Festival der Frauen

Invasion der Feministinnen

San Bernardo, ein Badeort, der 9 Monate im Jahr schläft und nur 3 Monate durch die Touristen zum Leben erwacht, wird jäh aus seinem Winterschlaf gerissen noch bevor die Saison beginnt. 70 Omnibusse bringen 3.000 Frauen aus 39 Län­dern, aus ganz Lateinamerike und der Karibik und Gästinnen aus Nordamerika, Europa, Asien und Afrika, die sich hier zum 5. lateinamerikanischen Feministin­nenkongreß trafen, um über 10 Jahre Feminismus in Lateiname­rika Bilanz zu ziehen. Den knapp 4.000 Einwohnern San Bernardos mag die Ankunft der Massen von Frauen wie eine Invasion vorgekommen sein. Neugierig bis ablehnend beäugten sie die Ankommenden und in nicht wenigen Gesichtern stand die bange Frage geschrieben: Warum gerade in San Bernardo? So standen sie staunend angesichts der vielen Frauen, die mit ihrer Buntheit, Vielfältigkieit und ihrem Selbstbewußtsein eine Woche lang das Straßenbild be­stimmten.
Das Feministinnentreffen in Lateinamerika hat bereits Geschichte: Zum 5. Mal innerhalb von 10 Jahren trafen sich Frauen aus Ländern Lateinamerikas und der Karibik. Die Treffen ermöglichen, über den eigenen Tellerrand hinauszusehen und bieten die seltene Gelegenheit, Frauen aus anderen Ländern zu treffen und wiederzusehen. So hat der Kongreß mittlerweile eine enorme Wichtigkeit er­langt, dementsprechend steigt auch jedesmal die Zahl der Teilnehmerinnen: Beim ersten Mal in Kolumbien 1980 waren es noch 260 Frauen, 1983 in Peru be­reits 600, nach Brasilien kamen 1985 850 und in Mexiko waren es 1987 bereits 1 500. Daß zum Kongreß nach Argentinien 3.000 Frauen kamen, erfüllte alle mit Stolz. Doch das Treffen in Argentinien hat mittlerweile eine Größenordnung erreicht, die organisatorisch kaum mehr zu bewältigen ist, noch dazu unter den gegebenen schlechten Bedingungen.

Herzlich willkommen

Eigentlich sollte der Frauenkongreß in den Räumlichkeiten der Energiegewerk­schaft stattfinden, einem riesigen Komplex mit 800 Hotelbetten und zahlreichen Tagungsräumen. Doch kurzfristig wurde der vereinbarte Sonderpreis um über 300% erhöht. Der Kongreß drohte zu scheitern, doch konnten die Organisatorin­nen mit der Stadtverwaltung einen Kompromiß erreichen und viele Hotels, Cafés und Boutiquen stellten in Erwartung einer finanzkräftigen Invasion von kauf und konsumfreudigen Frauen ihre Räumlichkeiten zur Verfügung. Der Stadt­verwaltung war offensichtlich das leidige Vorgeplänkel sehr unangenehm. Sie sah sich bemüßigt, ein Kommuniqué zu veröffentlichen, das die Frauen in San Bernardo herzlich willkommen hieß. Auch der kirchliche Vertreter begrüßte aus­drücklich die ankommenden Frauen, um Gerüchten entgegenzuwirken, die Kir­che wolle den Kongreß verhindern.
Die Veranstaltungen fanden an allen möglichen und unmöglichen Stellen statt: die großen Cafés und Hotels waren ausnahmslos alle besetzt. Sogar in den Ho­telhallen, in Garagen, in Staßencafés und in noch leerstehenden Boutiquen saßen diskutierende Gruppen, wobei es der vorbeitosende Verkehr der Hauptstrasse oft unmöglich machte, auch nur ein Wort zu verstehen. Nicht selten nervten neugierige Auto- oder Motorradfahrer mit laufendem Motor, die versuchten her­auszubekommen, was die Feministinnen zu bereden hatten. Zudem wurde aller­orts gebaut, gebohrt und gehämmert: der Badeort machte sich fertig für die Saison, die 14 Tage später beginnen sollte.

Das “Nicht-Treffen” und das “Suchen” statt “Treffen”

Einen Großteil der Zeit auf dem Treffen verbrachte frau damit, ihre Workshops zu suchen. Hunderte von Frauen wanderten mit dem Tagesprogramm und dem Stadtplan in der Hand die Hauptstraße rauf und runter, suchten und fragten sich durch, trafen zufällig Bekannte, blieben auf ein Schwätzchen stehen, vergaßen die Zeit, hetzten weiter, um wenigstens noch ein halbes Stündchen mitzube­kommen, oder blieben unterwegs in einem der einladenden Straßencafés hängen und gaben frustriert die Suche auf.
War dann endlich der Ort gefunden, mußte frau nicht selten feststellen, daß der Workshop ausgefallen, die Veranstaltung auf den nächsten Tag verschoben war oder tags zuvor bereits stattgefunden hatte. Los gings dann auf die Suche nach dem nächsten Workshop, mit der Hoffnung, da wenigstens noch ein paar inter­essante Sätze zu ergattern, oder ab ins nächste Café oder an den Strand.

San Bernardo – Stadt der Frauen

Die Frauen erobern San Bernardo. Endlich keine Angst mehr haben müssen nachts beim Nachhausegehen, denn immer sind Frauen in der Nähe unterwegs. Die Frauen erobern sich die Discos, die Cafés, und sogar die Männerklos.
Vielen Männern in San Bernardo waren diese Feministinnen sehr suspekt. Die einen sahen in ihnen eine Gefahr für San Bernardo, sie hatten Angst, daß die Feminis­tinnen, ihnen ihre Frauen wegnehmen oder ihnen zumindest den Kopf verdrehen wollen. Andere machten sich große Hoffnungen (“von den 3.000 Frauen kommen mindestens 2-3 auf mich”). Sie wollten mitfeiern und verstanden die Welt nicht mehr, weil diese vielen Frauen nichts von ihnen wissen wollten, weil sie draußen bleiben mußten. Sie konnten sich gar nicht vorstellen, was es soviel zu reden und diskutieren gab und manche beschwerten sich, keiner habe sie vorher gefragt, ob sie mit dieser Invasion einverstanden wären.
Auch die Frauen von San Bernardo beäugten zunächst recht skeptisch bis ableh­nend die fremden Artgenossinnen, die selbstbewußt, schwatzend und singend durch die Straßen zogen und sich nicht um Konventionen und Machos scherten. Einige wenige machten bei den Workshops mit, andere nahmen in den Cafés oder bei den abendlichen Festen Kontakt auf oder sahen begeistert oder befrem­det zu.
Und als die 70 Busse wieder wegfuhren, war wieder Frauenalltag angesagt.

Der Mammutkongreß – ein organisatorischer Wahnsinn

Trotz guter Laune und Frauenpower erschwerten die schlechten infrastrukturel­len Bedingungen die ohnehin schwierige Aufgabe organisatorisch einen solch riesigen Kongreß zu bewältigen! Die Suche kostete viel Zeit und erschwerte die Kommunikation untereinander. Das stundenlange Schlangestehen mit hungri­gem Magen zum Mittag- oder Abendessen nervte und nur besonders Unverdros­sene sahen darin die Möglichkeit, sich im Gespräch näher zu kommen.
Als am dritten Tag der Regen prasselte und alle Straßen überflutete und der Strom ausfiel und es weder Programme gab noch Veranstaltungen stattfanden, drohte der Kongreß im Chaos zu ersticken. Doch dank der hervorragenden Im­provisationsgabe der lateinamerikanischen Organisatorinnen und der uner­schütterlichen Geduld der Teilnehmerinnen lief er trotzdem irgendwie weiter.
Es war schier unmöglich, auch nur ansatzweise einen Überblick über das Diskus­sionsgeschehen der einzelnen Veranstaltungen zu bekommen. Ein gezieltes Tref­fen und Austausch mit Frauen aus anderen Ländern schien unmöglich und dem Zufall überlassen. Es gab kein gemeinsames Diskussionsziel. Zu groß war das Angebot an Workshops, Gesprächskreisen und Kultur. An sechs Tagen wurden 300 offizielle Veranstaltungen angeboten, nicht mitgerechnet die zahlreichen selbstorganisierten spontanen Diskussionsrunden und Foren. Es gab viel zu viele interessante Angebote, die alle zur selben Zeit stattfanden: Von der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Feminismus, seiner Beziehung zur Macht, Politik oder Basisbewegung, über gesundheitliche Themen (Abtreibung und Verhü­tungsmittel, Psychopharmaka…) Gewalt gegen Frauen hin zu religiösen ethischen Fragen, zu Selbsterfahrungsgruppen, Körperübungen, Lesungen, Videos … für jeden Geschmack etwas. Bedauerlich, daß Diskussionen über wich­tige Themen mangels Zeit nur angerissen und kaum vertieft werden konnten.
Beeindruckend auch das Angebot an Publikationen, vor allem deswegen, weil noch vor wenigen Jahren feministische Publikationen in Lateinamerika fast aus­schließlich aus Übersetzungen von Artikeln US-amerikanischer und europäischer Feministinnen bestanden.
Aus der Masse der Angebote möchte ich trotzdem einige Diskussions- oder Kri­tikpunkte aus diversen Workshops erwähnen.

Diversität und Ungleichheit – Herausforderung oder Komplikation?

Die Diversität und Ungleichheit innerhalb der feministischen Bewegung (die Autonomen, die Sozialistinnen …) von vielen als bremsend beargwöhnt, werden jedoch auch als eine Herausforderung und eine Bereicherung für die Diskussion innerhalb der Bewegung erkannt. Genauso verhält es sich mit neuen Themen, wie Ökologie, Gewalt gegen Frauen, Ethik…
Ein Widerspruch, der immer wieder auftaucht, ist der Ruf nach charismatischen Führerinnen einerseits, die die Bewegung voranbringen sollen, der aber anderer­seits mit dem Wunsch nach kollektiver Arbeitsweise kollidiert.
Eine immer wieder spannende Frage taucht auf: Radikalität oder Kompromisse? Im Workshop “Feminismus 90” zum Beispiel einigten sich dazu die Frauen auf die Grundaussage des Feminismus: Demokratie, Diversität und Kompromisse. Das bedeutet: Zusammenarbeit mit offiziellen (auch staatlichen) Stellen ist mög­lich und fördert mehr interne Demokratie innnerhalb der Bewegung. Gewalt wird als Grundhindernis für die Entwicklung der Frauen in ganz Lateinamerika und der Karibik angeprangert. Die Konzepte für Entwicklungspolitik werden als sexistisch und gegen die Frauen gerichtet verurteilt. Die Rechte der Frauen sollen als Menschenrechte festgeschrieben und das Konzept der Menschenrechte, dem bisher jegliche Frauenperspektive fehlt, umdefiniert werden.
Bei vielen Themen wiederholten sich die Diskussionen und die Argumente aus den vorherigen Treffen und bei bestimmmten Punkten traten auch diesmal wie­der dieselben Konflikte auf, die unüberbrückbar scheinen: Zum Beispiel die Fra­gen: Sollen Frauen, die an der Macht sind, unterstützt werden? Vertreten sie die Interessen der Frauen oder sind sie mehr ihrer Partei verbunden? Wird sich für Frauen etwas verändern, wenn Frauen als Politikerinnen an die Macht kommen? Oder ändern sich Frauen, sobald sie an der Macht sind? Welche Macht ist das, die angestrebt wird, eine feministische Macht?

Feministometer

Manche der Alt-Feministinnen denken noch wehmütig an das erste Treffen in Kolumbien, wo noch der reine feministische Geist herrschte. Denn schon in Peru kamen auch Frauen aus anderen Bereichen mit dazu: Frauen aus politischen Or­ganisationen, Gewerkschaften, aus Basisbewegungen etc., die sich alle als mehr oder weniger feministisch definierten, was zu Konflikten führen mußte. In Me­xiko, als die mittelamerikanischen Frauen mit ihrer spezifischen Problematik mit dazu kamen, mußte endlich erkannt werden, daß es nicht nur einen Feminismus gibt. So auch in Argentinien: “Was ist das für eine Feminismus, der uns nicht be­achtet”, fragt Sergia, eine schwarze Frau aus der Dominikanischen Republik. “Die weißen Frauen distanzieren sich von uns”, klagten die indianischen Frauen über ihre “feministischen Schwestern”. Eine Frau aus einer Villa Miseria in Argenti­nien berichtete, daß sie in ihrer Arbeit mit den Frauen
nicht dazu kommt, spezifische Frauenthemen anzusprechen, denn “in einem Jahr starben uns 12 Kinder, so daß Erziehung und Gesundheit Vorrang haben.”
In einem Workshop zum 500. Jahrestag der Kolonisation meldet sich eine Gua­temaltekin zu Wort, die, wie sie sagt zum ersten Mal auf so einem Treffen mit Frauen aus unterschiedlichen Ländern ist und alles ganz toll findet, “aber”, bittet sie, “es würde mir besser gefallen, wenn Sie etwas konkreter reden würden, in Worten, die wir auch verstehen, die aus dem Gefühl jeder einzelnen Frau kom­men.” Nach der Veranstaltung sprach ich eine der Wortführerinnen darauf an, eine Chilenen, die in der Dominikanischen Republik an der Uni arbeitet. Ihre Antwort spricht für sich: “Tja, wir müssen sie halt auch mal reden lassen.”
Rassismus? Nein, den gibt es bei uns nicht! Bekräftigen mir einhellig die weißen Frauen aus Uruguay, Argentinien und Chile, die sich am Abend vorher in der Kneipe ausführlich über den Rassismus in Deutschland ereifert hatten. Doch viele Teilnehmerinnen auf dem Kongreß haben dazu eine andere Meinung.

Schwarze Frauen

Auf dem Kongreß waren nur relativ wenige schwarze Frauen vertreten und nur wenige definieren und organisieren sich als schwarze Frauen. Ihre alltägliche Diskriminierung zeigt sich schon in der Sprache: schwarzes Schaf, Schwarz­markt. Sie als schwarze Frauen werden am meisten ausgebeutet, haben den geringsten Zugang zu Bildung, Aus­bildung und Arbeit. Viele versuchen der Diskriminierung zu entgehen, in dem sie sog. Weißmachungsmittel vermitteln: spezielle Cremes um die Haut heller zu machen, oder Mittel, die das krause Haar glätten. Untersuchungen haben mitt­lerweile bewiesen, daß diese Weißmachungsmittel im höchsten Grad krebserre­gend sind.
Eine Informationskampagne über AIDS, nach der der AIDS-Virus aus Afrika kommt, hatte zur Folge, daß die schwarzen Prostituierten nicht mehr so stark frequentiert werden, weil sie als Überträgerinnen von AIDS stigmatisiert werden. In Uruguay war der erste AIDS-Fall, der bekannt wurde, eine schwarze Frau. Daraufhin führte die Gesundheitsbehörde eine starke Kontrolle bei den schwar­zen Prostituierten durch, sperrte sie ins Gefängnis, mißhandelte sie und läßt sie ihre Arbeit nicht mehr durchführen. Der Arbeitsmarkt für schwarze Frauen ist jedoch sehr eingeschränkt (55% von ihnen arbeiten als Hausmädchen) und eine schwarze Frau, die als Prostituierte gearbeitet hat, wird kaum mehr eine andere Arbeit finden.
Schwarzen Frauen hängt der Mythos nach, besonders “sexy” zu sein. “Aber das ist eine Interpretation des weißen Mannes. Sie sehen uns als exotische Sexualob­jekte, die sie zu ihrer Befriedigung nutzen können. Die schwarzen Männer be­nutzen uns auch, aber bei den weißen Männern kommt neben dem Sexismus noch der Rassismus hinzu.”

Lesbenphobie

Nur relativ wenige Lesben in Lateinamerika bekennen sich offen als Lesben, zu stark sind die Vorurteile der Gesellschaft, der Einfluß der katholischen Kirche und zu stark ist auch die Repression durch den Staat. In einigen Ländern gibt es spezielle Gesetze gegen Homosexualität, worin die Lesben einbezogen sind, an­derswo wird das Gesetz über Sodomie so ausgelegt, daß lesbische Liebe auch im privaten Rahmen unter Strafe steht. Auch das Gesetz der “Erregung öffentlichen Ärgernisses” wird benutzt, um Lesben festzunehemn, zu schlagen, zu demütigen und etliche Jahre ins Gefängnis zu werfen. Viele Lesben leben auch in der Angst, als Lesben erkannt zu werden und ihren Arbeitsplatz zu verlieren… Aber auch auf dem Feministinnen-Kongreß in San Bernardo mußten sie vielen Vorurteilen begegnen: Eine Frau aus Brasilien berichtet, daß ihre Tischnachbarin beim Mit­tagessen aufgestanden ist und sich woanders hinsetzte, als sie erwähnte, daß sie Lesbe sei. Es wurden anonyme Forderungen gestellt, die Lesben von Tanzveran­staltungen auszuschließen, sie wurden als Exhibitionistinnen beschimpft, die öf­fentlich ihre Zärtlichkeiten austauschen, und würden dem Ansehen des Femi­nismus schaden…
In ihren Veranstaltungen und in einer Pressekonferenz wandten sich die lebsbi­schen Frauen energisch gegen die Lesbenphobie, die ihnen massiv von vielen Feministinnen entgegenschlug. Sie forderten für das nächste Treffen mehr Raum für sich und ihre Themen und wollten die spezifische Lesbenproblematik, die Lesbenphobie und Zwangsheterosexualität in allen Workshops behandelt wis­sen. Sie verlangten, respektiert zu werden in ihrer Lebensphilosophie. Amparo aus Costa Rica bringt das Problem auf den Punkt: “Wir wollen dahin kommen, daß ich nicht erklären muß, warum ich Lesbe bin und du nicht erklären mußt, warum du heterosexuell bist, sondern daß wir Feministinnen sind, in einer Be­wegung, in der wir gemeinsam kämpfen. Wir Lesben sind solidarisch mit allen Feministinnen und kämpfen für die Legalisierung der Abtreibung, obwohl das für viele von uns kein Thema mehr ist, und für alle Problematiken der Frau. Wir wollen nun auch Solidarität von den Hetero-Feministinnen, daß sie nicht nur für ihre eigenen Forderungen, sondern auch für die Forderungen der Lesben kämp­fen.”

Abtreibung

Ein zentrales Thema bei diesem Treffen war wie immer die Abtreibung. Zu ei­nem der diversen Abtreibungs-Workshops hatte die argentinische Frauenorgani­sation “Nonnen für die Legalisierung der Abtreibung” eingeladen. In der Einfüh­rung begründeten sie ihre Position mit einem sehr einleuchtenden Argument aus der Bibel: Als Maria erfuhr, daß sie ein Kind bekommen sollte, ließ ihr der Verkündi­gungsengel einige Zeit zum Überlegen, ob sie die Schwangerschaft an­nehmen wollte oder nicht. Maria entschied sich schließlich dafür, das Kind zu bekommen. Die Atheistinnen in der Gruppe haben dazu eine andere Meinung, aber allen gemeinsam ist die Forderung nach Legalisierung der Abtreibung, die auf dem lateinamerikanischen Kontinent mit Ausnahme von Kuba in allen Län­dern verboten ist. Die einzelnen Länderbeispiele zeigten zwar Unterschiede in der Gesetzeslage (in einigen wenigen Ländern ist Abtreibung nach einer Vergewalti­gung oder aus gesundheitlichen Gründen erlaubt), überall gibt es je­doch eine erschreckend hohe Zahl der illegalen Abbrüche, die die Haupttodesur­sache bei Frauen im gebärfähigen Alter ist. In Nicaragua haben die Frauen mitt­lerweile zur Selbsthilfe gegriffen und kämpfen dafür, daß der von ihnen bereits praktizierte ambulante Abbruch legalisiert wird.

Konkrete Ergebnisse

Es gab viel Kritik an diesem fünften lateinamerikanischen FeministinnenKon­greß. Es gab kein gemeinsames Abschlußkommuniqué, doch es gab viele Vor­schläge aus einzelnen Workshops. Hier die wichtigsten davon: Um von der ewi­gen Jammerei wegzukommen, hin zu konkreten Aktionen, wurden zu diversen Themen kontinentweite Netze gegründet: Zum Beispiel zu Medien, physischer Gesundheit, zu Gewalt von Frauen… Der Straferlaß der argentinischen Regierung gegenüber der Verbrechen den Militärs wurde verur­teilt und die Ablehnung der Zahlung der Auslandsschulden bekräftigt. Außerdem wurde die Solidarität mit dem revolutionären Prozeß in Kuba betont.
Der Vorschlag der Vertreterinnen der spanischen Frauenorganisation Flora Tri­stan aus Madrid, die Feierlichkeiten zum 500.Jahrestag der “Entdeckung” Latein­amerikas zu einer großen Protestveranstaltung von Frauen aus Lateinamerika und Europa im Oktober 1992 in Sevilla zu nutzen, wurde mit großem Protest ab­gelehnt. Die Lateinamerikanerinnen fühlten sich von den Spanierinnen domi­niert. Sie wollten nicht feiern, sondern lieber selbst auf ihren eigenen Spuren der Geschichte nachgehen.
Das nächste Treffen wird 1992 in Mittelamerika stattfinden, in einem noch aus­zuwählenden Land. Den mittelamerikanischen Frauen bleibt es überlassen, wie des nächste Kongreß gestaltet werden soll: ein weiterer Mammutkongreß mit dann vielleicht 57.000 Frauen oder Delegiertenprinzip oder dezentrale themenbezogene Treffen.

Die Linke im Bann der verfassunggebenden Versammlung

“Im Establishment herrscht Angst und Zittern” und der rechtsgerichtete Kolumnist D’Artagnan der konservativen Tageszeitung E1 Tiempo bringt es auf den Punkt: “Werden wir zusehen müssen, wie die Verursacher des Holocausts des Justizpalasts (‘) als Mitglieder in unsere verfassungsgebende Versammlung gewählt werden?” Gemeint sind Exguerilleros der linkspopulistischen M-19, die im März 1990 abgerüstet und legalisiert wurde und heute als reputierliche Mittelklassepartei mit ihren Augenaufschlägen vor der deutschen Sozialdemokratie und ihren Diskursen von einem “demokratischen Kapitalismus” nicht nur die traditionelle und revolutionäre Linke aus der (Ver-) Fassung bringt. Auch gewählt wird schon wieder: das Volk hat es so gewollt. Von einer Studentenbewegung lanciert und als Initiative der hijos de papi (Muttersöhnchen der Reichen) gutwillig von Präsident Barco gegen Ende seiner Amtszeit aufgenommen (er hatte ja nichts mehr zu verlieren), fand bei den Gemeinde-und Parlamentswahlen im März (inoffiziell auf Initiative von Studenten und Volksorganisationen), sowie bei den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Mai (offiziell durchgeführt und ausgezählt) eine Volksabstimmung über die Konstitution einer verfassunggebenden Versammlung statt, “um die partizipative Demokratie zu stärken, ja/nein”. In der Gewißheit, mit den traditionellen klientelistischen Hilfsmitteln (auf gut deutsch: Stimmenkauf gegen Geld, Einflug und Pöstchen) und der konservativen Presse noch genügend Steuerungskraft zu besitzen, ließen sich die traditionellen Parteien sogar auf eine direkte Wahl der zukünftigen Verfassungsmütter und -väter ein -nicht nur in Lateinamerika, sondern auch in Europa ein ungewöhnlicher Vorgang. Die Versammlung soll nach ihrer Wahl am 6. Dezember in völliger Selbstbestimmung das erstarrte und korrumpierte politische System reformieren und, soweit gehen heute die Erwartungen, einen neuen “Sozialpakt” auf einer völlig erneuerten verfassungsrechtlichen Grundlage in dem von politischer Gewalt zerrütteten Land möglich machen.
Zu Beginn schien grundsätzliche Skepsis noch angebracht, war doch zu erwarten, daß es der Konservativen und Liberalen Partei, den traditionellen Eliten, gelingen würde, das Vorhaben für sich zu instrumentalisieren. Doch schon heute hat die Asamblea Constituyente auf der politischen Bühne so viel in Gang und gleichzeitig durcheinander gebracht, daß Konservativen und Liberalen in weiten Bereichen die Kontrolle entglitten zu sein scheint und ihre alten Muster, nach denen sie jahrzehntelang gemeinsam Politik machten, nicht mehr gelten. Und das Allerschlimmste im Sinne des eingangs zitierten Kolumnisten: In den Umfragen liegt die M-19 vor Liberalen oder Konservativen in der Gunst des Wahlvolkes. Ihre Liste, angeführt von Antonio Navarro Wolf, birgt in der Tat Überraschungen: angeschlossen haben sich ihr drei Liberale, der progressiv- konservative Alvaro Leyva Durán und der bekannte Soziologieprofessor Orlando Fals Borda. Doch auch links von der M-19 hat sich Interessantes getan, wurden alte Unvereinbarkeiten linken Sektierertums aufgegeben. So haben Kommunisten, Sozialisten, Castristen und Unabhängige sich in einer Liste geeint und setzen alles daran, mit ihrem Spitzenkandidaten Alfredo Vásquez Carrizosa, Ex-Außenminister und Vorsitzender des Permanenten Komitees zur Verteidigung der Menschenrechte, mit neuer Offenheit und Toleranz als linke Alternative ernst genommen zu werden. Egal ob revolutionäre, dem Guerillakampf verbundene und bisher abstentionistische Kräfte wie A Luchar, reformistisch orientierte Kommunisten oder konziliante, bezüglich ihrer Herkunft schwer erkennbare Exmaoisten: sie legen in diesem Jahr ohne Ausnahme den Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit und mehrheitlich auch ihre Hoffnungen (also nicht nur Taktik) in eine verfassungsrechtliche Reform, verstanden als zukünftige Grundlage für einen Umbau der Gesellschaft, der als nicht mehr hinausschiebbar wahrgenommen wird. Kein Wunder: Kolumbien hat im lateinamerikanischen Vergleich die höchste Mordrate, die höchste Boden(Besitz-)konzentration und die unerbittlichsten neoliberalen Wirtschaftssitten in Gestalt des Drogenhandels. Doch wie kam es zu den programmatischen und organisatorischen Veränderungen in der Linken? Ein Blick zurück kann vielleicht ansatzweise eine Antwort geben.
Seit Ende der 50er Jahre bis in die Gegenwart wurde Kolumbien durch ein ausschließliches Zweiparteien-System (dem sogenannten Bipartidisrno) beherrscht, das in der Nationalen Front institutionell und auch verfassungsrechtlich bis 1978 abgesichert war. Nach der bürgerkriegsähnlichen Violencia der 40er und 50er hatten sich die verfehdeten Liberalen und Konservativen Parteien auf dieses Modell der Kooptation und paritätischen Amterbesetzung geeinigt, nach-dem der damalige Konflikt klassenspezifische Dimensionen angenommen hatte. Die Nationale Front sicherte nicht nur jahrzehntelang das trügerische Bild einer stabilen Präsidialdemokratie, sie garantierte und reproduzierte immer wieder auch den Ausschluß oppositioneller politischer Bewegungen. In diesem Kontext ist die marginale Entwicklung der Linken zu sehen, die sich, von der halblegalen und isolierten Kommunistischen Partei einmal abgesehen, nie im legalen Raum als Volks-oder Massenpartei über punktuelle historische Momente hinaus institutionalisieren konnte. Entweder wurde sie in die Illegalität (zur Guerilla) getrieben wie die Volksbewegung der Frente Unido um Camilo Torres (er ging zur ELN und fiel wenige Monate später), oder sie wurde von den traditionellen Parteien gespalten, korrumpiert und aufgesogen wie die “Revolutionäre Liberale Bewegung” MRL -Prozesse, die Mitte der sechziger Jahre stattfanden. Oder sie zerbrach an institutionellen Hürden, Wahlbetrug und fehlendem inneren Zusammenhalt wie die populistische ANAPO und ihr sozialistisches Strömungsanhängsel im Jahr 1970 (das zur Geburtsstunde der M-19 wurde), oder, letztes Beispiel, sie wurde in einem strategisch geführten Schmutzigen Krieg physisch liquidiert, wie die Unión Patriótica (UP)der 80er Jahre. Die UP war als legales Projekt der Kommunistischen Partei und der kommunistischen Guerilla aus dem “Friedensprozeß” unter dem damaligen Präsidenten Betancur hervorgegangen. (Anderen Guerillaorganisationen wie der M-19 -deren Popularität damals schon weit in die Mittelschichten hinein reichte -gelang die Konstitution einer legalen politischen Partei zu diesem Zeitpunkt aufgrund der massiven Verfolgung durch Todesschwadronen nicht). Bei den Präsidentschaftswahlen 1986 gelang es der UP noch mit Jaime Pardo Leal(1987 ermordet) für kolumbianische Verhältnisse beachtliche 4,5% der Stimmen zu erringen. Bei den Wahlen 1990 war sie für eine Kandidatur physisch nicht mehr in der Lage: ihr Kandidat Bernardo
Jaramillo wurde schon vorher umgebracht. Obwohl -oder gerade weil? -sich die politischen.Morde vorwiegend gegen die perestroikos,die Vertreter einer politischen Öffnung richteten, brachte die Perestroika-Diskussion in den letzten zwei Jahren die Linke erneut in Bewegung. Doch auch die Friedensverhandlungen, die die M-19 mit der Regierung Barco ab dem Frühjahr 1989 führte, beeinflusste die “Öffnungsdiskussion”der Linken und führte zu einem neuen Stellungbeziehen in der Frage des bewaffneten Kampfes -in klarer Abgrenzung zur M-19. “Keine Verhandlungen, keine Waffenniederlegung, ohne daß die Oligarchie zu Verhandlungen über soziale und politische Reformen bereit ist”, blieb die Devise. Nichtsdestoweniger wird unter Marxisten diverser Richtungen immer mehr der orthodoxe Diskurs durch eine allgemein-verständlichere Sprache abgelöst und der Avantgarde-Anspruch immer mehr durch die Idee der “kollektiven Avantgarde”. Diskussionen um eine Demokratisierung der Partei-bzw. Organisationsstrukturen sind in Gang.
Die M-19 hingegen hat in dieser Zeit vorgeführt, wie es geht, mit möglichst viel Prinzipien in möglichst kurzer Zeit zu brechen -und damit Wähler zu gewinnen: Bei den Präsidentschaftswahlen am 27. Mai verwies sie den offiziellen Kandidaten der Konservativen Partei auf den vierten Platz und errang auf Anhieb 12,5 % der Stimmen. Nicht nur, daß sie das Ende des Guerillakampfes in Lateinamerika ausrief und in einer parlamentarischen Demokratie -einer reformbereiten natürlich -nur noch Gutes sah. Nein, sie bekennt sich auch (laut Wahlprogramm) zu einem “Kapitalismus der Besitzenden”, einem Kapitalismus, “in dem alle reale Chancen auf Eigentum haben”. -Doch vielleicht hatte sie genau das unter “Volksmacht” immer verstanden? Und wenn in diesem Versprechen vielleicht gerade ihr Erfolgsgeheimnis läge?
Sicher ist, daß die alte, sich mühsam reformierende Linke, zwischen Neid auf die Popularitätswelle der Eme und Ablehnung von deren Anbiederung an die Macht, gleichzeitig vom Erfolg des Zivilismus und des demonstrierten Glaubens an eine Reformierbarkeit des abgewirtschafteten Systems in den Bann gezogen wird. Doch auch wenn diese Hoffnung berechtigt ist, wenn es gelingen sollte, mit neuen Mehrheitsverhältnissen die Verfassung des Landes zu reformieren und das Legitimationsdefizit der alten Eliten für eine Demokratisierung von Politik und politischer Kultur zu nutzen: Die Macht über die materiellen Reichtümer und zu deren Umverteilung ist damit noch nicht in anderen Händen.

(‘) Im November 1985 wurde der Justizpalast von der M-19 besetzt. Bei der Gegenoffensive der Streitkräfte kamen über 100Menschen ums Leben; zahlreiche Personen, Guerilleros wie Zivilisten, wurden vom Militär verschleppt und zu Tode gefoltert.

Das Bankgeheimnis: Spülgang bei der Geldwäsche

Das Rätsel war zumindest für diejenigen ein leicht zu durchschauendes, die seit dem 4.10.1979 von einem Dekret profitieren (also aus der Zeit der Diktatur und noch immer gültig), das die völlige Freiheit bei Einfuhr, Ausfuhr und beim Han­del mit Gold, Silber, Platin und anderen Edelmetallen auf uruguayischem Terri­torium garantiert.
Die geltenden Vorschriften – erlassen mit dem Ziel “Uruguay als internationalen Finanzplatz einzuweihen”, so der damalige Präsident Aparicio Méndez – erlau­ben den Handel mit Edelmetallen, ohne daß irgendeine Anmeldung oder be­hördliche Genehmigung einzuholen ist. Darüberhinaus dürfen diese Geschäfte unversteuert abgewickelt werden.
Die uruguayische Zentralbank wußte wahrscheinlich nicht einmal, was der Rech­nungshof der USA aufdeckte: Die Differenz von mehr als 400 Mio. US-Dol­lar aus der Handelsbilanz mit Uruguay entspricht genau dem Wert von 35 Ton­nen Gold, die die USA aus Uruguay importieren.
Auf diese wundersame Art und Weise verwandelte sich das kleine Land im Süd­kegel Lateinamerikas in den zweit­größten Rohstofflieferanten für den US-ameri­kanischen Juweliermarkt, mit jährlich mehreren hundert Tonnen Gold. Kleine Bemerkung am Rande: In Uruguay wird nicht eine Unze Gold produ­ziert…

Der Bruder des argentinischen Präsidenten: Feste dabei!

Die Koffer des argentinischen Senators und Präsidenten der regierenden “Gerechtigkeitspartei” (Peronisten), Eduardo Menem, wurden im Zoll des Flug­hafens von Punta del Este an jenem heißen Tag im Februar 1990 nicht einen Spalt breit geöffnet. In den Sommermonaten kommen schließlich zigtausende wohlha­bender Sommerurlauber aus Argentinien, Brasilien und Paraguay in den uru­guayischen Luxusbadeort. Der Mann, der Menem am Flughafen erwartete, fuhr ihn direkt zu der Filiale der uruguayischen Bank “Pan de Azucar”. Diesmal zahlte er nur 214.500 US-Dollar ein. Zehn Monate später waren auf dem Konto, das auf
den Namen des Bruders des argentinischen Präsidenten, den seiner Frau und auf den des Präsidenten der Bankaufsichtsbehörde eingetragen ist, rund 2 Mio. US-Dollar deponiert.
Wenige Tage vor seinem oben geschilderten Besuch in Uruguay stimmte Menem in seiner Funktion als argentinischer Senator für ein Gesetz, das die bisher gel­tende unzureichende Auskunftspflicht gegenüber dem argentinischen Finanzamt bei Transaktionen abschaffte und die Notwendigkeit eines härteren Vorgehens ge­gen die Kapitalflucht aus Argen­tinien forderte…
Der Skandal, der – wie vorauszusehen war – keine politisachen und juristischen Konsequenzen nach sich zog, bestätigte noch einmal, was seit dem 17.12.1982 (ebenfalls während der Diktatur in Uruguay) Gesetz wurde und bis heute gültig ist: Uruguay hat das weltweit sicherste und rigideste Bankgeheimnis.
Der größte Teil der 4 Mrd. US-Dollar, die Ausländer in uru­guayischen Banken deponierten, stammen aus Argentinien. Bis Ende 1989 wur­den rund 2,8 Mrd. US-Dollar den argentinischen Steuerbehörden hinter­zogen und in Uruguay einge­zahlt. Sie stellen einen erheblichen Teil der argenti­nischen Kapitalflucht dar oder stam­men aus anderen illegalen Finanzopera­tionen.
Die absolute Freiheit der Ein- und Ausfuhr von Edelmetallen und das Bankge­heimnis machen Uruguay für Steuerflüchtlinge und für diejenigen, die mit ihren Geschäften in die Hölle gehören, zum Paradies: Für die Geldwäscher der Dro­genhändler ebenso wie für jene, die ihren enormen Reichtum mit dem Elend der lateinamerikanischen Völker verdienen.
Es besteht auch keinerlei Gefahr, daß die uruguayischen Neoliberalen abschaffen, was für sie Prinzip ist: Der uruguayische Präsident Luis Alberto Lacalle hat öf­fentlich erklärt, daß die Verträge, die er mit Präsident Bush im November in Montevideo im Rahmen des “Anti-Drogenkampfes” unterzeichnen wird, “in kei­ner Weise das Bankgeheimnis verletzen werden”.

Geld stinkt nicht, wird aber trotzdem gewaschen

Die uruguayischen Banken (von denen alle bis auf die Staatsbank in aus­ländischem Besitz sind) haben auch keine Probleme mit dem Geruchssinn. Ebenso wie sie die illegale Herkunft der Mrd. US-Dollar akzeptieren, ist es kein Problem für sie, wenn mit brasilianischem Gold beladene LKWs die Grenze pas­sieren. Für die Banken ist dieses Gold, befindet es sich ersteinmal auf urugayi­schem Boden, keine Schmuggelware mehr.
Die Geldwäsche und der Goldschmuggel funktionieren nach einem einfachen Prinzip. Illegal aus den Nachbarstaaten ausgeführt, “verwandelt” sich die Ware, ohne jegliche staatliche Reglementierung, in einen Bestandteil des urugayischen Finanzsystems. Wird die Ware dann wieder über den Hafen und Flughafen Mon­tevideos ausgeführt, gilt Uruguay als ihr Herkunftsland. Auf diese Weise “gewaschen”, wird aus “grauer Ware” (Gelder aus Kapitalflucht und Steuerhin­terziehung) und aus “heißer Ware” (Drogendollars) wohlriechende “gewaschen Ware”. Diese kann dann unbehelligt in ihr Herkunftsland zurückkehren oder, wie in der Mehrzahl der Fälle, auf europäischen Konten deponiert werden. Bei der Durchreise in Uruguay bleibt nur ein Bruchteil der gewaschenen Dollars in Form von Zinsen oder Kommissionsgebühren hängen.
Doch selbst diese “Gewinne” bleiben wiederum in Händen der ausländischen Banken mit Sitz in Montevideo. In Uruguay selbst bleibt so nicht ein einziger Peso.
In dem Fall der Organisation “La Mina”, die von der US-amerikanischen Anti-Dro­genbehörde DEA (Drug Enforcement Agency) und der Steuerbehörde IRS (Internal Revenue Service) aufgedeckt wurde, benutzte die Gruppe Montevideo als Ersatz für Panama, als nach den US-amerikanischen Aktionen gegen Noriega die Benutzung dieses Finanzplatzes zu gefährlich wurde.
Die Wechselstube “Cambio Italia” – die noch immer völlig unbehelligt in Monte­video arbeitet – erhielt Geldüberweisungen für angebliche Geldankäufe in Uru­guay. Diese Geld wurde wieder auf Konten des kolumbianischen Medellín-Kar­tells in Luxemburg und in der Schweiz transferiert. Später konnte nachgewiesen werden, daß einige der “Goldladungen” nichts anderes enthielten als in Gold ge­badetes Blei. Bei der Ankunft des “Goldes” in den USA wurden ordnungs­gemäß Zoll und Steuern bezahlt und die Formalitäten erledigt. Das “Edelmetall” ermög­lichte so die Ausfuhr von Millionen Dollar aus den USA und ihre sichere An­kunft via Montevideo bei den Herren der Droge in Europa.
Ein anderes Mal wurde echtes Gold von nordamerikanischen Juwelieren, die für “La Mina” arbeiteten, an- und verkauft. Das gleiche Gold zirkulierte in An- und Verkaufsoperationen innerhalb der USA und rechtfertigte so die Transaktionen riesiger Geld­summen, die später zum neuralgischen Punkt der Organisation über­wiesen wurden: dem “Cambio Italia” in Montevideo.
Ein Uruguayer, Sergio Hochmann (er wurde im Februar 1989 in Los Angeles fest­genommen), war innerhalb der Organisation für die Übergabe und Zählung des Geldes in New York verantwortlich. Später wurde das Geld verpackt und in ge­panzerten Fahrzeugen von ‘Brink’s’und ‘Loomis’nach Los Angeles gebracht, wo die armenischen Schmuckhändler Koyomejian, Tankazyan, Tokaltian und Ando­nian Gold für ihre “Juwelierläden” kauften. So wurde das gleiche Gold mehrmals hin- und herverkauft. Die nun endgültig gewaschenen Dollars wurden nach Uru­guay zurücküberwiesen, wo Ruben Presarli von “Cambio Italia” nach einem nur ihm bekannten Verteilersystem das Geld an die einzelnen Drogenbarone weiter­überwies.
Der Argentinier Raul Vivas hatte dieses System aufgebaut und reiste zwischen New York, Los Angeles, Panama und Montevideo hin und her und hielt so das Unternehmen am Laufen. Er hatte den direkten Kontakt zu dem Kolumbianer Eduardo Martinez, bekannt als “Wirtschaftsminister” des Medellín-Kartells. Mar­tinez wurde von US-amerikanischen Scheinagenten in einem Hotel von Aruba (Antillen) 1989 gefilmt, als er sich mit einer von DEA-Agenten unterwanderten Organisation traf, die ihm günstigere Bedingungen für die Abwicklung der Geld­wäsche als “La Mina” anbot.
Einzelheiten dieses Gesprächs sind in dem Buch von Blixen nachzulesen, wo dann auch deutlich wird, wie das uruguayische Finanzsystem und das Bankge­heimnis den Interessen der Drogenmafia entgegenkommt. Martinez wurde im September 1989 in Kolumbien festgenommen und an die USA ausgeliefert. Wie es das Schicklsal dann doch mal ab und zu will, war es dann auch genau jener Flughafen von Punta del Este, auf dem die Koffer der wohlhabenden argentini­schen Urlau­ber nicht geöffnet werden, von dem aus Raul Vivas nach seiner Ver­haftung im Fe­bruar 1989 an die USA ausgeliefert wurde.

Aus Prinzip oder des Geldes wegen

Der Journalist Samuel Blixen entwickelt die Theorie, daß der Kampf der USA ge­gen die Drogen viel mehr darauf ausgerichtet ist, die ungeheure Kapitalflucht aus den USA, die die Geldwäsche mit sich bringt, einzudämmen, als tatsächlich mit dem Konsum und dem Handel Schluß zu machen.
Den Umfang dieser Kapitalflucht kann man ungefähr abschätzen, wenn man sich klar macht, daß von den 300 Mrd. US-Dollar Umsatz aus dem weltweiten Dro­genhandel rund 110 Mrd. US-Dollar aus den USA stammen. Auf die Händler ent­fällt ein Gewinn von 80%, das heißt, 81 Mrd. US-Dollar müssen pro Jahr al­leine in den USA gewaschen werden um dann zum größten Teil außer Landes gebracht zu werden. Zum Vergleich: Diese Summe entspricht dem Gewinn, den die 200 größten Unternehmen der USA im Jahr 1989 gemacht haben.
Paradoxerweise entspricht der Umfang dieser Kapitalflucht aus den USA genau der Summe, die die USA durch den Schuldendienst aus Lateinamerika pro Jahr erhalten. Dies heißt nichts anderes, als daß die USA pro Jahr die gleiche Summe an Drogengeldern durch Kapitalflucht verlieren wie sie durch das Eintreiben der Schulden, vermittelt über Sparprogramme und neoliberale Auflagenpolitik, aus den lateinamerikanischen Völkern herauspressen.

200 Banken…

teilten die nordamerikanische Sorge, die die USA beim “Gipfel der Sieben” 1989 in Arche (Frankreich) vorgetragen haben: es gilt, den Kampf gegen die Drogen zu verstärken und die Geldwäsche der Dollar aus dem Drogenhandel zu unter­binden. So kam es dann auch dazu, daß sich das schweizerische Bankensystem von seinem schlechten Image säuberte, indem die neuen Strafgesetze hohe Stra­fen auf die “Wäsche” von Geldern aus dubiosen Quellen vorsahen. Das gleiche passierte in Frankreich, wo das TRACSIN gegründet wurde, eine Organi­sation, die die franzö­sische Bankaufsichts-, Zoll- und Steuerbehörden verbindet, so daß verdächtige Transaktionen schneller aufgedeckt werden können. Selbst­verständlich haben diese so sauberen europäischen Banken Filialen in Honkong, Vanatu und Naru, auf den Holländische Antillen, Bahamas, in Panamá und Uru­guay, allesamt Steuerpara­diese in der “Dritten Welt”.
Auf der Liste der 200 in die Narcodollarwäsche involvierten Banken, die vom US-amerikanische Justizministerium veröffentlicht wurde, sind unter anderen die All­gemeine Niederländische Bank, die Banco Exterior de España, Banque Su­dameris, Deutsch Südamerikanische Bank, Dresdner Bank, Crédit Suisse, sowie die Chase Manhattan Bank, City Bank und American Express zu finden.
Dank des Bankgeheimnisses ermöglichten einige dieser 200 Banken der Organisa­tion “La Mina” zwischen 1986 und 1989 die Abwick­lung von 138.000 Transaktio­nen mit einem Gesamtvolumen von nicht weniger als 1,029 Mrd. US-Dollar. Nicht eine einzige dieser Transaktionen kam den real existierenden Ban­kern des weltweit freiesten Marktes verdächtig vor.

Kasten:

Der uruguayische “Klarspülgang”

Die wesentlichen Informationen, die wir hier veröffentlichen, stammen aus dem Buch des urugayischen Journalisten Samuel Blixen, das im August 1990 veröf­fentlicht wurde. (s.u.) In dem Buch deckt Blixen auf, wie das Medellín-Kartell in den vergangenen drei Jahren mehr als 1 Mrd. US-Dollar “gewaschen” hat. Blixen weist minutiös nach, wie rund 400 Millionen US-Dollar dieses Geldes durch den Finanzplatz Montevideo geschleust wurden. Uruguay wurde somit zu einem un­entbehrlichen Baustein im System der internationalen Geldwäsche.

“Die M-19 war schon immer eine ketzerische Organisation”

“Ein ausgefülltes politisches Leben zusammenzufassen ist keine leichte Aufgabe, denn wenn das Leben von Erfahrungen und Lehren geprägt ist, läßt es sich nicht mehr zusammenfassen.” Mit diesen Worten begann das Gespräch mit Vera Grave Löwenherz, Führungsmitglied der M-19, die vor einigen Monaten den Waffen­stillstand mit der liberalen Regierung Kolumbiens unterschrieben hat und deren Mitglieder heute in der Legalität leben. Nach einer kurzen und und schwierigen Wahlkampagne, in der ihr Präsidentschaftskandidat Carlos Pizarro León-Gómez ermordet wurde, ist die M-19 nun durch die Wahlen Ende Mai dieses Jahres dritte politische Kraft des Landes geworden. Die deutschstämmige ehemalige Guerillakommandantin Vera Grave, in den 70er Jahren Mitbegründerin der Organisation, ist heute Abgeordnete im Repräsentantenhaus.

Vera Grave: Für mich gibt es zwar Brüche und Sprünge im Leben, aber Leben und politische Integration sind eine gemeinsame Entwicklung. So wie der Tag zur Nacht wird, geht man vom Zuhause in die Berge und so verwandelt sich, was du bist und was du glaubst in Projekte, Taten und Verpflichtungen. Ich bin im universitären Umfeld mit der M-19 in Verbindung gekommen, dort, wo die M-19 zu dieser Zeit im kulturellen, kreativen und geistigen Bereich aktiv war. Meine Eltern sind Deutsche. Sie kamen müde von der Verfolgung durch die Nazis nach Kolumbien und suchten neue Horizonte. Wir sind zwei Schwestern und wuchsen hier in Kolumbien in einer deutschen Umgebung auf. Wir besuch­ten die deutsche Schule. Später, während meines Ethnologiestudiums, begann ich meine politische Arbeit im Untergrund mit der Organisation.

Juan Suárez: Die M-19 verfolgte auch als Guerilla eine eigenständige Dialogpoli­tik. Wie bewerten Sie ihre Friedenspolitik im internationalen Kontext heute?

Vera Grave: Seit ihrer Gründung war die M-19 eine ketzerische Organisation und war immer schon “perestroikisch”, indem die Vorgehensweise stets verändert wurde und neue Wege gesucht wurden. Zu einem Zeitpunkt, als der bewaffnete Kampf der Linken in Kolumbien sich in einer Krise befand, entwickelten wir eine neue Form des Kampfes: Während alle anderen Untergrundkämpfer in die Berge gingen, kämpften wir in den Städten. Als wir die Friedensverhandlungen began­nen, war der Krieg noch in vollem Gange. Unsere Friedensvorschläge existieren schon seit mehr als 10 Jahren. Wir haben immer versucht verschiedene Leitbilder zu entwickeln, uns mit einer eigenen Sprache auszudrücken, um von ausländi­schen und traditionellen Modellen freizukommen. In einem Land, in dem sich alle bewaffnen, schlug unsere Organisation die Abrüstung vor, mit all den Fol­gen, die das für die Mitglieder unserer eigenen Organisation hatte. Dieser dia­lektische Moment fiel zusammen mit den Veränderungen der Welt, das bedeutet, mit der Perspektive auf Freiheit und Frieden, dem Zusammenbruch alter Struk­turen und alter Blöcke hin zur Neuordnung der Welt.

J.S.: Was würde die M-19 tun, wenn sie jetzt an die Macht käme, wenn wir davon ausgehen, daß der Krieg auf die Interessen des Kapitals zurückgeht?

Vera Grave: Unsere Wahlkampagne drehte sich um Frieden und Versöhnung, um eine Gesellschaft von Besitzenden. Wir schlagen weder die Enteignung des Besitzes, noch die Aufhebung des Kapitals vor. Wir wollen aus Kolumbien ein Land machen, in dem alle etwas besitzen. In Kolumbien wollen die Menschen Arbeit und Besitz. Doch muß das Privateigentum demokratisiert werden und in die Weltwirtschaft, vor allem in die lateinamerikanische Wirtschaft, integriert werden. Ein fähiger, wirksamer und demokratischer Staat muß entstehen. Es müssen vernünftige Friedensdialoge mit den bewaffneten Gruppen des Landes geführt werden. Es ist richtig, daß der Krieg ein Krieg des Kapitals ist, aber die Pole haben sich verändert. Das Ost-West-Schema paßt nicht mehr. Es ist eine vielpolige Welt entstanden mit verschiedenen Blöcken: dem europäischen, dem asiatischen, dem arabischen, dem kanadisch-nordamerikanischen und, sehr optimistisch gesehen, dem lateinamerikanischen, dem wir alle noch sehr auf die Beine helfen müssen. Vielleicht erlaubt uns diese neue Wirtschaftsordnung die Beziehungen unter den Ländern auszudehnen. Gleichzeitig müssen neue Inve­stitions- und Entwicklungspolitiken erarbeitet werden.

J.S.: Was bedeutet für die M-19 die Besetzung politischer Posten wie der des Gesundheitsministers mit dem Führer der M-19, Antonio Navarro Wolf, oder Ihr Amt als Abgeordnete?

Vera Grave: Wir meinen, daß revolutionäre Prozesse auf verschiedenen Ebenen möglich sind, sowohl von außen, als auch von innen. Wir wollen von der Bühne aus zeigen, daß eine ehrliche und saubere Politik, die die wirklichen Interessen des Volkes vertritt, machbar ist. Das Volk hat uns gewählt, um diese Aufgaben zu erfüllen und hat damit unsere 15-jährige ehrliche und unseren Idealen treu­gebliebene Arbeit belohnt.

J.S.: Wie würde die M-19 mit dem Problem des Drogenhandels umgehen?

Vera Grave: Kolumbien ist zum schwarzen Schaf der Welt geworden. Es wird gesagt, daß die Quelle des Übels und die Schuld bei Kolumbien liegt, obwohl wir alle wissen, daß das Problem weder moralisch noch kolumbianisch ist. Das Pro­blem ist ein wirtschaftliches, bei dem sehr viele Länder nicht nur die Droge kon­sumieren, sondern daraus vor allem wirtschaftliche Vorteile ziehen. Wirtschaftli­che Probleme können aber weder mit Polizeigewalt, noch mit Unterdrückungs­methoden gelöst werden. Wir schlagen deshalb einen Dialog mit den Drogen­händlern vor. Sie sollen ihre Waffen niederlegen, wie sie bereits selbst vorge­schlagen haben. Die Gelder, die sie ins Ausland gebracht haben, müßten in Kolumbien investiert und die Kokapflanzungen durch den Anbau von Nah­rungsmitteln ersetzt werden. Außerdem müßten Erziehungsprogramme auf allen Ebenen durchgeführt werden. Doch vor allem sind politische und soziale Refor­men notwendig.

J.S.: Der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano schrieb über die Verände­rungen in Osteuropa folgendes: “Wir sind zur Beerdigung des Sozialismus ein­geladen, doch die Totenfeier hat sich in ihrem Toten geirrt.” Was denken Sie dar­über?

Vera Grave: Meiner Meinung nach handelt es sich nicht um die Beerdigung des Sozialismus. Die Welt befindet sich in einem Umbruch, was aber nicht bedeutet, daß die Menschen nur das kapitalistische System wollen. Die Menschen wün­schen ein besseres Lebensniveau, mehr Wohlstand, den sie in den sozialistischen Ländern nicht fanden. Wir glauben, vor der Alternative zwischen einer kapitali­stischen oder sozialistisch-demokratischen Gesellschaftsform zu stehen. Dabei gibt es die Möglichkeit, daß der Sozialismus kapitalistische Elemente, wie freie Marktwirtschaft und Konsum, übernimmt. Solange diese Schritte zu einem men­schlicheren Leben führen, bedeuten sie durchaus eine positive Entwicklung der Geschichte. So bedeutet das Zusammenbrechen des geheimen Sicherheits­dienstes, des Bürokratieapparates, der Einheitspartei einen wirklichen Fortschritt für den Sozialismus, solange dieser als demokratisch verstanden wird. Wir sind zur Beerdigung nicht funktionierender Systeme eingeladen.

J.S.: Was erhoffen Sie sich nach der Vereinigung von den Deutschen?

Vera Grave: Ich habe die Hoffnung, daß die Deutschen, obwohl sie zur Zeit damit beschäftigt sind, sich neu zu ordnen, nicht diesen, unseren Teil der Erde, vergessen werden. Wir sind eine Welt und es muß eine Politik des Austausches und der Solidarität mit dem Süden geben. Es ist wahr, daß bei uns im Süden Krieg und Gewalt herrschen, aber wer produziert die Waffen, wer macht Geschäfte mit diesen Kriegen? Unser Kampf gegen den Krieg wird fruchtlos blei­ben, solange die Industrienationen ihre Kriegsgeschäfte betreiben. Ich habe Hoff­nung, daß die friedensschaffenden Menschen im neuen Europa gegen das Geschäft des Krieges kämpfen werden.

J.S.: Frau Abgeordnete Vera Grave Löwenherz, vielen Dank für dieses Gespräch.

Alternativer Nobelpreis für kolum­bianische Bauernorganisation

Neben der “Naam”-Bewegung von Burkina Faso und der israelischen Rechtsan­wältin Felicia Langer erhielt die Asociación de Trabajadores Campesinos del Carare (Landarbeiterbund von Carare, ATCC) von der schwedischen Stiftung “Right Livelihood” den Alternativen Nobelpreis 1990 verliehen. Die ATCC wurde 1987 im ländlichen Raum des Gemeindebezirks von Cimitarra im Herzen des Magdalena Medio und damit der konfliktreichsten Region des Landes von Campesinos gegründet. Diese waren seit Ende der sechziger, massiv jedoch seit Anfang der achtziger Jahre unter den Druck verschiedener Guerillaorganisatio­nen einerseits und des Militär und ihrer paramilitärischen Gruppen andererseits gekommen. Neben Menschenleben verlor die an landwirtschaftlichen Anbauflä­chen und Bodenschätzen reiche Region die Chance für eine soziale und wirt­schaftliche Entwicklung. So wurden allein im Ortsbereich von La India (heute 470 Familien) von 1975 bis 1989 “ungefähr” (nach ATCC-Angaben) 500 Menschen ermordet. Und im Weiler La Corcovada wurden seit 1982 35 Campesinos erschossen, 10 Häuser verbrannt, die Schule zerstört: die Flucht der Überleben­den und das Aussterben des Fleckens waren die Folge.
Die ATCC versuchte das Unmögliche und es schien ihr zu gelingen. Mit der For­derung “Für das Recht auf Leben, Frieden und Arbeit” wurden die Campesinos “mit erhobenen Händen” zuerst bei den Guerillakommandanten, dann bei den Militärs vorstellig, um ihren eigenen “Friedensplan” vorzustellen: Dialog statt Gewehrfeuer, Abzug aller bewaffneten Region, Entwicklung statt Zerstörung. Die ungewohnte Strategie der ATCC, sich mit strikter Gewaltlosigkeit zwischen alle Stühle zu setzen, machte es möglich, daß zwischen 1987 und Februar 1990, dem Höhepunkt des Schmutzigen Krieges in Kolumbien, in der Gegend von Carare nur fünf politische Morde verübt wurden. In einem Regionalentwick­lungsplan rechnete die ATCC der Regierung die Vorteile vor: “Wenn die Gesamtkosten des Plans 2,823 Milliarden Pesos (ca. 1 Mio. DM) betragen, die über sechs Jahre 3.000 Familien begünstigen, gibt der Staat jährlich 157.000 Pesos pro Familie aus (…). Die Bewaffnung und Unterhaltung eines Soldaten kostet den Staat jährlich eine Million (…). In anderen Worten, der Frieden ist billiger und weitaus produktiver als der Krieg.”
Die bäuerliche Selbstorganisation jedoch schien der Rechten schon zu gefährlich. Das Mißtrauen der Rechten konnte auch durch die Abgrenzung vom bewaffne­ten Kampf nicht beseitigt werden. Iván Duque, Sprecher der rechtsextremen MORENA-Partei und Sprachrohr der paramilitärischen Gruppen, bezichtigte die ATCC, der kommunistischen Guerillagruppe FARC anzugehören. Am 26. Februar 1990, wurden drei Führer der ATCC, sowie die Journalistin Silvia Duzán, die in diesem Moment über deren Arbeit einen Film für die englische BBC drehte, von einer paramilitärischen Gruppe in Cimitarra ermordet. Doch die ATCC blieb bei ihrem Kurs, neue Aktivisten haben die Toten ersetzt. Für ihren Kampf für Frieden und Selbstbestimmung ohne Waffen haben sie den “Right Livelihood”-Preis verdient. Anzumerken bleibt, daß Iván Duque inzwischen auf der Liste der regierenden Liberalen Partei in den Senat gewählt wurde und mit der Regierung Verhandlungen für eine Amnestie der paramilitärischen Gruppen aufgenommen hat.

Integrationsfieber

“Die große ökonomische Lehre diese Jahrhunderts ist, daß der Protektionismus den Fortschritt verhindert und daß der freie Markt Wachstum und Entwicklung gewährleistet”, meinte George Bush, Präsident des Landes, welches laut einer OECD*-Studie die meisten und höchsten Handelsbarrieren in der Welt aufweist. Doch dieser neoliberale Exkurs war nur die Einleitung seiner “historischen” Rede am 27. Juni, mit der er eine “neue” Politik der USA gegenüber Lateinamerika ankündigte.
Eine gesamt-amerikanische Freihandelszone schlug er seinen NachbarInnen vor, damit “Amerika der erste völlig freie und demokratische Kontinent wird”. Drei Standbeine hat diese “Bush-Initiative”: 1) Reduzierung eines Teiles der lateiname­rikanischen Schulden bei der US-Regierung 2) Schaffung eines “Entwicklungs­fonds” zur Förderung der Auslands-Investitionen in Lateiname­rika und 3) völlige Liberalisierung des Handels in der Region, also Abbau aller Zölle und Handels­schranken (Freihandelszone). So weit, so einfach. Interessant wird es bei den Zahlen: Die US-Regierungsforderungen gegenüber Lateiname­rika betragen 12 Mrd. US-Dollar. Das sind 2,4 % der Gesamtschuld Lateinameri­kas, die nach neuesten Zahlen 437 Mrd. US-Dollar beträgt. Und davon sollen 7 Mrd. erlassen werden… Der “Entwicklungstopf” für Lateinamerika soll sage und schreibe 300 Millionen US-Dollar für die ersten fünf Jahre zur Verfügung haben, wobei sich die USA, Japan und die EG in gleichem Maße beteiligen sollen, so zumindest Bush’s Idee. Zum Vergleich: Die zur Investitionsförderung und für Strukturmaß­nahmen geschaffene Entwicklungsbank für Osteuropa hat ein Volumen von 12 Mrd. US-Dollar für fünf Jahre. Allein im Jahr 1989 hat Latein­amerika 25 Mrd. US-Dollar durch Zinszahlungen ins Ausland transferiert, daß sind 84 mal mehr als der vorgesehene Betrag für den Lateinamerika-Topf. Dar­überhinaus betonte der US-Regierungschef, daß natürlich nur die Länder in den “Genuß” der Freihan­delszone kommen könnten, die sich vorher einer Liberalisie­rungskur mit Unter­stützung des IWF unterziehen.
Dennoch ist der Optimismus der Regierungen Lateinamerikas bei ihren Reaktio­nen auf den Bush-Plan kaum zu bremsen: “Ein guter Schritt vorwärts”, kommen­tierte der argentinische Präsident Menem. “Der Plan ist geeignet, die Entwick­lung und die Lösung der Probleme Lateinamerikas ein gutes Stück voranzubrin­gen”, sagte ein Sprecher der UNO-Wirtschaftsorganisation für Lateinamerika CEPAL und Chiles Finanzminister meint gar: “Lateinamerika kann mit Optimis­mus in die Zukunft sehen”.

Schwindende Hegemonialmacht bekommt Torschlußpanik

Der eigentliche Grund für diesen US-Vorschlag dürfte weniger im Interesse an einer Entwicklung des Subkontinents als vielmehr an den Problemen im eigenen Landes liegen. Das chronische Außenhandelsdefizit der USA braucht eine Lö­sung, soll die Wirtschaft nicht noch weiter den Bach runter gehen. Für die Löcher in der Handelsbilanz werden natürlich Absatzmärkte gesucht. Die USA sind für Lateinamerika immer noch der wichtigste Handelspartner. 1989 gingen 52% der lateinamerikanischen Exporte in die Vereinigten Staaten, während 59% der Importe Lateinamerikas aus den USA kamen. Dennoch ist die US-Handelsbilanz mit Lateinamerika extrem negativ: in den letzten fünf Jahren hat sich ein Saldo von 48 Mrd. US-Dollar angesammelt. Es geht den USA also offensichtlich nicht darum mehr zu kaufen, sondern mehr zu verkaufen. “Neue Märkte für US-Pro­dukte und mehr Arbeit für nordamerikanische Arbeiter” verspricht der Präsident dann auch unverhüllt seinen Landleuten. Gleichzeitig könnte es dem Weißen Haus darum gehen, durch eine gezielte Intervention die lateinamerikanischen Integrationsbemühungen zu unterminieren und zu vereinnahmen, zielt der Plan doch hauptsächlich auf Länder, die sich zum einen bereits einer weitgehenden Liberalisierung unterzogen haben und zum anderen eine regionale Integration anstreben.
Die USA geraten darüberhinaus angesichts der sich anbahnenden wirtschaftli­chen Machtkonzentrationen in Europa und Asien in Zugzwang , wollen sie ihre Hegemonie in der Welt nicht gänzlich verlieren. Eine Rückbesinnung auf den traditionellen “Hinterhof” und eine noch stärkere wirtschaftliche Dominierung des Kontinents könnten dieses “Defizit” ausgleichen. So ist es nicht verwunder­lich, daß Bush diese Initiative wenige Tage vor dem Weltwirtschaftsgipfel in Houston (G7) aus dem Hut zauberte. Stärke zeigen! Doch die dort Anwesenden waren zwar nicht angetan von Bushs Plan, lamentierten allerdings weniger über eine ökonomisch gewendete Monroe-Doktrin, als daß sie vielmehr sofort ihre Chancen, in Amerika einen größeren Absatzmarkt zu finden, kalkulierten.

“Die Zukunft Lateinamerikas liegt im freien Markt…”

In Lateinamerika findet Bush mit seiner Initiative einen guten Nährboden vor. Die Länder stehen wirtschaftlich fast alle mit dem Rücken zur Wand. Nicht, daß sie, wie noch in den 70er Jahren durch Militärdiktaturen zur neolibearlen Anpas­sung á la IWF gezwungen werden müßten: Heute führen die demokratisch ge­wählten Präsidenten genau dieselbe Wirtschaftspolitik durch wie ihre Vorgänger in Uniform. Die Wirtschaftspläne von Collar, Menem Fujimori und wie sie alle heißen gleichen sich dabei fast aufs Haar. “Es ist eine neue Art von Führung ent­standen, die sich auf das Mandat des Volkes berufen kann und versteht, daß die Zukunft Lateinamerikas in der freien Regierung und im freien Markt liegt”, zollt Bush dieser Entwicklung Beifall.
Was dieser “freie Markt” für die Mehrheit der Bevölkerung bedeutet, wird am tagtäglich wachsenden Elend in der Region deutlich. Mehr als ein Drittel der städtischen und fast zwei Drittel der ländlichen Bevölkerung des Kontinents le­ben unterhalb der Armutsgrenze. Die Verelendung in Lateinamerika hat gerade in den 80er Jahren, in denen in fast allen Ländern die neoliberale Politik trium­phierte erschreckende Ausmaße angenommen und zeigt sich in allen Bereichen des sozialen Lebens. Doch diese Bevölkerungsmehrheit wird natürlich nicht ge­fragt, wenn von “Wachstum und Entwicklung dank des freien Marktes” gespro­chen wird.
Nach den ersten euphorischen Reaktionen aus Lateinamerika wurde der Bush-Plan nun erst einmal zur weiteren Begutachtung an verschiedene Ausschüsse und Organisationen übergeben, die den genauen Inhalt prüfen sollen. SELA (Sístema Económico Latinoamericano, lateinamerikanisches Wirtschaftssystem) legte Anfang September einen ersten Zwischenbericht vor, in dem zwar der Wandel in der US-Politik gegenüber Lateinamerika von der militärischen zur ökonomischen Motivation begrüßt, der Plan an sich allerdings eher skeptisch betrachtet und kritisiert wird. Der Versuch der USA, einen neuen Block zu bil­den, stelle einen “Handel zwischen sehr ungleichen Partnern dar” und könne leicht in ein Instrument zum einseitigen Nutzen der USA umgewandelt werden. Dennoch sehen die Wirtschaftsexperten in dem Plan eine Möglichkeit, IWF und andere Gläubigerinstitutionen zu beeinflussen und zu einer Reduzierung der Auslandsschulden zu bewegen.

…und die Vergangenheit auch

Anders urteilte die lateinamerikanische Linke auf ihrem Anfang Juli in Sao Paulo abgehaltenen Kongress: “Der Bush-Plan zielt darauf ab, unsere nationalen Öko­nomien für den unlauteren und ungleichen Wettbewerb mit dem ökonomischen Hegemonieapparat komplett zu öffnen, uns ihrer Hegemonie völlig zu unterwer­fen und unsere produktiven Strukturen zu zerstören, indem er uns in eine Frei­handelszone integriert, organisiert und bestimmt von den nordamerikanischen Interessen.” So wahr wie einfach, aber aus dem Dilemma der wirtschaftlichen Krise hilft ein solches Anprangern des US-Imperialismus auch nicht heraus.
Kubas Staatschef Fidel Castro setzt noch einen drauf: Eine gemeinsame Verteidi­gungsfront gegen diesen imperialistischen Angriff der USA solle gebildet wer­den, um eine noch größere Penetration durch die nordamerikanischen Multis zu verhindern.
Die ist allerdings auch ohne Freihandel schon viel zu groß: 7 Mrd. US-Dollar Reingewinn zogen die US-amerikanischen Multis allein 1989 aus dem strangu­lierten Kontinent. Das Lamentieren darüber, daß der Plan lediglich dazu dient, die lateinamerikanischen Märkte für ein besseres Vordringen der US-Industrie zu öffnen, hilft ebenfalls wenig weiter, denn die Märkte der meißten Länder sind be­reits in den letzten Jahren auch ohne die Freihandelszone durch den Druck des IWF sperangelweit aufgerissen worden. Klar ist allerdings, daß die nationalen lateinamerikanischen Industrien in der Konkurrenz mit den US-Produkten in den wenigsten Fällen eine Chance haben. Die USA versuchen eher Lateinamerika weiterhin auf die Rolle des billigen Rohstofflieferanten für die eigene Industrie und als Absatzmarkt für ihre Produkte festzuschreiben. “In den letzten zehn Jah­ren haben die USA einen Großteil ihrer traditionellen Märkte verloren”, gesteht dann auch der US-Finanzsekretär David Mulford freimütig ein.

Menem und Collor heben ab

Zehn Tage nach der Offensive des US-Präsidenten warteten der argentinische Präsident Carlos Menem und sein brasilianischer Amtskollege Collor de Mello mit einem etwas kleiner dimensionierten Plan auf: Schaffung eines gemeinsamen argentinisch-brasilianischen Marktes zum 1.1.1995 “In dieser Zeit der Krisen ist es gut, daß wir große Dinge tun können”, kommentierte Menem schlicht und ergrei­fend. Großes haben die beiden Regierungen vor, wollen sie bis Anfang 1995 alle Voraussetzungen für die Einführung eines gemeinsamen Marktes nach dem Vorbild der EG geschaffen haben.
Die Idee fußt auf den Integrationsprotokollen der vorhergehenden Präsidenten Alfonsín und Sarney, die 1986 einen ökonomischen Integrationspakt unterzeich­neten, der die Grundlage für die spätere Einführung eines gemeinsamen Marktes bilden sollte. Im Januar 1987 wurden dann 20 Integrationsprotokolle unterzeich­net, die die wirtschaftliche Zusammenarbeit für einzelne Sektoren regelten. Im April des darauffolgenden Jahres legten sie den Termin für einen gemeinsamen Markt auf das Jahr 2000 fest. Mit der wirtschaftlichen Integration der beiden Ländern tat man sich allerdings in den letzten Jahren erheblich schwerer, als er­wartet wurde. So stieg der Handel zwischen beiden Ländern seit 1985 zwar um 81% an, besitzt allerdings am jeweiligen Gesamtexport der beiden Länder gemes­sen immer noch eine sehr geringe Bedeutung.
Collor und Menem wollen nun dieser Integration mehr Schubkraft verleihen und zogen den Termin für den gemeinsamen Markt kurzerhand fünf Jahre vor. Gleichzeitig soll eine Komission, die seit Anfang September tagt, alle Weichen für die einzelnen Wirtschaftsbereiche und Problemfelder stellen und konkrete Maß­nahmen ausarbeiten, um den Termin einzuhalten. Mit der Unterzeichnung dieses Plans wurden außerdem die bestehenden Integrationsprotokolle um mehrer hundert Produkte ausgeweitet, so daß eine Erhöhung des Handelsvolumens um 530 Millionen Dollar allein in diesem Jahr ermöglicht werden soll. Gleichzeitig wurden die Quoten für die bisherigen Produkte erhöht und die Schaffung von bi-nationalen Unternehmen soll forciert werden.
Bezüglich des Bush-Plans merkten die beiden Staatschefs an, daß “die Integration des Cono Sur mit der Bush-Initiative vereinbar ist” und schufen eine gemeinsame Komission zur Beratung über den Plan. Das lateinamerikanische Vorhaben ist allerdings weitgehender, sieht es doch nicht nur Freihandel zwischen den Län­dern, sondern eben einen gemeinsamen Markt, mit gemeinsamer ökonomischer Außenpolitik, einer gemeinsamen Währung und dem vereinigten Auftreten der Delegationen im Ausland vor, um eine bessere internationale Verhandlungspo­sition zu erlangen. In der Uruguay-Runde des Gatt (Allgemeines Zoll- und Han­delsabkommen), welche den weltweiten Freihandel regeln will, werden die bei­den Länder auf jeden Fall gemeinsam ihre Interessen vertreten, die sich in erster Linie gegen den Protektionismus der EG bezüglich der Agrargüter richten.

Die “Kleinen” dürfen auch mitmachen

Ignoriert wurde bei diesen Verhandlungen allerdings der Juniorpartner Uru­guay, welcher in den vorangegangenen Integrationsbemühungen immer mitein­geschlossen war. So mokierte der uruguayische Präsident Lacalle noch am Tag des Treffens Collor-Menem, daß er nicht einmal eingeladen worden sei. Auf einer Sitzung Anfang August wurden dann allerdings nicht nur Uruguay, sondern gleich auch noch Chile mit in das Vorhaben einbezogen. Paraguay wurde als fünfter im Bunde direkt aufgefordert, sich an dem “Integrationsprogramm 1995” zu beteiligen. In einer zweiten Phase sollen dann nach der Schaffung des gemein­samen Marktes zwischen diesen fünf Ländern alle anderen Staaten der “Lateinamerikanischen Integrations-Organisation” (ALADI) miteinbezogen wer­den, also Mexiko, Kolumbien, Ecuador, Peru und Venezuela. Doch dieses Wunschdenken lenkt davon ab, daß der eigentliche Kern, die Integration im Cono Sur durchaus realistische Verwirklichungschancen hat. Der gemeinsame Markt von Chile, Uruguay, Argentinien und Brasilien wäre die Heimat von zwei Dritteln der Bevölkerung Lateinamerikas mit einem jährlichen Wirtschaftsvolu­men von 280 Mrd. US-Dollar.
Voraussetzung für all diese Zukunftspläne dürfte allerdings die Bewältigung der derzeitigen Krise in Brasilien und Argentinien sein. Denn einen gemeinsamen Markt der Inflation und Armut wollen die Herren wohl kaum. Anscheinend hilft eben kein neoliberales Konzept, um die Inflation der Länder unter Kontrolle zu bekommen, sondern stürzt sie vielmehr gleichzeitig in eine tiefe Rezession.

Kasten:

Fußball-Integration

“Wir Brasilianer haben im Endspiel der Fußball-WM für Argentinien geschrien, denn die lateinamerikanische Integration vollzieht sich auch über die Zuneigung – und die Leidenschaft für den Fußball ist eine der gemeinsamen Sachen unserer beiden Länder.” (Collor de Mello) Na dann können wir ja auf eine gemeinsame argentinisch-brasilianische Auswahl bei der nächsten oder übernächsten WM gespannt sein.

Ministrabler Ex-Guerillero

Noch vor gut einem halben Jahr war Antonio Navarro Wolff eine der Führungs­persönlichkeiten der Guerilla M-19. Unter der Führung von Carlos Pizarro ging die M-19 den Weg in die politische Legalität und konstitutierte sich als Partei. Der Mord an Pizarro im Mai diesen Jahres vor den Präsidentschaftswahlen schien die Aussichtslosigkeit einer legalen linken politischen Aktivität zu bewei­sen. Trotzdem hat sich in Kolumbiens politischem System durch die Einbezie­hung eines Ex-Guerilleros als Minister in die Regierung etwas geändert. Noch vor kurzer Zeit wäre dieses völlig undenkbar gewesen.
Der neugewählte Präsident Cesar Gaviria steht wie seine Vorgänger vor dem Problem, daß das formal-demokratische System Kolumbiens das Vertrauen der Mehrheit der Bevölkerung verloren hat. Nicht einmal die Hälfte der Wahl­berechtigten geht wählen. Der Staat ist über hochrangige Militärs zu offensicht­lich und zu eng mit der Aktivität der Todesschwadronen und den Interessen der Oberschicht kompromittiert. Gaviria ist Teil des Establishments – die Präsident­schaftskandidatur der dominierenden Liberalen Partei ist ohne viele Kompro­misse mit Lobbyisten und Geldgebern kaum zu erreichen. Aber er scheint erkannt zu haben, daß es mit der Verwaltung der Macht bzw. der Verwaltung des Krieges nicht so weitergehen kann, ohne daß sich die kolumbianische Gesell­schaft noch weiter polarisiert. Die Einbeziehung der M-19 in die Regierung ist im Zusammenhang mit dem Projekt einer Verfassungsreform zu sehen, die das Vertrauen der Bevölkerung in die formal-demokratischen Institutionen wieder­herstellen soll. Am 25.November soll eine 80-köpfige verfassungsreformierende Versammlung gewählt werden. Ihr sind jetzt schon enge Grenzen gesetzt. Ein Themenkatalog ist bereits definiert ebenso wie die Vorgabe, daß die bestehende Verfassung in jedem Fall Grundlage der Reformen sein muß. Für eine wirkliche Verfassungsreform bleibt dort wenig Platz. Außerdem müssen alle Vorschläge vom Obersten Gerichtshof ironischerweise auf ihre Verfassungsmäßigkeit, (gemessen an der Verfassung, die sie gerade reformieren sollen) überprüft wer­den. Eine Vetoinstanz gegen allzu große Selbständigkeit der Versammlung ist also eingebaut.
Ein Blick auf die ersten Personalentscheidungen des neuen Präsidenten zeigt, wie eng offenbar auch seine politischen Spielräume und wie begrenzt sein politischer Wille für Reformen sind. Im Kabinett sitzen neben Navarro Wolff nur Vertre­terInnen der traditionellen Parteien. Das Bündnis der beiden großen Parteien, der Liberalen und Konservativen, hat in Kolumbien eine fatale Tradition. Jahrzehn­telang hatten sie qua Absprache die Macht unter sich aufgeteilt und damit den in der Theorie demokratischen Charakter des Systems so pervertiert, daß das Miß­trauen der KolumbianerInnen nur konsequent ist. Auch an das Militär hat Gavi­ria Konzessionen machen müssen. Zwar gab es ein größeres Stühlerücken in den höchsten Positionen, jedoch kamen außerordentlich zweifelhafte Figuren an die Spitze der Streitkräfte. Der neue Oberbefehlshaber Roca Maichel wurde von ehemaligen Mitgliedern seiner Einheit beschuldigt, der Mafia beim Transport eines Kokainlabors geholfen zu haben. Ein Militärgericht sprach ihn frei. Der nach Dienstalter Zweite, General Farouk Yanine, ist in die Bildung von para­militärischen Gruppen im Tal des Magdalena Medio (nördlich von Bogotá) verwickelt.
Was kann ein einzelner linker Minister in solch erlauchtem Kreise tun? Vom kollektiven Marsch durch die Institutionen ist die kolumbianische Linke weit ent­fernt. Trotzdem ist die Flucht nach vorn der M-19 verständlich. Mit ihrem bewaffneten Kampf war die Guerilla in eine Sackgasse geraten. Die Ernennung eines Ex-Guerilleros zum Minister hat nicht viel mehr als Symbolwert, aber die­ser ist nicht zu unterschätzen. Nicht, daß der bewaffnete Kampf in Kolumbien sich erübrigt hätte, die Gründe für ihn bestehen weiter und können unter bestimmten Bedingungen auch wieder zu einem Weg des jetzt legalen Teils der Linken zurück in den Untergrund führen, sei es zum bewaffneten Kampf oder zu anderen Formen der politischen Arbeit. Die bitteren Erfahrungen der Unión Patriótica und des M-19 selbst mit der Ermordung ihrer KandidatInnen sprechen für sich. Was bleibt, ist die Hoffnung, vielleicht einen winzig kleinen politischen Spielraum für progressive Politik nutzen zu können.

FRAUEN UND DEMOKRATIE

Das Thema Demokratie kann mühelos diskutiert werden, ohne daß die Geschlechterdifferenz thematisiert wird. Das heißt, daß eine Mehrheit des Volkes, das da herrschen soll, einfach übersehen wird: die Frauen.
Im alten Griechenland, dem “Mutterland der Demokratie” waren Frauen selbstverständlich vom Wahlrecht ausgeschlossen. Logisch, denn Demokratie verstand Mann als Herrschaft der Armen (vgl. Artikel in dieser Nummer).
Inzwischen ist Mann moderner und 1äßt die Frauen mitwählen, ohne daß sich an der Machtverteilung viel geändert hätte: Männer sitzen auf den höheren Posten, egal ob in Regierungen, Gewerkschaften, Konzernen, Oppositionsbewegungen oder Guerillas. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Und die Frauen? Sie bewältigen die verschiedenen Alltage, baden Wirtschaftsprogramrne aus und Subventionsstreichungen, definieren ihre gesellschaftliche Position über die “ihrer” Männer, sorgen fürs Familienwohl und lassen sich be-herrschen, egal, in welcher Regierungsform. So scheint es.
Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Alltagsformen und gesellschaftliche Einflußmöglichkeiten, Lebensentwürfe und Wertvorstellungen von und für Frauen sind weltweit sehr unterschiedlich. So ist die Feststellung platt, daß Frauen immer den kürzeren ziehen. Außerdem stellt sich die Frage an der Mittäterinnenschaft der Frauen. Doch so etwas wie ein gemeinsamer Nenner der Frage, was Demokratisierung mit Frauen zu tun hat, ist folgende Tatsache: Frauen sind in verschiedenen Ländern und Situationen für die Organisation des Alltags wesentlich stärker zuständig als Männer. Und Frauen haben Mitbestimmung und Gleichberechtigung eben nicht nur in Parlamenten und Chefetagen zu erkämpfen, sondern auch und vor allem in ganz alltäglichen Situationen: zuhause, bei der Arbeit, bei Kindererziehung und im Bett. Ohne die Abschaffung von geschlechtlicher Diskriminierung wird es bei der Herrschaft der Männer bleiben.
Frauen und Demokratie in Lateinamerika -das heißt, sich die Frage nach den Alltagen von Frauen zu stellen. Es gibt nicht DEN oder DIE Alltage von Frauen. Und es muß auch bezweifelt werden, ob Alltagserfahrungen so ohne weiteres vergleichbar sind.
In diesem Heft möchten wir zwei extreme Erfahrungen von Frauen vorstellen, die sehr weit auseinanderliegen: Positionen von Prominentengattinnen auf der einen Seite und auf der anderen: Erfahrungen von Frauen, die gefoltert werden.
Prominentengattinnen stehen auf der Seite der gesellschaftlichen Macht, aber nicht um ihrer selbst willen, sondern als Frau von … Durch die gesellschaftlich geforderte Identifikation mit dem Mann geben sie oft -wie Mathilde Neruda -bereitwillig eigene Identitäten auf, die sich andere Frauen erkämpfen wollen, und sind somit deutliche Beispiele von Mittäterinnenschaft.
Ein Artikel und eine Rezension beschäftigen sich mit dem Thema der Prominentengattinnen, welche sonst bezeichnenderweise vorwiegend in “Frauen-” und Unterhaltungszeitschriften und nicht in so “politischen” Blättern wie den Lateinamerika Nachrichten thematisiert werden.
Frauen und Folter ist wohl ein absolutes Extrem von männlicher Gewalt, denn im Verhältnis zwischen Folterer und weiblichem Opfer erreicht das gesellschaftliche und private Herrschaftsverhältnis einen absoluten Punkt. Da Folter immer mit sexueller Erniedrigung verbunden ist, werden bei Frauen andere Lebenserfahrungen berührt, wenn sie gefoltert werden, als bei Männern. Wir meinen, daß der Zusammenhang zwischen Folter und Geschlecht thematisiert werden muß, auch wenn bei der Darstellung immer die Gefahr besteht, daß Artikel voyeuristisch gelesen werden können.
Zwischen den Extrempunkten bewegen sich die Themen von zwei weiteren Artikeln. Der eine beschäftigt sich mit Frauen und (sexueller) Gewalt in Chile, wobei dies genauso gut für jedes andere lateinamerikanische Land thematisiert werden könnte.
Ein weiterer Artikel beschäftigt sich ebenfalls mit Gewalt: mit der alltäglichen Gewalt im “demokratischen” Kolumbien. In diesem Artikel wird ganz besonders deutlich, daß Frauen stärker von der “Misere” betroffen sind als Männer, weil sie und nicht die Herren, den Alltag bewältigen müssen.

Amazonien

Die COICA ist ein Organ, das am 26. März 1984 in Lima von den nationalen indianischen Organisationen selbst gegründet wurde. Zur Zeit gehören ihr fünf nationale Organisationen (aus Peru, Bolivien, Ecuador, Kolumbien und Brasilien) mit jeweils diversen Unterorganisationen an, die zusammen Bevölkerung von über 1 Millionen Menschen vertreten. Als ihre Funktionen gibt die COICA an:
-die Mitgliedsorganisationen vor verschiedenen zwischenstaatlichen Instanzen und Nicht-Regierungs-Organisationen auf nationaler Ebene zu vertreten;
-die territorialen Forderungen, die Selbstbestimmung und die Respektierung der Menschenrechte der indianischen Völker durchzusetzen;
-die Einheit und gegenseitige Zusammenarbeit zwischen allen indianischen Völkern zu stärken;
-die Erneuerung der kulturellen Werte und die integrale Entwicklung all ihrer Repräsentanten in jedem Land, zweisprachige interkulturelle Erziehungsprogramme und Gesundheitsarbeit in jedem Mitgliedsland bei gleichzeitiger Achtung seiner Autonomie und unter Wahrung seiner Sitten und Besonderheiten zu gewährleisten.
die COICA durch Einbeziehung oder den Anschluß weiterer indianischer Organisationen zu erweitern.

Indianisches Leben und Territorium als Strategie zur Verteidigung Amazoniens

1. Wir sind hier -indianische Völker und Umweltorganisationen -da wir ein Interesse gemein haben: den Respekt für die Welt, in der wir leben, und den Schutz dieser Welt, sodaß die gesamte Menschheit ein besseres Leben haben kann. Ein wesentlicher Punkt dieses Anliegens ist die Erhaltung des amazonischen Regenwalds. Wir indianischen Völker und unsere Territorien in Amazonien gehören uns gegenseitig, wir sind eins. Die Zerstörung eines Teiles von Amazonien betrifft alle anderen Teile.

2. Seit langer Zeit haben wir in dem Wald gelebt und ihn genutzt, ohne ihn zu zerstören. Wir haben ihn in einer ganzheitlichen und integralen Weise bewirtschaftet-und wir waren jahrhundertelang seine Verteidiger. Unsere Völker wurden geschwächt und als Resultat dessen ist auch der Schutz Amazoniens verringert worden. Heute sind wir erneut die wichtigsten Protagonisten der Verteidigung und des Schutzes Amazoniens.

3. Wir sind an einem Scheideweg angelangt. Werden wir verschwinden oder werden unsere Völker und der Wald überleben? Da der Wald für uns keine Ressource ist, ist er das Leben selbst. Er ist für uns der einzige Ort zum Leben. Die Abwanderung bedeutet, als Volk zu sterben, da der Amazonas das einzige Erbe ist, das wir unseren Kindern hinterlassen können. Diese Tatsache steht hinter unserer Energie und Entschiedenheit ohne Zaudern oder Umkehr.

4. Der Wald wurde von jenen ausgebeutet, die auf unmittelbaren Gewinn aus waren, der zur Überausbeutung der Ressourcen führt und uns die Möglichkeit einer Zukunft vernichtet. Im Gegensatz dazu denken wir indianischen Völker sowohl an uns wie an den Wald als eine Einheit.

5. In dem Maße wie die Zerstörung alarmierend wird, hat sich die Sorge um Amazonien ausschließlich auf die Natur konzentriert, ohne die Zerstörung der indianischen Völker in Betracht zu ziehen. Millionen Dollars wurden in Parks und in den Naturschutz investiert, wobei die Hauptgaranten die durch kurzfristige Interessen motivierten Regierungen waren.

6. In einigen Fällen haben leider Parks und andere Schutzmaßnahmen dazu gedient, uns Indianern weitere Grenzen aufzuerlegen. Sie engen uns ein und wir verlieren die Kontrolle über unsere Gebiete. Oftmals haben sich Parks nur als Reserven für eine zukünftige Ausbeutung von 01, Gold und Holz erwiesen. Parks sind keine Realität in dem Sinne wie Völker es sind. Parks sind nur ein Dekret, etwas, das sich jederzeit ändern kann, das abhängig ist und vergewaltigt werden kann.

7. Technische Kriterien für Parks und wissenschaftliche Interessen an ihnen stellen eine Schranke dar, die viel weniger effektiv ist als die Verteidigung, die ein Volk mit einer Projektion in die Zukunft ausübt. Aber gemeinsame Aktionen beider könnten effektive Resultate erzielen.

8. Daher ist es unser Anliegen, daß indianisches Territorium anerkannt und zurückgewonnen wird, durch welche legalen Mittel auch immer. Konzept und Richtlinie für die Bewirtschaftung der Territorien sollte die Kultur der indianischen Völker, die dort leben, sein. Wie es dem Recht aller Völker entspricht, sollten die Indianer die breitest mögliche Kontrolle haben über alle Ressourcen, die auf ihren Gebieten zu finden sind.

9. Das indianische Territorium als ein physischer Raum, eder in einer diversifizierten und integralesn Weise bewirtschaftet wird, ist Naturschutz im besten Sinne des Wortes. Es ist kein Schutz wie in einem Museum, dessen Resultate so enttäuschend waren.

10. Wir haben kein Lehrbuch, sondern vielmehr eine uralte Kultur.

14. Das Recht auf Territorien bedeutet für uns, eine direkte Vertretung als Volk -nicht nur als Bevölkerung -ausüben zu können, in welcher Diskussion auch immer, sei sie national oder international, politisch oder wissenschaftlich.

15. Wenn diese Kriterien in logischer und gerechter Weise angewandt werden, dann ist es klar, daß unsere Präsenz in Amazonien viel größer ist als die offizielle Politik zugibt, die uns spaltet und als Minderheiten, die im Aussterben begriffen sind, darstellt. Unsere Präsenz in Amazonien und unsere Fähigkeit, seine Zukunft zu bestimmen, wird anerkannt werden, wenn wir die notwendige ideologische Unterstützung erhalten.

16. Aufgrund aller oben genannter Gründe schlagen wir vor, daß die Umweltschützer der Welt sich mit den indianischen Völkern verbünden, um unser gemeinsames Ziel zu erreichen.

Wir laden Euch ein, diesen Schritt hier und heute zu tun.

Iquitos, 9. Mai 1990

Die Abschlußdeklaration, die den Forderungen der COICA voll entspricht, wurde von 26 teilnehmenden und 14 beobachtenden Organisationen aus Amerika und Europa unterschrieben. Ein Folgetreffen im September 1990 in Washington D.C.wurde vereinbart.

Der Demokratisierungsprozeß versandet

Gewerkschaftliche Tradition

In den 40er Jahren war der Gewerkschaftsdachverband von staatlicher Seite gegründet worden, also im Laufe eines florierenden Importsubstitutionsmodells und einer wachsenden nationalen Industrieproduktion. In dieser Zeit konnte der Staat grundlegende soziale Rechte zugestehen und das Lohnniveau erreichte beachtliche Höhen. In dieser Zeit bildete sich eine traditionelle Gewerkschafts­politik heraus, die als vertikalistisch und staatsfixiert bezeichnet werden muß. Gewerkschaftsführer sind in Argentinien in den wenigsten Fällen demokratisch legitimiert. Die Aufstellung von Einheitslisten, sofern Gewerkschaftswahlen überhaupt stattfinden, sichert der bestehenden Führung ihre Posten. Die Tatsa­che, daß im Rahmen der Importsubstitutionsphase der 40er und 50er Jahre die nationalen Industrieunternehmen durch Protektionismus von der Weltmarkt­konkurrenz abgeschirmt waren, ließ eine freie Preispolitik zu, dh. die nationalen Unternehmen konnten höhere Löhne nahezu beliebig über höhere Preise für ihre Produkte abwälzen. Während sich auf der einen Seite eine Interessenkoalition zwischen nationalem Unternehmertum und Gewerkschaften herausbildete, richteten sich die Forderungen der Gewerkschaften immer an den Staat, anstatt sich auf den Klassengegner zu konzentrieren. In den Jahren zwischen 1955, dem Jahr des Putsches gegen Perón, und 1976, dem bisher letzten Militärputsch, konnte das hegemoniale Machtpatt zwischen dieser Interessenkoalition und der liberalen Agrarbourgeoisie nicht überwunden werden. In dieser Situation versuchten die Militärs in wechselnden Allianzen mit den verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie ein hegemoniales Bündnis zu bilden. Die zahlreichen Militärputsche und die Tatsache, daß kein gewählter Präsident mehr sein Mandat beenden konnte, sprechen für die extreme politische Instabilität in diese Jahren. Die Militärjunta von 1976 hatte sich zum Ziel gesetzt, auf zweifache Weise diese Tradition zu durchbrechen. Durch ihre Wirtschaftspolitik führte sie eine extreme Deindu­striealisierung herbei und schwächte damit die Position der nationalen Indu­striebourgeoisie. Die brutale politische Verfolgung konzentrierte sich zudem auf kämpferische Gewerkschafter. In zweifacher Weise ging also die Gewerkschafts­bewegung geschwächt aus der Militärdiktatur hervor: ihre Mitgliederbasis hatte sich verschmälert (von 5 Millionen gewerkschaftlich organisierter Arbeiter 1975 auf 4 Millionen noch nach drei Jahren Demokratie) und die Repression hatte ge­rade die mittleren Gewerkschaftsfunktionäre getroffen, die zu Beginn der 70er Jahre in Opposition zu zahlreichen Gewerkschaftsführungen standen. Letz­tere hatten in den Auseinandersetzungen zwischen Links- und Rechtsperonis­mus nach Perons Tod 1974 gewerkschaftliche Oppositionelle sogar mit Todes­schwadronen bekämpfen lassen und während der letzten Diktatur mit der Junta kollaboriert. Auch nach 1983 nahmen sie wieder führende Positionen in der Gewerkschaftsbürokratie ein.

Kontinuität statt Erneuerung

Die Regierung Alfonsin sah sich bei Amtsantritt einer zersplitterten Gewerk­schaftsbewegung gegenüber, deren Führung jedoch nahezu ohne Ausnahme nicht demokratisch legitimiert war. Wir wollen hier die wichtigsten Gruppierun­gen kurz erwähnen:
– Die im Rahmen des “Neoperonismus” (des “Peronismus ohne Perón”) als sich der Führer der Bewegung im Exil befand, entstandenen 62 Organisationen, die nach wie vor durch die Metallergewerkschaft dominiert werden und auf das traditionelle peronistische Modell setzen.
– Die Gruppe der 15, die durch ihre kompromißhafte Haltung gegenüber der neoliberalistischen Politik der Militärs gekennzeichnet sind.
– Die Kommission der 25, die dem Erneuererflügel der Peronisten, den soge­nannten Renovadores nahestehen und für eine Demokratisierung gewerk­schaftlicher Strukturen eintreten. Sie haben jedoch nur auf wenige Gewerk­schaften wie die der Staatsangestellten, der Eisenbahner und Fernfahrer Einfluß.
– Eine unter dem neuen Führer des Gewerkschaftsdachverbandes Saul Ubaldini entstanden Strömung, die die Autonomie der CGT gegenüber der peronisti­schen Partei einklagte.
Wenige Tage nach ihrem Amtsantritt brachte die UCR-Regierung ein Gesetzesprojekt zur “gewerkschaftlichen Demokratisierung” ins Parlament ein. Es sah vor, Interventoren des Arbeitsministeriums einzusetzen, um zu freien Wah­len in den Gewerkschaften aufzurufen und Wahlverfahren einzuführen, die auch Minderheiten berücksichtigten. Dem Projekt war jedoch kein Erfolg beschieden, da die Vorgehensweise der Regierung die verschiedenen Gewerkschaftsblöcke vereinigte, die sich gemeinsam gegen die staatliche Intervention ihrer Organisa­tionen zur Wehr setzten. Das Scheitern der Gesetzesvorlage im Senat trug der Regierung schließlich ihre erste schwere Niederlage ein und führte zum Rück­tritt des Arbeitsministers. Die UCR mußte akzeptieren, daß die Gewerkschafts­bewegung, wenn auch geschwächt und uneinheitlich, peronistisch dominiert blieb und für die Durchsetzung korporatistischer Interessen zusammenstand. Während so die innere Erneuerung durch demokratische Wahlen in den Gewerkschaften nicht eingeleitet werden und sich in der Folgezeit bis auf wenige Ausnahmen die alte Gewerkschaftbürokratie durchsetzten konnte, ver­änderte die UCR-Regierung nun ihre Strategie. Sie stellte eine Allianz mit dem pragmatischsten Flügel der Gewerkschaftsbewegung her, der 15er-Gruppe. Der Chef der Energieunternehmensgewerkschaft, Alderete, wurde 1987 sogar zum Arbeitsminister ernannt. Während so die Verhandlungen über die Wiederher­stellung gewerkschaftlicher Grundrechte, wie auf Abschluß von Arbeitsverträ­gen, das Berufsverbändegesetz oder die Kontrolle über die ehemals gewerk­schaftseigenen Sozialeinrichtungen, die ihnen die Diktatur genommen und die Alfonsinregierung zunächst weiter vorenthalten hatte, um die eigene Verhand­lungsposition zu stärken, in Gang kamen, setzte die CGT-Führung auf frontale Opposition gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung. Sie organisierte allein zwischen 1984 und 1989 4000 Streiks, davon 15 Generalstreiks. In traditioneller Weise konzentrierten sich die Kämpfe der Gewerkschaften darauf, Lohnverbes­serungen bei der Regierung einzuklagen, als sich gegen den eigentlichen Klas­sengegner zu richten. Im Gegenteil, 1986 unterstützte die CGT sogar den Wider­stand der liberalen “Sociedad Rural”, der einflußreichen Organsation der Vieh­züchter und Agrarproduzenten, gegen die Regierung. Daß trotz der zahllosen Streiks keine wesentlichen materiellen Verbesserungen für die ArbeiterInnen erreicht werden konnten, verdeutlicht die Schwäche der Gewerkschaften.
Daß sich an traditioneller Politik der Gewerkschaftsbürokratie nichts geändert zu haben scheint, dafür war der Verlauf des sogenannten “Normalisierungskongreßes” im November 1986 beredtes Beispiel. Nach 1945 trafen sich zum ersten Mal wieder die Repräsentanten der argentinischen Gewerkschaften, insgesamt 1400 Funktionäre. Innerhalb von 45 Minuten wurde, anstatt eine Diskussion über die veränderte gesellschaftliche Lage und mögliche Reaktionen darauf zu führen, die neue CGT-Führung per Einheitsliste und Akklamation “gewählt”. Gewerkschaftliche Minderheiten waren schon zuvor aus­geschlossen worden, da nur die Mehrheitsvertreter zum Kongreß fuhren.
Seit 1989 sah für die Gewerkschaften die Lage anders aus. Sie hatten im Wahl­kampf den Peronisten Menem unterstützt. Nach dessen Regierungsübernahme schien es für einen Großteil der Gewerkschaftsbürokratie selbstverständlich, Ministerposten zu übernehmen und, wie sie meinten, die Politik der Regierung von innen heraus im Interesse der Arbeiter mitzubestimmen. Der Gewerk­schaftsdachverband CGT könne nicht gegen eine peronistische Regierung Kon­frontationspolitik betreiben. Während entsprechend dieser Logik Jorge Triaca, von der Gewerkschaft der Plastikarbeiter, und Hugo Barrionuevo, von der Gewerkschaft der Nahrungsmittelindustrie, das Arbeitsministerium und die Kontrolle über die gewerkschaftseigenen Sozialeinrichtungen übernahmen, setzte die CGT-Führung mit Unterstützung der 62 Organisationen auf Lohn­kampf. Zwar versuchte auch diese neue Fraktion lange durch die Vermittlung der Regierung den Bruch der Gewerkschaftsbewegung zu vermeiden. Je deutli­cher jedoch die Menem-Administration ihren liberalen Wirtschaftskurs in Inter­essenübereinstimmung mit dem Großkapital oder zu Beginn sogar unter direkter Leitung von Bunge und Born, dem einzigen argentinischen Multi, verfocht, um so unvermeidbarer wurde die Spaltung der CGT. (Siehe LN 187) Seit dem Gewerkschaftskongreß im Oktober 1989 bestehen zwei CGT-Führungen. Um die internen Demokratisierungsansätze von Seiten der 25er-Kommission dagegen ist es still geworden. Die aktuelle peronistische Regierung setzt zur Zeit knallhart gewerkschaftsfeindliche Gesetze durch. So die neuen Bestimmungen, die das Streikrecht der ArbeiterInnen drastisch einschränken.

Auf dem Weg ins Zweiparteiensystem?

Die parteipolitische Landschaft wurde seit den 40er Jahren durch zwei große Parteien bestimmt: Die bereits in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gegründete “Radikale Bürgerunion” (UCR), die sich zu Beginn des Jahrhunderts in die wesentliche Interessenvertreterin der wachsenden argentinischen Mittel­klassen verwandelte und bis heute grundlegende demokratische Rechte insbe­sondere bereits 1912 das allgemeine Wahlrecht (allerdings zunächst nur für Männer) durchsetzte, und die in den 40er Jahren entstandene “Gerechtigkeitspartei” (JP) als politischer Arm der peronistischen Bewegung, deren Wirbelsäule (columna vertebral) allerdings immer die Gewerkschaftsbe­wegung blieb. Sie wurde zur Massenpartei der argentinischen Arbeiterklasse und unter der Leitung ihres legendären Führers Perón setzte sie materielle Verbesse­rungen und soziale Rechte für ArbeiterInnen und Marginalisierte durch.
Trotz der Dominanz zweier großer Parteien etablierte sich jedoch nicht – wie z.B. in Kolumbien – ein stabiles Zweiparteiensystem. Die politische Entwicklung nach 1955, dem Sturz Perons durch einen Militärputsch, war vielmehr durch den systematischen Ausschluß des Peronismus von Wahlen, sofern überhaupt welche stattfanden, gekennzeichnet. Achse allen politischen Handelns blieb über Jahr­zehnte hinweg der Antiperonismus. Die Bedeutung dieses Konfliktes scheint nach 1983, nachdem zum ersten Mal bei freien Wahlen die UCR und nicht die Peronisten siegreich war, geringer geworden zu sein, auch wenn sich die Kon­kurrenz der beiden dominierenden Parteien erhalten hat. Unter der Regierung Alfonsin erwies sich vielmehr, daß in kritischen Momenten auch über Partei­grenzen hinweg Führer beider Parteien, so während der Militärrevolte an Ostern 1987, gemeinsam für den Erhalt der demokratischen Institutionen eintraten.
Einzige bemerkenswerte Erscheinung im Parteienspektrum ist die erstmalige Etablierung einer rechtskonservativ-liberalen Partei, der UCéDé unter Führung des neoliberalen Wirtschaftstechnokraten Alsogaray, die als direkte Interessen­vertretung der herrschenden Klasse angesehen werden kann. Trotz ihres doch geringen Stimmanteils sah sich Menem veranlaßt, den bisher nur im Dienste von Militärregierungen stehenden Rechtsaußen zum Wirtschaftsberater zu machen. Der reale Einfluß der UCéDé auf die argentinische Politk ist somit wesentlich größer als ihr Stimmenpotential. Die Linkspateien dagegen spielen in Argenti­nien nach wie vor eine untergeordnete Rolle. Mehrere Splitterparteien hatten sich in das Wahlbündnis Menems 1989 integrieren lassen. Die einzige Partei mit stär­kerem Zulauf in den letzten Monaten ist das trotzkistische “Movimiento al Socia­lismo” (MAS), die Ende letzten Jahres auf einem Parteikongreß beschloß, sich in eine Massenpartei umwandeln zu wollen. Zum 1.Mai konnte sie sogar 70 000 Menschen für einen Protest gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung mobilisieren. Fühlen sich nach dem Zusammen­bruch der sozialistischen Regime in Osteuropa die Trotzkisten in ihrer Politik bestätigt, so muß abgewartet werden, inwieweit es bei den übrigen Linkspar­teien, insbesondere der kommunistischen PC, zu einem Reorganisationsprozeß kommt.
Zurück zu den beiden großen Parteien: Die Regierungspartei UCR wurde intern völlig dominiert durch die Parteifraktion des Präsidenten “Erneuerung und Wandel” (Renovación y Cambio), die dieser 1968 mitbegründet hatte. Die parteiinterne Linke fügte sich nahezu bedingungslos allen Entscheidungen der Führungsspitze. Bis 1985 erfolgte die Regierungspolitik entsprechend den Grundsätzen des Parteipro­gramms. Zahlreiche Regierungsposten wurden von Alfonsin mit Parteifreunden besetzt und die Regierungspartei suchte die politische Auseinandersetzung im Parlament. Der politische Druck, der nach dem Scheitern der nachfrageorien­tierten Wirtschaftsstrategie unter Grinspun und verstärkt nach Fehlschlagen des Plan Austral 1987 (LN 140), sowie den Militärrevolten von Ostern 1987 und Januar 1988 auf der Regierung lastete, veranlaßte sie jedoch, verstärkt per Dekret zu regieren und verschiedene Posten, zumal den des Wirtschafts- und Verteidi­gungsministers neu zu besetzen. Je mehr die Wirtschaftspolitik Thema in der Öffentlichkeit wurde, umso mehr verlor die Regierung ihren Vertrauensvorschuß bei der Bevölkerung.
In der peronistischen Partei kam es nach der deutlichen Wahlniederlage 1983 zur Gründung einer neuen parteiinternen Strömung, den “Erneuerern” (Renovadores). Ihnen ging es zunächst um neue Organisationsformen und erst in zweiter Linie um programmatische Veränderungen. Die Gruppe von Dissiden­ten, an deren Spitze der ehemalige Wirtschaftsminister der Regierung Isabel Perón von 1975, Antonio Cafiero, stand, stellten sich nun der internen Ausein­andersetzung mit den sogenannten “Orthodoxen”, die noch die Kandidaturen für die Präsidentschaftswahlen 1983 dominiert hatten. Zwar kann keine detaillierte programmatische Abgrenzung zwischen “Renovadores” und “Orthodoxen” vor­genommen werden. Die “Orthodoxen” stehen jedoch in der korporativen Tradi­tion und hatten während der letzten Diktatur mit den Militärs kollaboriert. Die “Renovadores” hingegen versuchten, der Partei innerhalb der Bewegung mehr Gewicht zu geben und damit den Folgen des Deindustrialisierungsprozesses und der Schwächung der Gewerkschaften Rechnung zu tragen. Außerdem beabsich­tigten sie, die Partei zu demokratisieren. Nach der schweren Wahlniederlage bei den Parlamentsnachwahlen von 1985, in denen die UCR in fast allen Provinzen orthodoxe Peronisten aus dem Feld geschlagen hatte, begann der Aufstieg der Renovadores. Bei den zweiten Parlamentsnachwahlen im September 1987 wurde ihr Erfolg deutlich. Das Problem der Renovadores bestand jedoch in der Tatsa­che, daß sie in Annäherung an die UCR-Rethorik – um sich in den Demokratisie­rungsprozeß miteinzubringen – kein eigenes Profil gewinnen konnten. Zur Wirt­schaftspolitik der Regierungspartei schienen sie zudem keine Alternative zu haben. Daß es auch innerhalb der Renovadores unterschiedliche Zielvorstellun­gen gab, zeigte nicht zuletzt die parteininterne Auseinandersetzung zwischen zwei Begründern dieser parteiinternen Strömung um die Präsidentschaftskandi­datur, zwischen Antonio Cafiero und Carlos Saúl Menem.
Nachdem Menem die erstmals stattfindenden parteiinternen Wahlen für sich entscheiden konnte, kehrte er den demokratischen Ansätzen der Erneuerer den Rücken und profilierte sich alsbald als peronistischer Caudillo traditionellen Zuschnitts. Um die Erneuerer-Fraktion ist es seitdem sehr still geworden.

Schwere Niederlagen für die Menschenrechtsbewegung

Die Position der argentinischen Militärs, die ohnehin schon durch das Malvinen-Debakel 1982 und die danach sich häufenden Korruptionsskandale angeschlagen war, wurde durch die Empörung über die Menschenrechtsverletzungen weiter geschwächt. Die Übergangsregierung von Bignone mußte die Niederlage ihrer Politik eingestehen und bereitete den Weg in Richtung freier Wahlen. Der Druck der Menschenrechtsorganisationen, die zum Großteil ihre Arbeit schon zu Beginn der Militärdiktatur 1976 aufgenommen hatten, stürtzte zwar nicht die Diktatur, trug allerdings wesentlich zur Beschleunigung des Redemokratisie­rungsprozesses bei. Das Meinungsbild innerhalb der Bevölkerung war eindeutig: Die Bestrafung der verantwortlichen Militärs und die Demokratisierung der Gesellschaft waren nun das Wichtigste. Entsprechend wurde Alfonsín mit dem Versprechen, eine vollständige Bestrafung der Militärs einzuleiten, von der Mehrheit der Bevölkerung gewählt.
Die Menschenrechtspolitik des neugewählten Präsidenten war jedoch alles andere als die versprochene Abrechnung mit der Vergangenheit. Zwar setzte Alfonsín die “Sábato-Kommission” (CONADEP) zur Untersuchung der Men­schenrechtsverletzungen während der Diktatur ein, gab ihr allerdings nicht den Rang einer parlamentarischen Untersuchungskommission. Dem Abschlußbericht “Nunca Más” von 1984 folgten jedoch aufgrund des mangelnden politischen Willens zunächst keine konkreten Maßnahmen. Vielmehr hatte Alfonsín den Oberbefehlshabern der Streitkräfte schon vor Beginn der Prozesse versprochen, alsbald einen Schlußstrich ziehen zu wollen. Gleichzeitig forderte er von der Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen auf wenige Personen, vor allem auf die Juntas, zu beschränken. Konsequenterweise folgte im Dezember 1986 das Schlußpunktgesetz (“ley de punto final”), das vorsah, daß innerhalb einer Frist von zwei Monaten weitere Anklagen gegen Menschenrechtsverletzungen einge­reicht werden könnten. Nach Ablauf dieser Frist sollte die Angelegenheit ein für alle Mal abgeschlossen sein…
Das Ergebnis waren jedoch immer noch 400 Anklagen bis zum Februar 1987.Damit bahnte sich der offene Konflikt zwischen Militärs und ziviler Regie­rung an. Nicht nur, daß die angeklagten Militärs den Vorladungen vor Gericht oftmals nicht Folge leisteten und, wenn überhaupt, erst nach polizeilicher Fest­nahme vor Gericht erschienen. In der Osterwoche 1987 rebellierten einige Trup­peneinheiten unter der Führung von Oberstleutnant Aldo Rico offen gegen die Regierung. Während Alfonsín die von ihm initiierten Massendemonstrationen als “Sieg der Demokratie” feierte, beugten sich die Aufständischen erst nachdem sie wesentliche Zugeständisse von der Regierung erhalten hatten: die Entlassung unbeliebter, regierungsloyaler Generäle, die Einstellung eines Großteils der Pro­zesse und schließlich das im Mai 1987 erlassene “Gesetz des geschuldeten Befehlsgehorsams” (obediencia debida), welches die Menschenrechtsverletzun­gen auf einen “Befehlsnotstand” während der Diktatur abwälzte.
Während die Streitkräfte aus diesem Konflikt gestärkt hervorgingen, erlebte die Menschenrechtsbewegung eine harte Niederlage und starke Demobilisierung. Diese Tendenz wurde in den nachfolgenden beiden Militärrebellionen unter Oberst Seineldín (September 1987, Jahreswende 87/88) noch deutlicher. Gingen bei der ersten Militärrevolte noch die Massen auf die Straße, um die Demokratie zu verteidigen, so befolgten sie nun den Rat des Prä­sidenten: “Geht nach Hause und küßt Eure Kinder”. Das zu Beginn der Demo­kratisierung als wesentlich ausgewiesene Ziel der Strafverfolgung der Militärs endete somit für die zivile Gesellschaft in einer fatalen Niederlage.
Auch innerhalb des folgenden Wahlkampfes zu den Provinz- und Gouverneurs­wahlen spielte die Menschenrechtsfrage keine Rolle mehr. Die demokratische Regierung Alfonsín hatte es versäumt, mit Unterstützung breiter Kreise der Bevölkerung den Militärapparat einer grundlegenden Neustrukturierung und Unterordnung unter eine zivile Kontrolle zu unterwerfen. Die von Alfonsíns Nachfolger Menem Ende 1989 erlassene Amnestie für die wenigen tatsächlich verurteilten Militärs – unter ihnen nun auch die meisten Teilnehmer der Militär­rebellionen – bildete hierbei nur die konsequente Weiterführung der Nicht-Kon­frontationspolitik unter Alfonsín.
Der Angriff von einem Teil der Mitglieder der “Bewegung alle für das Vaterland” (MTP) auf die Kaserne von La Tablada im Januar 1989 stellte eine weitere Zäsur des Demokratisierungsprozesses in Argentinien dar. Nach eigenen Angaben wollten die Leute des MTP einen bevorstehenden Putsch am 23.01.89, der von dieser Kaserne ausgehen sollte, verhindern, indem sie die Kaserene besetzten und so bei der Bevölkerung Aufmerksamkeit erregten. (LN 179, 180, 181) Statt einer solchen harmlosen Besetzung entwickelt sich diese Aktion zu einer zweitägigen Schlacht zwischen Militär und AngreiferInnen, bei der das Militär die mit zum Tei uralten Schrotflinten bewaffneten AngreiferInnen mit schwerem Artilleriegeschütz und Phosphorbomben niederwalzte. Auch heute noch sind die tatsächlichen Motive dieses Angriffes und seine Hintergründe nicht geklärt. Viele Spekulationen deuten darauf hin, daß die Bewegung einer Falschmeldung durch die Geheimdienste aufgesessen und bewußt in diese Katastrophe hineingelenkt worden ist. Dieser Angriff macht allerdings deutlich, welche ohnmächtige Situa­tion innerhalb eines Teils der Linken nach der mißlungenen Menschenrechtspo­litik vorherrschte. Auf der anderen Seite schwächte die MTP durch diese Aktion die sozialen Bewegungen im allgemeinen, die sich in der Folge dieses Angriffes wachsender Repression ausgesetzt sahen. Die Verabschiedung eines Gesetzes , welches den Militärs erneut die Bekämpfung des “internen Feindes der Subver­sion” erlaubt, ist eine weitere direkte Folge diese Angriffes. Gleichzeitig brachte diese Aktion einen wachsenden Vertrauensverlust für linke Bewegungen innerhalb der Bevölkerung mit sich. Die in jahrelanger, mühseliger Kleinarbeit aufgebauten Strukturen der Selbstorganisation in den armen Provinzen und Stadträndern, die auch von einem anderen Flügel des MTP mitgetragen wurden, scheinen heute dahin.
Der Prozess gegen die AngreiferInnen von La Tablada spiegelt auf der rechtli­chen Ebene die nicht erfolgte Demokratisierung allzu deutlich wider. Der Prozeß verlief wie zu Zeiten der Diktatur unter der Regie der Militärs. Hierbei wur­den elementare Freiheitsrechte verletzt und demokratische Spielregeln in überhaupt nicht eingehalten. Letztlich wurden die Militärs durch die Aktion von La Tablada in ihrer Position weiter gestärkt und die Demokratie erlitt eine weitere entscheidende Niederlage.

Ungewisse Zukunft

Der Demokratisierungsprozeß in Argentinien ist nach allen anfänglichen Hoff­nungen ins Stocken geraten. Die ökonomischen Rahmenbedingungen, damit mußte gerechnet werden, haben sich nicht verbessert. Ganz im Gegenteil: Die unerbittliche Haltung des IWF wurde von der Regierung falsch eingeschätzt und hat das Ausmaß der ökonomischen Krise verschlimmert. Zudem jedoch vermied die Regierung Alfonsin die Konfrontation mit den ökonomischen Machtgruppen, die durch Spekulation, geringe Investitionsneigung und Kapitalflucht die entscheidende Entwicklungsblockade für das Land darstellen. Die unkontrollier­bare Inflation hat zusätzlich zur Delegitimierung der Regierung beigetragen. Nachdem die Wirtschaftspolitik im Wahlkampf 1983 kaum eine Rolle gespielt hatte und die Regierung trotz wirtschaftspolitischer Rückschläge noch 1985 einen Vertrauensvorschuß in der Bevölkerung genoß, schob sich langfristig die Wirt­schaftskrise in der öffentlichen Diskussion in den Vordergrund. Die ursprünglich wesentlichen Themen, wie die Menschenrechte und die Demokratisierung, spie­len heute in der politischen Diskussion keine Rolle mehr. Der UCR fehlte der politische Wille zu strukturellen, gesellschaftlichen Veränderungen. Aber auch die übrigen politischen Akteure neigten dazu, gesamtgesellschaftliche Interessen den kurzfristig korporatistischen unterzuordnen. Der größte Hoffnungsträger für den Demokratisierungsprozeß, die Menschenrechtsbewegung, verlor nicht nur durch den Machtzuwachs der Militärs und die ökonomische Krise, sondern auch durch ihre starren politischen Positionen an Bedeutung. Eine demokratische Alternative scheint für Argentinien in nächster Zeit nicht erreichbar. Nicht nur die derzeitige Regierung greift auf orthodoxe, undemokratische Strickmuster zurück. Auch in der Bevölkerung wächst die Neigung, autoritäre Lösungen zu bevorzugen.

Die Misere hat ein weibliches Gesicht

Der Feminismus, sagt Consuelo, ist in unserem Land sehr widersprüchlich. Wir haben uns die Straße erobert und wir haben das Recht, arbeiten gahen zu können, erkämpft, aber dafür versklaven wir unsere Hausangestellten. Ohne die Frauen, die in unseren Häusern arbeiten und an die wir uns gewöhnt haben, könnten wir die Doppelbelastung gar nicht schaffen. Deshalb kommen die lateinamerikanischen Feministinnen meistens aus der Mittel- oder Oberschicht. Auch die Befreiung der Mittelschichtsfrauen geht auf Kosten von Frauen.

Was heißt Doppelbelastung für eine politisch aktive Frau in Kolumbien?

Consuelo hat bis vor wenigen Wochen in Medellín gelebt. Ihr Mann war eine führende Persönlichkeit in der UP (Union patriótica -Bündnis linker Gruppierungen), bis er vor wenigen Monaten umgebracht wurde. Auch Consuelo ist in der UP aktiv gewesen, außerdem hatte sie unabhängig von der UP mit Frauengruppen und Frauenorganisationen in Medellin gearbeitet. Neben Beruf und politischer Arbeit war sie für den Haushalt zuständig. Sie hatte Hausangestellte -natürlich Frauen -aber für Einkauf und Organisation war eben doch sie und nicht ihr Mann verantwortlich. Sie erzählt, daß sie im Laufe ihrer Ehe versucht hätten, so etwas wie Arbeitsteilung einzuführen, aber immer kam etwas dazwischen, konnte er dann doch nicht. Wenn Männer sich an Hausarbeit beteiligen, sagt sie, tun sie es nie, weil sie sich auch für den Ablauf im Haus verantwortlich fühlen, sondern sie sehen es als “Hilfe” bei einer Aufgabe an, die der Frau zusteht.

Es gibt exzellente Gewerkschaftsführer, die die größten Machos sind

Eigentlich ist es keine Doppelbelastung, sagt Marta, sondern mindestens eine dreifache: Arbeit im Beruf, politische Arbeit und Hausarbeit. Und wenn sich eine Frau politisch engagiert, dann befreit sie das noch lange nicht von der Unterdrückung als Frau. Es gibt zum Beispiel exzellente Gewerkschaftsführer, die aber die größten Machos sind. Deshalb, meint sie, hat es keinen Sinn, den Machismo hinzunehmen, nur weil der Mann eine wichtige politische Funktion hat.

Was heißt es, als Frau in einem Land wie Kolumbien politisch aktiv zu sein?

Frauen wie Marta und Consuelo, die nicht nur einfache GewerkschaftsmitgliederInnen waren, sondern hohe Posten bekleideten, sind auch in Kolumbien die große Ausnahme. Beide arbeiteten als Lehrerinnen -auch in Kolumbien ein typischer Frauenberuf -,aber die Direktoren der Schulen sind -wie bei uns -Männer. Die Frauen gehören vielleicht der Gewerkschaft an, aber die Gewerkschaftsführer sind bis auf wenige Ausnahmen wieder Männer.
Und aktive Frauen müssen sich nicht nur in diesen Strukturen durchkämpfen, sie müssen sich außerdem damit auseinandersetzen, daß ihnen von der Gesellschaft und von ihren Männern Schuldkomplexe eingeredet werden. Männer, sagt Marta, können ihren Machismo immer rechtfertigen. Sie sagen, die Frau sei eine Schlampe, sie vernachlässige die Hausarbeit, sie sei eine Klatschtante oder sie könne nicht kochen. Und für die Frau ist es schwer, sich von den herrschenden Normen zu befreien, die fatalerweise auch von Frauen vertreten werden.
Die Männer haben so eine Doppelmoral, und sie sorgen für den Schuldkomplex der Frauen. Martas Mann hatte zum Beispiel in der Gewerkschaft einen niedrigeren Posten als sie. Und deshalb galt sie bei vielen als Hure, oder als schlechte Mutter, die die Kinder vernachlässig, als eine, die sich mehr um ihre Freunde kümmert als um die Kinder. Aber um Karriere zu machen, sagt sie, muß mensch . sich um Kontakte kümmern. Muß die Beziehungen zu anderen pflegen. Wenn Du das als Frau machst, bist Du eine Hure oder ein Mannweib. Wenn Männer das machen, ist es normal. Und die Mannweiber werden dann “Margaret Thatcher” genannt.

In Kolumbien hat man keine Zeit mehr, um die Toten zu trauern

Wir erzählen den Kolumbianerinnen von palästinensischen Frauen, die deutlich gemacht haben, daß in ihrer politischen Situation Feminismus einen anderen Stellenwert habe als in Europa. “Wie sollen wir gegen unsere Männer kämpfen, wenn die doch im Gefängnis sitzen?” Eine berechtigte Frage, finden wir. Wie ist das in Kolumbien?

Consuelo meint, in Kolumbien sei die Situation anders als in Palästina. Ihr Land befinde sich nicht im erklärten Krieg gegen eine fremde Besatzungsmacht, in Kolumbien herrsche der “schmutzige Krieg”. Wir kämpfen nicht gegen einen gemeinsamen äußeren Feind, sondern erleiden den Terror unseres eigenen Regierungssystems, den aber Männer und Frauen unterschiedlich erfahren. Wir Frauen haben seine “alltäglichen” Folgen auszubaden. Die Misere, sagt sie, hat ein weibliches Gesicht und die Gewalt auch.

Warum?

Sieh mal, sagt sie, man begräbt den Mann, der umgebracht wurde, in drei Stunden. Aber wer weiterleben muß, das ist die Witwe mit ihren Kindern. Und die bleibt für den Rest ihres Lebens Witwe. Die Frauen tragen die Last, die ganz all-tägliche Last des Krieges. Die Frauen kümmern sich um die Kinder, sie müssen weiterleben, sie müssen das Überleben in diesem Krieg organisieren. Und sie haben die Angst um die Männer.

Wir fragen: aber es werden doch auch Frauen umgebracht, die man in drei Stunden begräbt.

Ja, sagt sie, aber das ist erstens die Ausnahme. Weil die Männer in den hohen Posten sitzen, werden vor allem sie umgebracht. Und zweitens, wenn eine Frau umgebracht wird, was machen die Männer dann? Sie bringen die Kinder zu Großmutter oder Tante, und wieder kümmert sich eine Frau. Der Mann wird nicht sein ganzes Leben lang der Witwer sein.

Und auch das Medienereignis, das daraus gemacht wird, wenn eine Frau umgebracht wird… denk mal, neulich, als sie Cecilia umbrachten, das stand in allen Zeitungen, da wurde ein Riesenwirbel gemacht, aber warum? Da stand dann nicht, daß sie eine politische Kämpferin war, da stand auch nichts über sie, aber überall las man, daß diese Barbaren eine Frau und Mutter umgebracht haben, da stand: Wie konnten sie eine schwangere Frau umbringen mitsamt dem Fötus. Sie machen eine Sensationsgeschichte draus, weil es eine Ausnahme ist und reduzieren dich damit auf deine Mutterrolle.
Die Witwe hat nicht die Muße, sich mit ihrem eigenen weiteren Leben auseinanderzusetzen, denn kaum hat ihre Trauer begonnen, da wird schon der nächste Companero ermordet. Und so geht es immer weiter. Die alltäglichen Probleme bewältigen immer die Frauen. In Kolumbien hat man keine Zeit mehr, um die Toten zu trauern. Kaum ist einer tot, dann kommt der nächste Schlag.
Ich konnte nicht mehr, sagt Consuelo. Stell Dir vor, ich hatte gerade angefangen, eine neue Arbeit zu machen. Ich begann, die Arbeit mit Witwen zu organisieren. Wir haben eine Gruppe von Witwen gegründet. Und als das losging, da haben sie meinen Mann umgebracht. Wie sollte ich die Arbeit mit Witwen fortsetzen, als auch mein Mann tot war? Eine andere Frau hat dann die Arbeit fortgesetzt, weil ich nicht mehr konnte, aber auch deren Mann ist inzwischen tot.

Wir fragen Consuelo, ob sie mit dem Tod ihres Mannes gerechnet hat.

Niemals, antwortet sie und berichtet von einer Freundin, deren Mann bei dem fünften Attentatsversuch gegen ihn umkam. Sie hat damals gesagt, daß sie nie damit gerechnet hat, daß man ihn umbringen würde.

Sie reduzieren Dich auf Deine Mutterrolle…

Marta meint, das sei anders bei den Frauen, die die politische Arbeit ihrer Männer nicht teilten oder guthießen oder nicht genug darüber Bescheid wüßten. Diese Frauen leben in ständiger Panik und Erwartung eines schrecklichen Endes. Sie verstehen nicht, warum die Männer das Familienleben durch ihre politische Arbeit aufs Spiel setzen. Diese Frauen sitzen wütend zuhause, warten auf die Männer und haben Angst, während ihre Männer zu einem großen Teil außerhalb der Familie leben.
Die Frauen, die selber aktiv sind, haben es leichter. Die haben nicht so viel Todesangst, weil sie selbst aktiv sind und weil sie den Sinn der Arbeit einsehen.

Fragt frau sich eigentlich oft, ob sich der politische Einsatz überhaupt lohnt?

Consuelo hat sich das im Gegensatz zu Marta gefragt. Als ihr Mann umgebracht wurde, da wollte sie keine politische Arbeit mehr machen. Aber solange frau aktiv ist, sagt sie, ist es leichter. Niemand glaubt im Ernst, daß er oder sie urngebracht wird, deshalb empfindet frau es gar nicht als besonders heldenhaft, weiterzumachen.
Ihr zwölfjähriger Sohn beteiligt sich plötzlich an dem Gespräch. Er sagt, es war schon lange kein richtiges Leben mehr, auch nicht, als der Vater noch lebte. Wir konnten nicht mehr richtig auf die Straße gehen und spielen, bricht es aus ihm heraus, wir sollten immer aufpassen..Der Vater mußte jede Nacht woanders schlafen aus Sicherheitsgründen, es war gar keine richtige Familie mehr.

Aber das wollen sie doch nur, sagt Consuelo, daß alle ganz eingeschüchtert sind und entweder aufhören, aktiv zu sein, oder weggehen, so wie Marta und ich. Vor allem Marta. Sie mußte wegen wiederholter Morddrohungen das Land verlassen. Vorher war sie ein Zentrum in Medellin, sie war für uns Frauen ein Vorbild als Vorsitzende der LehrerInnengewerkschaft. Jetzt ist sie weg. Und wenn frau weg ist, verliert sie die Kontakte im Land, die Freunde. Aber das Leben verlieren, das ist auch keine Lösung. Das Exil ist eine Niederlage.
Marta und Consuelo sind hier zu Untätigkeit gezwungen, unerwünschte Ausländerinnen, die ihre gesamte Energie darauf verwenden müssen, Wohnung zu suchen und mit der neuen Umwelt und Sprache zurechtzukommen. Von ihren alten Zusammenhängen sind sie abgeschnitten.
Was ich nicht verstehe, sagt Consuelo, warum kämpfen die Frauen in Berlin nicht für mehr Kindergärten und tagesstätten? Es ist so ein reiches Land, es gibt so viel Geld hier. In Kolumbien bescheiden wir uns. Wir sagen, es ist ein armes Land. Aber hier? Wo es so viel Geld gibt?

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Alltägliches Leben einer Frau mit vier Leibwächtern

Marta lebte fast zwei Jahre unter dem “Schutz” von vier Leibwächtern, die ihr 1 die Regierung verordnete, als sie nach Morddrohungen eine Garantie für ihr Leben forderte. Sie erzählt, was dies für eine Frau bedeutet:

1. Die Wachen haben mich immer beobachtet, nichts konnte ich ungestört machen. Wie sie mich ansahen: nicht als Politikerin, sondern als Frau. Sie haben mich angemacht. Weibliche Bodyguards gab es nicht.
2. Als Frau besaß ich weniger Autorität. Eine Frau kann noch so in und tüchtig sein, nie besitzt sie für Leibwächter die Autorität Mann. Der hat sie, nur weil er ein Mann ist. Leibwächte Probleme, sich einer Frau unterzuordnen.
3. Die Leibwächter haben die Gefahr unterschätzt und nicht so gut auf mich aufgepasst wie auf einen Mann. Sie denken, daß man eine Frau schon nicht umbringt.
4. Als Frau fühlte ich mich für die Männer verantwortlich. Ich ließ sie nicht draußen warten, wenn ich ins Restaurant oder Kino ging. Entweder bezahlte ich für sie mit oder ging gar nicht erst. Das würde Männern wahrscheinlich nicht einfallen.
5. Was sie über mich dachten: sie haben ja alles mitgekriegt, mit wem ich mich getroffen habe. Weil ich mich mit verschiedenen Männern traf, dachten sie, sie könnten mich auch kriegen.
6. Wenn sich eine Frau auf der Straße mit Bodyguards bewegt, fällt das sehr auf, das sieht man sehr selten. Die Leute schauen, fragen sich, was los ist, denken, Du bist eine Verbrecherin, weil so viele Bewaffnete um Dich herum sind.

*Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.

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