Ostdeutsche Fluchten in ferne Wirklichkeiten

Daß meine langjährige Beschäftigung mit Lateinamerika zu einem guten Teil Ersatzfunktion hatte, wurde mir schlagartig im Herbst 1989 bewußt. Von meinem Schreibtisch aus, an den ich mich zurückgezogen hatte, um die Schlußthesen meiner Dissertation über den Sandinismus zu verfassen, blickte ich direkt auf die Gethsemane-Kirche in Berlin-Prenzlauer Berg, eben jenem Ort, an dem gerade so etwas wie eine Revolution stattfand, eine Revolution, wie ich sie bis dahin nur aus den Nicaragua-Studien kannte. Fortan war ich mehr auf den Straßen und Plätzen, in Versammlungssälen und Kirchen als am Schreibtisch bei meiner Arbeit. Wir verfaßten radikale Forderungskataloge, trugen Transparente durch die Stadt, bildeten neue Parteien, diskutierten Umgestaltungskonzepte. Als dann auch noch die Zensur abgeschafft wurde, gründete ich quasi über Nacht einen Verlag für Politik und Zeitgeschichte. Sein Gegenstand war überraschend klar: Aufarbeitung der tabuisierten DDR-Geschichte, kritische Begleitung der laufenden Umgestaltung. Von Lateinamerika, das bisher mein berufliches Leben als Journalist und Literaturwissenschaftler bestimmt hatte, weit und breit keine Spur.
Erst zwei Jahre später fragte mich mein Freund Helmut Schaaf von der Nicaragua-Koordination Köln, was denn eigentlich aus meiner Arbeit geworden sei. Sie lag völlig unberührt im Regal, so wie ich sie im Oktober 1989 verlassen hatte: fertig geschrieben, doch niemals eingereicht. Er erbot sich daraufhin, sie an seinem Computer zu setzen und in einem kleinen Kölner Verlag zu publizieren, damit die vier Jahre Arbeit nicht ganz umsonst gewesen seien. So dann auch 1992 geschehen. Das war zugleich der Schlußpunkt unter mein erstes Leben. Erst heute, neun Jahre später, werde ich wieder darauf gestoßen. Meine großen Töchter (18 und 15) kommen mit Che-Plakaten nach Hause und wollen wissen, warum ich mich nicht mehr mit Lateinamerika beschäftigte und in unserem Verlag nur Bücher zur deutschen Geschichte erscheinen. Inzwischen ist mir bewußt geworden, daß Lateinamerika für mich wie für viele meiner Freunde aus der damaligen Soli-Szene nicht nur Gegenstand ehrlichen Engagements war, sondern zugleich auch eine gewisse Ersatzfunktion hatte. Dort spielte sich für uns das eigentliche Leben ab, denn da geschah tatsächlich etwas: es wurden Streiks organisiert, Basis-Initiativen gegründet, linke Parteien aufgebaut, Guerilla-Gruppen gebildet. Bei uns dagegen stagnierte alles in der Spät-Honecker-Ära, nahezu jeder Bereich des gesellschaftlichen Lebens war vordefiniert, der Bewegungsraum weitgehend eingeengt. Insofern sogen wir begeistert die Berichte südamerikanischer Emigranten und mittelamerikanischer Rebellen in uns auf, versuchten, ihren Kampf mit einigen Produkten aus der DDR wie optischen Geräten, Medikamenten und Unterrichtsmaterialien zu unterstützen, denn unser Geld war ja in diesem Teil der Welt nichts wert. Doch selbst unsere kleinen Solidaritäts-Aktionen, egal ob von kirchlichen Gruppen, privaten Freundeskreisen oder einzelnen Zeitungsredaktionen ausgehend, wurden von der zentralplanerischen Staatsmacht mißtrauisch beäugt, obwohl sie eigentlich dem erklärten außenpolitischen Ziel der DDR entsprachen. Es sollte nur ins Ausland gehen, was offiziell gewollt und mit sogenannten Bilanzanteilen in der Mangelwirtschaft auch abgesichert war. Sonst befürchtete man „Versorgungsengpässe“ und weiter wachsenden Unmut der Bevölkerung. Insofern war unser Streiten für „die gute Sache“ zugleich ein Stückchen Rebellion gegen die unbeweglichen Verhältnisse im Lande, ohne daß man uns vom Ansatz her staatsfeindliches Handeln hätte unterstellen können. Wir rieben uns über den Umweg Lateinamerika am eigenen Staat.
Mit dem Ende der DDR entfiel auch diese Ersatzfunktion, waren keine fremden Projektionsflächen mehr vonnöten. Man konnte sich in die unmittelbaren Auseinandersetzungen vor der Haustür einbringen. Die Erkenntnis allerdings, daß die gesellschaftlichen Verhältnisse der Bundesrepublik bei aller äußeren Beweglichkeit letztlich verdammt zäh sind und sich viel weniger verändern lassen, als aus der Ferne einst gedacht, haben einzelne meiner Freunde auf einen neuen Trip geführt, diesmal allerdings eher in Richtung Tibet. Bei mir hat es dagegen eine neue Annäherung an Lateinamerika bewirkt. Ich lese wieder mehr aus dieser Region. Und das nicht nur in den nach wie vor abonnierten Lateinamerika Nachrichten, sondern vor allem in der Belletristik, und ich werde in diesem Sommer mit meinen Töchtern nach Nicaragua fahren, um Freunde zu besuchen und an einem neuen Projekt mitzuarbeiten, dem Aufbau einer mittelamerikanischen Verleger-Union.

Bittersüßes Naschwerk

Seit zehn Jahren besteht nun die Frankfurter Initiative LiBeraturpreis, der Autorinnen aus der „Peripherie“, aus Afrika, Asien und Lateinamerika, in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rückt. Jedes Jahr wird eine Vorauswahl unter sämtlichen im Vorjahr in deutscher Übersetzung erschienenen Büchern getroffen – Kriterium für eine Preisverleihung ist literarische Originalität, Engagement und das weibliche Geschlecht. Denn, so wird im Vorwort bemerkt, die Mitglieder der LiBeraturpreis-Initiative sind der Meinung, daß schreibende Frauen es im Literaturbetrieb ihrer Heimatländer vielfach schwerer haben, wahrgenommen zu werden, als ihre männlichen Kollegen. Carmen Boullosa, Zoé Valdés und Rosario Ferré gehören unter anderen zu den Preisträgerinnen.
Das zehnjährige Jubiläum wurde also zum Anlaß dieser Anthologie genommen, die die Texte aller Preisträgerinnen und zahlreicher Anwärterinnen in sich vereint. Vorgegeben wurde lediglich das Thema: „Schreiben zwischen Liebe und Zorn“.

Ein Kaleidoskop des Südens

Das Ergebnis ist eine schillernde Perlenkette unterschiedlichster Texte, oftmals im Original noch unveröffentlicht: Kurzgeschichten, Auszüge aus Romanen und eigens für diese Anthologie verfaßte Texte. Sie spiegeln die Welt der Autorinnen wider, deren Herkunft und Lebenslauf nicht verschiedener sein könnten (auch wenn erstaunlich viele Lateinamerikanerinnen mit Texten vertreten sind). Dies ist eine andere Kostbarkeit der Anthologie: Vor jeder Geschichte gibt es eine Seite mit dem Foto und kurzem Lebenslauf der jeweiligen Autorin, so daß ein überaus plastisches Bild entsteht; das kleine Häppchen schriftstellerischen Könnens, das daraufhin folgt, und einen oft aufgewühlt zurückläßt, trägt dazu bei, die Neugierde auf die Werke der jeweiligen Autorin anzustacheln.
Die Beiträge der Schriftstellerinnen lassen sich vier Themenkomplexen zuordnen, die alle von der Wirklichkeit des Lebens von Frauen und den davon aufgeworfenen Problemen beeinflußt sind. Zuerst geht es um die nachdenkliche Reflektion über weibliches Schreiben, dann sind es die Erfahrungen von Frauen, die aus der Rolle fallen – der Mutterrolle, „die liebende, unterwürfige Frau“ – und zuletzt die Aufarbeitung traumatischer Kindheitsmuster.

Sprache der Nacht

So verschieden die Texte in jeder Hinsicht auch sind, fast immer sind sie ein Sich-heraus-Schreiben aus den Nacht- und Schattenseiten des Daseins. Fast immer sind die Texte von quälenden Erlebnissen geprägt, von Tod, Haß, Unterdrückung, Gewalt und Exil. Schreiben stellt sich als Therapie dar, die, manchmal als erdachte Weltflucht, einen Ausweg öffnet. „Scham, meine Scham auf einer Buchseite zur Schau stellen, seitdem ich Bücher schreibe.“ schreibt Vénus Khoury-Ghata aus dem Libanon.
Wie erfrischend beginnt da die bisher unveröffentlichte Geschichte Zoé Valdés’: „Wie Gott in Frankreich“. Mit beißender Ironie und sprühendem Witz reflektiert sie ihre Rolle als kubanische Schriftstellerin und lästert über die französischen Frauen, um dann nach und nach leider ihren Witz zu verlieren und ein melancholisches Portrait eines ins französische Exil gehenden Pianisten zu zeichnen.
Bemerkenswertes Grausen packt einen beim Lesen von „Wie eine gute Mutter“ von der argentinischen Ana María Shúa. Es ist eine bissig-scharfe Satire auf die Rolle der Mutter: Zwei Monster, die zum großen Unglück der Mutter ihre eigenen zwei süßen Wonneproppen sind, tyrannisieren sie und schaffen es innerhalb eines Nachmittags, die Ehe ihrer Eltern zu zerstören, die ganze Wohnung zu verwüsten und ihre Mutter ernsthaft zu verletzen. Diese greift schließlich voller Wut auf gesellschaftlich nicht anerkannte Erziehungsmittel zurück, und der Leser kann auch nicht anders, als diese Kinder wirklich aus vollstem Herzen zu hassen.
„Die Geschichte ist ein Band, die Geschichte ist eine Schlange, ein Rinnsal, ein Labyrinth, einmal nur paßt du nicht auf, schon hat sie dich umzingelt oder in ihren Fluten mitgerissen.“ Angélica Gorodischer scheint die Wirkung ihrer Erzählkunst zu beschreiben: „Schlangenmund“ entführt den Leser in die amazonengleiche Welt von Wäscherinnen in der argentinischen Pampa. Erotische Phantastik ist die Substanz dieser Geschichte, die einen rätselhaft umgarnt.
Es hat einen eigenen Reiz, sich der nächsten Geschichte zuzuwenden, wenn man noch ganz verhangen und fasziniert in dem Kosmos der vorangegangenen weilt. Nie weiß man, was einen als nächstes erwartet, welche Sprachgewalt nun wieder Macht über einen ausüben wird, in was für ein Lebensgefühl man tauchen wird. Fast hat man Angst, enttäuscht zu werden, nachdem doch die vorige Geschichte einen so tief berührt hatte – trotz ihrer Kürze. Gleichzeitig kann man es vor lauter Neugier nicht erwarten umzublättern, und tatsächlich, ein neues Land, eine neue Frau ziehen einen in den Bann.

Schlangenmund und weibliches Schreiben

Im Vorwort wird die Frage aufgeworfen, was genau weibliches Schreiben ausmacht, und die Antwort angeboten, daß es das Gegen-den-Strom-Schwimmen, das Durchkreuzen von Erwartungen sein könnte. Jede Geschichte dieser Anthologie erfüllt auf ihre Art und Weise diese Eigenschaften, auch wenn die Themen vielleicht nicht überraschend oder neu sind. Es ist die Annäherung an die Themen, die die Geschichten dieses Lesebuchs besonders machen. Doch ist das wirklich spezifisch weiblich? Oder eher eines der Merkmale von Literatur, die man nicht vergißt, die einen die Augen aufreißen läßt? Vielleicht ist die Suche nach der Besonderheit weiblichen Schreibens jedem selbst überlassen. Diese Anthologie macht die Suche besonders reizvoll.

Regina Keil und Thomas Brückner (Hrsg.): Mohnblumen auf schwarzem Filz, Unionsverlag Zürich 1998, 348 Seiten, 19,90 DM (ca. 10 Euro).

“Es lebe die internationale Solidarität“

Die Akte DDR wurde vor acht Jahren geschlossen und seither verstaubt sie im Archiv der Geschichte. Hin und wieder wird sie nochmal aufgeschlagen, um darin zu lesen und Rechtfertigungen für ihre restlose Einäscherung zu suchen. In dieser Ausgabe soll ein relativ kleiner und ganz spezieller Ausschnitt der DDR-Geschichte aus der Versenkung geholt, entstaubt und mit dem Licht der fast ein Jahrzehnt alten Distanz beleuchtet werden. Es geht nicht um Geschichtsbewältigung oder -aufarbeitung. Auch soll es kein Ostalgietrip in eine Vergangenheit ohne Zukunft werden. Der Anspruch liegt einzig darin, Momentaufnahmen aus der DDR-Beziehungskiste aufzuzeichnen und dabei persönliche Erfahrungen ebenso wie offiziell verordnete Richtlinien einzubeziehen.
In der Tat war Lateinamerika, von Kuba und Nicaragua abgesehen, für die DDR politisch eher zweitrangig, in wirtschaftlicher Hinsicht sogar drittrangig. Beim näheren Hinsehen aber fördert das Thema sowohl spannungsgeladene Ost-West und deutsch-deutsche Konflikte als auch Konflikte innerhalb der DDR zutage und blendet Teile (gelebter) DDR-Geschichte ein. Und gerade für jene, die die 40 Jahre westlich der „großen Mauer“ verbrachten, enthalten die anschließenden Beiträge einiges Unbekanntes, aber durchaus Erfahrenswertes.
Wie kann man die jüngste Geschichte Lateinamerikas entschlüsseln, wenn man den Ost-West-Konflikt – den die DDR mitprägte – ausklammert? Wenn wir uns bezüglich lateinamerikanischer Außenbeziehungen immer nur auf die USA oder die Bundesrepublik stürzen, unterschlagen wir den wichtigen Einfluß, den ein untergegangenes System über Jahrzehnte hinweg in Lateinamerika ausübte, ein Einfluß, der noch immer nachwirkt.
Die acht Beiträge zeigen ein komplexes Gebilde ostdeutscher Beziehungen zu Lateinamerika. Bis auf die Analyse der 40jährigen Story der DDR Außenpolitik aus der Sicht von Raimund Krämer, eines ehemaligen Mitarbeiters der kubanischen Botschaft, spiegeln die Artikel eher kurze, aber prägnante Momente dieses Kapitels der DDR-Geschichte wieder.
So wirft Sabine Zimmermann einen Blick auf und hinter die Kulisse des Prestige-Entwicklungsprojekts Krankenhaus „Carlos Marx“ in Managua. Erfahrungen vor Ort, gepaart mit SED-Rhetorik, malen ein sehr differenziertes Bild von offizieller Entwicklungshilfe. Von „unten,“ aus der Perspektive inoffizieller Solidaritätsarbeit in Kirchengruppen, erzählt Willi Volks die Geschichte unabhängigen Engagements und der Schwierigkeiten in einem von Kontrolle besessenen Staat eigene Projekte, übers „Päckchenpacken“ hinaus, zu entwickeln. Christoph Links beschreibt seine ganz persönlichen Erinnerungen an die Vor- und Nachwendezeit – und wie diese sich auf sein Interesse für Lateinamerika auswirkten.
„Tania – la guerrillera“ zeichnet das Porträt der berühmten Nachkriegspartisanin, die nach Lateinamerika ging, „um den unterdrückten Völkern den Sozialismus zu bringen“ und wie Che Guevara zur Märtyrerin wurde. Daran anschließend schwenkt die Kamera vom letzten Schauplatz DDR-Politbüro nur einige Meter weiter in die Friedrichstraße. Dort überquerten zwischen 1973 und 1975 hunderte politische Flüchtlinge aus Chile die Westberliner Grenze Richtung Osten, um sich in der DDR – so gut es ging – erstmal ein neues zu Hause einzurichten. Der Artikel beleuchtet Ängste, Freude und Alltagsprobleme des Exils aus Perspektive der ChilenInnen und das Funktionieren staatlicher Solidaritätspolitik in diesem speziellen Fall.
Wer hat schon einmal von der Existenz eines Lateinamerikainstituts im Osten gehört? Nun, mittlerweile ist es mitsamt der DDR und mit der energischen Hilfe einiger Politiker eingeäschert worden. „Lichter aus!“ beschreibt Aufstieg und Fall des Lateinamerika-Instituts in Rostock. Und für Literaturfreunde, die wissen wollen, welche lateinamerikanischen Bücher die staatliche Zensur passierten und in der DDR gelesen werden durften, bringt der Beitrag von Hans Otto Dill abschließend das eine oder andere Licht ins Dunkel.

Zwischen politischem Kalkül und revolutionärer Romantik

Der mittlerweile zu einem historischen Phänomen mutierte ostdeutsche Staat Deutsche Demokratische Republik ist heute ein Objekt der Begierde. PolitologInnen, SoziologInnen, PsychologInnen und HistorikInner haben das seltene Glück, auf dem Seziertisch ihrer wissenschaftlichen Analyse die Strukturen eines gerade gescheiterten politischen Systems freilegen zu können. Dabei scheint die von Hegel oft beschworene List der Geschichte zu bewirken, daß gerade jenes Herrschaftssystem, das im Innern jegliche Öffentlichkeit verbannte und sich nach Außen abkapselte, heute in den Archiven einer solch intensiven Durchleuchtung seiner 40jährigen Geschichte ausgesetzt ist, wie wohl kaum eines in der bisherigen deutschen Geschichte. Die Instrumentalisierung der gewonnenen Befunde in den politischen Grabenkämpfen des vereinten Deutschlands ist offenbar, und auch der Versuchung, post festum alte akademische Fehden nun zu einem siegreichen Ende zu führen, wird selten widerstanden.
Nachdem dieser Staat deutsche Geschichte ist, wird Gericht gehalten. Oftmals sind die Urteile schon vor Beginn des Prozesses gesprochen. Historischer Kontext und konkretes Wissen werden kaum abgefragt. Was die auswärtigen Beziehungen des untergegangenen östlichen deutschen Teilstaates angeht, so überwiegen heute Desinteresse oder einfach Ignoranz (1). Für einige zählen diese Beziehungen einfach nicht zur Geschichte der “deutschen Außenbeziehungen”. In der offiziellen deutschen Diplomatie wird die Erinnerung an die Beziehungen des verblichenen Rivalen heute eher vermieden. Gewiß kann die Analyse der Außenbeziehungen der DDR, auch die mit Süd- und Mittelamerika, den rationalen Diskurs über die jüngste deutsche Geschichte befördern. Dabei müssen unsere Forschungsboote den gefahrvollen Weg zwischen der Scylla nostalgisch eingefärbter Rechtfertigung der Außenpolitik des Ancien Regime um jeden Preis und der Charybdis ihrer Pauschalaburteilung in westlich-besserwisserischer Gutsherrenart finden, wollen wir uns dem Horizont historischer Wahrheit nähern. Wissenschaft, wenn sie sich als kritische versteht, sollte dies als Herausforderung annehmen. In diesem Sinne soll im folgenden über die Beziehungen der DDR zu diesem Raum – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – geschrieben werden. Dabei stütze ich mich vor allem auf die ungewöhnlich weit geöffneten Archive im Osten Deutschlands, speziell das der Parteien und Massenorganisationen der DDR in Berlin. Aber natürlich ist es dann auch hier, wie bei jeder historischen Betrachtung, die persönliche Erfahrung des Autors, die manche der bereits Staub ansetzenden Saiten zum Klingen bringen kann.
In größeren Abhandlungen zur DDR-Diplomatie nahmen die Beziehungen zu Süd- und Mittelamerika eher einen marginalen Platz ein. (2) Das entsprach auch dem tatsächlichen Stellenwert dieser Ländergruppe für die DDR-Außenpolitik. Dabei variierte zwar im Verlaufe der vierzig Jahre der Platz einzelner Regionen, wie z.B. Afrika oder der arabische Raum, in der Prioritätenskala. Jedoch waren stets die Beziehungen zur Sowjetunion, zu den östlichen Nachbarn Polen und CSSR sowie zur Bundesrepublik Deutschland an der Spitze der außenpolitischen Agenda. Dies galt sowohl für die politischen als auch für die wirtschaftlichen Beziehungen. Auf den ersten Blick kann die marginale Bedeutung Süd- und Mittelamerikas für die Politik der DDR-Führung aus deren Beschäftigung mit “lateinamerikanischen Themen” abgelesen werden. Erstmals beschäftigte sich das Politbüro am 23. Juli 1956 mit Süd- und Mittelamerika. Es war einverstanden, daß einer “in der UdSSR befindlichen Parlamentsdelegation aus Uruguay eine Einladung der Volkskammer zum Besuch in der DDR überreicht wird.” (3) Letztmalig war diese Region auf der 47. Politbüro-Tagung am 31. Oktober 1989 auf der Tagungsordnung. Verteidigungsminister Heinz Kessler berichtete von seinem Besuch in Nicaragua. Insgesamt kamen die lateinamerikanischen Themen relativ selten auf die Agenda des Machtzentrums der DDR-Gesellschaft, des SED-Politbüros.(4)
Gab es nach der Staatsgründung der DDR im Oktober 1949 angesichts der formal durch die UdSSR eingeschränkten Souveränität bis 1955 eine Zeit außenpolitischer Abstinenz, so begann danach ein Anrennen gegen den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik. Zeitlich reichte dies bis Anfang der 70er Jahre. Politisches Ziel war es, mit möglichst vielen Partnern einen hohen Grad der diplomatischen Beziehungen zu vereinbaren und damit die DDR völkerrechtlich als (zweiten) souveränen deutschen Staat zu etablieren. Süd- und Mittelamerika maß man zunächst dabei keine große Bedeutung zu.

Von anfänglicher Distanz zu informeller Berührung

Eher am Rande erwähnte der damalige Außenminister Lothar Bolz auf einer Botschafterkonferenz im Januar 1957: “Wir bemühen uns, mit einigen Ländern Süd- und Mittelamerikas Handelsbeziehungen aufzunehmen und diese zu erweitern.” Interessant ist dabei nur, daß Bolz auch auf die Bevölkerungsgruppen deutscher Herkunft in Süd- und Mittelamerika verweist, die stärker über den anderen deutschen Staat informiert werden sollten. (5) (In den 70er und 80er Jahren wurde auf diesen Umstand überhaupt nicht bzw. nur sehr zurückhaltend verwiesen.) Die lateinamerikanischen Staaten ihrerseits lehnten offiziell diplomatische Beziehungen ab. Dahinter standen sowohl ein gewisses Desinteresse als auch der erwartete Druck seitens der wirtschaftlich bedeutenderen Bundesrepublik. Während des Besuches einer Delegation des Bundestages im Frühjahr 1960 in Brasilien brachte dessen Präsident Gerstenmeier die Hallstein-Doktrin deutlich mit folgenden Worten zum Ausdruck: “Leider müßten wir mit Brasilien brechen, falls die Beziehungen zu Ostdeutschland aufgenommen würden.” (6) Dazu gehörte auch, daß das Protokoll, das der brasilianische Sonderbotschafter Dantas während seiner Osteuropa-Reise auch in der DDR unterzeichnet hatte, nach diplomatischer Intervention seitens der BRD nicht anerkannt wurde.
Das alles bedeutete jedoch nicht, daß es keine politischen Kontakte auf staatlicher Ebene gab. Der damalige stellvertretende Außenminister Georg Stibi definierte als Ziel der Politik gegenüber dieser Region “die Anerken- nung der DDR als rechtmäßigen deutschen Staat”. Dies mußte aber nicht unbedingt die offizielle Anerkennung bedeuten. Das zu fordern erschien unrealistisch. Es ging deshalb um die “faktische Anerkennung durch die lateinamerikanischen Regierungen”. (7) Dazu wurden verschiedene Kanäle genutzt. Der wichtigste befand sich in den Handelsvertretungen, die es seit Mitte der 50er Jahre in verschiedenen Ländern des Cono Sur gab. Diese arbeiteten auf der Basis von Bankenabkommen und hatten diplomatische Sonderrechte, die ihnen von den Gastländern stillschweigend gewährt wurden. So war es z.B. in Brasilien (8) und in Uruguay. Als weiterer Kanal dienten die diplomatischen Kontakte mit lateinamerikanischen Botschaften in Prag, Moskau und Genf. Hier wurden erste Gespräche über die Aufnahme von Handelskontakten geführt, so beispielsweise 1961/62 mit Mexiko in Genf. Von gewisser Bedeutung waren auch die Besuche von Parlamentsdelegationen aus Süd- und Mittelamerika in der DDR, die jedoch in der Regel inoffiziellen Charakter hatten.

Diplomatischer Durchbruch mit Verzögerung

“Projekt Mission einschließlich diplomatischer Rechte und Funk von Guevara gebilligt. Er sieht keine Schwierigkeiten.” telegraphierte K. sichtlich zufrieden am 12.8.1960 als “streng vertraulich” aus Havanna nach Berlin (Ost). K. führte im Auftrage der DDR-Regierung im Sommer 1960 Gespräche zur Herstellung diplomatischer Beziehungen und war dazu in der Nacht vom 9. zum 10. August 1960 mit Ernesto Guevara de la Serna, el Comandante Che, zusammengekommen. Kuba schien der nächste Stein zu sein, den man aus der Mauer der diplomatischen Nichtanerkennung des “anderen Deutschlands” herausbrechen konnte. “Kuba wird erstes lateinamerikanisches Land, das China und DDR anerkennt”, zitiert K. im artikellosen Telegrammstil Che Guevara. Dieser hatte ihm in einem zweiten Gespräch am 11.8.1960 erklärt, daß die kubanische Führung “bald völligen Wirtschaftsboykott seitens der USA und anderer NATO-Staaten” erwarte und deshalb “Totalumstellung Außenhandel Kuba” bevorstehe. (9) Die kubanische Revolution bedeutete auch eine Zäsur in den Beziehungen der DDR zu Süd- und Mittelamerika. Kuba wurde von nun an der wichtigste Partner in dieser Region. Zugleich verstärkten sich Interesse und Hoffnung der DDR-Führung gegenüber diesem Raum. Nach dem ersten Besuch von Politbüro-Mitglied Paul Verner im Sommer 1960 auf Kuba beschloß das Politbüro am 13.9.1960 nicht nur eine “Direktive über die Weiterentwicklung der Beziehungen mit der Republik Kuba”, sondern es beauftragte auch das Außenministerium “zur Auswahl der Kader und zur Bildung einer Abteilung für südamerikanische Länder in 14 Tagen die entsprechenden Vorbereitungen zu treffen.” (10) Daraufhin wurde auch die 6. Außereuropäische Abteilung geschaffen, die für die Beziehungen mit Süd- und Mittelamerika verantwortlich war. Jedoch verzögerte sich trotz der Zusagen von Che die Herstellung voller diplomatischer Beziehungen erheblich. Die Zeit lief gegen die DDR. Zwar hatte Guevara dem bundesdeutschen Botschafter von Spretti im Oktober 1960 noch erklärt: “Wir werden mit der DDR Missionen austauschen. Wenn Sie sich damit zufrieden geben, dann können unsere Beziehungen normal weiterlaufen. Falls nicht, so ist das allein Ihre Angelegenheit.” (11) Jedoch wurde den drängenden DDR-Vertretern dann sowohl von kubanischer Seite immer wieder die Bedeutung der kubanischen Wirtschaftsbeziehungen zur Bundesrepublik in Erinnerung gebracht. Dieser Faktor schien im Jahre 1961 angesichts der komplizierter werdenden Lage für die kubanische Führung sogar an Bedeutung zuzunehmen. Ein Abbruch der Beziehungen zur BRD, der von einer DDR-Mission zu erwarten war, sollte vermieden werden. Man schlug deshalb eine “Handelsvertretung” vor, deren Chef jedoch alle Rechte haben sollte. Das würde, so die kubanische Hoffnung, nicht zum Abbruch der Beziehungen zur BRD führen. Das sei aber, so nochmals DDR-Unterhändler K. im Telegramm nach Berlin, ein Widerspruch zu dem, was Che Guevara versprochen hatte, und er fügt etwas resignierend hinzu: “Haben Sache wirklich in günstiger Zeit ungebührlich verzögert.” (12) Die DDR akzeptierte letztlich die kubanische Haltung, und der erste Diplomat der DDR war im Frühjahr 1961 ein “Leiter der Vertretung” im Range eines Gesandten. Erst im Zuge der Verschärfung der Lage nach der Karibik-Krise (Im Westen unter dem Begriff Kuba-Krise bekannt [Anm. d. Red.]) im Oktober 1962 wurde die Vertretung in eine vollwertige diplomatische Mission umgewandelt. Sie erfolgte am 12.1.1963.
Neben Kuba definierte Stibi in der bereits erwähnten Konzeption von 1962 Brasilien als regionalen Schwerpunkt der Politik gegenüber Süd- und Mittelamerika. Hier erwartete man zumindest Regierungsvereinbarungen über Handel, die mit konsularischen Rechten verbunden sein könnten. Hoffnung setzte man auch auf die Entwicklung in Britisch-Guyana, wo nach der Unabhängigkeit mit einer Regierung unter Cheddi Jagan offizielle Beziehungen als möglich erschienen. Als potentielle Partner wurden weiterhin jene Staaten aufgeführt, die sich neben Brasilien auf der OAS-Tagung im uruguayischen Punta del Este 1962 gegen den Druck der USA nicht für den Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Kuba ausgesprochen hatten (Argentinien, Ecuador, Bolivien, Chile, Mexiko und Uruguay). Bei den “Hauptaufgaben 1962” gegenüber der Region wurde nicht nur an die Entsendung von Sonderbotschaftern an die Präsidenten einzelner Länder oder von Briefen an Parlamentspräsidenten zwecks Einladungen an die Volkskammer gedacht, sondern es wurde unter anderem auch die Möglichkeit erwogen, “eine größere Zahl von Facharbeitern aus Lateinamerika in der DDR auszubilden.” (13) Das in dieser Zeit deutlich gestiegene Interesse der DDR an Süd- und Mittelamerika kam auch in dem Vorschlag zum Ausdruck, einen “Sonderbevollmächtigten der DDR für Lateinamerika” mit ständigem Sitz in Brasilien einzurichten. Jedoch kam nach der Machtübernahme der Militärs in Brasilien im März 1964 nicht nur diese Idee nicht zur Umsetzung, sondern angesichts der geringen Aussichten auf eine stärkere diplomatische Präsenz schwand auch das politische Interesse der Führung der DDR an diesem Raum. Andere Regionen, wie Afrika und die arabische Welt, zogen in der Folgezeit stärker die politischen Aktivitäten der DDR an.

Von der Einheit zur Geschlossenheit

Jedoch blieb das Interesse an Kuba. Bis es jedoch zu der “brüderlichen Einheit” der 70er und der “ideologischen Geschlossenheit” der 80er Jahre kam, mußte noch so manche politische Klippe umschifft werden. Die kritische Distanz der SED-Führung gegenüber Fidel Castro und seiner Bewegung zog sich trotz vielfacher Solidaritätsbekundungen für Kuba durch die gesamten 60er Jahre hindurch. In internen Berichten wurde kritisiert, daß Castro “keine Volksvertretung, sondern so etwas wie die gelenkte Demokratie Sukarnos” (indonesischer Präsident in den 50ern, Anm. d. Red.) einführen wolle, wurden die “nicht vertrauenswürdigen Minister” aufgelistet und die “Partisanenmethoden” von Fidel Castro beklagt, die von den anderen nachgemacht würden, “so daß die Unordnung komplett” wäre. (14) Diese im Partei- und Wirtschaftsapparat gepflegten Ansichten müssen auch in offiziellen Verhandlungen sichtbar geworden sein. Fidel Castro beklagte in einem Brief vom 9. November 1964 zu vorangegangenen Wirtschaftsverhandlungen gegenüber Walter Ulbricht, “daß einige deutsche Genossen der Meinung sind, daß es bei einigen kubanischen Funktionären in früheren Verhandlungen spekulative und unredliche Momente gegeben habe.” (15) Ab Mitte der 60er Jahre kam dann das Schisma innerhalb der kommunistischen Bewegung hinzu. Dabei galten bis Anfang der 70er Jahre die kubanischen Sympathien, besonders die Che Guevaras, eher der chinesischen als der sowjetischen Seite.
Ende 1967/ Anfang 1968 kam es dann zu einer ernsthaften Krise in den bilateralen Beziehungen, die in den folgenden Jahrzehnten stets in den Hinterhof der Peinlichkeiten verbannt worden war. Auf der 3. Tagung des ZK der Kommunistischen Partei Kubas im Januar 1968 wurden namentlich Mitarbeiter der sowjetischen Botschaft und auch der DDR-Botschaft genannt, die man der Zusammenarbeit mit einer prosowjetischen und anticastristischen Fraktion innerhalb der Partei beschuldigte. Mit der als “Mikrofraktion” bezeichneten Gruppe um Anibal Escalante, die von Castro der “Kriecherei” und des “Knechtsinns gegenüber der Sowjetunion” bezichtigt wurde, hätte es (auch in der DDR-Botschaft selbst) Kontakte gegeben. Es gehört sicherlich auch zu den schon erwähnten Listigkeiten der Historie, daß Ende der 80er Jahre gerade jene an der Spitze der Botschaften der UdSSR bzw. DDR in Kuba standen, die 1968 der “Konspiration mit politischen Feinden” und der “Einmischung in die inneren Angelegenheiten” beschuldigt worden waren.
Zwei politische Entwicklungen trugen maßgeblich zu einem veränderten Verhältnis zwischen der DDR und Kuba zu Beginn der 70er Jahre bei. Zum einen war da der Canossa-Gang Fidel Castros nach Moskau und die danach erfolgte umfassende Eingemeindung Kubas in das sozialistische Lager. Angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage Ende der 60er Jahre, die sich mit der gescheiterten 10 Millionen Zuckerrohrernte 1970 zu einer ersten Legitimationskrise Castros verwandelte, sah sich der Máximo Lider aus machtpolitischen Gründen zu einer engeren Zusammenarbeit mit der UdSSR gezwungen. Politbüro-Mitglied Paul Verner hatte nach seinem Besuch Ende 1969 eine “echte Belebung” festgestellt.
Die andere politische Veränderung, die zu einem Wandel in der Sicht auf Kuba, Fidel Castro und auch die Person Che Guevaras in der DDR führte, war die Ablösung Walter Ulbrichts durch Erich Honecker an der DDR-Spitze. Im Unterschied zu Ulbricht, der sich angesichts der ernsthaften Probleme auf Kuba Ende der 60er Jahre in seiner Distanz zu den Barbudos, den Bärtigen, bestätigt sah, fand Honecker ein politisch anderes Kuba vor. Es war nun eindeutig im eigenen Lager gebunden und hatte zudem einen erstrangigen strategischen Wert für die UdSSR. Hinzu kam, daß der personelle Wechsel an der DDR-Spitze auch mit einem gewissen politischen Neuansatz verbunden war, der sich unter anderem auch in einer kulturellen Öffnung zeigen sollte. Das schlug sich z.B. auch in der nun eintretenden öffentlichen Beschäftigung mit Che Guevara nieder. Aus einem anfänglichen Tabu wurde ein propagandistisch breit aufgemachtes Thema. Die Ikone von Che kehrte nun auch in die Studierstuben zwischen Rostock, Babelsberg und Leipzig ein. Gerade bei der studentischen Jugend, die offenbar stets eine Dosis Utopie benötigt, sollte mit diesen beiden Märtyrern die Attraktivität des Sozialismus verstärkt werden. Das blieb nicht ohne Erfolg und machte Che nach seinem Siegeszug durch die Hörsäle von Hamburg, Frankfurt/a.M. und Berlin-West nun zu einem systemübergreifenden “gesamtdeutschen” Idol.
Im folgenden Jahrzehnt nahmen die bilateralen Beziehungen jene Form an, wie sie zwischen “sozialistischen Bruderländern” typisch war: gegenseitige Besuche der Partei- und Regierungsspitze (Honecker 1974 in Kuba und Castro 1977 in der DDR), Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit (1980), Koordinierung der Volkswirtschaftspläne, umfangreicher Delegationsaustausch auf allen Ebenen, der sich in den verschiedensten Abkommen niederschlug. Ideologischen Gleichklang hatte man nun auch im Kampf gegen Peking gefunden. Im Dezember 1978 betonte nun Fidel Castro die Wichtigkeit, sich “mit der antisozialistischen Politik der Pekinger Führer prinzipiell auseinanderzusetzen.” (16)
Für Kuba waren die wirtschaftlichen Beziehungen zur DDR von besonderer Bedeutung. Castro bat in mehreren Briefen an das Politbüro sowohl um zusätzliche Lieferungen (u.a. technische Ausrüstungen, Nahrungsmittel) als auch um die Beibehaltung der für Kuba außerordentlich günstigen Preisrelationen im bilateralen Handel, speziell bei Zucker. 1980 stimmte nach einer Bitte Castros das SED-Politbüro zu, die “gegenwärtigen Preisrelationen im Warenaustausch auch im Zeitraum 1981-1985 beizubehalten”, um die Kaufkraft der kubanischen Exporte zu erhalten. Castro nannte das dann “ein Musterbeispiel für die Beziehungen zwischen sozialistischen Ländern mit unterschiedlichen Entwicklungsniveaus.” (17) Ungeachtet der konkreten kubanischen Bedingungen und der eigenen Wirtschaftskraft wurde im “Leuchtturm des Sozialismus” (Honecker) solidarische Gigantomanie praktiziert. Kuba erhielt “die größte Brauerei” und das “größte Zementwerk” der Karibik. Beide konnten nie vernünftig ausgelastet werden. Diesen “politischen Entscheidungen”, die die reale wirtschaftliche Lage beider Länder kaum in Betracht zogen, versuchten in den 80er Jahren DDR-Ökonomen, wirtschaftlich sinnvolle Projekte zur Seite zu stellen (Bananenmarkproduktion, Kupferproduktion, Spritrektivikate). Kubanischerseits blieb das Interesse an Großprojekten ungemindert. Da Kuba auch seine Verpflichtungen bei der Lieferung der für die DDR-Innenpolitik so brisanten Südfrüchte kaum erfüllte (1988 hatte man nur zirka 50 Prozent der geplanten Menge geliefert), blieb Kuba bis zum Schluß primär eine “politische Frage”, die man – auch mit Blick nach Moskau – ungeachtet des eigenen wirtschaftlichen Desasters zu lösen versuchte. Bemerkenswert, da im Unterschied zu den anderen Projekten auch über das Ende der DDR hinaus von Relevanz, ist die zwischen 1984 und 1989 erfolgte Ausbildung von rund 30.000 Kubanern in der DDR (80 Prozent davon als Facharbeiter).

In den Farben der DDR

Ab Mitte der 80er Jahre erreichte die politische Übereinstimmung in der starren Ablehnung der Reform-Politik von Gorbatschow ihren Höhepunkt und schließlich auch ihr abruptes Ende. Castros “Rectificación” und Honeckers “Sozialismus in den Farben der DDR” waren gleichermaßen politische Versuche, sich vom sowjetischen Einfluß abzukoppeln und durch innere Verhärtung dem Druck aus Moskau zu widerstehen. Ende der 80er Jahre verstärkten sich nochmals die politischen Kontakte. Politbüro-Mitglieder der SED gaben sich 1988/89 in Havanna gegenseitig die Klinke in die Hand und ließen sich von den Kubanern ihren politischen Starrsinn als “ideologische Festigkeit” bestätigen. Honecker gab seinen Politbüro-Mitgliedern die Rede Castros vom 26. Juli 1989, in der er sich erneut gegen Perestrojka und Glasnost wandte, zur Pflichtlektüre auf. Mit den Worten Raúl Castros “Wir sind sehr stolz auf die Übereinstimmung mit der SED” (18) betonte im September 1989 letztmalig ein Mitglied der kubanischen Führung in Berlin dieses “Bündnis in Agonie”, ehe der andere Partner von der politischen Bühne für immer verschwand.

Ein Schwiegersohn in Chile

Was die Beziehungen zum “restlichen” Süd- und Mittelamerika betraf, so kam es zu Beginn der 70er Jahre, vor allem im Kontext der Aufnahme der beiden deutschen Staaten in die UNO, zu diplomatischen Beziehungen mit der großen Mehrheit der Staaten dieses Raumes. Begonnen hatte die lateinamerikanische Anerkennungswelle mit Chile. Die Regierung der Unidad Popular von Salvador Allende suchte sehr schnell Kontakte zur DDR. Im März 1971 kam es zu ersten Gesprächen über die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen. Chile war besonders an einer Kooperation in der Kupferproduktion und Chemie interessiert. Die DDR wiederum wünschte von Chile die Fürsprache bei internationalen Organisationen (z.B. in der WHO) und Unterstützung bei der Statuserhöhung ihrer Vertretungen in Süd- und Mittelamerika. (19) In der Folgezeit wurde eine Reihe wirtschaftlicher Abkommen geschlossen, deren volle Umsetzung jedoch durch den Militärputsch im September 1973 verhindert wurde. Das Politbüro beschloß im September 1973, “daß die diplomatischen Beziehungen mit Chile unterbrochen werden.” (20) Zugleich wurde ein Maßnahmepaket angenommen, das sowohl die Rückführung von DDR-BürgerInnen als auch die solidarische Unterstützung der chilenischen EmigrantInnen betraf. In den nachfolgenden 15 Jahren war die DDR Aufnahmeland für Tausende von ChilenInnen und ein Zentrum des chilenischen Widerstandes gegen die Pinochet-Diktatur. Dabei ist vor allem das von der Sozialistischen Partei unterhaltene Büro “Chile Antifascista” in Berlin zu nennen. Die Kommunistische Partei Chiles hatte ihre Auslandsführung in Moskau. Diese Unterstützung wurde mit propagandistischen Kampagnen im Innern verbunden, die mit der Herausstellung der “antifaschistischen Solidarität” eine Grundmaxime im Selbstverständnis der Führung der SED, den Antifaschismus, untermauern sollte. Hinzu kamen bei einer Reihe von Politbüro-Mitgliedern die Erfahrungen des eigenen Exils durch den Faschismus. Das stark innenpolitisch motivierte Festhalten an dem Konzept blockierte aber in den 80er Jahren sowohl die realistische Analyse der Entwicklung in Chile als auch eine adäquate Politik der DDR. Demgegenüber wurde z.B. während der blutigen Militärherrschaft in Argentinien Ende der 70er Jahre weder offizielle Kritik an dem Regime geübt noch in der Presse über die massenhaften Verbrechen berichtet. Offenbar ordnete man sich in diesem Falle stark den sowjetischen Interessen unter, für die Argentinien, vor allem wegen der Getreideimporte, ein wichtiger Faktor war. Sicherlich war für die Chile-Politik auch die durch seinen chilenischen Schwiegersohn entstandene persönliche Beziehung Honeckers zu diesem Land ein wichtiges Moment. Für die Politik gegenüber Chile wurde das jedoch immer mehr zur Selbstblockade. Ab Mitte der 80er Jahre begannen zwar im Apparat die Bemühungen, Chile neu zu thematisieren. Es dauerte aber noch geraume Zeit, bis im März 1989 im Politbüro eine als “Geheime Verschlußsache” eingestufte Vorlage zu “Maßnahmen zur Herstellung von Kontakten mit Chile” bestätigt wurde. (21)

Nicaragua – “Kein zweites Kuba”

Die nicaraguanische Revolution von 1979 fiel in eine Zeit gewachsener diplomatischer Potenz beziehungsweise internationalen Anspruchs der DDR. Die “europäische Mittelmacht DDR” verstand im Kontext des einsetzenden 2. Kalten Krieges die Beziehungen zu Nicaragua als wichtiges Moment der bipolaren Auseinandersetzung. Zugleich wurde bald die These formuliert, daß Nicaragua “kein zweites Kuba” werden solle. Neben der damit verbundenen militärstrategischen Komponente, eine zweite Raketen-Krise lag angesichts der praktizierten Dialogpolitik in Europa nicht im DDR-Interesse, waren es auch die “ökonomischen Erfahrungen” aus der Kuba-Problematik, die ein anderes Herangehen sinnvoller erscheinen ließen. Solidarische Unterstützung wurde verhältnismäßig strikt von bilateralen Geschäften getrennt. In den Konzeptionen wurde immer stärker die “Erwirtschaftung von Devisen” auch in den bilateralen Beziehungen mit Nicaragua betont. Die solidarische Unterstützung war quantitativ, im Vergleich zu Kuba, geringer. Sie entsprach aber viel stärker den konkreten Bedürfnissen des Landes. Die unterschiedlichen Entwicklungsprojekte der DDR waren besser den örtlichen Gegebenheiten angepaßt und orientierten sich an den Grundbedürfnissen der breiten Bevölkerungsmehrheit. Das gilt neben dem Berufsausbildungszentrum in Jinotepe vor allem für das Krankenhaus “Carlos Marx” in Managua.

Vorläufiges Fazit

Die Beziehungen zu Süd- und Mittelamerika hatten für die DDR nur eine relativ geringe Bedeutung und von einer “Lateinamerika-Politik der DDR” zu sprechen, wäre sicherlich verfehlt. Grob können zwei Etappen ausgemacht werden: In einer ersten stand die Frage der diplomatischen Anerkennung im Mittelpunkt. Sie reichte von Mitte der 50er bis Anfang der 70er Jahre. Die DDR bemühte sich, sowohl in Süd- und Mittelamerika selbst als auch mittels der lateinamerikanischen Staaten als gleichberechtigter internationaler Akteur akzeptiert zu werden. In der zweiten Etappe (ab 1972/73 bis 1989) ging es der DDR in den Beziehungen zu Süd- und Mittelamerika um den politischen und rechtlichen Ausbau dieser Beziehungen. Letzteres betraf vor allem die Konsularbeziehungen, in denen die politisch wichtige Staatsbürger-Problematik berührt, aber nie zur eigenen Zufriedenheit gelöst werden konnte. Die DDR-Führung bemühte sich zugleich um ein eigenständiges Auftreten in der Region. Die steigende Zahl von Besuchen lateinamerikanischer Außenminister in der DDR machte ebenfalls die beginnende Normalität in den bilateralen Beziehungen deutlich. Kuba hatte als Mitgliedsland des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und durch die engen bilateralen Bindungen einen besonderen Stellenwert für die DDR. Die Anstrengungen, die wirtschaftlichen Potentiale der Region stärker zu nutzen, scheiterten nicht zuletzt an der eigenen ökonomischen Schwäche und an der mangelnden internationalen Kooperationsfähigkeit. Wie in realsozialistischer Außenpolitik generell, so war auch in der Politik der DDR-Führung gegenüber dieser Region ein erhebliches Maß an Ideologie, manchmal auch revolutionärer Romantik, vorhanden. Diese Politik sollte dem System natürlich auch Legitimität verschaffen. Angesichts eigener Erstarrung waren lateinamerikanische Vitalität und Revolutionsrhetorik willkommen, wenn auch diese dann selbst an die realsozialistischen Mauern stießen.
Trotz einer gewissen Versachlichung des Lateinamerika-Bildes blieb der Subkontinent auch in der “späten DDR” ein Fluchtpunkt revolutionärer Ideen und romantischer Utopien. Damit stand man in jener jahrhundertealten westeuropäischen Geistestradition, die bis heute die “Neue Welt” als letzte Zufluchtsstätte revolutionärer Visionen versteht. Und das galt sowohl für die “alten Herren” des Politbüros als auch für viele Jugendliche und Intellektuelle. Viele Details der Beziehungen zu Nicaragua sind nur aus der großen Sympathie Erich Honeckers für Daniel Ortega, den er gewissermaßen als “politischen Enkel” verstand, erklärbar.
Die schwindende materielle Untersetzung des internationalen Engagements begrenzte jedoch sowohl den Ausbaus der sachlichen Beziehungen zur Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten als auch die unbegrenzte Fortsetzung der solidarischen Beziehungen zu einzelnen Ländern.
Ab Mitte der 80er Jahre führte das starre Festhalten an einem entwicklungsunfähigen Gesellschaftssystem innenpolitisch zur Agonie und außenpolitisch in die Isolation. Nach der Wende im Herbst ’89 fiel dieser Raum fast völlig aus dem Gesichtskreis der ostdeutschen Politik. Weder die zwei Modrow-Regierungen noch die erste frei gewählte Regierung unter de Maiziere verwanden ernsthaft politische Energien für die Beziehungen mit diesem Raum. Allein die entwicklungspolitisch aktiven Gruppen, die zum Teil in der Bürgerbewegung der Wende verwurzelt waren, thematisierten noch Süd- und Mittelamerika als Teil des Südens. Als dann der 3. Oktober 1990 nahte, blieb den DDR-Diplomaten in den lateinamerikanischen Hauptstädten nur noch übrig, ihre Gebäude besenrein zu übergeben. Sie selbst fielen in das schwarze Loch sozialer Unsicherheit. Vom Auswärtigen Amt wurde kaum jemand übernommen. Viele der DDR-Immobilien in diesen Ländern wurden veräußert und das Mobiliar großzügig verschenkt. Geblieben ist nur die Geschichte. Diese aber kann man weder verkaufen, noch verschenken, sondern wir müssen sie als Teil der deutschen Außenbeziehungen des 20. Jahrhunderts annehmen.

Anmerkungen:
1. Vgl. dazu ausführlich Erhard Crome/ Raimund Krämer; Die verschwundene Diplomatie. Rückblicke auf die Außenpolitik der DDR, in: WeltTrends, Heft 1 (1993), S. 128-146.
2. Vgl. Geschichte der Außenpolitik der DDR, Abriß, Staatsverlag: Berlin 1985. Das gilt auch für eine Abhandlung über die Außenpolitk der Entwicklungsländer, in der der Autor für den Abschnitt “Lateinamerika” verantwortlich war: Vgl. Autorenkollektiv, Die Außenpolitik befreiter Länder, Staatsverlag,: Berlin 1983, 6.Kapitel.
3. Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, Zentrales Parteiarchiv (im weiteren abgekürzt: SAPMO, BArch.-ZP), Sign.-Nr. J IV 2/2 – 491.
4. Im Zeitraum von 1949 bis 1989 war diese Region insgesamt 346 Mal auf der Tagungsordnung des Politbüros. Bei wöchentlich durchschnittlich 15 Tagesordnungspunkten (in den 70er und 80er Jahren war die Zahl deutlich höher als in den 50er und 60er Jahren) war es insgesamt nur zirka 1 Prozent der Protokollpunkte, in denen sich das höhste Machtgremium der DDR mit Süd- und Mittelamerika beschäftigte. Dabei konzentrierte sich dies auf Kuba (153 Mal auf der Tagesordnung), Nicaragua (56) und Chile (50).
5. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. IV 2/20/81.
6. Journal do Comercio, Rio de Janeiro, 29.3.1960.
7. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. IV 2/20/49.
8. Zu Beginn der 60er Jahre hatten in Brasilien der Leiter der Vertretung und seine Frau einen Diplomatenpaß, die Handelsvertretung konnte chiffrierte Telegramme empfangen und senden, deren Mitarbeiter hatten keine Steuern zu zahlen, ein Dienstsiegel mit DDR-Wappen konnte geführt und eine Art Vorvisabescheinigung ausstellt werden. Ebenda.
9. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. DY 30/ IV/ 2/ 20/147 Bl.1.
10. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. J IV 2/2-724.
11. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. DY/ IV/2/20/147/ Bl.21.
12. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. DY 30/IV/ 2/20/142/ Bl. 178.
13. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. IV 2/20//49.
14. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. J IV 2/202-367.
15. Ebenda.
16. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. IV B/20/592.
17. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr.J IV 2/2-1834.
18. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr. IV 2/2. 035/41.
19. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr.J IV 2/2-1333.
20. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr.J IV 2/2-1469.
21. Zu diesen gehörten u.a. die “Errichtung einer Interessenvertretung der DDR mit konsularischen Rechten”, die Aktivierung der komerziellen Beziehungen, die Veränderungen der Sendungen von Radio Berlin International, dem Auslandssender der DDR, sowie der Wiederaufbau einer Freundschaftsgesellschaft DDR-Chile. SAPMO, BArch.-ZP, Sign.-Nr.J IV 2/2-3204.

Die certification, eine abgenutzte Waffe

Anders als in den vergangenen beiden Jahren wurde Kolumbien, dessen Präsident Ernesto Samper bis zum letzten Moment zittern mußte, die Bescheinigung „im nationalen Interesse“ der USA ausgestellt. Zwar wurde der bedingte „Freispruch“ von Vertretern der kolumbianischen Regierung und Opposition, von Unternehmern und Menschenrechtsaktivisten gleichermaßen gefeiert, doch gibt es in Kolumbien kaum mehr jemanden, der diesen Mechanismus als taugliches Instrument zur Eindämmung des Dro-genhandels und -konsums betrachtet.
Nicht einmal der Präsidentschaftskandidat der Konservativen, Andrés Pastrana, der 1994 in der Stichwahl gegen Ernesto Samper unterlegen war, hätte sich über eine neuerliche Bestrafung seines Landes gefreut. In einem Brief an den US-Kongreß hatte er sich für die Zertifizierung eingesetzt, obwohl er behaupten kann, er hätte seinerzeit nur verloren, weil Samper von den Drogenbossen sechs Millionen Dollar für die Wahlkampfkasse bekommen hat. Diese von Samper nicht glaubwürdig widerlegten Vorwürfe waren ja auch der Grund für die Maßregelung Kolumbiens durch die US-Regierung.
Im Jahre 1986 verabschiedete der Kongreß in Washington das Drug Abuse Act. Alarmiert durch den steilen Anstieg von Drogenkriminalität und Suchtmittelmiß-brauch in den USA, sollte so die Drogenbekämpfung vor allem zu einer polizeilich-militärischen An-gelegenheit gemacht werden.

Hehre Vorsätz

Seither muß der Präsident jedes Jahr eine Bescheinigung ausstellen, daß Staaten, auf deren Territorien verbotene Suchtmittel hergestellt oder für den Export verladen werden, in der Drogenbekämpfung ausreichend kooperieren. Gerechtfertigt wird diese interventionistische Zeugnisverteilung mit dem Argument, daß es um Steuergelder der US-Bürger gehe. Denn wer nicht besteht, bekommt keine Wirtschaftshilfe.
Seit Ronald Reagan hat denn auch jeder US-Präsident mit einem neuen Programm den Drogen den Krieg erklärt. Mit geringem Erfolg. Der steile Aufstieg der Modedroge Kokain ist nicht aufzuhalten, während das ebenso billige wie gesundheitsschädliche Nebenprodukt Crack ganze Generationen von – hauptsächlich schwarzen – Jugendlichen ruiniert. Der Kokainbedarf der gestreßten Manager, Yuppies, Rockmusiker und Filmsternchen wird fast zur Gänze aus der Produktion der Andenländer gedeckt. Ursprünglich vor allem aus Bolivien und Peru, wo der rituelle Konsum des Coca-Blattes seit Jahrtausenden medizinische und religiöse Bedeutung hat. Verarbeitet wurden die Blätter teils in den Ursprungsländern, teils in Kolumbien. Dort entwickelte sich in den 70er Jahren eine auf den Transport in die USA spezialisierte Mafia. In den letzten Jahren hat sich Kolumbien, wo es kaum traditionelle Coca-Konsumenten gibt, auch als wichtigstes Anbaugebiet etabliert. Zig-tausende Hektar Tropenwälder mußten weichen, um dem rentablen Agrarprodukt Platz zu machen.
Daß Staaten, denen die Zer-tifikation verweigert wird, keine Wirtschaftshilfe von den Vereinigten Staaten bekommen, können die meisten verkraften. Schmerzhafter ist, daß ihnen der Zugang zu günstigen Krediten der internationalen Finanzinstitutionen verwehrt wird, weil sich die USA querlegen. Zusätzlich kann es noch Wirtschaftssanktionen setzen, etwa die Kürzung von Exportquoten oder das Streichen von Zollpräferenzen. Länder wie Afghanistan, Myanmar und Nigeria stehen regelmäßig auf der schwarzen Liste. Nicht zufällig handelt es sich um politisch ausgegrenzte Staaten, mit denen die USA sowieso kaum Wirtschaftsbeziehungen unterhalten.
Für die cocaproduzierenden Andenländer, die wirtschaftlich sehr eng mit den USA verflochten sind, wurde die certification jahrelang nur als Damoklesschwert eingesetzt. Sie diente vor allem dazu, die Regierungen zu radikalen Anti-Drogenprogram-men zu zwingen. Mit verheerenden innenpolitischen Folgen. In Bolivien wurden Spezialeinheiten der Armee eingesetzt, um die Coca-Sträucher auszureißen. Bei Zusammenstößen gab es in diesem sonst eher friedlichen Land Tote und Verletzte.

Wo kein Rubel rollt

Als Kolumbiens Präsident Virgilio Barco 1989 begann, wunschgemäß Drogenhändler an die USA auszuliefern, antwortete das Kokainkartell von Medellín mit einer beispiellosen Terrorwelle, der Richter, Journalisten und mehrere Präsidentschaftskandidaten zum Opfer fielen.
Der Erfolg: Die Anbaufläche der verbotenen Kulturen, Coca und zunehmend Schlafmohn für die Heroingewinnung, weitete sich aus, weil die Nachfrage in den USA zunahm. Programme, die alternative Kulturen fördern sollten, erwiesen sich mehrheitlich als politische Feigenblätter. Zur nachhaltigen Existenzsicherung der Bauern dienen sie nicht.
Schon lange erscheint es den Kritikern des Zertifikationsme-chanismus obszön, daß der größte Kokainkonsument der Welt über den größten Kokainproduzenten richtet. Schließlich gehorcht die vermehrte Produktion nur dem marktwirtschaftlichen Prinzip von Angebot und Nachfrage.

Bei Mexiko ist manches anders

Daß Kolumbien vor zwei Jahren, ausgerechnet nach der Festnahme der wichtigsten Chefs des Drogenkartells von Cali, erstmals dezertifiziert wurde, war auch in den USA nicht unumstritten. So griff die New York Times das Thema in einem Leitartikel auf und stellte die Tauglichkeit der certi-fication als Instrument der Dro-genbekämpfung in Frage. Die Pro-duzentenländer zu bestrafen sei gefährlich und trage nur zur Mythenbildung über die Drogenproblematik bei. Den Menschen werde vorgegaukelt, daß nur Lateinamerika schuld sei und nicht die USA, wo die Nachfrage ständig steige. Im übrigen hätte Kolumbien sicherlich mehr gegen die Drogen unternommen als Mexiko.
Dort erreichte die Verstrickung der Drogenmafia mit allerhöchsten Kreisen von Regierung und Armee zwar unter Präsident Salinas de Gortari (1988-1994) einen makabren Höhepunkt, wird aber unter Ernesto Zedillo keineswegs wirksam bekämpft. Dennoch kann das Land aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus nicht dezertifiziert werden. Eine rote Karte für den NAFTA-Partner wür-de die Integrationspolitik, von der besonders die USA profitiert haben, zunichte machen.
Kolumbien hat zwar in den letzten Jahren keine Wirtschaftshilfe, aber zunehmend Militärhilfe bekommen. Daß die für Drogenbekämpfung bestimmten Gelder in zunehmendem Maße für die Guerillabekämpfung eingesetzt werden, ist dem Pentagon längst bekannt. Schließlich wurden die Guerillaorganisationen FARC und ELN, die Coca-Bauern beschützen und „Steuern“ von Zwischenhändlern kassieren, erfolgreich als „Narco-Guerilla“ gebrandmarkt. Unangenehm nur, daß selbst das State Department in seinen jüngsten Länderberichten einen Zusammenhang mit den zunehmenden Menschenrechtsverletzungen durch Armee und Paramilitärs herstellt. Der Zertifikationsmecha-nismus hat damit entscheidend an Überzeugungskraft eingebüßt. Wenn Präsident Clinton durch eine Offensive gegen die Drogen von seinen Grapsch-Affairen ablenken will, wird er sich wohl eine neue Strategie zurechtlegen müssen.

Diese höllische kleine Republik

“Ich bin so wütend auf diese höllische kleine kubanische Re­publik”, rief US-Präsident Theo­dor Roosevelt im Jahre 1906 aus und brachte das Problem der USA südlich von Florida auf den Punkt: “Alles was wir von ihnen wollen, ist daß sie sich beneh­men und wohlhabend sind und glücklich sind, so daß wir uns nicht einmischen müssen. Und jetzt, Gott sei’s geklagt, (…) ha­ben wir keine andere Wahl, als zu intervenieren.”
Viel verändert hat sich nicht in 90 Jahren. Immer noch be­nimmt sich die kleine kubani­sche Republik daneben. Und noch immer sind die USA der Meinung, daß sie keine andere Wahl haben, als sich einzumi­schen, um den KubanerInnen zu Wohlstand und Glück zu verhel­fen. Acht Milliarden Dollar wür­den die USA für ein von Castro befreites Kuba bereitstellen, so Präsident Clinton in seinem jüngsten Bericht an den US-Kongreß mit dem Titel “Hilfe für den demokratischen Übergang in Kuba”.
So weit das Zuckerbrot, mit dem versucht wird, die Kubane­rInnen auf der Insel und die öf­fentliche Meinung der restlichen Welt zu beeindrucken. Letzteres mag derzeit vielleicht sogar der wichtigere Punkt für Washington sein. Denn seit der US-Kongreß vor einem Jahr das sogenannte “Helms-Burton-Gesetz” verab­schiedet hat, das die bisherige Blockade-Politik der USA gegen Kuba nicht nur weiter verschärft, sondern die Sanktionen auch über die Grenzen der USA hin­aus auf Firmen anderer Länder ausweitet, haben die USA noch mehr Probleme als zuvor, dem Rest der Welt ihre Kuba-Politik schmackhaft zu machen. Die Eu­ropäische Union rief bereits die Welthandelsorganisation (WTO) an, in der Hoffnung, daß das dortige Schiedsgericht das Ge­setz für unrechtmäßig erklärt. Auch in den USA mehrt sich die Kritik am Helms-Burton-Gesetz. Der republikanische Kongreßab­geordnete Jim Kolbe nannte das Gesetz “einen Fehler”, bei dem die USA “nur verlieren” könne. In die gleiche Kerbe hieb Wayne Smith, der unter Jimmy Carter einst Leiter der US-amerikani­schen Vertretung in Havanna war: “Das Helms-Burton-Gesetz bereitet uns mehr Probleme als Fidel Castro”. Unter Ronald Reagan hatte Smith seine Stelle aufgegeben. Seitdem agiert er als unermüdlicher “Mr. Entspan­nungspolitik” in Sachen US-amerikanischer Kuba-Politik. Ein Jahr nach der Verabschie­dung des Helms-Burton-Geset­zes organisierte er nun zusam­men mit dem Center for Interna­tional Policy in Washington, dem in Madrid ansässigen La­teinamerika-Institut der EU, IRELA, und der Fondation Ca­nadienne pour les Amériques (FOCAL) eine große internatio­nale Konferenz in der US-Haupt­stadt. Gegenstand: die Auswir­kungen des Gesetzes und die Aussichten für eine etwaige Rücknahme. Zudem sollte ein Weg zu einer verträglicheren Kuba-Politik der USA aufgezeigt werden.
Allzu große Hoffnungen sollte man sich auf letztere indes nicht machen, so der Eindruck nach drei Konferenztagen, einem hal­ben Dutzend Podiumsdiskussio­nen und zahllosen Redebeiträ­gen. Weder der Schiedsspruch der WTO, noch der Widerstand der Europäischen Union wird die Kuba-Politk der USA maßgeb­lich ändern. Klar ist, daß der “extraterritoriale Effekt” des Helms-Burton-Gesetzes, das ei­nem nationalen Gesetz der USA Geltung in anderen Ländern ver­schaffen will, für die anderen Staaten inakzeptabel bleibt. Auch ist mit einiger Sicherheit eine Verurteilung der USA durch das Schiedsgericht zu erwarten, ist das Gesetz doch ein elemen­tarer Verstoß gegen die Regeln des Welthandels.
Zum “Showdown zwischen den USA und Europa”, wie es die Financial Times unlängst auf ihrer Titelseite hochstilisierte, wird es deswegen kaum kom­men. Zunächst werden die USA den Schiedsspruch der WTO eine ganze Weile verzögern, und, wenn sie ihn eines Tages nicht mehr verhindern können, einfach ignorieren. Stuart Eizenstat, Clintons smarter Sonderbeauf­tragter in Sachen Helms-Burton, kündigte auf der Konferenz schon recht unverblümt die tech­nisch-legale Ausrede dafür an: Die USA werden sich auf die Klausel berufen, daß ein Land nicht an den WTO-Spruch ge­bunden ist, wenn die “nationale Sicherheit in Gefahr” ist. Daß dies im Falle des europäischen Handels mit Kuba offensichtlich ein absurdes Argument ist, spielt keine Rolle. Was die nationale Sicherheit der USA gefährdet oder nicht, so Eizenstat, ent­scheide allein die USA.

“Die Antwort unserer Ver­bündeten war extrem posi­tiv!”

Von den Regierungen Euro­pas, Kanadas und Lateinameri­kas wird es dann den obligatori­schen Protest geben. Aber bereits jetzt sind Zeichen der Resigna­tion zu erkennen. Schon längst wird nicht mehr die Rücknahme des Gesetzes gefordert (weil die nicht realisierbar erscheint), son­dern nach einem Modus Vivendi mit dem Helms-Burton-Gesetz gesucht. Stuart Eizenstat präsen­tierte dann auch stolz den Punkt­sieg der USA: Helms-Burton hat zwar dazu geführt, daß die Euro­päerInnen geschlossen gegen die Ausweitung der Embargo-Be­stimmungen auftreten; gleichsam als Kompensation und Beweis dafür, daß sie aber keinesfalls “soft on Castro” seien, hat die EU jedoch eine spürbare Ver­härtung ihrer Politik gegenüber Kuba als “Gemeinsame Position” verbindlich festgeschrieben. So ist eine erhöhte Wirtschaftshilfe sowie der Abschluß eines Ko­operationsabkommens nun sehr viel expliziter als zuvor an “Fortschritte in Richtung Demo­kratie” gebunden. Nicht nur für Spaniens konservative Aznar-Regierung, die diese Wende an­geführt hatte, sondern auch für die EU insgesamt war Eizenstat des Lobes voll: “Die Antwort unserer Verbündeten war extrem positiv!”
Im Gegenzug belohnen die USA die EU lediglich damit, daß sie das Damokles-Schwert, daß Washington mit dem Helms-Burton-Gesetz über sie verhängt hat, nicht in vollem Umfang her­absausen lassen. Dies betrifft das von den Kuba-Investoren beson­ders gefürchtete Kapitel III des Helms-Burtons-Gesetzes, das exilkubanischen Alteigentüme­rInnen das Recht gäbe, vor US-Gerichten europäische Firmen wegen unrechtmäßiger Nutzung ihres einstigen Besitzes zu ver­klagen. Präsident Clinton hat bisher von seinem Recht Ge­brauch gemacht, die Anwendung dieses Kapitels für jeweils sechs Monate auszusetzen. Damit bleibt es zwar weiter außer Kraft – aber als Drohung permanent im Raum. Und Eizenstat nutzt dies munter aus: Wenn die Europäer weiterhin ihre politische Position gegenüber Kuba verhärten – “ihre Bemühungen um die De­mokratisierung in Kuba verstär­ken”, heißt es im O-Ton – würde Clinton auch in Zukunft dieses Klagerecht unter Kapitel III aus­setzen. … Der Deal ist einfach. Wer will, kann dies Diplomatie nennen, wer will, Erpressung. Dan Fisk, der jung-dynamische Mitarbeiter von Jesse Helms, dem Hauptbetreiber des Gesetzes im US-Kongreß, wählte dafür diese charmanten Worte: “Die Konzentration der Gedanken ei­nes Mannes wird ganz wunder­voll erhöht, wenn er weiß, daß er in 14 Tagen gehängt wird.”
Eizenstat und Fisk erklären das Helms-Burton-Gesetz in sei­nem ersten Jahr zu einem vollen Erfolg. Sie führen dabei bemer­kenswerterweise einzig die Ver­änderungen in der europäischen Politik an, nicht jedoch Erfolge bei der Demokratisierung Kubas, die ja angeblich doch Zweck des Gesetzes ist. In der Tat läßt sich da wenig vorweisen. Was kein Zufall ist, wie Wayne Smith meint: “Wann auch immer in der Vergangenheit die USA den Druck auf Kuba erhöht haben, war die Antwort der Regierung in Havanna eine stärkere Diszi­plinierung, eine Einschränkung der Spielräume und das Schlie­ßen der Reihen gegen den äuße­ren Feind. Und genau das ist wieder passiert: Seit Helms-Burton haben wir in Kuba eine Verhärtung der Situation erlebt, nicht einen Liberalisierungspro­zeß.”
Diese Verhärtung bekommen im übrigen nicht nur die abwei­chenden Stimmen auf der Insel selbst zu spüren, sondern auch gerade die moderaten Kräfte in den USA: Nur wenige Wochen vor der Washingtoner Konferenz war in der New York Times ein Kommentar erschienen, der die Blockade-Politik der US-Regie­rung massiv kritisiert hatte, da sie jeglichen demokratischen Wandel in Kuba verhindere. Dies nahm Kubas KP im Zen­tralorgan Granma zum Anlaß für einen eigenen Leitartikel, der just diesen Anti-Blockade-Kommentar als gefährliche Sub­version und ideologische Unter­wanderung geißelte, um ihn im Schlußsatz gar als “eine Art der Kriegsführung” einzuordnen (Granma Internacional, 22.1.97). Nein, auf beiden Seiten haben die Kräfte, die für eine Normali­sierung und Entspannung der Beziehungen eintreten, derzeit keinen Rückenwind.

Der Ärger der US-Firmen

Der vielleicht wichtigste Ver­bündete für eine Aufhebung des US-Embargos gegen Kuba, so der Eindruck nach der dreitägi­gen Konferenz, sind nicht die Proteste der anderen Regierun­gen, sondern die Unternehmen der USA selbst. Genauer: die ex­portorientierten Firmen, für die die weltpolitischen Ambitionen der USA zunehmend das kon­krete Geschäft behindern. Kuba ist dabei nur der prominenteste Fall, nicht der wichtigste. Seit 1993 wurden nicht weniger als 60 US-Gesetze verabschiedet, die in der einen oder anderen Form Handelssanktionen gegen insgesamt 35 Staaten von Afghanistan bis Trinidad und Tobago verhängen, wie Marino Marcich von der National Asso­ciation of Manufacturers, dem Verband der US-amerikanischen Industrie, vorrechnete. Und die Liste wächst weiter. Firmen werden zunehmend als “unzuverlässige Lieferer” be­trachtet, teilweise werden sie so­gar schon mit “Risiko­zuschlägen” belegt: Eine kana­dische Fluggesellschaft hat un­längst den Preis für ihre bei einer US-Firma geleasten Flug­zeuge um mehrere Millionen nach unten gedrückt, weil diese ja Havanna nicht anfliegen dür­fen – für den wachsenden Markt des kanadischen RentnerInnen-Tou­rismus’ sind die kubanischen Strände ein wichtiges Ziel.
Eindrücklich bestätigte diese Kritik auch der Vizepräsident der US-amerikanischen Handels­kammer, Willard A. Workman. Bei jeder x-beliebigen Krise, die eine politische Antwort verlange, würden als Ersatzhandlung in­zwischen Wirtschaftssanktionen gefordert: Allein 1996 wurde die Rekordzahl von 125 Gesetzes­vorlagen mit entsprechenden Sanktionsmaßnahmen einge­bracht. Bei den export- und han­delsorientierten Firmen in den USA macht sich daher langsam aber sicher Alarmstimmung breit. In einem Land, in dem der Satz “Was gut ist für General Motors, ist gut für die USA” einst als berühmtes Leitmotiv der staatlichen Wirtschaftspolitik fungierte, wird der Kongreß nicht unbegrenzt gegen die Inter­essen von General Motors & Co. agieren können. Daß allerdings die Trendwende ausgerechnet mit einer Aufhebung oder zu­mindest Lockerung des Kuba-Embargos anfangen wird, er­scheint eine allzu optimistische Annahme.

Kein Ende der Blockade in Sicht

Die politischen Kräfteverhält­nisse im US-Kongreß und in der Regierung lassen kurzfristig kein Ende der Blockade-Politk er­warten. Vielleicht würde der Kongreß in vier oder fünf Jahren so weit sein, mit Mehrheit das Helms-Burton-Gesetz wieder auf­zu­heben, so die wenig eupho­risch stimmende Einschätzung von Wayne Smith. Aber dann versucht er, selbst diesem noch etwas Positives abzugewinnen: “Immerhin werden die USA dann so viel an Öffnung und In­ves­titionsmöglichkeiten verpaßt haben, daß sie nicht mehr die kubanische Ökonomie so domi­nieren wie vor der Revolution.”

Kritik am neuen Wohlfahrtsgesetz

Die New York Times berichtet seit Anfang September in kurzen Abständen immer wieder über Auswirkungen und Reaktionen auf das neue ImmigrantInnengesetz. Die Artikel erscheinen teilweise auf der ersten Seite und kritisieren ausnahmslos das Gesetz. `Immigrant-bashing’ kommt in einer stark immigrantendominierten Stadt wie New York nicht an.
Auf der Meinungsseite kommen Finanzgiganten wie George Soros zu Wort, der als Reaktion auf das neue Gesetz einen Fonds zur Hilfe für legale ImmigrantInnen gegründet hat. Soros, ein aus Ungarn emigrierter US-Bürger, kritisiert den Kongreß scharf dafür, ein Wohlfahrtsgesetz mit Ungerechtigkeiten zu verbinden. Selbst Bürgermeister Giuliani hat sich dem allgemeinen Protestgeschrei angeschlossen, obwohl er im Großen und Ganzen hinter dem Wohlfahrtsgesetz steht. Ende September bezeichnete er die neue Regelung für ImmigrantInnen als “moralisch unvertretbar und nicht verfassungsmäßig”. “Ich halte es für grundsätzlich unfair und unvernünftig zu sagen, wir lassen Euch herein, wir nehmen all Euer Geld, wie werden Euer Einkommen genauso besteuern wie das aller anderen Bürger, aber Vorteile könnt Ihr nicht erwarten.” Die Stadt New York hat vor, eine Verfassungsklage gegen die neuen Regelungen für ImmigrantInnen einzureichen.

Erste Auswirkungen des Gesetzes: Keiner weiß was

Der bedeutendste Einschnitt des neuen Gesetzes besteht in der Einschränkung des Essensmarkenprogrammes. Ungefähr 1,8 von 25 Millionen Essensmarken-BezieherInnen sind legale ImmigrantInnen. Das Congressional Budget Office schätzt, daß von den 1,8 Millionen etwa 1 Million ihre Marken verlieren werden. Obwohl ImmigrantInnen in New York, Houston oder El Paso in Texas in absoluten Zahlen am meisten mit Sozialkürzungen rechnen müssen, treffen die Regelungen die texanische Grenzregion zu Mexiko proportional am stärksten. Einige der Landkreise dort sind sehr arm, haben Arbeitslosenraten bis zu 19 Prozent und einen ImmigrantInnenanteil von 8 Prozent. Diese wären von den Markenkürzungen besonders betroffen. Die Auswirkungen auf die Wirtschaft können in armen Gegenden wie dem Rio Grande-Tal fatal sein, wo teilweise die Hälfte aller Lebensmittel mit Marken gekauft werden.
New York hatte – ebenso wie New Jersey, Connecticut und Kalifornien – bereits Ende September damit begonnen, einige legale ImmigrantInnen aus dem Essensmarkenprogramm zu streichen. Die Verwirrung über die neuen Regelungen auf Seiten der Beamten war aber weiterhin enorm, so daß eine einheitliche Behandlung von Einzelfällen fragwürdig blieb. Der kalifornische Gouverneur Pete Wilson erließ bereits am 19. September eine Order, ab dem 22. keinem legalen Immigranten mehr Essensmarken auszugeben – und widerrief dies kurz darauf, als kalifornische Demokraten sich beim Weißen Haus beschwerten und der Regionaldirektor des Bundes-Essensprogramms öffentlich erklärte, daß kalifornische Beamte dem vorläufig nicht zu folgen hätten.
Mit Blick auf die landesweiten Irrungen und Wirrungen hat der Kongreß Anfang Oktober dann die Deadline zur Berechtigung auf Essensmarken bundesweit bis April kommenden Jahres verlängert. Das bringt zwar neuen SozialantragstellerInnen nichts, hilft aber wenigstens denen, die bisher schon BezieherInnen von Marken sind, nicht plötzlich ohne Unterstützung dazustehen.
Neben den Essensmarken wird auch die Bedeutung der Einschränkungen in bezug auf die Krankenversicherung immer deutlicher. Gouverneur Wilson, wie immer als Erster, hat bereits verlauten lassen, daß die Schwangerschaftsbetreuung für illegale Immigrantinnen demnächst wegfällt. Da ist der Schritt zur Einschränkung auch für legale Immigrantinnen nicht weit.
Wie zu erwarten war, hat das neue Gesetz zu einem sprunghaften Anstieg von Einbürgerungsverfahren geführt. Bereits Anfang September füllten sich an einigen Tagen ganze Stadien mit sechs- bis zwölftausend ImmigrantInnen in Houston, Texas oder San José, Kalifornien, die in einer Massenveranstaltung eingebürgert wurden. Bis Ende des Haushaltsjahres (das ist Ende September) waren 1,1 Millionen ImmigrantInnen US-Staatsbürger geworden – die Rekordzahl von 445.853 im letzten Jahr erscheint dagegen geradezu blaß. Die meisten der neuen StaatsbürgerInnen konzentrieren sich auf die Gebiete um New York, Los Angeles, Chicago, San Francisco, Miami und Houston, allesamt in Staaten mit großem WählerInnenanteil.

Einbürgerung im Massen-verfahren – Wahlhilfe für die Demokraten?

Demokraten werden mit Blick auf die anstehenden Wahlen von den Einbürgerungen deutlich mehr profitieren als Republikaner. Präsident Clinton hat wiederholt betont, daß er die neuen Regelungen für ImmigrantInnen im Falle einer Wiederwahl erleichtern möchte. Republikaner, allen voran Pete Wilson, werden dagegen weiterhin als ImmigrantInnen-Gegner angesehen. Es ist daher nicht erstaunlich, daß viele Republikaner die Masseneinbürgerungen so kurz vor den Präsidentschaftswahlen als Wahltaktik der Clinton-Administration kritisieren. Ein kürzlich veröffentlichtes internes Memorandum von Clinton und Gore hat die Spekulationen um ein politisches Motiv hinter den Masseneinbürgerungen verstärkt: “Das INS (Immigration Naturalization Service) warnt uns davor, den Weg zur Einbürgerung zu rasch freizumachen. Wir könnten öffentlich kritisiert werden, eine pro-demokratische Wählermühle anzutreiben, und sogar riskieren, vom Kongreß gestoppt zu werden.”
Beamte der Immigrationsbehörde betonen jedoch, daß das “Citizenship U.S.A.”- Programm, von Al Gore im letzten Jahr mit großem Rummel eingeleitet und vom republikanisch dominierten Kongreß bewilligt, nun endlich Früchte zeigt, und daß ein Großteil des derzeitigen Booms darauf zurückzuführen ist.
MexikanerInnen gehören zu der Einwanderungsgruppe, die sich bisher am wenigsten um die Einbürgerung bemüht hat: Eine INS-Studie Anfang der 90er Jahre zeigt, daß nur 17 Prozent der legalen mexikanischen EinwandrerInnen sich um die US-amerikanische Staatsangehörigkeit bemühten, verglichen mit 63 Prozent aller EinwandrerInnen aus der ehemaligen Sowjetunion. Dieser Trend hat sich definitiv ganz gravierend geändert, vor allem in diesem Jahr. Lateinamerikanische AktivistInnen hoffen, daß der forcierte Einbürgerungstrend positive Auswirkungen auf eine stärkere politische Organisierung der Latinos hat.
Der Trend heißt dennoch: Je härter, desto besser, denn mit dem neuen Gesetz ist es noch nicht genug. Der Kongreß hat Ende September bereits ein weiteres Immigrationsgesetz verabschiedet, mit dem Grenzkontrollen verschärft, Deportationen von Kriminellen erleichtert und öffentliche Bezüge von legalen ImmigratInnen eingeschränkt werden. Nur aufgrund des Drucks von DemokratInnen haben die republikanischen ParteiführerInnen eine – pikanterweise besonders von Bob Dole verfochtene – Klausel herausgenommen, die es den einzelnen Staaten erlauben würde, Kinder von illegalen ImmigrantInnen vom öffentlichen Schulsystem auszuschließen. Diese Regelung wird nun als separater Gesetzesentwurf verhandelt.

Programm der Superreichen

Die herausragende Tatsache der post-kommunistischen Welt ist die wa­chsende Konkurrenz zwischen USA, Japan und Deutschland um die Vor­herrschaft auf den Weltmärkten. Jede wirtschaftliche Super­macht hat sich Herrschaftsgebiete ge­schaffen, von denen aus die Wettbewerber aus dem Feld geschlagen werden sollen. Die USA haben während der letzten zwei Jahr­zehnte ihre Wettbewerbsvorteile in vie­len Produktgebieten verloren, zum Bei­spiel im Automobil- und Elektro­nik­be­reich. Hieraus ergab sich für die USA ein riesiges Handelsdefizit sowohl mit Japan (und anderen asiatischen Ländern) als auch in einem geringerem Ausmaß mit Deu­tsch­land.
Der Rückzug der US-Truppen aus Eu­ropa und Japan bewirkt, daß die NATO und andere militärische Bünd­nisse den US-amerikanischen Politi­kern nicht länger als “wirt­schaftspolitischer” Hebel dient. Dro­hende Handelskriege sind scharfe Schwerter, die sowohl US-ameri­kanische Exporteure und Impor­teure als auch die US-KosumentInnen ins­besondere der nie­drigen Einkom­mens­schichten treffen kön­nen. Der kon­genialste und am besten mit histo­rischen US-Strategien (Monroe-Dok­trin, Panamerikanische Union, Allianz für den Fortschritt) zu vereinbarende Weg ist eine regionale Blockstrategie. Inner­halb dieses Blocks könnte die USA als hegemoniale Kraft Handels-, Investitions-, Zins- und Patentein­künfte aus Lateiname­rika herausziehen. Von diesem Stand­punkt aus gesehen, sind Lateinamerika und Kanada strate­gische Quellen für die Akkumulation und den Gewinntransfer, für Zins- und Patenteinkünfte, um die ne­gativen Trans­fers hinsichtlich anderer Regi­onen zu kompensieren. Die Handels­bilanz­überschüsse mit den latein­amerikani­schen Ländern dienen zur Kompensa­tion der negativen Handels­bilanzen bezüglich Asiens und Westeuro­pas. Die kostengünstige Pro­duk­tion in La­teinamerika (Billiglöhne in Mexiko und der Karibik) erlaubt es US-amerikani­schen ProduzentInnen in Übersee und auf dem heimischen Markt, mit den weltweiten Wettbe­werbern zu konkur­rieren.
In diesem Zusammenhang war die Li­beralisierung in Lateinamerika not­wendig, um dem US-amerikanischen Kapital Zu­gang zu Märkten und Ein­künften zu lie­fern und somit wettbe­werbsfähig zu blei­ben. In diesem Sinne ist die Liberalisie­rung eng mit den glo­balen strategischen Interessen der USA verbunden. Diese Po­litik wird von den USA seit den frühen siebziger Jahren konsistent und konti­nentweit betrieben. Liberalisierung wurde mittels IWF und Weltbank durch US-ame­rikanische Of­fizielle verfolgt: Lateiname­rikanische Diktatoren, die die Liberalisie­rung för­derten, wurden finanziert und unter­stützt, ein Übergang zu demokrati­schen Systemen wurde von Washington unter der Bedingung gefördert, daß die neuen demokratischen Systeme die Li­beralisierung vertieften. Liberalisierung ist Teil und Grundbaustein der US-amerika­nischen globalen Politikstrate­gie: Inso­weit, als Liberalisierung funk­tioniert hat, hat sie vorrangig zum Nutzen der US-amerikanischen Trans­nationalen Konzerne (TNC) und Ban­ken funktioniert, aber noch wichtiger war sie für die US-amerikani­sche Wirtschaft als Ganzes. Liberalisierte lateinamerikanische Volkswirtschaften liefern den USA strategischen Nutzen, um ihre Bilanzen auszugleichen.
Patent- und Lizenzeinkünfte
Der Kampf der USA um die Be­rück­sichtigung von Bestimmungen zum “geistigen Eigentum” innerhalb der Ver­handlungen zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) ba­siert auf der Tatsache, daß die Ein­künfte aus Pa­tenten und Lizenzen immer wichtiger in der Zahlungsbilanz der USA wurden. Zwischen 1972 und dem ersten Vierteljahr von 1994 belie­fen die Einkünfte sich auf insgesamt 1,06 Milliarden US-Dollar. Von den sechziger bis zu den neunziger Jahren wuchsen sie förmlich in den Himmel: Be­trug der jährliche Durchschnitt in der Dekade 1962/71 2,6 Millionen US-Dollar, stieg der Jahresdurch­schnitt in der Periode 1972/81 auf 24,2 Millionen US-Dollar und in der Dekade 1982/91 auf 39,5 Mil­lionen US-Dollar. 1992/93 betrug der Jahres­durchschnitt 189,8 Millionen US-Dol­lar. Patent- und Lizenzgebühren sind eine Art Renteneinkommmen, das nicht auf produktiven Investitionen beruht. Pa­tent- und Lizenzeinkünfte ziehen Ein­kom­men ab, ohne daß Wertschöpfung statt­findet.
Die wachsende Bedeutung der “Renteneinkünfte” für die Bilanzen der USA ist offensichtlich, wenn wir die US-amerikanischen Erträge aus Inve­stitionen mit denen aus Patenten und Lizenzen ver­gleichen. Zwischen 1961 und 1971 betru­gen die gesamten Pa­tent- und Lizenzein­künfte ein Drittel des Gesamtgewinns aus Direktinvesti­tionen (26 zu 76 Millionen US-Dollar). In der Periode von 1972 bis 1981 sank das Verhältnis von Patent- und Lizenzein­künften zu den Gewinnen aus Direk­tinvestitonen auf sechs Prozent (242 zu 4176 Millionen US-Dollar). Während der Phase von 1982 bis 1991 stiegen die Einnahmen aus Patenten und Lizenzen auf 395 Millionen US-Dollar, während die Di­rektinvestitionen in Lateiname­rika einen Verlust von 373,9 Millionen US-Dollar erbrachten. In der Zeit von 1992 bis 1993 waren die Einkünfte aus Patenten und Li­zenzen dreimal so groß, wie die Profite aus den Direk­tinvestitionen.
Profite aus Direktinvestitionen
In der zwanzigjährigen Periode von 1962 bis 1981 führten die US-amerikani­schen Transnationalen Konzerne 4,25 Milliarden US-Dollar an Gewinnen zu­rück. Dies war die Boomphase der latein­amerikanischen Ökonomien. Insbesondere von 1972 bis 1981 profitierten die US-amerika­nischen Gesellschaften von der er­sten Liberalisierungswelle und dem star­ken Zufluß von ausländischem Kapital nach Lateinamerika.
Mit dem Beginn der Weltrezession 1982 verursachten die Schuldenkrise und die Strukturanpassungsprogramme (SAP) ein Schrumpfen des lateinameri­kanischen Marktes. Die Konsumaus­gaben gingen zu­rück und die meisten Volkswirtschaften der Region gerieten ins Trudeln. Durch die massive Kana­lisierung der Ressourcen in devisener­zeugende Sektoren, um den Schulden­dienst leisten zu können, sanken die Gewinnrückführungen in die USA steil ab. In der Phase von 1982 bis 1991 gab es einen Verlust von 373,9 Millionen US-Dollar. Wie sich noch zeigen wird, gibt es eine inverse Bezie­hung zwischen Zinszahlungen und Ge­winn­rück­füh­­rungen: Sofern die Banken große Sum­men an Zins- und Til­gungszahlungen her­aus­ziehen, fallen die Profite aus den produktiven Inve­stitionen. Nichts­desto­trotz lieferte die Schuldenkrise für den IWF und die Weltbank einen He­bel, um die Privati­sierung von öffentli­chen Unternehmen zu puschen. Viele die­ser Firmen wurden von US-amerikani­schen TNCs gekauft. Als die begrenzte wirt­schaft­liche Erholung einsetzte, stiegen auch die Gewinnrückführungen US-ameri­kanischer Unternehmen wieder an. Im Zeitraum von 1992 bis zum ersten Quartal 1994 wurden 150 Millionen US-Dollar zu­rücktransferiert. Gegen­über den schlech­ten Ergebnissen in den achtziger Jahren eine klare Ver­besserung, jedoch wurde das Niveau der Periode 1972 bis 1981 bei weitem nicht erreicht. Die Schuldenkrise und die Strukturanpassungsprogramme hat­ten nicht nur einen nachteiligen Effekt auf die lateinamerikanischen Ökonomien, sondern ebenso eine substantiell nega­tive Auswirkung auf die Ertragslage der US-amerikanischen TNCs.
Zinszahlungen
Zinserträge waren im Untersu­chungszeitraum die Hauptquelle bei Pri­vaterträgen aus überseeischen Wirt­schaftsaktivitäten. Die wachsende Libera­lisierung des Kapitalverkehrs und die Wandlung der USA in einen Gläubiger der lateinamerikanischen Investoren pri­vater oder öffentlicher Provenienz, führte zu erhöhten Schul­denlasten in Lateiname­rika. Spiralen­förmig ansteigende Zinsen führten zu einem massiven Anstieg der Zah­lungen an die USA. Zinszahlungen von Lateinamerika an die USA waren ein bedeutendes Gegengewicht zum US-ame­ri­kanischen Handelsdefizit gegen­über Japan und Deutschland. Während die USA dabei gegenüber Lateiname­rika in der Gläubigerposition waren, befanden sie sich gegenüber dem Rest der fortge­schrittenen kapitalistischen Staaten in der Schuldnerstellung. Die gesamten Zins­zahlungen von Latein­amerika in die USA in der Zeit von 1972 bis 1992 betrugen mehr als 233 Milliarden US-Dollar, wobei 206 Milliarden US-Dollar zwischen 1982 und dem ersten Quartal 1994 transfe­riert wurden. Diese ausgedehnten Transfers hatten einen äußerst negati­ven Effekt auf das lateinamerikanische Wachstum und die Im- und Export­nachfrage des Subkon­tinents. Hinge­gen boten sie den USA eine ziemlich große Einkommensquelle, um die De­fizite gegenüber Japan und Deutsch­land zu kompensieren.
“Liberalisierung” hat die Folge stei­gender Zins- und Rentenzahlungen an die USA zu Lasten des Wachstums an Pro­duktivvermögen. Liberale Wirt­schafts­politik erhöhte die Abflüsse durch Zinszahlungen, während es gleichzeitig den Abschluß von Lizenz- und Patentver­trägen erleichterte. Pri­vatisierung ermög­lichte den Ausverkauf öffentlicher Unter­nehmen und belebte die Gewinnaussichten wieder.
Die Zahlungsströme in die USA zei­gen ein insgesamt spektakuläres An­steigen im Zuge der Vertiefung der Li­beralisierung – insbesondere der Zins- und Rentenzahlun­gen. Es ist kein Wunder, daß auf einen “freien Markt” gerichtete Politikmaßnah­men zum Kernstück der US-Politik wur­den und dies ist ein Grund, warum US-Poli­tikerInnen bereit sind, demokratische Regierungen, die auf den “freien Markt” orientiert sind, gegen Militär­putsche zu unterstützen.
Handel USA-Lateinamerika
Wenn wir nun den US-amerikani­schen Handelsüberschuß gegenüber La­tein­amerika untersuchen, fügen wir eine an­dere Dimension der asymetri­schen Bezie­hungen zwischen den USA und Latein­amerika hinzu. Eine Dimen­sion, die für die Unterstützung von “Freihandels­abkommen” durch die USA grundlegend ist. Von den sechzi­ger Jahren bis zum Beginn der Schul­denkrise in den Achtzigern hatten die USA einen substan­tiellen Handels­überschuß gegenüber La­teinamerika. In der Phase 1962 bis 1971 betrug der jährliche Überschuß 426 Mil­lionen US-Dollar, in der Zeit von 1972 bis 1981 wuchs der jährliche Überschuß auf 4,3 Milliarden US-Dollar. Das Umschla­gen in ein Defizit begann 1983 und hielt bis 1989 an. Das durch­schnittliche jährli­che Defizit in der Pe­riode 1972/81 betrug 1,725 Milliarden US-Dollar. Mit der öko­nomischen Er­holung in Lateinamerika be­gannen die USA erneut einen Handels­bilanzüber­schuß zu akkumulieren. Der jährliche Überschuß betrug 1992/93 2,2 Milliar­den US-Dollar. Der Handels­überschuß der USA hatte in der ersten Dekade der Liberalisierung (1970-82) steigende Tendenz. Mit der Schuldenkrise und den Strukturanpassungsprogrammen san­ken die US-amerikanischen Exporte nach Lateinamerika, während die Im­porte infolge der lateinamerikanischen “Export­strategie” anstiegen. Die vom IWF entworfene “Exportstrategie” sollte Ein­kommen schaffen, um den Schuldendienst an die Banken zu ge­währleisten. Nichts­destotrotz haben langfristig gesehen, die Strukturanpas­sungsprogramme neue Möglichkeiten für die USA geschaffen, die lateiname­rikanischen Märkte wieder zu erobern und noch tiefer einzudringen. Wenn wir die vier der Schuldenkrise vorange­gangenen Jahre (1979-82) mit den Jahren nach der Anpassung (1990-93) vergleichen, beobachten wir, daß die Kon­sequenzen der vertieften Liberali­sierung ein Ansteigen des US-ameri­kanischen Handelsüberschusses über seine histori­schen Höchstmarken ist. Während einer­seits die Schuldenkrise und die Struktu­ranpassungsprogramme für die USA einen zeitweisen Verlust an Märkten mit sich brachte, führten sie langfristig über den Wegfall von Schutzmaßnahmen zu einem stärkeren Eindringen und der Übernahme von lateinamerikanischen Märkten. Wenn wir die Handelsbilanz USA-Lateiname­rika mit der Handelsbilanz USA-Japan in der Zeit von 1970-82 ver­gleichen, sehen wir, daß die vorteil­haften Bilanzen gegenüber Lateiname­rika teilweise für die Defizite mit Japan aufkommen. Während der Schuldenkrise (1983-1989) machte das Defizit der USA gegenüber Latein­amerika nur ein Bruchteil des Defizites gegenüber Japan aus. Mit der wirt­schaft­lichen Erholung in Lateinamerika tauchte der Überschuß gegenüber La­teinamerika wieder auf, ist allerdings nur ein Bruchteil des Defizites gegen­über Ja­pan und deckt kaum das Defi­zit gegenüber Deutschland.
Lateinamerika:
Die kumulative Bilanz
Wenn wir die drei Quellen US-ame­rikanischen Einkommens aus Latein­amerika addieren (Rente, Handelsge­winn, Unternehmensprofit) und mit den Han­delsdefiziten gegenüber Japan und Deutschland vergleichen, verste­hen wir die strategische Bedeutung Lateinameri­kas für die US-amerikani­sche Gobalpoli­tik. Lateinamerikas Bei­trag zur weltweiten Stellung der USA wird noch deutlicher, wirft mensch einen Blick auf die Gesamt­einkünfte aus Handel, Investitionen, Dar­lehen und Lizenzabkommen. Zwischen 1962 und 1971 betrug der kumulative Rück­fluß in die USA 6,5 Milliarden US-Dollar, 1972 bis 1981 waren es 75,5 Milliarden US-Dollar und im Zeitraum von 1982 bis 1991 156,4 Milliarden US-Dollar und 1992/93 38,1 Milliar­den US-Dollar. Ohne die wachsende Ausbeutung Lateinamerikas hätte sich der Niedergang der USA stärker zu Buche geschlagen.
In der Zeit von 1962 bis 1971 betrug das US-amerikanische Einkommen aus Lateinamerika drei Viertel des Han­delsdefizits gegenüber Japan und übertraf das Handelsdefizit gegenüber Deutschland um 50 Prozent. In der folgenden Dekade entsprachen die Einkünfte aus Lateiname­rika dem Handelsdefizit gegenüber Japan. Im letzten Jahrzehnt von 1982 bis 1991 verdoppelten die USA zwar ihr Ein­kommen aus Lateinamerika, jedoch wuchs das Handelsdefzit gegenüber Japan um das fünfeinhalbfache und das gegenüber Deutschland gar um das siebenfache. Das selbe Muster scheint sich im gegenwärti­gen Jahr­zehnt fortzusetzen. Die Liberali­sierung Lateinamerikas hat den von den USA angeeigneten Überschuß erhöht. Die wachsende Ausbeutung Lateinamerikas korrespondiert mit der sich ver­schlechternden Handelsposition der USA gegenüber den Haupthan­delspartnern auf dem Weltmarkt.
Milliardäre in Lateinamerika
Parallel zur erhöhten Ausbeutung La­teinamerikas durch die USA haben die auf einen “freien Markt” zielenden Politik­maßnahmen zu einer tiefen Po­larisierung der lateinamerikanischen Gesellschaften ge­führt und eine neue Klasse von super­reichen Milliardären hervorgebracht. Diese Klasse ist ein direktes Produkt des Liberalisierungs­prozesses: 1987 gab es in Lateiname­rika weniger als sechs Milliar­däre, 1990 waren es acht, 1991 zwanzig und 1994 gab es schon deren 41. Die mei­sten der Superreichen waren vor der Libe­ralisierung Millionäre. Sie wurden Mil­liardäre durch den Ausverkauf der öf­fentlichen Unternehmen während der späten achtziger und der neunziger Jahre. Zwangsläufig kontrolliert diese Klasse von Milliardären mit ihrem aus­gedehnten Mediennetzwerk und ihren Verbündeten im Staatsapparat die Wirtschaftspolitik und die Wahlpro­zesse. In Mexiko durch die PRI, in Brasilien durch die korrupte politische Klasse, in Chile durch die Con­certación, und in Argentinien, Vene­zuela und Kolumbien durch die tradi­tionellen zwei großen Parteien. Die Superreichen haben wertvolle Minen­konzessionen, Telekommunikationssy­steme, Vermögen im Tourismus und der Industrie erlangt.
Die große Konzentration des Wohl­stands auf eine kleine Gruppe von Fami­lien ist eine der auffälligsten “Erfolgsstories” in Lateinamerika: Diese Gruppen haben das Oberge­schoß der “Ersten Welt” im wahrsten Sinne des Wortes erreicht. Sie haben nicht nur von der Liberalisierung pro­fitiert – zu Lasten der Bevölkerungs­mehrheit – sondern wa­ren dank ihrer Verbindungen zu den libe­ralen Regierungen die größten Unterstüt­zer der neoliberalen Politik.
Dabei ist der Prozeß der Vermö­genskonzentration in Lateinamerika Teil eines weltweiten Prozesses – Pro­dukt der “neoliberalen Konterrevolu­tion.” Im Zeit­raum von 1987 bis 1994 stieg die Anzahl der Superreichen in den USA von 49 auf 120, in Asien von 40 auf 86, in Europa von 36 auf 91 und im Mittleren Osten und Afrika von 8 auf 14.
Der Begriff Zentrum/Peripherie er­faßt die Verflechtungen zwischen den super­reichen Klassen im Norden und Süden nicht. Diese sind durch eine Vielzahl von Investitionen, Finanz- und Handelskreisen als auch Lizenzie­rungsabkommen mitein­ander verbun­den. Die Integration der Su­perreichen in den Weltmarkt und ihre Fä­higkeit, den Nationalstaat zu lenken und zu re­gulieren, damit er ihre internationalen Verbindungen finanziert und subven­tioniert, ist zur auffälligsten Erschei­nung in der Weltpolitik geworden. Globalismus ist das Programm der Su­perreichen.
Das gleichzeitige Wachstum der Klasse der Milliardäre in Lateinmerika und der Ausbeutung Lateinamerikas durch die USA sind duale Ergebnisse der “neo­liberalen Konterrevolution”. Dies ist am offensichtlichsten in den Ländern, die auf dem neoliberalen Pfad am weitesten fortgeschritten sind: Mexiko hat 24 Milliar­däre und war die Hauptquelle des Handelsgewinns, der Lizenz- und Pro­fiteinkommen für die USA. Brasilien mit sechs, Argentinien, Chile und Kolumbien mit jeweils drei und Venezuela mit zwei Milliardären folgen.
Der Hauptgrund für die wachsende Armut und den Abbau im Gesund­heits- und Bildungswesen liegt in der Umver­teilung der öffentlichen Res­sourcen zum Privatsektor und inner­halb des Privatsek­tors zu den sehr Reichen. “Neo­liberalismus” ist in sei­ner Essenz eine Beschönigung für die Konzentration des Einkommens durch die internationale Regulierung der Staatspolitik. Einkommen wird nach oben und nach außen transfe­riert. Die Armen werden dem Überlebens­kampf überlassen: Mit marginalen Kleinst­un­ternehmen, mit informeller Be­schäfti­gung und mit Almosen aus Pro­jekten, die von Nicht-Regierungs-Orga­nisa­tionen gesponsert werden, versu­chen sie, sich über Wasser zu halten.
Jedenfalls ist Liberalisierung nicht oder nicht bloß eine “Entwicklungsstrategie”, die ausgear­beitet wurde, um Lateinameri­kas Inte­gration in den Weltmarkt zu erleich­tern. Noch ist sie ein unvermeidli­ches Produkt eines immanenten “Glob­alisierungsprozesses”. Eher ist Libe­ra­lisierung ein Produkt von US-amerika­nischen Wirtschaftspolitikern, Bankern und Transnationalen Gesell­schaften, die mit lateinamerikanischen transnationalen Ka­pitalisten verbunden sind. Es sind spe­zifische Klassen und Staatsinteressen und nicht Imperative des Weltsystems, die die neue liberale politische Ökonomie dik­tieren. In die­sem Sinne muß die Um­kehrung der Liberalisierung auf der natio­nalen Ebene innerhalb der Klassenstruktur beginnen und dann nach oben und außen weitergetragen werden.

Mit dem Freundbild war es nichts

Kaum jemand hat vor zwei Jahren nach der Wahl Bill Clintons zum Präsidenten der USA vorauszusagen gewagt, daß er in so vielen Punkten seiner Politik erfolg­reich sein würde. Die USA haben in diesen beiden Jahren ein Wirtschafts­wachstum gehabt, um die sie alle anderen Industrienationen beneidet haben. Dabei ist die Inflation gesunken, die Zahl der Arbeitslosen ziemlich rapide zurückge­gangen. Vor allem konnte Clinton durch eine Haushaltsführung des rigorosen Spa­rens das unter seinen Vor­gängern Bush und Reagan gewaltig angestiegene Defizit erheb­lich reduzieren, und das, obwohl nur die reichsten 1,2 Prozent der Bevölkerung höhere Steuern zahlen mußten. Der stän­digen Aufrüstung nach innen und nach außen wurde die Spitze ab­gebrochen; stattdessen wurde der Akzent auf natio­nale Schul­reform und Studienförderung gelegt.
Erfolge über Erfolge
Selbst wenn die von Hillary Clinton koor­dinierten Bemühungen um die geplante Gesundheitsreform nicht richtig vom Fleck ge­kommen sind, gibt es in der jün­geren Geschichte der USA kaum einen Präsidenten, der mit seinen gesetzgebe­rischen Be­mühungen gegenüber einem zwar demokratisch beherrschten, aber doch widerspenstigen Kongreß so erfolg­reich gewesen ist. Haushaltsreform, Steuerreform, Verwaltungsreform, Ver­brechensbekämpfungsgesetz, Ratifizie­rung des Nordamerikani­schen Freihan­delsabkommens und manches wichtige Gesetz mehr hat er mit äußerster Mühe und viel Hängen und Würgen eben doch durchgekriegt.
Und wer hätte schon vor zwei Jahren er­wartet, daß schwerbe­waffnete und schwerbepackte US-Marine-Infanteristen auf einer vom Imperialismus schwer ge­plagten Karibik-Insel wie Haiti von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung umjubelt werden, weil sie – auch noch ohne Invasion und den üblichen Blutzoll – einen Präsidenten ins Land und in sein Amt zurückbringen, der vorher von der CIA nach allen Kräften als gefährlicher Feind der USA diffamiert worden war? Wer hätte noch vor we­nigen Jahren pro­phezeien wollen, daß sich im Weißen Haus Aristide und Nelson Mandela und Yassir Arafat und mancher andere aus der Reihe der Weltrevolutionäre praktisch die Klinke in die Hand geben, sodaß am Ende nur noch Fidel Castro fehlt? Wer hätte dem jungen Präsidenten zugetraut, daß er die Verhandlungen über einen GATT-Kompromiß über die Runden kriegt, sich aus Somalia ohne schweren Gesichtsver­lust zurückziehen kann, mit Nordkorea und Kuba Regelungen findet, die einen Zusammenstoß vermeiden, als Friedens­garant zwischen Israel, Palästina, Jorda­nien, Syrien und sogar dem Irak auf­treten kann?
Früher galt in den USA, daß nichts so er­folgreich ist wie der Erfolg. Danach müßten Clintons Gefolgsleute die Wahlen 1994 haushoch gewonnen haben. Tat­säch­lich ist das Gegenteil einge­treten. Der Republikanischen Partei ist es gelungen, wahrheits­widrig den Zustand der Wirtschaft als fortwährende Rezession darzustellen, die der unerfahrene Präsident als unermüdlicher Steuereintreiber und Verschwender auch noch tatkräftig för­dere. Und die Massen glaubten das. Kleine Affairen, über die man bei Ronald Reagan die Achseln gezuckt hätte und die sich neben dem systematischen Betrug durch den Bankrott der Sparkassen unter Reagan oder dem Iran-Contra-Skandal von Reagan-Bush wie ein Mäusefurz aus­nehmen müßten, wurden ge­waltig aufge­bauscht und nahmen die Regierung ziem­lich in An­spruch.
Das müde Wahlvolk und die wache Grand Old Party
Erstaunlich ist nicht, daß die Kandidat­innen und Kandidaten der Republikani­schen Partei in dem schmutzigsten und eklig­sten Wahlkampf, an den man sich erinnert und in dem das Ver­sprechen möglichst häufiger Vollstreckung der To­desstrafe zu den stärksten Argumenten zählte, so oft die relative Mehrheit der Stimmen erhalten haben. Erstaunlich ist vielmehr, daß die große Masse der Leute, zu deren Gunsten die geplanten und durchgeführten Reformen sich auswirken sollten und auswirken werden, den Präsi­denten in keiner Weise unterstützt hat, son­dern sich dem Ressentiment gegen Politik im allgemeinen und gegen Kon­greß und Regierung im besonderen voll hingegeben hat und entweder gar nicht oder bewußt gegen Clinton wählte.
Die Grand Old Party (Republikaner) bringt es fertig, den Mas­sen die Zeiten ihrer Präsidenten Reagan und Bush, in denen die Steuern der Reichen gesenkt wurden und wahnsinnige Rüstungspro­jekte aus immer höheren Schulden finan­ziert wur­den, als Glanzzeiten des Imperi­ums zu verkaufen, in denen die Marine-Infanteristen der Welt noch – wie in Gre­nada oder Panama oder im Golfkrieg – klarmachten, wo der Feind steht.
Und alle sozialen Bewegungen sehen zu, nicht einmal voller Mitleid, eher hämisch. Von einer machtvollen Umweltbewegung, die den Vizepräsidenten Al Gore stützt, ist kaum etwas zu spü­ren. Die Frauenbewe­gung ist in der Abtreibungsfrage in der Defensive und identifiziert sich möglichst nicht zu sehr mit Hillary Clinton. Die Friedensbewegung scheint sich überhaupt aufgelöst zu haben. Und die internationale Solidaritätsbewegung ist ganz damit be­schäftigt, nachzuweisen, daß es sich in Haiti doch um eine Invasion mit imperia­listischen Hintergedanken handelt.
Erst wenn die führenden republikanischen Senatoren die Schlüsselstellungen im Kongreß besetzt haben und die Innen- und Außenpolitik maßgeblich mitbestimmen, wird das alte Feindbild wieder stimmen. Lateinamerika kann dabei nur verlie­ren: Ein neuer Aufrüstungs- und Verschul­dungsschub würde das internationale Zinsniveau wieder kräftig anheben und die zeitweilig fast vergessene Verschul­dungskrise der lateinameri­kanischen Län­der neu ankurbeln. Die in Kalifornien in einer Volksabstimmung angenommene sogenannte Proposition 187 zeigt, wohin die Reise im Verhältnis zu den Latinos geht, die – großenteils illegal – in den USA leben: Sie sollen benachteiligt, ausge­grenzt und vertrieben werden.
Mit Jesse Helms wird jetzt der reaktionär­ste Mann, den es überhaupt in den letzten 20 Jahren im Kongreß gegeben hat, zum einflußreichsten Außenpolitiker des Se­nats werden. Er hat nie einen Hehl daraus gemacht, daß nach seiner Meinung an­ständige US-amerikanische Soldaten Leute wie Allende oder Castro oder Aristide zum Teufel jagen sollten. Mittel­amerika und die Karibik sollen wieder wie der Hinterhof der USA be­handelt werden. Mit Leuten wie Jesse Helms wird Clinton in Zu­kunft gelegentlich einen Deal machen müssen, um andere Pro­jekte durchsetzen zu können. Dann wird er endlich entlarvt sein, werden manche denken. God bless Latin America!

Jesse Helms

“Meine Wahlkämpfe waren immer wie Wurzelkanalbehandlungen”, hat Jesse Helms einmal gesagt. Seit 1973 ist er Se­nator für North Carolina und vertritt im Senat die alten Ideale des rassistischen Südens. Diesmal stand er selbst gar nicht zur Wahl – und könnte doch einen Schritt aufrücken. Wie schon 1984 steht ihm als Dienstältesten der Vorsitz des außenpoliti­schen Ausschusses zu. Damals lehnte er ab: er könne es seinen Wählern im Tabak­staat North Carolina nicht antun, den Landwirtschaftsausschuß zu verlassen.
Jesse Helms, am 18.10. 73 Jahre alt ge­worden, gilt als eine der Schlüsselfiguren innerhalb der US-amerikanischen ‘Neuen Rechten’ und kann zweifellos als einer der bedeutensten Förderer des faschistischen Netzwerks der “Antikommunistischen Weltliga” WACL in Zentralamerika be­zeichnet werden. In der Öffentlichkeit er­regt Helms, der der UNO-Antifolterkon­vention seine Zustimmung versagte, im­mer wieder durch Haßtiraden gegen Ho­mosexuelle Aufmerksamkeit. Der Abtrei­bungsgegner sorgte mit dem sogenannten Helms-Amendment dafür, daß AIDS-Auf­klärungskampagnen nicht vom Senat fi­nanziert werden dürfen, wenn Homose­xualität als gleichwertiger Lebensstil dar­gestellt wird. Selbstredend stimmte Helms gegen die kostenlose Vergabe von Sprit­zen an Drogenabhängige und gegen eine Ausweitung der Behindertenförderung.
1992 geriet Helms in die internationalen Schlagzeilen, als es ihm gelungen war, ein 104 Mio. Dollar-Hilfspaket an Nicaragua zu suspendieren. Ziel seiner Kampagne war es, die nicaraguanische Regierung, die er als “Chamorro-Lacayo-Ortega-Ter­rorregime” bezeichnete, zu zwingen, Ar­mee, Justiz und Militär von Sandinisten zu säubern und durch Contras zu ersetzen. Nicht ohne Erfolg: Wenig später wurden Polizeichef René Vivas und elf hohe san­dinistische Polizeioffiziere entlassen. Auch Armeegeneral Humberto Ortega wird seinen Posten im Februar 1995 räu­men müssen.
Helms ist mitverantwortlich für die etwa 40.000 Opfer der Todesschwadrone in El Salvador, als deren Protegé er seit 1980 auftritt. Roberto D’Aubuissón, der 1992 an Krebs verstorbene Führer der “Escuadrones”, wurde durch Helms beim Aufbau der “Republikanischen Nationali­stischen Allianz” ARENA, einer faschi­stoiden Partei mit paramilitärischer Basis, unterstützt. Nicht zuletzt durch seine tech­nische und politische Beratung im Wahl­kampf erreichte ARENA, deren Pro­gramm Anleihen sowohl bei dem der US-Republikaner und dem der NSDAP ge­nommen hat, 1982 25 Prozent der Stim­men und stellt nach dem Wahlsieg im April 1994 mit Calderón Sol, einem Escuadronero der ersten Stunde, den Prä­sidenten.
Finanziert wird Jesse Helms maßgeblich von Philip Morris, dem Tabakgiganten aus North Carolina. Deshalb läuft seit 1990 in den USA eine Kampagne zum Boykott der Philip Morris-Zigaretten Marlboro. In Deutschland werden von diesem Konzern auch die Marken KARO, L&M, F6 und JUWEL hergestellt.

Wer hat Angst vorm illegalen Mann?

Die WahlkampfstrategInnen des Republika­ners Wilson (des ehemaligen und zukünf­tigen Gouverneurs von Kali­fornien) ent­warfen letztes Jahr ein Wahl­programm, das von den wirtschaftlichen Problemen ablenken und zu zwei äußerst emotionionsgeladenen Problemen hinlen­ken sollte: Immi­gration und Gewalt. Die Schuldigen waren schnell gefunden: Die Verantwortlichen für das Loch im Staats­haushalt seien die ille­galen ImmigrantIn­nen – oder wie sie sich sel­ber lieber nen­nen – die ausweislosen Im­migrantInnen, los indocumentados. Und so star­tete Pete Wilson im August letzten Jahres mit ei­nem dramatischen of­fenen Brief an Bill Clinton die SOS-Kam­pagne (Save Our State) und sammelte mehr als 600.000 Unterschriften für die Durchführung des Referendums 187. Er übertraf damit bei weitem die Mindestanzahl von 385.000 Unterschriften und erhielt mehr Unter­schriften für seinen Gesetzes­vorschlag, als jemals für eine bundesstaa­tenweite Kam­pagne gesammelt worden waren.
Die Sprache des SOS-Antrags ist durch und durch rassistisch. Es geht nicht um illegale EinwanderInnen an und für sich, son­dern um solche, die kriminell sind und die US-AmerikanerInnen allein durch ihre Anwe­senheit bedrohen. Der Gesetzesvor­schlag 187 beginnt mit einem Lamento: “Die Menschen aus Kalifornien erklären, daß sie aufgrund der An­wesenheit illega­ler Ausländer in ih­rem Staat ökonomische Härten erlitten haben und weiterhin erlei­den, und daß sie durch das kriminelle Verhalten der Ein­dringlinge persönliche Verletzungen und Schaden erlitten haben und weiterhin er­leiden; und daß sie ein Recht darauf ha­ben, daß der Staat sie ge­gen illegale Ein­wanderer beschützt.”
Die möglichen Folgen
Nach Inkrafttreten der Gesetzesände­rung sollen alle EinwandererInnen ohne gültige Papiere aus dem öffentlichen Erziehungs- und Gesundheitssystem ausgeschlossen werden. Einzig Notfällen soll weiterhin Erste Hilfe geleistet werden. Ermöglicht werden soll dies durch repressive Kon­trolle durch Er­zieherInnen, LehrerInnen, ÄrztInnen und Pflegepersonal, also durch sogenannte Vertrauenspersonen. Eine Gruppe von ÄrztInnen wehrte sich laut­hals gegen diese Bespitzelung ihrer Pati­entInnen und warnte zu Recht davor, daß unter diesen Bedingungen viele nur noch in absoluten Notfällen kämen und so die Ge­fahr bestehe, daß hochan­steckende Krankheiten unbehandelt blie­ben.
Der durchschlagende Wahlerfolg vom Proposal 187 zeigt, wie sehr dieses Thema den Leuten unter den Nägeln brennt. Selbst gestan­dene DemokratInnen unterstützten dieses Re­ferendum, um ihren Unmut zu äußern. Viele Steuerzah­lerInnen sind einfach erbittert darüber, daß Neuankömmlinge von dem System zu profitieren scheinen, für das sie selbst immer nur zahlen, aber kaum etwas her­auskriegen. So sind die öffentlichen Schulen in einem derartig katastrophalen Zustand, daß Eltern, die sich dies leisten können, ihre Kin­der auf private Einrich­tungen schicken. Das verringert freilich nicht die Steuern, die für öffentliche Ein­richtungen gezahlt werden müssen. Gou­verneur Wilson machte sich dieses Manko in seinem Wahlkampf zunutze, indem er einfach folgendes be­hauptete: Werfe man die ganzen “illegalen” Kinder aus den öffentlichen Schulen, gäbe es genügend Geld, um je­dem verbleibenden Kind einen Computer zur Verfügung zu stellen: eine in­fame, unhaltbare Idee, die bei den Wähler­Innen aber trotzdem sehr gut ankam.
Latinos/as als Sündenböcke
Ein Abbau dieser tiefverwurzelten Vorur­teile – “Kalifornien geht es nur des­wegen jetzt so schlecht, weil seit Ewig­keiten diese Immigranten aus dem Süden kom­men und das amerikanische Gesund­heits- und Sozialsystem ausnutzen” – könnte von Seiten der Latinos/as mit sinn­voller Öf­fentlichkeitsarbeit erreicht wer­den. Diese müßte versuchen, mit Fakten die beste­henden Vorurteile aus der Welt zu schaf­fen. Vorsichtigen Schätzungen zufolge halten sich in Kalifornien 1,5 Millionen ausweislose ImmigrantInnen auf. Umbe­kannt ist aber, wie hoch der Anteil der verschiedenen Ethnien liegt. Denn neben den Latinos/as, die in erster Linie aus Mexiko, Guatemala, El Salvador und Nicaragua kommen, gibt es viele asiati­sche EinwanderInnen und eine Gruppe, von der man wegen ihres as­similierten Äußeren kaum spricht: KanadierInnen.
Immer wieder kommt die erhitzte und emotionale Debatte darauf, wie viele la­teinamerikanische Frauen in die USA kä­men, nur um Kinder zu bekommen und völlig umsonst Schwanger­schaftsversorgung einzustreichen. Diese Kinder wären immerhin qua Geburt US-AmerikanerInnen. Es ge­nügt offenbar, daß es diese Fälle gibt und daß die durch­schnittlichen US-AmerikanerInnen sich durch sie bedroht und ausgenutzt fühlt. Unge­achtet dessen hat ein Großteil der gut bis sehr gut Verdienenden keine Skrupel, solch illegale Arbeitskräfte weiterhin in ihren Haushalten, Gärten und Betrieben zu beschäftigen – ohne Papiere, ohne Steu­ern, ohne Abgaben.
Unterstützung erhielt das Proposal 187 aber auch aus dem sogenannten Ghetto. Argu­mente, daß die Jobs, die die Lati­nos/as annehmen, ansonsten sowieso kei­ner will, treffen für Stadtteile wie South-Central in Los Angeles nicht zu. In diesem wahr­scheinlich ärmsten Slum von Los Angeles, der im April vor zwei Jahren durch die riots zu trauriger Berühmtheit gelangte und seither von Weißen gemieden wird wie die Pest, hat eine Menge Afro-Ameri­kanerInnen für das Re­ferendum 187 gestimmt. Denn hier, wo jeder Job rar ist, glauben die Leute, daß die ImmigrantInnen bevor­zugt werden. Man nimmt auch an, daß mindestens die Hälfte der legalen Lati­nos/as für die Ver­abschiedung des um­strittenen Refe­rendums gestimmt haben. Ihre Argumen­tation beinhaltet eine ge­wisse Logik: Wenn sie sich den Schikanen der INS un­terworfen haben und jetzt brav ihre Abga­ben zahlen, warum sollen die anderen Neuankömmlinge – wenn sie wirklich in den USA bleiben wollen – sich nicht dem gleichen Procedere aussetzen?
Viele linke Intellektuelle sehen die Ein­wanderInnen aus dem Süden hingegen als eine neue, starke, unternehmerische Kraft, die eventuell Kalifornien die wirtschaftli­che Erneuerung bringen könnte, die sich der Bundesstaat so dringend herbeisehnt. Kalifornien ist seit Anfang der neunziger Jahre durch die tiefste Rezession seit den Tagen der Großen Depression in den dreißiger Jahren gegangen. Stichpunkte dazu sind der Zu­sammenbruch der Rüstungsin­dustrie und die Schließung der Aerospace-Werke, bei der Hunderttau­sende ihren Job verloren und die eine Massenflucht von kleinen Unternehmern und Angestellten nach sich zog. Zur Zeit ziehen mehr Men­schen aus dem Bundes­staat Kalifornien weg als sich neue ansie­deln.
Aus der politischen Verschla­fenheit erwachen
Offen bleibt die Frage, ob der Antrag überhaupt verfassungsrechtlich in Ord­nung ist. Vor der Einführung des Propo­sals 187 ver­sprechen sowohl GegnerInnen wie BefürworterInnen dieses Antrages, bis vor das Oberste Ver­fassungsgericht zu gehen. Der sprin­gende Punkt ist, daß die Formulierung des Referendums von “illegalen Personen” ausgeht. GegnerIn­nen argumentieren mit den grundlegenden Menschenrechten, nach denen es keine “illegalen” menschlichen Individuen geben kann. Ein ähnlich for­mulierter Gesetzesamtrag wurde in Texas unlängst als nicht verfassungsmäßig ab­gelehnt. Insofern ist für die GegnerInnen noch nicht aller Tage Abend.
Trotzdem machte sich am Tag nach den Wahlen erst einmal eine gewisse Fas­sungslosigkeit breit. Latinos/as in Kalifor­nien, ob nun legal oder illegal im Lande, verspüren die Notwendigkeit, sich zu or­ganisieren. Selbst für diese wichtigen Wahlen waren die Latinos/as nur schwer zu motivieren. Die spanischsprachige Ta­geszeitung ‘La Opinion’ geht zwar davon aus, daß 1,75 Millionen lateinamerika­stämmige Menschen sich für die Wahlen registrieren ließen, aber höchstens 900.000 auch an den Wahlen teilnahmen. Trotzdem ist dies ein 50prozentiger Zu­wachs an registrierten Wählerstimmen ge­genüber den Wahlen von 1990. Die hef­tigsten Proteste, sowohl vor als auch nach der Wahl, gingen und gehen von den SchülerInnen aus. Und deren explosive Sprengkraft wird von Seiten der Behörden ziemlich gefürchtet, da man Ausschrei­tungen wie im April 1992 verhindern will. Bislang verliefen alle Proteste nach der Wahl friedfertig, einzig in Mexiko wurde ein ‘Mc Donalds’ als Symbol des Yankee-Imperialismus auseinandergenommen.
Es gibt in Los Angeles viele kleinere NGOs, die mit Hilfsbedürftigen aus be­stimmten Ländern zusammenarbeiten. Unterschiedliche politische Hintergründe, geformt durch die Bedingungen in den jeweiligen Herkunftsländern, machen eine Zusammenarbeit der verschiedenen Orga­nisationen aber oft sehr schwierig. Daß diese Haltung aber auch in Krisenzeiten wie in der heißesten Wahlkampfzeit mit der vehementen Po­lemik für das Referen­dum 187, nicht aufgege­ben wird und die spanischsprachige Co­munidad nicht etwas enger zusammen­rückt, ist äußerst schade.
Business as usual
Sowohl bei der Gesundheitsversorgung als auch in den Schulen herrschte am Mitt­woch, dem 9. November, einen Tag nach den Wahlen, business as usual. Fehlende Instruktionen einerseits, andererseits aber auch der Unwillen insbesondere des Ge­sundheitspersonals, sich nunmehr als Spitzel der INS zu betätigen, werden wohl auf kurze Sicht nicht dazu führen, daß das Referendum 187 wirklich eingesetzt und seine Vorschriften befolgt werden. Aber die Angst vor möglicher Denunzierung geht um, und die Verunsicherung ist groß.
Am zweiten Tag nach den Wahlen zeich­nete sich auf bundesstaatlicher Ebene eine multiethnische Kampagne des zivilen Un­gehorsams ab, die die Einführung von “187” um jeden Preis verhindern will. Die erste Aktion dieser Allianz aus asiati­schen, afroamerikanischen und lateiname­rikanischen Gruppen, die sich “Ge­rech­tig­keit für alle” nennt, war das Verteilen von Informationsheften, die zum Engagement für die Bewegung aufrufen. Diese Bewe­gung will die Latinos/as aus deren politi­scher Verschlafenheit erwecken. Voller Selbstkritik beschreiben Re­präsentantInnen aus dem Gewerkschafts- und Arbeitnehmerbereich die Latino-Ge­mein­de in den letzten Jahren als “schlafenden Giganten”.
Trotzdem ist Kalifornien über Nacht, wie die liberale Tageszeitung ‘Los Angeles Times’ schreibt, nicht mehr das “Land al­ler Möglichkeiten”, ist weniger “Schmelz­tiegel”, sondern mehr “wir” und “ihr” ge­worden.

Verraten und verkauft

Am 6. November versuchten etwa 100 der in Guantánamo internierten KubanerInnen die Flucht Richtung Heimat. Sie überwan­den den doppelten Stacheldrahtverhau, von dem alle Camps umgeben sind, und sprangen von den nahen Klippen ins Meer. 39 gelang es, schwimmend kubani­sches Hoheitsgebiet zu erreichen, die an­deren wurden von den Wachposten wieder eingefangen. Ob sie anschließend abge­straft, in die berüchtigten “Gefängnisse im Gefängnis” gesteckt wurden, ist nicht be­kannt. Bereits eine Woche zuvor waren 21 KubanerInnen aus der “Howard Base” in der Panamakanalzone entwichen, wo in vier Lagern ebenfalls Tausende Flücht­linge interniert sind.
Nimmt man die wiederholten Hunger­streiks von “Balseros” hinzu, ergibt sich ein Bild, das die Nachrichtenagenturen mit “wachsende Unzufriedenheit mit der Lage in den Camps” beschreiben. Die Diagnose stimmt – und doch ist die Situa­tion weit verwickelter. Schon die beiden äußerlich so ähnlichen Fluchtversuche las­sen sich keineswegs miteinander verglei­chen. Aber gehen wir etappenweise vor.
Handschellen für HaitianerInnen?
Verweilen wir zunächst noch bei den “längstgedienten” Lagerinsassen in Guantánamo: den haitianischen Boat Peo­ple, von deren Schicksal die internationale Öffentlichkeit spätestens nach der An­kunft der kubanischen Flüchtlinge kaum noch Notiz nahm. Ihre Zahl, die zeitweilig über 20.000 lag und in der Woche vor der Rückkehr von Präsident Aristide nach Port-au-Prince noch 11.700 betrug, ist mittlerweile auf unter 6.000 gesunken. State Department und Lagerbehörden er­klären übereinstimmend, die Rückführung der HaitianerInnen in die Heimat erfolge ausschließlich freiwillig.
Im scharfen Gegensatz dazu stehen Aus­sagen von Flüchtlingen selbst, denen zu­folge die US-Militärs gedroht haben sol­len, jedem Handschellen anzulegen, der nicht von sich aus an Bord der Rück­kehrer-Schiffe gehen wollte. Auch wenn ich diese Berichte bei einem Besuch vor Ort nicht überprüfen konnte: Für mich be­steht kein Zweifel daran, daß zumindest ein Teil der haitianischen Boat People lie­ber noch eine Zeitlang in Guantánamo bleiben würde, als sofort in die Heimat zu­rückzukehren, wo auf sie eine ungewisse Zukunft wartet.
Gleichbehandlung angestrebt
Von haitianischen Exilgruppen war in den letzten Monaten wiederholt der Verdacht geäußert worden, die Flüchtlinge aus Haiti müßten unter schlechteren materiellen Bedingungen leben als die KubanerInnen. Dafür konnte ich keinen Beleg finden, im Gegenteil: Die Zelte der HaitianerInnen stehen “privilegiert” auf dem Beton des McCalla-Flugfeldes, die der Kubaner­Innen auf (nicht weniger ödem) planier­tem Boden, der von Steinen übersät ist. Dort schwebt aber ständig eine riesige rötliche Staubwolke über den Lagern, die die ohnehin prekären hygienischen Bedin­gungen zusätzlich verschlimmert und zu zahlreichen Erkrankungen der oberen Atemwege geführt hat, wie Ärzte unter den “Balseros” berichten.
Zumindest die oberen Chargen in der Mi­litärhierarchie der Basis achten meinen Beobachtungen nach streng auf die Gleichbehandlung von HaitianerInnenn und KubanerInnenn. So ist die Verpfle­gung für beide Flüchtlingsgruppen gleich gut bzw. gleich schlecht (zumeist Fer­tignahrung aus Armeebeständen oder “Humanitärer Hilfe”, zumindest für die mehreren hundert Kleinkinder ungenießbar). Eintreffende Spenden werden pro­portional aufgeteilt. Davon profitieren wiederum eher die HaitianerInnen, da die (vermögende) kubanische Exilgemeinde in den USA größere Mittel für ihre inter­nierten Landsleute aufbringen kann als die (ungleich ärmere) haitianische.
Und damit zu den KubanerInnenn in Guantánamo. (Da ich mich strikt auf das beschränken will, was ich selbst gesehen bzw. gehört habe, lasse ich Panama bei­seite. Ich gehe allerdings davon aus, daß dort prinzipiell die gleichen Probleme herrschen dürften.)
Heimkehrwillige diskriminiert
Zunächst ist eine strikte Unterscheidung nötig zwischen dem Camp “November 2” einerseits und den übrigen 19 Lagern an­dererseits. In “November 2” waren Mitte Oktober 647 Flüchtlinge untergebracht, (647 von 26.471, um die Größenordnun­gen im Auge zu behalten) und zwar Män­ner, die explizit den Wunsch geäußert hatten, zu ihren Familien nach Kuba zu­rückzukehren. Ihre Diskriminierung durch die Behörden der Basis war nicht zu über­sehen. Nur um ihr Lager marschierten die Wachposten mit der MPi auf dem Rücken (überall sonst praktisch unbewaffnet) und nur hier waren bis zum Zeitpunkt meines Be­suchs weder feste Waschplätze noch Du­schen noch Telefonapparate für R-Ge­spräche in die USA installiert worden.
Die Verantwortung dafür, daß den Insas­sen von “November 2” die Heimkehr ver­wehrt wird, liegt eindeutig nicht auf Seiten der kubanischen Regierung. Sie hat allen Flüchtlingen die Rückkehr in die Heimat und sogar ihren alten Arbeitsplatz ange­boten. Mag man an letzterem auch seine Zweifel hegen: Schon allein der Sinn der Führung in Havanna für propagandistische Effekte scheint Bürgschaft genug, um jede Gefahr der Heimkehrer für Leib und Le­ben auszuschließen.
Die Chancen der Bewohner von “November 2” auf baldige Heimkehr er­hielten jedoch mit einem Gerichtsurteil vom 31. Oktober einen Dämpfer. Bundes­richter Clyde Atkins aus Miami stellte sich hinter den Antrag einer Gruppe von Anwälten um Xavier Suarez, Ex-Oberbür­germeister von Miami, um jede Rück­führung von “Balseros” nach Kuba zu verbieten. Begründung: Es könne nicht ausgeschlos­sen werden, daß die Flücht­linge zu diesem Schritt genötigt würden, was den Men­schenrechten widerspräche. (Verschiedene Indizien weisen darauf hin, daß der ein­gangs geschilderte Flucht­versuch von “November 2” ausging und eine Reaktion auf genau dieses Urteil darstellte.)
Schatten des Gipfels
Das Rückführungsverbot wurde wenig später wieder aufgehoben, ohne daß den Insassen von “November 2” eine Frist für die – wie ich bezeugen kann: von ihnen aus freien Stücken angestrebte – Heimkehr gesetzt wurde. Der Grund dafür, daß Washington sich querstellt, dürfte im be­vorstehenden “Amerika-Gipfel” zu suchen sein, zu dem Kuba als einziges Land des Kontinents nicht eingeladen wurde. Viel­mehr soll die Insel dort wegen ihrer Men­schenrechtspolitik an den Pranger gestellt werden. Herausragendes Beweisstück der Anklage: die Massenflucht vom Au­gust/September. Was könnte da den USA ungelegener kommen als die Zeugenaus­sagen ehemaliger Bootsflüchtlinge, die sich über ihre Erlebnisse unter dem Sternen­banner beschweren und gar die Rückkehr ins “Gefängnis Kuba” den spärlichen Seg­nungen der “freien Welt” in Guantánamo vorziehen?
Völlig anders als in “November 2” ist die Stimmung in den übrigen Camps. Dort ist die Bereitschaft, nach Kuba zurückzukeh­ren, gleich Null. Die Euphorische Hoff­nung, vielleicht schon morgen zu den Ver­wandten nach Miami zu gelangen, wech­selt mit tiefer Verzweiflung über die als Haft empfundene Internierung in diesem (Originalton) “Konzentrationslager”. Die “Balseros” weigern sich zu begreifen, daß sie plötzlich in den USA nicht mehr will­kommen sein sollen, nachdem doch jahr­zehntelang jeder Castro-Gegner mit offe­nen Armen aufgenommen wurde.
Kaum jemand ist bereit oder fähig, sich in die Logik der US-amerikanischen Migra­tionspolitik hineinzudenken. Die Flücht­linge fühlen sich verraten und verkauft. Sie wollen nicht wahrhaben, daß sie nicht nur von der kubanischen Regierung, son­dern selbstverständlich auch von den USA als Schachfiguren in einem größer ange­legten Spiel mißbraucht werden.
Nur Einreise wäre eine Lösung
Clintons Angebot, die Flüchtlinge sollten von Havanna aus einen Antrag auf ein Einreisevisum für die USA stellen, stößt hier auf taube Ohren. Schon die Verle­gung nach Panama, wo die Lebensbedin­gungen dem Vernehmen nach besser sein sollen als in Guantánamo, lehnen die mei­sten strikt ab. Nur die Einreise in die USA wird von den “Balseros” als Lösung ak­zeptiert. Auch ihre einhellige, durch wie­derholte Hungerstreiks untermauerte For­derung, als politische und nicht etwa als Wirtschaftsflüchtlinge anerkannt zu wer­den, zielt in diese Richtung.
Überraschende Hilfe hat diese (gegenüber den Bewohnern von “November 2” unver­gleichlich größere) Gruppe von Balseros vom bereits genannten Richter Atkins er­halten. Er stellte im erwähnten Urteil die Behauptung auf, Guantánamo sei souver­änes Gebiet der USA, auf dem US-ameri­kanische Gesetze gälten. Nun ist diese These zwar völkerrechtlich unhaltbar und widerspricht auch Artikel 3 des von den USA erzwungenen “Pachtvertrages” für Guantánamo aus dem Jahre 1903. Doch ehe ein Gericht in nächster Instanz genau dies feststellt, hat sich auch Washington an das Urteil zu halten. Daraus aber erge­ben sich unabsehbare Konsequenzen.
Wäre die Flottenbasis tatsächlich US-Ge­biet, träten sofort verschiedene Gesetze zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Flüchtlinge in Kraft. Um beim primitiv­sten zu beginnen: Sie hätten dann An­spruch auf anwaltliche Betreuung, wo­durch sie endlich stabilen Kontakt zur ein­flußreichen kubanischen Exilgemeinde und deren Organisationen erhielten und weit effektiver als “pressure group” einge­setzt werden könnten. Zweitens dürften sie nur eine begrenzte Zeit festgehalten werden und müßten danach freigelassen werden – in die USA, versteht sich.
Doch Anspruch auf Asyl?
Drittens könnten die “Balseros” politi­sches Asyl beantragen, wenn sie mit Guantánamo bereits US-Territorium er­reicht hätten. Damit ließe sich ihre Ein­reise nur noch minimal verzögern, aber nicht mehr aufhalten. Und viertens träte der “Cuban Adjustment Act” von 1967 in Kraft. Dieses Gesetz aus dem Kalten Krieg stuft alle KubanerInnen, welche die USA erreichen, automatisch als politische Flüchtlinge ein und verschafft ihnen inner­halb kürzester Zeit Aufenthalts- und Ar­beitsgenehmigungen, ja sogar die Staatsbür­gerschaft.
Daß Atkins’ Entscheidung auch den recht­lichen Status der haitianischen Flüchtlinge grundlegend verbessern würde, sei hier nur am Rande bemerkt. Schon was die KubanerInnen betrifft, stellt jede der ge­nannten Optionen für Washington ein Horrorszenarium dar. Die Regierung will aus innenpolitischen Zwängen heraus un­bedingt vermeiden, der generalisierten Angst vor einer unkontrollierten Einwan­derung neue Nahrung zu geben. (Das Anti-Einwanderungs-Referendum in Kali­fornien am 6. November zeigt, welche Sprengkraft in dieser Frage steckt.) Und außenpolitisch hat sie kein Interesse daran, abermals Zehntausende unzufrie­dene KubanerInnen zur selbstmörderi­schen Flucht gen Norden zu ermutigen – Regimegegner, die sie viel lieber als poli­tische Manövriermasse gegen Fidel Castro auf der Insel selbst einsetzen würde.
Wie also wird die US-Regierung auf die Herausforderung durch Richter Atkins re­gieren? Und viel dringlicher als dieser “sportliche” Wettstreit: Wann wird das menschliche Leiden der Internierten ein Ende haben? Das Schicksal der von (fast) allen Seiten (fast) beliebig zu instrumen­talisierenden “Balseros” in Guantánamo ist eine Zeitbombe, die größere Aufmerk­samkeit verdient – gerade im Vorfeld des Dezember-Gipfels in Miami.

Grenzenlose Zukunft -begrenzte Inhalte

Die Entdeckung des spanischsprachigen Publikums

Die Show ist das Zugpferd von Univision. 24 Stunden täglich sendet das Fernsehnetz, das sich selbst als “Vision Lateinamerikas” beschreibt -nach eigenen An-gaben erreicht es 90 Prozent aller Latino/a-TV-Haushalte von Chicago bis E1 Paso, von Miami bis Los Angeles. Die große Konkurrentin Telemundo hat mittlerweile eine ähnlich hohe technische Reichweite. Galavisión, die dritte im Bunde, konzentriert sich vor allem auf Latinos/as an der Westküste, die ihren Ursprung in Mexiko oder Zentralamerika haben. Alle drei stehen im Wettbewerb um die Gunst einer Zielgruppe, die erst vor einigen Jahren als solche entdeckt wurde und seither von einem kommerziellen Medienangebot geradezu über-schwemmt wird. “Effektive Strategien für den hispanischen Markt”, “die Entdeckung des hispanischen Zuschauers”-Artikel, Broschüren, Bücher mit solchen Titeln gehören mittlerweile zur Grundlagenlektüre jeder US-Werbeagentur.
Als Kommunikationswiese ethnischer Enklaven haben spanischsprachige Medien in den USA, wie viele andere fremdsprachige ImmigrantInnenmedien, eine lange Historie. Hier ein Blättchen, dort ein Blättchen, ein Kommen und Gehen. Als überlebensfähig hatten sich nur einige wenige Zeitungen erwiesen (siehe Kasten). Mit der Entdeckung der Latinos/as als Zielgruppe der Werbeindustrie begann jedoch eine ganz neue Geschichte: Der Boom der kommerziellen spanischsprachigen Medien in den USA. in den 70er und vor allem in den 80er Jahren schossen spanischsprachige Hörfunkstationen wie Pilze aus dem Boden, in immer mehr Regionen wurden Femsehprogramme auf spanisch über neue UHF-Stationen ausgestrahlt oder in Kabelsysteme eingespeist. Seit 1988 streiten sich zwei, seit 1990 drei Fernsehnetze um den Werbegelderkuchen.

Aufgewärmtes aus Mexiko und frisches Selbstgemachtes

Auch wenn Univisión, Telemundo und Galavisión immer wieder versuchen, sich voneinander abzugrenzen und sich ein unverwechselbares Image aufzubauen, kochen alle drei mit demselben Wasser. Das alltägliche Menü aus Werbeblöcken wird marktgerecht mit importierten Telenovelas, Komödien und Spielfilmen zusammengebracht und zur Not in den Nachtstunden als Resteesssen einfach noch einmal aufgewärmt. Ein Großteil dieser Sendungen stammt aus den Töpfen des mexikanischen Medienriesen Televisa, der einen Anteil von 25 Prozent an Univisión hält und Galavisión selbst zum Strahlen erweckt hat. Das Programm trifft aber nicht unbedingt den Geschmack aller Latinos/as in den USA. Vor allem jüngere schauen lieber den Musikkanal MTV oder Spielfilme auf einem der zahlreichen englischsprachigen Kanäle (manche von ihnen fallen schon von vornherein heraus: sie sprechen drei Generationen nach der Immigration schlecht oder überhaupt kein Spanisch mehr). So wollen sich die Fernehnetze seit einigen Jahren nicht mehr allein auf Programmimporte -vor allem aus Mexiko -verlassen, sondern vergleichsweise kostenintensiv in den USA selbst zu produzieren. Riesige Studio-Areale sind in den letzten Jahren in Miarni entstanden, wo sowohl Univisión als auch Telemundo produzieren. Anfangs waren es nur die nationalen Nachrichten, die von Florida aus in die spanischsprachigen Haushalte der USA verbreitet wurden. Sie sind sauber recherchiert und mit Berichten eigener KorrespondentInnen in Lateinamerika und dem “Rest der Welt” gefüttert. Telemundo kooperiert mit dem englischsprachigen Nachrichtensender CNN. Univisións “Sábado Gigante” wird seit nunmehr sechs Jahren in Miami produziert, genauso wie die erst wenige Jahre laufende “Christina”, eine täglich ausgestrahlte, außerordentlich erfolgreiche Diskussionssendung über Themen wie “zweisprachige Erziehung”, “Diskriminierung am Arbeitsplatz”, “Fit ins Alter” oder “rnachismo”. Sogar die erste jemals in den USA produzierte spanischsprachige Komödie “Corte Tropical” ist in den Studios in Florida entstanden. Ort der banalen Komödie ist ein Friseursalon, in dem sich die Wege von Latinos/as verschiedenster Generationen und Herkunft kreuzen: Mexikano-Amerikaneruinen, Kubano-Amerikanerinnen, Puerto-Ricanerinnen oder Immigrantinnen aus Zentralamerika.

Die normative Kraft des Kommerziellen

Mittlerweile leben über 17 Millionen Menschen in den USA, die vorzugsweise in Spanisch kommunizieren -und ihre Zahl steigt durch Immigration kontinuierlich. Weitere 5 Millionen Latinos/as beherrschen das Spanische zumindest passiv
-ein riesiger Markt für nationale und werbefinanzierte Programme. Wurden vor wenigen Jahren englische Werbespots spanisch synchronisiert, gibt es heute Spots, die exklusiv für die Zielgruppe der US-Latinos/as konzipiert und produziert werden. Spanischsprachiges Fernsehen in den USA ist vor aliem ein Geschäft -zudem eines mit rosigen Zukunftsaussichten. “Money makes the world go round.” Dieses Lied wird in den englischsprachigen Chefetagen der spanischsprachigen Fernsehnetze gerne gesungen. Besonders dann, wenn Latino/a-LobbyistInnen fordern, die Inhalte und Botschaften der Programme mehr an der sozialen und politischen Ausgrenzung vieler lateinamerikanischer ImmigrantInnen auszurichten. Cubano, Mexicano or whan
Doch politisch-emanzipatorische Programme für Latinos/as sind Mangelware; von den Programmchefs der Fernsehnetze ist oft zu hören, daß es Versuche gegeben habe, Dokumentationen und Diskussionssendungen ins Programm aufzunehmen. Massenhaft hätten die ZuschauerInnen zu Hause daraufhin das Programm mittels Fernbedienung ins elektronische Jenseits befördert.

Kein Minderheitenmedium

Die halbstündigen lokalen Nachrichten konzentrieren sich auf das Neueste aus den barrios in den Latino/a-Metropolen. Wenn überhaupt, dann sind sie es, die durch ihre engagierte, mitunter auch sozialkritische Haltung in die Schublade passen, in die spanischsprachiges Fernsehen in den USA von vielen immer noch gesteckt wird: Minderheitenmedium. Das hat Konsequenzen. Von KritikerInnen aus Latino/a-Kreisen wird ihm immer wieder vorgeworfen, es käme seiner eigentlichen Funktion, Anwalt für ImmigrantInnen zu sein, nicht nach. Andere wiederum, vorzugsweise WissenschaftlerInnen, sehen es als Orientierungsforurn für Neuankömmlinge in den USA. Sie nennen es in einem Atemzug mit deutschen oder russischen EinwanderInnenzeitungen des 19. Jahrhunderts und warten nur darauf, den Grabgesang auf ein weiteres fremdsprachiges Medium in den USA anzustimmen.
Doch spanischsprachiges Fernsehen in den USA ist kein Minderheitenrnedium. Ein Zielpublikum von 17 Millionen ist in einer Medienwelt, die sich in immer kleinere’ Zielgruppen segmentiert, keine Minderheit. Im Gegenteil. Viel wahrscheinlicher ist eine weitere Segmentierung des spanischsprachigen Fernsehmarktes. So wie im Fall von MTV Latino, der seit kurzem verfügbaren Version von MTV auf Spanisch. Sie wird auch in US-amerikanische Kabelnetze eingespeist.

Elektronischer Schmelztiegel ?

Egal, ob Fernsehen, Hörfunk oder Printmedium, vom Image eines kämpferischen Minderheitenrnediums haben sich die kommerziellen, spanischsprachigen Me-dien schon lange verabschiedet. So richtet sich die Kritik einiger Latinos/as im-mer mehr auf die Bilder, die das Fernsehen in den Köpfen ihrer ZuschauerInnen produziere. Earl Shorris, Biograph der Latinos/as in den USA, drückt das Mißfallen vieler aus, wenn er schreibt, spanischsprachiges Fernsehen sei ein “elektronischer melting pot, in dem Wörter, Bräuche, Gesten und Geschichten verschwinden”. Spanischsprachiges Fernsehen ist eines der wenigen Bindeglieder zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen, die unter dem Dach der “Superethnie” Latinos versammelt sind. Entsprechend hoch wird von manchen Beteiligten die potentielle Wirkung der Fernsehbilder auf das Selbstbild der US- Latinos/as eingeschätzt. Seit einigen Jahren diskutieren in-tellektuelle Latino/a-Zirkel, was der idealtypische Latino oder “die” Latina sei. Für viele Latinos/as stellt sich diese Frage nicht. Ihr Selbstbild kommt direkt aus dem Bauch und ist in den meisten Fällen in ihren Nationalfarben gezeichnet. “Mexicano”, “Cubano”, “Salvadoreno” sind die Antworten auf die Frage nach der ethnischen Identität. “Yo soy Latino -Ich bin Latino/a” ist eine eher selten verbreitete Selbsteinschätzung. Die Zielgruppe spanischsprachigen Fernsehens in den USA jedoch sind Latinos/as -anders als die lokal oder regional kommunizierenden Hörfunkstationen oder Tageszeitungen, flimmert über drei Zeitzonen und alle Ethnien und Nationalgefühle hinweg dasselbe Programm. Telenovelas, Nachrichten und in den USA produzierte Programme wie “Christina” oder “Sábado Gigante” sollen Mexikano-Amerikanerinnen vom Südwesten der USA gleichermaßen anziehen wie die große kubanische Gemeinde in Florida oder die karibische in New York. Manche glauben, daß in den USA eine Chance vertan wird, den typischen Latino oder “die” Latina nicht nur als Nachfahren spanischer Eroberer zu zeichnen.
Denn die täglichen Sendungen ignorieren die Existenz indianischer oder afrokaribischer Geschichte. Es blondelt und blauäugelt unproportional viel im spanischsprachigen Fernsehen. Das Phänomen des elektronischen Rassismus allerdings ist lateinamerikanische Tradition und nicht erst unter den Latinos/as in den USA kreiert worden.

Exporte nach Lateinamerika -Ziel Nummer eins

Damit sich die Investitionen für die in den USA produzierten Programme wieder amortisieren, greifen die spanischsprachigen US-Networks zu dem, was im Mediengeschäft ohnehin schon länger Standard ist: Sie exportieren Programme, die ursprünglich für den Latino/a-Markt der USA produziert wurden, nach Lateinamerika. So strahlt Don Francisco mittlerweile auf nahezu allen Bildröhren Lateinamerikas (über Don Franciscos Einfluß in Chile auch der Artikel “Mit anderen Augen gesehen” in diesem Heft), “Christina” hat sich auch zu einem Exportschlager Univisions entwickelt.
Mauricio Gerson, Programmchef bei Telemundo, nennt die Ausbreitung des Fernsehnetzes nach Lateinamerika das “wichtigste Ziel für die kommenden Jahre, es wird über unsere Zukunft entscheiden”. So soll der Verkauf spanischsprachiger Fernsehprogramme von den USA nach Lateinamerika das dringend benötigte Geld beschaffen, um weiterhin zu Hause -in den USA -teure, spanischsprachige Programme zu produzieren. Das alles, um nicht zu abhängig von aus Lateinamerika importierten Billigproduktionen zu werden. Medien kennen keine Grenzen mehr. Seit spanischsprachiges Fernsehen die Aufmerksamkeit der Werbeindustrie geweckt hat und selbst ausschließlich den Gesetzen der Profitmaximierung verpflichtet ist, ist es als Werbeträger zu einem wichtigen Bestandteil der globalen Konsumanimation geworden.Der Latino/a-Medienmarkt in den USA mausert sich mehr und mehr zum Experimentierfeld multinationaler Konzerne.

Wie in einem gigantischen Versuchslabor wird hier getestet, wie der lateinamerikanische Konsummarkt optimal animiert werden kann.Der Gedanke ist so simpel wie fragwürdig: Was von der multikulturellen Latino/a-Gemeinde in den USA angenommen werde, werde sich auch auf dem ebenso multikulturellen lateinamerikanischen Markt durchsetzen. Den spanischsprachigen Fernsehproduktionen käme dabei zugute, was für einige das Erfolgsrezept US-amerikanischer Medienindustrie überhaupt ist: Fernsehprogramme für ein kulturell, ethnisch und regional sehr unterschiedliches Publikum in den USA entwickeln zu müssen.
Doch nach diesem Rezept wird heute in allen Produktionsküchen von weltweit agierenden ProgrammanbieterInnen gekocht. Televisa in Mexiko, Radio Carácas in Venezuela oder Rede Globo in Brasilien sind Beispiele in Lateinamerika, die schon lange nicht mehr nur für ein nationales Publikum planen und produzieren. Don Francisco ist’s ohnehin egal, für wen er nächsten Samstag arbeitet -Hauptsache, die Einschaltquote stimmt.

“Stop NAFTA – Now!!!”

Im Dezember letzten Jahres war in den drei nordamerikanischen Hauptstädten Washington, Ottawa und Mexiko City das eigentliche NAFTA-Abkommen von den jeweiligen Regierungschefs separat unterzeichnet worden. Es wird bereits von einigen Experten zu den wichtigsten gezählt, die in diesem Jahrhundert auf dem amerikanischen Kontinent abgeschlossen worden sind.
Insbesondere Bill Clinton hatte eine abschließende Ratifizierung verhindert, indem er auf zahlreiche Zusatzabkommen drängte. Im Wahlkampf hatte er gefordert, die Sicherung der Arbeitnehmerrechte, der Umweltstandards und den Schutz vor bedrohlichen Importzunahmen für einzelne Branchen zu verbessern. Auch einflußreiche Interessengruppen und Kongreßabgeordnete hatten entsprechende Forderungen erhoben (vgl. LN 225), waren aber bei der Bush-Administration auf wenig Gegenliebe gestoßen. Auf Druck der neuen US-Regierung waren schließlich die Gespräche zwischen den Verhandlungsdelegationen Kanadas, Mexikos und der USA wieder aufgenommen worden.

Who ist who, für oder gegen NAFTA?

Zu den nachdrücklichen BefürworterInnen des Freihandelabkommens in den USA zählen die Unternehmen und Verbände einzelner Branchen. Sie erwarten Investitions- und Absatzmöglichkeiten für ihre Produkte. Darüber hinaus hat sich eine mächtige “U.S Alliance for NAFTA” gegründet, eine Koalition von mehr als 1.100 Wirtschaftsgruppen, die in der Öffentlichkeit und gegenüber Politikern das Abkommen unterstützt.
Demgegenüber sind die KritikerInnen des NAFTA der Auffassung, daß das Abkommen negative Folgen nicht nur für US-ArbeitnehmerInnen haben wird, sondern auch für die mexikanischen: Eine Informationsbroschüre beispielsweise des Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO dazu trägt den bezeichnenden Titel “Exploiting Both Sides”. Daß die Löhne in Mexiko nur etwa ein Zehntel so hoch sind wie die in den USA, ist für die Beschäftigten und die Gewerkschaften in den USA besonders bedrohlich.
Zu den NAFTA-KritikerInnen gehören viele demokratische Kongreßabgeordnete und Senatoren, KonsumentInnengruppen, Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen, Feministinnen, einige Kirchen, SozialistInnen, KommunistInnen und andere progressive Personen und Organisationen. Hunderte lokaler und regionaler Initiativen und Koalitionen fordern eine bessere vertragliche Absicherung von ökologischen und sozialen Standards. Sie befürchten, daß durch NAFTA in den USA hart erkämpfte soziale und ökologische Errungenschaften eliminiert würden.
Uneinig ist diese Anti-NAFTA-Opposition allerdings in den konkreten Forderungen. Einige lehnen das Abkommen komplett ab (wie beispielsweise Ross Perot) und fordern ein neues Abkommen, während andere Organisationen (einige Umweltverbände) lediglich graduelle Verbesserungen verlangen.
Angesichts der kritischen Stimmung in der Öffentlichkeit haben einflußreiche Abgeordnete im US-Kongreß schon frühzeitig Themen wie Umweltschutz, Gesundheitsschutz, Arbeitssicherheit, ArbeitnehmerInnenrechte und Importschutzmaßnahmen in die Verhandlungen eingebracht. Zahlreiche Organisationen und Verbände betreiben Lobby-Arbeit gegenüber Kongreß und Administration, so beispielsweise die “Alliance for Responsible Trade” und die “Citizens Trade Campaign”, in der Umwelt-, ArbeiterInnen-, FarmerInnen-, VerbraucherInnen- und andere Gruppen zusammenarbeiten). Noch immer sind viele Kongreß-Abgeordnete unentschlossen. Aber mehr als 100 demokratische Abgeordnete haben sich bereits gegen das Abkommen ausgesprochen. Für US-Präsident Clinton kommt erschwerend hinzu, daß auch innerhalb seiner Administration unterschiedliche Einstellungen zu NAFTA existieren.
Die NAFTA-BefürworterInnen gaben bislang schon einige Millionen Dollar aus, um an den Wählern vorbei die Kongreßabgeordneten direkt für eine Zustimmung zu NAFTA und den Zusatzabkommen zu “überzeugen”. Mit welch unfeinen Mitteln dabei gekämpft wird, zeigte sich unter anderem, als die angesehene Tageszeitung “New York Times” drei Sonderbeilagen zu NAFTA herausgab und kritische Anzeigen oder Artikel kritischer ExpertInnen zurückwies.
Nichtsdestotrotz wird auch die Opposition in den USA zunehmend aktiver. Die Gewerkschaften verfügen derzeit über einen Fond von vier Millionen Dollar, um gegen die Ratifizierung von NAFTA zu mobilisieren. Ross Perot und der berühmte Politikautor Pat Chaote veröffentlichten kürzlich ein Buch unter dem Titel: “Schütze Deinen Job, schütze Dein Land: Warum NAFTA gestoppt werden muß – jetzt”. Ende Juli unterzeichneten GewerkschaftsführerInnen, UmweltaktivistInnen und AnhängerInnen des gescheiterten Präsidentschaftskandidaten Perot (“Perotistas”) eine “Kriegserklärung” gegen NAFTA. Sie engagierten einen früheren Kongreßabgeordneten als “Anti-NAFTA-Zar”. Er soll die Opposition in ihren vielfältigen Aktivitäten gegenüber der Öffentlichkeit und dem Kongreß während der kommenden entscheidenden Wochen koordinieren. In über vierzig Bundesstaaten ist diese Opposition bereits organisiert. Informationsbusse (beispielsweise ausgerüstet mit Dia-Serien über Umweltskandale in Mexiko) fahren durch US-Städte und Auftritte in den Medien nehmen zu. In einer neuen Meinungsumfrage äußerten sich nur 31 Prozent der befragten US-BürgerInnen für NAFTA, während immerhin 63 Prozent glaubten, NAFTA würde Arbeitsplatzverluste nach sich ziehen. Ähnlich negativ ist die Ablehnung in der Bevölkerung Kanadas, wo 54 Prozent der Befragten NAFTA ablehnen.

Umwelt, Arbeit, Handel – Themen der Zusatzverhandlungen

Bereits im NAFTA-Text sind wirtschaftliche und soziale Eventualitäten geregelt und etliche Interessen zumindest auf dem Papier berücksichtigt worden. So hatten auf Seiten der USA große Bedenken bestanden, daß Mexiko durch NAFTA zu einer “Exportplattform” für Drittländer werden könne. Einige Klauseln im Vertrag sollen das verhindern: So müssen mindestens 62,5 Prozent der Wertschöpfung eines in die USA eingeführten Produktes originär aus Mexiko stammen.
Für die Verhandlungen über die Zusatzabkommen galten zwei Prämissen. Erstens sollte der NAFTA-Vertrag nicht angetastet werden, und zweitens wollten die Beteiligten den Vertrag inklusive Zusatzabkommen möglichst am 1.1.1994 in Kraft treten lassen. Diese sogenannten “side agreements” betreffen, wie erwähnt, die Problemfelder Umweltpolitik, Arbeitsstandards und Importzunahmen.
Im Bereich der Umweltpolitik war die Einrichtung einer “North American Commission on the Environment” (NACE) vorgesehen, die umweltpolitische Standards überwachen und ökologie-fördernde Maßnahmen durchführen soll. Umstritten waren aber die genauen Aufgaben, Kompetenzen und die Finanzierung dieser supranationalen Institution. Die Wirtschaftsverbände sind gegen jegliche Durchsetzungkompetenzen für diese supranationale Kommission. Sie bevorzugen eine stärkere Beteiligung der Öffentlichkeit, zweijährige Umweltberichte, Beratungsbeteiligung der Bürger und öffentliche Anhörungen, um Druck gegen Umweltsünder zu schaffen. Sanktionen jedoch sollen nur durch nationale Gremien möglich sein. Und während VertreterInnen der US-Administration und des Kongresses einen generellen Preisaufschlag für grenzüberschreitende Waren fordern, lehnt das die mächtige “U.S. Alliance for NAFTA” ab. Sie schlägt als Finanzierungsquelle gemäß dem Verursacherprinzip wirkende lokale Steuern und Nutzungsgebühren vor.
Auf der anderen Seite waren große US-Umweltorganisationen wie die “National Wildlife Federation”, der “Sierra Club” und die “Friends of the Earth” in öffentlichkeitswirksamen Aktionswochen und Kampagnen engagiert und stellten ihrerseits Mindestziele für das Zusatzabkommen auf. Sie forderten unter anderem eine regionale Umweltkommission mit Untersuchungsvollmachten und Vorladerecht. Doch sowohl die mexikanische als auch die kanadische Regierung standen einer unabhängigen internationalen Kommission skeptisch bis ablehnend gegenüber.
Zwar ist die Clinton-Administration für ökologische Gesichtspunkte offener als die Bush-Regierung und die “Environmental Protection Agency” hat nun mehr Einfluß als zuvor. Doch die Regierung geht davon aus, daß die Möglichkeit supranational verhängter Handelssanktionen zur Durchsetzung ökologischer Vereinbarungen den NAFTA-Text verletzen würde und dieser neu verhandelt werden müßte – was gerade vermieden werden soll.

NAFTA wird durchgehen

Um die Abgeordneten des US-Kongresses von NAFTA zu überzeugen, engagierte Clinton den früheren Direktor seiner Wahlkampfkampagne, William Daley aus Chicago. Ob sich die Kongreßabgeordneten, die sehr an den Stimmungen in ihren Wahlkreisen orientiert sind – bereits in einem Jahr sind wieder Kongreßwahlen -, davon beeinflussen lassen, ist noch nicht sicher. Die oppositionellen Kräfte reagierten überwiegend mit Ablehnung auf die beschwichtigenden Zusatzabkommen. Die meisten Gewerkschaften sind weiterhin gegen das Abkommen.
Doch die Bedeutung von NAFTA ist für die herrschenden Kreise und die meisten Kapitalfraktionen in den USA derart hoch (ökonomisch, strategisch, politisch, sozial, kulturell), daß sich die meisten Abgeordneten im Kongreß dafür “breitschlagen” lassen werden – wohl nicht, ohne dafür vom Präsidenten jeweils die eine oder andere Gefälligkeit zu erhalten.
Insgesamt läßt sich vermuten, daß NAFTA und die Zusatzabkommen noch im Herbst dieses Jahres ratifiziert werden, um am 1.1.1994 in Kraft treten zu können – wenn die Clinton-Administraton wirklich alle Register zur Beeinflussung der Kongreßabgeordneten zieht. Doch Clinton muß mit seinen Mitteln haushalten, denn schließlich will er sein Prestige-Projekt, die “große Gesundheitsreform” seiner Frau Hillary, auch noch – gegen viel Widerstand – durchsetzen. Mit NAFTA würde jedenfalls ein neues Kapitel der Konkurrenz innerhalb der “Triade” (USA, EG und Japan) aufgeschlagen.

Clintons Lateinamerikapolitik

Der Amtsantritt der Clinton-Administration und der Schichtwechsel nach Jahren unter Reagan und Bush scheint einen grundlegenden Wandel der US-amerikanischen Außenpolitik zu versprechen. Neue Persönlichkeiten sind nunmehr verantwortlich für die Diplomatie Washingtons – Persönlichkeiten, die in den letzten zwölf Jahren immer wieder grundsätzliche politische und ideologische Bedenken gegen die Außenpolitik ihrer Amtsvorgänger geäußert haben(…).
Allerdings verstellt ein Vergleich von Amtsträgern den Blick auf die grundlegende Kontinuität der Außenpolitik im Übergang von Bush zu Clinton. Die globalen Rahmenbedingungen haben sich in den letzten Jahren dramatisch gewandelt, und sowohl Bush als auch Reagan hatten sich gezwungen gesehen, ihre Politik seit den späten 80er Jahren langsam zu verändern. Im Falle Lateinamerikas nahm bereits Bush bedeutende politische Kurskorrekturen vor, und allem Anschein nach wird Clinton nicht viel mehr tun, als ein wenig an diesen grundsätzlichen Veränderungen herumzubasteln.

Der Fall Haiti: Realpolitik statt Menschenrechte

Clintons erster Sprung in die Lateinamerikapolitik – der Fall Haiti – enthüllt, wie stark er sich an die Politik seines Vorgängers anlehnt. Während des Wahlkampfes betonte Clinton seine Differenzen mit Bush, als er eine weniger restriktive Einwanderungspolitik gegenüber den verfolgten Flüchtlingen aus Haiti forderte. Aber noch vor seinem Amtsantritt brach er dieses Wahlversprechen und erklärte, daß es bei der alten Immigrationspolitik bleiben würde. Das Team von Clinton befürchtete eine Welle von Flüchtlingen, die Gegenreaktionen auslösen und damit die innenpolitischen Vorhaben der Regierung gefährden würde.
Auch die generelle Politik gegenüber den haitianischen Militärs hat sich nicht wesentlich geändert. Clinton mag zwar etwas stärker als Bush auf der Wiedereinsetzung von Jean-Bertrand Aristide als Präsidenten Haitis bestehen. Aber wie unter Bush werden die Bedingungen, unter denen Aristide zurückkehren kann, dessen Handlungsspielraum einengen, um die sozialen und politischen Reformen durchzuführen, für die er anfangs gewählt wurde. Im Interesse von “Aussöhnung” werden, wenn überhaupt, nur wenige AnhängerInnen und Mitglieder der Militärregierung für ihre barbarischen Aktivitäten gegenüber dem haitianischen Volk zur Rechenschaft gezogen werden. Die Ähnlichkeiten der Haiti-Politik beider Administrationen wurden dadurch unterstrichen, daß Clinton für eine Übergangszeit an Bernard Aronson festhielt, der von Bush als Staatssekretär für Interamerikanische Angelegenheiten eingesetzt worden war.

Entwürfe der Republikaner – Umsetzung durch Demokraten

Bush nahm zwei grundsätzliche Kurskorrekturen der Lateinamerikapolitik vor, die als Grundlage für Clintons Politik dienen. Erstens ging die Bush-Administration dazu über, Verhandlungslösungen für Bürgerkriege und Guerilla-Konflikte, besonders in Mittelamerika, zu suchen. Bush und Außenminister James Baker erkannten schon früh die Notwendigkeit für eine Politik, die über die Forderung des rechten Flügels der Republikaner hinausging, am totalen Krieg gegen linke Bewegungen und Guerillas festzuhalten. Diese Haltung wurde deutlich durch die Besetzung des zentralen Postens für die Lateinamerika-Politik mit Bernard Aronson, einem Demokraten, der der Verhandlungspolitik gegenüber Nicaragua und El Salvador vorstand.
Die zweite grundsätzliche Veränderung trat ein, als die Bush-Administration einen neuen ökonomischen Ansatz verfolgte, um die lateinamerikanischen menschlichen und materiellen Ressourcen auszubeuten. Bush propagierte leidenschaftlich das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) und verkündete die export-orientierte “Enterprise for the Americas” (Ein vager Plan zur Schaffung einer gesamtamerikanischen Freihandelszone; Anm.d.Red.), und verschob somit den Schwerpunkt der Politik von verdeckter Kriegsführung hin zu Wirtschaft und Handel.
Grundlegende Veränderungen der Lateinamerikapolitik waren schon zuvor von Republikanern vorgenommen und dann von Präsidenten der Demokraten fortgeführt worden. Franklin Roosevelts Politik der “Guten Nachbarschaft”, die die “Kanonenboot”-Diplomatie des frühen 20.Jahrhunderts beendete, wurde schon von Henry Stimson, dem Außenminister unter Präsident Herbert Hoover, eingeleitet, der eine fortgesetzte Interventionspolitik in Mittelamerika als eher schädlich erachtete.
Später, in den 60er Jahren, wurde viel Wirbel um John F. Kennedys “Alliance for Progress” gemacht und um das große Gewicht, das Kennedy auf lateinamerikanische Entwicklung legte. Aber es wurde zumeist übersehen, daß diese Politik bereits in der zweiten Amtszeit von Dwight D. Eisenhower angelegt worden war. 1958 wurde Eisenhowers Bruder Milton auf eine Informationsreise durch Lateinamerika geschickt, der nach seiner Rückkehr empfahl, der Region mehr Aufmerksamkeit und Wirtschaftshilfe zukommen zu lassen, um der politischen Unruhe entgegenzuwirken, der er dort begegnet war. Die ‘Inter-American Development Bank’ wurde aufgebaut, und Präsident Eisenhower selbst unternahm 1960 eine Lateinamerikareise. Diese Visite führte zur ‘Deklaration von Bogotá’, die grundlegenden sozialen Wandel forderte, nun auch mit dem direkteren Ziel, ein Ausbreiten der 1959 siegreichen kubanischen Revolution zu verhindern.
Die Veränderungen der Lateinamerikapolitik in der Bush-Clinton-Periode gehen aus neuen internationalen Gegebenheiten hervor. Das Ende des Kalten Krieges fiel zusammen mit der Erkenntnis, daß die revolutionären Bewegungen in Mittelamerika militärisch nicht zu besiegen sein würden. Insbesondere das negative öffentliche Echo in den USA auf die fortgesetzte Interventionspolitik ließen Verhandlungslösungen in Mittelamerika als politische Option in den Vordergrund treten. Auf wirtschaftlicher Ebene erklärt die zunehmende Konkurrenz mit Japan und der EG sowie die allgemeine Schwäche der US-Wirtschaft das verstärkte Engagement der Bush-Administration in dieser Region. Die Präsidenten zahlreicher lateinamerikanischer Länder begannen, den ökonomischen Rezepten von Reagan und Bush zu folgen, die Freihandel und die Privatisierung des öffentlichen Sektors der Wirtschaft verlangten. Um in wirtschaftlich schwieriger Situation einen neuerlichen Fluß von privaten und öffentlichen Geldern aus den USA zu erlangen, verordneten lateinamerikanische Regierungen einschneidende Sparprogramme. Die Schulen, medizinischen Einrichtungen und die soziale Infrastruktur Lateinamerikas wurde geplündert, während Hunger und Unterernährung zunahmen.

Wirtschaftspolitik im Vordergrund

Die Clinton-Regierung hat keine grundsätzliche Kritik an diesem Zeitraum der wirtschaftlichen Verwüstung Lateinamerikas geübt. Wenn überhaupt, so hat sie im Gegenteil ihre Bereitschaft erklärt, die Wirtschaftspolitik der Bush-Administration mit nur unwesentlichen Veränderungen fortzuführen. Von der immer größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich in dieser Region ist überhaupt nicht die Rede. Clinton, der sich gerne mit Kennedy vergleichen läßt, hat nichts Vergleichbares zu dessen reformistischer “Alliance for Progress” zu bieten.
Tatsache ist, daß Clintons Erklärung, er werde sich “wie ein Laser” auf die US-Wirtschaft konzentrieren, ihr Gegenstück findet in dem Versuch, Wirtschaft und Handel zum zentralen Bestandteil seiner Lateinamerikapolitik zu machen. Während der Übergangszeit vor dem Amtsantritt sprach sich herum, daß das Clinton-Team Wirtschaftsexperten suche, um die wichtigsten Posten im Bereich der Lateinamerikapolitik zu übernehmen, was ein Grund für die Wahl Richard Feinbergs als Lateinamerika-Verantwortlichen im Nationalen Sicherheitsrat ist. Obwohl Feinbergs frühere politische und wirtschaftliche Ansichten eher linksliberal waren, lehnen sich seine jüngeren Schriften eher ans Establishment an und spiegeln häufig die Bedenken von Institutionen wie dem IWF oder der Weltbank wider. Selbst das “Wall Street Journal” nahm ihn in Gnaden auf und salbte ihn als “Gemäßigten”.
Die allgemeine Auffassung in Washington ist, daß der Nationale Sicherheitsrat unter Anthony Lake eine Schlüsselstellung in der Formulierung außenpolitischer Ziele einnimmmt, während das Außenministerium unter Warren Christopher für die Umsetzung zuständig ist. Clintons Haltung, direkt in alle politischen Entscheidungsprozesse eingreifen zu wollen, wird durch diese Arbeitsteilung unterstützt, da der Nationale Sicherheitsrat im Weißen Haus ansässig ist. Lake kommt wie Feinberg vom progressiveren Flügel der Demokraten. Aber auch Lake hat in den letzten Jahren eine zunehmend gemäßigtere Haltung angenommen, und es wird nicht erwartet, daß er oder Feinberg kühne neue Positionen im Nationalen Sicherheitsrat vertreten. (…)
Die Bedeutung Lateinamerikas für Clintons gesamte Wirtschaftsstrategie wird unterstrichen durch die Anzahl von Personen, die Schlüsselpositionen in der Regierung besetzen und ghleichzeitig Mitglieder der Denkfabrik “Inter-American Dialogue” sind, die in den frühen 80er Jahren gegründet wurde. Diese Organisation entwarf zunächst eine alternative Lateinamerikapolitik, die sich deutlich von der Reagans unterschied. In den letzten Jahren allerdings entwickelte sich der “Dialogue”, mit Mitgliedern aus den USA, Kanada und zahlreichen lateinamerikanischen Ländern, immer mehr zu einem hochrangigen Forum, in dem sich politische, akademische, ökonomische und sogar militärische Eliten regelmäßig zum Gedankenaustausch zusammenfinden. Neben Christopher und Feinberg sind auch Clintons Innenminister Babbitt, Wohnungsminister Cisneros und Verkehrsminister Peña Mitglieder dieses Forums, welches nationale und internationale Persönlichkeiten zusammenbringt, um Strategien zur Stabilisierung der kapitalistischen Welt zu entwerfen.

Clintons Strategie-Papier: Wenig Neues aus der Denkfabrik

Der jüngste Bericht, der vom “Dialogue” herausgegeben wurde, “Convergence and Community: The Americas in 1993” spiegelt die Themen wider, die viele Mitglieder der Regierung am meisten beschäftigen. Er ist ähnlich bedeutsam, wenn auch weniger spektakulär als die Strategiepapiere voriger Administrationen, in denen Carter zur Formulierung einer Menschenrechtspolitik und der Neuverhandlung der Panama-Verträge aufgefordert wurde (Linowitz-Bericht 1976) oder sich Reagan gegenüber für eine aggressive Politik gegenüber revolutionären Bewegungen in Mittelamerika ausgesprochen wurde (Santa Fe-Bericht 1980). “Convergence an Community” ist ein Dokument der liberalen politischen Mitte und spiegelt als solches die zunehmend geringere Bedeutung des Gegensatzes konservativ versus progressiv in weiten Teilen der Außenpolitik wider. Seine zentralen Vorschläge unterscheiden sich nur wenig von der Poliik der Bush-Administration. Der erste Abschnitt des Berichtes ist eine volltönende Zustimmung zur NAFTA und fordert ähnliche Handelsabkommen mit anderen lateinamerikanischen Staaten, in erster Linie mit Chile.
Der zweite Abschnitt befürwortet eine “kollektive Verteidigung der Demokratie”, weicht aber nur wenig von der Politik von Baker und Bush ab. Es gibt keine Diskussion über Basisdemokratie oder die Schaffung neuer demokratischer Institutionen, durch die die verarmten und entrechteten Massen der Region in den politischen Entscheidungsprozeß einbezogen werden könnten. Wenn Militärregime die Macht ergreifen, schlägt der Bericht Verhandlungen ála Haiti vor, um die Machthaber zur Abgabe der Regierungsgewalt an Zivilisten zu bewegen. Der bericht proklamiert keinen grundsätzlichen Wandel in den traditionellen militärischen oder politischen Institutionen, die überhaupt erst zu Machtergreifungen des Militärs führen.
Der Schlußteil von “Convergence and Democracy” fordert tatsächlich eine Auseinandersetzung mit “den Problemen von Armut und Ungleichheit” in der Hemisphäre. Aber es gibt nichts Neues oder Innovatives in diesem Abschnitt. (…) Tatsächlich lesen sich die ersten Thesen dieses Teils wie ein Auszug aus neoliberalen Wirtschaftsprogrammen, insbesondere durch die Behauptung, daß fiskalische Zurückhaltung und “nicht ausufernde” Staatsausgaben Grundlage für die Bekämpfung von Armut seien.

Ökologie und Auslandshilfe: Kosmetik oder Kurswechsel?

Obwohl Clintons Lateinamerikapolitik im wesentlichen der von Bush ähneln wird, werden andererseits Veränderungen in der Herangehensweise und in der Wahl der Schwerpunkte zu beobachten sein. (…) Dies wird zum Beispiel belegt durch die Zusatzprotokolle zu ökologischen und arbeitsrechtlichen Fragen, die die Clinton-Administration zur NAFTA entwerfen will. Gewerkschaften und Umweltschutzverbände sind einfach wesentlich stärker in der Demokratischen Partei vertreten als bei den Republikanern, und Clinton kann diese Interessengruppen nicht ignorieren.
Man kann außerdem unter Clinton und Gore erwarten, daß die “Agency for International Development” (AID) ihren Schwerpunkt stärker auf “angepaßte Technologie” und “nachhaltige Landwirtschaft” legen wird. Die Berufung von Umweltschützer Timothy Wirth, einem ehemaligen Senator aus Colorado, als Leiter der neuen Abteilung für “Global Issues” im Außenministerium bedeutet, daß ökologische Fragen mehr Berücksichtigung in Entwicklungshilfeprogrammen finden werden.
Eine interessante Frage ist, ob die Regierung so weit gehen wird, den Empfehlungen des Weißbuches “Reinventing Foreign Aid” (in etwa: “Auslandshilfe neu überdacht”) zu folgen. Dieses Papier, ausgearbeitet und unterstützt von einem breiten Spektrum von Einzelpersonen des Kongresses, Washingtoner Denkfabriken und Nichtregierungsorganisationen, fordert die Abschaffung der AID und deren Ersetzung durch eine “Sustainable Development Cooperation Agency”. Dies würde das Ende vieler Hilfsprogramme alten Stils bedeuten, unter anderem für direkte Unterstützung an Regierungen zum Ausbau des Sicherheitsapparates. Stattdessen würden mehr Gelder an Basisgruppen und ökologische Landwirtschaftsprojekte fließen. Der Bericht fordert Vizepräsident Gore auf, einer Koordinationsgruppe für Entwicklungshilfe vorzustehen, die Hilfsprogramme und die damit verbundenen Organsiationen beaufsichtigen würde, die staatliche Gelder beziehen.
Ein zentrales Thema, welches Spannungen und Debatten auslösen und schon sehr bald auf der Tagesordnung stehen wird, ist, wie stark sich die Administration im ökologischen Bereich engagieren sollte. In der Lateinamerikapolitik der Regierung ist ein innerer Widerspruch angelegt zwischen umweltpolitischen Fragen und der Ausdehnung von US-Märkten und Investitionen. Selbst wenn ein relativ striktes NAFTA-Protokoll zum Umweltschutz ausgearbeitet werden sollte, bleibt zweifelhaft, wie energisch es umgesetzt wird.
In den vergangenen Jahren hat die mexikanische Regierung als Reaktion auf US-amerikanische Bedenken eine Reihe von Schutzerlässen im Bereich von Menschenrechten und Ökologie verfügt, obwohl diese häufiger gebrochen als eingehalten wurden. Aber solche Gesetze geben Basisorganisationen in Mexiko und den USA mehr Spielraum, um auf Veränderungen zu drängen. Dieselbe Dynamik des Drucks von unten wird auch während Clintons Amtszeit notwendig sein, um Versuche von multinationalen Konzernen zu vereiteln, bei ihrer Expansion nach Süden im Rahmen der Freihandelsabkommen umweltrechtliche Bestimmungen zu ignorieren.

Die Rechten verlieren an Boden

Ein weiterer Unterschied zwischen den Präsidentschaften von Bush und Clinton ist der nunmehr verringerte Einfluß der extremen Rechten. Im Falle Nicaraguas hatten es Jesse Helms und der rechte Flügel der Republikaner während des letzten Amtsjahres von Bush geschafft, die US-Hilfe zu blockieren, da sich die Regierung von Violeta Chamorro weigerte, Sandinisten aus Schlüsselpositionen des Militärs zu entfernen. Die neue politische Konstellation und der Niedergang der extremen Rechten wurde direkt nach Clintons Wahlerfolg verdeutlicht, als Bush die Mittel für Nicaragua lieber freigab, als vom Kongreß angedrohte Etatkürzungen in einigen seiner Lieblingsprojekte in Kauf zu nehmen. Die extreme Rechte in Lateinamerika fühlt sich nach der Niederlage von Bush ebenfalls verwaist. Besonders rechte Politiker in Mittelamerika kritisierten die neue Regierung sofort heftig. So erklärte ein nicaraguanischer Politiker, daß die Welt auf eine Katastrophe zusteuere, “mit diesen Schwulen, Kommunisten und Liberalen, die unter Clinton an der Macht sind.” Die Entscheidung von Präsidentin Chamorro im Januar, deutlich mit den rechteren Parteien zu brechen und einige Sandinisten ins Kabinett zu berufen, wurde dadurch erleichtert, daß die äußerste Rechte keinen Schutzherren mehr in Washington hat.
Die Drogenpolitik der USA gegenüber Lateinamerika wird sich unter Clinton ebenfalls verändern. Die Aufmerksamkeit wird nun stärker den innenpolitischen Ursachen von Drogenmißbrauch gewidmet werden, während die internationalen Drogenkartelle aus dem Rampenlicht rücken. Im Wahlkampf war der Drogenkrieg praktisch nicht existent. Bush hatte kein Inteesse daran, über seine Drogenpolitik zu debattieren, die von der Öffentlichkeit als Mißerfolg bewertet wurde, während Clinton dieses Thema als eine Ablenkung von seinem Hauptanliegen empfand, den wirtschaftlichen Schwierigkeiten der USA. Im ersten Monat seiner Amtszeit kürzte Clinton bereits die Mittel für die internationale Drogenbekämpfung. Im Unterschied zu Bush hat Clinton außerdem nicht zu erkennen gegeben, daß er die Marines gegen Drogenhändler in Lateinamerika einsetzen will.

Kein Spielraum für eine neue Kubapolitik

Den meisten politischen Sprengstoff für Clintons Administration birgt die Kubapolitik. Der “Inter-American Dialogue” betrat in seiner Schrift “Convergence and Community” Neuland mit der Forderung, die Blockade gegen Kuba zu lockern. Der Bericht plädiert für bessere Post- und Telefonverbindungen und dafür, Tourismus von US-Bürgern nach Kuba zuzulassen. Weitere Schritte zur Verbesserung der Beziehungen, so der Bericht, könnten unternommen werden, wenn Kuba ebenfalls mit ähnlichn Maßnahmen antwortet.
Allerdings schränkte Clinton selbst seinen politischen Spielraum gegenüber Kuba ein, als er im Wahlkampf in Florida um die Unterstützung der kubanischen Exilgemeinde warb. Er forderte eine härtere Gangart gegenüber Castro und erhielt finanzielle Hilfe für seine Wahlkampagne in Millionenhöhe von Jorge Más Canosa, dem Vorsitzenden der rechtsgerichteten Cuban American National Foundation (CANF). Die Spenden an Clinton mögen allerdings nur geringere Bedeutung haben, da Clinton in Florida die realtive Mehrheit verfehlte und Más Canosa zudem auch die Republikaner unterstützte.
Kuba ist ein sensibles Thema, sowohl in der Demokratischen Partei wie auch in den USA allgemein. Von daher ist es unwahrscheinlich, daß Clinton dieses Thema anschneiden wird. Der vergebliche Versuch, Mario Baeza (der als Vertereter einer Politik der Öffnung gegenüber Kuba gilt, die Red.) als Staatssekretär für Interamerikanische Angelegenheiten zu nominieren, verdeutlicht, daß Clinton kaum etwas unternehmen wird, um die jahrzehntelange Isolationspolitik gegenüber Kuba zu verändern.
Clinton hat einfach kein neues politisches Programm für Lateinamerika oder die Karibik. Die riesigen Probleme des Hungers und der Unterernährung in Lateinamerika werden wohl ignoriert werden, während die USA weiterhin den Freihandel und eine Wirtschaftspolitik kultivieren werden, von der in erster Linie die multinationalen Konzerne und die ökonomischen Eliten der Hemisphäre profitieren. Die Clinton-Administration mag sich weigern, sich der strukturellen Probleme der Hemisphaäre anzunehmen, aber die Probleme werden nicht von selbst verschwinden.
Die Rechte in den USA und Lateinamerika hat einiges von ihrer Schlagkraft verloren, und diese Entwicklung öffnet politischen und sozialen Raum für Basisbewegungen, deren Einfluß noch wachsen wird. Diese Bewegungen haben das Potential, um das neue Gerüst lateinamerikanischer Beziehungen zu erschüttern, das Bush aufgerichtet hat und Clinton offensichtlich beibehalten will.

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