Nur noch Tropfen aus dem Hahn

Gegen Wassermangel und patriarchale Rollenbilder Aktivist*innen der Acción Comunitaria an der Plaza de la Solidaridad (Foto: Alea Rentmeister)

„Einen Tag lang kein Wasser zu haben ist schrecklich. Man kann nichts tun, es ist eine Qual. Ich muss dann Wasser kaufen und das bringt mein ganzes Haushaltseinkommen durcheinander“, sagt Carmen Trejo. Die Rentnerin lebt im Süden von Mexiko-Stadt in einem Viertel, in dem es seit Jahren immer wieder an Wasser mangelt. Etwa 70 Prozent des Wassers für die mexikanische Hauptstadt kommen aus dem Boden, aus einem unterirdischen Grundwasserleiter. Das restliche Wasser wird aus dem komplexen Lerma-Cutzamala-System aus Stauseen und Wasseraufbereitungsanlagen, das gut 100 Kilometer entfernt liegt, in die Stadt gepumpt. Doch derzeit sind die Stauseen fast ausgetrocknet, erklärt Luis Zambrano, Biologe an der Nationalen Autonomen Universität Mexikos (UNAM) gegenüber LN: „Wir haben drei Jahre schwere Dürre hinter uns. Das vergangene Jahr war aufgrund des El-Niño-Phänomens besonders intensiv. Wir haben versucht, den Wassermangel zu kompensieren, indem wir noch mehr Wasser aus dem Grundwasserleiter gefördert haben. Das führt aber kurz- oder mittelfristig zu noch größeren Problemen, weil wir so auch den Grundwasserleiter erschöpfen.“ Der Klimawandel beschleunige die Wasserkrise, denn dadurch regne es weniger, aber heftiger, erklärt Zambrano: „Die großen Wassermengen in sehr kurzer Zeit führen einerseits zu Überschwemmungen. Andererseits können wir das Wasser nicht effektiv sammeln, weil wir es so schnell wie möglich ableiten müssen, um Menschenleben und Infrastruktur zu schützen.”

Luis Zambrano sieht schlechtes Wassermanagement als einen Hauptgrund für die Wasserknappheit: „Das Problem ist, dass die Wasserpolitik nachfrage- und nicht angebotsorientiert ist: Wenn ein Unternehmen oder ein Gebäude viele Kubikmeter Wasser benötigt, wird das bewilligt, weil es die wirtschaftliche Entwicklung ankurbelt, auch wenn es dieses Wasser gar nicht gibt oder die Wasserbilanz darauf hindeutet, dass wir den Grundwasserleiter oder das Cutzamala-System übermäßig ausnutzen. Das schafft kurz-, mittel- und langfristig viele Probleme.”

Die Wasserkrise als Klassen- und Geschlechterfrage


Mexiko-Stadt ist mit ihren 22 Millionen Einwohner*innen die sechstgrößte Stadt der Welt. Die Wasserkrise trifft aber nicht alle von ihnen in gleichem Maße. „Der Wassermangel ist ein sehr komplexes Problem, das mit Fragen der Bildung, Kultur, Geschlechter und Ungleichheit zusammenhängt”, erklärt die Psychologin und Sozialanthropologin Paulina Uribe gegenüber LN. Sie ist Teil der Koordination für Geschlechtergerechtigkeit an der UNAM und forscht unter anderem zu Umweltbildung. Der Zugang zu Wasser ist unter anderem eine Frage der sozialen Klasse: Während die Menschen in einkommensschwachen Vierteln den Wassermangel schon jetzt zu spüren bekommen, kommt in den reicheren Vierteln nach wie vor Wasser aus dem Hahn. Denn die Viertel, in denen Menschen mit hoher Kaufkraft wohnen, haben mehr Macht, die Wasserversorgungsunternehmen zu zwingen, ihnen auch bei geringem Wasserdruck weiterhin Wasser zu liefern, sagt Zambrano. Eines der Viertel, die solche Privilegien nicht haben, ist Santa Úrsula Coapa im Stadtteil Coyoacán im Süden der Stadt. Carmen Trejo hat sich daher mit anderen Nachbar*innen zusammengeschlossen und die Nachbarschaftsinitiative Acción Comunitaria gegründet, um gemeinsam für das Recht auf Wasser zu kämpfen. Mit dabei ist auch die Hausfrau und Aktivistin Marta Elizalde: „Ich habe mich dieser Gruppe angeschlossen, weil es in unseren Häusern täglich zu wenig Wasser gibt. Wir haben nicht genug Wasser, um Geschirr zu spülen, manchmal haben wir nicht einmal genug für das Bad, die Kleidung. Ich lebe mit älteren Menschen zusammen, die gewaschen werden müssen. Es ist besorgniserregend, weil wir uns ohne Wasser nicht sauber halten können”, erzählt sie.

Auch Natalia Lara gehört zu den Aktivist*innen von Acción Comunitaria. Sie hat Politikwissenschaften und Wassermanagement studiert, arbeitet als Universitätsdozentin und kennt die alltäglichen Probleme, die durch den Wassermangel entstehen: „Man hört oft von Leuten, die nicht schlafen, weil sie nachts die Wasserfässer füllen, um tagsüber Wasser zu haben. Viel Zeit geht auch dabei drauf, auf die Tankwagen mit Wasser zu warten oder diese zu suchen. Da wird viel unbezahlte Zeit investiert, vor allem von Frauen, und das wirkt sich in gewisser Weise auch auf die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauen aus”, berichtet sie.

In der patriarchalen Rollenverteilung wird Frauen und Mädchen die unbezahlte Arbeit im Haushalt und damit auch die Aufgabe, Wasser zu beschaffen, zugeschrieben. Mexiko ist damit allerdings keine Ausnahme: Laut UN Women sind in etwa 80 Prozent der Haushalte weltweit, in denen das Wasser knapp ist, Frauen und Mädchen für das Wasserholen zuständig. Eine Menstruationstasse auswaschen, aber auch duschen, waschen, putzen, spülen, Pflanzen gießen oder Gemüse waschen: Das geht ohne Wasser nicht.

Die gemeinsame Organisierung der Nachbar*innen in Santa Úrsula Coapa begann vor gut zehn Jahren, als es drei Monate lang gar kein Wasser mehr gab und die Menschen auf Wasserlieferungen durch Tankwagen angewiesen waren. „Das war schon sehr beunruhigend, da haben sich einige von uns Frauen organisiert“, erinnert sich die Geografielehrerin und Aktivistin Norma Piñon im Gespräch mit LN. Als die Wasserlieferungen ausblieben, blockierten die Nachbar*innen Straßen, bis die Behörden ihnen zuhörten. Und tatsächlich zeigte der Protest Wirkung: Die Stadt schickte neue Tankwagen mit Wasser, bildete Arbeitskreise und ermöglichte Gespräche mit dem Regierungschef von Mexiko-Stadt und der Wasserbehörde Sacmex.

Seitdem trifft sich Acción Comunitaria jeden Freitagnachmittag um fünf Uhr nachmittags auf der kleinen Plaza de la Solidaridad. Der Platz ist hübsch: Blütenblätter liegen auf dem Boden, am Rand stehen lila gestrichene, verschnörkelte Metallbänke. Und der Platz ist laut: Alle paar Minuten schlängeln sich Motorräder durch, Hundegebell vermischt sich mit Reggaeton aus einem Lautsprecher. Unter einem großen Baum steht ein Tisch mit weißen Klappstühlen. Dort sitzen Carmen Trejo, Marta Elizalde, Natalia Lara, Norma Piñon, Paz Gutiérrez und Adolfo Lara. Auf dem Tisch liegen Stoffreste und alte Zeitungen, denn die Gruppe bietet regelmäßig Recycling-Workshops für Kinder an. Vier Kinder kommen diesmal zum Basteln, sie bemalen Pappschachteln mit bunten Farben. Das hat auf den ersten Blick nichts mit dem Wassermangel zu tun – auf den zweiten aber schon, denn es stärke den Zusammenhalt in der Nachbarschaft, erklärt Natalia Lara.

Organisierung zeigt Wirkung

Auf den Druck der Gruppe hin haben die Behörden neue Brunnen in Coyoacán gebaut. Mit der Zeit hat Acción Comunitaria immer mehr Informationen über die Wasserinfrastruktur in ihrem Viertel gesammelt und eine Karte der Brunnen erstellt. Inzwischen haben die Aktivist*innen außerdem ein Regelwerk erarbeitet – für Zeiten, in denen es lange kein Wasser gibt. Natalia Lara erläutert: „Wir gehen dann durch die Straßen, um zu sehen, wie es um die Brunnen bestellt ist. In letzter Zeit gibt es zum Beispiel mehr Bauvorhaben und Neubauten. Wir schauen das Verteilungssystem genau an, denn wir stellen fest, dass die Immobiliengesellschaften uns in den Arbeitervierteln das gesamte Wasser wegnehmen. Also machen wir uns die Arbeit, nachzuforschen. Wenn wir dabei feststellen, dass wir mit unseren Vermutungen Recht haben und klar wissen, was unsere Forderungen sind, dann organisieren wir uns, rufen zu Demonstrationen auf oder treten mit der Regierung in Kontakt.”

Dass sich mehr Frauen als Männer gegen den Wassermangel organisieren, ist laut Paulina Uribe nicht nur in Santa Úrsula Coapa so: „In fast allen Umweltbewegungen sind es die Frauen, die sich am meisten beteiligen und für diese Rechte kämpfen.” Den meisten Frauen sei bewusst, dass es eine ungerechte Belastung ist und wenn sie könnten, engagierten sie sich in sozialen und kollektiven Kämpfen, um die Rollenverteilung zu verändern und die Aufgaben gerechter zu verteilen. Das allein reiche aber nicht, findet Paulina Uribe. Damit sich etwas ändert, müssten auch Männer und Entscheidungsträger verstehen, wie wichtig es ist, die Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit in allen Bereichen miteinzubeziehen. Um die Rollenverteilung zu ändern und damit die Arbeitsbelastung zwischen Männern und Frauen fairer zu verteilen, ist in den Augen von Paulina Uribe Bildung das wichtigste Instrument: „Wir müssen neue Narrative schaffen, durch Bildungsprogramme, aber auch massive Kommunikationskampagnen, in denen wir alle diese Geschlechterrollen in Frage stellen.”

Konkrete politische Maßnahmen, um das Problem der Geschlechterungleichheit beim Thema Wasser anzugehen, fehlten aber bislang, sagt Uribe. Zwar gebe es sehr breit angelegte Programme, die darauf abzielen, die Wasserinfrastruktur zu verbessern und zu sanieren. Die Regierung der Stadt investiere aber vor allem in technische Verbesserungen – die sozialen Ungleichheiten würden dabei bislang nicht adressiert.

Auf der Plaza de la Solidaridad dämmert es inzwischen, die Aktivist*innen klappen die Stühle zusammen, räumen die Bastelsachen auf und tragen den Tisch weg. Für heute. Nächsten Freitag werden sie wieder hier sein und für ihr Wasser kämpfen. Davon, dass sich das Dranbleiben lohnt, ist Carmen Trejo überzeugt: „Es ist schwierig, aber wir gehen Schritt für Schritt. Ich glaube an die Magie des Sandkorns: Dass wir mit jedem kleinen Stückchen, das wir tun, vorankommen.”


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Zu viel des Schlimmen

„Für eure Tränen müsst ihr hier bezahlen!“ Schon bei der Einführung in ihre neue Heimat wird den Neulingen in der mexikanischen Militärakademie Colegio Militar klargemacht, welcher Wind hier weht. Potros nennt sie der verschlagene Ausbildungsoffizier Eugenio Sierra, der kaum älter als sie selbst ist. Potro, das heißt auf Spanisch sowohl „Fohlen“ als auch „Qual“. Ein symbolischerer Name für die Erstsemester in David Zonanas Film Heroico ist schwer vorstellbar.


© Teorema

Denn Luis, der 18-jährige Protagonist in der bienenstockähnlichen Parallelwelt der Soldat*innenausbildung, lernt schon bald, worauf es hier ankommt: Stillstehen, trainieren, Klappe halten. Egal wie sehr einer der Kadetten mal wieder erniedrigt wird und wie nahe er ihm selbst steht. Sein Freund Ratón („Maus“) verinnerlicht das alles sehr schnell. Der sensible Luis kommt dagegen durch die fortdauernden Schikanen und Ungerechtigkeiten schon bald in Gewissenskonflikte. Zumal sich herausstellt, dass die hehren Ideale von Hilfe für die Bevölkerung, Ehre und Gerechtigkeit oft nicht mehr sind als verlogene Lippenbekenntnisse. Regisseur David Zonana hat in seiner noch jungen filmischen Karriere schon einiges erreicht. Als Produzent war er unter anderem im Jahr 2015 an dem Oscar-nominierten Spielfilm 600 Miles und an Michel Francos Chronic beteiligt, der beim Festival in Cannes den Preis für die beste Regie gewann. Auch sein eigenes Spielfilmdebüt Mano de obra (Workforce) gewann nationale und internationale Preise. Diese Qualität merkt man auch Heroico durchaus an, denn die Aufnahmen vor der architektonisch und landschaftlich reizvollen Kulisse der Militärakademie sehen kraftvoll und    beeindruckend aus. Beim Drehbuch von Heroico hat Zonana allerdings etwas zu dick aufgetragen.  Kein Bild ist zu plakativ, kein Klischee zu abgegriffen, um nicht gnadenlos ausgeschlachtet zu werden. Dazu kommt, dass die schauspielerischen Leistungen der Hauptdarsteller*innen leider nicht genügen, um ihren Charakteren ausreichend Tiefe zu geben. Vor allem Santiago Sandoval Carbajal bleibt als Luis zu blass, um wirkliche Emotionen beim Zusehen aufkommen zu lassen. Aber auch Fernando Cuautles Spiel als Eugenio Sierra wirkt zu kumpelhaft, um ihm den Fiesling wirklich abzukaufen. Darüber hinaus wird über die Motive der meist unmoralisch handelnden Personen bis auf die familiären und finanziellen Zwänge der Kadetten nichts bekannt. Dadurch bleiben die Figuren in Heroico hölzern und auch die Geschichte läuft vorhersehbar und ohne große Überraschungen ihrem Ende entgegen. Was ein mexikanisches Full Metal Jacket hätte werden können, verliert sich deshalb leider in Plattitüden, die so oder so ähnlich schon oft zu sehen waren: Die Welt ist schlecht und die Militärs sind es ganz besonders. Schade, denn mit etwas mehr Zwischentönen und Differenziertheit hätte der Film seine bestimmt gut gemeinte Message deutlich wirkungsvoller transportieren können.

LN-Bewertung: 2/5 Lamas

Triggerwarnung: Explizite Darstellung psychischer und physischer Gewalt


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„WIR WERDEN NIE VERSCHWINDEN”

Zocalo, Mexiko-Stadt

Fotos: Johanna Shorack

Der Hauptplatz von Mexiko-Stadt, der Zócalo, war Schauplatz von zwei Veranstaltungen zum Gedenken an die Ankunft der spanischen Konquistadoren in Tenochtitlán. Während die mexikanische Regierung den Tag mit internationalen Gästen, aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit beging, feierten die mexikanischen Indigenen das Jubiläum des letzten Tages ihrer Souveränität, den 12. August 1521, und teilten ihre eigene Geschichte anlässlich des halben Jahrtausends Widerstand seit der Invasion.

„Wir wollen der Welt mitteilen, dass sie gekommen sind, um uns verschwinden zu lassen, aber dass unsere Traditionen dennoch weiterleben“, sagte Don German X, einer der wichtigsten Anführer der Xochimilca, auf der Veranstaltung. „Die indigenen Völker sind und waren immer da, sie werden nie verschwinden”, bekräftigte er. Für die Xochimilca und andere ist das Gedenken vor allem ein spirituelles und begann in der Nacht zum 13. August mit Mahnwachen und Zeremonien.

Frau Indigene protestiert in Mexiko

In Xochimilco, im Südosten der Stadt, standen die Tlahucas und Xochimilcas die ganze Nacht über auf dem Zócalo, dem Hauptplatz der Gemeinde, um sich auf den großen Tag vorzubereiten und Chinampero-Mais anzubieten (Mais, der von den prähispanischen Inseln in Xochimilco kommt, Anm. d. Red.). Am nächsten Morgen brachen sie auf, um an der großen Demonstration im Stadtzentrum teilzunehmen.

Am Morgen des 13. August marschierten Dutzende von Gruppen, insgesamt mehr als tausend Menschen, vom Monumento de la Reforma zum Zócalo, um dem Aufruf zum Gedenken an den Widerstand von Tenochtitlán zu folgen und ihre kulturellen und spirituellen Werte zu feiern. Unter den Anwesenden waren Gruppen aus der aztekischen, der Chichimeca- und der Conchero-Tanztradition, wie zum Beispiel Azteca Xochiquetzal, Azteca Conchera, Ameyaltonal, die indigenen Völker von Xochimilco und Morelos und viele mehr.

Auf dem Zócalo angekommen, umkreisten die Gruppen einen riesigen Blumenaltar, auf dem sie tanzten und Opfergaben darbrachten.

Die Xochimilca gehören zu den Indigenen, die sich jährlich am 13. August an der Maisaussaat auf den Chinampas beteiligen. Die Chinampas sind eine Gruppe prähispanischer Inseln, die wegen ihrer großen Bedeutung für die Landwirtschaft und die Artenvielfalt zum Weltkulturerbe erklärt wurden. Während der Zeremonie wurde der Mais von der Darstellung eines großen Axolótl begleitet, einer besonderen Amphibienart, die in den Chinampas beheimatet ist und ein lebendiges Symbol für den Widerstand dieser Menschen darstellt. „Unser Volk, unser Mais und auch der Axolótl sind vom Aussterben bedroht”, sagte Don Germán. Er erklärte, dass immer weniger Menschen den lokalen Chinampero-Mais anbauten. Jedes Jahr nehmen die Xochimilca an der Zeremonie am 13. August teil, um an den indigenen Widerstand ihrer Vorfahren zu erinnern und mit der Ausübung ihrer eigenen Traditionen Widerstand zu leisten.

Don Germán stellte abschließend fest, dass sein Volk alles in seiner Macht Stehende tun würde, um kulturelle und ökologische Probleme zu lösen: „Der 13. August ist nicht nur ein Fest, das Wesentliche ist der spirituelle Teil. Mögen wir als Menschen die Spiritualität, gemeinsam mit der Verantwortung, welche wir tragen, weiter kultivieren.“


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„DIESER ORT SOLLTE UNSERER SEIN!”

 

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Besetzung als gemeinsamer Kampf und Ausdruck von SolidaritätStudentinnen der MOFE in ihrer besetzten Fakultät,  Foto: Andrea Murcia, Instagram: @usagii_ko

 

Ende August habt ihr nach sechsmonatiger Besetzung eine Einigung mit der Fakultätsleitung erzielt. Was habt ihr erreicht?
Wir konnten unsere wichtigsten Forderungen durchsetzen. Es wird eine Unidad de Género geben, in deren Rahmen Stellen für eine Anwältin, eine Psychologin und eine Sozialarbeiterin mit gendersensibler Perspektive geschaffen werden und Studentinnen auch gynäkologisch betreut werden können. Wir konnten eine Comisión de Género erreichen, in der Studentinnen und Dozent-*innen Workshops und Konferenzen mit feministischer Perspektive geben werden. Außerdem soll die Kommission Vorschläge ausarbeiten, um das Problem der sexualisierten Gewalt im Studienplan zu behandeln. Unser meistdiskutierter Punkt in den Verhandlungen war die Sanktionierung. Viele Dozenten und einige Studenten haben vielfach sexuelle Übergriffe in unterschiedlichsten Formen verübt. Anfangs haben wir gefordert, dass alle sofort aus der Fakultät geworfen werden. Das war allerdings nicht einfach, da kaum offizielle Verfahren liefen. Aber wir konnten durchsetzen, dass die Täter in zukünftigen Anklagen ihren Vergehen entsprechend bestraft werden. Durch den gemeinsamen Druck aller feministischen Besetzungen an der UNAM konnten drei Artikel des Generalstatuts der Universität erneuert werden.

Welche zum Beispiel?
Der erste Artikel besagte zwar schon früher, dass sexualisierte Gewalt ein grober Verstoß ist. Allerdings gab es noch keine Sanktionen für verschiedene Vergehen. Der Direktor einer jeden Fakultät der UNAM konnte sanktionieren, wie es ihm beliebte. In unserer Fakultät gab es Vergewaltigungsfälle, in denen der Aggressor lediglich für acht Tage suspendiert wurde. Das hat uns sehr wütend gemacht. Mit den Reformen ist es jetzt möglich, Übergriffe mit einer Suspension, dem Ausschluss oder der Kündigung des Arbeitsvertrages zu sanktionieren. Zum Beispiel konnten wir durchsetzen, dass der Professor Luis Arizmendi entlassen wurde. Er war viele Jahre lang der Kopf einer sexuellen Sekte an der Fakultät. Studentinnen, die das offenlegten, wurden systematisch eingeschüchtert und hatten ihre Anklagen daraufhin zurückgenommen.

In welchen Kontexten erlebt ihr sexualisierte Gewalt gegen Frauen an der Universität?
Wir erleben diese Gewalt und sexuelle Belästigung nicht nur im Kursraum. Sie bitten uns nicht nur um einen sexuellen Gefallen, damit wir bestehen, sondern wir müssen Zeit mit unserem Aggressor im selben Raum verbringen, was sehr unangenehm ist. Es geht hier nicht nur um die misogynen Witze der Dozenten. Uns haben sie zum Beispiel immer weismachen wollen, dass die Wirtschaftswissenschaften nur was für Männer sind. In unserer Fakultät sind 70 Prozent der Studierenden männlich, wir repräsentieren lediglich 30 Prozent. Diese numerischen Unterschiede haben auch die Atmosphäre in den Lehrveranstaltungen geprägt: Wir wurden immer zum Schweigen gebracht. Auch als wir uns organisieren wollten, ließen sie uns nicht in Ruhe und störten unsere Versammlungen. Wir sprechen hier über etwas, das seit Jahren Gang und Gäbe ist. In der naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Fakultät filmten sie Studentinnen auf den Toiletten und luden die Videos anschließend auf Pornoseiten hoch. Es geht nicht nur um die Gewalt, die wir erleben müssen, wenn wir uns von zu Hause in den öffentlichen Verkehrsmitteln an die Uni begeben. Auch die Uni umgibt eine misogyne Macho-Atmosphäre und auch hier wird uns Gewalt angetan. In Mexiko sind wir an keinem Ort sicher, manchmal nicht einmal in unserem Zuhause. Die Uni bemüht sich nicht, einen sicheren Ort für uns zu schaffen. Wir reden hier von etwas so Krassem wie dem Feminizid an Lesvy Berlín im Jahr 2017 in der Fakultät für Ingenieurwesen, den die UNAM vehement zu ver-*tuschen versuchte. Diese ganze Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit über den Mord einer Kommilitonin auf dem Campus zu sehen, ist einfach nur empörend. Auch der große Kontext macht Angst: Wir sind zehn Frauen, die täglich in Mexiko ermordet werden. Das alles haben wir satt!

Wie habt ihr es geschafft, euch für die Besetzung zu organisieren?
Es gab bereits eine Gruppe von Studentinnen an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, die tendederos (öffentliches Aufhängen von informellen und formellen Anklagen gegen Aggressoren, Anm. d. Red.) organisierten. Diese haben ihren Ursprung in einem weiteren Fall sexualisierter Gewalt an der Fakultät vor zwei Jahren. Damals wurden drei Vergewaltigungen durch den stellvertretenden Direktor und damaligen Generalsekretär öffentlich und auch formal angeklagt. Wir begannen uns zu mobilisieren, da wir es unglaublich fanden, dass er nicht sanktioniert wurde. Seitdem kannten wir uns vom Sehen. Als im Januar mehr und mehr Fakultäten und Institutionen der UNAM besetzt wurden, organisierten auch wir uns an der Fakultät. Als spezifische Fälle von sexualisierter Gewalt an Studentinnen der verschiedenen Institutionen der UNAM öffentlich wurden, waren wir fassungslos. Uns wurde klar, dass wir, obwohl wir uns noch nicht so gut kannten, den gleichen Kampf gegen die Nachlässigkeit, Unterdrückung und Einschüchterung der Führungsriege der UNAM kämpften, die sich gegen uns und alle Frauen an der Uni richtet. Letztendlich haben wir nicht nur wegen der Fälle an unserer Fakultät, sondern auch in Unterstützung der anderen Gruppen an der UNAM mit der Besetzung begonnen.

Wie konntet ihr die Verhandlungen mit der Fakultätsleitung trotz der Pandemie weiterführen und den Druck aufrechterhalten?
Wir haben unser Forderungspapier am Wochenende vor dem landesweiten Lockdown eingereicht. Daraufhin teilte uns der Direktor der Fakultät mit, dass es wegen unserer gesellschaftlichen Verpflichtung im Pandemiekontext besser sei, den Prozess zu unterbrechen und die Einrichtung freizugeben. Er versprach, dass wir reden würden, sobald die Pandemie vorbei sei. Natürlich haben wir nein gesagt, denn unsere Belange waren schon seit den Protesten unserer Kommilitoninnen vor zwei Jahren aufgeschoben worden. Danach wurden wir mehr als zwei Monate lang komplett ignoriert, bis die UNAM eine Comisión de Género schuf – allerdings vor allem, um sagen zu können, dass etwas getan wurde. Die Koordinatorin richtete ein Kommuniqué an die Direktoren jeder Einrichtung, mit der Bitte, die Forderungen der Frauen möglichst schnell umzusetzen. In diesem Moment trafen wir die strategische Entscheidung, auch ein Kommuniqué zu veröffentlichen, das wir an die höheren Führungsebenen der UNAM richteten, um offenzulegen, wie lange wir schon ignoriert worden waren. Wir erhielten keine eindeutige Antwort, woraufhin wir den Direktor öffentlich zum Dialog einluden. Wir stellten klar, dass er mit einem Nichterscheinen ein eindeutiges Statement gegen die feministische Bewegung und ihre Belange abgeben würde. Er stand unter erheblichem Druck, auch weil immer mehr Besetzungen aufgelöst wurden. Schließlich konnten wir den Verhandlungstisch via Zoom (Videokonferenzsoftware, Anm. d. Red.) erst Mitte Mai beginnen. Die Fakultätsleitung hat also lange auf unsere Zermürbung gesetzt.

Haben die anderen Besetzungen ihre Forderungen genauso durchsetzen können wie ihr?
Natürlich waren die Kontexte der Besetzungen der einzelnen Fakultäten und Oberschulen ganz unterschiedlich, weil es verschiedene Arten von Repression gab. Die anderen Besetzungen wurden sehr stark bedrängt. Nachts verschafften sich Unbekannte Zutritt, Sachen wurden gestohlen oder die Einrichtungen mit Fäkalien beschmutzt. In der FES Acatlán (zur UNAM zugehörige Oberschule in der Peripherie, Anm. d. Red.) drangen bewaffnete Personen ein und taten den Studentinnen Gewalt an. Teile der Anlage wurden in Brand gesetzt. All das zielt offensichtlich auf psychische und physische Zermürbung und führte dazu, dass die Studentinnen keine Kraft mehr hatten, die Besetzungen weiterzuführen. So wurden viele ihrer Forderungen nur teilweise angenommen.

Habt ihr solche Angriffe auch erlebt?
Wir erhielten zunächst Drohungen von Dozenten und Kommilitonen. Als die Verhandlungen starteten, begann auch die Repression seitens der Fakultätsleitung und Personen drangen ein. Das versetzte uns in Alarmbereitschaft, weil wir die Sache in FES Acatlán im Hinterkopf hatten und nun die letzte Besetzung waren. Auch wenn nicht jede Forderung der einzelnen Besetzungen durchgesetzt werden konnte, wurde doch deutlich, dass keine einzige Einrichtung an der UNAM frei von der tagtäglichen sexualisierten Gewalt gegen Studentinnen ist. Und jetzt, wo die Besetzungen vorbei sind, geht es erst richtig los, denn viele Fakultäten konnten pandemiebedingt ihre Verhandlungen nicht weiterführen, die Forderungen werden ignoriert.

Hat die Digitalität in der Pandemie eure Bewegung ausgebremst?
Ja, dass die Kurse online weitergeführt wurden und das Semester beendet werden konnte hat uns ein bisschen gebremst. Unter anderen Umständen hätte die Besetzung mehr Druck aufbauen können, da das Semester auf dem Spiel gestanden hätte. Die Pandemie hat aber noch etwas offengelegt: Die Gewalt verschob sich von den Räumen der Fakultät in die Online-Kurse. Kommilitonen sind zum Beispiel vor laufender Kamera aufgestanden und haben ihren Penis ausgepackt. Und es gibt Dozenten, die die nun nötige engere Kommunikation mit uns ausnutzen und über E-Mail, Facebook oder WhatsApp Studentinnen belästigen. Also ja, wir wurden ausgebremst, aber gleichzeitig haben wir neue Beweise für diese Arten von Gewalt bekommen. Jetzt versuchen wir, auch die digitalen Räume zu besetzen und uns zu eigen zu machen. Wir versuchen die digitale Gewalt über unsere Kanäle sichtbar zu machen. Auf unserer Facebook-Seite veröffentlichen wir die Anklagen unserer Kommilitoninnen. Wenn wir den digitalen Raum schon nicht zu einem sicheren Ort machen können, dann wird hier zumindest sichtbar, dass wir immer noch Kurse mit Aggressoren belegen müssen. Die sind zwar hinter dem Bildschirm, aber immer noch da.

Wie habt ihr den Raum der Fakultät feministisch gestaltet?
Wir haben es geschafft, einen Raum, der für viele von uns mit Gewalt assoziiert wurde, mit neuer Bedeutung zu füllen. Während unserer Zeit in der Fakultät wurde uns klar, dass die Uni wirklich unser Ort sein sollte; ein Ort, an dem wir uns sicher und frei fühlen; ein Ort, an dem wir friedlich zusammenkommen und unter uns sein können. Das konnten wir erst bei der Besetzung erfahren, bei der wir sechs Monate lang nur mit Frauen zusammenlebten. Das Gefühl, das wir an diesem Ort gefunden haben, wollen wir an alle Frauen unserer Fakultät weitergeben. Uns diesen Ort anzueignen bedeutet, diese Erfahrung mit den Kommilitoninnen ohne Angst teilen zu können. Alle Frauen, denen Gewalt angetan wurde, wissen jetzt, dass wir da sind und uns hier einander anvertrauen können. Da draußen geben sie uns einen solchen Ort nicht. Und wenn wir ihn nicht aktiv suchen, dann werden wir ihn niemals für uns haben, oder?

Anfang September haben feministische Kollektive die Nationale Menschenrechtskommission (CNDH) in Mexiko-Stadt besetzt (siehe Seite 13). Sind Besetzungen ein legitimes und nützliches Werkzeug für die Durchsetzung feministischer Anliegen?
Uns die Institutionen anzueignen, die uns für so lange Zeit ignoriert haben, ist absolut legitim und notwendig. In unserem Fall hat uns vor der Besetzung niemand beachtet. Es ist eine machtvolle Waffe, um zu sagen „Wir sind da und das gehört uns!“ So können wir sichtbar machen, dass wir Frauen in Mexiko jeden Tag aufs Neue das System, den Machismo, all die Gewalt und die Feminizide überleben müssen. Die Bewegung fängt in den Universitäten an und geht darüber hinaus, denn die Gewalt in Mexiko wird nicht nur hier ausgeübt, sondern im ganzen Land. In jedem Bundesstaat, in jeder Ecke, besonders in der Peripherie herrscht dieser erdrückende Kontext. Trotzdem haben wir einen Präsidenten, der sich dumm stellt und feministische Themen in seinen allmorgendlichen Konferenzen mit keinem Wort erwähnt. Also geht es auch darum, die Gleichgültigkeit der Führungsriege sichtbar zu machen. Eigentlich sollte die CNDH doch über unsere Rechte wachen, aber in Wirklichkeit ist sie total nachlässig. Wenn die Institutionen keine Lösungen finden, gibt es keine andere Möglichkeit als sie zu besetzen und mit ihnen das zu tun, wozu sie bestimmt sind – im Fall der Besetzung der CNDH ein Schutzraum für Frauen, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind und für angehörige Frauen der Opfer von Feminiziden.


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GLITZER UND GEWALT

Flammender Protest Demonstrationen vom 16. August in Mexiko-Stadt / Fotos: Mirjana Mitrović

Im August wurden unabhängig voneinander zwei Fälle von Minderjährigen bekannt, die berichteten, von Polizisten in Mexiko-Stadt vergewaltigt worden zu sein. Eine 16-Jährige gab an, während ihres Praktikums im Museum Archivo de la Fotografía von einem Polizisten vergewaltigt worden zu sein. Eine 17-Jährige sagte aus, dass sie nachts auf dem Heimweg, nur zwei Straßen entfernt von ihrem Zuhause von vier Polizisten in deren Patrouillenwagen vergewaltigt wurde. Wie die mexikanische Tageszeitung El Universal berichtete, wurden die Beweise nicht ordnungsgemäß auf-genommen und somit ein ordentlicher Gerichtsprozess verhindert. Noch dazu wurde der Name des einen Mädchens an die Presse weitergegeben. Dies sind keine Einzelfälle, schließlich ist Mexiko bekanntermaßen eines der gefährlichsten Länder für Frauen, aber sie brachten ein schon lange brodelndes Fass zum Überlaufen.

Am Montag, den 12. August, demonstrierte zunächst eine überschaubare Gruppe von Frauen vor dem Gebäude für städtische Sicherheit in Mexiko-Stadt gegen Polizeigewalt und für die Aufklärung der Fälle sowie die Bestrafung der Täter. Dabei wurde der zuständige Sekretär Jesús Orta Martínez mit pinkem Glitzer beworfen. Die Demonstrantinnen zogen dann weiter vor die Zentrale der Staatsanwaltschaft. Einige der Teilnehmerinnen zerstörten eine Glastür des Gebäudes und hängten einen Schweinekopf auf. Die Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt, Claudia Sheinbaum, welche Teil der Regierungspartei MORENA und die erste Frau in diesem Amt ist, betonte noch am gleichen Tag in einer Pressemitteilung, dass der Kampf gegen die Gewalt an Frauen bereits Teil des Regierungsprogramms sei. Zugleich nannte sie die Proteste eine Provokation. Auf Plattformen wie Facebook wurde die Verbindung von Glitzer und Provokation in feministischen Kreisen zum Meme-Hit. Beispielsweise wurden Bilder von Drogenfunden nun zu Bildern von polizeilich gesicherten Paketen mit pinkem Glitzer umgestaltet. Zugleich wurde Glitzer zum Protestsymbol, denn neben der Ironie reagierten viele vor allem entsetzt auf Sheinbaums Aussage.

„Mata a tu violador“ „Töte deinen Vergewaltiger“

Die Aussage der Bürgermeisterin dürfte auch die erstaunliche Schnelligkeit der spontan und dezentral organisierten Antwort angefacht haben. Innerhalb kürzester Zeit wurde in über 30 Städten Mexikos für Freitagabend, nur fünf Tage nach der „Provokations“-Demonstration, zu neuen Protesten aufgerufen. Bilder mit pink glitzernden Fäusten wurden von Smartphone zu Smartphone verschickt und die Gruppe Resistencia Femme teilte den Aufruf via Facebook unter dem Hashtag „Sie schützen mich nicht, sie vergewaltigen mich“, begleitet von der Forderung „Wir wollen Gerechtigkeit!“. Am Morgen der Demonstration veröffentlichten sie einen Brief, welcher u.a. an die Bürgermeisterin Sheinbaum und den Sekretär für die städtische Sicherheit Orta gerichtet war. Dabei prangerten sie die Unfähigkeit der Regierung an, „diejenigen zu ermitteln und zu bestrafen, welche die Menschenrechte der Frauen verletzen“ und erklärten „unsere Proteste entstehen, weil es der Staat selbst ist, der durch die Streitkräfte die Straftaten des sexuellen Missbrauchs begeht, die Täter schützt und die Opfer zum Schweigen bringt und erniedrigt“.
Am Freitagabend war dann in Mexiko-Stadt kurz nach Beginn der Demonstration in einem brennenden Kreis auf dem Boden der Satz „Strafverfolgung zu verlangen ist keine Provokation“ zu lesen. Dazu rief eine schwarz vermummte Frau mit Spraydose in der Hand laut in Richtung der anwesenden Pressevertreter*innen „Dieser Protest wird ein Spektakel!“ und setzte damit das Motto für diesen Abend. Stundenlang schmissen vermummte Frauen die Scheiben zweier großer Busstationen ein, welche sie vorher mit Graffiti überdeckt hatten und zündeten kleine Feuer. Das alles ereignete sich direkt gegenüber des Gebäudes für öffentliche Sicherheit. Neben pinkem Glitzer in der Luft wurden mehrere Feuerwerkskörper auf das Gebäude abgefeuert. Meist wurden diese Aktionen von den rund 2000 vornehmlich jungen Demonstrantinnen (Männer wurden konsequent durch Rufe und Glitzerattacken aus dem Demonstrationszug verbannt) mit Grölen und Applaus unterstützt, nur selten wurden die Aktionen von Teilnehmerinnen lautstark kritisiert. Die Polizei griff nicht ein und männliche Polizisten wurden erst gar nicht sichtbar aufgestellt. Erst als auf dem Weg zur Statue am Paseo de la Reforma eine Polizeistation nicht nur demoliert, sondern auch angezündet wurde, griff die Feuerwehr ein. Währenddessen zogen die Demonstrantinnen weiter und hinterließen ein mit Graffiti überzogenes Unabhängigkeitsmonument.

Die Frustration entlädt sich Aktivistinnen legten die Metrobus-Station Insurgentes in Schutt und Asche

Am nächsten Tag waren bereits alle Graffitis übermalt oder entfernt und die Glasscheiben und Werbeplakate der Busstationen ersetzt worden. Wie zu erwarten wurde in den darauffolgenden Tagen in der Presse und bei den Diskussionen in sozialen Medien wenig auf die Anliegen der Frauen eingegangen. Stattdessen wurde hauptsächlich der Vandalismus thematisiert. Feministische Gruppen berichten, dass sie neben den alltäglichen Attacken nun noch heftigeren Angriffen ausgesetzt seien. Nichtsdestotrotz greifen feministische Kollektive weiterhin das Thema der Proteste auf. Das Medienkollektiv Luchadoras (Kämpferinnen) lud feministische Juristinnen ein, die Frage „Reicht uns diese Justiz?“ zu diskutieren. Sie setzen aber auch weiterhin auf den Austausch mit Bürgermeisterin Sheinbaum. Vielleicht auch, weil viele der Aktivistinnen bezweifeln, dass bei der nächsten Demonstration wieder auf eine so konsequente Deeskalation gesetzt wird. Die Bilder der gewaltigen Präsenz der Frauen auf der Straße hinterlassen aber weiterhin den Eindruck, dass der feministische Widerstand in Mexiko eine neue Form sowie eine andere (Schlag-)Kraft entwickelt hat. Die Vernetzung hat ihre Funktionstüchtigkeit im ganzen Land bewiesen. Ende August fand ein weiteres feministisches Treffen in der Hauptstadt statt. Eine neue Demonstration ist zwar momentan nicht angekündigt, aber die Proteste haben gezeigt, wie schnell sich inzwischen Feministinnen landesweit zu Aktionen organisieren können.

 


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„MEINE MUSIK HAT KEINEN SINN AUF EINEM TOTEN PLANETEN“

Sie sind zum zweiten Mal in Europa auf Tour und geben heute Ihr erstes Konzert in Deutschland. Wie waren Ihre Erfahrungen bisher?
Bisher haben wir nur gute Erfahrungen gemacht, vor allem in Spanien, wo wir den Menschen sprachlich verbunden sind. In Ländern zu spielen, in denen kein Spanisch gesprochen wird, ist eine Herausforderung, da der Text die Hälfte des Liedes ausmacht. Dann denkst du, okay, niemand versteht, was ich hier gerade singe, aber im Endeffekt ist Musik Musik, in jeder Sprache.

Loli Molina Es bewegt sich was in der Musikszene (Foto: Marcelo Quiñones)

Können Sie etwas über Ihren musikalischen Werdegang und Ihre Einflüsse erzählen?
Ich habe sehr früh damit angefangen, Instrumente zu lernen. Die Musik war etwas, das mich schon immer in meinem Leben begleitet hat, es ist etwas Gigantisches für mich. Ich bin eine Person, die alles wie ein Schwamm absorbiert: Alles, was ich gehört und gelernt habe, hinterlässt Spuren auf meiner inneren Festplatte und wenn ich meine eigene Musik mache, kommt diese Information auf mysteriöse Weise zu mir zurück.

Sie interpretieren einige klassische Lieder südamerikanischer Folklore sowie Lieder von bekannten Interpreten wie Luis Alberto Spinetta oder Fernando Cabrera. Waren dies auch Lieder, die Ihren musikalischen Werdegang begleitet haben?
Ja, es gibt Lieder, die sozusagen Teil der Enzyklopädie großer Musik sind und um die keine Person, die Lieder schreiben möchte, herumkommt. Sie zu lernen und zu interpretieren, um tiefgreifend zu verstehen, wie sie gemacht worden sind, ist wie zur Schule zu gehen.

Sie kommen aus Buenos Aires, wohnen aber seit einigen Jahren in Mexiko Stadt. Wie ist denn die Situation der unabhängigen Musikerinnen in Argentinien und Mexiko?
In Mexiko gibt es eine sehr große Szene, denn allein in Mexiko Stadt leben 25 Millionen Menschen, in Buenos Aires „nur“ 10 Millionen. Zudem ist Mexiko Treffpunkt vieler Immigranten aus Argentinien, Chile, Venezuela, Kolumbien, der Dominikanischen Republik… Es gibt also eine große Liedermacher-Szene aus all diesen Ländern, und die Sprache ist immer ein bisschen unterschiedlich: die Lieder von den Inseln sind tropischer, die aus dem Süden nostalgischer und kryptischer, die Mexikaner spielen eher Pop oder Folklore. Das ist sehr interessant, aber die Szene ist auch etwas übersättigt. In Buenos Aires ist die Szene viel kleiner und die Strömungen sind sich ähnlicher. In den Süden kommen nicht so viele Leute von außerhalb, die Szene nährt sich eher von sich selbst.

Ihre ersten beiden Alben wurden von einem großen Label veröffentlicht. Das dritte Album Rubí haben Sie selbst veröffentlicht. Wie kam es dazu?
Nach meinen ersten beiden Alben habe ich das Label verlassen. Ich war 25 oder 26 Jahre alt und dachte, es gäbe keine andere Möglichkeit. Danach begann ein langer Weg, in dem ich lernte, alles selbst zu machen, meine eigene Managerin zu sein, meine eigenen Videos zu machen und zu verstehen, wie die Musikindustrie funktioniert. Die Industrie verändert sich ständig, zum Beispiel durch Spotify. Es geht viel darum, wie viele Aufrufe und Likes ein Song hat. Das erzeugt einen sehr unfairen Konkurrenzkampf. Ein unabhängiger Künstler hat keine Chancen gegen jemanden, der Millionen von Aufrufen für sein Video kauft. Diese großen Strukturen sind nichts für mich.

Wie hat sich die Musikszene verändert? In einem anderen Interview meinten Sie, dass es wieder mehr vielversprechende Liedermacher*innen gibt, vor allem Frauen.
Da bewegt sich etwas, auf vielen Ebenen. Es gibt eine Art Aufstand der Frauen mit vielen feministischen Bewegungen. Der Diskurs hat sich verändert und es wird gefordert, Frauen mehr Raum zu geben. Das gab es noch nicht so sehr, als ich damit begann, Musik zu machen. Außerdem gibt es ja diese schon erwähnte Übersättigung: Jeder kann Musik aufnehmen und veröffentlichen. Es scheint mir, als gäbe es deswegen wenig wirklich besondere Projekte. Ich weiß selbst nicht, ob ich zu den Besonderen oder zu den Normalen gehöre.

In Argentinien hat der Senat vor kurzem das Ley del cupo femenino (zur Frauenquote auf Musikfestivals) verabschiedet, welches noch von der Abgeordnetenkammer beschlossen werden muss. Glauben Sie, dass das erwas ändern wird? Haben Sie sich auch schon von der „historischen Ungleichbehandlung und Diskriminierung, die Frauen auf den Bühnen der Festivals erleben“, wie es im Text heißt, betroffen gefühlt?
Ja, definitiv! Zudem komme ich aus einem Land, in dem die Figur des Gitarristen zutiefst männlich konnotiert ist. Die Gitarre, ein prägendes Instrument des Rocks und der Folklore, war immer in den Händen von Männern. In den letzten Jahren sind viele Gitarristinnen aufgetaucht, auch ich zähle mich dazu. Das ist sehr gut, denn es zeigt, dass Frauen nicht nur Sängerinnen sind, sie spielen auch Instrumente. Es ist sehr traurig, dass das nun per Gesetzt geregelt werden muss. Aber wie beginnen, wenn nicht so? Es gibt noch viel Widerstand in einigen rückständigen Sektoren, von alten Produzenten, alten Konzertorganisatoren oder alten Rockern, die sehr machistisch sind und nun sagen: „Jetzt müssen wir Frauen eine Bühne geben, nur weil sie Frauen sind.“ Nein: Sie müssen Frauen eine Bühne geben, weil sie genauso talentiert sind und weil wir den Raum verdienen!

Erstmals auf Europatournee Loli Molina live in Berlin (Foto: Jara Frey-Schaaber)

Auf Ihren Accounts in den sozialen Netzwerken unterstützen Sie soziale und feministische Bewegungen und zeigen Ihre Besorgnis für die Umwelt. Wie fühlen Sie sich mit diesen Kämpfen verbunden?
Ich glaube, das Rockigste und das Revolutionärste, was man in diesem Moment auf der Welt machen kann ist, mit seinem eigenen Beutel einkaufen zu gehen, den Müll zu trennen, und darum zu bitten, keine Plastiktüten zu bekommen. Ich glaube wirklich, dass das etwas Kritisches ist und genauso geht es mir bei sozialen Themen, ob sie Gewalt betreffen oder Frauenrechte. Es gibt viele Menschen, die mir folgen und mir zuhören, also versuche ich, von diesen Dingen zu sprechen. Ich sehe das als ein Werkzeug, um die Welt ein kleines bisschen besser zu machen. Wenn es nur eine Person gibt, die dank dem, was ich geschrieben habe, anders denkt und andere Möglichkeiten erwägt, ist das schon unglaublich. Das ist viel wichtiger, als nur von mir und meiner Musik zu reden oder Selfies zu veröffentlichen, um Likes zu bekommen. Meine Musik hat keinen Sinn auf einem toten Planeten, meine Musik hat keinen Sinn in einer Welt, in der meine Freundinnen auf der Straße geschlagen werden, das steht wirklich an erster Stelle.

Können Sie etwas zur politischen Situation in Mexiko sagen, wo seit über einem halben Jahr ein neuer Präsident an der Macht ist, und zu Argentinien, wo bald Wahlen anstehen?
Im Moment ist es auf politischer Ebene sehr aufgewühlt, überall auf der Welt. In fast allen Ländern gibt es eine Tendenz zum Rechtsruck, es werden Rechte beschnitten und Subventionen für Kultur zusammengestrichen. Ich bin nicht so gut über die politischen Hintergründe in Mexiko informiert, aber es gab fast 70 Jahre, die von ständiger Korruption geprägt waren, und auch wenn eine neue Person an die Macht kommt, ist es schwer, wieder neu zu beginnen. Die Macht müsste neu konstruiert werden, aber wir sollten Mexiko die Möglichkeit zugestehen, sich zum Besseren zu verändern. Was Argentinien betrifft: Das Land ist unter der Regierung von Macri in den letzten vier Jahren kollabiert. Es sieht schlecht aus, was die Bildung, die Kultur und die Wirtschaft betrifft. Ich hoffe, dass die Leute bei dieser Wahl eine gute Entscheidung treffen und nicht aus Wut wählen.

Was kommt nach dieser Tour? Sie haben von Alben gesprochen, die dieses Jahr herauskommen werden?
Ja, am Ende des Monats kehren wir nach Mexiko zurück und stellen zwei Alben fertig, eines kommt Ende des Jahres heraus und das andere im Februar. Also werde ich viel mit der Vorbereitung zu tun haben und nicht viele Konzerte geben können. Dazu kommt die persönliche Suche, wie wir eigentlich in dieser Welt leben wollen, die jeden Tag eine Herausforderung darstellt. Das ist der Plan, Musik machen, die Alben fertigstellen, alles ein bisschen ordnen… Das wird schon!


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