Die etwas andere Geschichte der Guerillas in Kolumbien

Anfang März bewiesen die kolumbianischen Aufständischen wieder einmal Stärke. Ihnen gelang es nicht nur, trotz einer noch nie dagewesenen Militarisierung, die Parlamentswahlen in vielen Regionen zu sabotieren, die FARC fügten der Armee im Süden auch noch die bisher schwerste Niederlage in der kolumbianischen Geschichte zu. Eine ganze 120-köpfige Eliteeinheit von Berufssoldaten wurde im Caquetá aufgerieben. Die Reaktionen von Regierung und Armeespitze waren dementsprechend nervös. Mehrere tausend Soldaten wurden zusätzlich in die Region verlegt, die von der Regierung offensichtlich nicht einmal mehr mit Hilfe von Großoperationen unter Kontrolle zu bringen ist.

Die Wurzeln der bewaffneten Bewegung

Schon über die Entstehung der FARC und der ELN kursieren oft falsche Vorstellungen. Im Gegensatz zu den meisten in den 60er Jahren gegründeten bewaffneten Gruppen bauten die beiden Organisationen nicht vorrangig auf dem nach 1959 von Kuba ausgehenden Fokismus, sondern auf der 200jährigen Geschichte von Bauernaufständen auf, die seit 1792 Kolumbien in regelmäßigen Abständen erschütterten. Wer García Márquez’ „100 Jahre Einsamkeit“ gelesen hat, weiß von den zahllosen Bemühungen des Generals Aureliano Buendía, der sich 17 Mal erhob und immer wieder scheiterte. Diese Aufstände werden, wie auch der Bürgerkrieg 1948, oft als liberal-konservative Konflikte interpretiert. Die kritische Sozialforschung hat sich dagegen immer verwehrt: So wie auch Aureliano Buendía (eine trotz „magischer“ Verfremdung recht reale Person) kämpften die Aufständischen des 19. und 20. Jahrhunderts zwar unter dem Banner der liberalen Partei, aber sie waren keine Parteigänger.
Ihre Rebellion richtete sich vielmehr allgemein gegen die oligarchische Land- und Machtkonzentration. Die Tatsache, daß ihr Widerstand fast immer bewaffnet war, hatte damit zu tun, daß der soziale und politische Protest von der Oberschicht eigentlich immer mit Waffengewalt beantwortet wurde. Obwohl es seit der Unabhängigkeit nur zwei Militärputsche in Kolumbien gab, wurde die Opposition immer in die Illegalität gedrängt.

Die Geschichte der blutigen Massaker

Der erste große Einschnitt im 20. Jahrhundert war das Massaker in den Bananenplantagen 1928 (auch in „Hundert Jahre Einsamkeit“ nachzulesen). Die gesamten 20er Jahre waren von einer Aufbruchsstimmung geprägt, wobei sich die Opposition – neu entstandene Gewerkschaften, Indígena-Gruppen, Frauenbewegung und SozialistInnen – unter dem Dach des Partido Socialista Revolucionario versammelte. Eine interessante Organisation, denn die PSR nahm als „Bewegungspartei“ viel von dem vorweg, was Jahrzehnte später, zum Beispiel in den Diskussionen um die brasilianische PT, wieder eine Rolle spielen sollte.
1928 erreichte die Bewegung ihren Höhepunkt. Die Streiks griffen wie ein Flächenbrand um sich, und auch auf den Plantagen der United Fruit Company bei Ciénaga an der Karibikküste kam es zum Aufstand. In der Nacht zum 6.Dezember massakrierte die Armee 2000 auf dem Bahnhof friedlich versammelte streikende Familien: Die Toten wurden einfach ins Meer geworfen, die überlebenden Anführer der Bewegung im ganzen Land zu langen Haftstrafen verurteilt. Damit endete die erste sozialrevolutionäre Bewegung des 20. Jahrhunderts.
1948 kam es zum zweiten blutigen Höhepunkt. Am 9. April ließ die konservative Oligarchie den linkspopulistischen Sozialreformer Jorge Eliécer Gaitán, der als Kandidat der Liberalen beste Chancen besaß, neuer Präsident zu werden, in Bogotá ermorden. Die Hauptstadt erhob sich, und im ganzen Land bewaffnete sich die Opposition. Der darauffolgende Bürgerkrieg von 1948-53, der als Violencia in die Geschichte einging, mündete in ein Gemetzel unter der Zivilbevölkerung und kostete rund 250.000 Menschen das Leben. Das Ende des Krieges ist charakteristisch für die Bewältigung sozialer Konflikte in Kolumbien: Die Parteiführungen von Liberalen und Konservativen handelten eine liberale Teilhabe an der Macht aus, die Anführer der bewaffneten Gruppen wurden nach ihrer Demobilisierung einfach ermordet. Somit wurde auch in den 50er Jahren die Erkenntnis bestätigt, daß man mit der kolumbianischen Oberschicht nicht verhandeln kann.
Eine Reihe der in der Violencia entstandenen Bauerngruppen, vor allem solche, die politisch von der KP beeinflußt worden waren, verweigerten sich jedoch nach 1953 der Demobilisierung. Diese Gruppen strebten nicht nach einer Machtübernahme, sie waren Selbstschutzmechanismen der ländlichen Bevölkerung und Ausdruck bäuerlicher Selbstverwaltung.
Auf diese Weise bestanden Anfang der 60er Jahre mehrere Repúblicas Independientes, die ihre Autonomie gegenüber dem Zentralstaat durchsetzten . Die wichtigste von ihnen, die im Zentrum des Landes gelegene „Republik von Marquetalia“, wurde 1964 von der Armee brutal zerschlagen, worauf sich verschiedene Selbstverteidigungsgruppen zu den Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) zusammenschlossen. Die FARC waren damit alles andere als eine revolutionäre Kadertruppe, im Prinzip agierte sie bis 1990 eher defensiv als militärischer Arm der KP.
Etwas anders gelagert ist der Fall des Ejército de Liberación Nacional (ELN), das ebenfalls 1964 entstand. Obwohl die Organisation von in Kuba ausgebildeten Studenten gegründet wurde, hat auch sie in vieler Hinsicht ihre Wurzeln in den Bauernrevolten der Violencia. Viele combatientes der ersten Generation waren Veteranen der liberalen Guerilla von 1948-53 oder nahe Verwandte von diesen. Wenn die ELN trotz schwerer Niederlagen 34 Jahre überlebte, liegt das zum einen an der hohen moralischen Integrität ihrer comandantes – des Bauern Nicolás Bautista und des spanischen Pfarrers Manuel Pérez –, zum anderen aber an der Tatsache, daß sie, wie die FARC, an einen historischen Widerstand anknüpfte, dessen Radikalität sich aus der sozialen Wirklichkeit ableitete.

Verhandlungsprozesse und schmutziger Krieg

In den 70er Jahren erlebte die kolumbianische Linke eine gewaltige Ausdifferenzierung. Im Verlauf dieses Jahrzehnts bildeten sich 18 maoistische Gruppierungen (darunter viele mit bewaffnetem Arm), mehrere trotzkistische Strömungen und sieben größere Guerillas heraus. Ansonsten aber tat sich relativ wenig. Erst der linksnationalistischen M-19, die sich 1973 in Abgrenzung zu den leninistischen Gruppen gegründet hatte, gelang es mit mehreren spektakulären Guerillaaktionen, in den Städten eine neue Phase einzuläuten. 1979 schien die Guerilla auf einmal wieder eine reale Bedrohung für den Staatsapparat zu werden. Präsident Turbay Ayala versuchte die Entwicklung mit Repression aufzuhalten, aber Anti-Terrorgesetze und systematische Folter brachten keine positiven Ergebnisse – im Gegenteil, vor allem die M-19 wuchs weiterhin.
Daraufhin kam es zu einer dramatischen Wende. Der neue Präsident Belisario Betancur (1982-86) erließ eine Generalamnestie und fädelte Friedensverhandlungen ein, die 1984 in einen Waffenstillstand mit FARC, M-19 und EPL (dem Ejército Popular de Liberación) mündeten; die ELN verweigerte sich damals den Gesprächen. Aber erneut wiederholte sich die Geschichte: Die legalisierten UntergrundkämpferInnen wurden zur Zielscheibe des schmutzigen Krieges. Ab 1983 entstanden unter der Schirmherrschaft der Armee im ganzen Land mehr als 150 paramilitärische Gruppen, die die nun offen auftretende Opposition regelrecht ausmerzte. Dörfer wurden überfallen, Gewerkschafter erschossen, zahlreiche Massaker mit bis zu 50 Toten verübt. Der Waffenstillstand zerbrach 1985, der schmutzige Krieg aber ging weiter.
Allein die sozialistische Wahlkoalition UP verlor 2000 AktivistInnen. Insgesamt kalkuliert man, daß bis zu 20.000 Menschen (Bauern, Gewerkschafter, Straßenkinder etc.) jährlich (!) Opfer von „sozialen Säuberungen“ und Paramilitarismus sind. Das ist weitaus mehr als in Argentinien unter der Militärdiktatur.
Dennoch kam es wenig später erneut zu sogenannten Friedensverhandlungen. Der Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten und interne Krisen hatten die Linke schwer getroffen. Die M-19 war zu einer kleinen, nur noch 300 KämpferInnen zählenden Gruppe zusammengeschrumpft, und die sich am albanischen Sozialismus orientierende (sic!) EPL verfiel in tiefe Selbstzweifel. Die Folge war die bedingungslose Demobilisierung der beiden Organisationen 1990-92. Die höheren Kader integrierten sich in den Staatsapparat, die combatientes mußten sich alleine durchschlagen, zu sozialen Veränderungen kam es nicht. Letztendlich zahlte sich das Abkommen jedoch nicht einmal für alle Guerilla-Führer aus. Der Präsidentschaftskandidat der demobilisierten M-19, Carlos Pizarro, wurde erschossen, die M-19 verwandelte sich in eine kleine politische Partei ohne linke Ansprüche.

Modernisierungsprozeß und neue Konflikte

Es blieben also nur FARC und ELN (sowie eine kleine Abspaltung des EPL) übrig, die von der Krise der Linken auf sehr widersprüchliche Weise getroffen wurden. Zum einen erfuhren sie politisch zweifellos eine Schwächung, denn die Regierung Gaviria nutzte die Demobilisierung von M-19 und EPL zu einer Modernisierung des Systems. Mit der Verfassunggebenden Versammlung 1990/91 schien sie die seit langem schwelende politische Krise endlich überwinden zu können.
Noch fataler jedoch als diese Verfassungsreform war für FARC und ELN der Zerfall der legalen Opposition. Nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus und der sandinistischen Wahlniederlage machte sich Orientierungslosigkeit und Skepsis breit; zudem hatte der schmutzige Krieg die Linke völlig ausgeblutet. So lösten sich die politischen Massenorganisationen UP, A Luchar und Frente Popular auf, die Gewerkschaften verloren an Bedeutung, die Koordination der StadtteilbewohnerInnen CNMC und der BäuerInnen-Verband ANUC waren nicht mehr in der Lage, die Bevölkerung zu mobilisieren.
Damit erschien die Guerilla auf einmal als rein militärisches Projekt – eine verständlicherweise wenig überzeugende Option. Interessanterweise gingen die politischen Probleme von FARC und ELN mit einem beachtlichen personellen und militärischen Wachstum einher. Im Land existiert heute die absurde Situation, daß politisierte Jugendliche eher in die Berge gehen, als einer Gewerkschaft beizutreten – das Risiko ermordet zu werden, ist in der Guerilla geringer. So zählen die beiden Organisationen heute zusammen über 150 Fronten oder Frontprojekte und sind nach Regierungsangaben in fast 600 der 1000 Munizipien präsent. In einem allerdings gering bevölkerten Drittel des Landes üben sie die Funktion einer klandestinen Gegen-Administration aus. Sie sind in der Lage, das Land wochenlang mit ihren Aktionen lahmzulegen und sind in den unmittelbaren Vororten Bogotás und Medellín aktiv.

Selbsterhaltung, Friedensprozeß oder Revolution?

Es klingt unzeitgemäß, aber FARC und ELN streben einen politischen Umsturz an – und dies in gewisser Weise sogar kompromißloser als früher. Seit der strategischen Wende der FARC 1991/92, die bis dahin mehr oder weniger als Instrument der KP agierte und auf eine Verhandlungslösung abzielte, operiert die Guerilla immer offensiver. Daß es dazu kam, hat mit zwei Ereignissen zu tun: Zum einen starb 1991 der comandante Jacobo Arenas, der als der Mann der KP in den FARC galt (an altersbedingten Herzproblemen – auch eine „macondianische“ Biographie); zum anderen jedoch beging die Regierung Gaviria den idiotischen Fehler, ausgerechnet während einer Dialogrunde in Mexiko das mehr oder weniger offizielle Hauptquartier der FARC in La Uribe/ Meta anzugreifen. Die großangelegte Operation war wie ein Tritt in den Ameisenhaufen. Die FARC-comandantes teilten sich in dezentrale Gruppen auf und verlegten die in La Uribe konzentrierten Fronten in die Nähe der Hauptstadt. Damit begann das strategische Projekt „Einkreisung Bogotás“. Seit 1992 ist es keine Seltenheit mehr, daß die FARC 20 bis 30 Kilometer vor der Hauptstadt gelegene Städte besetzt.
Ganz offensichtlich schenkt die FARC den Wahl- und Verhandlungsstrategien keine Bedeutung für eine Konfliktlösung mehr. Das Bündnis mit der KP und UP ist aufgekündigt; Verhandlungen mit der Regierung wollen die FARC wie auch die ELN nur noch über punktuelle Fragen (wie die Nationalisierung der Bodenschätze), aber nicht mehr über eine generelle Demobilisierung führen. Außerdem arbeitet die FARC am Aufbau einer klandestinen Massenbewegung. Das Movimiento Político Clandestino Bolivariano soll dazu beitragen, den sozialen Protest der Bevölkerung auf die Straße zu bringen, ohne sich mit wahltaktischen Fragen (wie im Fall der UP) selbst zu behindern.
Insofern ist in Kolumbien eine Situation eingetreten, die in ihrer Brisanz nur mit der Mexikos zu vergleichen ist. Die Guerillaorganisationen, die an einem Sozialismus mit Poder Popular festhalten, die neoliberale Wirtschaftspolitik sabotieren und die Erdöl- und Kohle-Multis aus dem Land werfen wollen, befinden sich in einer paradoxen Situation. Zum einen wissen sie, daß der kolumbianische Konflikt keine militärische Lösung zuläßt; zum anderen ist ihnen aber auch klar, daß die staatliche Repression der politischen und sozialen Opposition keinerlei Spielräume bietet. Der Paramilitarismus breitet sich rasant aus. Es gibt kaum noch Gegenden, in der die parastaatlichen Terrorgruppen nicht aktiv wären. In einem Drittel des Landes, darunter die strategisch und ökonomisch wichtigen Regionen Urabá (Bananenexport, Kanaloption) und Magdalena Medio (Erdöl, Viehzucht) üben sie gemeinsam mit der Armee eine brutale Kontrolle aus. Bereits 1,8 Millionen KolumbianerInnen sind vor ihnen und dem Krieg in die Städte geflohen. Was droht, ist ein Bürgerkrieg von den Ausmaßen der Violencia.
In diesem Zusammenhang ist das Interesse der Guerilla zu sehen, über konkrete Regelungen mit der Regierung zu verhandeln. Es geht nicht um eine Demobiliserung, sondern um punktuelle Vereinbarungen: Einhaltung der Genfer Menschenrechtskonventionen, Schutz der Zivilbevölkerung und der legalen Opposition, Demobilisierung der Paramilitärs, Nationalisierung der Bodenschätze, Stop der Privatisierungen und Wiedereinführung von Arbeits- und Kündigungsschutzgesetzen.

Der schlechte Ruf der Guerilla

Politsch sind ELN und FARC durchaus auf der Höhe der Zeit – zumindest nicht weniger als die Linke anderswo auf der Welt. Sie suchen durchaus, wenn auch manchmal etwas unbeholfen, die Kommunikation mit dem Rest der Gesellschaft, fördern Selbstverwaltungsstrukturen und begreifen anders als die superrevolutionäre Linke der 70er Jahre die Notwendigkeit sofortiger Reformen. Wenn sie dennoch einen so schlechten Ruf haben („Narcoguerilla“, „stalinistisch“, „kriminell“ etc.), hat das wenig mit eigenen Fehlern zu tun. Natürlich gibt es in Kolumbien (wie in der FMLN und FSLN) Militarismus und Autoritarismus von links. Das ist anzugreifen, aber bei einer Militarisierung des Konflikts, wie er von der kolumbianischen Oberschicht in den letzten 50 Jahren betrieben wurde, nicht besonders verwunderlich. Mit den Organisationsführungen und -positionen hat das auf jeden Fall wenig zu tun. In der ELN forciert man schon seit 15 Jahren die innerorganisatorische Demokratie, die für eine Armee (mit Ausnahme der EZLN) wohl ziemlich einzigartig sein dürfte.
Viel wesentlicher für das schlechte Bild ist die permanente Desinformationskampagne in den Medien: Seit 1985 gibt es praktisch kein Massaker mehr, das nicht zunächst den Aufständischen in die Schuhe geschoben wird, und wenn, wie beim Überfall auf Segovia, dem Mord an zehn Justizbeamten in La Rochela oder dem Massaker an den Bananenarbeitern in Urabá, zehn Jahre später die Beteiligung von hochrangigen Militärs wie dem General Farouk Yanine Díaz nachgewiesen wird, dann interessiert das natürlich niemanden mehr.
Ein weiteres Mittel ist die Strategie, die Aufständischen in den internationalen Medien als „kriminelle Narco-Guerilla“ zu stigmatisieren. Dabei werden vor allem Entführungen und Verbindungen zum Drogenhandel aufgeführt. Ein genauerer Blick macht jedoch auch dieses Argument zunichte: Was die Entführungen von ausländischen Technikern und Großgrundbesitzern angeht, bewegen sich diese auf der gleichen Ebene wie Haftstrafen für Steuerbetrüger in einem bürgerlichen Rechtsstaat, denn die Guerilla übt in vielen Regionen de facto Regierungsfunktionen aus, und treibt daher Steuern ein. Man muß begreifen, daß es sich bei der kolumbianischen Guerilla nicht um eine privat agierende Minitruppe, sondern um eine aufständische Gegenautorität handelt. Wer sich über diese Entführungen empört, darf über staatliche Gefängnisse nicht schweigen.
Und auch hinsichtlich ihrer Drogenpolitik hat sich die Guerilla nicht viel vorzuwerfen: die ELN lehnt den Coca-Anbau völlig ab und hat in Bolívar dieses Jahr ein ehrgeiziges Projekt der Substitution bis zum Jahre 2003 begonnen. Die FARC hingegen setzen die Abnahmepreise fest und kassieren von den Einkäufern Steuern. Das hat zwar die Beziehungen mit der ELN bis an den Rand eines offenen Bruchs belastet, aber den Bauern im Süden des Landes ein Mindesteinkommen garantiert. Verglichen mit der Verwicklung der Samper-Administration in die Geschäfte des Cali-Kartells ist diese Politik sowieso nur ein lächerliches Vergehen. Es ist im übrigen ganz erhellend zu wissen, daß der Begriff der „Narco-Guerilla“ in den 80ern vom damaligen US-Botschafter Lewis Tambs kreiert wurde, dem wenig später selbst Verwicklungen mit dem Drogenhandel nachgesagt wurden.
So gesehen ist das Image der kolumbianischen Aufstandsbewegung eindeutig erneuerungsbedürftig. Während die kolumbianische Oberschicht seit nun 16 Jahren ungestraft die Landbevölkerung abschlachten läßt, schreiben sich JournalistInnen, die außer den 4-Sterne-Hotels von Bogotá und Cartagena nicht viel von Kolumbien gesehen haben, die Finger über das lukrative Geschäft der Narco-Guerilla wund. So wie es in den 80ern falsch war, FSLN und FMLN unkritisch abzufeiern, ist es heute unmöglich, sich eine Emanzipation Kolumbiens ohne die Guerilla vorzustellen. Man muß nicht gleich in ehrfurchtsvolle Bewunderung verfallen, um die aufständische Bewegung politisch ernstnehmen zu können. Und in diesem Punkt scheint, um mit einer kleinen Gehässigkeit zu schließen, Geheimdienstminister Schmidbauer (aus was für Motiven auch immer) weiter zu sein als so manche/r Lateinamerika-Bewegte.

“Wir mußten alles zurücklassen“

Früher erlebten wir keine Gewalt. Wir waren arme Leute, aber wir haben von der Landwirtschaft, vom Fischfang und von der Viehzucht gelebt. Ausreichend Werkzeuge und medizinische Versorgung hatten wir. Gekauft haben wir das, was benötigt wurde.“ So beschreiben Familien aus 49 Gemeinden der Region Medio y Bajo Atrato Chocoano y Antioqueño ihre Vergangenheit. Vor zwei Jahren begann dort eine ökonomische Blockade durch paramilitärische Gruppen, so daß die Menschen keine Möglichkeit mehr hatten, weiter Handel zu treiben. Die Massaker durch Paramilitärs und Operationen der Armee, wie massive Bombardements dieses Gebietes, führten dazu, daß alle dort Lebenden in den Urwald flüchteten. „Wir mußten verschwinden, mit unseren Kindern, und alles zurücklassen. Frauen mit Babies, die nicht sofort fliehen konnten, wurden mit Waffengewalt davongejagt. Frauen wurden vergewaltigt, ihre Genitalien verstümmelt, die Brüste abgeschnitten…“ – so die Frauenorganisation La Ruta Pacífica de Las Mujeres. Selbst die Gewaltstatistik der lokalen Behörden vom Mai 1996 bestätigt, daß die Mehrzahl der Frauen in der Region Urabá Antioqueño vergewaltigt wurden.

Zwei Wochen ohne Essen

In den Bergen konnten die Vertriebenen jedoch nicht lange überleben, also mußten sie zum nächstgelegenen Dorf ziehen. „Wir mußten manchmal mehr als zwei Wochen ununterbrochen laufen, weil die Armee hinter uns her war und weiterhin auf uns schoß. Viele von uns haben die Strapazen nicht überlebt.“ Allein 3.000 Menschen aus den erwähnten 49 Gemeinden flüchteten nach Mutatá (Bezirk Urabá). Eine Vertreterin von La Ruta Pacífica de Las Mujeres vergleicht die Zustände im Flüchtlingslager Pavarando (Mutatá) mit denen eines Konzentrationslagers. Das Flüchtlingslager ist von der Armee eingekreist – niemand kann rausgehen, arbeiten oder dergleichen. Nahrung von Bienestar Familiar, der staatlichen Sozialversorgung, erhalten nur schwangere Frauen, Kinder und alte Leute. Alle anderen müssen manchmal zwei Wochen ohne Essen ausharren. Die Regierung schaut weg, als gäbe es keine Vertriebenen. Vor kurzer Zeit kamen noch einmal 600 bis 700 Vertriebene – die meisten von ihnen Frauen mit Kindern – ins Lager nach Mutatá. Repression und direkte Androhung von Gewalt durch die Armee sind ständig präsent. „Im Dezember wurde ein Mann von Soldaten aus dem Lager geführt, gefoltert und gezwungen wegzulaufen, mit der Aufforderung zu schweigen, ansonsten würde seine Frau bald Witwe sein.“
Solche Aufforderungen muß man in Kolumbien sehr ernst nehmen. Denn wer offen sagt, daß die Ursache für die Vertreibungen diejenige politische Gewalt ist, die von den Paramilitärs ausgeht und von staatlicher Seite unterstützt wird, oder wer gar versucht, die Zustände zu verändern und sich beispielsweise für die Vertriebenen einsetzt, der hat mit Gefängnis, Folter, Exil oder Mord zu rechnen. Der Staat läßt unter dem Vorwand der Guerillabekämpfung Menschen aus dem Weg schaffen, die unbequem werden könnten, wenn es darum geht, die eigene Macht und den Wohlstand der politischen und wirtschaftlichen Elite zu sichern.
Die massiven Abwanderungen sind laut eines Berichtes der „Gruppe zur Unterstützung der Organisationen der internen Vertriebenen“ hauptsächlich auf die Intensivierung des bewaffneten Konflikts zwischen Armee, paramilitärischen Gruppen und der Guerilla zurückzuführen, in den zunehmend die Zivilbevölkerung hineingezogen wird.
Die Einrichtung von „Sonderzonen für öffentliche Ordnung“, die in großen Teilen des Landes existieren, ordnet die Zivilbehörden den Militärkommandos unter, wodurch bürgerliche und politische Rechte stark eingeschränkt und somit die Bevölkerung den Repressalien von Militär und Paramilitärs schutzlos ausgeliefert sind.
Ein weiterer Grund ist der seit Jahren anhaltende Drogenkrieg in Form einer meist militärisch betriebenen Rauschgiftbekämpfung, bei der die Coca- und Schlafmohnpflanzer wie militärische Gegner behandelt werden. Mit der chemischen und mechanischen Vernichtung der Anbaufelder wird die Bevölkerung gezwungen, neue Gebiete zu besiedeln. Dabei dringen die Menschen immer weiter in den Regenwald vor, was dessen Zerstörung vorantreibt.

Das paramilitärische Projekt

Die kolumbianische Pazifikküste ist eine der ärmsten Regionen des Landes. Dieses Gebiet soll zukünftig für Megaprojekte herhalten, wie dem Bau des „Interozeanischen Kanals“, zur Erschließung von Rohstoffquellen (Erdöl, Uran u.a.) sowie zur Nutzung der enormen Genreservoirs des Tapón del Darién (Edelhölzer, Rohstoffe für die Gentechnologie, reiche Fischbestände). Die schwarze und indigene Bevölkerung dieser Region hat in diesen Plänen keinen Platz. „Wenn man die nationalen und internationalen Interessen an diesem Gebiet in Betracht zieht, so versteht man, warum wegen dieser Interessen die jetzige Bevölkerung ermordet und vertrieben wird. Man begreift, warum die Wirtschaftsinteressen sich auf dieses Gebiet konzentrieren und der Paramilitarismus hierher vordringt“, so die örtlichen Organisationen auf die Frage nach den Gründen der gewaltsamen Vertreibungen.
Laut kolumbianischen Sozialwissenschaftlern bewegt sich das paramilitärische Projekt in seiner 15jährigen Entwicklung innerhalb eines autoritären Modells eines agrarkapitalistischen Modernisierungsprozesses, das mehrere Etappen umfaßt. Zuerst dringen die Paramilitärs in ein Gebiet ein und „reinigen“ es von der Guerilla und deren sozialer Basis mit militärischem Terror und Vertreibungen. Dann beginnt ein Prozeß der Bodenkonzentration in den Händen von Großgrundbesitzern, Drogenbaronen und multinationalen Unternehmen, die die Infrastruktur und die öffentlichen Dienstleistungen modernisieren. In einigen Gebieten wird das Land unter 50 Prozent des eigentlichen Wertes verkauft, so daß dieses fast gratis an neue Eigentümer übergeht.
Die nächste Phase stützt sich auf Sozialmaßnahmen und Landverteilungen an SiedlerInnen, um das Projekt zu konsolidieren. Bei diesen Personen handelt es sich oft um Angehörige paramilitärischer Gruppen, die für ihre Dienste mit billig abgegebenem oder geschenktem Land von ihren militärischen Chefs belohnt werden. Nach dem Aufbau von Selbstverteidigungsgruppen gilt die Kontrolle dieses Gebietes als abgesichert.
Die letzte Etappe ist die Legitimation. Mit der brutalen Umstrukturierung für eine kapitalistische Expansion auf dem Land werden die Paramilitärs praktisch überflüssig und ziehen in das nächste Gebiet. Nun steht das Land dem Privatsektor nach den Anforderungen des internationalen Marktes und der neoliberalen Wirtschaftsentwicklung zur Verfügung, ohne daß Gewerkschaften oder linke Bewegungen die Pläne von Unternehmen behindern können.
Die Zahl interner Flüchtlinge – inzwischen über eine Million (etwa 2,5 Prozent der Bevölkerung) – hat ein Ausmaß wie in Ruanda oder Burundi angenommen. Aber mit der kolumbianischen Regierung lassen sich gute Geschäfte machen, und so rügt man sie wegen „angeblicher“ Verbrechen nicht. Obwohl gerade jene internen Vertriebenen Schutz und Unterstützung bräuchten, überläßt die Weltöffentlichkeit sie ihrem Schicksal – einer brutalen Logik von Gewaltherrschaft, ausgeführt von den Paramilitärs, deren erklärtes Ziel es ist, Aufstände und Widerständler wie Guerillaorganisationen und Oppositionsgruppen zu bekämpfen, sämtliche Basisorganisationen und -projekte zu eliminieren und den Plänen des Staates im Sinne des „Fortschritts und der Entwicklung“ einen „sauberen Platz“ zu hinterlassen. Eine brutale Logik, die von Seiten der USA technisch und finanziell unterstützt, von der kolumbianischen Armee forciert und gedeckt und von der staatlichen Bürokratie durch ihr Leugnen getragen wird.

“Operación returno“

Bis jetzt konnten Pläne zur Rückkehr der Vertriebenen nicht umgesetzt werden, weil es keine Garantien seitens der Regierung gibt, daß die Armee die Zivilbevölkerung nicht angreift. Alle Versuche, neue Gemeinden für die Vertriebenen zu errichten, wurden von den Soldaten im Keim erstickt. Die Vertreterin von La Ruta Pacífica de Las Mujeres weist auf ein Dokument hin, in dem die Vertriebenen ihre Forderungen darstellen: „(…) Wir wollen keine Gewalt mehr – weder den offenen Krieg, noch die psychische Gewalt. (…) Wir wollen eine Garantie dafür, daß ab sofort internationale Beobachter und Menschenrechtsorganisationen zum Schutz aller Menschen zugelassen werden und daß NGOs wie zum Beispiel das Internationale Rote Kreuz sowie Diözesen und internationale Beobachter die Rückführung der Vertriebenen begleiten. (…) In unseren Regionen wollen wir nach der Rückkehr frei arbeiten, Landwirtschaft betreiben, fischen, Tiere halten sowie materielle und finanzielle Entschädigung bekommen. (…) Wir benötigen psychologische Unterstützung, um über die Schmerzen, Traurigkeit und Angst zu sprechen. Wir wollen die Möglichkeit haben, der ganzen Welt bekannnt zu machen, was mit uns passiert.“

Die certification, eine abgenutzte Waffe

Anders als in den vergangenen beiden Jahren wurde Kolumbien, dessen Präsident Ernesto Samper bis zum letzten Moment zittern mußte, die Bescheinigung „im nationalen Interesse“ der USA ausgestellt. Zwar wurde der bedingte „Freispruch“ von Vertretern der kolumbianischen Regierung und Opposition, von Unternehmern und Menschenrechtsaktivisten gleichermaßen gefeiert, doch gibt es in Kolumbien kaum mehr jemanden, der diesen Mechanismus als taugliches Instrument zur Eindämmung des Dro-genhandels und -konsums betrachtet.
Nicht einmal der Präsidentschaftskandidat der Konservativen, Andrés Pastrana, der 1994 in der Stichwahl gegen Ernesto Samper unterlegen war, hätte sich über eine neuerliche Bestrafung seines Landes gefreut. In einem Brief an den US-Kongreß hatte er sich für die Zertifizierung eingesetzt, obwohl er behaupten kann, er hätte seinerzeit nur verloren, weil Samper von den Drogenbossen sechs Millionen Dollar für die Wahlkampfkasse bekommen hat. Diese von Samper nicht glaubwürdig widerlegten Vorwürfe waren ja auch der Grund für die Maßregelung Kolumbiens durch die US-Regierung.
Im Jahre 1986 verabschiedete der Kongreß in Washington das Drug Abuse Act. Alarmiert durch den steilen Anstieg von Drogenkriminalität und Suchtmittelmiß-brauch in den USA, sollte so die Drogenbekämpfung vor allem zu einer polizeilich-militärischen An-gelegenheit gemacht werden.

Hehre Vorsätz

Seither muß der Präsident jedes Jahr eine Bescheinigung ausstellen, daß Staaten, auf deren Territorien verbotene Suchtmittel hergestellt oder für den Export verladen werden, in der Drogenbekämpfung ausreichend kooperieren. Gerechtfertigt wird diese interventionistische Zeugnisverteilung mit dem Argument, daß es um Steuergelder der US-Bürger gehe. Denn wer nicht besteht, bekommt keine Wirtschaftshilfe.
Seit Ronald Reagan hat denn auch jeder US-Präsident mit einem neuen Programm den Drogen den Krieg erklärt. Mit geringem Erfolg. Der steile Aufstieg der Modedroge Kokain ist nicht aufzuhalten, während das ebenso billige wie gesundheitsschädliche Nebenprodukt Crack ganze Generationen von – hauptsächlich schwarzen – Jugendlichen ruiniert. Der Kokainbedarf der gestreßten Manager, Yuppies, Rockmusiker und Filmsternchen wird fast zur Gänze aus der Produktion der Andenländer gedeckt. Ursprünglich vor allem aus Bolivien und Peru, wo der rituelle Konsum des Coca-Blattes seit Jahrtausenden medizinische und religiöse Bedeutung hat. Verarbeitet wurden die Blätter teils in den Ursprungsländern, teils in Kolumbien. Dort entwickelte sich in den 70er Jahren eine auf den Transport in die USA spezialisierte Mafia. In den letzten Jahren hat sich Kolumbien, wo es kaum traditionelle Coca-Konsumenten gibt, auch als wichtigstes Anbaugebiet etabliert. Zig-tausende Hektar Tropenwälder mußten weichen, um dem rentablen Agrarprodukt Platz zu machen.
Daß Staaten, denen die Zer-tifikation verweigert wird, keine Wirtschaftshilfe von den Vereinigten Staaten bekommen, können die meisten verkraften. Schmerzhafter ist, daß ihnen der Zugang zu günstigen Krediten der internationalen Finanzinstitutionen verwehrt wird, weil sich die USA querlegen. Zusätzlich kann es noch Wirtschaftssanktionen setzen, etwa die Kürzung von Exportquoten oder das Streichen von Zollpräferenzen. Länder wie Afghanistan, Myanmar und Nigeria stehen regelmäßig auf der schwarzen Liste. Nicht zufällig handelt es sich um politisch ausgegrenzte Staaten, mit denen die USA sowieso kaum Wirtschaftsbeziehungen unterhalten.
Für die cocaproduzierenden Andenländer, die wirtschaftlich sehr eng mit den USA verflochten sind, wurde die certification jahrelang nur als Damoklesschwert eingesetzt. Sie diente vor allem dazu, die Regierungen zu radikalen Anti-Drogenprogram-men zu zwingen. Mit verheerenden innenpolitischen Folgen. In Bolivien wurden Spezialeinheiten der Armee eingesetzt, um die Coca-Sträucher auszureißen. Bei Zusammenstößen gab es in diesem sonst eher friedlichen Land Tote und Verletzte.

Wo kein Rubel rollt

Als Kolumbiens Präsident Virgilio Barco 1989 begann, wunschgemäß Drogenhändler an die USA auszuliefern, antwortete das Kokainkartell von Medellín mit einer beispiellosen Terrorwelle, der Richter, Journalisten und mehrere Präsidentschaftskandidaten zum Opfer fielen.
Der Erfolg: Die Anbaufläche der verbotenen Kulturen, Coca und zunehmend Schlafmohn für die Heroingewinnung, weitete sich aus, weil die Nachfrage in den USA zunahm. Programme, die alternative Kulturen fördern sollten, erwiesen sich mehrheitlich als politische Feigenblätter. Zur nachhaltigen Existenzsicherung der Bauern dienen sie nicht.
Schon lange erscheint es den Kritikern des Zertifikationsme-chanismus obszön, daß der größte Kokainkonsument der Welt über den größten Kokainproduzenten richtet. Schließlich gehorcht die vermehrte Produktion nur dem marktwirtschaftlichen Prinzip von Angebot und Nachfrage.

Bei Mexiko ist manches anders

Daß Kolumbien vor zwei Jahren, ausgerechnet nach der Festnahme der wichtigsten Chefs des Drogenkartells von Cali, erstmals dezertifiziert wurde, war auch in den USA nicht unumstritten. So griff die New York Times das Thema in einem Leitartikel auf und stellte die Tauglichkeit der certi-fication als Instrument der Dro-genbekämpfung in Frage. Die Pro-duzentenländer zu bestrafen sei gefährlich und trage nur zur Mythenbildung über die Drogenproblematik bei. Den Menschen werde vorgegaukelt, daß nur Lateinamerika schuld sei und nicht die USA, wo die Nachfrage ständig steige. Im übrigen hätte Kolumbien sicherlich mehr gegen die Drogen unternommen als Mexiko.
Dort erreichte die Verstrickung der Drogenmafia mit allerhöchsten Kreisen von Regierung und Armee zwar unter Präsident Salinas de Gortari (1988-1994) einen makabren Höhepunkt, wird aber unter Ernesto Zedillo keineswegs wirksam bekämpft. Dennoch kann das Land aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus nicht dezertifiziert werden. Eine rote Karte für den NAFTA-Partner wür-de die Integrationspolitik, von der besonders die USA profitiert haben, zunichte machen.
Kolumbien hat zwar in den letzten Jahren keine Wirtschaftshilfe, aber zunehmend Militärhilfe bekommen. Daß die für Drogenbekämpfung bestimmten Gelder in zunehmendem Maße für die Guerillabekämpfung eingesetzt werden, ist dem Pentagon längst bekannt. Schließlich wurden die Guerillaorganisationen FARC und ELN, die Coca-Bauern beschützen und „Steuern“ von Zwischenhändlern kassieren, erfolgreich als „Narco-Guerilla“ gebrandmarkt. Unangenehm nur, daß selbst das State Department in seinen jüngsten Länderberichten einen Zusammenhang mit den zunehmenden Menschenrechtsverletzungen durch Armee und Paramilitärs herstellt. Der Zertifikationsmecha-nismus hat damit entscheidend an Überzeugungskraft eingebüßt. Wenn Präsident Clinton durch eine Offensive gegen die Drogen von seinen Grapsch-Affairen ablenken will, wird er sich wohl eine neue Strategie zurechtlegen müssen.

“Der Krieg wird in den höchsten Sphären der Regierung geplant”

Wie kann der mexikanische Innenminister Emilio Chauyffet (mittlerweile zurückgetreten, d. Red.) weiterhin darauf beharren, es handele sich bei dem Massaker von Acteal um das Ergebnis von “interkommunitären” Konflikten. Schließlich besteht kaum mehr ein Zweifel daran, daß Mitglieder der Regierungspartei PRI in den Überfall paramilitärischer Gruppen involviert waren?

So soll versucht werden, einen Konflikt zu verdunkeln, der Teil eines umfassenderen, staatlich geplanten Krieges ist. Als religiöses Problem konnte die Situation in der Region Chenalho nicht dargestellt werden, da sowohl der Bürgermeister von Acteal als auch der Bürgermeister der autonomen Gemeinde von Chenalho Presbyterianer sind. Also wird nach einem anderen Vorwand gesucht. Und deshalb wird der Konflikt als interkommunitär dargestellt. Der Innenminister versucht die Regierungsstrategie zu verheimlichen, die darin besteht, nicht die Armee sondern die PRI-Basis auf die EZLN loszujagen, und so Konflikte an der Basis auszulösen.

Die Regierungsstrategie scheint darauf hinauszulaufen, öffentlich zu erklären, daß alle Konfliktparteien, also Paramilitärs und EZLN, “verhandeln” müßten. Das Ergebnis solcher Verhandlungen kann dann natürlich nur die Rückkehr zum vorherigen Status Quo sein. Wie wird die Conai gegenüber einer solchen Strategie reagieren?

In der Geschichte von Chiapas hat es bereits zwei Mal Indianer-Kriege gegeben, die auch Aufstände gegen die Marginalisierung, den Rassismus, die Armut und die Ausbeutung waren. Auch damals wurden von Regierungsseite andere Konfliktursachen vorgeschoben. Heute werden paramilitärische Gruppierungen geschaffen, um sie der EZLN gegenüberzustellen. Die Regierung will dann als Vermittler auftreten, obwohl sie doch die Hauptverantwortung für diese Strategie trägt. Als Conai sprechen wir weder für die Regierung, noch für die EZLN. Wir wollen die Seiten nur einander näherbringen und die Verhandlungen erleichtern. Aber man darf nicht vergessen, daß die EZLN fünf Bedingungen gestellt hat, um die Gespräche mit der Regierung wieder aufzunehmen. Eine davon ist die Auflösung der paramilitärischen Gruppen. Die Verhandlungen sollen mit der Regierung und nicht mit den Paramilitärs stattfinden. Diese Bedingung wurde bisher nicht erfüllt. Und hier ist die Regierung gefragt und nicht die EZLN.

Eine ähnliche Situation existiert auch in Kolumbien, wo die Guerilla es ablehnt, mit den Paramilitärs zu verhandeln, da sie die Gesamtverantwortung bei der Regierung sehen. In den letzten Monaten erinnert die Situation in Chiapas stark an Guatemala und Kolumbien …

Ja, es ist das gleiche Schema, auch wenn sich die Situation in Mexiko doch unterscheidet. Die EZLN ist unter anderen Bedingungen entstanden. Es gab keine Sowjetunion und auch kein sandinistisches Nicaragua mehr. Kuba ist auch keine Unterstützung, die Berliner Mauer ist gefallen, und wir befinden uns mitten in einem Prozeß nationaler und internationaler Neuordnung der Kräfte. Dann spielt natürlich auch die Form eine Rolle, in der sich die EZLN auf internationaler Ebene bewegt hat. Das hat zu einer großen Solidarität geführt, so daß es bisher nicht zu einem Vernichtungskrieg wie anderswo gekommen ist, und wie es die Regierung ursprünglich vor hatte. Diese Bedingungen schaffen für die Zivilgesellschaft Möglichkeiten zu intervenieren. International wird von der Solidaritäts-Bewegung etwa versucht, Mexikos Ökonomie zu treffen. Zum Beispiel wird versucht, Druck auszuüben, damit die Staaten der EU sich gegen die Ratifizierung des Abkommens mit Mexiko aussprechen, wenn es nicht eine minimale Respektierung der Menschenrechte gibt.

Wie sieht die “Kriegsführung niederer Intensität” in Mexiko genau aus?

Zentral ist, daß die Regierung natürlich nicht zugibt, daß Krieg herrscht. Zudem kann man beobachten, daß die Paramilitärs genau in den Gebieten der EZLN auftauchen und geographisch eine Barriere Richtung Küste und dem Gebiet der geplanten interozeanischen Verbindung bilden. (Siehe LN 283) Dort sind die besseren Böden und in dieser Region sollen auch Freihandelszonen entstehen. Daher soll es dort, wo die unmittelbaren ökonomischen Interessen stark sind, ruhig bleiben, während es ansonsten egal ist, ob sich die Indios umbringen. Hier wird das ganze Gebiet vom Aufbau paramiltärischer Gruppen erfasst. Wenn wir uns die Karte anschauen, so stellen wir fest, daß überall erst die Nationalpolizei Seguridad Publica Präsenz zeigt. Sie schürt die Konflikte in den Gemeinden. Irgendwann tauchen dann Leichen auf und die Polizei präsentiert der Öffentlichkeit die Situation als Gemeindekonflikt, Hexerei oder anderes. Alldem liegen natürlich politische Konflikte zugrunde: Die Leute sind aufständisch geworden, sie wollen diese Regierung nicht mehr, aber auch nicht den Krieg. Es ist offensichtlich, daß dieser Krieg in den höchsten Sphären der Regierung geplant wird, und so dienen auch viele Regierungsumbildungen einzig dem Ziel, diese Kriegsführung zu verfeinern. Es wurde bereits nachgewiesen, daß jede paramilitärische Gruppe an einen Abgeordneten gebunden ist. Man sieht also, es handelt sich um ein gut durchdachtes Schema, mit dem die PRI-Gemeinden militärisch organisiert werden. Das ganze läuft in direkter Verbindung mit einer zunehmenden Militarisierung der Region. So findet sich dann auch unter dem Dokument, das die paramilitärische Gruppe Paz y Justicia von Seiten der Regierung mehrere Millionen Pesos für “Anbau und Viehzucht” zukommen läßt, keine einzige Unterschrift aus der zuständigen Behörde. Dafür aber die des Oberbefehlshabers der 7. Militärregion, Mario Renan Castillo. Die paramilitärischen Gruppen sind der Vorhang, hinter dem sich die Armee versteckt. Militär und Polizei bilden die Paramilitärs für den Krieg gegen die zapatistischen Gemeinden aus, tauchen aber selbst nicht auf und können so für die Taten nicht angeklagt werden. Daß die PRI-Gemeinden sich die Hände schmutzig machen, oder der Bürgermeister von Chenalho inhaftiert wird, ist ein tragbares Opfer, solange Polizei und Armee sauber bleiben. Dieses Vorgehen ist einerseits die Folge davon, daß Armee und Polizei in bestimmte Gebiete nicht mehr eindringen konnten und – auf Kosten der 45 Toten – andererseits der Vorwand, um jetzt genau dort hinein vorzudringen. Das System und die Regierung tauchen nicht mehr auf. So soll verhindert werden, daß man sie verantwortlich machen kann.

Warten auf die neue Regierung

Am 1. März wird US-Präsident Clinton wieder einmal die Liste jener Länder veröffentlichen, die nach dem Dafürhalten von Regierung und Kongreß in Washington bei der Bekämpfung von Suchtmitteln und Drogenkriminali-tät nicht ausreichend mit den USA kooperieren. Alles deutet darauf hin, daß Kolumbien zum dritten Mal in Serie gemeinsam mit internationalen Parias wie Afghanistan, Myanmar, Syrien und Nigeria die „Zertifizierung“ des Wohlverhaltens verweigert wird. Die Mißbilligung, so werden die Verantwortlichen nicht müde zu betonen, gelte nicht der bei der Ergreifung von Drogendealern äußerst erfolgreichen Polizei sondern der Regierung und dem Parlament, die die Vorwürfe, in Dro-genkorruption verstrickt zu sein, nicht glaubwürdig widerlegen konnte.
Präsident Samper und der Kon-greß haben zwar bedeutende Zugeständnisse bei der Anti-Drogen-Gesetzgebung gemacht, doch blieben diese für die strengen Augen Washingtons zu halbherzig. Nach jahrelangem Zögern wurde Ende letzten Jahres die erst 1991 von der Verfassung ausdrücklich ausgeschlossene Auslieferung von kolumbianischen StaatsbürgernInnen an die Justiz anderer Staaten neuerlich im Parlament diskutiert. Was dabei herauskam, war eine Lösung, die alle Seiten unbefriedigt läßt, die aber mit einem der wichtigsten strafrechtlichen Prinzipien in Einklang steht: Auslieferung ja, aber nicht rückwirkend. Die in den Jahren 1995/96 gefaßten Chefs des Kartells von Cali laufen also nicht Gefahr, in den USA zu Haftstrafen von mehreren hundert Jahren verdonnert zu werden. Außer die nächste Regierung wirft alles wieder über den Haufen. Gerade auf die Gebrüder Rod-riguez Orejuela, die in Kolumbien dank mehrerer gesetzlich vorgesehener Vergünstigungen weniger als 20 Jahre abzusitzen haben, und auf deren unvorstellbares Vermögen haben es die USA aber abgesehen.

Die Macht der Drogenbosse

Auch das Gesetz der „Extincion de domino“, das die Beschlagnahme unrecht erworbener Güter, also mit Drogengeldern erworbener Liegenschaften und Luxusartikel, ermöglicht, stößt bei der Anwendung auf enge Grenzen. Ende September schritt eine Del-egation der Staatsanwaltschaft zur Konfiszierung eines Landgutes im Departament Meta, östlich von Bogotá. Die Gruppe geriet auf dem Heimweg in einen Hinterhalt und wurde fast gänzlich aufgerieben. Nachdem anfangs die kommunistische Guerilla FARC der Tat verdächtigt wurde, stellte sich bald heraus, daß eine bewaffnete Gruppe im Dienste der Drogenhändler verantwortlich war.
Diese Bluttat führte vielen kolumbianischen StadtbewohnerInnen drastisch vor Augen, welch enge Grenzen der staatlichen Zwangsgewalt auf dem Lande gesetzt sind. Wer der Guerilla, die in jeder zweiten Gemeinde operiert, heute Einflußzonen streitig macht, sind nicht die Streitkräfte sondern paramilitärische Verbände, die mit oder ohne offiziellen Segen agieren. Fidel Castaño zum Beispiel herrscht im nördlichen Antioquia und benachbarten Provinzen wie ein feudaler Warlord. Gegen ihn läuft dort nichts.
Paramilitärische Verbände mit insgesamt etwa 5000 Mitgliedern schützen die Interessen von Dro-genbossen und Großgrundbesitzern und versuchen den Einfluß der Guerilla zurückzudrängen. Die Territorialdispute werden in der Regel über Racheakte an der Zivilbevölkerung ausgetragen. Nach dem jüngsten Bericht der Kolumbianischen Juristenkommission werden alljährlich 3000 Menschen aus politischen Motiven ermordet, zu zwei Dritteln von Para-militärs. Nicht mehr als drei Prozent der Täter werden gefaßt und verurteilt.
Seit einiger Zeit werden diese kriminellen Verbände nicht nur nicht verfolgt, sondern geradezu gefördert. Mit der Schaffung sogenannter Selbstverteidigungsgenossenschaften (CONVIVIR) im Jahre 1996 erklärte der Staat implizit seinen Verzicht auf das Ge-waltmonopol. Weit entfernt, sich auf ihren offiziellen Auftrag der Selbstverteidigung gegen Angriffe der Rebellengruppen zu beschränken, üben diese „Kooperativen“ in manchen Landesteilen offenen Terror gegen die Zivilbevölkerung aus. Die blutige Verfolgung von Menschenrechtsakti-vistInnen durch derartige Gruppen hat in den letzten Monaten derart zugenommen, daß am-nesty international das Thema ganz oben auf der Agenda angesetzt hat. Selbst das State Department in Washington bescheinigte Kolumbien im letzten Jahr die schwärzeste Menschenrechtsbilanz Lateinamerikas.

Friedensgespräche für Alle?

Zu Beginn seines letzten Amtsjahres hat Präsident Samper eine neue Friedensinitiative lanciert. Auf Vorschlag des damaligen Innenministers Carlos Holms Trujillo sollten in einen Friedensdialog nicht nur die Guerillaorganisa-tionen FARC und ELN sondern auch die Paramilitärs eingebunden werden. Die kriminellen Banden wurden dadurch zu politischen Kräften aufgewertet. Samper bat beim Iberoamerikanischen Gipfel auf der venozolanischen Insel Margarita sogar Fidel Castro um seine guten Dienste bei den grei-sen Guerillaführern Manuel Perez und Manuel Marulanda, alias Tiro-fijo. Der Dialog kommt allerdings mit Sicherheit nicht mehr unter dieser Regierung zustande. Nicht nur, weil die Armee kurz nach Bekanntgabe der Dialogpläne in einer Großoffensive die südlichen Urwaldregionen bombardierte, um die Chefs der FARC auszuheben, sondern auch weil die Guerillakommandanten derzeit an Friedensgesprächen wenig Interesse zeigen. Der durch den Prozeß 8000 um die Vorwürfe der Wahlkampffinanzierung durch das Cali-Kartell geschwächte Samper, der noch schnell etwas für seinen Platz in den Geschichtsbüchern tun will, ist für sie kein interessanter Gesprächspartner. Erst der neue Präsident, der am 31. Mai gewählt und im August vereidigt wird, hat Aussichten dem Prozeß neue Dynamik einzuhauchen.
Derzeit läuft die Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung. Barry Mc Caffrey, der Antidrogenzar der USA, hat im Herbst bei einem Besuch in Bogotá eine längst gängige Praxis mit einer offiziellen Genehmigung legitimiert: die Umwidmung von Mitteln, die eigentlich für die Drogenbekäm-pfung bestimmt sind, für den Anti-Guerilla-Kampf. Mit dem generellen Apostrophieren der Aufständischen als „Narko-Guerilla“ wurden von Seiten der Armee längst die Grenzen verwischt.
Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein Überfall der Guerilla oder der Paramillitärs gemeldet wird. Die einen profitieren von der stillschweigenden Unterstützung oder aktiven Förderung duch die Armee, die anderen von deren verkrusteten Kommando- und Kom-munikationsstrukturen. Obwohl der lokale Kommandant längst verdächtige Bewegungen gemeldet und auf ein Sicherheitsdefizit aufmerksam gemacht hatte, konnten die FARC im Dezember die Armeebasis am Cerro Patascoy im Südwesten überrennen und 18 Soldaten gefangennehmen. Schon vor einem halben Jahr hatte die Guerilla aus der feierlichen Übergabe von Kriegsgefangenen politisches und publizistisches Kapital geschlagen. Jetzt dürfte diskutiert werden, ob die Soldaten wieder im Rahmen einer internationalen Show an das Rote Kreuz und die Angehörigen übergeben werden, oder ob ihre Freilassung den Grundstein zu umfassenden Friedensgesprächen mit der nächsten Regierung bilden soll. Den FARC schwebt als politische Forderung die Einberufung einer Art verfassungsgebender Versammlung vor.
Der Wahlkampf, der zwar nicht offiziell eröffnet wurde, aber in den Medien bereis seit Monaten mit aller Heftigkeit tobt, wird vor allem von den Themen Drogen-politk und Frieden beherrscht. Daß der von Ernesto Samper letztes Jahr zwangspensionierte General Harold Bedoya mit seinen rechtsextremen Parolen nur unwesentlich hinter den drei prominentesten Kandidaten liegt, wirft ein vielsagendes Bild auf die Stimmung in der Bevölkerung. Mehr-heitsfähig dürften diese Positionen allerdings nicht sein. Dafür sprechen die zehn Millionen Stimmen, die während der Kommunalwahlen vom 26. Oktober in einer symbolischen Volksabstimmung für den Frieden abgegeben wuden.

Das langsame Sterben des Dinosauriers

Vielleicht kann man den Umbruch nur verstehen, wenn man sich vergegenwärtigt, wie Mexiko noch vor zwanzig Jahren regiert wurde. Eine allmächtige Staatspartei kontrollierte Gesellschaft, Medien, politische Organisationen und beherrschte das Land mit ihrem Konzept der „repressiven Integration“. Sozialen und politischen Protest hielt sie nieder durch kleine Konzessionen, große Gesten, die Korruption seiner Protagonisten und, wenn die Integration versagte, durch die Ausschaltung der führenden Aktivisten. Die PRI, das war der große Dinosaurier, der aus einer Allianz lokaler Revolutionscaudillos hervorgegangen war, die das Land nach langem Bürgerkrieg befrieden wollten. Politisch reaktionär war das Regime nur in bezug auf Bürgerrechte und demokratische Freiheiten, in sozialer Hinsicht aber bot der Dinosaurier den Mexikanern ein angenehmeres Leben als vielen Lateinamerikanern vergönnt war. Und außenpolitisch positionierte sich das Regime auf die Seite der nationalen Befreiungsbewegungen Lateinamerikas gegen die reaktionären Diktaturen der Militärs anderer Länder und den mächtigen Nachbarn mit seinen imperialen Ansprüchen im Norden.

Bewegung im Jurrasic Park

Doch in den letzten Jahren kam Bewegung in den Jurrasic Park des PRInosauriers. Der zapatistische Aufstand Anfang 1994 katapultierte Mexiko auf einmal als Unruheherd in die Weltpresse, wo rebellierende Kleinbauern vom Militär niedergeschlagen werden. Und in diesen Tagen übernimmt mit Cuauhtémoc Cárdenas zum ersten Mal ein linksoppositioneller Politiker die Regierungsgewalt im strategisch wichtigen Hauptstadtdistrikt Mexiko D.F. Oft wird nun vom „Demokratisierungsprozeß“ gesprochen, den das Land durchlaufe. Hoffnung macht sich breit. Wer aber von oberflächlicher Betrachtung Abschied nimmt, wird schnell erkennen, daß hier eher der Wunsch Vater des Gedankens ist. Den Zerfall der PRI-Kontrolle mit einer Demokratisierung der Gesellschaft gleichzusetzen, greift zu kurz. Es handelt sich vielmehr um einen vielgesichtigen Wandlungsprozeß, dessen einzige Konstante seine Widersprüchlichkeit ist. Einerseits entstehen neue und größere Freiräume, andererseits aber kommt es zu gesellschaftlicher Desintegration, der Formierung neokorporativistischer Beziehungen und neuen Kontrollmechanismen, die nicht sympathischer sind als die alten.
Das offensichtlichste Phänomen der gefährlichen Desintegration ist der Anstieg sozial und politisch motivierter Gewalt. An der Nordgrenze zu den USA liefern sich Mafiaclans, die um die Kontrolle des Drogenmarktes konkurrieren, tägliche Showdowns. Der Alltag in Tijuana etwa läßt die Fiktionen von Blade Runner und Mad Max real werden. In der Hauptstadt-Metropole sind bewaffnete Raubüberfälle in öffentlichen Verkehrsmitteln oder auf der Straße mittlerweile unspektakuläre Normalität. Gleichzeitig weisen die Statistiken einen deutlichen Anstieg von Menschenrechtsverletzungen mit politischem Hintergrund aus. 563 Aktivisten allein der linksorientierten PRD (Partei der Demokratischen Revolution) sind seit ihrer Gründung 1988 von Polizei, Militär, Weißen Garden oder Killern umgebracht worden, davon fast die Hälfte in den letzten drei Jahren unter dem Regime Präsident Zedillos. (2) Im gleichen Zeitraum sind 67 Journalisten ermordet worden, nach Kolumbien die höchste Zahl in Lateinamerika. (3) Ungezählt sind die Inhaftierten, Gefolterten und Ermordeten der zahlreichen sozialen und politischen Oppositionsgruppen außerhalb der PRD. Allein die Mitgliedsgruppen der an einer traditionellen Linken orientierten FAC-MLN (Breite Front zum Aufbau der Nationalen Befreiungsbewegung) beklagen über 500 politische Gefangenen und in Chiapas ermorden Paramilitärs täglich rebellierende Campesinos und Indígenas. Dabei bleiben die meisten Morde ungesühnt, obwohl die Verantwortlichen bekannt sind. Rubén Figueroa Alcocer beispielsweise, der ehemalige Gouverneur von Guerrero und zweifelsfreie Drahtzieher des Massakers an 17 oppositionellen Bauern in Aguas Blancas, kann in Mexiko-Stadt seelenruhig seinen Geschäften nachgehen. Als im September Pierre Sané, Präsident von amnesty international, Präsident Zedillo einen alarmierenden Bericht über die Menschenrechtssituation übergeben wollte, wurde ihm brüsk die Türe gewiesen.

Alle Gewalt geht von oben aus

Die Brutalisierung der sozialen und politischen Beziehungen durchdringt die gesamte Gesellschaft, wobei die ungehemmtesten Protagonisten nicht nur der politischen, sondern auch der sozialen Gewalt ohne Zweifel die Eliten und der Staatsapparat selbst sind. Am deutlichsten wird dies am Beispiel des Drogenhandels, der in Mexiko mittlerweile zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen zählt. Mitte Februar kam beispielsweise ans Tageslicht, daß General González Rebollo, oberster Chef der nationalen Drogenfahndung, auf der Gehaltsliste von Amado Carrilo Fuentes, einem der wichtigsten Drogenbarone stand. Diese Allianz ist symptomatisch, denn kein ernsthafter Beobachter Mexikos wird abstreiten, daß Militär- und Polizeiapparate, genauso wie eine große Anzahl von hohen Regierungsfunktionären und Politikern in das lukrative Geschäft mit den Drogen verstrickt sind, wenn sie es nicht sogar kontrollieren. (4)
Auch die Privatisierungspolitik seit Beginn der 80er Jahre zeichnet sich durch die kriminelle Energie der Eliten aus. Unter der Administration von Carlos Salinas zwischen 1988 und 1994 wurden 160 staatliche Unternehmen privatisiert, darunter befanden sich Stahlwerke genauso wie Bergbauunternehmen oder Fluglinien. Am Beispiel der Telefongesellschaft TELMEX läßt sich deutlich machen, wie die PRI-Eliten die politische Kontrolle über den Privatisierungsprozeß nutzen, um ihre eignen Taschen zu füllen. TELMEX wurde zum lächerlichen, bewußt unterbewerteten Preis von 1,7 Milliarden US-Dollar an den Salinas Freund und Geschäftspartner Carlos Slim verkauft. Kurze Zeit nach der Privatisierung waren die TELMEX-Aktien an der Börse zwölf Milliarden US-Dollar wert und Carlos Slim wird heute mit einem Privatvermögen von 6,1 Milliarden US-Dollar als reichster Mann Lateinamerikas gehandelt. (5) Privatisierung als Raubüberfall auf öffentliches Eigentum, die Straßenkriminalität nimmt sich dagegen aus wie dilettantischer Kinderkram. Der Klassenkompromiß ist aufgelöst.

Bereichert Euch!

Hier wird deutlich, wo die eigentlichen Ursachen des Zerfalls der PRI-Macht liegen: Bestimmt nicht im politischen Willen auf eine Demokratisierung, sondern vielmehr im Verlust von Integrationsmöglichkeiten, nachdem 15 Jahre neoliberale Politik die Grundlagen des sozialen Paktes der Mexikanischen Revolution ausgehebelt haben. Während der Dinosaurier in seinen besten Jahren die hohe Staatsquote an Produktionsmitteln und die progressiven Möglichkeiten der Verfassung von 1917 nutzte, um die Mexikaner mit Land, Arbeit und Tortillas zu versorgen, folgt die durch IWF und Weltbank diktierte Politik der PRI-Eliten seit der Schuldenkrise von 1982 nur noch einer Maxime: „Bereichert Euch!“
Dabei sind es sehr wenige, die absahnen, während eine große Mehrheit marginalisiert wird. Eine Gruppe von 183.000 Individuen – 0,2 Prozent der Gesamtbevölkerung – verfügt in Mexiko über 51 Prozent des gesamten Bruttosozialproduktes. Ihre Profite sind größer als die gesamten Ausgaben des Staates für alle öffentlichen sozialen Ausgaben. (6) Gleichzeitig ist die Kaufkraft des Mindestlohns seit 1982 um beinahe 70 Prozent gefallen und die durchschnittlichen Reallöhne gingen zwischen 34 Prozent in der Industrie und 27,5 Prozent in der Maquila zurück. (7) Die Reform am Artikel 27 der Verfassung schnitt außerdem den Kleinbauern jede Aussicht auf eine Landreform ab, während sich gleichzeitig der sogenannte Neolatifundismo, also neuer Großgrundbesitz, breit macht. Nach dem Peso-Crash vom Dezember 1994 sind auch große Teile des davor noch relativ prosperierenden Mittelstands in die Verarmung gestürzt, so daß die Einkommenspyramide heute ein riesiges Fundament mit einer Nadelspitze darstellt. Die wirtschaftliche Erholung nach dem Krisenjahr 1995, in dem Mexiko die schärfste Rezession seit den 30er Jahren aushalten mußte, bringt bisher keine sozialen Verbesserungen oder Lohnerhöhungen.

„Kartell des Südostens“ und „Deserteure“

Die neoliberale Umstrukturierung ist nicht nur mit einer radikalen Privatisierungspolitik und der Vertiefung des Abgrundes zwischen den sozialen Klassen verbunden, sondern mit zwei weiteren bedeutsamen Aspekten: Einerseits dem fortschreitenden Verlust nationaler Souveränität durch Weltmarktöffnung, dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) und der wachsenden Abhängigkeit von ausländischem Kapital. Die Politik der mexikanischen Regierung erfüllt heute die Funktion der Wahrnehmung der Interessen transnationaler Konzerne und geostrategischer Interessen der USA, ganz anders als zu Zeiten des Gründers der modernen PRI, dem Präsidenten Lázaro Cárdenas von 1934–40. Andererseits koppeln sich die Dynamiken der regionalen Entwicklungen immer deutlicher voneinander ab. Während die an bestimmte Regionen gebundenen Maquila- und Tourismussektoren boomen, werden andere Regionen, insbesondere die indigen geprägten Gebirgszonen, zu ausgepowerten Wastelands, die dem völligen Niedergang preisgegeben sind. Raubbau und die Überflutung mit billigen Agrarprodukten durch NAFTA haben hier die kleinbäuerliche Wirtschaft ruiniert.
Das Auseinanderbrechen der PRI ist nichts weiter als die Widerspiegelung des Desintegrationsprozesses der Gesellschaft. Innerhalb der Partei selbst haben sich verschiedene Fraktionen herausgebildet, die teilweise sich widersprechenden Interessen folgen. Da ist einerseits das „Kartell der Gouverneure des Südostens“, in dem sich die mit dem alten, mittlerweile in Irland lebenden Präsidenten Carlos Salinas verbundenen Regionalfürsten der südöstlichen Bundesstaaten alliiert haben. Sie stehen für ein hartes Durchgreifen gegen die Oppositionen. Roberto Madrazo, der amtierende Gouverneur von Tabasco, hat mit einem von langer Hand geplanten Wahlbetrug bei den Kommunalwahlen in seinem Staat im Oktober deutlich gemacht, daß sie jedes Milligramm Macht zu verteidigen bereit sind. Daneben, als deutlichster Konterpart, hat sich in der Grupo Galileo eine Strömung formiert, der zahlreiche Abgeordnete angehören, die für ein Ausloten von Verständigungsmöglichkeiten mit der PRD und der rechten PAN (Partei der Nationalen Aktion) stehen. Über den Fraktionen steht Präsident Zedillo mit seiner Gruppe, der versucht, die zentrifugalen Kräfte in seiner Partei zusammenzuhalten. Aber es mehren sich die „Deserteure“ unter den regionalen PRI-Machthabern, die samt ihrem Troß aus klientelistischen Beziehungen in eine der Oppositionsparteien eintreten.

Demokratisierung oder Neokorporativismus?

Als Indizien für einen Demokratisierungsprozeß werden oft die gewachsenen politischen Spielräume genannt. Die PRD hat den D.F. gewonnen, die klerikalkonservative PAN regiert einige Bundesstaaten im Norden. Seit dem 6. Juli ist die PRI nun auch mit einem mehrheitlichen Oppositionsblock im Abgeordnetenhaus konfrontiert, Wahlen sind nicht mehr nur Rituale zur Bestätigung des PRI-Kandidaten. Von der Studentenbewegung 1968 über die Entstehung der Stadtteilbewegungen nach dem Erdbeben 1985, die Proteste gegen den Wahlbetrug 1988 und die Formierung der PRD bis zum zapatistischen Aufstand 1994 und den Wahlen am 6. Juli 1997 reichen die Etappen des Verlustes der politischen Kontrolle der PRI. Dieser Prozeß wurde begleitet von der Entstehung unabhängiger und kritischer Medien zuerst im Printbereich, dann im Radio- und zuletzt auch im Fernsehbereich. Bei dieser Analyse wird aber ausgeblendet, daß viele der Oppositionen, die alten Funktionsmechanismen des PRI-Systems reproduzieren und die Gesellschaft zunehmend militärisch und nicht politisch kontrolliert wird.
So ist der Charakter der PRD durchaus zwiespältig. Ihre Wurzeln hat die Partei einerseits in einer PRI-Abspaltung, die unter Führung von Cuauhtémoc Cárdenas, Sohn des legendären Lázaro Cárdenas, die Mutterpartei verlassen hat und sich gegen ihre neoliberale Politik wandte. Andererseits sind die alte Kommunistische Partei, ehemalige Trotzkisten und Maoisten sowie zahlreiche soziale Bewegungen in der Partei aufgegangen. Mit dem Parteivorsitzenden Manuel López Obrador und Cárdenas, dem neuen Bürgermeister von Mexiko-Stadt, stehen zwei Figuren im Vordergrund, die eher für die Verbindung mit sozialen Bewegungen und Mobilisierung der Basis stehen, aber gleichzeitig die unverkennbaren Züge paternalistischer, populistischer Caudillos der alten PRI-Schule tragen. Nach dem Wahlsieg vom 6. Juli ist die PRD überdies zu einer realen Machtoption in einigen Bundesstaaten und für die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 geworden. So wundert es nicht, daß es die PRI-Deserteure an die neuen Futtertröge drängt. Ein bekanntes Beispiel dafür ist etwa Dante Delgado, ehemaliger Gouverneur von Veracruz, der für seine korrupte Amtsführung berüchtigt war und nun auf dem PRD-Ticket die erneute Kandidatur anstrebt. Dabei handelt es sich keinesfalls um einen Einzelfall.
Die Basis der PRD ist vielerorts offen prozapatistisch, vor allem dort, wo sie von der Repression durch lokale PRI-Größen bedrängt wird, wie in Oaxaca und Guerrero. Aber dort, wo die PRD an der Macht ist, entwickeln sich häufig neokorporativistische Strukturen, die an alte Zeiten erinnern. Überdies kommen die programmatischen Aussagen der PRD oft über Wunschvorstellungen und Absichtserklärungen nicht hinaus. Cárdenas wurde beispielsweise kürzlich gefragt, ob er sich als „Antiimperialist“ bezeichnen würde, worauf er antwortete: „Selbstverständlich“. Im nächsten Satz sagte er aber, daß er das NAFTA-Abkommen befürworte und lediglich modfizieren wolle. Wie das zusammenpaßt, bleibt sein Geheimnis. Es ist zu befürchten, daß die PRD auf alte klientelistische Kontrollmechanismen zurückgreifen wird, ist sie erst an der Macht. Eine böse Vorahnung dafür geben Teile der mit der PRD verbundenen sozialen Bewegungen in den Stadtvierteln der Hauptstadt, die nach dem Erdbeben von 1985 als hoffnungsvolle Basisorganisationen begannen und mittlerweile oft von der Korruption zerfressen sind.
Die PAN als rechtsgerichtete Oppositionspartei fügt sich, was ihr wirtschaftliches Programm angeht reibungslos in den neoliberalen Kurs der PRI ein. Nachdem sie sich lange Zeit als saubere Alternative zu PRI und PRD profilierte, ist der Lack nach Korruptionsskandalen in den von ihr regierten Bundesstaaten ab. Die PAN als demokratische Alternative zur PRI zu benennen, ist als ob man behauptete, Opus Dei und die katholische Kirche seien eine basisdemokratische Bürgerinitiative. Die PAN repräsentiert den konservativen bis offen reaktionären Flügel eines Teils des Mittelstandes und der Oberschichten, die sich insbesondere durch ihren Rassismus gegen die indianische Bevölkerung auszeichnen.

Linke in der Defensive

Wichtige Impulse für den fortschreitenden Zerfall der PRI gingen von den Rebellen der EZLN (Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung) in Chiapas aus, doch die anfängliche Dynamik der Bewegung ist längst verloren gegangen. Dafür sind zwei Faktoren verantwortlich: Einerseits die Militarisierung der Aufstandsregion und die Führung eines „Krieges niedriger Intensität“, der die zapatistische Basis brechen und demoralisieren soll. Andererseits die mangelnde Bereitschaft der als „Zivilgesellschaft“ bezeichneten Sektoren auf nationaler Ebene, sich den Zapatismus zu eigen zu machen und eine gemeinsame Oppositionsbewegung aufzubauen. So bleibt die EZLN auch nach der Gründung der zivilen Frente (FZLN) eine regional beschränkte Kraft, die zudem in einen schwierig zu führenden Verteidigungskrieg verwickelt ist. Ihre Forderungen beschränken sich heute vornehmlich auf Demilitarisierung und die Erfüllung des „Abkommens über indianische Rechte und Kultur.“ Vom ursprünglichen gesamtmexikanischen Projekt ist aufgrund der ungünstigen Kräfteverhältnisse wenig übriggeblieben. Eine Perspektive könnte der Zapatismus als linke, basisdemokratische Opposition gegen eine PRD an der Macht gewinnen. Aber momentan geht es für die Zapatistas eher um das tägliche Überleben als um die Zukunft.
Mit der FAC-MLN ist auf der Linken eine dritte Kraft entstanden, die aber wie der Zapatismus lediglich regionale Bedeutung hat. Die mitgliederstärksten Organisationen, die sich in der FAC-MLN koordinieren, sind in den südlichen Bundesstaaten und der Hauptstadt angesiedelt. Sie stellen legitime soziale Forderungen, aber dabei bleibt es. Von ihnen geht ebenfalls kein mobilisierendes politisches Projekt aus, das in Mexiko momentan eine breitere Anziehungskraft entfalten könnte. Dasselbe gilt für die EPR (Revolutionäre Volksarmee), die in letzter Zeit versucht, mit Kommuniqués auf sich aufmerksam zu machen, während sie von bewaffneten Aktionen absieht. Der Ton ihrer Erklärung hat sich deutlich verändert. So fordert die EPR die Einheit der Linken, hat die Wahl Cárdenas im D.F. begrüßt und schmückt ihre Kommuniqués jetzt auch mit poetischen Nahuatl-Versen, obwohl sie letztes Jahr in einem Seitenhieb auf die ihrer Ansicht nach zu zivilgesellschaftlich orientierte EZLN noch erklärt hatte, daß man mit „Gedichten keine Kriege gewinnen kann“. Die EPR-Basis ist von der Repressionswelle am härtesten getroffen worden, ihre militärische Struktur konnte die Bundesarmee aber nicht zerschlagen. So bleibt sie momentan eine Guerilla im Wartestand.

Todesstoß im Jahr 2000?

Mexiko befindet sich in einer schwierigen Phase des Umbruchs, in der es an Aufbruchstimmung mangelt. 15 Jahre Neoliberalismus haben eine soziale Verwüstung hinterlassen, in der die Menschen vor allem eines im Sinn haben: Wie kann ich bis morgen überleben? In dieser Situation politischen Protest zu formieren, ist äußerst schwierig, ganz zu Schweigen von einer gesellschaftlichen Alternative. Sicher, das PRI-System zerfällt unter dem Druck der gesellschaftlichen Widersprüche, Freiräume entstehen, aber auch Menschenrechtsverletzungen und Militarisierung nehmen zu. Die exorbitanten Ausgaben für die Armee machen deutlich, wie Teile der Herrschenden mit einer zu radikalen Opposition umzugehen gedenken. Noch windet sich der Mutter-Saurier PRI in Agonie, die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 könnten zum endgültigen Todesstoß werden. Unter den gegebenen Bedingungen werden den „Menschenfresser“ dann möglicherweise eine ganze Schar von Mutanten im Taschenformat und gar nicht netten Baby-Saurier beerben, die ihrerseits einen brutalen Kampf um die Macht ausfechten. Hoffnung ist nie fehl am Platz, aber zu denken, daß das Ende der PRI-Herrschaft den Beginn mexikanischer Glückseligkeit markieren könnte, kann sich als eine große Fata Morgana erweisen.

Anmerkungen:
(1) Octavio Paz: Der menschenfreundliche Menschenfresser. Geschichte und Politik 1971-1980, Frankfurt a.M. 1981.
(2) Proceso, Nr. 1091, 28.9.97.
(3) Excelsior, 12.11.97.
(4) Vgl.: „Drogenhandel und Filz in Tabasco. Mexiko oder ein Land wird geplündert“ von Jaime Aviles, Ex-Chefredakteur La Jornada, in Le Monde Diplomatique, August 1996.
(5) Vgl.: Carlos Marichal: The rapid rise of the neobanqueros. Mexico’s new financial elite. In: NACLA, Vol. XXX, No. 6, May/June 1997.
(6) Latin America in the age of the billionaires. In: NACLA, Vol. XXX, No. 6, May/June 1997.
(7) La Jornada Laboral, 25.9.97.

Das Megaprojekt

Nur 304 Kilometer Land trennen am Isthmus den Golf von Mexiko vom Pazifischen Ozean, doch das Nadelöhr ist eine Region mit vielfältigen natürlichen Reichtümern und Bodenschätzen. Außerdem ist der Isthmus aufgrund seiner geographischen Lage von großer strategischer und politischer Bedeutung. Das hatte bereits Alexander von Humboldt erkannt, als er Anfang des 19. Jahrhunderts den Vorschlag machte, hier einen Kanal zu öffnen, der die beiden Weltmeere verbinden sollte. Der Kanal wurde letzten Endes dann 1915 in Panama eingeweiht, aber in den Jahren davor war dafür am Isthmus von Tehuantepec bereits eine Eisenbahnlinie gebaut worden. Und das mit gutem Grund: In der Region und den angrenzenden Gebieten hatten nordamerikanische Holzgesellschaften mit dem Raubbau an tropischen Edelhölzern begonnen, die nun mit der Eisenbahn an die beiden Küsten und von dort aus in die USA und Europa transportiert wurden. Im Grunde ist es so geblieben, nur die Produkte haben sich mit den Jahrzehnten verändert: Kautschuk, Kaffee, Vieh und Öl haben die Edelhölzer nach deren Abholzung ersetzt.

Alternative zum Panama-Kanal

Doch jetzt droht dem Isthmus eine Intensivierung der Ausbeutung, die das soziale und ökologische Überleben der Region endgültig bedroht. Mit dem vor einigen Monaten von der Regierung vorgestellten Programa Integral de Desarollo Económico para el Istmo de Tehuantepec (Oaxaca-Veracruz), kurz “Megaprojekt” genannt, gewinnt die Zukunft ein Gesicht. Eisenbahnstrecken, Autobahnen, ein Ausbau der Häfen, Ansiedlung petrochemischer Industrie, die Intensivierung der Ölförderung, Maquiladoras und landwirtschaftliche Großprojekte sollen, wie aus dem Dokument hervorgeht, die Landenge in einen industriellen Korridor verwandeln, der auf ganz Südmexiko ausstrahlen soll.
Ende 1999 müssen sich die USA, dem Torrijos-Carter-Abkommen zufolge, aus der panamaischen Kanalzone zurückziehen. Doch ein Transportweg zwischen den Ozeanen ist nach wie vor von enormer strategischer Wichtigkeit für die USA, aber auch für die ostasiatischen Industriemächte. So ist es kein Wunder, daß an anderer Stelle über Konkurrenzprojekte zum Panama-Kanal nachgedacht wird. In Nicaragua, Costa Rica und Kolumbien wird bereits an konkreten Projekten gefeilt. Und am Isthmus von Tehuantepec hat die mexikanische Regierung zu diesem Anlaß den alten Humboldtschen Gedanken wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Es ist zwar kein Kanal geplant, dafür aber der Ausbau der seit 1907 bestehenden Eisenbahnstrecke zwischen dem Atlantikhafen Cotzacoalcos und Salina Cruz, seinem Kontrapart am Pazifik. Hier sollen, nach dem Ausbau auch der Häfen, in Zukunft Container über die Landenge rollen. Gleichzeitig soll eine vierspurige Autobahn entstehen, finanziert von ausländischem Kapital.
Die Transportwege werden, der Planung entsprechend, nur das Rückgrat einer neu zu schaffenden Industrieregion sein. Bereits heute konzentriert sich die mexikanische Ölindustrie auf der Atlantikseite des Isthmus in den Bundesstaaten Veracruz, Tabasco und Campeche. 80 Prozent der noch unerschlossenen Ölreserven liegen hier außerdem im Untergrund. Insgesamt werden laut La Jornada 39 Milliarden Barrel Rohöl unter der Erde vermutet, die zu momentanen Preisen auf den internationalen Märkten über 500 Milliarden US-Dollar Erlös brächten. Seit Jahren machen internationale Ölkonzerne Druck auf die mexikanische Regierung, die staatliche Ölgesellschaft PEMEX endlich zu privatisieren, wie das mit den meisten anderen Staatsbetrieben im zurückliegenden neoliberalen Jahrzehnt bereits geschehen ist. Doch die Widerstände sind groß: Die 1938 gegen erbitterten Widerstand ausländischer Ölkonzerne verstaatlichte PEMEX stellt das Symbol nationaler Souveränität in Mexiko dar. Nichtsdestotrotz wurden bereits lukrative Bereiche zumindest der Erdölverarbeitung privatisiert oder für ausländisches Kapital geöffnet. Mit dem Megaprojekt soll nun die Förderung intensiviert werden und neue Raffinerien (in Salina Cruz) und petrochemische Industrien (in Cosoleacaque, Coatzacoalcos, Ixhuatlán del Sureste und Salina Cruz) angesiedelt werden. Neben transnationalen Ölmultis haben auch die deutschen Konzerne BASF, Bayer und Hoechst Investitionen angekündigt. (Financiero, 27. September 1996)

Vom Regenwald zur Abfallhalde

Das Mündungsbecken des Rio Coatzacoalcos zählt bereits jetzt zu den am stärksten verschmutzten Regionen der Erde. Sowohl das Wasser als auch die Luft und Erde werden durch Gifte verschmutzt, die durch Rohölförderung und -verarbeitung entstehen. 2400 Fischerfamilien haben bereits ihre Existenzgrundlage verloren. Im Februar 1995 kam es unter anderem deshalb zu aufstandsartigen Protestaktionen der Chontales-Indígenas in Tabasco, als sie Erdölförderanlagen blockierten. Aus Los Pantanos, einem 150 Quadratkilometer großen einmaligen Ökosystem, wurde eine Abfallhalde der Petrochemie von Cosoleacaque und der Raffinerien in Minatitlán, Pajaritos und Cangrejera, die am Fluß Coatzacoalcos liegen. Es gehört keine große Phantasie dazu sich auszumalen, was die ökologischen Folgen einer weiteren Intensivierung der Erdölproduktion sein werden.
Neben der Petrochemie existieren außerdem konkrete Investitionsvorhaben in verschiedene Maquiladora-Großprojekte, die entlang der Transportwege entstehen sollen. Aus Oaxaca und Veracruz wandern jährlich Hunderttausende Menschen, hauptsächlich Kleinbauern, deren Existenzgrundlage durch die neoliberale Agrarpolitik vernichtet wurde, in die Städte oder an die Nordgrenze zu den USA ab, um dort ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Mit dem Megaprojekt soll jetzt die Billiglohnindustrie in der Region angesiedelt werden, aus der die Arbeitsmigranten stammen. In Coatzacoalcos und Los Tuxtlas wurden die ersten Textilfabriken bereits eröffnet. Auch für die Förderung von Mineralien wie Marmor, Schwefel, Meersalz und Kalk bestehen konkrete Investitionsprojekte, die im Infrastrukturplan der Regierung feinsäuberlich aufgelistet sind.

International Paper holzt ab

Neben den Transportwegen und der Petrochemie kommt der Papierproduktion der größte Stellenwert im Rahmen des Megaprojektes zu. Auf über 300.000 Hektar – zum Vergleich: eine Kleinbauernfamilie bewirtschaftet drei bis fünf Hektar – sollen riesige Eukalyptusplantagen für die Papierproduktion gepflanzt werden. Die wasservergiftenden Zellulosefabriken stehen ebenfalls bereits auf dem Reißbrett. Niemand geringeres als die International Paper, die mit einem Umsatzvolumen von nach eigenen Angaben 14,966 Milliarden US-Dollar zu den größten Papierkonzernen der Welt zählt, möchte im großen Stil investieren. Offiziell firmieren die Eukalyptus-Plantagen als Wiederaufforstungsprojekte, tatsächlich entzieht der Eukalyptusbaum dem Boden jedoch Wasser und Mineralien, so daß die gesamte Flora und Fauna in seinem Umkreis abstirbt. In vielen Regionen der Erde hinterließen Eukalyptusplantagen ausgelaugte und zerstörte Flächen.
Mit knallhartem Lobbyismus sorgte International Paper dafür, daß ihr hervorragende Rahmenbedingungen geschaffen werden. In einem Brief vom 27. Juli 1997 stellte Edward Kobacker von der International Paper Bedingungen an Luis Téllez Kuenzler, Chef des Büros des Präsidenten der Republik. Deren Erfüllung, von der Zuweisung von geeigneten Geländen, über die Privatisierung von Häfen und Transportwegen bis zu Subventionen wurden einen Monat später in einem hundertseitigen Memorandum des Ministerium für Umwelt, natürliche Ressourcen und Fischerei (Semarnap) flugs versprochen. Kein Wunder, denn Verhandlungsführer auf mexikanischer Seite war Claudio Xavier González. Er ist mexikanischer Präsident des multinationalen Kimberley Clark Konzerns, der ebenfalls Papierprodukte herstellt und ein starkes Interesse an der Eukalyptusproduktion hat. Das Eukalyptus-Projekt bedroht nun nicht zuletzt die Region Los Chimalapas, den mit 462.000 Hektar größten zusammenhängenden noch unangetasteten tropischen Regenwald Mexikos, einer Region mit einer der höchsten Biodiversitäten in ganz Zentral- und Nordamerika. Vom Aussterben bedrohte Jaguare, Quetzalvögel, Adler, Reptilien, Affen und Tapire sind hier ebenso heimisch wie über 1600 verschiedene Pflanzensorten.
Das gesamte Megaprojekt folgt einer Entwicklungsstrategie, die den Interessen exportorientierten Kapitals und geostrategischen US-Interessen entspricht. Für die Bewohner des Isthmus und ihre kleinbäuerlichen und indigenen Traditionen bleibt da kein Platz. Ihre Zukunft werden sie, wenn sich die Planungen in Realität verwandeln, in den Billiglohnfabriken verbringen. Aber so weit ist es noch nicht: Auf einem Foro Nacional El Istmo es nuestro Ende August haben mehrere Dutzend Campesino- und Indígena-Organisationen sowie zahlreiche NGOs ihren Widerstand angekündigt. Darunter befindet sich die stark verankerte COCEI (Arbeiter, Bauern und Studentenkoalition des Isthmus) genauso wie ökologische Gruppen und die oppositionelle PRD. Wie die Tageszeitung La Jornada herausfand, liegen die Pläne für das Isthmus-Projekt bereits seit Anfang 1995 in den Schubladen des Ministerium für Kommunikation und Transport (SCT). Im September 1996 wurde dann bekannt, daß aufgrund der politischen Instabilität der Region – das unruhige Chiapas grenzt südlich an den Isthmus und nördlich operiert die EPR (Revolutionäres Volksheer) – die Ausschreibung für die Konzessionierung der Eisenbahn verschoben wurde. Jetzt scheint es allerdings ernst zu werden.

„Bora Fuera!“

Wohl nirgendwo sonst auf der Welt würde ein nationaler Fußballverband auf die Idee kommen, einen Trainer zu entlassen, der seine Mannschaft ohne Niederlage und als Gruppenerster zur WM-Teilnahme führt. Auch schwer vorstellbar ist es, daß sechs Monate vor Beginn der WM ein Teamchef, der seit über zwei Jahren die Elf leitet und bereits bei drei Weltmeisterschaften dabei war, seines Amtes enthoben wird. Und geradezu unglaublich mutet es an, wenn sein Nachfolger jener Manuel Lapuente ist, der bereits 1991 die Nationalmannschaft coachte und nach einer historischen 0-5 Niederlage gegen die USA geschaßt wurde. Inwieweit die Konzernbosse des TV-Giganten Televisa – immerhin Besitzer der erfolgreichen Erstligaclubs América, Necaxa und Atlante – bei diesem Deal ihre Hände im Spiel hatten, bleibt aber bis auf weiteres Spekulation. Denn gerade in Mexiko ist Korruption kein unbekanntes Wort.
Erfolg wird auch in Mexiko groß geschrieben. Doch während sich europäische Teams und deren KritikerInnen trotz leidlicher Leistungen ihrer Spieler mit positivem Punkte- und Torekonto – Hauptsache der Tabellenstand stimmt – zufriedengeben, werden in Mexiko die Akzente anders gesetzt. Siege müssen her, und nur deren Höhe zählt. Diese Tatsache mit sportlichem Ehrgeiz zu verwechseln, wäre fatal. Schließlich geht es dabei nur zu einem kleinen Teil um das weltweit oft zitierte Ziel, den ZuschauerInnen für das teure Eintrittsgeld ebenbürtige Leistungen zu bieten. Vielmehr offenbart sich in der jetzigen Situation ein durch und durch unangenehmer Chauvinismus. In diesem Sinne waren die Gründe für die Entlassung Boras auch nicht der mangelnde Erfolg, sondern die Tatsache, daß die karibischen, zentral- und US-amerikanischen Kontrahenten nicht deutlich genug in die Schranken verwiesen wurden. So wurde dem mexikanischen Teamchef noch immer das an der Eitelkeit der mexikanischen Nation zehrende 5-1 gegen die St. Vincent Islands 1996 vorgehalten. Zum ersten Mal wurden die Kariben nicht zweistellig nach Hause geschickt und, was noch viel schlimmer ist, sie schossen im Azteken-Stadion sogar ein Tor.

2:2 in Kanada

Nach der durch Niederlagen in Honduras und Jamaica verkorksten Zwischenrunde, schien für Bora und seine Equipe alles planmäßig zu laufen. Deutliche Heimsiege über Kanada (4:0), Jamaica (6:0) und El Salvador (5:0) versöhnten das Publikum. Auch die Auswärtsspiele in Costa Rica (0:0), den USA (2:2) und El Salvador (1:0) konnten sich sehen lassen. Dann ging es am 12. Oktober zum Gastspiel ins Commonwealth-Stadion nach Edmonton. Auf gefrorenem Boden gelang Mexiko ein 2:2 Unentschieden gegen Gastgeber Kanada und damit die WM-Qualifikation. Doch im eigenen Land war von Freude keine Spur. „Schande“ titelten die Zeitungen, da ein Punkt an den Tabellenletzten abgegeben worden war.

0:0 gegen die USA

Am 2. November, dem „Tag der Toten“, empfing Mexiko im mit rund 100.000 ZuschauerInnen nicht ganz ausverkauften Azteken-Stadion die USA. Nach einem munteren Beginn entwickelte sich das Spiel zu einem katastrophalen Kick. Die USA zogen sich nach einem Platzverweis ihres Verteidigers Jeff Agoos in die eigene Hälfte zurück. Rund eine Viertelstunde vor Schluß wurde es dann plötzlich laut im Stadion. Das Publikum war aus der Lethargie erwacht, die Stimmung drehte sich. Mit frenetischem Beifall wurden alle Aktionen der Gäste beklatscht, während jeder Ballkontakt der mexikanischen Spieler ein gellendes Pfeifkonzert nach sich zog. Die „Bora Raus“-Chöre waren unüberhörbar.

3:3 gegen Costa Rica

Nur eine Woche später sollten die ZuschauerInnen für die desolate Vorstellung entschädigt werden. Doch nur 60.000 Menschen strömten in das gigantische Betonmonument in Mexiko-Stadt, um das vorletzte WM-Qualifikationsspiel gegen Costa Rica live mitzuerleben. Am Ende gab es das erste Unentschieden überhaupt, das die „Ticos“ in Mexiko erreichten, eine Tatsache, die ebenfalls Bora angekreidet wurde.

0:0 in Jamaica

Das letzte Spiel hatte für Mexiko, das als Gruppensiegerschon feststand, nur noch statistischen Charakter. Die USA hatten sich durch einen 3:0 Auswärtssieg in Kanada qualifiziert. Somit blieb am letzten Spieltag der CONCACAF-Gruppe nur noch offen, ob Jamaica oder El Salvador nach Frankreich fahren würden. Die weitaus besseren Chancen besaßen die Spieler aus der Karibik, da sie in der Vorwoche dem direkten Konkurrenten in San Salvador ein 2:2 abgetrotzt hatten. Diese spannungsgeladene Begegnung war zwar vorentscheidend, theoretische Chancen besaßen die Zentralamerikaner jedoch weiterhin. Aber trotz einer bravourösen kämpferischen Leistung – nach einem 0:3 Halbzeitrückstand kamen sie auf 2:3 heran – verlor El Salvador mit 2:4 in den USA. Gleichzeitig erspielten sich Jamaica und Mexiko in Kingston ein unansehnliches 0:0. Mexiko wollte nicht verlieren, Jamaica benötigte einen Punkt, die Taktik bestimmte das Spiel. Ob schön gespielt oder nicht, in Kingston herrschte Karnevalsstimmung. Nach Kuba 1938 und Haiti 1974 ist Jamaica nun das dritte Land der Karibik, das an einer Fußball-WM teilnimmt.
Das 0:0 in Kingston bedeutete für Mexiko, die Endrunde der CONCACAF ohne Niederlage beendet zu haben, für Bora jedoch das Aus. Am 25. November wurde er gefeuert. Wie sinnvoll diese Entscheidung war, wird sich zeigen. Denn eins ist sicher. Kaum ein Trainer der Welt hat derartig viel Erfahrung mit WM-Turnieren wie Bora Milutinovic. 1986 erreichte er mit Mexiko die zweite Runde und scheiterte erst im Elfmeterschießen an der BRD. 1990 – Mexiko war von der FIFA wegen Fälschungen von Spielerpässen gesperrt worden – gelangen ihm mit Costa Rica spektakuläre Siege über Schottland und Schweden, und seine Mannschaft scheiterte erst – allerdings mit 1:5 deutlich – an der CSFR. 1994 führte er Gastgeber USA nach einem historischen 2:0 Sieg über Kolumbien in die zweite Runde. Der 53-jährige Manuel Lapuente, 1995 und 1996 zweimaliger mexikanischer Meister mit Necaxa, hat ein schweres Erbe angetreten.

Den arbeitenden Kindern nützt nur, was sie selbst wollen

In Lateinamerika, Westafrika und Südostasien sind seit einigen Jahren Organisationen arbeitender Kinder im Entstehen. Ihre Vorstellungen und Forderungen zur Kinderarbeit decken sich oft nicht mit dem, was Regierungen und internationale Organisationen wie ILO und UNICEF verkünden. Vor allem wenden sie sich dagegen, jede Arbeit von Kindern in Bausch und Bogen zu verdammen und abschaffen zu wollen. Statt dessen verlangen sie, Armut und Ausbeutungsverhältnisse ins Visier zu nehmen und die Kinder dabei zu unterstützen, bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen und in Würde und freier Entscheidung arbeiten zu können. Die Kinder wollen weiter ihre Familien unterstützen und eine aktive anerkannte Rolle in ihren Gesellschaften spielen.
Die Osloer Konferenz näherte sich ein Stück weit den Vorstellungen der Kinderorganisationen, indem sie sich auf die besonders ausbeuterischen und riskanten Formen der Kinderarbeit konzentrierte. Sie blieb aber meilenweit von den Erwartungen der Kinder entfernt, indem sie die internationalen und strukturellen Ursachen der Ausbeutung von Kindern ignorierte und sich wie eh und je auf gesetzliche Verbote und Boykottappelle kaprizierte. Eine neue Strategie, die wirklich den arbeitenden Kindern zugute käme und ihre Situation verbesserte, kam auf der Osloer ILO-Konferenz nicht in Sicht.
Die 300 MinisterInnen und ExpertInnen von ILO, UNICEF, Gewerkschaften, Unternehmensverbänden und Kinderhilfsorganisationen, die sich auf der Konferenz die Köpfe heiß redeten, duldeten sage und schreibe drei (3) handverlesene Kinder unter sich und störten sich auch noch daran, daß die anderen ihr Forum verließen und vor der Tür ihrer luxuriösen Konferenzstätte demonstrierten. In Oslo waren es vor allem einige Gewerkschaften und Regierungen, die sich die Mitwirkung und Kritik der Kinder verbaten.
Ihre Sturheit und Arroganz wurde selbst innerhalb der UNICEF, die die Konferenz mitveranstaltete, mit Empörung quittiert. Immerhin: In einem Brief an die norwegische Regierung erklärte Bill Myers, einer der profiliertesten UNICEF-Experten zur Kinderarbeit:
„Allein pragmatische Erwägungen erfordern, die arbeitenden Kinder gerade in dem Moment, in dem wir Maßnahmen zu ihrem Schutz beschließen, mitwirken zu lassen und uns ihnen zu stellen. Jedes Mal mehr erkennen die Experten, daß ein wirksamer Schutz der Kinder gegen den Mißbrauch am Arbeitsplatz nicht von oben gegen den Willen der Bevölkerung dekretiert werden kann, vor allem in Ländern mit einem hohen Anteil armer Familien, deren Kinder mehrheitlich in der Landwirtschaft, im Haushalt und im informellen Sektor arbeiten.“
In Oslo wurde die Chance verpaßt, neue Wege im Kampf gegen die wirtschaftliche Ausbeutung und den sozialen Ausschluß zusammen mit den direkt betroffenen Kindern zu suchen. Um so wichtiger ist es, die Kritik, Vorschläge und Forderungen der sich organisierenden Kinder selbst einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

KASTEN

Erklärung des V. lateinamerikanischen und karibischen Treffens
arbeitender Kinder an die internationale Gemeinschaft

Für Arbeit in Würde und eine Gesetzgebung, die uns schützt und anerkennt

Die VertreterInnen der Bewegungen und Organisationen arbeitender Kinder Lateinamerikas und der Karibik (NATs) sowie anwesende VertreterInnen der arbeitenden Kinder Afrikas und Asiens, die sich auf dem V. lateinamerikanischen und karibischen Treffen aller organisierten arbeitenden Kinder versammelt haben, geben hiermit im Namen von weiteren Millionen von arbeitenden Kindern dieser Regionen folgende Erklärung an die internationale Öffentlichkeit ab:
Die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen hat für uns Kinder die Rechte, angehört zu werden (Art. 12), uns zu organisieren (Art. 15) und beschützt zu werden (Art. 32) festgelegt. In unserem tagtäglichen Leben, in unserer Arbeit, in unseren Organisationen und auf diesem lateinamerikanischen Treffen haben wir NATs jedoch feststellen müssen, daß diese Rechte nicht ausreichend sind, denn sie werden in der Praxis nicht respektiert.
Man hört uns an, aber man berücksichtigt unsere Ansichten nicht. Man gibt uns das Recht, uns zu organisieren, aber unsere Organisationen arbeitender Kinder und Jugendlicher werden nicht anerkannt. Man „beschützt“ uns, aber man läßt uns nicht an der Ausarbeitung solcher „Schutz“programme mitwirken. Unsere Organisationen kämpfen Tag für Tag für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen, für unsere Rechte auf angemessene und qualitativ gute Ausbildung, für bessere Gesundheitsbedingungen, für Möglichkeiten, uns versammeln zu können, um gemeinsam Aktionen durchzuführen, das heißt dafür, in unserem Leben selbst die Protagonisten zu sein und in unseren Gesellschaften als soziale Subjekte anerkannt zu werden. Unsere Organisationen haben sich als die beste Art erwiesen, uns vor Ausbeutung, schlechter Behandlung und der Geringschätzung durch die Gesellschaft zu schützen. Innerhalb unserer Organisationen fühlen wir uns als würdige, fähige und vollwertige Personen und empfinden Stolz für unsere Arbeit. Hier bilden wir uns und finden Raum für Solidarität und für die Erarbeitung von Vorschlägen für Alternativen zum bestehenden System von Armut und Gewalt, das für uns unzumutbar ist.
Damit unsere Meinungen ernstgenommen werden, müssen unsere Organisationen auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene rechtlich voll anerkannt werden. Unsere demokratisch gewählten VertreterInnen müssen in allen lokalen, nationalen und internationalen Gremien mitreden und mitwählen können, in denen über Politik, die die Kinder und die Arbeit betrifft, entschieden wird, wie in der Bildungspolitik, der Arbeitspolitik sowie bei Plänen zur sozialen Absicherung und Gemeindeentwicklung. Die Präsenz der NATs innerhalb dieser Gremien gemeinsam mit Delegierten anderer sozialer Organisationen ist die beste Garantie im Kampf gegen Ausbeutung, Armut und Ausgrenzung und ein großer Schritt zur Durchsetzung der Menschenrechte. Wir NATs aus Lateinamerika und der Karibik wie auch unsere Freunde aus Afrika und Asien verstehen uns als ProduzentInnen DES LEBENS, angesichts der Kultur des Todes, die uns jegliche Rechte und unsere volle Eingliederung in die Gesellschaft verwehrt. Dies nicht anzuerkennen bedeutet, uns noch weiter als jetzt schon auszugrenzen. Gleichzeitig von Bürgerrechten zu uns zu sprechen, ist ein Hohn.
JA zur Arbeit in WÜRDE, NEIN zur Ausbeutung!
JA zur Arbeit unter SCHUTZ, NEIN zu schlechter Behandlung und Mißbrauch!
JA zu ANERKANNTER Arbeit, NEIN zu Ausschluß und Ausgrenzung!
JA zu Arbeit unter MENSCHLICHEN BEDINGUNGEN, NEIN zu unwürdigen Bedingungen!
JA zum RECHT, IN FREIHEIT ZU ARBEITEN, NEIN zur Zwangsarbeit!
Huampaní, Lima (Peru), 6.–9. August 1997
VertreterInnen der Bewegungen arbeitender Kinder: aus der Region Südamerika: Argentinien, Paraguay, Uruguay; aus der Andenregion: Kolumbien, Chile, Ecuador, Peru, Venezuela; aus Mittelamerika und der Karibik: Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua, Dominikanische Republik.
Übersetzung: Jutta Pfannenschmidt und Manfred Liebel

Recht auf Land und Freiheit

Zum ersten Jahrestag des Massakers von Eldorado dos Carajás verstopften zehntausende landloser Bäuerlnnen die Straßen Brasilias, um ihren Schrei nach Gerechtigkeit in die Regierungsviertel zu tragen. Wieder einmal wurde deutlich: Es bleibt unruhig auf dem Lande in Lateinamerika. Allein in Brasilien waren zwischen 199 1 und 1995 pro Jahr zwischen 180.000 und 550.000 Bäuerlnnen in Landrechts- kämpfe verwickelt. Die Zapatistas legten ihren Aufstand in Chiapas auf den ersten Tag der Nordamerikanischen Freihandelszone und sprachen damit all jenen Bewegungen aus dem Herzen, die sich in diesem Kampf engagiert haben. Bei aller Unterschiedlichkeit der nationalen Kon-texte zieht sich ein roter Faden durch die Auseinandersetzungen: Es geht darum, das neoliberale Dogma des Endes der Agrarreform zu behindern, verhindern oder, im besten Falle, zu überwinden. Nicht alle Konflikte haben die gleiche internationale Be-achtung gefunden, wie sie zunächst der zapatistischen Erhebung und derzeit der brasilianischen Landlosenbewegung zuteil werden. Viele kleinere und größere Organisationen versuchen auch in anderen Staaten, den Agrarreformprozeß wie-der in Gang zu bringen. Die erreichten Erfolge jedoch sind gering. In Brasilien erhielten trotz der enormen Proteste zwischen 1990 und 1996 gerade mal 80.000 Familien Land. Das ist im Blick auf die insgesamt 4,8 Millionen landlosen Familien zynisch, und angesichts der von der staatlichen Agrarbehörde bezifferten 100 Millionen Hektar brachliegen-den Landes eine unglaubliche Unverschämtheit. In Honduras hat das Agrarmodernisierungsgesetzbeispielhaft und konsequent die Strukturanpassung des Agrarsektors umgesetzt. Trotz des massiven Widerstands der kritischen Bauern- organisationen und den inzwischen nachweisbaren katastrophalen Effekten der Agrarmodernisierung ist es bisher noch nicht gelungen, das Gesetz grundlegend zu revidieren. In EI Salvador werden nach mehreren Jahren zähen Ringens nun Ländereien der zweiten Agrarreformphase enteignet und an Landlose übertragen werden -zehn Jahre später als es die Verfassung vorsah. In Guatemala eröffnet das Friedensabkommen zwar neue Perspektiven, ein umfassendes Agrarreformprogramm aber ist nicht in Sicht, Doch wie soll es zu Frieden und einer ländlichen Entwicklung kommen, die diesen Namen verdient, in Staaten, in denen ein Drittel bis die Hälfte der bäuerlichen Bevölkerung ohne ausreichend Land und ohne permanente Arbeit ist? Zehn Jahre nach Beginn des zentralamerikanischen Friedensprozesses in Esquipulas herrscht ein „Frieden ohne Gerechtigkeit”, den insbesondere die arme Landbevölkerung in unruhig knurrenden Mägen spürt: Hungern in Freiheit?
Das Menschenrecht auf Land
Landrechtskämpfe gehen in den meisten Fällen mit Menschenrechtsverletzungen einher. Allein in dem Konflikt um die Hacienda Bellacruz in Kolumbien wurden 1996 über 30 Bäuerlnnen umgebracht. 199 1 wurden nach Angaben der brasilianischen Land- pastorale 287 Menschen bei Landkonflikten getötet. Allerdings sind es keineswegs nur die bürgerlichen und politischen Menschenrechte, die immer wieder mißachtet werden. Viel häufiger und systematischer sind die Verletzungen der wirtschaftlichen und sozialen Rechte, insbesondere des Menschen-rechts, sich zu ernähren. Die meisten Staaten Lateinamerikas haben den internationalen Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte ratifiziert. Ihre Pflicht, die darin anerkannten Rechte zu achten, zu schützen und zu gewährleisten, haben sie in vielen Fällen jedoch chronisch mißachtet. Vielmehr haben die Regierungen oft selbst im Zuge von Staudammbauten oder Erz-und Goldabbauprojekten Bauernfamilien vertrieben und so ihrer Ernährungsbasis beraubt. Oder sie haben, statt ihrer Schutzpflicht gegenüber diesen Gruppen nach-zukommen, transnationalen Bananen-oder Olkompanien bei der Vertreibung indigener oder anderer bäuerlicher Gemeinschaften assistiert. Der Pakt jedoch impliziert, daß die Regierungen den Armen per Agrarreformen den größtmöglichen Zugang zu produktiven Ressourcen ermöglichen müßten. Denn ohne ausreichend Land, bezahlbare Kredite oder permanente Arbeit können sich die Bäuerlnnen nicht ernähren.
Der enge Zusammenhang zwischen den bekannteren bürgerlichen und politischen und den lange Zeit fast vergessenen sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechten wird gerade bei Landkonflikten sehr deutlich. Als ich vor zwei Jahren an den Gräbern dreier Bauern stand, die bei einem Landkonflikt in Honduras umgebracht worden waren, bat ich die Über-lebenden dringend darum, von einer Wiederbesetzung des Landes abzusehen. Ich hatte die Bewaffnung und Entschlossenheit der Soldaten gesehen, die das umstrittene Landstück zu verteidigen hatten. Darauf reagierte Manuel, einer der hageren Landlosen mit einem bitteren Satz: „Es gibt Schlimmeres als zu sterben: die Kinder jeden Tag hungrig im Dreck spielen sehen zu müssen.” Für diese Menschen sind in der Tat die Landkonflikte zentraler Kristallisationspunkt eines Kampfes für ihre fundamentalen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rechte, die für ein Leben in Würde unentbehrlich sind.
Wesentlich ernster als ihre Verpflichtungen gegenüber den Menschenrechtspakten nehmen die
Regierungen die Auflagen, an die internationale Finanzinstitutionen ihre Kreditvergabe knüpfen. Neoliberale Strukturanpassungspolitiken bilden seit Jahren den wesentlichen strukturellen Rahmen für die Liberalisierung der nationalen und internationalen Agrarmärkte sowie die Privatisierung der Dienstleistungen im Kredit-und Beratungsbereich. Neoliberale Logik beherrscht auch den Zugang zu Land. Land wird als Ware wie jede andere gesehen, die gekauft und verkauft wird. Enteignungen mit der Begründung, daß das Eigentum eine soziale Funktion erfüllen soll, sind dieser Ideologie fremd. Dagegen wirkt das Postulat: „Das Land denen, die es bebauen”, geradezu archaisch. Im Zeichen der sogenannten Agrarmodernisierung besteht kein Zweifel mehr. Statt: „La tierra para quien la trabaja” heißt es nun: „La tierra para quien la puede comprar”, das Land denen, die es kaufen können. Dieses Dogma ist exklusiv. Wer von diesen Millionen landlosen Bäuerlnnen verfügt über das nötige Kapital zum Kauf von ausreichend Land? Für sie ist das neoliberale Modell weder theoretisch noch praktisch eine Option. Diese Menschen interessieren nicht, denn ihre Kaufkraft ist gleich null.
Wenn aber Regierungen auf diese Weise große Teile der bäuerlichen Bevölkerung von der Teilhabe an ländlicher Entwicklung ausschließen, dann ist dies nicht nur aus volkswirtschaftlichen und moralischen Gründen problematisch. Es ist vor allem ein massiver und systematischer Verstoß gegen die Menschenrechte genau dieser Bevölkerungsgruppen. Dieser Aspekt ist bisher bei den Diskussionen über Agrarreform und Strukturanpassung in Lateinamerika viel zuwenig beachtet worden. Dabei eröffnet eine menschenrechtliche Begründung der Notwendigkeit von Agrarreformen in Lateinamerika enorme Chancen, besonders im Zeichen und im Kontrast zum herrschenden neoliberalen Dogma.
Ich plädiere dafür, den Kerngehalt des Rufs nach Land und Freiheit in menschenrechtlicher Perspektive neu zu entdecken und für die Solidaritätsarbeit zu operationalisieren. Land und Freiheit, das war nie nur ein Stückchen Land und ein Stückchen Freiheit. Land war immer mehr, der Schrei nach Land verdichtete immer eine übergreifende, fundamentale Forderung nach den Grundlagen einer menschenwürdigen Existenz.
Land bedeutet Leben, ganz und gar nicht nur für indigene oder andere bäuerliche Gemeinschaften, auch wenn diese am ehesten um das Geheimnis wissen. Land ist für viele Garant ihrer Ernährungssicherheit und somit für Würde und Unabhängigkeit. Land ist für viele Garant der Freiheit. Freiheit wiederum bedeutete nie nur, frei zu sein von politischer Repression. Freiheit war immer auch ein Kampfbegriff gegen wirtschaftliche, soziale und kulturelle Unterdrückung. Freiheit von Angst und Freiheit von Not sind zwei Seiten derselben Medaille.
Wer heute für eine neue Debatte über Agrarreformen plädieren will, knüpft an der langen Tradition des Kampfes für Land und Freiheit an. Es bleibt die Vision, daß den „verdammten Bäuerlnnen dieser Erde” eine Zukunft ohne Unterdrückung gebührt. Es bleibt die Verpflichtung, die wir Engagierten gegenüber denjenigen mutigen Menschen empfinden, die ihren Einsatz für Recht und Gerechtigkeit mit Repression und Mord quittiert bekommen haben. Auch die Anklage der noch immer himmelschreienden Besitzverhältnisse auf dem Lande Lateinamerikas muß bleiben. Die altbekannten volkswirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Argumente zur Begründung von Agrarreformen sind nach wie vor gültig, worauf auch Senghaas in einer unlängst veröffentlichten Polemik „gegen den entwicklungspolitischen Gedächtnisschwund” hingewiesen hat.
Agrarreform als Staatenpflicht
Neuere einleuchtende Argumentationslinien sind in den letzten Jahren nicht nur in menschenrechtlicher, sondern auch aus feministischer und ökologischer Perspektive formuliert worden. Die honduranischen Bäuerlnnenorgansiationen etwa haben immer wieder darauf hingewiesen, daß die im Agrarmodernisierungsgesetz festgelegte Gleichberechtigung der Frauen bei der Übertragung von Agrarreformland Makulatur geblieben ist, da dasselbe Gesetz den gesamten Agrarreformprozeß zum Still-stand gebracht hat. Wenn kein Land mehr zu verteilen ist, gibt es auch keines für die Frauen. Die fortschreitende Erosion und Entwaldung hängen in den meisten Ländern mit der Frage des Landbesitzes zusammen. Dies zeigen nicht nur die hemmungslosen Abrodungen riesiger Forstgebiete durch private Firmen und Großgrundbesitzer. Auch an der prekären Lage der kleinen Parzellenbauern, die mangels Alternative landwirtschaftlich kaum nutzbare Hänge oder Flächen bewirtschaften, wird deutlich: Eine ökologisch nachhaltige, ländliche Entwicklung in Lateinamerika ist ohne grundlegende Re-formen der Grundbesitzstruktur nicht denkbar. Die angedeuteten feministischen, ökologischen und menschenrechtlichen Argumentationslinien sollten dringend weiter analysiert und debattiert werden.
Solange neoliberale Agrarpolitiken in Lateinamerika Millionen von Bäuerlnnen von der Teilhabe an der wirtschaftlichen Entwicklung ausschließen, ist das nicht nur ein moralisches, sondern auch ein rechtliches Problem. Die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Menschenrechte genau dieser besonders gefährdeten Gruppen werden aufgrund fehlender oder falsch priorisierter staatlicher Politiken nicht verwirklicht.
Damit verletzen die Staaten ihre völkerrechtlich verankerten Achtungs-, Schutz-und Gewährleistungspflichten, die sie sich mit der Ratifizierung des Paktes für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte gegenüber diesen Menschenrechten zueigen gemacht haben. Die Staatenpflichten gegenüber dem Menschenrecht auf Nahrung, das in Artikel I I des Paktes anerkannt wird, implizieren in Ländern mit hohem Anteil landloser Bauernfamilien und gleichzeitig hochgradig ungleichen Grundbesitzstrukturen eine Reform der landwirtschaftlichen Systeme. Der UN-Ausschuß, der über die Einhaltung der wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte wacht, hat in seinen Leitlinien und Beratungen über Staatenberichte immer wieder darauf hingewiesen: Die Regierungen müssen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln dafür sorgen, daß gerade die ernährungsunsicheren Gruppen, Landlose, kleinbäuerliche Familien, indigene Gemeinschaften und in jeder dieser Gruppe besonders die von Frauen allein geleiteten Haushalte, ausreichend Zugang zu den produktiven Ressourcen bekommen müssen, die sie für eine würdige Existenz benötigen.
etwa, die nicht umgesetzt wer-den, sind von dem UN-Ausschuß wiederholt als Verletzungen des Menschenrechts auf Nahrung angeprangert worden.
Perspektiven für die Solidaritätsarbeit
Offensichtlich ist der Kampf um Land und Freiheit in Lateinamerika ein Kampf für die Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, bürgerlichen und politischen Menschenrechte. Um es pointiert zu sagen: Die meisten Landlosenorganisationen sind in diesem Sinne immer auch Menschenrechts- organisationen. Und oft genug ist ihnen noch kaum bewußt, daß sie -nicht erst wenn einer ihrer Sprecher verhaftet, gefoltert oder ermordet wird -durch die menschenrechtliche Dimension ihres Kampfes ganz neue und völkerrechtlich fundierte Argumentationslinien nutzen könnten, um die Regierungen im Blick auf Agrarreformen in die Pflicht zu nehmen. Auch die Menschenrechts-und entwicklungs- politischen Nichtregierungsorganisationen stehen erst am Anfang einer großen, noch zu führenden Debatte. So auch die Solidarität hier.
Die sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte sind nicht nur in Lateinamerika gleichzeitig eine Kontrastvision und Kriterien für harte Kritik neoliberaler Politiken. Sie eröffnen auch Perspektiven für die Solidaritätsarbeit, nicht nur, aber gerade auch im Blick auf die Unterstützung von Agrarreformforderungen. Sowohl im Blick auf unsere Bildungs- und offentlichkeitsarbeit hier wie auch auf unsere materielle und politische Unterstützung sozialer Bewegungen dort sind viele neue Möglichkeiten denkbar, wenn wir die Perspektive der sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte durchbuchstabieren.
Viele von uns haben ihre Solidaritätsarbeit zu Lateinamerika mit konkreten Offentlichkeits- und Unterstützungsmaßnahmen zur Situation der bürgerlichen und politischen Menschenrechte in Zeiten der Diktaturen und politischen Repression begonnen. Menschenrechte werden, das scheint eine durchgängige erkenntnistheoretische Erfahrung zu sein, immer dann entdeckt, wenn sie massiv negiert werden. In Zeiten der politischen Repression sind es vor allem die bürgerlichen und politischen Rechte, die im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Heute sind es die sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte, die im Zeichen der neoliberalen Strukturanpassung und Agrarpolitiken, in Zeiten des Friedens ohne Gerechtigkeit, immer mehr in den Vordergrund treten. Angesichts der Koexistenz demokratisch legitimierter Regimes und wachsender Verelendung großer Bevölkerungsteile ist es Zeit, für das Recht auf Land und Freiheit, für eine neue Debatte über die Notwenigkeit von Agrarreformen in Lateinamerika die Stimme zu er-heben. Die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Menschenrechte der ländlichen Armen Lateinamerikas dürfen nicht länger mit Füßen getreten werden.

Martin Wolpold
Lateinamerikareferent der deutschen Sektion von FlAN (FoodFirst Informations-und Aktions-Netzwerk), internationale Menschenrechtsorganisation für das Recht, sich zu ernähren.

Freisetzungen in Lateinamerika

Die offizielle Chronologie der Freisetzungen transgener Organismen beginnt 1986 mit dem Anbau genmanipulierter Tabakpflanzen in Frankreich und den USA. 1986 ist auch das Jahr des ersten Freisetzungsskandals: Das US-amerikanische Wistar Institute testete in Argentinien einen rekombinanten Virus-Impfstoff an Kühen, ohne daß argentinische Behörden oder die beteiligten LandarbeiterInnen, von denen einige infiziert wurden, darüber informiert worden waren.
Im folgenden Jahr wurde in Chile erstmals mit herbizidresistentem Raps eine gentechnisch veränderte Pflanze freigesetzt, vermutlich die weltweit erste Freisetzung von transgenem Raps überhaupt. Freisetzungen transgener Organismen erfolgten in Lateinamerika bis 1994 in größerem Umfang als in europäischen Staaten, Informationen darüber gibt es jedoch kaum. Bis 1995 war gerade ein halbes Dutzend von Darstellungen bekannt, die auch die Freisetzungssituation in der sogenannten Dritten Welt berücksichtigten. Sie wurden entweder von Personen verfaßt, die Zugang zu der Freisetzungsdatenbank der Green Industry Biotechnology Platform (GIBiP) hatten, einem Zusammenschluß von einigen in der Pflanzengentechnik aktiven Unternehmen. Oder sie beruhten auf Untersuchungen und Erhebungen von Nichtregierungsorganisationen wie Friends of the Earth, Greenpeace oder GRAIN (Genetic Resources Action International). Aus den Materialien dieser Gruppen wurde deutlich, daß die in den Ländern des Südens durchgeführten Freisetzungen in der Regel ohne rechtliche Bestimmungen und vielfach ohne Kontrollen erfolgten und weiterhin erfolgen.

Was ist eine Freisetzung?

Freisetzungen sind gezielte Ausbringungen von gentechnisch veränderten Organismen in die Umwelt. Freigesetzt werden einerseits transgene Pflanzen, um im Feldversuch die im Labor und im Gewächshaus gefundenen Ergebnisse unter Freilandbedingungen zu testen (Freisetzungsversuche oder -experimente). International wird aber auch, abweichend von den Definitionen des deutschen Gentechnikgesetzes, das zwischen Freisetzung und Inverkehrbringen unterscheidet, der kommerzielle Anbau von transgenen Pflanzen als Freisetzung bezeichnet. Während vermutlich die meisten Freisetzungen (noch) Freisetzungsexperimente sind, ist der kommerzielle Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen in Ländern wie Argentinien (Anbau von herbizidresistenten Raps- und Sojapflanzen) und Mexiko (Anbau der FlavSavr-Tomaten, herbizidresistenten Raps- und Sojapflanzen und von insektenresistenten Kartoffeln und Baumwolle) schon seit 1995 Realität.

Welche Freisetzung wird bekannt?

Anfang 1996 publizierte das Deutsche Umweltbundesamt (UBA) eine Studie zur „Gentechnik in Entwicklungsländern“. Diese UBA-Studie liefert die derzeit umfangreichste und differenzierteste Übersicht über Freisetzungen transgener Pflanzen in Entwicklungsländern. Die im Oktober 1995 abgeschlossene Übersicht des Umweltbundesamtes liefert vor allem für die Region Lateinamerika und Karibik ausführliche Informationen über Freisetzungen in 11 Staaten. Dabei benennt sie für jede Freisetzung das Land, die Pflanze, die Art der genetischen Manipulation, den Zeitpunkt der Genehmigung und Durchführung, den oder die Durchführenden, und sie bewertet die Aussagesicherheit der Quelle. Außerhalb dieser Region werden Freisetzungen in Indien und Thailand sowie in Ägypten und Südafrika erwähnt.
Auf der Grundlage der verfügbaren Informationen gelangt der Autor der UBA-Studie, André de Kathen, zu der Einschätzung, daß der Anteil der in oder von Entwicklungsländern durchgeführten Freisetzungen „bei unter 5 Prozent aller Freisetzungen weltweit“ liegen dürfte. Mit seiner Einschätzung liegt Kathen deutlich unter der Erhebung von James und Krattiger (1996), nach der acht Prozent der zwischen 1986 und 1995 durchgeführten Freisetzungen in den Entwicklungsländern stattfanden, davon 70 % in der Region Lateinamerika und Karibik, 21 % in Asien und 9 % in Afrika.
Nach Auskunft offizieller Stellen hat es in Brasilien, Kolumbien und Venezuela wie auch in Indonesien, Malaysia, Nigeria und auf den Philippinen bisher keine Freisetzungen transgener Pflanzen gegeben. Von diesen Ländern verfügte allerdings allein Brasilien über ein 1995 verabschiedetes Gesetz zur biologischen Sicherheit, so daß in den anderen Ländern die rechtliche Grundlage für die Anmeldung von Freisetzungen fehlte. Es ist daher nicht auszuschließen, daß Freisetzungen stattfanden, ohne daß staatliche Stellen davon in Kenntnis gesetzt wurden.
In Lateinamerika und der Karibik wurden zwischen 1987 und 1995 nach Kathen 137 Freisetzungen in 11 Ländern durchgeführt [1]. Die meisten Freisetzungen erfolgten in Argentinien (43 Freisetzungen), Puerto Rico (21), Mexiko (20), Chile (17) und Kuba (13). Weitere Länder mit bekanntgewordenen Freisetzungen sind: Costa Rica (8), Bolivien (5), Belize (4), Guatemala (3), Peru (2) und die Dominikanische Republik (1).
Vor allem fünf Pflanzen stehen im Vordergrund des Freisetzungsinteresses: Mais, Sojabohnen, Tomaten, Baumwolle und Kartoffeln. Damit weicht die Freisetzungssituation in der Region Lateinamerika und Karibik von der globalen vor allem hinsichtlich des unterschiedlichen Stellenwertes von Sojabohnen und Raps ab. Die Reihenfolge der weltweit am häufigsten freigesetzten Pflanzen führt nach James / Krattiger ebenfalls Mais (28 %) an, mit Abstand folgt Raps (18 %). Nach Kartoffeln und Tomaten (jeweils 10 %) finden sich die Sojabohnen mit 8 % erst auf Platz 5.

Woran wird geforscht?

Bei den insgesamt 137 für die Region Lateinamerika und Karibik dokumentierten Freisetzungen dominiert die Erforschung der Resistenz gegenüber Herbiziden (51) vor der gegen Insekten (30). In weiteren neun Fällen wurde auf beide Resistenzaspekte getestet. Bei zehn Freisetzungen ging es um Virusresistenz, während 20 die Veränderungen der Produktqualität zum Ziel hatten. Sieben Mal wurde mit Kälte- bzw. Frostresistenz experimentiert, die restlichen zehn Freisetzungen hatten andere gentechnologische Manipulationen zum Ziel.

Wer forscht?

Die oben genannten Freisetzungsversuche wurden vor allem von privaten Firmen durchgeführt: In 74 Prozent der Fälle waren es Unternehmen aus den Bereichen Chemieindustrie, Saatgut, Biotechnologie, Agrarhandel und Lebensmittelindustrie, die für die Freisetzung verantwortlich waren. Zwanzig Prozent der Freisetzungen wurden jedoch von den in der Region Lateinamerika und Karibik beheimateten internationalen Agrarforschungszentren oder von nationalen Forschungseinrichtungen (partiell auch von beiden gemeinsam) durchgeführt. Die Liste dieser Forschungseinrichtungen wird von dem staatlichen kubanischen Zentrum für Gen- und Biotechnologie (CIGB) mit insgesamt 13 Freisetzungen angeführt. Das Internationale Kartoffelforschungszentrum (CIP) setzte sechsmal transgene Kartoffeln frei – davon in vier Fällen gemeinsam mit dem bolivianischen landwirtschaftlichen Forschungsinstitut (IBTA). Das mexikanische Untersuchungs- und Studienzentrum (CINVESTAN) brachte in insgesamt fünf Fällen transgene Kartoffel-, Mais- und Tomatenpflanzen aus. Das Internationale Forschungsinstitut für Mais und Weizen (CIMMYT) wird mit zwei Mais-Freisetzungsversuchen aufgeführt, und das argentinische Photosynthese- und Biochemie-Zentrum (CEFOBI) war für zwei Freisetzungsversuche mit transgenem Mais und Weizen verantwortlich. In sechs Prozent der Fälle waren keine Angaben darüber verfügbar, wer die Freisetzungen veranlaßt hatte.

Trends in Lateinamerika und Karibik

Für die Region Lateinamerika und Karibik zeichnen sich nach den Daten der UBA-Studie die folgenden Trends bei den Freisetzungen ab:
1. Das Freisetzungsinteresse konzentriert sich auf die fünf Pflanzen Mais, Sojabohnen, Tomaten, Baumwolle und Kartoffeln, mit denen zusammen gut 80 Prozent der Freisetzungen durchgeführt wurden.
2. Herbizid- und Insektenresistenz sind die vorherrschenden Ziele der durchgeführten Freisetzungen, knapp zwei Drittel aller Freisetzungen wurde zu einem bzw. zu beiden Resistenzaspekten vorgenommen.
3. Nur zwanzig Prozent der Freisetzungen sind vom öffentlichen Sektor, d.h. von nationalen oder internationalen Agrarforschungseinrichtungen zu verantworten. Die überwiegende Zahl der Freisetzungen erfolgt durch oder im Auftrag von Konzernen des Agrobusiness. Unter ihnen dominieren die US-amerikanischen und nimmt das Chemie- und Gentechnikunternehmen Monsanto die Spitzenposition ein.
4. Die Kulturen, die Ziele und die Auftraggeber der Freisetzungen dokumentieren eindeutig, daß bei den durchgeführten Freisetzungen die Forschungsinteressen der Industrienationen im Vordergrund standen.

Anmerkung:
[1] Bei den aufgeführten Daten wurden Angaben über Puerto Rico (ist seit 1952 mit den USA assoziiert, ohne ein US-Bundesstaat zu sein) berücksichtigt. In Puerto Rico wurden 144 Freisetzungen durchgeführt. Nur die 21 genehmigten Freisetzungen wurden von uns erfaßt.

„Das Grundlegende ist die Einheit“

Gibt es schon einen Fall von Patentierung genetischer Ressourcen in Kolumbien?

Milton Santacruz: Herr Loren Miller, Mitarbeiter einer nordamerikanischen Gesellschaft, hat Yagué patentiert. Das bereitet uns Sorge. Yagué ist eine Medizinalpflanze, die von den Schamanen benutzt wird. In den indigenen Kulturen wird nicht unterschieden zwischen „das ist meins“ und „das ist unser“. Das Wissen ist immer kollektiv. Wenn sie uns sagen: „Yagué ist privatisiert“, können wir das nicht verstehen. Ein solcher Standpunkt kann bei uns konzeptionell gar nicht bestehen bleiben.

Wie sieht die Arbeit der indianischen Organisationen in bezug auf die kollektiven Eigentumsrechte aus?

Milton Santacruz: In unserer Kultur ist es ein persönliches Anliegen, die traditionellen Kenntnisse von den Weisen zu lernen. Sie möchten, daß dieses Wissen der Gemeinschaft zugute kommt und ihr auf diese Weise nutzt. Sie kann auf dieser Basis ihre Arbeit besser entwickeln. Für uns ist daher der zentrale Punkt, wie wir das traditionelle Wissen der indigenen Völker durch die Züchtung der Pflanzen, durch die Saatzucht und durch die Saatgutverbesserung garantieren und kontrollieren können.

Wie organisieren und verteidigen sich die indigenen Organisationen von Antioquia?

Milton Santacruz: In Antioquia arbeiten die indigenen Organisationen an einer Reglementierung. Wir entwickeln Kriterien, um „Nein“ zur Patentierung zu sagen. Wir haben uns eine Arbeit der Diskussion und Reflexion mit den Räten vorgenommen. Für uns gibt es das Interesse, über Biodiversität zu sprechen und auch über die Interessen der Multinationalen Konzerne. Uns wird eine Diskussion über die Biodiversität aufgezwungen, so, als sei es eine neue Sache. Obwohl bekannt ist, daß wir indigenen Gemeinschaften mit der Natur verbunden sind, sagt man uns jetzt :“Verteidigt die Biodiversität!“
Was uns die Weisen gesagt haben ist, daß wir die Wissenschaftler und die Kenner dieser Materie unterrichten müssen, denn sie haben es nicht fertiggebracht, hinreichend zu kontrollieren und wirklich das Wohlergehen in die Gemeinschaften zu tragen. Die Biodiversität zu vernachlässigen würde bedeuten, die Natur zu zerstören.
Es ist schwer hierüber zu arbeiten, denn die Gemeinschaft ist sich auch nicht klar darüber, was man unter Biodiversität versteht. Denn es ist in Wirklichkeit ein neuer Terminus, den zu diskutieren sie von uns erwarten.
Auf kolumbianischer Ebene wurde bei der Nationalen Indígena-Organisation Kolumbiens (ONIC) ein Büro für Biodiversität gegründet, um mit den regionalen Organisationen hierüber zu arbeiten. Weiterhin gibt es NROs die über die „Nicht Patentierung“ und über Fragen nach der Art der Reglementierung arbeiten. Wir haben an verschiedenen Seminaren teilgenommen, um die Konzeptualisierung dieser Frage für die indigenen Völker zu klären.

In welchem Sinne stärkt die Arbeit der Organisation die Räte?

Milton Santacruz: Wir haben festgelegt, daß die Forschungsarbeit nicht von einer Person durchgeführt wird, sondern kollektiv. Das Wissen, das wir gesammelt haben, wurde über Generationen zusammengetragen, daher kann es nicht privatisiert werden.

Welchen Raum nimmt diese Arbeit für die Organisationen ein?

Milton Santacruz: Es ist nicht die einzige Frage, die uns beschäftigt. Wir haben uns mit dem Staat auseinanderzusetzen, der Infrastrukturprojekte baut, mit Ölbohrungen und Holzkonzessionen auf unseren Territorien und auch mit den Wahlkampagnen. Wir befinden uns mit dem Rücken zur Wand. Das Grundlegende ist die Einheit, und daß wir Nein sagen zur Patentierung.

Das Schokoladenbonbon

Wenngleich kulinarische Vergleiche für sein Werk ziemlich abwegig sind, amüsierte sich Ak’abal köstlich darüber, weil doch eigentlich zum Ausdruck kommen sollte, daß seinen oft kurzen und lakonisch anmutenden Gedichten eine eindrucksvolle Vermittelbarkeit zueigen ist. Hier ein erstes Beispiel.

Ferne

In diesem kleinen Land
ist alles weit entfernt:

das Essen,
die Literatur,
die Kleidung.

Sein eigentlicher Name lautet Kaqulja Ak’abal und bedeutet in der Mayasprache Quiché “Sturm am Morgen”, aber bei der Geburtsmeldung erlaubte man damals – in “diesem kleinen Land” Guatemala – keinen indianischen Vornamen, sondern lediglich einen spanischsprachigen, der dann Humberto war. Humberto Ak’abal wurde 1952 in Momostenango, Provinz Totonicapán, geboren. Nach der Schulzeit schlug er sich erst mit einigen Gelegenheitsjobs durch, bevor er 1990 mit der Veröffentlichung seiner Gedichtbände beginnen konnte. Darunter befinden sich folgende Buchtitel: “Ajyuq’ – El animalero” (1990); “Guardián de la caída de agua” (1993); “Hojas del árbol pajarero” (1995); “Ajkem tzij – Tejedor de palabras”, zweisprachig, Quiché-Spanisch (1996); “Lluvia de luna en la cipresalada” (1996). Die Journalistenvereinigung Guatemalas APG erklärte seinen zweiten Gedichtband “Guardián de la caída de agua” zum Buch des Jahres 1993 und ehrte den Dichter mit dem Kulturpreis “Quetzal de Oro”.
Der fast neunzigjährige guatemaltekische Romancier und Sozialwissenschaftler Mario Monteforte Toledo eröffnete seinen Aufsatz mit dem Titel “Der Fall Ak’abal” in der Zeitschrift “Revista USAC/ letras” mit folgenden Worten: “Der Fall Ak’abal ist das größte Ereignis in der aktuellen Literatur Guatemalas. Der erste Maya-Dichter, der aus einem Volk kommt, das die Wörter verschluckt, weil ihm nach vier Jahrhunderten der Herrschaft von Schwert und Kreuz die Stimme geraubt wurde.”
Ak’abal schreibt in erster Linie für sich und sein Volk, daher auch die poetische Vermittelbarkeit, doch nicht allein in der Mayasprache, sondern auch in der spanischen Sprache, in die er seine Gedichte dann weiterübersetzt. Er fügt der Maya-Literatur, wozu das Schöpfungsbuch “Popol Vuh” und die archaische Maya-Poesie gehört, ein völlig neues Kapitel hinzu. Seine meditativen und lautmalerischen Gedichte sind in der zum Teil noch intakten Kulturtradition einer integralen Weltsicht der Maya-Nachfahren verankert, in der einst die Steine, Pflanzen und Bäume, Tiere und Menschen miteinander lebten, sprachen und träumten. Die zeitgenössische Poetik der Verse Ak’abals korrespondiert auf schlichte Weise mit dem zivilisatorischen Zeitsprung. Ak’abal zählt zu den Mitbegründern einer innovativen indigenen Poesie.

Poesie

Die Poesie ist Feuer,
das in einem brennt
und im anderen,

ansonsten wird es irgend etwas sein,
aber nicht Poesie.

Dieses poetische Phänomen kann man aber auch sonst in Lateinamerika beobachten, wenn man zum Beispiel nach Südchile schaut und die junge Poesie der Mapuche-Dichter, darunter Elicura Chihuailaf und Lorenzo Aillapán Cayuelo, kennenlernt.
Als Ak’abal im vergangenen Jahr beim VI. Internationalen Poesiefestival in Medellín im Theatersaal Camilo Torres der Universität von Antioquia vom stürmischen Applaus bei seiner Lesung – an einem Tisch mit Dichtern aus Bosnien-Herzegowina, Japan, Kolumbien und Brasilien – überrascht wurde, war er so stark bewegt, daß er kaum mehr weiterlesen konnte und schließlich seinen Gedichtband ins Publikum warf, um aufhören zu dürfen und sich wieder irgendwie zu sammeln. Aus dieser unerwarteten Erfahrung entstand sein folgendes Gedicht.

Verwirrung

Abdulah Sidran,
Marilia und Gozo Yoshimasu,
Henry Luque Muñoz,
Lindolf Bell
und ich.

Sprachverwirrung,
Vogelgestalten der Poesie,
Blumenregen

und 3.000 Rufe
im Saal “Camilo Torres”
der Universität
von Antioquia.

Harald Hartung, der in Berlin lebende Lyriker und Literaturprofessor, schrieb folgende Zeilen über Humberto Ak’abal: “Wir begegnen dem in der Mayasprache dichtenden Humberto Ak’abal. ‘Was ist das für ein Lärm?’ beginnt der ehemalige Schafhirte und Teppichweber ein Gedicht und hängt an die Antwort ‘Eine Uhr’ die listige Frage: ‘Wem ist so was bloß eingefallen?’ Ak’abals lakonisch-witzige Poesie besteht sehr wohl neben Antonio Cisneros, Haroldo de Campos und Alvaro Mutis.” (FAZ, 5.12.1996)

Ak’abal lebt heute in Momostenango und Guatemala-Stadt. Erste Gedichtproben von ihm wurden ins Französische, Englische, Italienische und auch ins Deutsche übersetzt und in Anthologien und Literaturzeitschriften veröffentlicht, hierzulande in: “Literaturmagazin”, “Chelsea Hotel” sowie “Das Gedicht”.

Frieden, aber wie?

Nach seinem Amtsantritt im Juni 1994 hatte Samper Carlos Holmes Trujillo, der den Friedensprozeß in Mittelamerika aus eigener Anschauung kennt, zum obersten Friedensberater ernannt. Aber nach der Krise um die Gelder der Mafia im Wahlkampf für Samper fiel die Friedensinitiative der Regierung in sich zusammen. Die Armeeführung weigerte sich, ein großes Gebiet im Südosten des Landes zu räumen, was die FARC als Vorbedingung für die Aufnahme von Verhandlungen genannt hatte. Der Präsident gab klein bei und verlangte wenig später nach einer militärischen Lösung. Das Amt des Friedensberaters blieb lange Zeit unbesetzt, aber das Büro mit seinen Mitarbeitern funktionierte weiter. Holmes Trujillo ist seit einigen Monaten Innenminister.
Im Juni hatte Präsident Samper nach der Übergabe der 70 von den FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) festgehaltenen Militärs angekündigt, daß innerhalb von 100 Tagen die Möglichkeiten für eine neue Friedensinitiative geprüft werden. Er schlug drei Themen vor, über die möglichst bald eine Einigung erfolgen soll: Entführungen (nach der kolumbianischen Presse gab es 1996 1.439 Fälle), Sprengungen von Ölpipelines (Schaden in den letzten sieben Jahren: 2 Mrd. US-Dollar) und Kinder als Kriegsteilnehmer.

Friedensprozeß und Vorwahlkampf

Im Oktober finden in Kolumbien Kommunalwahlen statt. Von den 1994 gewählten sind bisher 20 Bürgermeister und 226 Gemeinderäte ermordet worden. Die schon von früher bekannte Zunahme politischer Gewalt in der Vorwahlzeit zeigt sich auch dieses Mal wieder. Nach Regierungsangaben sind in rund 400 (nach anderen Quellen: 600) der über eintausend Gemeinden Guerillagruppen und in 450 Gemeinden Paramilitärs aktiv.
Zwischen 16.000 und 18.000 Frauen und Männer sollen in der Guerilla kämpfen. Der Krieg hat sich nach dem Analytiker Alfredo Rangel qualitativ verändert – von einem “klassichen” Guerillakrieg zu einem Bewegungs- und Positionskrieg. Die Rebellen treten zunehmend in größeren Verbänden auf. Gleichzeitig versuchen paramilitärische Gruppen mit etwa 5.000 Angehörigen, ihren Einfluß im Land auszudehnen, hinzu kommen Tausende Mitglieder legaler “Sicherheitskooperativen”, der sogenannte CONVIVIR (Asociaciones Comunitarias de Vigilancia Rural). Das Kriegsgeschehen und politischer Druck der verschiedenen Gewaltakteure haben die Zahl der intern Vertriebenen auf etwa eine Million anschwellen lassen.
Die These Alfredo Rangels, nur durch ein deutliches politisch-militärisches Auftreten könne die Guerilla zu Verhandlungen gezwungen werden, wird heftig diskutiert. Eduardo Pizarro von der Nationaluniversität widerspricht jedoch energisch. Rangel vernachlässige den internationalen Kontext wie den Fall der Mauer 1989 und die Friedensprozesse in Zentralamerika. Er vergesse, daß die Guerillagruppen durch ihre Aktivitäten ihre Feinde multiplizierten und dies zu einer Eskalation des Konfliktes auf einem immer höheren Niveau führe. Für den früheren Außenminister Ramírez Ocampo existiert in Kolumbien zwischen den beiden Seiten kein militärisches, wohl aber ein strategisches Gleichgewicht: Keine Seite könne die andere besiegen.
Im Juli legte die Regierung dem Kongreß einen Gesetzentwurf zur Einrichtung eines Nationalen Friedensrates vor. Dem Rat sollen rund 40 Mitglieder angehören, die eine breite Palette von staatlichen Stellen und gesellschaftlichen Kräften abdekken. Er soll u. a. die Regierung beraten, die Bevölkerung motivieren, Eigeninitiativen zu starten und jährlich dem Kongreß über den Friedensprozeß berichten. Als Hauptmotiv für die Einrichtung wird angeführt, der Friedensdialog müsse einer permanenten staatlichen Stelle anvertraut werden, die diese Arbeit unabhängig von den wechselnden Regierungen wahrnehmen soll. Gleichwohl soll das Gremium unter dem Vorsitz des Präsidenten tagen, und wichtige Vertreter der Regierung wie die Ministerien für Inneres, Verteidigung und Justiz wären vertreten.
Es wird nicht recht deutlich, wie dieser offenkundige Widerspruch – Beziehung zu Regierung und Staat – gelöst werden soll.
Die Skepsis gegenüber den Erfolgschancen der neuen Initiative ist groß, denn sie kommt am Ende der Amtszeit Sampers, in der die Regierung traditionell geschwächt ist. Das Ausmaß politischer Gewaltanwendung ist auch weiterhin hoch. Die Guerillagruppen arbeiten daran, ihren Einfluß über Teile des Landes zu konsolidieren. Es ist unklar, warum sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt in einen Friedensprozeß eintreten sollten.
Auch hat besonders die FARC deutlich gemacht, daß sie der Regierung Samper aufgrund der Drogengelder während des Wahlkampfes jegliche Legitimation abspreche. Ein FARC-Sprecher lehnte bereits die Initiative eines zivilgesellschaftlichen Friedensnetzes ab, eine Volksabstimmung für den Frieden im Oktober abzuhalten. Die Guerilla verlangt bei den Gemeindewahlen eine Stimmenthaltung. Eine größere Anzahl von Kandidaten wurde bereits entführt, einige von ihnen wieder freigelassen, andere ermordet.
Nur wenige Gründe sprechen für Erfolgschancen der Initiative. Mit der Zwangspensionierung des Oberkommandierenden der Streitkräfte, General Bedoya, wurde ein prominenter Gegner von Verhandlungen aus einer Spitzenposition entfernt. Sein Nachfolger, General Bonett, gilt als flexibler.
Zweitens wird das Bewußtsein in Politik und Zivilgesellschaft (wieder einmal!) stärker, daß eine militärische Lösung nicht möglich ist und nach einem Verhandlungsfrieden gesucht werden muß.
Drittens scheint die US-Regierung keine verhandlungsfeindliche Position einzunehmen. Ihr scheint der Drogenkrieg mehr am Herzen zu liegen als die Gegnerschaft zu linken Guerilleros. So hat sie die Militärhilfe für Anti-Drogeneinsätze in Höhe von 70 Mio. Dollar wieder aufgenommen. Die Regierung mußte sich verpflichten, Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen und die Überwachung der Einhaltung dieses Versprechens durch die US-Regierung akzeptieren. Eine Suspendierung der Hilfe bei Nichteinhaltung ist möglich. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Diskussion über eine mögliche Auslieferung kolumbianischer Drogenhändler, die in der Verfassung von 1991 verboten wurde. Sie wird jetzt im Kongreß neu behandelt. Die Auslieferung war in der Amtszeit Barcos Ende der achtziger Jahre der entscheidende Faktor für terroristische Aktionen des Medelliner Kartells gegen Regierung und Bevölkerung.
Schließlich spielen bei der Initiative parteipolitische Interessen eine Rolle. Einer der Favoriten für die Präsidentschaftswahl 1998 ist die rechte Hand Sampers: der liberale Ex-Innenminister Horacio Serpa. Der Beginn von Verhandlungen würde seine Wahlchancen ohne Zweifel deutlich erhöhen.
Kolumbianische Regierungen interessieren sich seit einiger Zeit für die Erfahrungen in Zentralamerika, gelten doch die dortigen Friedensschlüsse bei allen aktuellen Problemen immer noch als stabil. Mit dem neuen UN-Büro zur Beobachtung der Menschenrechtslage existiert zum ersten Mal eine Vertretung des UN-Hochkommissars für Menschenrechte (Genf) in der westlichen Hemisphäre. Unter Leitung der spanischen Botschafterin Mazarrasa arbeiten fünf Experten an der Berichterstattung zur Lage in Kolumbien. Mehrfach hat sich das Büro kritisch in der Öffentlichkeit geäußert, etwa aus Anlaß des Mordes an den beiden Mitarbeitern des jesuitischen Forschungsinstitutes CINEP, Elsa Alvarado und Mario Calderón, im Mai und über die Rolle der CONVIVIR-Gruppen, vor allem in Antioquia. Der dortige Gouverneur Alvaro Uribe hat im August in Genf gegenüber den Vereinten Nationen die Existenz dieser Gruppen gerechtfertigt; Kritiker sehen in ihnen eine legale Form des Paramilitarismus.

Eine Rolle für die Vereinten Nationen?

Im August schlug eine Gruppe von Intellektuellen um Eduardo Pizarro eine Vermittlungsrolle der Vereinten Nationen vor; ein Blauhelmeinsatz wurde hingegen abgelehnt. Bisher ist ein solcher Vorschlag am Widerstand des Establishments gescheitert. Angesichts der Verschlechterung der Lage ist eine solche Lösung für die Zukunft nicht mehr auszuschließen – zumindest dann nicht, wenn der neue Friedensrat kurzfristig keine Erfolge aufweist. Falls eine solche Initiative von den UN beschlossen würde, würde die politische Abteilung in New York die Vermittler bestimmen. In der Vergangenheit haben bereits Costa Rica, Mexiko und Venezuela den Dialog zwischen der Guerilla und der Regierung gefördert.

Vielfältige Bündnisse

Die Ausgangsbedingungen für feministische Bewegungen unterschieden sich allerdings von Land zu Land, denn schließlich ist der lateinamerikanische Kontinent ein Konglomerat von Rassen, Ethnien, Sprachen und Kulturen. Diese Vielfalt hat sehr ungleiche ökonomische, kulturelle und politische Entwicklungen verursacht. Sie hat außerdem die komplexen Probleme, die sich aus der spanischen Kolonisierung und später aus der Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten ergaben, noch verstärkt. Für die Entstehung der neuen Republiken nach den Unabhängigkeitskriegen hat auch das ideologische Gewicht der katholischen Kirche eine entscheidende Rolle gespielt. Denn die Kirche hat ihren Einfluß über einen langen Zeitraum hinweg aufrechterhalten können – in den Sphären politischer Macht ebenso wie in großen Bereichen des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens. Eine solche Präsenz wird in bestimmten historischen Epochen immer verhindern können, daß sich Strömungen der sozialen Erneuerung und Säkularisierung durchsetzen.
Andererseits haben auch Klassen- und Rassenunterdrückung den Republiken, die nach dem Ende der spanischen Herrschaft gegründet wurden, ihren Stempel aufgedrückt. Bis heute hat dies die Überwindung der gesellschaftlichen Ungleichheiten verhindert und jedwede Form der Integration erschwert, besonders in den Ländern wo die indigene Bevölkerung seit Jahrhunderten marginalisiert wird.

Erste Feministinnen

Als Auslöserinnen der feministischen Bewegungen Lateinamerikas können einerseits fortschrittliche Ideen und die politische Durchsetzung kapitalistischer Modernisierung benannt werden, die um die Mitte des letzten Jahrhunderts besonders in Ländern mit europäischer Einwanderung oder in geographischer Nähe zu den Vereinigten Staaten auftauchten. Genauso bedeutsam ist aber auch die Bildung sozialer Bewegungen, die soziale und wirtschaftliche Verbesserungen einforderten. Sie sind hauptsächlich gewerkschaftlichen oder indigenistischen Ursprungs, mit Wurzeln im Anarchismus wie im Sozialismus.
Die Bewegungen, die sich für das Frauenwahlrecht, für gleichberechtigten Zugang zu Bildung und für die Verleihung gleicher bürgerlicher Rechte für Frauen einsetzen sind so parallel zu den sozialen Bewegungen der Arbeiter und Indígenas entstanden. Manchmal haben sie sich angesichts gemeinsamer Ziele auch miteinander verbündet. Der Kampf um den Acht-Stunden-Tag und Protestbewegungen von LandarbeiterInnen und ethnischen Gruppen zum Beispiel, wurden durch einen Teil der frühen Frauenbewegung unterstützt.
Forderungen nach weiblicher Emanzipation gab es bereits 1836, als eine Gruppe mexikanischer Frauen die Zeitschrift El Semanario de las Senoritas Mexicanas gründete, in der feministische Ideen diskutiert wurden. Die Argentinierin Juana Manso, die heute als Vorläuferfigur der feministischen Bewegung in ihrem Land gilt, veröffentlichte 1852 in Brasilien O’Jornal das Senhoras, eine Zeitschrift “für die gesellschaftliche Verbesserung und die Emanzipation der Frau”. Es war die erste Zeitschrift, die ausschließlich von Frauen geleitet und hergestellt wurde. Ebenfalls in Brasilien initiierte die Feministin Nisia Floresta (1809-1885) eine Reihe von Konferenzen zu Frauenfragen. Sie übersetzte auch Mary Wollstonecraft ins Portugiesische, während die Chilenin Martina Barros de Orrego ihrerseits 1874 John Stuart Mill “Über die Unterdrückung der Frauen” ins Spanische übersetzte.
Zwei Jahre später, also 1876, trug sich eine Gruppe chilenischer Frauen in das Wahlregister eines Bezirks von Santiago ein, und lenkten so die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Ungerechtigkeit ihrer Situation. Empört verhinderte die Mehrheit der männlichen Politiker die Teilnahme der Frauen an der Wahl, nicht ohne klarzustellen, daß die chilenische Verfassung, wenn sie von “Bürgern” spricht, “Männer” meint.

Die Themenpalette erweitert sich

Der Kampf um das Wahlrecht dauerte noch lange an und umfaßte viele Aktionen in zahlreichen Ländern des Kontinents. Bald schon ging es jedoch nicht mehr nur um das Wahlrecht. Im Jahr 1910 fand in Buenos Aires der Erste Internationale Frauenkongress (Congreso Femenino Internacional) statt, und zwischen 1914 und 1915 fand der Feministinnenkongress von Yucatan in Mexiko statt. Die Debatten über Themen wie Prostitution, Scheidung oder die Situation der Arbeiterinnen begannen auf diesen Kongressen.
In den 20er und 30er Jahren dieses Jahrhunderts dann wurden erste lateinamerikanische Frauenparteien gegründet, die ihre Aufgabe darin sahen, die Forderungen von Frauen in die Tagespolitik einzubringen. So etwa die Partido Feminista Nacional de Argentina und die Partido Civico Femenino de Chile, beide 1919 gegründet. 1921 wurde auf einem Frauenkongress in Havanna die Gründung der Partido Nacional Feminista vereinbart.
Sicherlich hatten diese Aktionen nicht die gleiche Wirkung wie die angelsächsischen Bewegungen für das Frauenwahlrecht. Oft handelte es sich nur um sehr kleine Gruppen oder Einzelpersonen, die ihren Kampf über den Journalismus oder in den Konferenzsälen von Kultur- und Wohltätigkeitseinrichtungen austrugen. Die lateinamerikanischen Mentorinnen und ihre Anhängerinnen waren intellektuelle Frauen der Mittelschicht, die meist einen bürgerlichen Beruf erlernt hatten. Der sufragismo, der Feminismus vor und nach dem Ersten Weltkrieg, vertrat also mehrheitlich eine politisch liberale Ideologie, die den sozioökonomischen status quo nicht in Frage stellte. Angesichts der frühnationalen und kolonialen Züge der lateinamerikanischen Gesellschaften muß der frühen Frauenbewegung aber zugutegehalten werden, daß sie in der Lage war, eine wichtige Gruppe von Frauen zu mobilisieren und daß er für seine Zeit sehr progressive Ziele vertreten hat.

“Proletarierinnen aller Länder…”

Während sich die von den Anarchisten und Sozialisten verbreiteten Ideen in Gewerkschafts- und Parteigründungen kristallisieren, betrat eine neue Spielart des Feminismus die Bühne, die ihre Ursache der wachsenden Eingliederung von Frauen in die Lohnarbeit hatte: Man könnte sie als proletarischen Feminismus bezeichnen. Insbesondere der Anarchismus unterstützte die Organisierung der einfachen Arbeiterinnen und auch die Formierung von Frauen mit Führungsqualitäten. Ihre Diskussionen kreisten um die Thematik von Klasse und Gender, wie wir heute sagen würden. Hervorzuheben wäre hier die Kolumbianerin Maria Cano, die als Arbeiteraktivistin ihre sozialistischen Überzeugungen mit ihrem Engagement für die Emanzipation der Frauen verband. Sie organisierte nicht nur Streiks in den Bergbau – und Erdölregionen sowie in den Bananenanbaugebieten, wo sie stets von einer kämpferischen Menge begleitet wurde; sondern attackierte auch gleichzeitig scharf ein Gesellschaftssystem, das sie aus Sicht der Frauen für höchst ungerecht hielt. Sie betonte zum Beispiel 1925, daß Frauen nicht an den Universitäten zugelassen wurden, “wo sie sich die Stellung, die ihnen zusteht, erarbeiten könnten. Nicht einmal das Recht zu denken, das Recht, ihre Meinung zu sagen, gesteht man den Frauen zu. Eingeschlossen wie in einem eisernen Ring müssen sie schweigen, sich wie Wesen ohne eigenes Bewußtsein unterwerfen, während auf ihrem Heim Unterdrückung und Unrecht lasten…”.
In manchen Fällen hat sich der Kampf der sufragistas direkt mit dem Klassenkampf verbunden. Beispielsweise beteiligen sich 1991 einige sufragistas aus der von der Schriftstellerin Zoila Aurora Caceres gegründeten Gruppe Feminismo Peruano an der Organisation einer Frauenversammlung, die die Forderung nach “Verbilligung der Lebenskosten/Grundnahrungsmittel(??)” erhob. Die Versammlung mündete in einem “Marsch gegen den Hunger”, der durch die Straßen von Lima zog. Später gründete Caceres, die als eine der wichtigsten Vorkämpferinnen für das Frauenwahlrecht in ihrem Land gilt, die erste Telefonistinnengewerkschaft.

Errungenschaften der ersten Feministinnen

Was hat der frühe Feminismus in Lateinamerika und der Karibik erreicht? Er hat weite Teile der öffentlichen Meinung auf die defizitären bürgerlichen und politischen Rechte der Frauen, auf ihre Situation der gesetzlich verankerten Unmündigkeit aufmerksam gemacht. Viele Veröffentlichungen, Reden, Bücher und Zeitschriften aus dieser Epoche zeugen von dieser Sensibilisierungsarbeit. Feministinnen wie Juana Manso in Argentinien, Paulina Luisi in Uruguay, Serafina Davalos in Paraguay, Adela Zamudio in Bolivien, Francisca Senhorina da Motta Diniz in Brasilien, Luisa Capetillo in Puerto Rico, Amanda Labarca in Chile, Maria Jesus Alvarado Rivera in Peru und viele andere setzten sich vehement für den Zugang zu Bildung für Frauen und die Änderung diskriminierender Gesetze ein. Natürlich beschränkte sich der Einsatz für diese Sache nicht allein auf die sufragistas, auch Sozialistinnen und Anarchistinnen organisierten Kerngruppen und Schauplätze für den Kampf um Gleichberechtigung. Hier trafen Feministinnen, Gewerkschafterinnen, Parteiaktivistinnen, Berufstätige und Intellektuelle aufeinander. Gemeinsam übten sie erfolgreich Druck aus und erreichten schließlich auch die Unterstützung einiger männlicher Politiker für bestimmte Gesetzesänderungen. Dieser langwierige Kampf wurde 1929 in Ecuador das als erste Land der region Frauen das aktive Wahlrecht zusprach zum ersten Mal von Erfolg gekrönt.
Später wurden dann auch andere Gesetze verändert, die Scheidung, den Zugang zu den Universitäten, das Recht auf Berufsausübung und auf bezahlte Beschäftigung regelten. Diese Errungenschaften hingen auch mit den Nachwirkungen des Zweiten Weltkrieges und dem beschleunigten Verstädterungsprozeß zusammen, der Lateinamerika vor allem seit den 50er und 60er Jahren bestimmte. Paradoxerweise war aber gerade im letzteren Zeitraum der organisierte Feminismus eher schwächer, was in erster Linie mit dem Aufstieg der politischen Parteien und der Gewerkschaftsbewegung zu tun hatte.
Die Zweite Welle des Feminismus in Lateinamerika und der Karibik fand ihren ersten Auftritt vor einem sehr spezifischen Hintergrund: dem antiimperialistischen Kampf der Linken. Die 60er Jahre waren von intensiven ideologischen Debatten der Linken, besonders innerhalb der orthodoxen stalinistischen Parteien bestimmt, insbesondere nach dem Triumph der kubanischen Revolution und den Guerrilla-Aufständen in Bolivien, Kolumbien, Peru und Venezuela. Die romantische Figur des Guerrilleros, die Stilisierung des bewaffneten Kampfes zum “Wahren Weg” in Richtung Sozialismus prägten den Alltag einer ganzen Generation. Tiefgreifende Veränderungen und Mobilisierung kennzeichneten die lateinamerikanischen Gesellschaften: LandarbeiterInnenaufstände in den Andenstaaten, Migration vom Land in die Metropolen, die dort wiederum in Basisbewegungen mündete. LandarbeiterInnen und SlumbewohnerInnen trugen die politische Radikalisierung bis in Gruppen der Mittelschicht, wie StudentInnen, Intellektuelle und FreiberuflerInnen. Auch die Revolution vom Mai ’68 wirkte als ein weiterer Faktor von außen besonders auf Sektoren der marxistischen Linken ein, in denen sich nach dem Scheitern der Guerrilla-Bewegungen eine gewisse Unzufriedenheit breitgemacht hatte.
In dieser Zeit kanalisierte sich das Engagement von Frauen für Veränderungen besonders in den linken Parteien. Figuren wie Haydee Santamaria (Kuba), Lolita Lebron (Puerto Rico), Domitila Chungara (Bolivien), aber auch Tania La Guerrillera, die Gefährtin Che Guevaras in Bolivien, waren die Modelle feministischen politischen Engagements.
Um 1970 aber tauchte das Bild des Feminismus als Importprodukt auf. Die Massenmedien zeigten das Bild nordamerikanischer Feministinnen, die scheinbar nichts anderes zu tun hatten, als sich ihrer BHs zu entledigen. Der Begriff “Feministin” wurde zum Synonym für eine verbitterte Frau, einer Art Anti-Mann, und der aktive Feminismus wurde zur Gefährdung des Klassenkampfes stilisiert. Schon Fidel Castro hatte den Feminismus für schädlich erklärt, da er einer gut durchdachten Strategie des internationalen Kapitalismus gehorche. So litten die ersten Versuche feministischer Aktionen unter den Angriffen und der Ablehnung der Linken – auch der in linken Parteien organisierten Frauen.

Institutionalisierung des Feminismus

Als 1975 die “Frauendekade” der Vereinten Nationen ausgerufen wurde, intensivierten sich die Diskussionen über die “Frauenfrage”, den Feminismus, die Beziehungen zwischen Feminismus und Klassenkampf und Formen der Selbstbestimmung. Neue Gruppen traten auf den Plan, die den ersten Zusammenschlüssen aus den Jahren zwischen 1970 und 1973 folgen. Die erste Konferenz des Internationalen Jahres der Frau, die von den Vereinten Nationen im Juni 1975 ausgerichtet wurde, geriet zum ersten großen Treffen der lateinamerikanischen und angelsächsischen Feministinnen. Gleichwohl – bedingt durch das Engagement der meisten Delegierten in sozialen und parteipolitischen Organisationen – räumte das Schlußdokument auch dem Klassenkampf und umfassenden gesellschaftlichen Veränderungen eine zentrale Bedeutung ein. Bei dieser Gelegenheit bezeichnete die bolivianische BergarbeiterInnenanführerin Domitila Chungara den Feminismus als bourgeois und realitätsfern. Die Zeit war noch nicht reif für einen Dialog zwischen Feministinnen und Aktivistinnen der Linken.
Andererseits durchlebte der lateinamerikanische Kontinent eine schwierige und sehr schmerzhafte Etappe: Neben die bereits institutionalisierten Diktaturen in Brasilien und Paraguay traten die Militärherrschaften in Argentinien, Chile und Uruguay. Mord, Folter, Verfolgung, die Aufhebung der bürgerlichen Freiheiten, Exil und – in dessen Folge – die Auflösung familiärer Bezüge waren die Folgen. Vor diesem Hintergrund reduzierte sich der Handlungsspielraum des Feminismus auf ein Minimum; nur in Ländern mit einem formaldemokratischen System konnten feministische Aktivitäten überhaupt überleben, etwa in Selbsthilfegruppen oder den ersten Frauen-NGOs (1978-1980). Dennoch war gerade das Exil auch Auslöser eines Bewußtwerdungsprozesses bei argentinischen, chilenischen, uruguayischen und brasilianischen Frauen. Viele erlebten die Realität des europäischen Feminismus und gründeten während des Exils eigene Gruppen. Die Rückkehr der ersten Exilierten in ihre Heimatländer fiel so mit dem Erscheinen unabhängiger feministischer Gruppen seit 1980 zusammen.
Außerdem begannen Frauen in der politischen Linken aufzubegehren, die bezüglich ihrer Parteizugehörigkeiten ein neues Selbstbewußtsein entwickelt hatten – schließlich hatte sich ihre Rolle zuvor auch innerhalb ihrer Organisationen auf die “häusliche Arbeit” beschränkt.
Die Abspaltung eines Sektors dieser Parteiaktivistinnen ist in etwa zeitgleich mit dem Auftreten eines “sozialistischen Feminismus”, einer Spielart besonders klassenbewußter Prägung, die sich erst im Laufe der Zeit starrer Schemata entledigte und Konzepte von Patriarchat und Sexualität in ihre Gesellschaftsanalyse einbezog. Manche Ausprägungen des lateinamerikanischen Feminismus lehnten sich stark an den Feminismus des Nordens an, insbesondere in ihrer Betonung von “Bewußtwerdungsprozessen”, dem radikalen Anspruch auf Separatismus bezüglich der Parteien und indem sie die Betonung einer spezifisch weiblichen Sexualität (und auch eine sehr schüchterne Kritik von Zwangsheterosexualität) in den Status politischer Fragen erhoben.

Vielfältige Feminismen und Bewegungen

In den letzten Jahren sieht sich der lateinamerikanische Feminismus neuen praktischen und konzeptuellen Herausforderungen gegenüber. Vor dem Hintergrund der aktuellen neoliberalen Umwälzungen in den Gesellschaften des Kontinents ist seine Situation schwieriger geworden. Die unterschiedlichen Formen des Feminismus wurden nun dazu gezwungen, umfassendere Analysen zu erarbeiten und – beispielsweise – ethnische Fragen zu thematisieren, die in der Region von entscheidender Bedeutung sind. War die Bewegung in ihren Anfängen von akademisch gebildeten Frauen der Mittelschicht und von emanzipierten Berufstätigen dominiert, so stellt sich das feministische Universum heute als ein Konglomerat aus Frauen und Strömungen unterschiedlicher Herkunft und mit unterschiedlichen Ansätzen dar. In dem oft als movimiento amplio de mujeres bezeichneten Gesamtzusammenhang finden sich so verschiedene Ausdrucksformen, wie zum Beispiel der feminismo popular (in Organisationen der Armenviertel, der Landarbeiterinnen oder Indígenas), die corriente autonoma (der “Feminismus per se”), der Feminismus in den linken Parteien, in Gewerkschaften und Berufsverbänden, der Feminismus im akademischen Bereich, der NGO-Feminismus und nicht zuletzt der “Regierungs-Feminismus” von Frauen, die in Regierungsinstitutionen beschäftigt sind.
In jedem dieser Bereiche können die Forderungen, die erhoben werden, Elemente aus der liberalen Strömung, Teile des Radikalfeminismus oder aber einer klassenbezogenen Ausrichtung enthalten. Bei bestimmten Gelegenheiten, etwa in Wahlkämpfen oder während internationaler Konferenzen, hat sich gezeigt, daß die zu den jeweiligen Anlässen gebildeten Plattformen eine strategische Kombination aus reformerischen und radikalen Forderungen wählen. Allianzen müssen eingegangen werden, die von vornherein die spezifischen Unterschiede wahrnehmen und respektieren. Es ist dementsprechend unmöglich, weiterhin von nur einem Feminismus zu sprechen, der in der Theorie einheitliche Forderungen vertritt und sich auch in der Praxis homogen darstellt. Neuere Beiträge des postmodernen Feminismus zielen in diese Richtung. Um mit den US-Amerikanerinnen Nancy Fraser und Linda J. Nicholson zu sprechen: Die feministische politische Praxis “wird immer mehr zu einer Angelegenheit von Allianzen. Es gibt keine Einheitlichkeit mehr in bezug auf ein Interesse oder eine Identität, die von allen geteilt werden”. Eine solche Praxis “funktioniert nur in der Form vielfältiger Bündnisse. Keines davon läßt sich auf einen Wesensgehalt festlegen. Vielleicht wäre es besser, immer nur im Plural, von einer Praxis der Feminismen zu sprechen…”. Auch für Lateinamerika ist das ein wichtiger Denkanstoß kurz vor dem Jahr 2000.

aus: Perspectivas 3/1996, Isis Internacional

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