
Akababuru: Expresión de Asombro (Kolumbien)
Kira ist ein kleines Mädchen, das aufgrund einer unglücklichen Begegnung befürchtet, nicht mehr frei lachen zu können. Glücklicherweise trifft sie später auf Kera, die sie in die unglaubliche Legende von Kiraparamia einführt. Dieser traditionelle Mythos der Emberá-Chamí (Menschen der Berge) ist den Älteren als die Geschichte einer Frau bekannt, die von den Naturgeistern bestraft wurde, weil sie über ihren Mann lachte. Die Legende wird jedoch aus einer befreienden Perspektive erzählt, in der das Lachen die Figur stärkt. Kiraparamia, die zur Hüterin der Natur geworden ist, lädt Kira und die anderen Mädchen des Dorfes ein, ihr Lachen zu nutzen, um für ihre Freiheit zu kämpfen.
Akarabaru: Expresión de Asombra (Akababuru: Ausdruck des Erstaunens) ist das Debüt der Regisseurin Irati Dojura Landa Yagarí in Zusammenarbeit mit der Produktion von Laura Giraldo. Ihr Kurzfilm hatte auf der Berlinale 2025 in der Kinderfilmsektion Generation Kplus seine Weltpremiere Die beiden Studentinnen der Audiovisuellen Kommunikation an der Universität von Antioquia in Kolumbien haben es damit geschafft, eine Neuinterpretation von Kiraparamia auf die Leinwand zu bringen. Unterstützt wurden sie bei dem Projekt von ihrem sozial engagierten Kollektivs Luminti und der Produktionsfirma SentARTE, die sich auf ethnische und pädagogische Ansätze fokussiert. Akababuru enthält auch eine wunderschöne Animationsarbeit, die das traditionelle Kunsthandwerk der Emberá-Chamí integriert. Die Botschaft des Films eröffnet Raum für Diskussionen darüber, wie traditionelle Überzeugungen, die vom Patriarchat geprägt sind, mit neuen Visionen für eine veränderte Darstellung der Frau konfrontiert werden können.
// Daniela Correa Erazo
LN-Bewertung: 5/5 Lamas
Akababuru: Expresión de asombro, Kolumbien 2025, 13 Minuten, Regie und Buch: Irati Dojura Landa Yagarí

Anba dlo (Kuba/Haiti)
Anba dlo (Haitianisch-Kreolisch für „Unterwasser“) nimmt alle, die sich schon einmal fern von zu Hause und von ihren Lieben gefühlt haben, an die Hand. Er folgt der haitianischen Biologin Nadia, die in Kuba die lokale Tier-und Pflanzenwelt erforscht. Ungewohnt für sie ist dort nicht nur die natürliche, sondern auch die spirituelle Umgebung: Der haitianische Voodoo, den sie praktiziert, unterscheidet sich von der kubanischen Religion Santeria. Der Kurzfilm des Regisseurinnen-Duos Luiza Calagian und Rosa Caldeira feierte auf der Berlinale 2025 Weltpremiere und bringt die Dimensionen von Natur, Wissenschaft und Religiosität auf organische und harmonische Weise zusammen. Beeindruckend vermittelt dies vor allem Berline Charles mit ihrem kraftvollem Schauspiel als Protagonistin. Anba dlo ist ein Aufruf, sich wieder mit der Natur, der Spiritualität, aber vor allem mit seinem Körper und seinen Sinnen zu verbinden.
// Margot Ravereau
LN-Bewertung: 4/5 Lamas
Anba dlo, Kuba, Brasilien, Haiti 2025, 18 Minuten, Regie: Luiza Calagian, Rosa Caldeira

Atardecer en America (Chile/Kolumbien)
“Shine bright like a diamond, shine bright like a diamond …” Bárbara summt die Melodie vor sich hin, während sie auf einem verstaubten Basketballplatz hockt. Ihre Stimme ist leise, fast gedankenverloren, doch die Worte klingen bestimmt. Sie und ihre Familie flohen vor der Krise in Venezuela – auf einer der gefährlichsten Fluchtrouten Südamerikas. Ihr Weg führte sie über Bolivien nach Chile, durch das Altiplano, eine der höchstgelegenen Hochebenen der Welt. Über 4000 Meter über dem Meeresspiegel, wo die Luft dünn ist, die Kälte gnadenlos und die Landschaft unendlich weit erscheint. Die chilenisch/kolumbianische Kurzdokumentation Atardecer en America (Sunset over America) von Matías Rojas Valencia, die auf der Berlinale in der Jugendfilmsektion Generation Premiere feierte, erzählt ihre Geschichte.
Mit ruhiger, aber eindringlicher Stimme berichtet Bárbara von der Nacht, in der sie mit anderen Migrant*innen dort oben ausharren mussten. Die Kälte sei ihr in die Knochen gekrochen, habe ihr die Luft aus der Lunge gepresst. Schlafen war unmöglich. Ihre Worte sind knapp, fast nüchtern – doch genau das macht ihre Erzählung umso eindrucksvoller. Man ahnt, was sie nicht ausspricht. Sie ist eine von denen, die diese Route überlebt haben, während andere das nicht geschafft haben.
Eine Szene bleibt den Zuschauenden besonders im Gedächtnis: In jener Nacht, sagt Bárbara, hatte sie eine spirituelle Erfahrung. Eine Gestalt ohne Gesicht sei ihr erschienen und habe ihr versichert, dass sie es schaffen würde. War es ein Schutzgeist? Eine Halluzination aus Erschöpfung? Der Film gibt keine Antwort, doch die Szene bleibt haften.
Die Bilder des Films verstärken Bárbaras Erzählung. Die Kamera fängt die Weite des Hochlands ein, die schneebedeckten Gipfel in der Ferne, den endlosen Himmel. Majestätisch wirkt die Landschaft, aber auch bedrohlich. Die Schönheit der Natur täuscht nicht darüber hinweg, dass sie lebensfeindlich sein kann. Während Menschen einst frei migrieren konnten, zwingen Grenzen sie heute, gefährliche Wege zu nehmen.
Doch Bárbara lässt keinen Zweifel daran, dass sie weitermachen wird. Ganz nach dem Song, den sie summt: Diamonds. Ihr eigenes Versprechen, nicht aufzugeben und weiterzuglänzen – egal, was kommt. Atardecer en America erhielt auf der Berlinale 2025 eine Lobende Erwähnung der Jugendjury im Bereich Bester Kurzfilm Generation 14plus.
// Aurelia Tens
LN-Bewertung: 4/5 Lamas
Atardecer en America, Chile, Kolumbien, Brasilien 2025, Regie: Matías Rojas Valencia

Casa Chica (Mexiko)
Im Zimmer von Quique und Valentina herrscht Chaos. In der kleinen Wohnung ihrer Mutter haben sie zum Spielen nur wenig Platz. Kein Wunder, dass sich Valentina beim Herumspringen auf dem Bett verletzt. In die Wohnung ist ihre Mutter Carolina (Katherine Bernal) nach der Trennung von ihrem Vater Enrique (Raúl Briones) gezogen. Der hat sich neben seiner ersten Familie heimlich noch eine zweite aufgebaut. Mit casa chica („kleines Haus”) gibt es für dieses in Mexiko nicht ganz ungewöhnliche Szenario sogar eine eigene Bezeichnung. Diese bekommt im Kurzfilm von Regisseurin Lau Charles durch die beengten Wohnverhältnisse im neuen Apartement eine doppelte Bedeutung.
Casa Chica zeigt in 26 Minuten doppelt einen Ausschnitt der schwierigen neuen Realität aus der jeweiligen Perspektive der beiden Kinder. Darin nimmt Enrique die beiden mit auf einen Ausflug zu seiner neuen Partnerin Claudia, die ebenfalls eine 5-jährige Tochter hat – vermutlich auch von Enrique. Dort läuft es aber alles andere als nach Plan. Denn sowohl die Kinder als auch Claudia sind ganz und gar nicht vorbereitet auf das Leben in einer Patchwork-Familie. Während sich die 5-jährige Valentina (und damit auch die Kamera) in der ersten Perspektive auf das kindliche Spiel und den Streit mit ihrer Halbschwester konzentriert, bekommt man aus dem Blickwinkel des 11-jährigen Quique schon deutlich mehr mit: Die teils machistischen Anweisungen des Vaters, den Streit zwischen den Erwachsenen, die Blicke auf die Fotos seines Vaters mit der neuen Partnerin.
Lau Charles hat mit Casa Chica ein einfühlsames und interessantes Experiment in das Kurzfilm- Programm Berlinale Shorts eingebracht. Die Motive, die die Geschichte anspricht – vor allem der Mangel an Verantwortung für seine „Erstfamilie“, den Enrique an den Tag legt – sind zwar weitgehend bekannt. Dennoch ist Charles’ Versuch, die Normalität, mit der die Gesellschaft diesem Phänomen begegnet, aus der Perspektive der Betroffenen darzustellen, so relevant wie gelungen.
// Dominik Zimmer
LN-Bewertung: 4/5 Lamas
Casa Chica, Mexiko 2025, 26 Minuten, Regie: Lau Charles

Zizi (ou oração da Jaca fabulosa) (Brasilien)
Hundert Jahre alt kann ein Jackfrucht-Baum (portugiesisch: Jaca) werden – in etwa so alt wie die Lebensspanne eines sehr alten Menschen. Die Bäume mit den charakteristischen stacheligen Früchten sind in Rio de Janeiro und Umgebung ein häufiger Anblick im Straßenbild. Auch im Hof von Dona Zizi in der Baixada Fluminense, einem Vorort von Rio de Janeiro, stand ein solcher Baum. Sie war die Großmutter des Filmemachers Felipe Bragança, der in ihrem Haus einen Großteil seiner Jugend verbrachte. Heute leben sowohl Dona Zizi als auch ihr Jackfrucht-Baum nicht mehr. Bragança hat zu ihrem Andenken den Kurzfilm Zizi, ou oração da jaca fabulosa (Zizi, or Praying to a Fabulous Tree) gedreht, der in der Sektion Forum Expanded der 75. Berlinale zu sehen war.
Bragança nennt den Baum gleich zu Beginn „eine Art Gott in Form einer Pflanze“ und den Film im Titel ein Gebet an ihn. Was zunächst esoterisch klingt, stellt sich als eine Hommage an eine verlorene Zeit heraus: Die Zeit, in der sich im Hof der Großmutter der Hauptteil des Lebens der Großfamilie des Regisseurs abspielte, wo er seine ersten Filmaufnahmen machte, wo über das Leben und seine Geheimnisse gesprochen wurde. So wie das des schweigsamen Großvaters, Zizis europäischem Ehemann: War er in seinem früheren Leben ein verfolgter Jude oder doch ein Kollaborateur der Nazis? Die Wahrheit kam nie ans Licht, doch der Kontrast zu Dona Zizi, Fabrikarbeiterin mit Schwarzen und Indigenen Wurzeln, die „die ganze Straße in ihrem Hof versammelte und Geschichten erzählte“ hätte jedenfalls kaum größer sein können.
Nostalgie durchzieht Braganças kurze Dokumentation. Die Angst, dass die Erinnerung schwindet, legt sich über die Handkamera-Bilder von Fußballspielen und Gesprächen im Hof. Spürbar wird die verzweifelte Bemühung, etwas zu bewahren, was in seiner Erinnerung so wunderbar wie wahrscheinlich nicht einmal in der Realität aufscheint. Zum Ende des Films versammelt der Regisseur nochmals alle Familienmitglieder im Hof des nun leerstehenden Hauses. Fast wirkt es gespenstisch, sie nun isoliert wie als Teil eines Stillebens hier zu sehen.
Auch wenn Zizi (ou oração da jaca fabulosa) es manchmal mit seinem Pathos etwas übertreibt – das Leben geht nun mal auch in Rio weiter – ist Felipe Bragança mit seinem Kurzfilm ein interessanter und warmherziger Ausschnitt einer vergangenen Zeit in der Vorstadt der Metropole gelungen. Zumindest für die 29 Minuten seiner Laufzeit bleibt die Erinnerung unvergänglich.
// Dominik Zimmer
LN-Bewertung: 4/5 Lamas
Zizi (ou oração da jaca fabulosa), 29 Minuten, Brasilien 2025, Regie: Felipe M. Bragança

El Paso (Kuba)
Roberto Tarazonas Kurzfilm El Paso (Der Schritt), der in der Berlinale-Jugendsektion Generation Premiere hatte, lässt Träume und Realität aufeinandertreffen. In El Paso zeigt die sich Unbeschwertheit des Alters zwischen 9 und 11 Jahren, in dem alles als Vorwand für ein Abenteuer dient. Narrativ etwas rätselhaft, aber mit stilistisch interessanten Ausflügen ins Horrorgenre führt Tarazona sein Publikum rund um eine verwunschene Lagune, wo das Vieh verschwindet und mysteriöse Rituale stattfinden. Die Sorglosigkeit zweier Kinder wird dabei mit den ernsthaften Diskussionen der Erwachsenen konfrontiert. Eine kubanische Initiationsreise in 15 Minuten!
// Margot Ravereau
LN-Bewertung: 3/5 Lamas
El Paso, Kuba 2025, 15 Minuten, Regie: Roberto Tarazona

Cartas do Absurdo (Brasilien)
„Die Portugiesen können vielleicht unsere Worte töten, aber nicht unser Schweigen.“ Dieses und andere Zitate aus Briefen Indigener Brasilianer*innen aus dem 17. Jahrhundert benutzt der brasilianische Künstler und Filmemacher Gabraz Sanna in seinem Kurzfilm Cartas do Absurdo (Letters from Absurd), um auf die Folgen des Genozids an der Indigenen Bevölkerung seines Landes in den vergangenen fünf Jahrhunderten aufmerksam zu machen.
Der Film beginnt künstlerisch ansprechend: Zu körnigen Bildern von Flammen, Erde und Spiegelungen im Wasser sowie düster-sphärischen Klängen und Gesängen werden eindrückliche Testimonials aus vier Briefen Indigener Verfasser*innen der Kolonialzeit eingeblendet, die in der Kolonialisierung das Ende der Welt kommen sahen. Leider ist das aber nur der Einstieg in den Film. Denn wie man bald feststellt, besteht dieser ansonsten ausschließlich aus einem über 30-minütigen Onboard-Mitschnitt der Fahrt eines Schiffes, das auf dem Amazonas auf die Großstadt Belém zuhält und schließlich dort anlegt. Bis auf die bedrohlich anschwellenden Gesänge im Hintergrund, die laut dem Regisseur klingen wie „Seelen, die in der Hölle brennen“ (ob das tatsächlich die Intention der Interpret*innen war, darf zumindest angezweifelt werden) hat das dann nicht mehr viel mit dem Titel und der angekündigten Geschichte des Films zu tun. Schade, denn diese Zeit hätte man zum Beispiel auch mit einer Kontextualisierung der Zitate nutzen können. Wer waren eigentlich genau die Personen, die diese Briefe schrieben und warum? So geht der Fokus darauf dann nach einer Weile etwas verloren. Auf der anderen Seite darf man Gabraz Sanna aber auch dankbar sein, dass er noch radikal gekürzt hat: Die ursprüngliche Idee war, die insgesamt drei Stunden dauernde Fahrt komplett in den Film aufzunehmen. Wie viele Menschen sich das dann noch angesehen hätten, steht auf einem anderen Blatt.
// Dominik Zimmer
LN-Bewertung: 2/5 Lamas
Cartas do Absurdo, Brasilien 2025, 46 Minuten, Regie: Gabraz Sanna
Eine ausführliche Rezension des Kurzfilms Arame Farpado gibt es hier.