RÜCKKEHR DER RATTEN

La Plaga Theater in Aktion // Foto: privat

Auf welcher Sprache kommuniziert ihr miteinander und mit dem Publikum? Welche Rolle spielt die Körpersprache dabei?
Lenia: Obwohl beide Gruppen unterschiedliche Sprachen sprechen, eint uns eine sehr starke Körpersprache. Als wir uns in Bolivien trafen, hatten beide Gruppen bereits unabhängig voneinander am Stück gearbeitet. Später, als wir uns die Szenen gegenseitig zeigten, mussten wir kaum etwas erklären: es wurde deutlich, dass beide Gruppen die Thematik ähnlich verstanden hatten, die erarbeiteten Bilder waren sehr ausdrucksstark. Über das Schauspiel gibt es eine sehr starke Verbindung zwischen uns.
Daniela: Wenn wir zusammen sind, spüren wir, dass es eine ähnliche Arbeitsweise gibt. Wir haben uns in der Art, wie wir Symbole und Metaphern erarbeiten gegenseitig erkannt.
Kathi: Diese Art des Arbeitens stellte für uns nie die Frage, ob Sprache ein Hindernis sein könnte. Ich denke, es hat auch damit zu tun, dass in Bolivien viele Sprachen gesprochen werden und man immer davon ausgehen muss, dass nicht alle die gleiche Sprache sprechen. So ist auch das Grundverständnis bei uns im Theater X. Wir haben oft Situationen, in denen Leute unterschiedliche Sprachen sprechen, dann wird entweder übersetzt oder mit Körpersprache gearbeitet.

Arbeitet die Gruppe des Teatro Trono mit unterschiedlichen Sprachen?
Lenia: Wir haben bereits mit verschiedenen Sprachen zusammengearbeitet, aber das wurde nicht vertieft. Wir haben es jedoch immer mit Pluralität zu tun. Bolivien ist ein sehr diverses Land, welches sehr viele unterschiedliche indigene Kulturen, Religionen und Regionen vereint. Das taucht in der Art wie wir arbeiten immer wieder auf. Mit unserem früheren Leiter Ivan Nogales haben wir sein Konzept der Dekolonisierung des Körpers erprobt und thematisiert. Die jahrelange Kolonialisierung Lateinamerikas hat sich zuallererst in die Körper eingeschrieben. Wenn man den Körper dekolonisiert, braucht man vor allem, wie bei allem anderen auch, Sprache. Im Prozess der Dekolonisierung geht es insbesondere darum, wieder den Körper zu benutzen und durch ihn mit anderen zu sprechen, denn das ist eine universelle Sprache.

In dem Stück La Plaga – die Rückkehr der Ratten geht es um das Wiedererstarken der politischen Rechten, um Diktatur und Kolonialismus. Wie habt ihr das Stück gemeinsam erarbeitet und euch über Motive und Inhalte ausgetauscht?
Daniela: Wenn man zurück geht in der Geschichte und von der Kolonialzeit ausgehend bis jetzt schaut, gab es viele Momente der Unterdrückung und Versuche, die Geschichte unsichtbar zu machen, insbesondere die Perspektive derer, die die Geschichte auf eine bestimmte Art gesehen haben. Ein wichtiger Moment dabei war die Diktatur und die Ansichten der Arbeiter*innen zu dieser Zeit. Ausgehend von diesem Blickpunkt bestand der Prozess vor allem darin, Parallelen und Ähnlichkeiten mit dem Theater X herauszufinden.

Welche historischen Verbindungen zwischen Deutschland und Bolivien will das Stück hervorheben? Und wie kann uns diese Betrachtung helfen, aktuelle politische Situationen besser zu verstehen?
Annika: Wir haben geschaut, was die historischen Kontinuitäten sind. Wo gab es Verbindungen zwischen Bolivien und Deutschland? Als Ansatzpunkt haben wir die Geschichte von Klaus Barbie, ehemaliger Chef der Gestapo in Lyon genommen, der beispielhaft für bestimmte Strukturen und Mechanismen steht und für etwas, dass überall auf der Welt immer wieder passiert. Klaus Barbie ist, so wie viele andere Nazis auch, mit Hilfe von Deutschland und den USA geflohen und wurde versteckt. In den fünfziger und sechziger Jahren, als es in Deutschland dann den Diskurs gab – „Jetzt haben wir Demokratie! Wir haben das alles hinter uns gelassen!“ – hat Barbie mit der Unterstützung des BND und der CIA die Diktatur in Bolivien aktiv mit aufgebaut. Das zeigt, wie faschistische Strukturen, Rechtsideologien und Staat zusammenhängen und weiter geführt wurden. Es wird sichtbar, welche verschiedenen Gesichter das hatte und wie es weiter gelebt werden konnte, einerseits in den 50er Jahren in Deutschland und andererseits in der Militärdiktatur in Bolivien. Und die heutige Zeit zeigt: Diskurse ähneln sich wieder.

Der deutsche Titel Die Rückkehr der Ratten bezieht sich auf die sogenannte Rattenlinie, der Fluchtweg für Ex-Nazis, die nach dem zweiten Weltkrieg nach Lateinamerika geflohen sind. Darin enthalten ist die Idee des Unheilvollen, das aus dem Untergrund wieder erstarken kann. Wie bewertet ihr den heutigen Widerstand gegen den neu aufkommenden Rechtsruck in beiden Ländern? Welche Perspektiven will eure Performance aufzeigen?
Lenia: In der Recherche sind wir von Verbindungspunkten ausgegangen, die Ähnlichkeiten in beiden Ländern aufzeigen. Aber nicht nur zwischen Bolivien und Deutschland, wo es das Beispiel von Klaus Barbie gab, sondern auch auf globaler Ebene. Es war uns wichtig sich nicht nur mit den Schlächtern, Tätern und Diktatoren auseinanderzusetzten, sondern insbesondere auch mit dem Widerstand. Wir wollen keine Täterfaszination ausüben, sondern den Widerstand stärken. Wir wollen aktuelle Widerstandsbewegungen inspirieren, weil man heute das Gefühl hat das viele Leute – und die Jugend als ein großer Teil davon – schlafen. Ein Ziel des Stückes ist es aufzuwecken und den Leuten einen Impuls zu geben. Gerade sieht man in vielen lateinamerikanischen Ländern sogenannte sozialistische Regierungen, die nicht wirklich linke Politik machen. Da viele von den linken Regierungen enttäuscht sind, wählen sie danach häufig eine sehr rechte Regierung. Wir wollen die Leute daran erinnern, kritisch zu sein mit dem was passiert.

Wie diskutiert ihr Gegenbewegungen zur Rechten? Wie betrachtet ihr einerseits das linke Regierungsregime unter Evo Morales in Bolivien und andererseits linke Bewegungen in Deutschland?
Kathi: Wir haben uns öfter die Frage gestellt gegen was oder wen genau wir Widerstand leisten müssen. Sind wir wieder auf dem Weg zu einem faschistischen Zustand? Was bedeutet Faschismus eigentlich? Wie war das in der Vergangenheit? Wir haben uns auch die Momente vor der Nazizeit angeschaut, zum Beispiel die Novemberrevolution. Was war das für ein Moment des Widerstandes? Worauf wurde da reagiert? Dann haben wir versucht das in unsere Zeit zu übersetzen, um zu sehen, dass der Faschismus eine Reaktion auf die Konterrevolution war. Wir wollen eine antikoloniale und antirassistische Linke haben. Nicht nur die internationale Perspektive, sondern auch unsere Perspektive als Theater X bringt – und das ist eine weitere Verbindung mit dem Teatro Trono – das mit sich. Gemeinsam überlegen wir: welches ist unsere Perspektive? Viele der Leute, die bei dem Stück mitwirken, haben selber die Erfahrung gemacht, hier weiter als Kolonialisierte behandelt zu werden. Viele sind aus eigener Motivation involviert.
Annika: Wir brauchen wieder eine starke linke Bewegung in Europa. In der Diskussion, die wir in Bolivien geführt haben, kam dann direkt eine Gegenreaktion: Moment, was heißt denn eigentlich „links“? In beiden Ländern bedeutet es etwas Unterschiedliches. Aber wir sind übereingekommen, dass, wenn wir von einer linken Bewegung sprechen, eine Bewegung von unten meinen und keine Parteipolitik. Es geht darum, Leute zusammenzubringen, sich zu vereinigen, im eigenen Land oder transnational.
Daniela: Die plaga kommt wieder hoch, zum Beispiel medial oder über Konsum und gleichzeitig ist der linke Widerstand verbraucht. Es ist notwendig neue Widerstandsformen zu finden, die das aufgreifen können. Vielleicht auf eine poetische Art und Weise…
Das Stück beginnt mit dem Satz: „Ich komme aus einem Land, das die Erinnerung verloren hat“. Wie wird in Bolivien mit Geschichtsvergessenheit umgegangen? Wie wird über die Vergangenheit gesprochen?
Lenia: Ein Land das seine Geschichte vergisst, ist ein Land ohne Seele und dazu verdammt, sie zu wiederholen. Das Teatro Trono macht politisches Theater, um Zeugenschaft von der Geschichte abzulegen. In unseren Stücken wollen wir historische Ereignisse auf poetische und metaphorische Art und Weise unserem Publikum zugänglich machen und erzählen, was eigentlich passiert ist. Ähnlich wie das Theater X berichten wir durch das Theaterspiel über historische Ereignisse und Fakten. Aktuell arbeiten wir an einem Stück, welches Wir sind die Kinder der Mine heißt. Darin geht es um die Realität der Minenarbeiter*innen und um ihre gewerkschaftlichen Kämpfe, bei denen viel Blut geflossen ist. Bei Schulprojekten geht es uns immer darum, wichtige Themen körperlich und spielerisch zu vermitteln.
Annika: Wir haben einen zentralen Satz, der uns immer wieder begleitet: Man muss die Vergangenheit erkennen, um die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft zu verändern.

ERINNERUNGSSPLITTER

Dass Bolivien ein wichtiges Einwanderungsland nach dem zweiten Weltkrieg war, ist relativ bekannt. Weniger verbreitet ist allerdings, welche Beziehungen zwischen den heterogenen Gruppen von deutschen Immigrant*innen bestanden. Dieser Frage widmet sich das Buch „Transnationale Spurensuche in den Anden“ von Juliana Ströbele-Gregor.
Die Autorin, die als Kultur- und Sozialanthropologin unter anderem am Lateinamerika-Institut der FU Berlin forschte, ist Wissenschaftlerin, doch zugleich auch Zeitzeugin: Mit 9 Jahren kam sie 1952 als Tochter des ersten deutschen Botschafters nach dem zweiten Weltkrieg nach Bolivien. Ströbele-Gregors „Erinnerungssplitter“, die die dokumentarische Spurensuche leiten, sind subjektive Anknüpfungspunkte für eine detaillierte Darstellung des sozio-politischen Gefüges im Bolivien der 50er und 60er Jahre. Anhand von Einzelschicksalen, darunter ihr eigenes, beschreibt die Autorin die Erfahrungen der Emigrant*innen aus Nazi- und Nachkriegsdeutschland. Zitate aus den vielen Interviews, die sie mit Kindheitsfreund*innen in den 2000er Jahren führte, verschmelzen mit Archivquellen, diplomatischen Berichten und zeitgenössischen Artikeln zu einer „multiperspekt­ivischen Geschichtserzählung“.
Dabei fokussiert sich Ströbele-Gregor auf die Perspektiven der drei völlig verschiedenen deutschen Einwanderungswellen: Da war zunächst die alteingesessene deutsche Kolonie, die schon seit Ende des 19. Jahrhunderts in Bolivien existierte und deren Bewohner*innen oftmals antisemitisch eingestellt waren. Während des zweiten Weltkrieges, als Bolivien zunächst noch eine sehr großzügige, wenn auch interessengeleitete Migrations- politik verfolgte, kamen zudem geschätzte 10.000 Jüd*innen ins Land. Sie suchten Zuflucht vor den Nazis, von denen einige nach Kriegsende ebenfalls nach Bolivien flüchteten, um einer Strafverfolgung zu entgehen. Die Clubs und Schulen, in denen die Deutschen ihr sozio-kulturelles Leben organisierten, bestehen zum Teil bis heute. Die Lebensräume der Juden und Jüdinnen waren davon stark abgegrenzt. Die Autorin kritisiert, dass die nationalsozialistischen Tendenzen der deutschen Kolonie in der (Nach-)Kriegszeit bis heute nicht ausreichend aufgearbeitet wurden.
Nicht zuletzt durch den Beruf ihres Vaters kam Ströbele-Gregor mit den sehr unterschiedlichen Kreisen in Kontakt. Dabei hörte sie viele Fluchtgeschichten, die für sie diffus blieben; erst später kam das Verstehen und damit „die Scham, Deutsche zu sein“. So stellte sich 1972 etwa heraus, dass der Vater einer Schulfreundin Klaus Barbie war, der „Schlächter von Lyon“. Die Autorin widmet ihm und Monika Ertl, einer weiteren Schulfreundin und der angeblichen Mörderin von Che Guevara, jeweils ein ganzes Kapitel. Zwei der drei Kapitel sind also personenbezogen und relativ kurz. Eine Gliederung anhand der drei Gruppen von Migrant*innen wäre eventuell schlüssiger gewesen. Nichtsdestotrotz besticht das Buch durch seine Detailliertheit, die nur selten trocken wirkt. Die „Erinnerungssplitter“ bleiben aufgrund der kindlichen Perspektive eher schwammig; dennoch sind sie eine interessante Ergänzung, die die Fülle an Fakten auflockert. So gelingt es Ströbele-Gregor, die Forschungslücken hinsichtlich der Beziehungen von geflüchteten Jüd*innen und alteingesessenen Deutschen in Bolivien mit einem persönlichen Werk über ihre „emotionale Heimat“ zu verkleinern.

 

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