LUISA TOLEDO ODER: DIE WÜRDE VON CHILE

Der 6. Juli 2021 war ein trauriger Tag für die sozialen Bewegungen in Chile. An diesem Tag erlag Luisa Toledo, Mutter der während der zivil-militärischen Diktatur unter Augusto Pinochet ermordeten Brüder Vergara Toledo, mit 82 Jahren einem Krebsleiden. Im engen Kreis verabschiedete sich ihre Familie in ihrem Haus im Arbeiter*innenviertel Villa Francia in Santiago von der „Mutter der kämpferischen Jugend“: „Mit Stolz verabschieden wir diese unermüdliche, ewige, unverzichtbare Frau. Obwohl Luisa nicht mehr unter uns ist, hat ihr Vermächtnis eine tiefe Spur in der Geschichte derer hinterlassen, die kämpfen – auch über die Grenzen dieses Gebietes namens Chile hinaus“.

Es war der 29. März 1985, der das Leben der Familie Vergara Toledo für immer veränderte. An diesem Tag wurden der 18-jährige Rafael und der 20-jährige Eduardo Vergara Toledo, Mitglieder der Bewegung der revolutionären Linken (MIR), während eines Polizeieinsatzes in Villa Francia mit mehreren Schüssen in den Rücken ermordet. Erst im Jahr 2008 verurteilte ein Gericht die drei geständigen Polizisten zu mehrjährigen Haftstrafen, zwei von ihnen wurden jedoch vorzeitig auf Bewährung entlassen. Dem an den Brüdern Vergara Toledo verübten Verbrechen wird in Chile jedes Jahr mit einem Kampf- und Gedenktag, dem „Tag des jungen Kämpfers“ gedacht.

Am 5. November 1988 dann erschütterte ein weiterer Todesfall das Leben von Toledo: Gemeinsam mit dem 26-jährigen Araceli Romo wurde ihr jüngerer Sohn Pablo Vergara Toledo nach einer angeblichen Bombenexplosion in Temuco tot aufgefunden. Obwohl mittlerweile als sicher gilt, dass es sich dabei um eine Inszenierung des Geheimdienstes CNI zur Exekution der linken Aktivisten handelte, bleibt der Fall bislang straflos.

Geprägt von diesem großen Verlust wurden Luisa Toledo und ihr Mann Manuel Vergara zu Symbolfiguren des Kampfes für Gerechtigkeit. In ihrem Viertel, der emblematischen Villa Francia in Estación Central, widmete Toledo ihr Leben der Organisation des barrios und den Kämpfen für die Rechte der Armen. Ob es für Menschenrechte oder gegen die Repression der Polizei ging, Toledo war ständig an widerständigen Aktionen beteiligt, immer an vorderster Front, um zur Rebellion gegen die Ungerechtigkeiten des postdiktatorischen Chile zu ermutigen.

Während des jüngsten Aufstands im Oktober 2019, der auch die Risse in Chiles Geschichte offengelegt hat, tauchte die Figur von Luisa Toledo wieder als Beispiel für Würde und Kampf auf. Für viele war Luisa Quelle revolutionärer Kraft. Um mit ihren Worten zu schließen: „Für mich bedeutet die Revolte sehr viel, denn irgendwann begann ich mich zu fragen, ob es die vielen Opfer wert war, den vielen Tod, die vielen Verschwundenen, all die Menschen, die in der Zeit der Diktatur gelitten haben. Als ich mir diese Frage stellte, kam plötzlich der estallido social (etwa: „sozialer Knall“), laut wie ein überall widerhallender Schrei. Er erlaubte es, aufzuatmen, Hoffnung zu schöpfen und endlich meine Söhne in diesen Kämpfen wieder vertreten zu sehen. Von da an war ich mir wieder sicher, dass es all die Opfer wert ist, die erbracht werden, um diese Gesellschaft zu verändern“. ¡Luisa Toledo presente, ahora y siempre!

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