innenbewegungen als auch die indigenen und afro-deszendenten Gemeinschaften Recht hatten, und dass schließlich die Aufhebung sowohl des Rahmenkonzessionsabkommens als auch des Gesetzes 840 erreicht worden ist.” Er sieht darin einen klaren Sieg für die Umweltschutzorganisationen, für die Gemeinden und die sozialen Bewegungen.

Kein Grund zur Entwarnung

Allerdings sieht auch Ruíz noch keinen Grund zur Entwarnung und stellt die Frage, was hinter der Gesetzesreform stecken könnte: „Offensichtlich ist das Gesetz 800 potentiell immer noch in Kraft und der Staat (…) und die Armee übernehmen die Kontrolle, denn schließlich ist die Person, die in den Verwaltungsrat (Direktion der Kanalbehörde nach der Änderung des Gesetzes 800) berufen wurde, ein Armeegeneral, Óscar Mujica. Es besteht die eindeutige Absicht, die Verhandlungen über das Projekt fortzusetzen, um die wirtschaftliche Lebensfähigkeit des Regimes abzusichern und ihm angesichts der sich abzeichnenden Wirtschaftskrise als Rettungsanker zu dienen.”

Die Bauernanführerin Francisca Ramírez gibt zu bedenken, dass die Tatsache, dass das Gesetz nicht aufgehoben wird, „noch mehr Zweifel aufkommen lässt”, da nicht bekannt sei, „an wen denn dann die Konzession vergeben wird.” Und der Bauernanführer und politische Ex-Gefangene Medardo Mairena meint, dass von Anfang an klar gewesen sei, dass das Kanalprojekt „nicht rentabel” war. Das Einzige, um das es gegangen sei, „war die Enteignung von Land.”

Um Landraub geht es auch bei der Klage der Territorialregierung der Rama- und Kriol-Völker der Gemeinde Monkey Point sowie der Gemeinschaft der Indigenen Schwarzen Kreolen von Bluefields vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (IACHR). Laut einem am 9. Mai veröffentlichten Kommuniqué des Rechtshilfezentrums für indigene Völker (Calpi) hat der IACHR bereits über die Klage gegen den nicaraguanischen Staat wegen der Konzession für den Interozeanischen Kanal entschieden. Danach hat das Gericht in seiner 165. ordentlichen Sitzung vom 7. bis 22. März über den Klageantrag beraten, dessen Urteil voraussichtlich während der nächsten Sitzung Mitte 2024 bekannt gegeben wird.

Das Rechtshilfezentrum Calpi weist darauf hin, dass die Annullierung des Gesetzes 840 und die Reform des Gesetzes 800 nur einige der Klagepunkte berühren, die dem Antrag an den IACHR zugrunde liegen. „Indigene und afro-deszendente Völker sind von diesen Gesetzen deshalb betroffen, weil sie nicht konsultiert wurden, obwohl 52 Prozent der Kanalroute durch ihre traditionellen Territorien führen”, erläutert Calpi die Begründung der Klageschrift. Diese stützt sich darauf, dass die betroffenen Gemeinschaften zwischen 2013 und 2020 allein 19 Klagen wegen der Verletzung ihrer grundlegenden Menschenrechte vor dem Obersten Gerichtshof Nicaraguas eingereicht hatten, ohne dass dieser sich auch nur mit einer ihrer Beschwerden beschäftigt hätte.

Das Calpi-Kommuniqué erinnert daran, dass die indigenen Autoritäten damals anprangerten, dass der nicaraguanische Staat den Präsidenten der Territorialregierung der Rama und Kriol (GTRK) kooptiert und ihn ohne vorherige informierte Zustimmung der Gemeinschaften dazu gebracht habe, ein angebliches Abkommen mit der Kanalbehörde zu unterzeichnen, in dem sie ihm illegal einen unbefristeten Pachtvertrag für 263 Quadratkilometer Land im Herzen ihres angestammten Territoriums gewährte. Desgleichen klagen die Autoritäten der Gemeinschaft der Indigenen Schwarzen Kreolen von Bluefields gegen den nicaraguanischen Staat, weil dieser „eine Parallelregierung zu der von ihnen rechtmäßig gebildeten Regierung förderte, den Prozess der Titulierung ihres traditionellen Territoriums abbrach, ihre Vertreterin in der Nationalen Kommission für Demarkation und Titulierung (CONADETI) rechtswidrig entließ und der Parallelregierung einen Titel über nur sieben Prozent des beanspruchten Landes übergab, sodass 93 Prozent ihres traditionellen Territoriums dem Megaprojekt zufielen”, so Calpi.

Elf Jahre lang flossen Unsummen in die Kanalbehörde – ohne Ergebnis

Laut Amaru Ruíz steht nicht nur die Bilanz von Menschenrechtsverletzungen noch aus, deren Bewertung durch den IACHR erwartet wird, sondern auch die Identifizierung des Korruptionssystems im Zusammengang mit der Tätigkeit der Kanalbehörde. Denn in den vergangenen elf Jahren wurde diese Behörde mit Mitteln aus dem Staatshaushalt finanziert, ohne dass Ergebnisse erzielt wurden. Dabei stellt sich die Frage, was mit den Unsummen geschehen ist, die der Kanalbehörde über all die Jahre zuflossen. „Es bleiben noch Korruptionssysteme, die aufgedeckt werden müssen. Die Personen, die daran beteiligt waren, müssen identifiziert werden”, so der Umweltschützer gegenüber Esta Semana. „Zum Beispiel sämtliche Unternehmen und das Netz, das im Fall der Wang Jing-Konzession aufgebaut wurde, nicht nur auf internationaler, sondern auch auf nationaler Ebene. Es gibt Anwälte, Geschäftsleute, Personen, die mit der Armee verbunden sind, Personen, die mit öffentlichen Institutionen in Verbindung stehen, die zahlen und zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Sie haben eine Konzession ausgehandelt, die eindeutig gegen die politische Verfassung Nicaraguas verstößt.”

Trotz der Suspendierung des Kanalprojekts wird sich der IACHR auch in Zukunft mit der Verletzung der Rechte indigener Gemeinschaften beschäftigen müssen: Am 22. April meldete das offizielle Gesetzesblatt La Gaceta die Übertragung einer Tagebaukonzession für 25 Jahre an das chinesische Bergbauunternehmen Xinxin Linze Minería Group in der nördlichen Autonomen Karibikregion. Dieses Gebiet wird hauptsächlich von indigenen Gemeinschaften der Miskitu und Mayagna bewohnt. Kritiker*innen bezweifeln, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Umweltverträglichkeitsstudien durchgeführt wurden, wobei es weder zu den Auswirkungen auf die indigenen Gebiete noch zu vorherigen Konsultationen der betroffenen Gemeinschaften Informationen gibt. Nach der Auflösung von mehr als 3.600 Organisationen und der gewaltsamen Unterdrückung jeglichen zivilgesellschaftlichen Protests herrscht weitgehend Stille im Land. Für den Bergbausektor ideale Bedingungen, die es erlauben, Nicaraguas natürliche Ressourcen Akteur*innen zu überlassen, die sich weder um Gesetze noch um die Rechte und Lebensbedingungen der ansässigen Bevölkerung scheren.


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„DER DRUCK MUSS VON DER STRAßE KOMMEN“

Immer wieder gibt es Berichte über Diffamierungskampangen und Repression der nicaraguanischen Opposition durch die Regierung. Die Methoden scheinen aber eher subtil zu sein, als offen gewalttätig – gerade im Vergleich zu den nördlichen Nachbarländern. Wie ist die aktuelle Situation der Opposition?

In Nicaragua gibt es eine Art von Repression, die sich eher auf ökonomischer Ebene abspielt. Ich habe schon vor Jahren meine Arbeit an der Universität verloren, weil ich in der Opposition aktiv bin. Vielen anderen ist dasselbe passiert. Wenn man im öffentlichen Dienst arbeitet und sich kritisch zu Ortega äußert, kann das die Kündigung zur Folge haben. Aber auch in der Privatwirtschaft können Vorgesetzte Probleme bekommen, wenn sie Oppositionelle beschäftigen. Und wenn du selbständig bist und dich kritisch äußerst, besucht dich die Polizei, die Finanzbehörde, um dich in Schwierigkeiten zu bringen. Aktuell gab es ein Verfahren gegen Ernesto Cardenal, infolgedessen wurde er zu hohen Strafzahlungen verurteilt. Das Ganze ist offensichtlich politisch motiviert, weil er in der sandinistischen Opposition aktiv ist.
Aber es gibt auch offene Repression. In abgelegenen ländlichen Gebieten im Norden des Landes werden regelmäßig Menschen ermordet.
Ein weiteres Problem ist die grassierende Gewalt gegen Frauen. Morde an Frauen und Mädchen bleiben straflos, viele sterben, da der therapeutische Schwangerschaftsabbruch verboten ist.. Das ist eine stille Gewalt, die in den nicaraguanischen Medien nicht thematisiert wird, geschweige denn internationale Aufmerksamkeit erfährt. Für uns ist aber klar, dass uns die Repression und Gewalt nicht zum Schweigen bringen werden.

Gibt es in der Frauenbewegung Erfolge, die erzielt wurden, trotz der derzeit schwierigen Bedingungen?

Die Frauenbewegung hat keine Angst vor den Mächtigen. Die Erfolge der letzten 50 Jahre für uns Frauen hat uns keine der Regierungen geschenkt, wir mussten uns alles erstreiten. Im Moment ist die Situation für Frauen tatsächlich schwierig. Ortega hat mit der Katholischen Kirche paktiert und ein totales Abtreibungsverbot durchgesetzt, er hat seine Stieftochter vergewaltigt. Und die derzeitige Vizepräsidentin Rosario Murillo, ihre Mutter, hat sich schützend vor ihren Mann gestellt – und nicht vor ihre vergewaltigte Tochter. Von ihnen ist also nichts Positives zu erwarten. Im Moment ist die häufigste Todesursache für Mädchen und Frauen zwischen 15 und 40 Jahren, dass sie von einer ihr nahestehenden Person ermordet werden. Von ihrem Mann, Ex-Freund, Vater. Und der Staat schützt uns Frauen nicht.
Die Forderungen der Frauenbewegung waren und sind zentral und werden es auch sein, wenn es darum geht, die Demokratie in Nicaragua wieder herzustellen. Nicht nur für Frauen, sondern für alle Nicaraguaner*innen.

Ein sehr kontrovers diskutiertes Thema ist der geplante Bau des Interozeanischen Kanals. Nach einem medienwirksamen Spatenstich ist nicht mehr viel passiert. Was ist der Stand der Dinge, haben die Bauarbeiten inzwischen tatsächlich begonnen?

Nein. Und das ist der bäuerlichen Bewegung gegen den Kanalbau zu verdanken, die wichtige Siege errungen hat. Diese Mobilisierung ist übrigens die größte seit der Revolution. Durch ihren Protest konnte etwa die Konfiszierung des Landes gestoppt werden. Und inzwischen gibt es in den Medien kritische Debatten. Das war auch ein Grund, warum sich so wenige potenzielle Investoren gefunden haben, die in ein Phantom-Projekt investieren wollten. Es fehlen noch Studien zur finanziellen Machbarkeit und die Frage stellt sich, wie sinnvoll ein Kanalbau ist, wenn gerade der Panamakanal ausgebaut wurde. Das Kanalgesetz hat allerdings noch immer Gültigkeit. Und das ist sehr gefährlich. In diesem Gesetz steht nämlich, dass unabhängig vom Kanalbau Land enteignet werden kann, um andere Projekte zu realisieren. Das können Bergbau-, Tourismus-, Hafenprojekte sein, der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Die einzige Möglichkeit, das Gesetz abzuschaffen, ist, Daniel Ortega von der Macht zu vertreiben. Und dafür brauchen wir eine breite Mobilisierung der Gesellschaft. Das ist die große Herausforderung derzeit in Nicaragua.

Im November 2016 fanden Präsidentschaftswahlen in Nicaragua statt. Wie zu erwarten gewann Daniel Ortega zum dritten Mal, mit mehr als 70 Prozent der Stimmen. Überschattet wurden die Wahlen durch Betrugsvorwürfe. Was ist dort passiert?

Es war nicht der erste Wahlbetrug, den Ortega begangen hat. Bereits seit 2006 kam es immer wieder zu Unregelmäßigkeiten. Im Vorfeld der Wahlen von 2016 verbot Ortega allen Oppositionsparteien teilzunehmen und untersagte auch die Anwesenheit internationaler Wahlbeobachter*innen. Nur Parteien, die mit ihm paktieren, waren zugelassen. Deswegen war es nicht nur Wahlbetrug, sondern auch eine Wahlfarce, denn es gab nichts zu wählen. Die Situation ist aber nicht neu. Meine Partei, die MRS etwa, kann schon seit 2008 nicht mehr antretem, weil ihr der Parteistatus entzogen wurde. Wir konnten bis 2016 nur noch in gemeinsamen Bündnissen antreten. Das ist nun auch vorbei.

Ortega hat die Demokratie demontiert und baut seine Macht immer weiter aus. Trotzdem scheint er noch immer eine große Unterstützung im Volk zu genießen. Wie gelingt ihm das?

Ortega hat keine wirkliche Unterstützung im Volk, diese Basis gibt es nicht. Weder die große Mehrheit der Nicaraguaner*innen, noch viele Parteiangehörige der FSLN waren mit dem offensichtlichen Wahlbetrug einverstanden. Sie sind nicht damit einverstanden, dass sie keine Wahl haben, sie wollen nicht unter einem autoritären Regime leben. Ortega hat die Situation der armen Bevölkerung nicht verbessert, noch immer gehört Nicaragua zu den ärmsten Ländern Lateinamerikas. Die Investitionen in Bildung und Gesundheit sind so niedrig wie zu Zeiten der früheren Regierungen. Zu Beginn seiner Amtszeit konnten Dank des Geldes aus Venezuela einige Sozialprogramme finanziert werden, aber sie kamen vor allem seinen Gefolgsleuten zugute.
Deshalb hat er auch keine wirkliche Basis im Volk, sonst hätte es auch keine Notwendigkeit für den Wahlbetrug gegeben. Hätte er tatsächlich die Zustimmung, die er für sich reklamiert, hätte er ohne Probleme freie Wahlen abhalten können. Er weiß aber, dass er die Basis nicht hat, deshalb musste er die Wahl manipulieren. Ortega repräsentiert nicht die Interessen der Armen, er repräsentiert die Interessen der Unternehmen.

Die Nähe zu den Unternehmen passt zwar nicht zu seiner revolutionären Rhetorik, deckt sich aber mit seiner wirtschaftspolitischen Ausrichtung Nicaraguas.
Die wirtschaftliche Ausrichtung des Landes hat sich seit der Machtübernahme von Ortega im Vergleich zu den neoliberalen Vorgängerregierungen nicht geändert. Darin war er so erfolgreich, dass der IWF Nicaragua sogar offen gelobt hat für die vorbildliche Wirtschaftspolitik.
Die Chance, strukturelle und tiefgreifende Verbesserungen für die Armen zu erreichen, wurde verpasst. Es gibt in Nicaragua noch immer Gegenden, wo Menschen hungern. Im Land existiert weder ein politisches Programm, das die Armut strukturell bekämpft, noch eine nachhaltige Umweltpolitik.

Ist die Straße im Moment der einzige Ort, wo sich die Opposition noch Gehör verschaffen kann?

Die parteipolitische Opposition innerhalb des Nationalkongresses ist im Moment nicht möglich. Der Druck muss von der Straße kommen, wir müssen uns mobilisieren und echte und freie Wahlen fordern. Da sind nicht nur die oppositionellen Parteien gefordert, sondern auch die sozialen Bewegungen und einzelne Menschen, die sich keiner Bewegung zugehörig fühlen.

Für viele war Nicaragua seit er Revolution 1979 nicht nur Projektionsfläche für eine bessere Welt, sondern auch der reale Ort für den Kampf um eine gerechtere Gesellschaft. Ist trotzdem noch etwas übriggeblieben von der Revolution?

Die Politik Daniel Ortegas hat heute nichts mehr mit der Revolution zu tun. Seine revolutionäre Rhetorik sind nur leere Worthülsen. Aber alle Nicaraguaner*innen wurden durch die Revolution geprägt. Das Land hat sich durch die Revolution grundlegend verändert. Viele haben Lesen und Schreiben gelernt und zu Zeiten der Revolution gab es die modernsten Frauengesetze. Das vielleicht Wichtigste, was wir gelernt haben, ist, dass wir Rechte haben und dass wir ein Recht darauf haben, in einem Land zu leben, das unsere Rechte garantiert. Dieses Recht müssen wir uns jetzt wieder erkämpfen. Während der Revolution haben wir auch gelernt, dass wir in der Lage dazu sind, einen Diktator zu verjagen. Wir haben es bereits einmal bewiesen. Doch diesmal wollen wir keine Waffen nutzen, wir brauchen eine breite Mobilisierung und demokratische Formen. Und das wird auf der Straße beginnen.

 


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