Energiewende und sozialer Dialog

Treffen sozialer Bewegungen an der Uni (Foto: Laura Chaparro)

La Guajira spricht mit Offenheit in einem neuen sozialen Dialog über seine Zukunft. Dies war auf dem Forum „Produktive Diversifizierung, Klimawandel und sozialer Dialog” zu beobachten, das am 17. März in der Universität von La Guajira, der öffentlichen Universität des kolumbianischen Bergbaudepartamentos, stattfand. Die Veranstaltung zog in den lokalen Medien großes Interesse auf sich und die Beteiligung von zivilgesellschaftlichen, akademischen und indigenen Bewegungen, wie etwa dem Bürger*innenkomitee für die Würde von La Guajira und dem Jugend- und Frauenverband der Wayuu war deutlich zu spüren. Auf der Veranstaltung diskutierten verschiedene Organisationen und Redner*innen zur Situation in der Region, und das entlang zweier vereinbarter thematischer Achsen: Der erste Fokus „Klimawandel und Energiewende” befasste sich mit den Fragen der nachhaltigen Entwicklung und den von der Regierung Gustavo Petro vorgeschlagenen Umstellungsprojekten auf erneuerbare Energiequellen. Der zweite Teil der Veranstaltung, „Produktive Diversifizierung und sozialer Dialog“ widmete sich den Folgen der Spezialisierung der Region auf den Kohleabbau und der Notwendigkeit, ein Gespräch zu eröffnen, um die Herausforderungen eines Strukturwandels zu überwinden.

„Dieses Forum ist der Beginn eines Dialogs mit den lebendigen Kräften des Departamentos“, sagte Felipe Rodríguez – Koordinator des Bürgerkomitees für die Würde von La Guajira – in seiner Eröffnungsrede. In diesem Dialog würden die zukünftigen Herausforderungen für das Departamento angesprochen, wobei das Forum die Bedeutung der Energiewende anerkennen werde, ohne die Entwicklungsprobleme der Region zu vernachlässigen. Denn diese bleiben groß: „Die Informalität (in der Beschäftigung Anm. d. Red.) liegt bei 77 Prozent und die Hälfte der Bevölkerung von Guajira ist von Ernährungsunsicherheit betroffen“, so Felipe bei der Eröffnung des Forums.

Die Veranstaltung fand nur wenige Tage nach dem Kolumbienbesuch von Cem Özdemir und Robert Habeck statt. Auf ihrer Reise diskutierten die deutschen Politiker mit ihren kolumbianischen Amtskolleg*innen über die anvisierte Energiewende, namentlich die Möglichkeit von Investitionen in grünen Wasserstoff und die Transformation in der Landwirtschaft. Obwohl die Minister La Guajira nicht besucht haben, sind die deutschen Interessen an den dortigen Rohstoffen größer denn je. Nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine ist der Bedarf Deutschlands an kolumbianischer Kohle gestiegen. Im Jahr 2022 wurden 2,3 Millionen Tonnen davon importiert, hauptsächlich aus dem Tagebau El Cerrejón, dem größten in Lateinamerika. Er gehört dem Schweizer Konzern Glencore (siehe LN 545).

Die Auswirkungen des Krieges und die Rolle, die Deutschland in der Region spielt, hat Laura Chaparro, kolumbianische Studentin der politischen Ökonomie und Entwicklung in Kassel und Koordinatorin der Gruppe Aktion Guajira, in einem Beitrag noch deutlicher zusammengefasst: „Die deutsche Regierung ist auf der Suche nach Energieressourcen für ihr Land“, sagte sie, „das ganze kommt dabei mit neokolonialen Konnotationen daher, wobei Lateinamerika als eine Art Hinterhof betrachtet wird. Man holt sich die Ressourcen und lässt die Bevölkerung verarmen”.

Wie weg von der Kohle? Der Tagebau El Cerrejón (Foto: Hour.poing via Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0)

Anders als nach der Wahl der progressiven Regierung Gustavo Petros vielleicht einige erwartet hatten, scheinen sich die deutschen Beziehungen zu Kolumbien nicht geändert zu haben. Wie der Besuch der deutschen Entscheidungsträger nun zeigte, werden die energiepolitischen Verflechtungen zwischen beiden Ländern sogar enger.

Das Hauptproblem in La Guajira und ein Grund für das Feststecken in neokolonialen Wirtschaftsstrukturen ist jedoch nicht nur die fehlende Erneuerbarkeit solcher Export-Energien wie Steinkohle. Der neue Fokus der deutschen Regierung liegt auf grünem Wasserstoff und anderen Energiequellen, das Handeln der Minister zeigt gleichzeitig das Interesse an einem Markt für europäisches und transnationales Finanzkapital in Kolumbien sowie an Investitionsgelegenheiten für Energiekonzerne wie Glencore und Enel.

Diese Interessen spiegeln sich auch in der Politik der Ampelkoalition in Deutschland wider. Einerseits hat man nach dem Wegfall des bisherigen Hauptkohlelieferanten die Importe aus Kolumbien erhöht. Dabei werden die tiefgreifenden ökologischen, sozialen und kulturellen Schäden ignoriert, die Glencore in La Guajira verursacht. Andererseits birgt das Versprechen von alternativen Energien für Europa das Risiko, neokoloniale Verhältnisse zwischen Deutschland und Kolumbien zu reproduzieren.

Die von der Regierung Petro geförderten und von der deutschen Regierung politisch und finanziell unterstützten Projekte für erneuerbare Energien haben zudem starke Auswirkungen auf die Wayuu-Gemeinden vor Ort. Jazmín Romero, eine Vertreterin der Wayuu, kritisiert diesen grünen Extraktivismus: „Die 65 Windparks, die auf dem Gebiet der Wayuu gebaut werden, haben hier die Vertreibung der Bevölkerung zur Folge“. Um solche Vertreibungen zu vermeiden, bräuchte die nationale Regierung echte Konsultationsprozesse, die sich nicht auf die Seite der Energieunternehmen stellen. „Sie sagen uns, dass jedes Unternehmen frei und autonom seine eigenen Konsultationen durchführen kann“, sagt Jazmín. „Das hat dazu geführt, dass diese sehr großzügig durchgeführt werden, um schließlich die Wayuu-Bevölkerung zu beseitigen und zu vertreiben.“

Obwohl die Wayuu-Gemeinden die Regierung von Gustavo Petro aufgefordert haben, die laxen „vorherigen Konsultationen“ auszusetzen, scheinen sie von Bogotá ignoriert zu werden. „Ich mache mir keine Illusionen über Veränderungen, wenn es das gleiche neoliberale und transnationale extraktivistische Modell ist. Und die Wayuu? Sind geliefert …“, so beendete Jazmín ihren Beitrag.

Die Spezialisierung des Departamentos auf den Bergbau hat sich auf La Guajira tragisch ausgewirkt. „Wir sind an ein Wirtschaftsmodell gebunden, in dem wir von ausländischen Märkten abhängig sind“, sagt Enrique Daza, Direktor von Cedetrabajo. Diese Art von Wirtschaftspolitik wurde vor allem durch die wirtschaftliche Liberalisierung in den 1990ern und die Freihandelsabkommen mit Ländern wie den USA und der EU durchgesetzt. Ein Beweis dafür: die Energiepreise in der Region La Guajira gehören zu den höchsten des Landes, obwohl Kohlelieferungen 98 Prozent der Exporte der Region ausmachen.

Zum Abschluss des Forums bekräftigen die anwesenden Organisationen die Notwendigkeit, in La Guajira einen sozialen Dialog und dauerhafte gemeinsame Diskussionen einzurichten. Die Initiative werde „der größte Einigungsprozess, den es je im Departamento gegeben hat“. Die Gruppen verpflichteten sich außerdem, einen Fahrplan für die energiepolitische Diversifizierung und den Übergang zur nachhaltigen Energieversorgung zu erstellen, der über die Grenzen des Departamentos hinausgeht.

KUGELSICHERE WESTEN HELFEN NICHT

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SAMUEL ARREGOCES
ist einer von vielen wichtigen sozialen Aktivist­*innen (líderes sociales) in Kolumbien, die bedroht werden. Er organisiert im Bundesstaat La Guajira den Widerstand der Wayuu und Afro-Gemeinden gegen die Vertreibung und Umweltzerstörung durch den Kohleabbau in der Mine von El Cerrejón. Samuel Arregoces‘ Dorf Tabaco wurde 2005 gewaltsam von der Betreiberfirma der Mine und dem kolumbia­nischen Staat vertrieben. Seitdem unterstützt er andere Gemeinden im Kampf gegen die Mine und für das Wasser im trockenen La Guajira. (Foto: Daniel Céspedes)


Seit vielen Jahren werden Sie wegen Ihres politischen Engagements bedroht. Wann fing das an?
Das erste Mal wurde ich 2011 bedroht, als wir eine Demonstration zum Gedenken an die gewaltsame Vertreibung des Dorfes Tabaco für den Ausbau der Kohlemine El Cerrejón vor damals zehn, inzwischen 19 Jahren, abhielten. Ich erhielt einen Anruf, in dem es hieß: „Vergessen Sie nicht, dass Sie eine Familie haben”. In der Zeit danach gingen die Drohungen per Telefon weiter, gleichzeitig bekam ich zum ersten Mal seltsame Textnachrichten. Im Jahr 2016 wurden die Drohungen noch intensiver, am 14. Februar bei der Vertreibung der Gemeinde Roche rief mich jemand an, um mir zu sagen, dass ich getötet werden sollte. In diesem Jahr reichte ich auch die erste öffentliche Anzeige bei der Staatsanwaltschaft ein, doch die Bedrohungen gingen weiter. Ich wurde schon mehrfach von einem Auto verfolgt, teilweise bis zu mir nach Hause und eines Tages beobachtete meine Schwester, wie ein Mann, der mich verfolgt hatte, sich unserem Haus näherte. Als er sah, dass sie ihn gesehen hatte, rannte er weg.

Wie haben Sie auf diese Bedrohungen reagiert? Welche Möglichkeiten gab und gibt es?
Ich traf Vorsichtsmaßnahmen: Ich kam immer früh nach Hause und verließ es nur, wenn ich zu wichtigen Versammlungen musste. Wegen der fehlenden Reaktion der Staatsanwaltschaft suchte ich Hilfe beim Volksbildungszentrum und der Organisation Somos Defensores. Diese Organisation prüfte meinen Fall und riet mir, La Guajira zu verlassen und wenn möglich sogar Kolumbien. Aber für mich war es schon sehr schwierig, unseren Bundesstaat zu verlassen und unvorstellbar, das Land zu verlassen. Ich habe drei Monate außerhalb von La Guajira verbracht. Am Schwierigsten war für mich, dass ich mein Land wie ein Krimineller auf der Flucht verlassen musste, während die wahren Verbrecher hier bleiben durften. Dazu kam, dass es für mich sehr schwierig war, woanders Arbeit zu finden.

Gab es in Ihrem Fall Unterstützung durch staatliche Institutionen?
Im Mai 2018 wandte ich mich an die Nationale Einheit für den Schutz von Opfern von Bedrohungen (UNP). Ich füllte ein Formular aus und sie beantworteten meinen Antrag erst im November, also ein halbes Jahr später. Sie schrieben mir, dass ich nicht in Gefahr sei, weil ich ein gewöhnlicher Bürger sei. An diesem Tag fühlte ich mich sehr schlecht, weil sie leugneten, dass ich ein líder social bin. Deswegen legte ich gegen diese Entscheidung Berufung ein. Im März 2019 führten sie eine erneute Risikostudie durch und antworteten mir im August, dass ich außerordentlich gefährdet sei und, dass sie dementsprechend Sicherheitsmaßnahmen für mich treffen würden. Diese bestanden aus drei Dingen: Einem Alarmknopf, einer kugelsichere Weste und einem Mobiltelefon. Das half gar nichts, im Gegenteil: In einer kugelsicheren Weste bist du viel auffälliger und die Leute in deinem Umfeld werden unruhig. Ich habe gegen diese Entscheidung also erneut Berufung eingelegt. Weil kurz darauf jemand versuchte, in mein Haus einzudringen und schon die Gitterstäbe vor meinem Fenster verbogen hatte, überprüften sie meine Situation nochmal, aber ich habe bis heute immer noch keine Antwort erhalten.

Was macht das mit einem, ständig mit der Angst zu leben?
Es ist nicht leicht, mit diesen Bedrohungen zu leben, denn sie verändern dein Leben. Es ist traumatisch, jeden Tag mit dem Gedanken zu leben, man könnte getötet oder ein Familienmitglied verletzt werden. Wir haben uns mit der Familie zusammengesetzt und entschieden, uns zu verschulden, um uns ein Auto zu kaufen, das in dieser Situation eigentlich nicht das richtige Auto ist. Jemand aus meiner Familie hat sich bereit erklärt, immer mit mir zu fahren. Wir haben aber keine Waffe, um uns zu verteidigen. Es ist nicht der beste Sicherheitsmechanismus, aber es ist das Beste, was ich umsetzen konnte. Jedes Mal, wenn wir das Haus verlassen, wissen wir nicht, ob wir zurückkommen. In Angst zu leben ist schwierig, aber es kommt eine Zeit, in der du dich entscheiden musst und ich bin sicher, dass wir es sind, die etwas verändern und weiterkämpfen müssen. Die Regierung wird das Land nicht verändern. So viele von uns mussten ihr Leben deswegen lassen; in diesem neoliberalen, extraktivistischen Staat sind wir militärische Ziele. Ein sozialer Aktivist zu sein, gilt hier als ein Verbrechen.

Wissen Sie denn, woher die Bedrohungen kommen?
Ich bin mir nicht sicher, woher die Drohungen kommen, aber ich bin mir sicher, dass Samuel Arregoces mit niemandem ein Problem hat, außer mit dem Bergbauunternehmen El Cerrejón und dem kolumbianischen Staat. Viele Führungspersönlichkeiten, die dasselbe tun wie ich, sind getötet worden. Dazu kommt, dass die Bedrohungen immer dann kommen, wenn wir gerade in entscheidenden Verhandlungen mit El Cerrejón sind – das ist systematisch. Dabei sind die Drohungen gegen Frauen jeweils noch aggressiver. Sie richten sich gegen ihre Töchter und machen sich deren Verwundbarkeit zu Nutze. Dazu kommt, dass wir líderes sociales kaum Arbeit finden. Die Arbeitgeber denken, wir sind Gewerkschafter, die später jedes Unternehmen in Schwierigkeiten bringen. Das ist auch eine Art der Verfolgung. Ein líder social zu sein bedeutet auch, ständig Angst zu haben, dass man kein Essen mit nach Hause bringen kann, weil man nicht arbeiten kann.

Die Regierung unter Präsident Iván Duque ergreift bisher keine sichtbaren Maßnahmen gegen die selektiven Tötungen und Bedrohungen. Was verlangen Sie von Kolumbiens aktueller Regierung?
Meine Forderungen sind sehr klar: Die nationale Regierung muss die Kontinuität unserer Arbeit als líderes sociales garantieren, es ist das Wertvollste, was wir haben. Darüber hinaus sollten sie uns daran beteiligen, wenn es darum geht, Sicherheitsvorkehrungen zu entwickeln. Jetzt ist es zum Beispiel so, dass, wenn Bedrohte Schutz erhalten, es in der Regel fremde Bodyguards sind. Die kommen nun in dein Haus, kennen aber deine Familie, deine Sitten und Traditionen nicht.

Welche Verantwortung trägt ein Land wie Deutschland, dass die Kohle von El Cerrejón importiert, für die Gewalt gegen líderes sociales in La Guajira?
Deutschland trägt dazu bei, indem es Kohle aus La Guajira kauft, die mit Blut, mit Drohungen, mit Entwurzelung von Menschen und mit ihrer Trauer befleckt ist. Um diese Kohle zu kaufen, sollten sie in Deutschland Menschenrechtsstandards in den Gebieten fordern, aus denen sie gefördert wird. Viele, die in Deutschland leben, tun das mit ihren Privilegien und mit ihrer Entwicklung, wie sie es nennen. Aber sie bringen die Glühbirnen auf Kosten unseres Hungers zum Leuchten. Sie sollten sich ihre Hand auf ihr Herz legen und sich nach einer anderen Form von Energieproduktion umsehen.

LOS CHALECOS ANTIBALAS NO AYUDAN

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SAMUEL ARREGOCES
es uno de los muchos activistas sociales importantes en Colombia que viven bajo amenaza. Él organiza en el Departamento de La Guajira la resistencia de las comunidades afro y Wayuu contra el desplazamiento y la destrucción del medio ambiente a causa de la minería de carbón en la mina El Cerrejón (ver LN 545). El pueblo de Samuel Arregoces, Tabaco, fue destruido en 2005 por la empresa operadora de la mina junto con el Estado colombiano. Éstos borraron del mapa saberes, plantas, animales, arroyos y costumbres. Desde entonces ha estado apoyando otras comunidades en la lucha contra la minería y por el agua en la seca La Guajira. (Foto: Daniel Céspedes)


Durante muchos años ha sido amenazado por su compromiso político ¿cuándo empezó?
En el 2011 cuando hicimos una manifestación por la conmemoración de los 10 años del desplazamiento de Tabaco, recibí una llamada en la que me decían “recuerde que usted tiene familia”. Un año después siguieron las amenazas telefónicas y empecé a recibir mensajes de textos raros. En el 2016 se hicieron más intensas las amenazas, en el desalojo de la comunidad de Roche me llamaron para decirme que podía ser asesinado. Ese año también presenté la primera denuncia pública en la fiscalía. En otra ocasión, un vehículo me siguió hasta mi casa, y una vez una persona también lo hizo pero cuando mi hermana se dio cuenta, salió corriendo.

¿Qué ha hecho para hacer frente a las amenazas? ¿Qué garantías ha tenido?
Tomé precauciones. Entraba temprano a la casa, solo salía cuando tenía reuniones y por la nula respuesta de la fiscalía busqué ayuda en el Centro de Educación Popular y en una organización no-gubernamental que se llama “Somos defensores”. En el estudio de riesgo que hicieron estas organizaciones por los últimos incidentes, me aconsejaron salir de la Guajira, principalmente me recomendaron salir del país, pero si para mí es difícil salir del departamento, imagínese salir del país. Estuve un año fuera de La Guajira. Fue algo muy duro para mí. Salir de mi tierra como un delincuente, cuando los delincuentes se quedan aquí – además el estrés me generó un problema de salud y económicamente fue muy complicado. Tenía una beca por tres meses, otra por dos meses, pero los meses siguientes yo debía costear todo solo, con donaciones de algunos amigos en dinero y en alimentos. Pero yo no tenía trabajo. Por todo lo que yo hago en las comunidades no recibo ningún pago.

¿Recibió apoyo del Estado?
En mayo del 2018 llené un formulario en la UNP (Unidad Nacional de Protección) y me dieron respuesta en noviembre. Me dijeron que no tenía riesgo porque era un ciudadano común. Ese día me sentí muy mal porque me negaron que yo sea líder social. Apelé esa decisión y en marzo del 2019 me hicieron un estudio de riesgo y me respondieron en agosto que yo tenía riesgo extraordinario y que iban a implementar un esquema de seguridad: un botón de pánico, un chaleco antibalas y un celular. Pero yo siento que este esquema lo pone a uno más en riesgo, porque uno no pasa desapercibido con un chaleco antibalas y volví a apelar esta decisión. Tuvieron que hacer otro estudio de riesgo porque intentaron entrar en mi casa doblando las barillas de la ventana y una vecina vio cerca una moto extraña. De este estudio aún no he recibido respuesta.

¿Cómo es vivir con miedo constante?
Vivir con estas amenazas no es fácil, porque te cambia la vida. Vivir todos los días pensando que te pueden asesinar, o que le van a hacer daño a un familiar es traumático. Me tocó hacer una reunión familiar y entre todos nos endeudamos para comprar un carro y alguien de mi familia se prestó para andar conmigo, no tenemos ningún tipo de arma. No es el mejor mecanismo de seguridad, pero es lo mejor que pude implementar. Cada vez que salimos de la casa, no sabemos si vamos a regresar.

Vivir con miedo es difícil, pero llega un momento en que te decides. Estoy seguro que somos nosotros los que tenemos que cambiar esto. El gobierno nacional no va a cambiar el país, muchos de nosotros hemos tenido que dejar la vida en el barro. En este país neoliberal, extractivista, somos objetivo militar y ser líder social es un delito.

¿Tiene alguna idea de dónde provienen estas amenazas?
Yo no estoy seguro de dónde vienen las amenazas, pero de lo que sí estoy seguro es que lo único que hace Samuel Arregoces es denunciar a la empresa minera El Cerrejón y al Estado colombiano. ¿A quién más le puede incomodar lo que yo hago? Muchos líderes que hacen lo mismo que yo han sido asesinado, estas amenazas son sistemáticas.

WO KOMMT DIE KOHLE HER?

Die Steinkohlemine El Cerrejón Fast die gesamte hier geförderte Kohle wird nach Europa exportiert (Foto: Tanenhaus via commons.wikimedia.org, CC BY 2.0)

Anfang Oktober protestierten in Deutschland verschiedene Gruppen unter dem Namen deCOALonize Europe für einen weltweiten Kohleausstieg. Das Bündnis führte unter anderem in Dortmund, Hamburg und Bremen Demonstrationen und Blockaden durch. Es fordert einen vollständigen Ausstieg aus der Verstromung von Kohle – als ersten Schritt in Richtung Klimagerechtigkeit. Denn ein europäischer Ausstieg aus der Kohleförderung verlagert den Kohleabbau nur in andere Regionen. Steinkohletagebaue weiten sich dort aus, wo sie häufig nicht sichtbar sind: Der Tagebau El Cerrejón, im Norden Kolumbiens, ist die größte Mine Lateinamerikas und mittlerweile die größte Steinkohlegrube der Welt. In Europa wird die Kohle verstromt und CO2 in die Atmosphäre freigesetzt, doch die Folgen spürt man in Europa wesentlich schwächer als vor Ort. Die, die von der Kohle profitieren, sind nicht die, die unter den Folgen leiden.
Dabei ist der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromgewinnung in Kolumbien überraschend hoch: Allein die Wasserkraftwerke liefern 85 Prozent der elektrischen Energie. Gleichzeitig wird in Kolumbien Steinkohle gefördert wie sonst nur in den USA oder Russland. 2017 wurden in La Guajira und der südlicheren Region Cesar knapp 90 Millionen Tonnen aus der Erde geholt. Fast die gesamte Steinkohle wird exportiert. Der Kohletagebau El Cerrejón und andere Minen gehören meist multinationalen Konzernen, die diese Kohle aus dem nahe gelegenen Karibikhafen Puerto Bolívar direkt nach Europa verschiffen lassen. Auch nach Deutschland, wo Energiekonzerne wie RWE, E.ON und Vattenfall sie zur Stromgewinnung nutzen.

Der europäische Kohleausstieg verlagert den Kohleabbau und seine fatalen Folgen nur in andere Regionen

Die Bewohner*innen der Dörfer rund um die Mine El Cerrejón leiden unter ständigen Sprengungen, verschmutztem Regenwasser und der Belastung durch Schwefelsäure im Río Ranchería. Auch Räumungen ganzer Gemeinden für den Kohleabbau und paramilitärische Gruppen sind eine ständige Bedrohung. Nicht nur die unmittelbaren Folgen setzen dem Land zu, denn die Kohle kommt in anderer Form zurück. Die Verstromung von Steinkohle ist ebenso ineffektiv und dreckig wie die von Braunkohle: Um die gleiche Menge Energie zu gewinnen, wird bei der Verbrennung von Steinkohle im Vergleich zum Diesel 40 Prozent mehr CO2 freigesetzt. Damit ist die Steinkohle ein Anheizer des Klimawandels. Laut den Vereinten Nationen ist Kolumbien einer der extrem betroffenen Staaten. Mindestens die Hälfte der Fläche ist besonders anfällig für klimatische Veränderungen. Weite Teile der küstennahen Gebiete liegen nur wenige Zentimeter über dem Meeresspiegel und werden bereits jetzt häufig überflutet. Gleichzeitig schmelzen die Andengletscher, deren Abflüsse die Bevölkerung seit Jahrhunderten mit sauberem Wasser versorgen. In La Guajira wird letzteres knapp – auch wegen des Kohleabbaus. Allein die Mine El Cerrejón verbraucht täglich 17 Millionen Liter Wasser. Im Rahmen der Proteste von deCOALonize Europe im Ruhrgebiet sagte die kolumbianische Aktivistin María Fernanda Herrera Palomo gegenüber der Online-Zeitung scharf-links.de dazu: „In La Guajira schützen indigene Wayuu und afrokolumbianische Gemeinden den für sie lebensnotwendigen Fluss Arroyo Bruno vor der Zerstörung durch den Kohleabbau. Wir schließen uns mit unseren Aktionen diesen mutigen Kämpfen an. Deshalb blockieren wir hier die Blutkohle.“

Über 19 indigene und afrokolumbianische Gemeinschaften wurden für den Tagebau von El Cerrejón zwangsumgesiedelt


Klimagerechtigkeit ist ein schwer greifbarer Begriff. Am Rande von El Cerrejón haben die Menschen den Zusammenhang verstanden: Hier wird die Kohle abgebaut und die Landschaft zerstört, ihre Lebensgrundlage verschwindet. „Ich wünsche mir, dass die Menschen in Deutschland sich bewusst werden, wo die Kohle herkommt, die sie konsumieren. Und über die Konsequenzen“, zitiert deCOALonize Europe Luz Ángela Uriana Epiayu, Bewohnerin eines Dorfes am Rande des riesigen Tagebaus. Über 19 indigene und afrokolumbianische Gemeinschaften wurden für den Tagebau von El Cerrejón zwangsumgesiedelt, oft mit brachialer Gewalt. Die Entschädigungen ersetzen nicht den Verlust der Lebens- und Einkommensgrundlagen. Wirtschaftliche und soziale Strukturen werden zerstört, ehemalige Kleinbauernfamilien landen in Vorstadtsiedlungen. Wer sich wehrt, muss in La Guajira mit Morddrohungen rechnen.
Das zeigt das Beispiel der Fuerza de Mujeres Wayuu, der Organisation der indigenen Wayuu-Frauen. Im April 2019 erhielten sie von Paramilitärs der Águilas Negras (Schwarze Adler) Drohbriefe. In Cesar wurden allein zwischen 1996 und 2006 59.000 Menschen vertrieben und 2.600 ermordet. Vor Gericht bestätigten die paramilitärischen Milizen in vielen Fällen, dass sie von Drummond, einem der Minenbetreiber, beauftragt wurden. „Die Morde und die Finanzierung paramilitärischer Einheiten stellen nur die Spitze des Eisbergs dar. Arbeiter klagen regelmäßig über fehlende Gewerkschaftsfreiheit, zu lange Arbeitszeiten und schlechten Gesundheitsschutz“, so Alirio Uribe, Menschenrechtsanwalt in einer Informationsbroschüre von deCOALonize Europe.
Diese Zustände sollen auch in Europa nicht länger unbekannt bleiben. Anfang Oktober gelang deCOALonize ein erfolgreicher Schritt: An verschiedenen Orten in Deutschland blockierten sie Kohleinfrastruktur. In Hamburg blockierten 200 Aktivist*innen den Zugang zum Kraftwerk Moorburg mit Kanus. In Nordrhein-Westfalen störten Aktivist*innen mit der Besetzung eines Krans den Betrieb des Trianel Steinkohlekraftwerks Lünen und organisierten gemeinsam mit Fridays for Future eine Fahrraddemo in Dortmund. „Das Klimapaket beweist wieder, dass die Bundesregierung lieber kapitalistische Interessen bedient, als Antworten auf die bevorstehende Klimakatastrophe zu finden“, sagt Aktivistin Jennifer Schneiders aus Hamburg. „Und es ist unsere Verantwortung, uns dem mutigen Widerstand in den Abbauregionen anzuschließen und hier den sofortigen Kohleausstieg zu fordern“, ergänzt ihre Mitstreiterin Lina Ottner. Die Bewohner*innen um El Cerrejón werden diese Worte sicher gerne hören.

 

BILDGEWALTIGES MEISTERWERK

Ab Anfang April in den deutschen  Kinos Traumafte Schönheit und brutale Realität in Birds of Passage

Es gibt Filme, die erzählen eine Geschichte und es gibt Filme, die machen diese Geschichte erlebbar. Das neue Werk von Ciro Guerra und Cristina Gallego ist einer dieser Filme. Birds of Passage spielt in den 70er Jahren in der Region La Guajira, im Nordosten Kolumbiens, und gilt als der Bonanza Marimbera genannte Ursprung des kolumbianischen Drogenhandels. Rapayet, ein Angehöriger der matriarchalisch geprägten Wayuu, verkauft Marihuana an US-Amerikaner*innen. Der Handel boomt und sorgt für großen Reichtum. Doch die damit verbundene Gewalt zerstört letztendlich seine Familie.

Das Regie- und Produktionsduo aus Ciro Guerra und Cristina Gallego, die schon für Die Reisen des Windes und Der Schamane und die Schlange zusammengearbeitet haben, entführt uns auch diesmal in eine Welt zwischen Legende, Traum und Wirklichkeit. In langen Aufnahmen lassen sie die beeindruckende Wüstenlandschaft der Region auf die Zuschauenden wirken. Die schlichte Rauheit der Natur steht in teils krassem Gegensatz zu der detailreich verzierten, glänzenden Kleidung der Frauen. Ebenso das prunkvolle Haus, das die Familie bewohnt, nachdem der Reichtum Einzug gehalten hat: Es scheint wie ein Geisterpalast in der Weite der Wüste und zugleich protzig und angreifbar – ein Sinnbild des Drogenreichtums. Die Ausdrucksstärke der Bildsprache zeigt sich auch in den stilleren Momenten, deren Symbolgehalt sich auf die Tierwelt bezieht. So verkünden bunt gemusterte, riesig anmutende Heuschrecken kommendes Übel und Plagen, ein nächtlich wiederkehrender schwarzer Vogel versinnbildlicht die unheilvolle Gegenwart eines getöteten Freundes. Auch die reale Gestaltung der Traumbilder, in denen die Matriarchin Úrsula Botschaften für die Zukunft liest, lassen diese als gleichberechtigte Informationsquelle neben den alltäglichen Geschehnissen wahrnehmen. Hier kommt man nicht umhin, den magischen Realismus am Werk zu spüren. Auch in der Erzählweise nähern sich die Regisseur*innen anderen Traditionen an. Ein alter Wayuu besingt in der Eröffnungs- und Schlusssequenz die Geschichte des Films und hebt sie somit in eine orale Tradition, die sich im Handlungsaufbau weiterführt, der thematisch und chronologisch in fünf Gesänge (cantos) unterteilt ist. Dies wird noch unterstrichen, indem fast nur Wayuunaiki, die Sprache der Wayuu, gesprochen wird.

Brüche der Figuren, in denen die traditionelle matriarchale Gesellschaftsstruktur zu bröckeln scheint und sich Rapayet gegen Úrsulas Wort stellt, bringen die Welt einer indigenen Gemeinschaft, die in den Drogenhandel verwickelt ist, näher. Guerra und Gallego ist es gelungen, den Blick auf das bekannte Thema des Drogenhandels in Kolumbien durch eine neue Perspektive und in einer neuen Ästhetik zu betrachten. Auch ist dies der erste Film, in dem Cristina Gallego die Co-Regie übernommen hat, was die starke Frauenrolle im Film betont. Ein überwältigender Film, dessen poetische und surreale Bilder die Zuschauer*innen nicht loslassen und dessen Geschichte Kolumbien noch immer begleitet.

„BESSER LEBEN OHNE KOHLE”

El Cerrejón – so nannten die Wayúu einst den heiligen Berg. Heilig, weil er ihnen seit Jahrhunderten Medizinpflanzen spendete und das spirituelle Erbe der Gemeinschaft, der größten indigenen Gruppe Kolumbiens, barg. Heute steht El Cerrejón für einen Großkonzern, eine Mine, ein Loch, Zerstörung. Der Berg ist ausgehöhlt, die Menschen vertrieben.

Samuel Arregoces ist Sprecher der afrokolumbianischen Gemeinde Tabaco und wurde 2001 selbst Opfer einer gewaltvollen Vertreibung durch El Cerrejón. Der gesamte Ort wurde dem Unternehmen übergeben, um dort weiter Kohleabbau zu betreiben. Bis heute warten die Menschen von Tabaco darauf, dass ein Ort für die Neugründung ihrer Gemeinde bereitgestellt wird.

„Es geht hier um mehr als die physische Trennung zwischen Mensch und Territorium“

„Es geht hier um mehr als die physische Trennung zwischen Mensch und Territorium“, schildert Arregoces den Verlust. Mit der Vertreibung und Hinauszögerung der Umsiedlung sterbe etwas in der Gemeinschaft, im sozialen Gefüge. Der Aktivist ringt um Worte. „Unsere Kinder verlieren das Bewusstsein für die anzestrale Mythologie, hören auf zu träumen“. Ein wesentlicher Bestandteil der Wayúu-Spiritualität ginge somit verloren. „Der Verlust dieses Gedächtnisses des Territoriums ist irreparabel“, sagt Arregoces.

Hinzu kommt, dass die Dorfgemeinschaft beständig unter Druck von außen durch den Bergbaukonzern steht. Durch unterschiedliche Strategien wie zum Beispiel lukrative Jobangebote versucht El Cerrejón, den Zusammenhalt im Widerstand zu schwächen. Dass diese Strategie der internen Spaltung oft genug aufgeht, beschreibt Arregoces mit Bedauern: „Ein Riss zieht sich durch Familien und Freundschaften: Manche arbeiten in der Mine, andere verlieren durch sie jegliche Existenzgrundlage.“ Im Fall von Tabaco gestalte es sich darüber hinaus schwierig Widerstand zu organisieren, da alle ehemaligen Dorfmitglieder nun an verschiedenen Orten verstreut lebten. Geld für die Anreise und Organisation von Treffen sei fast nie da.

„Und daher sind wir nun hier in Deutschland, um uns mit sozialen Bewegungen und Aufklärungskampagnen zu vernetzen und internationalen Druck aufzubauen. Wenn man hier im Norden davon spricht, von der Kohle als Energiequelle wegzukommen, dann heißt das für uns notwendigerweise, dass man uns unsere Territorien zurückgibt.“ Arregoces verdeutlicht, dass es den Menschen von Tabaco nicht nur um die Einhaltung internationaler Standards und Verträge seitens des Unternehmens geht. Nein, auch ein definitives Ende des Extraktivismus in der Region, stehe auf ihrer Agenda. Die Rechtfertigung der Konzerne, Arbeitsplätze zu schaffen und den “Fortschritt” der Region zu befördern, hält Arregoces für einen Vorwand.

Tabaco ist nicht die einzige Gemeinde, die große Verluste zu beklagen hat. In den vergangenen drei Jahrzehnten wurden durch die Mine große Teile des Territoriums der Wayúu zerstört. Ganze Landstriche wurden verwüstet, Böden unbrauchbar gemacht, Biodiversität vernichtet und die Versteppung vorangetrieben. Wasserläufe versiegen aufgrund des riesigen Wasserbedarfs für die Mine, was die übliche kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft unmöglich macht. Vielen Dörfern droht nun mit der geplanten Erweiterung des Tagebaus bereits die zweite Vertreibung.

Die im Nordosten Kolumbiens gelegene Mine El Cerrejón ist der größte Steinkohletagebau der Welt.

Die auf der Halbinsel La Guajira im Nordosten Kolumbiens gelegene Mine El Cerrejón ist mit einer Gesamtfläche von 69.000 Hektar der größte Steinkohletagebau der Welt. Noch bis 2034 läuft der Vertrag zwischen den beteiligten Konzernen Anglo American aus Großbritannien, BHP Billiton aus Australien, dem Schweizer Glencore und dem kolumbianischen Staat. In dem „Plan Colombia País Minero 2019“ sieht Kolumbien eine Ausweitung aller bestehenden Minen vor, sowie eine Steigerung der landesweiten Kohleförderung. 98 Prozent der kolumbianischen Kohle sind für den Export bestimmt. Immer noch wird auf die Bergbauindustrie als „Lokomotive für die Entwicklung Kolumbiens“ gesetzt und verheerende Folgen für die Bevölkerung werden in Kauf genommen.

Während die Mine für die ansässige Bevölkerung den Inbegriff von Gewalt und Ungerechtigkeit darstellt, importieren Unternehmen wie Vattenfall, RWE oder E.ON weiterhin kolumbianische Kohle, um sie unter anderem in Deutschland zu verstromen. Die versprochene Energiewende in Deutschland, und das Einstellen der eigenen Steinkohleproduktion bis 2018, ist tatsächlich nur durch das Festhalten an Kohleimporten möglich. Deutschland allein importiert momentan pro Jahr rund 54 Millionen Tonnen Steinkohle und ist damit Spitzenreiter in der EU.

Rund ein Drittel der Importe stammt aus Russland. Nummer zwei der Importländer ist Kolumbien mit ungefähr 20 Prozent. Weiterhin gibt es kaum Transparenz über die Lieferbeziehungen, was der Missachtung von Grundrechten Tür und Tor öffnet. Laut einer aktuellen Studie von den Nichtregierungsorganisationen Germanwatch und MISEREOR betrifft ein Drittel der unternehmensbezogenen Vorwürfe zu Menschenrechtsverletzungen den Energie- und Rohstoffsektor. Anders als Frankreich, Großbritannien und die Niederlande hat sich Deutschland jedoch immer noch nicht dazu durchringen können, Gesetze mit Menschenrechtsvorgaben für Auslandsgeschäfte von Unternehmen zu verabschieden.

So kann ein hier geführter Protest gegen Vattenfall und Co. die Gemeinden in der Guajira ganz konkret in ihrem alltäglichen Widerstand unterstützen. Auch das ist eine Botschaft der drei Aktivist*innen. Die Ziele und Vorstellungen der betroffenen Menschen müssen in den Vordergrund gestellt werden, um Chancen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit und Solidarität auszumachen.

Auftaktveranstaltung der Rundreise war die Filmvorführung des Dokumentarfilms La buena vida (Das gute Leben) von Jens Schanze in Berlin. Der Film erzählt die Geschichte der Dorfgemeinschaft Tamaquito am Río Ranchería, die 2011 zum Vorzeigeprojekt „gelungener Umsiedlung“ unter „Einhaltung internationaler Standards“ durch El Cerrejón werden sollte. Dies misslang vollauf.

Catalina Caro Galvis, ebenfalls Aktivistin und Bergbaureferentin der Umweltorganisation CENSAT – Agua Viva kann im Kampf gegen das Kohlegeschäft aber auch von Erfolgen berichten. So wurde im März 2017 ein Besuch einer Konzerndelegation von Vattenfall in der Guajira erwirkt, bei dem die Führungsebenen des schwedischen Staatskonzerns mit den Menschenrechtsverletzungen in den Minen Kolumbiens konfrontiert werden sollten. Die Besonderheit: Kolumbianische Aktivist*innen, unter anderem Caro Galvis, bestimmten den Ablauf dieses Besuches. Bis heute steht das versprochene Abschlussgutachten von Vattenfall jedoch aus. Caro Galvis vermutet, dass jede weitere zeitliche Verzögerung dazu führen wird, dass die Zustände abgeschwächt und beschönigt werden. Einmal mehr ruft sie daher dazu auf, von Deutschland aus Druck auf Vattenfall auszuüben und die Veröffentlichung eines weitreichenden und transparenten Gutachtens einzufordern.

Vattenfall spielt weiterhin auch im deutschen Kohleabbau eine bedeutende Rolle. Ironischerweise finanziert der Konzern seit 2006 das „Archiv verschwundener Orte“, in dem an die 136 Dörfer erinnert wird, die allein in der Lausitz seit 1924 dem Braunkohlebergbau ganz oder teilweise weichen mussten. Bei einer Fahrradtour um den Braunkohletagebau Jänschwalde an der deutsch-polnischen Grenze tauschen die kolumbianischen Gäste ihre Erfahrungen aus der Guajira mit deutschen und polnischen Klimaaktivist*innen aus. Arregoces zieht aus diesem Zusammentreffen vor allem eine Erkenntnis: dass Kohleabbau überall auf der Welt mit einer gewaltvollen Geschichte von Vertreibung und Umweltzerstörung verbunden ist – auch in Deutschland, dem vermeintlichen Vorreiter des Umweltschutzes und der Menschenrechte. Strategie, Logik und Argumentation der Konzerne seien überall auf der Welt gleich, wenn auch die Bedingungen der Vertreibung mehr oder weniger gewaltvoll sein können, schlussfolgert er aus der Rundreise. „Hinter all dem steht die gleiche Grundidee“, sagt er.

„Extraktivismus und Wirtschaftwachsum gehen vor, Menschen müssen weichen und Lebensräume werden zerstört.“

In den noch bis vor Kurzem bedrohten sächsischen Ortschaften Grabko, Atterwasch und Kerkwitz in der Lausitz können die Anwohner*innen mittlerweile aufatmen.

In den noch bis vor Kurzem bedrohten sächsischen Ortschaften Grabko, Atterwasch und Kerkwitz in der Lausitz können die Anwohner*innen mittlerweile aufatmen. Die jahrelangen Forderungen von Umweltschützer*innen erfüllen sich: Der Tagebau Jänschwalde wird nicht erweitert und Welzow-Süd in der Niederlausitz auf Eis gelegt. Fest steht nun: Spätestens 2050 ist Schluss mit der Kohleverstromung in der Lausitz. Und bereits im Oktober 2018 sollen in Jänschwalde erste Generatoren stillgelegt werden, voraussichtlich Mitte der 2020er Jahre wird das Feld ausgekohlt sein. Der Austausch bestärke alle Beteiligten einmal mehr, weiterzukämpfen, so die Aktivist*innen. Nicht nur der Protest, sondern auch die Möglichkeiten eines sozialverträglichen Kohleausstiegs und alternative Erwerbskonzepte müssten global gedacht werden.

Jakeline Romero Epiayu, Sprecherin von Fuerza de Mujeres Wayúu, macht sich darüber hinaus bei einem Vernetzungstreffen mit Berliner Anti-Kohle-Aktivist*innen von den Bewegungen Kohleausstieg Berlin, Ende Gelände und anderen dafür stark, das Thema Klimagerechtigkeit und Energie in den Diskurs um einen möglichen Frieden in Kolumbien zu integrieren. Sie fordert einen Friedensvertrag, in dem das aktuelle neoliberale Wirtschaftsmodell infrage gestellt wird. Eben dieses Modell sei seit jeher Triebfeder des Konfliktes. Romero Epiayu sagt das sowohl mit Blick auf die Situation der vertriebenen Gemeinden in der Guajira, als auch in Hinblick auf das Gebiet Catatumbo. Durch die dort herrschende Guerilla ist die Region bisher weitgehend von extraktivistischen Großprojekten verschont worden. Nun könnte Catatumbo jedoch als lukrativer Standort der Kohle- und Ölförderung ins Blickfeld der Konzerne geraten. Aktionen des zivilen Ungehorsams, wie sie Ende Gelände in den vergangenen Jahren in Deutschland durchführte, seien in Lateinamerika jedoch undenkbar, glaubt Romero Epiayu. „In Kolumbien gleicht eine Mine einer militärischen Festung und das Verhältnis zum Staat ist ein anderes“, erklärt sie. „Wenn du einen Tagebau betrittst, kann das jederzeit mit einem tödlichen Schuss enden.“ Gerade in der derzeitigen Implementierungsphase des Friedensabkommens werden Aktivist*innen in erhöhtem Maße Opfer von Kriminalisierung und Bedrohung. Auch Jakeline und Samuel erlebten bereits konkrete Gewaltandrohungen aufgrund ihrer politischen Tätigkeit. „Schutz, Unterstützung und Sichtbarmachung für Betroffene, als auch deren Familien, muss ein internationales Interesse werden“, fordert Romero Epiayu.

Letzte Station der Rundreise: Der Gipfel der Globalen Solidarität im Rahmen des Anti-G20-Protests in Hamburg. „Wir wollen erreichen, dass die Regierungschefs beim Thema Klimaschutz uns indigenen Gemeinschaften zuhören“, sagt Romero Epiayu. „Immerhin haben wir unsere Territorien und natürlichen Ressourcen über Jahrhunderte konserviert. Unsere Hoffnung ist, dass ein Leben ohne Minen und so, wie wir es uns vorstellen, irgendwann wieder möglich ist.“ Die Zukunft sieht die Aktivistin in lokalen Initiativen und kommunitären Formen des Zusammenlebens. Agerroces ergänzt: „Was man aus dem Süden in den Norden schafft, kontaminiert den ganzen Planeten. Vielleicht erinnern sich die G20 irgendwann daran, dass wir in einem einzigen gemeinsamen Ökosystem leben.“ Was die beiden zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen können, wenige Tage nach dem Gipfel jedoch feststeht: US-Präsident Donald Trump hat in Hamburg in Sachen Missachtung des Pariser Klimaabkommens einen Verbündeten gefunden. Überraschend stellt nun auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Umsetzung des Pariser Vertrages durch sein Land infrage. Ein Grund mehr für Aktivist*innen, sich weltweit zu verbünden.

INSTABILE GRENZE

„La Guajira erlebt gerade eine Reihe von Konflikten. Einige lassen sich bis zur Gründung der Republik Kolumbien zurückverfolgen“, erläutert Weildler Guerra Curvelo, der Gouverneur des Bundesstaates La Guajira, bei einer Konferenz vor Journalist*innen. „Die übrigen hängen hauptsächlich mit der schlechten Konjunktur zusammen, die wir gerade in unserem Verhältnis zu Venezuela erleben“. Seit Schließung der nördlichen Grenzübergänge im August 2015 ist der – legale und illegale – Handel mit dem Nachbarland zum Erliegen gekommen. Die abgelegene Halbinsel am nördlichsten Zipfel des Landes ist traditionell ein Umschlagplatz für Schmuggelgüter aus beiden Richtungen.

Die Handelsmetropole Maicao, auch bekannt als „kommerzielles Schaufenster Kolumbiens“, trägt seit Beginn des 20. Jahrhunderts den Status eines zollfreien Gebietes und fungiert als wirtschaftliche Brücke zwischen Kolumbien und Venezuela. Neben dem legalen Handel mit verschiedenen Gütern, etwa den Kunstprodukten der in der Region lebenden indigenen Gruppe der Wayúu, hat auch der Einbruch des illegalen Treibstoffhandels schwere Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft. Seit Beginn der ökonomischen Krise im Nachbarland sehen sich vor allem die in Grenznähe lebenden Indigenen außerdem zunehmend mit einem Mangel an Nahrungsmitteln konfrontiert. Hildurara Barliza, Repräsentant der Wayúu, erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur Efe: „Wir müssen der historischen Realität ins Auge blicken: Wir haben uns immer gut ernährt, wir hatten eigentlich keinerlei Probleme – und das nur, weil wir von den subventionierten Preisen in Venezuela profitiert haben“.

Laut Zahlen des Nationalen Gesundheitsinstituts (INS) starben in La Guajira allein 2016 mindestens 90 Menschen an Unterernährung. Dem kolumbianischen Statistikamt (DANE) zufolge gehen 85% der Lokalbevölkerung informellen Arbeitsverhältnissen nach, über 50% der Menschen leben unter der Armutsgrenze. Gleichzeitig beziffert die staatliche Planungsbehörde (DNP) den Anteil der Menschen, die unter unzureichenden Bedingungen leben – das heißt im konkreten Fall beispielsweise ohne Zugang zu fließendem Wasser – mit 44,6%.

Die Krise im Nachbarland trifft eine Region, die in den vergangenen Jahren auch zunehmend unter dem Klimawandel zu leiden hatte.

Die Krise im Nachbarland trifft eine Region, die in den vergangenen Jahren auch zunehmend unter dem Klimawandel zu leiden hatte. Schwere Dürreperioden, aber auch der massive Kohleabbau (siehe LN 509) bedrohen die Wasserressourcen und rauben den Menschen damit die Lebensgrundlage. Gleichzeitig steht die Region auf Grund ihrer strategisch günstigen Lage immer wieder im Fokus der Aktionen verschiedener Guerillas sowie paramilitärischer und anderer krimineller Gruppierungen. Verkompliziert wird diese Situation durch den schwelenden Grenzkonflikt mit Venezuela. Am 21. Mai bezichtigte die venezolanische Regierung die kolumbianische Seite in einem offiziellen Schreiben der militärischen Aufrüstung: Kolumbien würde mit „gepanzerten Kampffahrzeugen in wenigen Metern Entfernung zur Grenze“ einen erneuten Ausbruch der Auseinandersetzungen provozieren. In den vergangenen Jahren war es immer wieder zu diplomatischen Krisen im Grenzgebiet gekommen, teils mit schweren gewalttätigen Ausschreitungen und Massendeportationen von in Venezuela lebenden Kolumbianer*innen. 2015 wurde der gesamte Grenzverlauf über mehrere Monate hinweg gesperrt, Teile der Grenze sind bis heute unpassierbar. Das kolumbianische Verteidigungsministerium stritt die Vorwürfe ab und verwies darauf, dass sich die betreffenden Panzer bereits seit einigen Jahren aufgrund der paramilitärischen und Guerilla-Aktivitäten in der Grenzregion befänden.

Der venezolanische Präsident Nicolás Maduro hatte seinerseits bereits Mitte Mai die Militarisierung des ebenfalls in der Grenzregion gelegenen Bundesstaates Táchira angeordnet. Nach gewalttätigen Protesten, in deren Verlauf mehrere Polizeistationen angezündet und mindestens drei Personen getötet wurden, entsandte die Regierung 2600 Soldat*innen nach Táchira, „um den Frieden wiederherzustellen“. Diese Operation ist Teil der zweiten Phase der von Maduro verabschiedeten Sicherheitsmaßnahme „Plan Zamora“, mit der die Regierung die massiven Proteste im Land eindämmen will (siehe Interview mit Daniela Guerra in dieser Ausgabe).

Die Region Táchira grenzt an den kolumbianischen Bundesstaat Norte de Santander, dessen Bevölkerung sich mit ähnlichen Problemen konfrontiert sieht wie jene in La Guajira. Aktuell überqueren laut Zahlen der kolumbiani- schen Regierung aus venezolanischer Richtung kommend. täglich etwa 45.000 Menschen die Grenze bei Cúcuta Die meisten dieser Personen überqueren diese Grenze regelmäßig, etwa weil sie Handel in Cúcuta treiben oder Verwandte besuchen. Allerdings verzeichnen die Behörden nur etwa 30.000 Grenzüberquerungen in die andere Richtung. Es gibt keinerlei Aufzeichnungen über das Verbleiben der übrigen 15.000 Personen, die täglich einreisen. „Mich beunruhigt die massive Migration in Richtung Kolumbien, weil diese Menschen um ihr Leben flüchten“, äußerte Pepe Ruiz, Bürgermeister der Grenzstadt Villa del Rosario, gegenüber der Tageszeitung El Tiempo. Auch wenn sich der Vize-Verteidigungsminister Anibal Fernández de Soto bereits Anfang Mai zuversichtlich gezeigt und betont hatte, dass das Land darauf vorbereitet sei, einer „humanitären Krise“ in Venezuela und damit verbundener massiver Migration nach Kolumbien zu begegnen, äußerten Vertreter*innen der Lokalregierung sowie der Zivilbevölkerung starke Kritik an den Maßnahmen der Regierung. José Uriel Acevedo Arias, lokaler Repräsentant der Lehrer*innengewerkschaft SINTRENAL, kommentierte gegenüber lokalen Medien: „Es ist schon ironisch, dass Kolumbien es in 50 Jahren nicht geschafft hat, einen Notfallplan für all die Missstände innerhalb Kolumbiens bereitzustellen, aber jetzt angeblich schon einen Notfallplan für die venezolanischen Migranten hat.“

Nach den massiven Protesten gegen soziale Missstände in den Regionen Chocó und Valle del Cauca prüfen daher auch die Gewerkschaften und sozialen Organisationen in Cúcuta die Möglichkeit eines Generalstreiks: „Wir haben immer noch die gleichen Probleme: Cúcuta führt nach wie vor die Ranglisten in Punkten wie Arbeitslosigkeit, informelle Arbeitsverhältnisse oder soziale Ausgrenzung an. Es ist daher unsere Pflicht als Gewerkschafter, als Politiker, als Zivilbevölkerung auf die Straße zu gehen und uns genauso zu mobilisieren wie die Menschen im Chocó und in Buenaventura“, sagte Leonardo Sánchez, Führer des Gewerkschaftsbundes CUT, gegenüber El Tiempo.

Trotz Maßnahmen wie dem neuen Ausweis zur Grenzmigration, erfolgt die Migration weiterhin völlig unkontrolliert.

Trotz Maßnahmen wie dem neuen Ausweis zur Grenzmigration (TMF), der im April eingeführt wurde und Bewohner*innen der Grenzregionen für Zeiträume bis zu acht Tagen die legale Einreise nach Kolumbien ermöglichen soll, erfolgt die Migration weiterhin völlig unkontrolliert. Christian Krüger, Leiter der Kolumbianischen Migrationsbehörde, betonte im Interview mit der Wochenzeitung Semana, dass die meisten Venezolaner*innen auf der Suche nach dringend benötigten Medikamenten, medizinischer Versorgung, Nahrungsmitteln oder informeller Arbeit nach Kolumbien kommen würden. Rodolfo Hernández, Bürgermeister der Industriemetropole Bucaramanga, Hauptstadt des ebenfalls nahe der Grenze liegenden Bundesstaates Santander, sorgte derweil für Polemik, als er gegenüber dem Innenministerium eine effektive Kontrolle der Migration forderte. Er betonte, dass den Venezolaner*innen geholfen werden müsse, da das Land über Jahrzehnte unzähligen Kolumbianer*innen Zuflucht geboten habe. Jedoch habe seine Stadt kein Geld, um sich um die tausenden Migrant*innen zu kümmern: „Jetzt kommen alle Bettler, Prostituierten und Arbeitslosen Venezuelas“, betonte er und fuhr fort: „Also, was machen wir in Bucaramanga? Wir können sie [gemeint sind die Migrant*innen, Anm. d. Red.] nicht töten und nicht auf sie schießen, wir müssen sie empfangen, genau wie Venezuela mehr als vier Millionen Kolumbianer empfangen hat“.

Derweil gehen die Proteste auf venezolanischer Seite weiter, ein Ende der Versorgungsengpässe und dadurch auch des Flüchtlingsstroms ist nicht abzusehen. Die ersten Notunterkünfte wurden im Raum Cúcuta bereits errichtet, die Krankenhäuser berichten von ständiger Überforderung durch die unzähligen venezolanischen Patient*innen. Abzuwarten bleibt, wie Kolumbien, traditionell eher Ausgangspunkt von Migrationsbewegungen der vom eigenen internen Konflikt betroffenen Menschen, seine neue Rolle als Zielland der Geflüchteten meistern wird. Die schwierige Lage gerade in den Grenzregionen droht sich jedoch zunächst eher zu verschärfen als zu verbessern- gerade auch angesichts der landesweiten Protestbewegungen und Generalstreiks, die in den vergangenen Wochen das Land in Atem hielten.

„SEIEN SIE KEINE KOMPLIZEN!“

Im letzten Jahr verzeichnete die Kohleproduktion einen Rekord  – 90 Millionen Tonnen. Im Verwaltungsbezirk Cesar im Nordwesten Kolumbiens wurde fast die Hälfte davon abgebaut. Nur die privaten Großkonzerne Drummond, Prodeco, ein Tochterkonzern der schweizerischen Unternehmensgruppe Glencore, und Murray Energy exportieren. Hat Cesar davon profitiert?
Es ist nicht zu ignorieren, dass die Kohlenindustrie nicht nur im Verwaltungsbezirk Guajira irreversible Spuren hinterlassen hat. Der Bergbausektor in Cesar ist immens wichtig für Kolumbien, circa 98 Prozent der im Land abgebauten Kohle werden exportiert. Doch wir haben errechnet, dass nur ein bis zehn Prozent der Bevölkerung, die in der Nähe der Minen wohnt, im Kohleabbau Beschäftigung findet. Die Arbeiter haben keine stabilen Arbeitsbedingungen oder Zugang zu entsprechenden Sozialversicherungen. Die Minen zerstören die Lebensräume der Menschen, den traditionellen Anbau von Nahrungsmitteln und den Fischfang. Einige wenige haben Zugang zu Arbeit, aber im Endeffekt werden die meisten Menschen arbeitslos. Wenn die privaten Bergbauunternehmen so die Natur verändern, ist die Zerstörung der lokalen Wirtschaft die Folge.

Tierra Digna unterstützt die Gemeinde Boquerón, die an den Bergbaukomplex La Jagua Ibirico grenzt und wegen der untragbaren Umweltverschmutzung seit 2010 umgesiedelt werden soll. Noch verhandeln die Gemeinden mit den Unternehmen. Wie konnte es erst soweit kommen?
Die aus dem Bergbau hervorgebrachten Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen häufen sich Jahr für Jahr, werden aber nie im vollen Umfang wahrgenommen oder bekämpft. Diese Industrie ist durstig, 17 Flüsse und Bäche wurden in Cesar für die Minen umgeleitet, die Wasservorkommen in der Region sind schrittweise verschwunden. Die Verschmutzung von Luft, Boden und Wasser durch den Kohlenstaub und sonstige freigesetzte Chemikalien sind das gravierendste Problem in der Gemeinde Boquerón. Noch heute ist die Qualität der Grundnahrungsmittel, die Gesundheit, schlicht das Leben der Bevölkerung der Region gefährdet. Wegen der ständigen Sprengungen, um die Gruben zu vergrößern, haben vieler Häuser in den am Bergbaukomplex La Jagua Ibirico angrenzenden Gemeinde Risse bekommen und drohen einzustürzen. Bereits vor der Niederlassung der Unternehmen vor 24 Jahren wurde in Cesar das Recht der Bevölkerung auf Beteiligung und Information verletzt. Als 2010 die Umweltbehörde Kolumbiens die untragbare Verschmutzung in Boquerón feststellte und die Umsiedlung anordnete, hatten die Bewohner keinen Handlungsspielraum mehr.

Kümmert sich die Regierung um die Umsiedlung der Betroffenen?
Die Regierung ordnete die Vertreibung der Gemeinden an, erlaubte den weiteren Abbau von Kohle und zog sich auch noch aus den Verhandlungen zwischen Unternehmen und den Gemeinden zurück. Damit hat der Staat einen Raum geschaffen, um über die Menschenrechte zu diskutieren – aber Menschenrechte dürfen nicht verhandelt, sie müssen geschützt werden. Der Bergbausektor wird als ein öffentliches Interesse des Staates betrachtet, weshalb die Regierung vor 2010 auf die Umweltlizenzen und Minderungsmaßnahmen der Unternehmen hinwies und nichts tat. Als deutlich wurde, dass diese in allen drei Minen nicht umgesetzt wurden, gründete die Umweltbehörde ein Überwachungspanel zu den ohnehin asymmetrischen Verhandlungen, beteiligte sich aber nicht daran.
 
Tierra Digna ist Teil des internationalen Netzwerks Red Sombra, welches die Aktivitäten der schweizerischen Unternehmensgruppe Glencore beobachtet. Das weltweit größte Rohstoffhandelsunternehmen hat die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte unterschrieben, welche 2011 vom Menschenrechtsrat der UN ratifiziert wurden. Trotzdem werden die Klagen seitens der Zivilgesellschaft lauter. Wo genau liegt das Problem?
Bis jetzt wird nicht richtig eingesehen, dass im Rahmen des Kohleabbaus nicht nur der Staat, sondern auch ausländische Unternehmen zu Menschenrechtsverletzungen beitragen. Seit vielen Jahren haben Menschenrechtsorganisationen auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht, die Macht der Konzerne und deren Verantwortung im Rahmen des Völkerrechts anzuerkennen. Dafür reichen die Leitprinzipien nicht aus. Einerseits thematisieren die Prinzipien die Missachtung der Menschenrechte durch Konzerne, doch das Wort Verletzung, das im Rechtssystem Sanktionen, die Wiedergutmachung und Garantien der Nicht-Wiederholung impliziert, wurde bewusst ausgelassen.
Ein weiteres Problem ist der Mechanismus zur Wiedergutmachung. Nach dem Modell von John Ruggie (dem Sonderkommissar des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen, Anm. d. Red.) müssen die Konzerne die Beschwerden der betroffenen Gemeinden sammeln, bewerten und entsprechende Forderungen nachgehen. Sprich: die Unternehmen sind Beteiligte und Richter, können also frei entscheiden, ob und wie eine Entschädigung angemessen ist.

Ein anderer Kritikpunkt betrifft die Verantwortung der Länder, wo diese Unternehmen ansässig sind beziehungsweise jener Nationen, die Kohle aus Kolumbien importieren. Laut offiziellen Zahlen der Bundesregierung stammte 16 Prozent der im letzten Jahr nach Deutschland importierten Kohle aus Kolumbien. Was erwarten Sie von der deutschen Regierung und der  Bevölkerung?
Seien Sie keine Komplizen! Wir müssen unbedingt die Verantwortungskette deutlich machen. Denn die Kohle, die Glencore und Drummond abbauen, wird beispielsweise an Vattenfall verkauft und in Deutschland unter anderem zum Heizen genutzt. Ich kann nicht behaupten, dass die Endverbraucher bewusste Mittäter sind, aber ich kann erwarten, dass sie mit dem, was sie konsumieren, bewusst umgehen. Es reicht nicht aus, sich zu informieren und sich für die Realität anderer Menschen zu sensibilisieren. Man muss Position beziehen und im Rahmen der eigenen Möglichkeiten aktiv werden. Viele gravierende Menschenrechtsverletzungen entlang des Abbaus und Exports von Kohle sind unsichtbar und werden mit dem jetzigen Handel normalisiert. Die Idee, dass man von Menschenrechtsverletzungen befleckte Kohle kaufen kann, gehört abgeschafft. Es reicht aber auch nicht, neue Standards zu entwickeln – wir müssen aufhören, Kohle abzubauen.

Doch setzt Kolumbien seit Jahren auf nichts anderes…
Die Energiepolitik Kolumbiens zielt darauf ab, das Land an der Spitze der weltweiten Exporteure von Kohle und anderer fossiler Brennstoffe zu positionieren, bei gleichzeitiger Profilierung durch die Anwendung von „sauberer Energie“. Ein Jahr nach der Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens von 2015 hat Kolumbien seine Strategie für die Reduzierung von Emissionen präsentiert – sie war heuchlerisch. Die Regierung warb dafür, dass die kolumbianische Bevölkerung mit Energie aus Wasserkraftwerken versorgt werde und daher im Vergleich zu anderen Industrienationen kaum zum Klimawandel beitrage. Doch einerseits sind die Megaprojekte, die der Staat als saubere Energie verteidigt, in Wirklichkeit nicht sauber. Auch sie verletzten Landrechte und belasten die Umwelt. Andererseits wurde in den Programmen der Regierung die 30-Jahre-Planung der Kohleindustrie nicht berücksichtigt. Man versucht, Anerkennung für die Einhaltung des internationalen Abkommens zu erhalten, gleichzeitig wird der eigene Beitrag zum Klimawandel als Kohleexporteur unsichtbar gemacht.

Die staatliche Antwort auf die Kritik verweist immer auf die Steuereinnahmen durch die Rohstoffindustrie. Doch in Regionen wie La Guajira wird es immer offensichtlicher, dass kaum Gelder in die Haushalte der Verwaltungsbezirke fließen. Ist das eine Folge der allgegenwärtigen Korruption?
Eine Analyse der Obersten Rechnungsprüfungsbehörde des Jahres 2013 belegt, dass der Staat durchaus Gelder für die Abbaurechte einkassiert. Abhängig von der Größe der Mine bezahlen die Bergbauunternehmen zwischen fünf und zehn Prozent der Gewinne für diese Abbaurechte. Jedoch sind die Gebühren im Vergleich zu anderen Ländern verhältnismäßig niedrig. Dazu kommt, dass das kolumbianische Unternehmensrecht eine Reihe von strukturellen Problemen aufweist, denn Unternehmen erhalten sehr einfach steuerliche Begünstigungen oder billige Abbaulizenzen, wodurch die Investitionen im Land attraktiver gemacht werden. Nach unseren Recherchen bezahlen derzeit zehn Bergbauunternehmen gar kein Steuern. Von welchem Geld kann also die Rede sein? Der Staat verzeichnet Rekorde in der Produktion, die Konzerne profitieren von laxen Regelungen und die Gemeinden bleiben die größten Verlierer.

Welche Verbindungen sehen Sie zwischen dem bewaffneten Konflikt und den Bergbausektor in Kolumbien?
Gerade wird der offensichtliche Konflikt mit den bewaffneten Akteuren beendet, doch die Strukturen, welche die Gewalt hervorgerufen haben, bleiben. Vorher war das Land in den Händen einiger Großgrundbesitzer, nun ist es in den Händen von Großkonzernen, welche der Bevölkerung den Zugang zum Land versperren. Dies findet in Cesar, La Guajira, in Cordoba und Antioquia statt. Die Bergbauprojektion Kolumbiens basiert beispielsweise auf der Auftragsvergabe von Bergbaukomplexen. Damit wurden 20 Prozent des Territoriums, sprich 22 Million Hektar, für den Abbau fossiler Brennstoffe reserviert! Dank einer Klage von Tierra Digna und anderen Organisationen wurde die Vergabe dieser Gebiete vorübergehend gestoppt, noch laufen die Untersuchungen des Verfassungsgerichts.

Haben sie Aufsicht auf Erfolg, mit solchen Maßnahmen die Energiepolitik zu ändern?
Das wird sich zeigen, denn wir sehen eine Vertiefung jener Ursachen, die die politisch motivierte Gewalt seit 60 Jahren ernähren. Im Auftrag der Regierung wird gerade eines von vielen Verständnissen der Landnutzung propagiert. Es ist besorgniserregend, dass Präsident Santos die Energiepolitik Kolumbiens nicht zu Debatte stellt, nur um Investoren nicht zu verschrecken. Das Gegenteil würde dem angestrebten dauerhaften Frieden viel mehr dienen.

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