
Alles begann im März, als das panamaische Parlament das Gesetz Nr. 462 verabschiedete. Es soll eine Reform des vom finanziellen Zusammenbruch bedrohten Rentensystems einleiten, wobei Arbeitnehmer*innen befürchten, dass es zu einer künftigen Verschlechterung der Renten führt. Zuerst schlossen sich die Lehrer*innen zum Protest gegen das Gesetz zusammen. Dabei stützten sie sich auf die Asociación de Profesores de la República de Panamá (ASOPROF), einer der größten und am besten organisierten Lehrervereinigungen, die aus verschiedenen Organisationen besteht. Auf diese Weise wurden auf nationaler Ebene unterschiedliche Kampffronten gebildet, denen sich die verschiedenen Berufs-, Technik- und Verwaltungsverbände des Gesundheitssektors anschlossen, die in der Alianza Pueblo Unido por la Vida (Allianz Vereintes Volk für das Leben) und der Gewerkschaft der Bauarbeiter (SUNTRACS) organisiert sind. Später schlossen sich Indigene Gruppen sowie weitere Gewerkschaften dem Protest an, darunter die der Bananenplantagen von Chiquita Brands in der Provinz Bocas del Toro: 5.000 Bananenarbeiter*innen traten in einen unbefristeten Streik, um die Proteste im ganzen Land zu unterstützen. Sie forderten die Rücknahme des Gesetzes Nr. 462, dazu kamen Forderungen der Arbeiter*innen nach besseren Arbeitsbedingungen. Insgesamt zogen sich die Proteste über Monate hin, neben zahlreichen Demonstrationen im ganzen Land kam es auch zu Straßenblockaden. Sicherheitskräfte setzten an verschiedenen Orten Tränengas gegen Demonstrierende ein, dabei kam es zu Dutzenden von Verletzten. Im Juni starb ein Demonstrant in der Provinz Bocas del Toro an den Folgen seiner Verletzungen.
Am 1. Juli jährte sich die Amtszeit des derzeitigen Präsidenten Panamas, José Raúl Mulino, der ohne Unterstützung einer politischen Partei und nur mit einer relativen Wahlmehrheit von 34 Prozent an die Macht kam. Er vertritt sichtbar nicht nur die unternehmerische Rechte des Landes, sondern auch den ehemaligen Präsidenten Ricardo Martinelli, der wegen Geldwäsche zu zehn Jahren Haft verurteilt worden war und sich im Exil in Kolumbien befindet. Von daher ist die derzeitige Regierung ursächlich das Produkt eines politischen Systems, das seit 1989 im Niedergang ist und nur den Interessen der Wirtschaftsmächte dient.
Mulinos Wahlversprechen, mehr Geld in die Taschen der Panamaer*innen zu bringen, Korruption und Vetternwirtschaft zu bekämpfen sowie Ungleichheit und Armut zu verringern, verwandelten sich in Demagogie und vor allem in einen politischen Machtrausch. Laut der Zeitung Estrella de Panamá vom 2. April 2025 halten 67 Prozent der panamaischen Bevölkerung die derzeitige Regierungsführung für schlecht. Wenn auch das umstrittene Gesetz 462 zur Rentenreform einer der Hauptgründe für die Proteste in Panama ist, so kamen gleichzeitig noch weitere Faktoren hinzu. Anastasio Rodríguez beschreibt in einem im August 2025 für die Zeitschrift Nueva Sociedad veröffentlichten Artikel mit dem Titel „Panama, der lange Weg des Unbehagens”, wie Panama in immer kürzeren Zeitabständen mit Protestwellen und Unruhen konfrontiert ist, die zu Stillständen im Land führen. Sei es aufgrund des Modells der Ungleichheit im Land, aufgrund der Privatisierungsmaßnahmen der Oligarchie in Absprache mit den jeweiligen Regierungen oder wegen der permanenten Plünderung der Staatskassen. Die Verabschiedung des Gesetzes 462, das das Rentensystem verändert, löste eine ganze Reihe sozialer Unruhen und Streiks aus. Auf die Frage nach den Hauptgründen für die derzeitige Unruhe erklärt der Ökonom und Universitätsprofessor Felipe Argote gegenüber LN: „Wir haben ein Rentensystem, in dem ältere Menschen weiterarbeiten, da die Renten, die sie derzeit beziehen, sehr niedrig sind. Das hat zur Folge, dass den Jüngeren keine Möglichkeiten geboten werden, in das System der produktiven Beschäftigung einzusteigen. Andererseits besteht infolge der letzten Rentenreform im Jahr 2005 ein Defizit von 14 Milliarden US-Dollar, das die Situation noch verschärft: Damals wurde festgelegt, dass ab 2008 niemand mehr in das solidarische Rentensystem aufgenommen würde (Anm. der Redaktion: für ab diesem Zeitpunkt neu eintretende Arbeitnehmer*innen wurde ein neues Rentensystem geschaffen, das zum Teil kapitalgedeckt ist). Die im alten System Verbliebenen bekamen weiterhin ihre Renten, wenn sie in den Ruhestand gingen, aber nach ihnen gab es niemanden mehr, der noch in das System einzahlte.” Eine weitere Quelle der Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist die Einmischung der USA in Panama im Zusammenhang mit dem Panamakanal. Bereits während Donald Trumps erster Amtszeit war in den USA die Rede davon, den Panamakanal zurückzugewinnen, doch in seiner zweiten Amtszeit nahm diese Idee – begleitet von Lügen und Desinformation aus dem Weißen Haus – plötzlich Gestalt an. Einer der größten dieser Mythen oder Lügen war und ist die Einmischung Chinas in den Betrieb des Panamakanals. Auf der anderen Seite hat Panama nur auf wenig effektive und langsame Weise versucht, die Mythen und Lügen zu widerlegen. Präsident Mulino und sein Kabinett waren recht zurückhaltend und wenig durchsetzungsfähig. Vereinbarungen wie jene, US-Kriegsschiffen kostenfreie Durchfahrt durch den Kanal zu gewähren oder die Stationierung von US-Truppen in seiner Umgebung zu erlauben, gefährden die Souveränität und Neutralität des Landes: Sie drängen Panama dazu, sich im Wettstreit zwischen den USA und China einer der beiden Seiten anzuschließen mit dem Risiko, seine Neutralität zu verlieren. Als wäre dies nicht schon genug, steht seit Beginn der Amtszeit dieser Regierung die Wiedereröffnung der Kupfermine Cobre Panamá trotz der Unzufriedenheit der Bevölkerung mit diesem Vorhaben ganz oben auf deren Agenda. Laut einer Umfrage von La Estrella de Panamá vom 2. April 2025 lehnen 60,6 Prozent der Bevölkerung den Bergbau in Panama weiterhin ab. Bereits im Jahr 2023 machte die Bevölkerung auf nie dagewesene Weise deutlich, dass sie mit dem Bergbau in Panama nicht einverstanden ist. Bei ihrem neuen Vorstoß nutzte die Regierung die fundamentale Krise der Rentenkasse als perfektes Argument, um darauf hinzuweisen, dass der Bergbau mit seinen Erträgen notwendig sei, um diese vor dem drohenden Bankrott zu retten. Jedoch entrichtete die Betreiberfirma Minera Panamá während ihrer Tätigkeit im Land Null Prozent Abgaben in Form von Lizenzgebühren und Steuern an den Staat. Laut La Estrella de Panamá behauptet die Regierung, dass es sich bei den Gegnerinnen lediglich um „unbedeutende fünf Leute handelt, die den Bergbau in Panama nicht wieder stoppen werden.“
Lilian Guevara, Direktorin des Zentrums für Umweltfragen (CIAM), erklärte gegenüber LN: „Bis heute wurden weder Umweltprüfungen durchgeführt noch Fortschritte bei den Sanktionsverfahren gegen das Unternehmen aufgrund der mehr als 200 festgestellten Umweltvergehen sowie der Nichtzahlung von Lizenzgebühren erzielt, was die mangelnde Wirksamkeit der Einhaltung geltender Vorschriften und der festgelegten Kontrollmechanismen deutlich macht. Die Regierung hat die Schaffung einer Einrichtung vorgeschlagen, die es dem Staat ermöglichen würde, Kapital in das Projekt einzubringen. Allerdings verfügt der panamaische Staat nicht über die technischen und institutionellen Kapazitäten, um eine Mine dieser Größenordnung zu überwachen, geschweige denn direkt zu verwalten.“
In immer kürzeren Zeitabständen kommt es in Panama zu Unruhen
All diese gesellschaftlichen Konflikte führten zusammengenommen schließlich zu der breiten Protestwelle, die nach den Jahren 2022 sowie 2023 bereits die dritte dieser Art in weniger als vier Jahren ist. José Cambra, Mitglied von ASOPROF, erzählt LN: „Die Welle der Unterstützung in den ersten Monaten durch die Familienangehörigen im ganzen Land garantierte den Erfolg des Streiks zu Beginn. Rund 40.000 Lehrer streikten, aber im Laufe der Zeit führten die Vergeltungsmaßnahmen und Drohungen der Regierung dazu, dass viele ausstiegen. Am Ende des Streiks protestierten nur noch 20.000 Lehrkräfte. Für das Jahr 2025 erließ die Regierung das Dekret Nr. 17, in dem festgelegt wurde, dass die Lehrkräfte ersetzt würden, wenn sie nicht an ihren Arbeitsplatz zurückkehrten. Dieses Dekret verstößt gegen das verfassungsmäßige Streikrecht. Die Regierung wollte ein Exempel statuieren und wandte das Dekret in fünf Schulen in der Provinz Colón, drei in Veraguas und drei in Chiriquí an.“ Bis heute sind mehr als 294 Lehrkräfte und vier Schulleiterinnen ihren Ämtern enthoben worden. Laut Cambra bildet sich derzeit eine massive nationale Solidaritätskampagne. Staat und Wirtschaft reagierten mit weiteren Strafmaßnahmen auf die Proteste, auch über polizeiliche Repression gegen Demonstrantinnen hinaus: Die obersten Führungskräfte von SUNTRACS sind wegen Geldwäsche angeklagt und einige wurden inhaftiert; andere wie Genaro López stehen unter Hausarrest und Saúl Méndez ist mit unbekanntem Aufenthaltsort ins Exil gegangen. Die 5.000 streikenden Bananenarbeiter*innen wurden im Mai von Chiquita entlassen oder mussten unfreiwillig ihre Arbeit aufgeben. Eduardo Gil, Koordinator der Alianza Pueblo Unido por la Vida und Mitglied des nationalen Rates der organisierten Arbeitnehmer (CONATO) sprach mit LN über die Kriminalisierung der Proteste. Gil meint: „Es gibt eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich der Zukunft von SUNTRACS aufgrund der laufenden Klage wegen Geldwäsche, die rechtlich nicht zulässig ist. Dies stellt eine außergewöhnliche Situation dar.“ Derzeit besteht daher Unsicherheit hinsichtlich der Zukunft der größten Baugewerkschaft Panamas, die mit der Gründung des Frente Amplio por la Democracia (FAD) auch als Partei versucht hat, an die Macht zu gelangen – jedoch ohne größere Erfolge bei den Wahlen, an denen sie teilgenommen hat. Zu den 5.000 entlassenen Bananenarbeiter*innen erklärt Eduardo Gil, dass dies direkte Angriffe auf die Gewerkschaftsfreiheit seien und dass dies auch andere Gewerkschaftssektoren des Landes beunruhigen sollte.
Ein Jahr und mehrere Monate nach der Wahl 2024 befindet sich Panama weiterhin in einer Situation der Unsicherheit und es scheint nicht ganz klar zu sein, wie sich das Land in Zukunft entwickeln wird. Die Widerstandskräfte werden unter vielfältigen Fronten der Zermürbung immer schwächer und erschöpfter, sodass die Regierung einen großen Spielraum hat.


