„DIE KUNST IN DIE STRAßEN TRAGEN”

Karla Lara auf der Anarche am Rande des Fusion-Festivals 2018 (Foto: Erika Harzer)

In Ihren Liedern nehmen Sie immer wieder Stellung zu politischen Problemen und positionieren sich damit klar gegen die derzeitigen Machthaber*innen in Honduras. Wie können wir uns die kritische Kunstszene in Ihrem Land vorstellen?

Um von der heutigen Kunstszene zu sprechen, muss ich beim Putsch 2009 (gegen den linksorientierten Präsidenten Manuel Zelaya, Anm. d. Red.) anfangen. Viele waren schon vorher künstlerisch aktiv, der Putsch hat allerdings viele neue Künstler*innen hervorgebracht. Nach dem Putsch haben wir das Kollektiv „Künstler*innen im Widerstand“ gegründet. Es war ein Kollektiv, das verschiedene künstlerische Ausdrucksformen vereinte: Es gab Poet*innen, Bildhauer*innen, Sprayer*innen, Sänger*innen. Es waren vor allem Künstler*innen aus den urbanen Zentren. Politisch war es wichtig, vor allem in der Hauptstadt die Präsenz des Widerstands zu zeigen. Wir haben es geschafft, die Kunst in die Straßen zu tragen, um damit einen weiteren Beitrag bei den Mobilisierungen zu leisten.

Was passierte dann?

Mit der Widerstandsbewegung passierte dasselbe, was mit vielen anderen Bewegungen passiert, wenn die Unmittelbarkeit des Anlasses nachlässt: Sie hat sich demobilisiert. Die Gründe: Der Putsch war nicht mehr rückgängig zu machen, der außer Landes gebrachte ehemalige Präsident Manuel Zelaya konnte nach Honduras zurückkehren, aus einem Teil der Widerstandsbewegung entstand eine Partei (Partei Freiheit und Neugründung – Libre). Das alles führte zur Demobilisierung. Auch die „Künstler*innen im Widerstand“ hörten auf, sich kollektiv zu artikulieren.

Der Wahlbetrug Ende 2017 bei den Präsidentschaftswahlen hat zu massiven Protesten geführt, den größten seit dem Putsch. Welche Bedeutung hatte das für die Kunstschaffenden?

Mit dem Wahlbetrug im November 2017 haben sich viele Künstler*innen, die bereits gegen den Putsch aktiv waren, wieder zusammengetan. Wir haben künstlerische und politische Aktionen in den Vierteln der großen Städten organisiert. Die Regierung hatte zu dem Zeitpunkt eine Ausgangssperre verhängt und wir haben uns dem mit unseren Konzerten widersetzt: Sie fanden zwar in geschlossenen Räumen statt, die Leute aus den Vierteln kamen aber zusammen und wir haben sie live über die sozialen Netzwerke verbreitet und damit deutlich zum Ausdruck gebracht, dass wir nicht still zu Hause sitzen, sondern sehr geräuschvoll sind. Wir versuchen nun, unsere Zusammenarbeit auch über den aktuellen Anlass hinaus weiterzuführen.

Wie reagieren der Staat und die nationale Medien auf die kritischen Künstler*innen?

Künstler*innen gegenüber, die anspruchsvolle Kunst mit Inhalt machen, wird die Devise vertreten: Wenn man dich nicht sieht, existierst du nicht. Du kannst an anderen Orten der Welt bekannt sein, aber in Honduras wirst du ignoriert. In den nationalen Medien wirst du nicht auftauchen. Es herrscht regelrecht Zensur. Einige wichtige Medien weigern sich, Werbung für meine Auftritte zu machen, kommerzielle Radios spielen meine Musik nicht. Die Regierung subventioniert hingegen die Musik-Unterhaltungsindustrie. Damit versucht sich das Regime, ein gutes Image zu geben. Zum Beispiel gibt es große kommerzielle Festivals. Da werden Millionen reingesteckt. Die Qualität der Musik ist aber schrecklich, ohne künstlerischen Anspruch. Sie veranstalten Wettbewerbe, aber es geht nicht um Kreativität, sondern lediglich um Cover. Hier wird die Illusion kreiert, dass die Menschen tatsächlich teilhaben können. Doch es geht nur darum, das Geld auf verschiedene Taschen zu verteilen.

Was passiert in der jungen Generation von Künstler*innen?

Es gibt eine bunte Szene. Viele sind in der Studierendenbewegung politisiert worden. Ihre Musik ist vor allem von Ska, Cumbia oder Rock geprägt. Auch literarisch gibt es viel Interessantes. Sie sind die Generation, die noch sehr jung war, als der Putsch stattgefunden hat. Sie sind die Töchter und Söhne des Putsches und sie machen viele radikale und wichtige Dinge. Gerade junge Frauen sind dort sehr aktiv. Sie singen nicht nur, sondern spielen auch Instrumente, schreiben, machen Graffiti und Straßenkunst.

Welchen Herausforderungen müssen sich weibliche Künstlerinnen im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen stellen?

Ich habe die Band „Puras Mujeres“ mitgegründet, die vor allem aus jungen Frauen besteht. Hier habe ich die Erfahrung gemacht, dass es uns Frauen oft schwer fällt, an uns selbst zu glauben – sogar untereinander. Das ist eine schreckliche Altlast des Patriarchats, die wir verinnertlicht haben. Die Realität für die jungen Frauen in Honduras sieht oft so aus, dass sie, auch wenn sie erwachsen sind, noch zu Hause leben. Dort werden sie kontrolliert und die Eltern wollen nicht, dass sie nachts außer Haus sind oder reisen. Es gibt einen großen Unterschied in der Zusammenarbeit mit jungen Männern, sie haben alle Freiheiten. Ich musste noch nie mit den Eltern der Musiker sprechen, aber eigentlich immer mit den Eltern der Musikerinnen. Das sind zwar Anekdoten, zeigt für mich aber, was es in unserer Gesellschaft bedeutet Frau zu sein.

Viele der aktuellen Kämpfe finden auf dem Land statt. Gemeinden sind im Widerstand gegen Wasserkraftwerke, Bergbauprojekte oder Palmölplantagen. Gibt es eine Zusammenarbeit mit Künstler*innen aus den ländlichen und indigenen Gemeinden?

Eines der Probleme ist, dass wir, die wir in der Hauptstadt leben, eine sehr eingeschränkte Sicht auf unser Land haben. Wir denken, Honduras beginnt und endet in Tegucigalpa. Kulturell passiert eine Menge auf dem Land und wir bekommen es nicht mit. In allen Gemeinden gibt es eine lebendige Musik-Szene und landesweit eine Vielzahl verschiedener Musikstile. Die traditionelle Musik der Garífuna, der Nachfahr*innen afrikanischer Versklavter zum Beispiel, Cuerda-Gruppen, interessante Sängerinnen der indigenen Pech und Lenca. Wir Künstler*innen aus der Hauptstadt sollten uns klar darüber werden, dass wir nicht die einzigen sind, die Kunst machen. Wenn ich so darüber spreche fällt mir auf, wie viele wichtige Projekte noch auf mich warten und wie viel es noch zu tun gibt.

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