Mythisch, kindlich, melancholisch

© Laura Rave Escalante, José Ramírez Hernández

Akababuru: Expresión de Asombro (Kolumbien)

Kira ist ein kleines Mädchen, das aufgrund einer unglücklichen Begegnung befürchtet, nicht mehr frei lachen zu können. Glücklicherweise trifft sie später auf Kera, die sie in die unglaubliche Legende von Kiraparamia einführt. Dieser traditionelle Mythos der Emberá-Chamí (Menschen der Berge) ist den Älteren als die Geschichte einer Frau bekannt, die von den Naturgeistern bestraft wurde, weil sie über ihren Mann lachte. Die Legende wird jedoch aus einer befreienden Perspektive erzählt, in der das Lachen die Figur stärkt. Kiraparamia, die zur Hüterin der Natur geworden ist, lädt Kira und die anderen Mädchen des Dorfes ein, ihr Lachen zu nutzen, um für ihre Freiheit zu kämpfen.

Akarabaru: Expresión de Asombra (Akababuru: Ausdruck des Erstaunens) ist das Debüt der Regisseurin Irati Dojura Landa Yagarí in Zusammenarbeit mit der Produktion von Laura Giraldo. Ihr Kurzfilm hatte auf der Berlinale 2025 in der Kinderfilmsektion Generation Kplus seine Weltpremiere Die beiden Studentinnen der Audiovisuellen Kommunikation an der Universität von Antioquia in Kolumbien haben es damit geschafft, eine Neuinterpretation von Kiraparamia auf die Leinwand zu bringen. Unterstützt wurden sie bei dem Projekt von ihrem sozial engagierten Kollektivs Luminti und der Produktionsfirma SentARTE, die sich auf ethnische und pädagogische Ansätze fokussiert. Akababuru enthält auch eine wunderschöne Animationsarbeit, die das traditionelle Kunsthandwerk der Emberá-Chamí integriert. Die Botschaft des Films eröffnet Raum für Diskussionen darüber, wie traditionelle Überzeugungen, die vom Patriarchat geprägt sind, mit neuen Visionen für eine veränderte Darstellung der Frau konfrontiert werden können.

// Daniela Correa Erazo

LN-Bewertung: 5/5 Lamas

Akababuru: Expresión de asombro, Kolumbien 2025, 13 Minuten, Regie und Buch: Irati Dojura Landa Yagarí

© Luiza Calagian, Rosa Caldeira

Anba dlo (Kuba/Haiti)

Anba dlo (Haitianisch-Kreolisch für „Unterwasser“) nimmt alle, die sich schon einmal fern von zu Hause und von ihren Lieben gefühlt haben, an die Hand. Er folgt der haitianischen Biologin Nadia, die in Kuba die lokale Tier-und Pflanzenwelt erforscht. Ungewohnt für sie ist dort nicht nur die natürliche, sondern auch die spirituelle Umgebung: Der haitianische Voodoo, den sie praktiziert, unterscheidet sich von der kubanischen Religion Santeria. Der Kurzfilm des Regisseurinnen-Duos Luiza Calagian und Rosa Caldeira feierte auf der Berlinale 2025 Weltpremiere und bringt die Dimensionen von Natur, Wissenschaft und Religiosität auf organische und harmonische Weise zusammen. Beeindruckend vermittelt dies vor allem Berline Charles mit ihrem kraftvollem Schauspiel als Protagonistin. Anba dlo ist ein Aufruf, sich wieder mit der Natur, der Spiritualität, aber vor allem mit seinem Körper und seinen Sinnen zu verbinden.

// Margot Ravereau

LN-Bewertung: 4/5 Lamas

Anba dlo, Kuba, Brasilien, Haiti 2025, 18 Minuten, Regie: Luiza Calagian, Rosa Caldeira

© Matías Rojas Valencia/Centauro Produções

Atardecer en America (Chile/Kolumbien)

“Shine bright like a diamond, shine bright like a diamond …” Bárbara summt die Melodie vor sich hin, während sie auf einem verstaubten Basketballplatz hockt. Ihre Stimme ist leise, fast gedankenverloren, doch die Worte klingen bestimmt. Sie und ihre Familie flohen vor der Krise in Venezuela – auf einer der gefährlichsten Fluchtrouten Südamerikas. Ihr Weg führte sie über Bolivien nach Chile, durch das Altiplano, eine der höchstgelegenen Hochebenen der Welt. Über 4000 Meter über dem Meeresspiegel, wo die Luft dünn ist, die Kälte gnadenlos und die Landschaft unendlich weit erscheint. Die chilenisch/kolumbianische Kurzdokumentation Atardecer en America (Sunset over America) von Matías Rojas Valencia, die auf der Berlinale in der Jugendfilmsektion Generation Premiere feierte, erzählt ihre Geschichte.

Mit ruhiger, aber eindringlicher Stimme berichtet Bárbara von der Nacht, in der sie mit anderen Migrant*innen dort oben ausharren mussten. Die Kälte sei ihr in die Knochen gekrochen, habe ihr die Luft aus der Lunge gepresst. Schlafen war unmöglich. Ihre Worte sind knapp, fast nüchtern – doch genau das macht ihre Erzählung umso eindrucksvoller. Man ahnt, was sie nicht ausspricht. Sie ist eine von denen, die diese Route überlebt haben, während andere das nicht geschafft haben.

Eine Szene bleibt den Zuschauenden besonders im Gedächtnis: In jener Nacht, sagt Bárbara, hatte sie eine spirituelle Erfahrung. Eine Gestalt ohne Gesicht sei ihr erschienen und habe ihr versichert, dass sie es schaffen würde. War es ein Schutzgeist? Eine Halluzination aus Erschöpfung? Der Film gibt keine Antwort, doch die Szene bleibt haften.

Die Bilder des Films verstärken Bárbaras Erzählung. Die Kamera fängt die Weite des Hochlands ein, die schneebedeckten Gipfel in der Ferne, den endlosen Himmel. Majestätisch wirkt die Landschaft, aber auch bedrohlich. Die Schönheit der Natur täuscht nicht darüber hinweg, dass sie lebensfeindlich sein kann. Während Menschen einst frei migrieren konnten, zwingen Grenzen sie heute, gefährliche Wege zu nehmen.

Doch Bárbara lässt keinen Zweifel daran, dass sie weitermachen wird. Ganz nach dem Song, den sie summt: Diamonds. Ihr eigenes Versprechen, nicht aufzugeben und weiterzuglänzen – egal, was kommt. Atardecer en America erhielt auf der Berlinale 2025 eine Lobende Erwähnung der Jugendjury im Bereich Bester Kurzfilm Generation 14plus.

// Aurelia Tens

LN-Bewertung: 4/5 Lamas

Atardecer en America, Chile, Kolumbien, Brasilien 2025, Regie: Matías Rojas Valencia

© Angel Jara Taboada

Casa Chica (Mexiko)

Im Zimmer von Quique und Valentina herrscht Chaos. In der kleinen Wohnung ihrer Mutter haben sie zum Spielen nur wenig Platz. Kein Wunder, dass sich Valentina beim Herumspringen auf dem Bett verletzt. In die Wohnung ist ihre Mutter Carolina (Katherine Bernal) nach der Trennung von ihrem Vater Enrique (Raúl Briones) gezogen. Der hat sich neben seiner ersten Familie heimlich noch eine zweite aufgebaut. Mit casa chica („kleines Haus”) gibt es für dieses in Mexiko nicht ganz ungewöhnliche Szenario sogar eine eigene Bezeichnung. Diese bekommt im Kurzfilm von Regisseurin Lau Charles durch die beengten Wohnverhältnisse im neuen Apartement eine doppelte Bedeutung.

Casa Chica zeigt in 26 Minuten doppelt einen Ausschnitt der schwierigen neuen Realität aus der jeweiligen Perspektive der beiden Kinder. Darin nimmt Enrique die beiden mit auf einen Ausflug zu seiner neuen Partnerin Claudia, die ebenfalls eine 5-jährige Tochter hat – vermutlich auch von Enrique. Dort läuft es aber alles andere als nach Plan. Denn sowohl die Kinder als auch Claudia sind ganz und gar nicht vorbereitet auf das Leben in einer Patchwork-Familie. Während sich die 5-jährige Valentina (und damit auch die Kamera) in der ersten Perspektive auf das kindliche Spiel und den Streit mit ihrer Halbschwester konzentriert, bekommt man aus dem Blickwinkel des 11-jährigen Quique schon deutlich mehr mit: Die teils machistischen Anweisungen des Vaters, den Streit zwischen den Erwachsenen, die Blicke auf die Fotos seines Vaters mit der neuen Partnerin.

Lau Charles hat mit Casa Chica ein einfühlsames und interessantes Experiment in das Kurzfilm- Programm Berlinale Shorts eingebracht. Die Motive, die die Geschichte anspricht – vor allem der Mangel an Verantwortung für seine „Erstfamilie“, den Enrique an den Tag legt – sind zwar weitgehend bekannt. Dennoch ist Charles’ Versuch, die Normalität, mit der die Gesellschaft diesem Phänomen begegnet, aus der Perspektive der Betroffenen darzustellen, so relevant wie gelungen.

// Dominik Zimmer

LN-Bewertung: 4/5 Lamas

Casa Chica, Mexiko 2025, 26 Minuten, Regie: Lau Charles

© DUAS MARIOLA FILMES

Zizi (ou oração da Jaca fabulosa) (Brasilien)

Hundert Jahre alt kann ein Jackfrucht-Baum (portugiesisch: Jaca) werden – in etwa so alt wie die Lebensspanne eines sehr alten Menschen. Die Bäume mit den charakteristischen stacheligen Früchten sind in Rio de Janeiro und Umgebung ein häufiger Anblick im Straßenbild. Auch im Hof von Dona Zizi in der Baixada Fluminense, einem Vorort von Rio de Janeiro, stand ein solcher Baum. Sie war die Großmutter des Filmemachers Felipe Bragança, der in ihrem Haus einen Großteil seiner Jugend verbrachte. Heute leben sowohl Dona Zizi als auch ihr Jackfrucht-Baum nicht mehr. Bragança hat zu ihrem Andenken den Kurzfilm Zizi, ou oração da jaca fabulosa (Zizi, or Praying to a Fabulous Tree) gedreht, der in der Sektion Forum Expanded der 75. Berlinale zu sehen war.

Bragança nennt den Baum gleich zu Beginn „eine Art Gott in Form einer Pflanze“ und den Film im Titel ein Gebet an ihn. Was zunächst esoterisch klingt, stellt sich als eine Hommage an eine verlorene Zeit heraus: Die Zeit, in der sich im Hof der Großmutter der Hauptteil des Lebens der Großfamilie des Regisseurs abspielte, wo er seine ersten Filmaufnahmen machte, wo über das Leben und seine Geheimnisse gesprochen wurde. So wie das des schweigsamen Großvaters, Zizis europäischem Ehemann: War er in seinem früheren Leben ein verfolgter Jude oder doch ein Kollaborateur der Nazis? Die Wahrheit kam nie ans Licht, doch der Kontrast zu Dona Zizi, Fabrikarbeiterin mit Schwarzen und Indigenen Wurzeln, die „die ganze Straße in ihrem Hof versammelte und Geschichten erzählte“ hätte jedenfalls kaum größer sein können.

Nostalgie durchzieht Braganças kurze Dokumentation. Die Angst, dass die Erinnerung schwindet, legt sich über die Handkamera-Bilder von Fußballspielen und Gesprächen im Hof. Spürbar wird die verzweifelte Bemühung, etwas zu bewahren, was in seiner Erinnerung so wunderbar wie wahrscheinlich nicht einmal in der Realität aufscheint. Zum Ende des Films versammelt der Regisseur nochmals alle Familienmitglieder im Hof des nun leerstehenden Hauses. Fast wirkt es gespenstisch, sie nun isoliert wie als Teil eines Stillebens hier zu sehen.

Auch wenn Zizi (ou oração da jaca fabulosa) es manchmal mit seinem Pathos etwas übertreibt – das Leben geht nun mal auch in Rio weiter – ist Felipe Bragança mit seinem Kurzfilm ein interessanter und warmherziger Ausschnitt einer vergangenen Zeit in der Vorstadt der Metropole gelungen. Zumindest für die 29 Minuten seiner Laufzeit bleibt die Erinnerung unvergänglich.

// Dominik Zimmer

LN-Bewertung: 4/5 Lamas

Zizi (ou oração da jaca fabulosa), 29 Minuten, Brasilien 2025, Regie: Felipe M. Bragança

© EICTV

El Paso (Kuba)

Roberto Tarazonas Kurzfilm El Paso (Der Schritt), der in der Berlinale-Jugendsektion Generation Premiere hatte, lässt Träume und Realität aufeinandertreffen. In El Paso zeigt die sich Unbeschwertheit des Alters zwischen 9 und 11 Jahren, in dem alles als Vorwand für ein Abenteuer dient. Narrativ etwas rätselhaft, aber mit stilistisch interessanten Ausflügen ins Horrorgenre führt Tarazona sein Publikum rund um eine verwunschene Lagune, wo das Vieh verschwindet und mysteriöse Rituale stattfinden. Die Sorglosigkeit zweier Kinder wird dabei mit den ernsthaften Diskussionen der Erwachsenen konfrontiert. Eine kubanische Initiationsreise in 15 Minuten!

// Margot Ravereau

LN-Bewertung: 3/5 Lamas

El Paso, Kuba 2025, 15 Minuten, Regie: Roberto Tarazona

© Eu morri em 1999

Cartas do Absurdo (Brasilien)

„Die Portugiesen können vielleicht unsere Worte töten, aber nicht unser Schweigen.“ Dieses und andere Zitate aus Briefen Indigener Brasilianer*innen aus dem 17. Jahrhundert benutzt der brasilianische Künstler und Filmemacher Gabraz Sanna in seinem Kurzfilm Cartas do Absurdo (Letters from Absurd), um auf die Folgen des Genozids an der Indigenen Bevölkerung seines Landes in den vergangenen fünf Jahrhunderten aufmerksam zu machen.

Der Film beginnt künstlerisch ansprechend: Zu körnigen Bildern von Flammen, Erde und Spiegelungen im Wasser sowie düster-sphärischen Klängen und Gesängen werden eindrückliche Testimonials aus vier Briefen Indigener Verfasser*innen der Kolonialzeit eingeblendet, die in der Kolonialisierung das Ende der Welt kommen sahen. Leider ist das aber nur der Einstieg in den Film. Denn wie man bald feststellt, besteht dieser ansonsten ausschließlich aus einem über 30-minütigen Onboard-Mitschnitt der Fahrt eines Schiffes, das auf dem Amazonas auf die Großstadt Belém zuhält und schließlich dort anlegt. Bis auf die bedrohlich anschwellenden Gesänge im Hintergrund, die laut dem Regisseur klingen wie „Seelen, die in der Hölle brennen“ (ob das tatsächlich die Intention der Interpret*innen war, darf zumindest angezweifelt werden) hat das dann nicht mehr viel mit dem Titel und der angekündigten Geschichte des Films zu tun. Schade, denn diese Zeit hätte man zum Beispiel auch mit einer Kontextualisierung der Zitate nutzen können. Wer waren eigentlich genau die Personen, die diese Briefe schrieben und warum? So geht der Fokus darauf dann nach einer Weile etwas verloren. Auf der anderen Seite darf man Gabraz Sanna aber auch dankbar sein, dass er noch radikal gekürzt hat: Die ursprüngliche Idee war, die insgesamt drei Stunden dauernde Fahrt komplett in den Film aufzunehmen. Wie viele Menschen sich das dann noch angesehen hätten, steht auf einem anderen Blatt.

// Dominik Zimmer

LN-Bewertung: 2/5 Lamas

Cartas do Absurdo, Brasilien 2025, 46 Minuten, Regie: Gabraz Sanna

Eine ausführliche Rezension des Kurzfilms Arame Farpado gibt es hier.


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Zwischen Nordatlantik und Amazonas

© Cesar Salgado

Aguacuario (Mexiko)

Zwei Jungen fahren auf einem Tandem durch Coatzacoalcos an der Golfküste von Mexiko und liefern Wasser aus. Die Sonne brennt und die Kundschaft schimpft, weil es nicht schnell genug geht. Der zehnjährige Vinzent wartet auf einer Treppe und bewacht das Fahrrad, während sein älterer Bruder Alan die schweren Kanister in die Appartements des umliegenden Viertels schleppt. Als die freche Viviana vorbeikommt, die auf Vergnügen aus ist, wird Vinzents Loyalität und Verantwortungsbewusstsein auf die Probe gestellt.

Aguacuario, der Debütfilm des mexikanischen Regisseurs José Eduardo Castilla Ponce ist ein warmherziger und beschwingter Exkurs in die Freuden und Verpflichtungen der Kindheit. Die Gespräche zwischen Vinzent und Viviana sind schlagfertig und erfrischend und die Story überzeugend. Großer Tiefgang auf der Meta-Ebene wird hier zwar nicht geboten. Trotzdem schade, dass der Film in der Berlinale-Jugendsektion Generations nicht zumindest lobend erwähnt wurde.

LN-Bewertung: 4 / 5 Lamas

Aguacuario, Mexiko 2023, 20 Minuten, Regie: José Eduardo Castillo Ponce

© Nathalia Cordeiro

Lapso (Brasilien)

Zwei Teenager in der Peripherie der Großstadt Belo Horizonte, die das gleiche Schicksal eint: Beide wurden wegen Vandalismus zu Sozialstunden in einer Bibliothek verdonnert. „Der erste Tag vom Ende der Welt“ sei heute, so hat es Juliano an die Wand gesprayt. Diese No-Future-Einstellung legt er auch im normalen Leben an den Tag. Weswegen bis auf seine Großmutter auch niemand daran glaubt, dass aus ihm noch einmal etwas wird – er selbst am allerwenigsten. Die taubstumme Bel ist da einen Schritt weiter. Sie scheint schon viel mehr zu wissen, was sie will, und ist dazu noch ein Ass auf dem Skateboard. Nach und nach lockt sie auch Juliano aus seiner Lethargie und bringt ihn unter anderem dazu, Gebärdensprache zu lernen.

Regisseurin Caroline Cavalcanti ist selbst schwerhörig und thematisiert Hörbeeinträchtigung eindrucksvoll in ihren Filmen und Drehbüchern. Zwei davon wurden bereits mit Preisen ausgezeichnet und auch Lapsoerhielt auf der Berlinale eine Lobende Erwähnung – zu Recht. Denn die authentische Story, der pulsierende Soundtrack aus brasilianischem Rap und Baile Funk und das einnehmende Spiel der Hauptdarsteller*innen (besonders überzeugend: Beatriz Oliveira als Bel) machen Lapso zu einem Kurzfilm, der auch über die Berlinale-Jugendfilmsektion Generation hinaus interessant ist. Einzig den titelgebenden Lapso (Zeitsprung) hätte es nicht unbedingt gebraucht. Auch ohne dieses eher verwirrende Element würde die Geschichte prima funktionieren.

LN-Bewertung: 4 / 5 Lamas

Lapso, Brasilien 2023, 25 Minuten, Regie: Carolina Cavalcanti

© Luciana Merino & Pascal Viveros

Al sol, lejos del centro (Chile)

Ein sonnendurchfluteter Tag in Santiago de Chile. Die Kamera zeigt den Himmel, fährt langsam von oben oder von der Seite Reihenhäuser, Wellblechdächer, Wohnblocks, Seitenstraßen ab. Manchmal folgt sie auch Passant*innen auf der Straße, die Alltagsbeschäftigungen nachgehen. Die Stimmung ist gelöst und unbeschwert, im Hintergrund hört man Obstverkäufer, Gesprächsfetzen, manchmal auch ein paar sphärische Elektroklänge. Al sol, lejos del centro (In die Sonne, weit weg vom Zentrum) von den chilenischen Regisseur*innen Luciana Merino und Pascal Viveros zeigt in harmonischen Bildern und Klängen die Utopie von Stadtleben in der Peripherie. Dabei wird durch Unschärfe und Distanz mehr ein Gefühl vermittelt als eine Geschichte erzählt. Obwohl nicht viel passiert, funktioniert das ziemlich gut: Der Film ist harmonisch komponiert und hat meditative Qualitäten. Al sol lejos del centro wurde von der Berlinale ins offizielle Kurzfilm-Programm des Festivals aufgenommen.

LN-Bewertung: 3 / 5 Lamas

Al sol, lejos del centro, Chile 2024, 17 Minuten, Regie: Luciana Merino und Pascal Viveros

© Emilia Beatriz

Barrunto (Puerto Rico / Großbritannien)

Barrunto, so heißt ein Song des berühmten New Yorker Salsa-Musikers Willie Colón. Im puertorikanischen Spanisch steht das Wort für eine körperliche Unruhe, ein Omen oder die Vorahnung eines Ereignisses. Regisseurin Emilia Beatriz, die nun eine experimentelle Filmcollage mit demselben Namen gedreht hat, kommt ursprünglich aus Puerto Rico, lebt aber schon seit ihrer Studienzeit im schottischen Glasgow. Ihr Film lief auf der Berlinale in der Sektion Forum Expanded. Barrunto verknüpft filmisch ihre Erfahrungen und Eindrücke in der Diaspora mit denen ihres Heimatlandes, greift Motive wie Nähe und Distanz, Trauer und Verlust oder Militarismus auf. Am auffälligsten ist der Kontrast zwischen Bild und Sound: Über wunderschönen, gestochen scharfen Aufnahmen der rau-romantischen schottischen Küstenlandschaft um ein militärisches Testgelände spielen oft karibische Rhythmen von Salsa bis Reggaeton. Erstaunlicherweise fügt sich das meist zu einem sehr organischen und stimmigen Ganzen zusammen. Aus Puerto Rico gibt es zwar nur wenig Material zu sehen, vor allem Archivaufnahmen von Straßenprotesten. Das Gefühl der Diaspora im 21. Jahrhundert, an einem völlig anderen Ort zu leben und trotzdem jederzeit und überall digital verbunden mit der Heimat zu sein, transportiert barrunto dennoch sehr überzeugend. Weniger klar wird, welcher Zusammenhang mit dem Planeten Uranus besteht, der im Film als handelnder Akteur auftritt und sogar eine eigene Stimme bekommt. Und auch die eingesprochenen philosophischen Textfragmente kommen manchmal etwas arg bedeutungsschwanger daher. Eine interessante audiovisuelle Erfahrung, in der man sich träumerisch verlieren kann, ist barrunto aber allemal geworden.

LN-Bewertung: 3 / 5 Lamas

barrunto, Puerto Rico / Großbritannien 2024, 70 Minuten, Regie: Emilia Beatriz

© Janaina Wagner

Quebrante (Brasilien)

Der Highway BR-30, auch bekannt als Transamazônica, durchquert Brasilien auf einer Strecke von 4.200 Kilometern von Ost nach West, von Cabedelo am Atlantik bis Lábrea mitten im Amazonasgebiet. Er war ein Prestigeprojekt der Militärdiktatur von Garrastazu Médici, das die hohen Erwartungen nie erfüllen konnte. Die Transamazônica sollte Brasilien mit seinen Nachbarländern verbinden, wurde aber nie fertiggestellt und weitgehend nicht einmal asphaltiert.

Der Kurzfilm Quebrante (Bruch) von Janaina Wagner (Berlinale-Sektion Forum Expanded) folgt nur lose der Geschichte vom geplatzten Traum, der ein ganzes Land verbinden sollte. Er verlässt dabei oft die Fernstraße und konzentriert sich visuell mehr auf die Höhlen unter der Siedlung Rurópolis, die am Rande der Autobahn während ihres Baus errichtet wurde. Die Lehrerin Erismar de Sousa Silva erkundet diese weitläufigen unterirdischen Systeme nur mit einer Kerze und einem Feuerzeug ausgerüstet seit den 1970er Jahren. Quebrante zeigt viele Aufnahmen aus diesen Höhlen, aber auch unbelebte Straßen von Rurópolis oder einen riesigen aufblasbaren Mond, der von Kindern zum Spielen benutzt oder mit einem Lastwagen über die Transamazônica gefahren wird. Eine Verbindung zwischen dem Mond, den Höhlen unter Rurópolis und dem Autobahnprojekt, das das Land zerschnitten hat, soll durch in Untertiteln eingeblendete Reflexionen über Steine hergestellt werden, erschließt sich aber nicht wirklich. Der Film wirft trotzdem ein interessantes Schlaglicht auf ein Brasilien jenseits der bekannten Tourismusziele und die dortigen gescheiterten, gigantischen Infrastrukturprojekte.

LN-Bewertung: 3 / 5 Lamas

Quebrante, Brasilien 2024, 23 Minuten, Regie: Janaina Wagner

© 36 caballos

Un movimiento extraño (Argentinien)

Eine Geschichte aus Buenos Aires: Lucrecia arbeitet als Museumswärterin, fliegt aber aus ihrem Job raus, weil sie den Walkie-Talkie-Kanal des Museums für schlüpfrige Gespräche mit einem Kollegen nutzt. Zum Glück hat sie einen Anstieg des Dollars vorausgesehen, was ihre Abfindung fast verdoppelt. Ihr neues Leben führt sie als Security-Guard in eine Fabrik und zu unverbindlichen privaten Treffen mit einem Wechselstuben-Mitarbeiter.

Un movimiento extraño (Eine eigenartige Bewegung) ist ein locker und vergnüglich anzusehender Kurzfilm, was vor allem am präsent-unbekümmerten Spiel von Hauptdarstellerin Laila Maltz liegt. Der Geschichte fehlt es aber insgesamt ein wenig an Richtung: Es werden viele Fässer in kurzer Zeit auf- aber nicht immer zugemacht. So vermittelt der Film zwar die Ziellosigkeit des Großstadtlebens, verpasst dafür aber die Chance, aus interessanten Figuren auch einen stringenten Plot zu stricken. Etwas überraschend deswegen, dass Regisseur und Kurzfilm-Spezialist Francisco Lezama mit seinem schon vierten Werk den Goldenen Bären für den besten Short der Berlinale gewann. Ein schöner Erfolg in jedem Fall!

LN-Bewertung: 3 / 5 Lamas

Un movimiento extraño, Argentinien 2024, 22 Minuten, Regie: Francisco Lezama

© David Correa

Uli (Kolumbien)

Rafaela langweilt sich. Ihre Eltern sind nicht da und haben ihre ältere Schwester Laura beauftragt, auf die 8-jährige aufzupassen. Doch Laura schleppt sie mit zu einem Besuch bei Alex, an dem sie offenkundig ziemlich interessiert ist. Als die beiden sich in Alex’ Zimmer einschließen, beginnt Rafaela das Haus zu erkunden. Dabei trifft sie zunächst auf eine sprechende Hündin und dann auf die queere Uli, zu der diese gehört. Schon bald wird sie von ihrer neuen Bekanntschaft mit der Aufgabe betraut, Friseurin zu spielen.

Uli zeigt zwar schöne Bilder, die Geschichte wirkt aber über weite Strecken konstruiert. Dazu bleiben einige Dinge ohne Erklärung: Warum hört Rafaela, die unerklärlicherweise die Hundesprache verstehen kann, plötzlich auf, mit der Hündin zu reden? Wieso vertraut Uli einem völlig unbekannten 8-jährigen Mädchen an, ihr die Haare zu schneiden? Was passiert mit Laura und Alex? Wie ist Ulis Verhältnis zu ihrem Bruder? Der Internationalen Kurzfilm-Jury, die Uli mit einer lobenden Erwähnung versah, gefiel es laut Begründung, dass in dem Film „keine Antworten erzwungen“ wurden. Auch wenn das, vor allem auf die Geschlechtsidentitäten bezogen, so richtig ist: Regisseurin Mariana Gil Ríos hat hier ein paar Rätsel und Ungereimtheiten zu viel aufgeworfen.

LN-Bewertung: 2 / 5 Lamas

Uli, Kolumbien 2023, 17 Minuten, Regie: Mariana Gil Ríos

© Bølier Films

Un pájaro voló (Kuba / Kolumbien)

Boloy ist der beste Spieler seines kubanischen Jugend-Volleyballteams. Doch heute kann er sich nicht aufs Training konzentrieren: Ein Freund ist gestorben und seine Gedanken sind immer noch bei ihm. Sein Trainer kritisiert die fehlende Spannung bei den Übungen und weist auf die wichtigen Spiele hin, die bald anstehen. Doch Boloy kann die Erinnerung nicht verdrängen.

Der kolumbianische Regisseur Leinad Pájaro de la Hoz verarbeitet mit dem Film seine eigenen Erfahrungen vom Verlust eines geliebten Menschen. Schade, dass in Un pájaro voló (Ein Vogel ist weggeflogen) über weite Strecken nichts anderes als Volleyballtraining zu sehen ist. Auch über den Freund erfährt man nichts weiter, als dass wohl auch er Mitglied der Mannschaft war. Fast ohne Interaktion zwischen den Charakteren bleibt die Geschichte so im Ungefähren und macht es dadurch auch schwer, Empathie aufkommen zu lassen. Die Internationale Jury der Berlinale konnte Un pájaro voló aber überzeugen: Der Film erhielt den Spezialpreis für den besten Kurzfilm in der Sektion Generation 14 Plus.

LN-Bewertung: 2 / 5 Lamas

Un pájaro voló, Kuba / Kolumbien 2024, 20 Minuten, Regie: Leinad Pájaro de la Hoz


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VON POETISCH BIS POLITISCH

Einfach wurde es den Zuschauer*innen nicht gemacht, alle lateinamerikanischen Kurzfilme der 72. Berlinale zu sehen. Breit über verschiedene Sektionen und Programme verstreut konnten sie insgesamt auch das fast durchgehend hohe Niveau der Langfilme nicht ganz erreichen. Dennoch waren einige reizvolle Beiträge dabei, die das Festival bereichert haben. Hier das LN-Ranking aller Beiträge:

1. The Wake (Haiti, Ausstellung Closer to the Ground, Sektion Forum Expanded)

Eine poetisch-politische Reflexion über den Stand der Dinge im Karibikstaat. Wie weitermachen in einem Land, das, immer wieder von Naturkatastrophen geschüttelt, vom Ausland vernachlässigt oder gar beschimpft wird und von Korruption und Gewalt zerfressen ist? Mit Kunst, mit Protest, mit Aktivität, so die Antwort der Künstler*innengruppe The Living and Dead Ensemble, die die Kurzdoku The Wake produziert hat. Verschiedene künstlerische, politische oder persönlich-reflexive Testimonials verdichten sich zu einem ausdrucksstarken Panorama einer Generation, die versucht, Frust und Resignation in positive Energie umzuwandeln. Auch ästhetisch wurde das Projekt mit einer Präsentation als digitales Triptychon (auf drei großen vertikalen Bildschirmen) anspruchsvoll umgesetzt. Manchmal etwas herausfordernd, insgesamt aber ein ausdrucksstarkes Plädoyer für politischen und künstlerischen Aktivismus.

Bewertung: 4/5

2. Yarokamena (Kolumbien, Programm 8 Forum Expanded)

Die Kurzdoku erzählt die Geschichte von Yarokamena, dem Anführer einer bewaffneten Rebellion von Kautschukarbeiter*innen im Amazonasgebiet. Sie kämpften gegen die brutale Ausbeutung und Versklavung der indigenen Gemeinschaft der Uitoto durch die peruanische Firma Casa Arana zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In der Nähe der Siedlung Atenas im heutigen Kolumbien gelang es Yarokamenas Kämpfer*innen einige Zeit lang, ihren erbitterten Widerstand aufrecht zu erhalten. Schließlich wurden sie von der herbeigerufenen peruanischen Armee besiegt. Lange Zeit war selbst die mündliche Weitergabe von Yarokamenas Geschichte bei Strafe verboten. Nun hat der Filmemacher Andrés Jurado sie mit den Mitteln des Kinos wiederbelebt. Er lässt sie Gerardo Sueche Cañube, ein heutiges Ratsmitglied der Uitoto, erzählen, wobei rotes Licht und ein knisternder Umhang aus Silberfolie die Illusion eines Lagerfeuers erzeugen. Ergänzt wird dies durch verwaschene Aufnahmen von Technikruinen im heutigen Amazonasgebiet. Der Film endet mit dem Einspielen des Stücks Yarokamena der kolumbianischen Metalband Jitoma Safiama. Einiges an Kontext müssen sich Zuseher*innen ohne Vorkenntnis zwar nach dem Film noch selbst erarbeiten. Dennoch bietet er eine relevante und anspruchsvoll inszenierte Geschichtsstunde, die gerne noch etwas länger hätte dauern dürfen.

Bewertung: 4/5

3. Manhã de Domingo (Brasilien, Programm Berlinale Shorts II)

Als einziger rein fiktionaler Kurzfilm aus Lateinamerika folgt Manhã de Domingo der Klavierspielerin Gabriela, die das gleiche Klavierstück in verschiedenen Situationen spielt: Für ihren Liebhaber, als Probe am Vorabend eines Konzerts, auf einem Keyboard alleine in ihrem Elternhaus. Dabei variiert sie das Stück je nach ihrem Gemütszustand. Während des Spielens und in den Sequenzen dazwischen erfährt man einiges über Gabrielas Verhältnis zu ihrer kürzlich verstorbenen Mutter und den Erwartungsdruck, dem sie sich als Schwarze Pianistin ausgesetzt sieht und selbst aussetzt. Der Film wird getragen von der wunderschönen Klaviermusik Gabrielas, belässt aber die Deutung einiger Situationen im Ungefähren. Die Jury der Sektion Berlinale Shorts konnte Regisseur Bruno Ribeiro damit überzeugen: Manhã de Domingo gewann den Silbernen Bären für den Preis der Jury im Bereich Kurzfilme.

Bewertung: 3/5

4. Moune Ô (Frankreich / Französisch-Guyana, Programm 1 Forum Expanded )

Regisseur Maxime Jean-Baptiste rechnet in Moune Ô mit dem Erbe des französischen Kolonialismus ab. Am Beispiel des französischen Films Jean Galmot, aventurier von 1990 und seiner Rezeption zeigt seine Kurzdokumentation die bis heute stereotypisierten Rollenbilder und die ökonomische Ausbeutung und Abhängigkeit des Überseedepartements Französisch-Guyana vom Mutterland auf. Diese manifestieren sich heute vor allem in der Verseuchung der Umwelt durch die größte Goldmine der Welt. Jean-Baptiste nutzt zu diesem Zweck einzig Bildmaterial und Off-Kommentar, was den Film zwar künstlerischer macht, aber das Verständnis des Kontextes erschwert.

Bewertung: 3/5

5. O dente do dragão (Brasilien, Programm 1 Forum Expanded )

Auch dieser Kurzfilm behandelt eine in Vergessenheit geratene historische Katastrophe. 1987 wurde im brasilianischen Goiânia ein Röntgengerät aus einem verlassenen Krankenhaus gestohlen. Die Diebe bauten das defekte Gerät auseinander, wodurch radioaktive Strahlung austrat. 253 Personen wurden verseucht, vier davon starben. Mehrere Häuser mussten mitsamt ihrer kompletten Einrichtung zerstört werden. Der Vorfall gilt bis heute als einer der schwerwiegendsten nuklearen Unglücksfälle weltweit.
Regisseur Rafael Castanheira Parrode hat seinen Film als fortschrittskritische Kurzdoku mit vielen Verfremdungseffekten in Bild und Ton inszeniert. O dente do dragão beginnt mit einem Ausschnitt des alten Nibelungen-Spielfilmes von F.W. Murnau, bei dem Siegfried den Drachen tötet und zeigt immer wieder Auswüchse technischer und militärischer Entwicklung. Die Message hat ihre Berechtigung, ist allerdings nicht ganz neu. Und die mit stroboskopischen Blitzen versehenen Aufnahmen erfüllen ebenfalls ihren ästhetischen Zweck, geraten aber auf die Dauer etwas anstrengend – und brachten dem Film eine Epilepsiewarnung ein.

Bewertung: 3/5

6. Heroínas (Peru, Programm Berlinale Shorts V)

Kolonialismus Teil 3 bei den lateinamerikanischen Kurzfilmen: Tomasa Tito Condemayta war eine indigene Adlige aus Peru, die sich im 18. Jahrhundert den spanischen Kolonialherren mit einer Brigade von Soldatinnen entgegenstellte. Heroínas, das Regiedebüt der Peruanerin Marina Herrera, erklärt aber weniger die historischen Gegebenheiten, sondern zeigt einen heutigen, fiktiven Kult um Tomasa, der einer katholischen Wallfahrt zu Orten von Marienerscheinungen ähnelt. Dabei kommen Laiendarstellerinnen in Interviews zu Wort, die sich von der vermeintlichen Heiligen verbesserte Lebensbedingungen oder gute Noten in der Schule erhoffen.
Auch wenn es zum Wesen von Mockumentarys gehört, dass die Grenze zwischen Realität und Fiktion verschwimmt, hat Herrera in diesem Fall das Spiel für nicht Eingeweihte etwas zu weit getrieben. Wer nicht schon vor dem Film gut über die geschichtlichen Fakten informiert ist, könnte denken, die Szenen im Film seien komplett echt – oder im Gegenteil alles, inklusive Tomasa, komplett erfunden. Die Verbindung zwischen realer historischer Figur und fiktivem Kult schafft es so nie, wirklich zu zünden. Vielleicht auch, weil ironische Distanz bei einer Widerstandskämpferin, die ein berechtigtes Anliegen hatte und dafür brutal ermordet wurde, einfach nicht das geeignete Mittel ist. Schade, denn Tomasa Condemayta und ihre Vorbildfunktion für indigene Frauen in Peru heute wären auch für eine normale Kurzdokumentation interessant genug gewesen.

Bewertung: 2/5

7. Se hace camino al andar (Brasilien, Ausstellung Closer to the Ground, Sektion Forum Expanded)

Ein Mann läuft eine halbe Stunde lang mit seinen Schuhen in der Hand an einem Maisfeld vorbei und durch ein Gemüsefeld. Die einzige Abwechslung: Einmal taucht eine riesige Landmaschine auf, untermalt von dramatischer Musik. Cineastisch zu vernachlässigen – und selbst der meditative Charakter als einzig nennenswerte Qualität wurde auf der Berlinale 2022 durch die Platzierung in einer größeren Ausstellungshalle mit akustischer und optischer Ablenkung zunichte gemacht.

Bewertung: 1/5


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