„Kein Vergessen, kein Pardon!“ Wandbild in El Chorillo (Foto: Tobias Lambert)
Am 20. Dezember 1989 endete die Kindheit von Ernesto Fitzroy Hay abrupt. Der damals 15-jährige Schüler hatte sich am Vorabend auf eine Chemie-Prüfung vorbereitet, als um 0.46 Uhr die erste Bombe auf El Chorillo fiel. Nach wenigen Stunden war es dem Erdboden gleichgemacht. In dem Armenviertel in Panama-Stadt, das Anfang des 20. Jahrhunderts für die Unterbringung von Kanalarbeitern gegründet worden war, brannten alle Holzhäuser komplett ab. Zu Fitzroys Glück zersplitterten in der Wohnung seiner Familie lediglich die Scheiben: Er wohnte in einem der wenigen Hochhäuser aus Stein. „Für Panama gibt es ein vor und ein nach der Invasion“, sagt er heute. Vor 30 Jahren setzte US-Präsident George H. Bush mit der Operation „Just Cause“ („Gerechte Sache“) die größte Luftlandeaktion seit dem Zweiten Weltkrieg in Gang. Mehr als 26.000 US-Soldaten überfielen das kleine, am Übergang von Zentral- und Südamerika gelegene Panama. Vorrangiges Ziel war die Absetzung des militärischen Machthabers Manuel Noriega, dessen Hauptquartier sich mitten in El Chorillo befand.
Bis heute wird die US-Invasion häufig als kleiner, chirurgischer Eingriff dargestellt, der Panama Freiheit und Demokratie gebracht habe. Die panamaische Elite feierte das Ende der Militärdiktatur, doch in El Chorillo erinnern sich die Menschen mit Schrecken an die Invasion. Tatsächlich verloren in jener Nacht wahrscheinlich mehrere Tausend Menschen ihr Leben. Genaue Zahlen gibt es bis heute nicht, US-Soldaten verscharrten viele Opfer in Massengräbern.
Manuel Noriega, der seit den 1970er Jahren auf der Gehaltsliste des US-Geheimdienstes CIA stand, hatte bald nach seiner Machtübernahme 1983 von den USA unterstützte nicaraguanische Contra-Kämpfer in Panama ausbilden lassen. Diese kämpften gegen die linke Regierung der Sandinisten. Dazu stellte er sein Land als Zwischenstation bei illegalen US-Waffenlieferungen an Iran zur Verfügung, aus deren Erlösen die Contras finanziert wurden. Die USA sahen dafür großzügig über Noriegas Drogengeschäfte mit dem kolumbianischen Medellín-Kartell hinweg. Als Ende 1986 der Iran-Contra-Skandal aufflog, verlor Noriega seine Bedeutung für die US-Kriegsstrategie in Zentralamerika und wurde plötzlich zum Bad Guy.
„Es gibt ein vor und ein nach der Invasion“
Bereits kurz nach der Abspaltung Panamas von Kolumbien im Jahr 1903 hatten sich die USA mittels eines Pachtvertrages das alleinige Verfügungsrecht über einen 80 Kilometer langen und 16 Kilometer breiten Landstreifen mitten in Panama gesichert. Bis 1914 entstand dort der Schifffahrtskanal. Zwischen 1949 und 1984 bestand in der Zone auch die berüchtigte School of the Americas, an der die USA zehntausende lateinamerikanische Militärs in Antikommunismus und Foltermethoden ausbildeten. Im September 1977 unterzeichneten der sozialreformerische Militärherrscher Panamas, Omar Torrijos, und US-Präsident Jimmy Carter schließlich zwei Verträge, die die schrittweise Übertragung der Kanalzone an Panama bis Ende 1999 vorsahen. Die USA behielten aber das zeitlich unbegrenzte Recht, zum Schutz des Kanals in Panama zu intervenieren. 1981 starb Torrijos bei einem unaufgeklärten Flugzeugabsturz. Bis heute bleibt der Verdacht eines Anschlags seitens der CIA oder Noriegas.
Fitzroy und tausende weitere Menschen aus El Chorillo lebten zwei bis drei Jahre lang in einem Lager für Geflüchtete innerhalb der Kanalzone. Perspektivlosigkeit und Gewalterfahrungen während der Invasion führten in den 1990er Jahren vielerorts zu einer drastischen Zunahme der Kriminalität. „Überall bildeten sich bewaffnete Banden, ständig geschahen Banküberfälle, Staatsunternehmen wie die für Telekommunikation und Elektrizität wurden privatisiert und Arbeiter entlassen“, erzählt der heute 45-jährige Universitätsdozent Fitzroy.
Die Opfer des 20. Dezember kämpfen weiterhin dafür, dass die Invasion aufgearbeitet wird und sie Entschädigungen erhalten. Mit der Einrichtung einer Wahrheitskommission, die vor allem die genaue Zahl der Todesopfer ermitteln soll, konnten sie 2016 einen handfesten Erfolg erzielen. Und im vergangenen Jahr empfahl die Interamerikanische Menschenrechtskommission in einem Bericht, für den die Angehörigen der Opfer lange gekämpft hatten, dass die USA Entschädigungen an die Hinterbliebenen zahlen sollen. Offizielle Reaktionen darauf gibt es bis heute zwar noch keine. „Aber das stärkt uns den Rücken und gibt uns moralisch recht“, bilanziert Ayola.
Heute prägen einfache Neubauten aus den 1990er Jahren das Bild El Chorillos. Schriftzüge und Bilder erinnern an die US-Invasion vor 30 Jahren. Bis vor wenigen Jahren lieferten sich Gangs mit Namen wie Vietnam 23 oder Bagdad in der Gegend blutige Revierkämpfe. Zuletzt hat sich die Lage zwar entspannt, verrufen ist das Viertel jedoch noch immer. Fitzroy betont, dass es heute weniger Gewalt gebe, sei auf die Eigeninitiative der Bevölkerung zurückzuführen. Die Verbesserung liege vor allem daran, dass er und andere engagierte Bewohner*innen bereits seit den 1990er Jahren soziale Präventionsarbeit für Kinder und Jugendliche machten. „Die Regierungen haben sich nie gekümmert.“