IMMERHIN STIMMT DIE FRAUENQUOTE

Duques Vereidigung Im Namen der Wirtschaft (Foto: Flick.com / República Dominicana CC BY-NC-ND 2.0)

Als Iván Duque am 7. August vereidigt wurde, gab es keine Zweifel am konservativen Rollback der kolumbianischen Politik. „In Kolumbien gibt es einen korporatistischen Staat, der sich zu den Interessen der Wirtschaft und Großunternehmen bekennt“, berichtete der Wirtschaftswissenschaftler José Roberto Acosta im Interview mit der Stiftung Frieden und Versöhnung. Dass sich dies unter Duque nicht verändern wird, zeigt sein Kabinett. Vorab die gute Nachricht: acht der 16 Ministerien werden von Frauen geführt.

Neben der Frauenquote hat Duque eine Quote von Unternehmer*innen und Ökonom*innen in seinem Kabinett durchgesetzt.

Neben der Frauenquote hat Duque eine Quote von Unternehmer*innen und Ökonom*innen in seinem Kabinett durchgesetzt. Da ist zum Beispiel Guillermo Botero Nieto, der neue Verteidigungsminister Kolumbiens. Er begann seine Karriere als Unternehmer mit dem Export von Blumen und war auch in der Logistik-Branche tätig. In den vergangenen 15 Jahren leitete er die Nationale Handelskammer (FENALCO). Botero gilt als Brücke zwischen dem neuen Präsidenten und den großen Unternehmer*innen Kolumbiens. Abgesehen von seiner mangelnden Erfahrung in der Politik, gilt er als ein Skeptiker des Friedensabkommens mit der FARC-Guerilla.

Blickt man auf das Wirtschaftsministerium wird die Prognose noch düsterer. Der Finanzminister, Alberto Carrasquilla, war technischer Geschäftsführer der Nationalbank und Ökonom in der Interamerikanischen Entwicklungsbank. Zwischen 2003 und 2007 hatte er unter Präsident Uribe dasselbe Amt inne wie jetzt unter Duque. Als Finanzminister privatisierte er Staatsunternehmen und machte Schlagzeilen mit rassistischen und klassistischen Aussagen.

Darüber hinaus gewährte Carrasquilla mit einem Investitionsgesetz steuerliche Anreize für private Unternehmen, wie die multinationalen Rohstofffirmen Glencore und Drumond. Er ist also mitverantwortlich für die strukturelle Ungerechtigkeit zwischen Gewinner*innen und Verlierer*innen, die im lukrativen Bergbausektor herrscht. Für Carrasquilla, der in den Panama Papers auftauchte, gilt: Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert.

Die Wahl für das Ministerium für Bergbau und Energie ist ein weiterer Grund zur Besorgnis. Die mit dem Amt beauftragte Ökonomin María Fernanda Suárez hat ebenfalls eine lange Karriere im Bankensektor. Unter der ersten Präsidentschaft von Santos war sie im Finanzministerium Direktorin für öffentliche Kredite, danach übernahm sie die Vize-Präsidentschaft von Ecopetrol, dem größten Öl-Unternehmen Kolumbiens. Obwohl Duque sich im April gegen Fracking äußerte, setzte die Ministerin Suárez das Thema wieder auf die Tagesordnung. Denn für sie würde es ein „verantwortungsvolles Fracking“ geben.

Und so geht die Liste weiter. Der Minister für Wohnen, Jonathan Malagón González, hat zwar mit 33 Jahren bereits eine lange akademische Karriere in der Betriebswirtschaft aber gar keine Erfahrung auf dem Gebiet, für das er seit dem 7. August zuständig ist. Und es gibt Fälle, bei denen man sich nicht sicher ist, ob dies nicht nur zynisch, sondern auch schlichtweg gefährlich ist: Gegen die jetzige Innenministerin Nancy Patricia Gutiérrez Castañeda nahm das oberste Gerichtshof Kolumbiens 2008 Ermittlungen wegen sogenannter parapolítica, also politischer Verbin­dungen zu Paramilitärs, auf. In jener Zeit wurde Gutiérrez ebenfalls wegen Machtmissbrauchs angeklagt und 2012 zu Hausarrest verurteilt. 2014 wurde die Klage wegen parapolítica zu den Akten gelegt – noch im selben Jahr feierte sie ihr Comeback in der Politik.

Neun Tage nach der Vereidigung wurden die Kolumbianer*innen zum dritten Mal in diesem Jahr an die Wahlurne gerufen, um an einer Volksbefragung gegen Korruption teilzunehmen.


Lange hat das Unternehmer*innenschaft auf diesen Moment gewartet, der es erlaubt, Geschäfte unter Friedensbedingungen abzuwickeln. Die Nähe zwischen Politik und Wirtschaft beunruhigt, denn noch ist unklar, wer von beiden die Oberhand gewinnt und ob das Anti-Korruptionsgesetz ausreicht, um zu engen Verstickungen von Politik und WIrtschaft Einhalt zu gebieten. Gerade mal neun Tage nach der Vereidigung Duques wurden die Kolumbianer*innen zum dritten Mal in diesem Jahr an die Wahlurne gerufen, um an einer Volksbefragung gegen Korruption teilzunehmen. Die Stimmberechtigten konnten darin sieben konkreten Anti-Korruptionsmaßnahmen einzeln zustimmen oder sie ablehnen. Die Regelungen betrafen Lohnkürzungen für Parlamentarier*innen und höhere Staatsfunktionär*innen, Gefängnisstrafen für Korruptionsverbrechen, eine Obergrenze von drei Amtsperioden bei öffentlichen Ämtern, Offenlegung ungerechtfertigter Besitz- und Vermögensverhältnisse gewählter Politiker*­innen. Auch sollte der Zivilgesellschaft ein Mitspracherecht bei Entscheidungen über den öffentlichen Haushalt und die Vergabe öffentlicher Aufträge eingeräumt werden.

Obwohl das Ja zu allen Fragen mit 96 bis 99 Prozent gewann, scheiterte die Volksabstimmung knapp: rund eine halbe Million Stimmen fehlten, um das Ergebnis zu einem Senatsmandat zu machen. Dafür wäre die Beteiligung eines Drittels der Stimmberechtigten (12,2 Millionen) an der Wahl notwendig gewesen.

Für die Initiator*innen der Kampagne, Claudia López und Angélica Lozano, beide Politikerinnen der Mitte-Links Partei Alianza Verde, hat sich die Gesellschaft klar positioniert. Immerhin stimmten 11,6 Millionen Kolumbianer*innen gegen Korruption, das sind zwei Millionen Stimmen mehr als Iván Duque bei der Präsidentschaftswahl erzielte. „Diese historische Wahl erteilt der Regierung und dem Kongress ein Mandat: Sie müssen sich selbst reformieren, Korruption effektiv bekämpfen und die 50 Milliarden Pesos ausfindig machen, die sie gestohlen haben“, sagte die ehemalige Senatorin Claudia López am Tag nach der Volksbefragung.

So sah es auch Präsident Iván Duque, der halbherzig die Volksabstimmung unterstützte. Am 29. August lud er Mitglieder aller politischen Parteien in den Regierungssitz Casa Nariño ein, um zusammen das weitere Vorgehen zu diskutieren. Dort wurde beschlossen, bis Dezember 2018 einen entsprechenden Gesetzentwurf im Senat zu diskutieren. Die Anti-Korruptionsmaßnahmen, die López und Lozano für die Volksabstimmung erarbeitet haben, sollen darin integriert werden.

Gerade in Kolumbien lassen sich perfide Auswüchse von Korruption beobachten. In den ländlichen Regionen, wo der Staat schwach ist, werden vacunas (Schmiergeld) an die örtlichen Mafias und Kriminelle bezahlt, um arbeiten zu können. Nach einem Bericht von der Nichtregierungsorganisation Transparency International bezahlte jede*r dritte Lateinamerikaner*in im Jahr 2017 auch Schmiergelder an Schulen und Krankenhäuser, bei Behördengängen, an Polizist*innen oder Gerichte.

In der kolumbianischen Politik funktioniert die Schmiergeldtaktik unter dem Euphemismus mermelada (Marmelade) mit der gleichen Logik. Nichts spricht dafür, dass das beim Kabinett Duques anders werden wird.

KURSKORREKTUR IN KOLUMBIEN

Nur eine Stunde nach Schließung der Wahllokale am 17. Juni stand fest: Der Rechtsaußenkandidat Iván Duque wird der neue Präsident Kolumbiens. Mit rund 54 Prozent der Stimmen setzte der 41-jährige Anwalt sich gegen seinen Kontrahenten Gustavo Petro durch. Der 58-jährige Ökonom Petro konnte mit rund 42 Prozent der Stimmen allerdings ein historisches Ergebnis erzielen: Zum ersten Mal in der kolumbianischen Geschichte erreichte ein linker Kandidat lebend die Stichwahlen und konnte auf Anhieb mehr als acht Millionen Kolumbianer*innen hinter sich vereinen.

Petro, der sich als Mann des Volkes inszeniert, wurde in den vergangenen Wochen zu einer Art Messias der kolumbianischen Linken. Und so verkündete der Präsidentschaftskandidat, dass „der Kampf für ein besseres und menschlicheres Kolumbien“ weitergehen müsse. Das Wahlergebnis sei keine Niederlage, sondern im Gegenteil der Beweis für eine lebendige Opposition. Fortan wolle er die „Opposition der alternativen Kräfte“ als Abgeordneter im Kongress anführen – vor allem aber auf der Straße. Gemeinsam mit Politiker*innen anderer Parteien und einer breiten gesellschaftlichen Basis wolle er nun die Kampagnen für das im August geplante Referendum gegen die Korruption und die Kommunalwahlen im kommenden Jahr angehen. „Ich heiße Gustavo Petro, und ich will euer Anführer sein!“ schreit Petro den jubelnden Massen zu.

Besondere Kopfschmerzen bereiten der Opposition mögliche Änderungen am Friedensabkommen mit der FARC-Guerilla. Duque revidierte zwar seine Aussage, wonach er das 2016 unterzeichnete Abkommen „zerreißen“ wolle. Er will jedoch signifikante „Korrekturen“ an dem Vertrag vornehmen. Insbesondere die Übergangsjustiz, die der Mehrheit der ehemaligen Rebell*innen eine Amnestie garantiert, und die politische Beteiligung der mittlerweile gegründeten FARC-Partei sind Duque ein Dorn im Auge. Bereits kurz nach der Wahl setzte Duques konservative Partei Centro Democratico (PCD) durch, dass das Gesetz für die Sonderjustiz für den Frieden (JEP) nur mit Änderungen umgesetzt wird. Auch die Friedensverhandlungen mit der kleineren ELN-Guerilla will er aussetzen, sofern die Rebell*innen nicht eine Vielzahl unrealistischer Bedingungen erfüllen.

Dabei muss Duque sich mit der gut organisierten Opposition auseinandersetzen. Bereits während seiner Wahlkampagne hatte Petro eine breite gesellschaftliche Basis um sich geschart. Vorwiegend junge Menschen warben mit Fahrradtouren, Flyern und Ampel-Flashmobs für sein „Menschliches Kolumbien“. Die Kollektive setzen nun ihre Arbeit fort – und haben schon einmal die Kommunalwahlen im kommenden Jahr im Blick.

„Wir wurden unser ganzes Leben lang von Politiker*innen regiert, die unsere politischen Werte nicht teilten“, sagt Esteban Guerrero von der Initiative Ojo a la Paz (Augenmerk auf den Frieden). Im Grunde sei die Situation nun die gleiche wie immer. „Es ist sogar möglich, dass Duques Wahl die sozialen Bewegungen stärkt, die seit Beginn des Friedensprozesses schwächer geworden sind“, sagt Guerrero. Die Angst vor einer Rückkehr des Uribismus, der Politik des Ex-Präsidenten Álvaro Uribe, könnte weitere Teile der Bevölkerung vereinen.

Auch María Fernanda Carrascal, Gründerin der Basisinitiative #ElPaisPrimero, betont: „Wir geben nicht auf, wir leisten Widerstand und wir träumen weiter.“ Der Aufstieg Petros habe gezeigt, dass eine andere Politik möglich sei, sagt die Aktivistin. Noch nie war ein Kandidat, der nicht von der traditionellen Politikmaschinerie gestützt wurde, der Präsidentschaft so nah.

Duque hingegen gilt seinen Kritiker*innen als Rückkehr in dunkle Zeiten: Er sei die Marionette des Ex-Präsidenten Álvaro Uribe, dem zahlreiche Menschenrechtsverletzungen und umfangreiche Verbindungen zu paramilitärischen Vereinigungen vorgeworfen werden. Fakt ist: Ohne die Unterstützung Uribes hätte es der politisch unerfahrene Anwalt Iván Duque niemals zur Präsidentschaft geschafft. Dementsprechend hoch ist die Sorge vieler Aktivist*innen vor einer Rückkehr des Uribismus. „Duque hat so viele Schulden bei der politischen und wirtschaftlichen Elite dieses Landes, dass sie ihn nicht unabhängig regieren lassen werden“, sagt Carrascal. Viele Aktivist*innen hätten Angst, dass die unter Uribe übliche Stigmatisierung und Verfolgung Oppositioneller wieder alltäglich werden könnte. In den vergangenen Monaten häuften sich Morde an Menschenrechtsaktivist*innen, auch Unterstützer*innen der Kampagne Petros erhielten wiederholt Drohungen. Wenige Wochen nach der Wahl wurde Frank Dairo Rincón, Leiter der Kampagne Petros in der südkolumbianischen Stadt Pitalito, ermordet. Der Sieg Duques könnte das Klima der Angst und Gewalt noch verstärken. Ein mögliches Scheitern des Friedens­prozesses mit den beiden Guerillagruppen könnte dazu führen, dass diese wieder in die Illegalität abtauchen.

Auch Humberto de la Calle, Chef-Unterhändler im Friedensprozess mit den FARC und unterlegener Präsidentschaftskandidat, warnte in einem offenen Brief, dass die Positionen Duques „ein enormes Risiko für das Land bedeuten“ würden. „Es wäre ein gravierender Fehler, das Abkommen aufzukündigen oder zu verändern“, schrieb er vor der Wahl. Die Ankündigung Duques, zu den „erfolgreichen“ militärischen Strategien seines politischen Ziehvaters Uribe zurückkehren zu wollen, besorgt viele. Die Auswirkungen der militärischen Strategien Uribes sind noch lebendig. „Die Täter haben gewonnen, wir, die Mütter aus Soacha, haben verloren“, verkündete etwa die Organisation der Mütter der im falsos positivos Skandal getöteten Jugendlichen (Fälle, in denen Zivilist*innen wahllos von staatlichen Sicherheitskräften getötet und im Nachhinein als Gueriller@s ausgegeben wurden). Die Bewegung der Opfer staatlicher Verbrechen, Movice, hatte bereits einige Tage zuvor ihre Sorge vor einer Rückkehr des Uribismus erklärt. In einer feierlichen Zeremonie im Herzen Bogotás verteilten die Menschen Bilder getöteter und verschwundener Angehöriger auf Treppenstufen und forderten eine Politik, die sich für die Opfer des Konfliktes einsetzt.

Duque verspricht hingegen, das Land zu einen: „Wir müssen alle gemeinsam zum Wohle Kolumbiens arbeiten“, forderte er in seiner Antrittsrede und betonte: „Ich habe keinen einzigen Kolumbianer zum Feind.“ Er sprach sich gegen einen aggressiven Tonfall und die Polarisierung der Gesellschaft aus – delegitimierte jedoch zugleich oppositionelle Stimmen als Versuch, das Land zu spalten. Die Aktivistin Carrascal kündigte jedoch an, dass die Opposition „sich nicht als Brandstifter stigmatisieren” lassen würde.
Dabei ignoriert Duque, dass ein bedeutender Anteil der Stimmen für ihn wohl eine Stimme gegen Petro war. Die Kampagne Duques beruhte wesentlich auf der Angst vor der Angst, der Ex-Guerillero Petro würde Kolumbien in eine Art zweites Venezuela oder Kuba verwandeln.

Auch in der Drogenpolitik bleibt Duque der Linie Uribes treu: Kokaplantagen sollen radikal vernichtet, Drogenhandel härter bestraft und der Konsum selbst kleiner Mengen sanktioniert werden. Die Militarisierung der betroffenen Gebiete soll parallel für Sicherheit sorgen.

Ein besonderes Anliegen ist Duque laut eigener Aussage zudem der Kampf gegen die Korruption. In den Reihen seiner Unterstützer*innen befinden sich allerdings viele ehemalige Politiker*innen, die wegen verschiedener Korruptionsdelikte vor Gericht stehen.

Bei seinen Reformplänen hat Duque künftig leichtes Spiel: Bei den Kongresswahlen im März konnte seine Partei die Mehrheit der Sitze erringen. Die Opposition wird dennoch versuchen, ihm die Reformen zu erschweren – und dabei die öffentliche Meinung womöglich noch stärker polarisieren. Eine gespaltene Gesellschaft in den Frieden zu führen wird daher die eigentliche Herausforderung für Duque sein.

Der Wandel sei nicht mehr aufzuhalten, sagt der Aktivist Guerrero. „Wir haben keine Angst vor der Angst – und sind noch viel zu jung, um die Hoffnung auf einen gesellschaftlichen Wandel zu verlieren.“ Das soll heißen: Dann gewinnen wir eben in vier Jahren.

ZWISCHEN VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT

Gewinner der ersten Runde der kolumbianischen Präsidentschaftswahl ist der rechtskonservative Kandidat Iván Duque. Er symbolisiert das moderne und freundliche Gesicht der traditionellen Rechten Kolumbiens. Er ist aber auch und vor allem der Kandidat des ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez. Uribe ist ein klassischer Caudillo, der im Kampf gegen die Guerilla und ihre tatsächlichen und vermeintlichen Unterstützer*innen mit äußerster Brutalität vorging und dem immer wieder enge Verbindungen zu Paramilitärs nachgesagt werden. Im aktuellen Friedensprozess machte sich Uribe einen Namen als Gegner des Vertrags zwischen der Regierung von Präsident Juan Manuel Santos und den Revolutionären Bewaffneten Streitkräften Kolumbiens (FARC). Duque pflegt einen freundlicheren Ton als Uribe, hat sich in der Sache aber bisher eng an die Positionen seines politischen Mentors angelehnt. Zudem verspricht er den Aufbruch in die Wissensökonomie und – wie alle Kandidat*innen – die Bekämpfung der Korruption.

Duques Gegner in der Stichwahl am 17. Juni 2018 ist Gustavo Petro. Das ist für Kolumbien eine kleine Sensation. Denn der ehemalige Kämpfer der urban geprägten Guerilla M-19 und frühere Bürgermeister Bogotás ist mit seiner Bewegung Colombia Humana („Menschliches Kolumbien“) klar der politischen Linken zuzuordnen. Dem Einzug Petros in die Stichwahl ging ein imposanter Wahlkampf voraus, in dem der Kandidat mit seinen Kundgebungen die Plätze der Städte des Landes füllte und gerade vielen jungen und sozial benachteiligten Menschen Hoffnung gab. Neben der Fortsetzung des Friedensprozesses verspricht Petro vor allem soziale Gerechtigkeit und eine Abkehr von der Rohstoffausbeutung. Teile seines Diskurses könnten einem Lehrbuch des Linkspopulismus entstammen, dabei vertritt er inhaltlich vergleichsweise moderate Töne und bewegt sich, plakativ gesagt, eher auf einer Linie mit dem ehemaligen uruguayischen Präsidenten José ‚Pepe‘ Mujica als mit Hugo Chávez oder Nicolás Maduro. Letzterer wurde von Petro sogar heftig kritisiert. Dennoch wurde Petro von politischen Gegner*innen immer wieder als „Castrochavist“ diffamiert. Angesichts des krachenden Scheiterns der Bolivarischen Revolution im Nachbarland Venezuela zeitigte die Angstkampagne in Kolumbien durchaus Wirkung.

Wirkliche Demokratie muss auch den Schutz von Aktivist*innen gewährleisten

Nun stehen sich also die beiden Lager von Duque und Petro erbittert gegenüber, und der kurze Wahlkampf bis zur Stichwahl wird mit harten Bandagen geführt. Dabei schielen beide Kandidaten auch auf die politische Mitte. Hier ist es insbesondere der ehemalige Bürgermeister von Medellín Sergio Fajardo, der es mit einem grün-liberalen Profil fast in die Stichwahl geschafft hätte. Seine Anhänger*innen sind für den Friedensprozess und gegen eine wirtschaftliche Linksverschiebung. Dies gilt auch für die Anhänger*innen des grandios gescheiterten Humberto de la Calle. Der Kandidat machte sich als Verhandlungsführer bei den Friedensgesprächen mit den FARC einen Namen, konnte jedoch nur zwei Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Zweiter großer Verlierer der Wahl war Germán Vargas Lleras. Der ehemalige Vizepräsident und Minister von Santos ist als Baumeister der Nation bekannt. Sein Modernisierungsoptimismus setzt Entwicklung mit Straßen und Hochhäusern gleich, bei Wahlkampfveranstaltungen punktete er eher mit warmen Mahlzeiten als fesselnden Reden. Trotzdem holte Vargas Lleras gerade einmal 7,3 Prozent der Stimmen.

Fajardo, der immerhin 23,7 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte, kündigte bereits an, in der Stichwahl ungültig zu wählen. Damit schwinden die Chancen Petros auf einen Sieg deutlich. Wie immer die Stichwahl Mitte Juni ausgeht, die erste Runde der Präsidentschaftswahlen hat bereits wichtige Richtungsverschiebungen und Lehren für die kolumbianische Politik gebracht. Zunächst wird in Kolumbien Politik wieder groß geschrieben. Es gibt leidenschaftliche Debatten und echte Alternativen. Oft wird die starke Politisierung der Jugend im Petro-Lager sowie die vergleichsweise hohe Wahlbeteiligung herausgestellt. Und dennoch: Mit 53 Prozent mag die teils als „historisch“ bezeichnete Wahlbeteiligung für Kolumbien tatsächlich hochgelegen haben, vor allem zeigt sich aber, dass sich die kolumbianische Demokratie dringend um eine Ausweitung der Partizipation kümmern muss, die über das periodische Ankreuzen hinausgeht. Allerdings brauchen lebendige Partizipationsmechanismen einen entsprechenden sozialen und politischen Kontext. Das bedeutet einerseits die Bekämpfung von Gewaltakteur*innen, die politische Aktivist*innen einschüchtern und ermorden, und andererseits eine Verbesserung der sozialen Situation als Voraussetzung für den Kampf gegen Klientelismus und für mehr politische Beteiligung.

Das Wahlergebnis der ersten Runde hat deutlich gemacht, dass Gerechtigkeitsthemen vielen Kolumbianer*innen unter den Nägeln brennen. Der Wahlkampf von Petro hatte auch deshalb Erfolg, weil er immer wieder die schreienden sozialen Ungerechtigkeiten im Land angeprangert hat. In der von extremer Ungleichheit geprägten Region Lateinamerika gehört Kolumbien zu den ungleichsten Ländern. Das betrifft Einkommen, Vermögen, Bildung, Gesundheit, Landbesitz etc. ebenso wie Ungleichheiten zwischen Stadt und Land sowie die Diskriminierung von Indigenen, Afrokolumbianer*innen und Frauen. Gleichzeitig reflektiert sich diese Ungleichheit in den Privilegien der Eliten. Aber auch Umweltgerechtigkeit war ein zentrales Wahlkampfthema. Petro spricht sich für eine Abkehr vom Extraktivismus aus, auch Sergio Fajardo punktete mit Bildungspolitik und seinem grünen Gesicht. Sicher ist, dass kein Präsident an der Bearbeitung der sozial-ökologischen Ungleichheiten vorbeikommen wird.
Eine weitere klare Botschaft vermittelten die kolumbianischen Wähler*innen auch damit, dass über die Hälfte der Stimmen auf Kandidat*innen entfiel, die sich für die Fortsetzung des Friedensprozesses aussprechen. Einzig Duque hat sich immer wieder als Gegner der Einigung mit den FARC geoutet. Damit repräsentiert er zweifellos eine wichtige Gruppe des Landes, die vom Friedensprozess mittels praktischer Verbesserungen ihrer Lebenssituation überzeugt werden muss. Denn für eine bessere Zukunft mit sozialer Gerechtigkeit und der Ausweitung politischer Partizipationsmöglichkeiten gibt es keine Alternative zum Friedensprozess. Statt neuer Verhandlungen müssen die erzielten Ergebnisse umgesetzt werden. Das bedeutet enorme Herausforderungen, solange soziale Aktivist*innen im Fadenkreuz von Auftragskillern stehen, das Drogengeschäft in abgelegenen Gebieten weiter blüht und die versprochene Unterstützung zur Integration ehemaliger FARC-Kämpfer*innen nur spärlich fließt.

Die Stichwahl wird voraussichtlich Iván Duque gewinnen. Politische Partizipation, die Reduzierung sozialer Ungleichheiten, Umweltgerechtigkeit und vermehrte Anstrengungen zur Umsetzung des Friedensprozesses stehen nicht auf seiner Prioritätenliste. Gerade deshalb ist die Bevölkerung gefragt, an diesen Punkten hartnäckig auf Reformen zu drängen. Geht er darauf ein, hätte Duque die Chance aus dem Schatten seines politischen Mentors Uribe zu treten und ein eigenes politisches Profil zu gewinnen. Gerade mit Blick auf den Friedensprozess bleibt zu hoffen, dass ein künftiger Präsident den Mut hat, sich von der Politik der Vergangenheit zu verabschieden und sich stattdessen der Aufarbeitung der Vergangenheit und der Konstruktion eines nachhaltigen Friedens zu widmen.

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