Verschmutzt und allein gelassen

Im Norden Kolumbiens wird in mehreren Minen Kohle gefördert. Neben der Region La Guajira mit dem bekannten Tagebau El Cerrejón geschieht dies auch in der Region Cesar. Der Kohleabbau ist dort in der Hand multinationaler Unternehmen wie Glencore (aus der Schweiz) und Drummond (aus den USA). Gemäß kolumbianischer Gesetze haben diese Unternehmen gegenüber den Gemeinden eine soziale Verantwortung in Bezug auf Bildung und Infrastruktur, sie haben zudem eine Verantwortung gegenüber der Umwelt – selbst nachdem sie ihre Bergbaulizenzen zurückgegeben oder verkauft haben.

Drummond ist noch da Nach Schließung der Glencore-Minen leiden die Städte immer noch unter der Verschmutzung durch andere Minen wie El Descanso von Drummond

Glencore schloss im Jahr 2020 offiziell zwei ihrer Minen (La Jagua und Calenturitas) aufgrund der COVID-19-Pandemie sowie angeblich fehlender Ressourcen zur Fortsetzung des Bergbaus. Da die Wirtschaft der Region Cesar hochgradig abhängig von diesen Minen war, ließ ihre Schließung die meisten zuvor dort tätigen Menschen ohne Einkommensquelle zurück.

Minenarbeiter*innen auf dem Weg zur Arbeit

Ein Mangel an staatlicher Präsenz und damit an Kontrolle der Bergbauunternehmen im Hinblick auf Umweltverschmutzung und soziale Investitionen führten zur Entstehung vergessener Ort­schaften wie Boquerón.

Einfaches Spielzeug Ein Junge hat sich etwas aus recycleten Eierpackungen gebastelt
Don Guillermo, ein örtlicher Bauer hat aufgrund der Verschmutzung all seine Fische, Rinder und Mais verloren. Sie waren die einzige Einnahmequelle neben der Kohle

Regiert manchmal von Kriminellen, manchmal von Guerillakämpfern, manchmal von paramilitärischen Gruppen und manchmal von sich selbst, schafft es Boquerón, auch ohne staatliche Präsenz zu überleben. Die Straßen sind nicht asphaltiert, die Energieversorgung erstreckt sich nur auf bestimmte Haushalte und die Schule. Die Mehrheit der Bewohner von Boquerón arbeiteten in den Glencore-Minen, bevor diese geschlossen wurden. Jetzt sind die meisten arbeitslos und kämpfen jeden Tag um das Nötigste.

Unasphaltierte Straßen sind die Regel in Boquerón

Bereits im Jahr 2010 wurde Glencore vom kolumbianischen Bergbauministerium aufgefordert, die Menschen von Boquerón aufgrund der Verschmutzung durch Kohlestaub umzusiedeln. Dies ist jedoch nie geschehen, stattdessen wartete das Unternehmen elf Jahre ab, bis die zuständige Behörde im Jahr 2021 feststellte, dass Boquerón nun unterhalb des gesetzlichen Verschmutzungslimits lag. Die Einheimischen erhielten von den Bergbauunternehmen nie eine Entschädigung für die Verschmutzung. Während sie die Landwirtschaft als alternative Einkommensquelle durch die Verschmutzung verloren, existieren die Minen, für die sie immer gearbeitet hatten, nicht mehr.

Der örtliche Supermarkt Hier kaufen die Leute alles, von Reis bis hin zu Spirituosen

SCHULD SIND IMMER DIE TOTEN

Würde für Minenarbeiter – Forderungen nach Gerechtigkeit und der Bergung der Opfer werden seit Jahren gestellt // Foto: Toño Hernández (CC BY-NC 2.0)

Wie sind Sie da­zu ge­kom­men, im Be­reich der Koh­le­mi­nen zu ar­bei­ten?
Seit 1997 ver­tei­di­ge ich die Ar­beits­rechte von Mi­nen­ar­bei­tern. In den er­sten Jah­ren habe ich für eine kirch­li­che Or­ga­ni­sati­on ge­ar­bei­tet, die aus der Tra­di­ti­on der Be­frei­ungs­theo­lo­gie he­r­aus agier­te. Da­mals kämpf­ten wir da­für, dass Ar­beits­rechte welt­weit als Men­schen­rechte an­ge­se­hen wür­den. Als am 19. Fe­bru­ar 2006 die Koh­le­mi­ne von Pas­ta de Con­chos in Coa­hui­la ex­plo­dier­te, wur­den wir dort­hin be­ru­fen. Uns wur­de ge­sagt, dass ein Un­fall pas­siert sei, Ent­schä­di­gun­gen fäl­lig wür­den und die sterbli­chen Über­res­te der Mi­nen­ar­bei­ter an die An­ge­hö­ri­gen der Op­fer über­ge­ben wer­den müss­ten. Schnell wur­de uns klar, dass es kein Un­fall gewe­sen war. Ziel war es nun, die Ver­ant­wort­li­chen für die Ar­beits­ver­hält­nis­se und den Zu­stand der Mine zu be­strafen. Am 25. Fe­bru­ar ver­öf­fent­lich­ten wir einen Be­richt, in dem wir das Un­ter­neh­men an­klag­ten, nicht die nö­ti­gen Sicherheits­maß­nah­men ge­trof­fen zu ha­ben, um das Un­glück zu ver­hin­dern.

Was passierte nach dem Un­glück mit der Mi­ne?
Pas­ta de Con­chos wur­de im Jahr 2007 ge­schlos­sen und die Ret­tungs­ar­bei­ten für die üb­ri­gen 63 ver­schüt­te­ten Mi­nen­ar­bei­ter wur­den ab­ge­bro­chen. Laut An­ga­ben des Un­ter­neh­mens, das da­bei vom Staat Rücken­de­ckung er­hielt, be­fand sich konta­minier­tes Wasser in der Mine und es wur­de be­hauptet, die Ret­tungs­kräf­te wür­den sich da­durch mit He­pa­ti­tis, Tu­ber­ku­lo­se, HIV und ähn­li­chem an­ste­cken. Das Un­ter­neh­men muss von den Ge­sund­heits­zu­stän­den der sich in der Mine be­fin­den­den Per­so­nen gewusst ha­ben. Wenn die­se krank gewe­sen wä­ren, hät­ten sie sie gar nicht erst in die Mine las­sen dür­fen. Aber so ist es im­mer: Sie wa­schen sich die Hän­de rein und Schuld sind die To­ten. Ich konn­te da­mals nicht glau­ben, dass sie die Ret­tungs­ar­bei­ten wirk­lich ab­ge­bro­chen hat­ten, aber noch we­ni­ger, dass der Staat die Grün­de da­für als le­gi­tim er­achtet hat

Wel­che wa­ren Ih­rer Mei­nung nach die wah­ren Grün­de da­für, dass die Ret­tungs­ar­bei­ten ab­ge­bro­chen wur­den?
Rück­bli­ckend sind mir zwei Din­ge auf­ge­fal­len. Er­stens: 2006 öff­ne­te sich der Koh­le­berg­bau ge­gen­über aus­län­di­schen In­ves­ti­tio­nen, be­son­ders aus Ka­na­da. Der Staat hat­te also kein In­ter­es­se dar­an, ein Berg­bau­unter­neh­men zu be­strafen. Bei uns den­ken die Regie­ren­den, dass Gerech­tig­keit die In­ves­toren ver­schreckt. Zweitens: Der Fall von Pas­ta de Con­chos ist der er­ste in der Ge­schich­te des me­xi­ka­ni­schen Koh­le­berg­baus, in dem die For­de­rung nach Be­stra­fung der Ver­ant­wort­li­chen laut gewor­den ist. Bis dato wa­ren in den Koh­le­mi­nen Coa­hui­las seit dem Jahr 1900 schon etwa 3.000 Ar­bei­ter ge­stor­ben und niemals hat­te je­mand die Grün­de da­für hin­ter­fragt oder Gerech­tig­keit ge­for­dert. Wenn Gru­po Mé­xi­co also die sterbli­chen Über­res­te an die Hin­ter­bliebe­nen über­ge­ben hät­te, hät­te das Un­ter­neh­men sei­ne Ver­ant­wort­lich­keit ak­zep­tiert. Mit die­sem Druck kon­fron­tiert, ha­ben sie sich dage­gen ent­schie­den und die An­ge­hö­ri­gen sich selbst über­las­sen. Die Mi­nen­ar­bei­ter, die ur­sprüng­lich mit der Ber­gung be­auf­tragt wor­den wa­ren, füh­len sich bis heu­te schul­dig, die Frus­tra­ti­on und die Wut hält auch bei ih­nen an. Seit dem Gut­achten der In­ter­a­me­ri­ka­ni­schen Men­schen­rechts­kom­missi­on gibt es Auf­schwung in der Regi­on, die dort an­säs­si­gen Mi­nen­ar­bei­ter wol­len die Kör­per un­be­dingt ber­gen.

Was ge­nau be­sagt das Gut­ach­ten der CIDH?
Die CIDH hat den Fall von Pas­ta de Con­chos an­ge­nom­men und fest­ge­stellt, dass nicht nur die Rechte auf Le­ben, kör­per­li­che Un­ver­sehrt­heit der Mi­nen­ar­bei­ter und ju­ris­tischen Schutz der Fa­mi­li­en ver­letzt wur­den, son­dern auch wir­t­schaft­li­che, so­zia­le und kultu­rel­le Rechte. Das Gut­achten der Kom­missi­on be­zieht sich so­wohl auf die Koh­le­mi­nen­ar­bei­ter, als auch auf die Ge­samt­heit der Mi­nen­ar­bei­ter in Me­xi­ko. Ich glau­be, dass nun wich­ti­ge Fort­schrit­te gemacht wer­den. Die neu ent­stan­de­ne Mög­lich­keit der Ber­gung in Pas­ta de Con­chos wird hof­fent­lich da­für sor­gen, dass die gan­ze Welt auf Coa­hui­la schauen wird und dar­auf, was Me­xi­ko, aber auch Ka­na­da und die ex­trak­ti­vis­tischen Un­ter­neh­men im Berg­bau an­stel­len.

Bis heu­te wur­de nie­mand für das Un­glück in Pa­sta de Con­chos be­straft?
Nein. Auch dann, wenn wir auf Kin­der­ar­beit und Ar­bei­ter ohne Ver­siche­rung hin­wei­sen, wird nie­mand be­straft. Die Un­ter­neh­men sa­gen zu mir: „Du kannst stram­peln so viel du willst, ich be­zah­le 170.000 Pe­sos und ma­che weiter wie bis­her.“ So­viel kos­tet ein to­ter Mi­nen­ar­bei­ter. Sie glau­ben, dass es da­mit be­ho­ben ist. Es über­rascht mich, dass im­mer wie­der er­mit­telt wird, doch die Ver­fah­ren ab­ge­bro­chen wer­den, be­vor ein Ur­teil ge­fällt wird. Als Un­ter­neh­men kannst du sa­gen: „Hier ist die Re­para­ti­ons­zah­lung. 170.000 Pe­sos.“

Und das Geld be­kom­men die Fa­mi­li­en?
“Das Geld wird den Rich­tern in Coa­hui­la über­ge­ben, die den Fall dann ohne Ur­teil schlie­ßen. Es ist kei­ne ech­te Straf­tat, Mi­nen­ar­bei­ter zu tö­ten. Es wird als ein Un­fall an­ge­se­hen, ohne Vor­satz. Sie zah­len also für ein ver­se­hent­li­ches Tö­tungs­de­likt. Die Akte wird ge­schlos­sen, dem Un­ter­neh­men wird ver­ge­ben und die Li­zenz kön­nen sie be­hal­ten. Nur wenn wir einen großen Skan­dal dar­aus ma­chen, pas­siert et­was. Wenn es nur um eine tote Per­son geht, pas­siert gar nichts. Das ge­hört zu den per­ver­ses­ten Din­gen auf die­ser Welt.”

Wie wur­de die Or­ga­ni­sa­ti­on Fa­mi­lia Pa­sta de Con­chos ge­grün­det, in der Sie heu­te ar­bei­ten?
Die Or­ga­ni­sati­on hat sich ganz or­ga­nisch und selbst­stän­dig ent­wi­ckelt. Im Jahr der Tra­gö­die be­merk­ten wir, dass der Staat nur die Wit­wen und Wai­sen als Op­fer der Ver­schüt­te­ten ak­zep­tier­te, nicht je­doch die El­tern oder Ge­schwis­ter. Wir gin­gen also in die Fa­mi­li­en hi­n­ein und zähl­ten die di­rek­ten An­ge­hö­ri­gen. Am An­fang hat­ten wir eine Lis­te von 350 Per­so­nen und be­gan­nen, von der Fa­mi­lie Pas­ta de Con­chos zu spre­chen, in der alle Be­trof­fe­nen ein­be­zo­gen wur­den. Da auch in an­de­ren Mi­nen im­mer wie­der Per­so­nen star­ben, wur­den wir zu ei­ner Or­ga­ni­sati­on, die sich auch um an­de­re Fäl­le küm­mer­te.

Wel­che Mi­nen ste­hen heu­te im Fo­kus und wie geht die Or­ga­ni­sa­ti­on vor?
Ich den­ke, dass alle Mi­nen im Fo­kus ste­hen. Die Leu­te der Or­ga­ni­sati­on sind über­all vor Ort. Wir be­nut­zen ein gut funk­tio­nie­ren­des Not­fall­pro­to­koll, aber vor al­lem ar­bei­ten wir an der Prä­ven­ti­on. Das ist der große Bei­trag der Or­ga­ni­sati­on in der Berg­bau­regi­on. Wir be­nach­rich­ti­gen die Fa­mi­li­en und die Berg­bau­ar­bei­ter, wenn wir glau­ben, dass an ei­ner be­stimm­ten Stel­le ein Ri­si­ko be­steht, das töd­li­che Fol­gen ha­ben kann. Seit 2013 ha­ben sich so die To­des­fäl­le um 97 Pro­zent ver­ringert.

Sie wer­den un­ter an­de­rem von pbi in Ih­rer Ar­beit ge­schützt. Was be­deu­tet das für Sie?
Ich wer­de seit Juni 2007 durch Vor­sichts­maß­nah­men ge­schützt, also schon seit ei­nem Zeit­punkt, als der Me­chanis­mus zum Schutz von Men­schen­rechts­ver­tei­di­gern und Jour­na­lis­ten der Regie­rung, von dem ich heu­te auch Teil bin, noch gar nicht exis­tiert hat. Mög­li­cher­wei­se ge­hö­re ich zu den Men­schen­rechts­ver­tei­di­ge­rin­nen, die am längs­ten ge­schützt wer­den. Die­ser Me­chanis­mus, der un­ter an­de­rem von der EU fi­nanziert wird, er­scheint mir al­ler­dings we­nig sinn­voll, weil sie nicht auf­pas­sen. Ich konn­te be­wei­sen, wer al­les Kam­pa­gnen ge­gen mich fährt und mich be­droht, aber es ist nichts pas­siert. Ich fin­de es ab­surd, dass der Staat mit ei­nem Arm den Koh­le­berg­bau för­dert und mit dem an­de­ren Vor­sichts­maß­nah­men trifft, die den Men­schen­rechts­ver­tei­di­gern hel­fen sol­len, die wie­der­um von den Ent­schei­dun­gen des sel­ben Staa­tes in Be­zug auf den Berg­bau be­trof­fen sind. Pbi be­glei­tet mich schon seit 2014. Das war das Jahr, in dem wir he­r­aus­fan­den, dass vie­le der Un­ter­neh­mer im Koh­le­berg­bau Politiker der da­ma­li­gen Regie­rungs­par­tei PRI wa­ren. Ich kann sa­gen, dass ich dank pbi noch am Le­ben bin. Die Un­ter­neh­men und Politiker füh­len sich von ei­ner in­ter­na­tio­na­len In­stanz be­ob­achtet, die niemals Teil von ih­nen sein wird.

Sie sind bis heu­te am Un­glück­sort von Pa­sta de Con­chos ge­blie­ben. Warum?
Es ist ein häss­li­cher Ort. Als ich an­kam, sag­te ich zu mir selbst: Nicht im Traum wer­de ich hier le­ben. Nun lebe ich seit neun Jah­ren dort. Jetzt ge­fällt es mir sehr gut, vor al­lem we­gen der Leu­te, mit de­nen ich zu­sammen­ar­bei­te. Koh­le­mi­nen­ar­bei­ter ha­ben die Fä­hig­keit, je­den Mo­ment zu ge­nie­ßen, weil sie nicht wissen, ob sie morgen ster­ben wer­den.

Vie­le Frau­en im Be­reich des Berg­baus agie­ren als Wit­wen von ver­stor­be­nen Mi­nen­ar­bei­tern. Gibt es auch Frau­en, die in den Mi­nen ar­bei­ten?
Nein, au­ßer mir kom­men kei­ne Frau­en in die Mi­nen hi­n­ein. Die­se Ar­beit war schon frü­her Männer­sa­che und ist es auch heu­te noch. Der Koh­le­berg­bau ist ein un­glaub­lich ma­chis­tisches Me­tier, denn das Ri­si­ko selbst ist mit klas­sisch männ­li­chen At­tri­bu­ten ver­bunden. Für vie­le Männer ist es sehr schwie­rig zu sa­gen, dass sie nicht in die Mine wol­len, weil sie Angst ha­ben. Heu­te ist es so, dass nicht nur die Wit­wen, son­dern auch die Frau­en und Töch­ter von Mi­nen­ar­bei­tern über die Sicherheit in den Mi­nen spre­chen. Wenn sie bei­spiels­wei­se se­hen wie der Va­ter, der kei­ne Ver­siche­rung be­sitzt, ver­letzt aus der Mine kommt, schi­cken sie mir eine Nach­richt. Frau­en ha­ben be­gon­nen, sich tech­ni­sches Wissen an­zu­eig­nen, um fest­zu­stel­len, ob eine Mine ein Sicherheits­ri­si­ko dar­stellt. Dies setzt den Sek­tor enorm un­ter Druck. Mitt­ler­wei­le ist es nor­mal, dass auch die Mi­nen­ar­bei­ter un­ter­ein­an­der und mit ih­ren Fa­mi­li­en über das The­ma Sicherheit spre­chen. Sie ha­ben ver­stan­den, dass sie so oder so in der Mine ar­bei­ten wer­den, aber dass sie Druck aus­üben kön­nen, um ihre Kon­di­tio­nen zu ver­bes­sern.

„SEIEN SIE KEINE KOMPLIZEN!“

Im letzten Jahr verzeichnete die Kohleproduktion einen Rekord  – 90 Millionen Tonnen. Im Verwaltungsbezirk Cesar im Nordwesten Kolumbiens wurde fast die Hälfte davon abgebaut. Nur die privaten Großkonzerne Drummond, Prodeco, ein Tochterkonzern der schweizerischen Unternehmensgruppe Glencore, und Murray Energy exportieren. Hat Cesar davon profitiert?
Es ist nicht zu ignorieren, dass die Kohlenindustrie nicht nur im Verwaltungsbezirk Guajira irreversible Spuren hinterlassen hat. Der Bergbausektor in Cesar ist immens wichtig für Kolumbien, circa 98 Prozent der im Land abgebauten Kohle werden exportiert. Doch wir haben errechnet, dass nur ein bis zehn Prozent der Bevölkerung, die in der Nähe der Minen wohnt, im Kohleabbau Beschäftigung findet. Die Arbeiter haben keine stabilen Arbeitsbedingungen oder Zugang zu entsprechenden Sozialversicherungen. Die Minen zerstören die Lebensräume der Menschen, den traditionellen Anbau von Nahrungsmitteln und den Fischfang. Einige wenige haben Zugang zu Arbeit, aber im Endeffekt werden die meisten Menschen arbeitslos. Wenn die privaten Bergbauunternehmen so die Natur verändern, ist die Zerstörung der lokalen Wirtschaft die Folge.

Tierra Digna unterstützt die Gemeinde Boquerón, die an den Bergbaukomplex La Jagua Ibirico grenzt und wegen der untragbaren Umweltverschmutzung seit 2010 umgesiedelt werden soll. Noch verhandeln die Gemeinden mit den Unternehmen. Wie konnte es erst soweit kommen?
Die aus dem Bergbau hervorgebrachten Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen häufen sich Jahr für Jahr, werden aber nie im vollen Umfang wahrgenommen oder bekämpft. Diese Industrie ist durstig, 17 Flüsse und Bäche wurden in Cesar für die Minen umgeleitet, die Wasservorkommen in der Region sind schrittweise verschwunden. Die Verschmutzung von Luft, Boden und Wasser durch den Kohlenstaub und sonstige freigesetzte Chemikalien sind das gravierendste Problem in der Gemeinde Boquerón. Noch heute ist die Qualität der Grundnahrungsmittel, die Gesundheit, schlicht das Leben der Bevölkerung der Region gefährdet. Wegen der ständigen Sprengungen, um die Gruben zu vergrößern, haben vieler Häuser in den am Bergbaukomplex La Jagua Ibirico angrenzenden Gemeinde Risse bekommen und drohen einzustürzen. Bereits vor der Niederlassung der Unternehmen vor 24 Jahren wurde in Cesar das Recht der Bevölkerung auf Beteiligung und Information verletzt. Als 2010 die Umweltbehörde Kolumbiens die untragbare Verschmutzung in Boquerón feststellte und die Umsiedlung anordnete, hatten die Bewohner keinen Handlungsspielraum mehr.

Kümmert sich die Regierung um die Umsiedlung der Betroffenen?
Die Regierung ordnete die Vertreibung der Gemeinden an, erlaubte den weiteren Abbau von Kohle und zog sich auch noch aus den Verhandlungen zwischen Unternehmen und den Gemeinden zurück. Damit hat der Staat einen Raum geschaffen, um über die Menschenrechte zu diskutieren – aber Menschenrechte dürfen nicht verhandelt, sie müssen geschützt werden. Der Bergbausektor wird als ein öffentliches Interesse des Staates betrachtet, weshalb die Regierung vor 2010 auf die Umweltlizenzen und Minderungsmaßnahmen der Unternehmen hinwies und nichts tat. Als deutlich wurde, dass diese in allen drei Minen nicht umgesetzt wurden, gründete die Umweltbehörde ein Überwachungspanel zu den ohnehin asymmetrischen Verhandlungen, beteiligte sich aber nicht daran.
 
Tierra Digna ist Teil des internationalen Netzwerks Red Sombra, welches die Aktivitäten der schweizerischen Unternehmensgruppe Glencore beobachtet. Das weltweit größte Rohstoffhandelsunternehmen hat die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte unterschrieben, welche 2011 vom Menschenrechtsrat der UN ratifiziert wurden. Trotzdem werden die Klagen seitens der Zivilgesellschaft lauter. Wo genau liegt das Problem?
Bis jetzt wird nicht richtig eingesehen, dass im Rahmen des Kohleabbaus nicht nur der Staat, sondern auch ausländische Unternehmen zu Menschenrechtsverletzungen beitragen. Seit vielen Jahren haben Menschenrechtsorganisationen auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht, die Macht der Konzerne und deren Verantwortung im Rahmen des Völkerrechts anzuerkennen. Dafür reichen die Leitprinzipien nicht aus. Einerseits thematisieren die Prinzipien die Missachtung der Menschenrechte durch Konzerne, doch das Wort Verletzung, das im Rechtssystem Sanktionen, die Wiedergutmachung und Garantien der Nicht-Wiederholung impliziert, wurde bewusst ausgelassen.
Ein weiteres Problem ist der Mechanismus zur Wiedergutmachung. Nach dem Modell von John Ruggie (dem Sonderkommissar des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen, Anm. d. Red.) müssen die Konzerne die Beschwerden der betroffenen Gemeinden sammeln, bewerten und entsprechende Forderungen nachgehen. Sprich: die Unternehmen sind Beteiligte und Richter, können also frei entscheiden, ob und wie eine Entschädigung angemessen ist.

Ein anderer Kritikpunkt betrifft die Verantwortung der Länder, wo diese Unternehmen ansässig sind beziehungsweise jener Nationen, die Kohle aus Kolumbien importieren. Laut offiziellen Zahlen der Bundesregierung stammte 16 Prozent der im letzten Jahr nach Deutschland importierten Kohle aus Kolumbien. Was erwarten Sie von der deutschen Regierung und der  Bevölkerung?
Seien Sie keine Komplizen! Wir müssen unbedingt die Verantwortungskette deutlich machen. Denn die Kohle, die Glencore und Drummond abbauen, wird beispielsweise an Vattenfall verkauft und in Deutschland unter anderem zum Heizen genutzt. Ich kann nicht behaupten, dass die Endverbraucher bewusste Mittäter sind, aber ich kann erwarten, dass sie mit dem, was sie konsumieren, bewusst umgehen. Es reicht nicht aus, sich zu informieren und sich für die Realität anderer Menschen zu sensibilisieren. Man muss Position beziehen und im Rahmen der eigenen Möglichkeiten aktiv werden. Viele gravierende Menschenrechtsverletzungen entlang des Abbaus und Exports von Kohle sind unsichtbar und werden mit dem jetzigen Handel normalisiert. Die Idee, dass man von Menschenrechtsverletzungen befleckte Kohle kaufen kann, gehört abgeschafft. Es reicht aber auch nicht, neue Standards zu entwickeln – wir müssen aufhören, Kohle abzubauen.

Doch setzt Kolumbien seit Jahren auf nichts anderes…
Die Energiepolitik Kolumbiens zielt darauf ab, das Land an der Spitze der weltweiten Exporteure von Kohle und anderer fossiler Brennstoffe zu positionieren, bei gleichzeitiger Profilierung durch die Anwendung von „sauberer Energie“. Ein Jahr nach der Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens von 2015 hat Kolumbien seine Strategie für die Reduzierung von Emissionen präsentiert – sie war heuchlerisch. Die Regierung warb dafür, dass die kolumbianische Bevölkerung mit Energie aus Wasserkraftwerken versorgt werde und daher im Vergleich zu anderen Industrienationen kaum zum Klimawandel beitrage. Doch einerseits sind die Megaprojekte, die der Staat als saubere Energie verteidigt, in Wirklichkeit nicht sauber. Auch sie verletzten Landrechte und belasten die Umwelt. Andererseits wurde in den Programmen der Regierung die 30-Jahre-Planung der Kohleindustrie nicht berücksichtigt. Man versucht, Anerkennung für die Einhaltung des internationalen Abkommens zu erhalten, gleichzeitig wird der eigene Beitrag zum Klimawandel als Kohleexporteur unsichtbar gemacht.

Die staatliche Antwort auf die Kritik verweist immer auf die Steuereinnahmen durch die Rohstoffindustrie. Doch in Regionen wie La Guajira wird es immer offensichtlicher, dass kaum Gelder in die Haushalte der Verwaltungsbezirke fließen. Ist das eine Folge der allgegenwärtigen Korruption?
Eine Analyse der Obersten Rechnungsprüfungsbehörde des Jahres 2013 belegt, dass der Staat durchaus Gelder für die Abbaurechte einkassiert. Abhängig von der Größe der Mine bezahlen die Bergbauunternehmen zwischen fünf und zehn Prozent der Gewinne für diese Abbaurechte. Jedoch sind die Gebühren im Vergleich zu anderen Ländern verhältnismäßig niedrig. Dazu kommt, dass das kolumbianische Unternehmensrecht eine Reihe von strukturellen Problemen aufweist, denn Unternehmen erhalten sehr einfach steuerliche Begünstigungen oder billige Abbaulizenzen, wodurch die Investitionen im Land attraktiver gemacht werden. Nach unseren Recherchen bezahlen derzeit zehn Bergbauunternehmen gar kein Steuern. Von welchem Geld kann also die Rede sein? Der Staat verzeichnet Rekorde in der Produktion, die Konzerne profitieren von laxen Regelungen und die Gemeinden bleiben die größten Verlierer.

Welche Verbindungen sehen Sie zwischen dem bewaffneten Konflikt und den Bergbausektor in Kolumbien?
Gerade wird der offensichtliche Konflikt mit den bewaffneten Akteuren beendet, doch die Strukturen, welche die Gewalt hervorgerufen haben, bleiben. Vorher war das Land in den Händen einiger Großgrundbesitzer, nun ist es in den Händen von Großkonzernen, welche der Bevölkerung den Zugang zum Land versperren. Dies findet in Cesar, La Guajira, in Cordoba und Antioquia statt. Die Bergbauprojektion Kolumbiens basiert beispielsweise auf der Auftragsvergabe von Bergbaukomplexen. Damit wurden 20 Prozent des Territoriums, sprich 22 Million Hektar, für den Abbau fossiler Brennstoffe reserviert! Dank einer Klage von Tierra Digna und anderen Organisationen wurde die Vergabe dieser Gebiete vorübergehend gestoppt, noch laufen die Untersuchungen des Verfassungsgerichts.

Haben sie Aufsicht auf Erfolg, mit solchen Maßnahmen die Energiepolitik zu ändern?
Das wird sich zeigen, denn wir sehen eine Vertiefung jener Ursachen, die die politisch motivierte Gewalt seit 60 Jahren ernähren. Im Auftrag der Regierung wird gerade eines von vielen Verständnissen der Landnutzung propagiert. Es ist besorgniserregend, dass Präsident Santos die Energiepolitik Kolumbiens nicht zu Debatte stellt, nur um Investoren nicht zu verschrecken. Das Gegenteil würde dem angestrebten dauerhaften Frieden viel mehr dienen.

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