WO DER WILLE NICHT ZÄHLT

Cajamarca ist landwirtschaftlich geprägt und gilt als „Speisekammer im Zentrum Kolumbiens“. Aufgrund der hohen Fruchtbarkeit der Region können „über 100 verschiedene Obst- und Gemüsesorten“ angebaut werden, erklärte ein bäuerlicher Aktivist aus der Region. Genau diese Fruchtbarkeit und Biodiversität sahen die Aktivist*innen bedroht, als vor zehn Jahren unter dem rechten Expräsidenten Álvaro Uribe neoliberale Reformen den Zugriff auf Bodenschätze für Bergbauunternehmen massiv erleichterten. AngloGold Ashanti kaufte in so großen Dimensionen Landtitel auf, dass die Mega-Mine „La Colosa“ die größte Goldmine Lateinamerikas geworden wäre. Wenn sich nicht seit 2006 Widerstand gegen das Projekt formiert hätte. Die Gruppe Cosajuca war von Anfang an Teil der Protestbewegung gegen die Mine: „Wir sind eine Jugendorganisation, die sich dafür engagiert, das Gebiet vor dem Bergbau und auch jedem anderen Projekt, das uns aus diesem Paradies vertreiben möchte, zu verteidigen“, erklärt Camila Méndez, Aktivistin von Cosajuca. Zu den Prinzipien der Gruppe zählen Gewaltlosigkeit, Geschlechtergerechtigkeit und Umweltgerechtigkeit.

Ein erster Versuch, einen Volksentscheid über die Mine zu initiieren, scheiterte an der verweigerten Zustimmung des Bürgermeisters, die nach Rechtslage nötig war. Prompt organisierten Umweltaktivist*innen unter dem Motto „Wenn ihr unseren Willen nicht durchsetzt, dann seid ihr nicht mehr unsere Abgeordneten“ einen autonomen Volksentscheid vor dem Rathaus, um auf das Demokratiedefizit hinzuweisen.Dann kippte eine Gesetzesveränderung das alleinige Initiativrecht des Bürgermeisters und fortan war es möglich, einen Volksentscheid von unten zu organisieren. Inspiriert durch einen gewonnenen Volksentscheid im Juli 2013 in der Nachbarprovinz Piedras entschlossen sich die Aktivist*innen 2016 dazu, erneut auf dieses Instrument zurückzugreifen, um gegen die Mega-Mine vorzugehen. Dem “Comité ambiental y campesino de Cajamarca y Anaima“ gelang es, die für die Zulassung notwendige Zahl an Unterschriften zu sammeln.

Dann kam es zur Abstimmung und für tausende von Menschen war der 26. März 2017 ein Tag der Freude. 6165 Stimmen gegen die Mine standen 76 Stimmen für das Extraktivismus-Projekt entgegen und mit 38,6 Prozent Wahlbeteiligung erfüllte die Abstimmung die Voraussetzung für die Gültigkeit. Bei der Verkündung des Ergebnisses wechselten sich politische Siegesreden mit Gesang und Tänzen ab. Viele Menschen hatten Tränen in den Augen und konnten kaum glauben, dass sie den Angriff auf das „Gute Leben“ (la buena vida) nach Jahren des Kampfes abgewehrt hatten.

Dabei war der Weg zur Abstimmung steinig gewesen. Zunächst verzögerte der Bürgermeister den Wahltermin und gab das Datum dann gerade einmal 15 Tage vor der Abstimmung bekannt. Eine bäuerliche Aktivistin erzählte aus der Mobilisierungsphase: „Diese 15 Tage habe ich mein Kind einer Freundin anvertraut und war eigentlich nicht mehr Zuhause. Meiner Familie gefiel das anfangs nicht, aber ich wusste, dass diese Abstimmung über unsere Zukunft entscheiden würde. Also steckte ich alle meine Kräfte in das Projekt.“

Bei der Auseinandersetzung über die Deutungshoheit bezüglich des Goldabbaus griffen die Konfliktparteien auf ein unterschiedlich großes Repertoire an Ressourcen zurück. AngloGold Ashanti bediente sich schon seit Jahren der Praxis, den Bäuer*innen der Region Geld- und Sachgeschenke zu machen, um die Akzeptanz für den Goldabbau zu erhöhen. Außerdem lockte das Unternehmen mit dem Versprechen, gut bezahlte Arbeitsplätze zu schaffen und das Wirtschaftswachstum Cajamarcas anzukurbeln. Auch der Bürgermeister Cajamarcas bezog Stellung für die Mine und schloss sich der Stimmungsmache des Unternehmens an. Eine nachhaltige Polarisierung der Meinungen in der Bevölkerung war unausweichlich – zu groß sind die Widersprüche zwischen dem Kapitalinteresse des multinationalen Konzerns und der von unten formulierten Forderung die Natur und die Lebensgrundlage der Bäuer*innen nicht zu zerstören.

Neben dem Fehlen von Geld, eigenen Kommunikationsmitteln und einem breiten Kreis von Verbündeten, lag die größte Hürde für das Organi­sieren von Widerstand darin, dass von offizieller Seite nahezu keine vertrauensvollen Informationen zum Status der Bauarbeiten bereit gestellt wurden. Wegen der Vertreibungen und der Verpestung der lebenswichtigen Gewässer, die mit der Mine einhergehen, geht es für die Aktivist*innen bei dem Kampf gegen das Projekt „La Colosa“ um nicht weniger als die Verteidigung einer lebenswerten Zukunft im Einklang mit der Mutter Erde. Dabei ist Cosajuca durch seine langjährige und vertrauensvolle Arbeit mit den Bäuer*innen der Region, durch das Arbeiten in Bündnissen und das Herausbringen der monatlich erscheinenden Zeitung „La Inconquistable“ zu einer wichtigen Stimme im Widerstand gegen den Extraktivismus geworden.

Wütend berichten die jungen Erwachsenen davon, wie versucht wurde, jedes Mittel des Widerstandes zu diffamieren: „Bei Aktionen wie Demonstrationen und Blockaden von Firmenfahrzeugen, die Bodenproben nehmen wollen, werden wir als Guerilleros und Terroristen diffamiert. Und wenn wir auf in der Verfassung verankerte, legale und demokratische Verfahren wie den Volksentscheid zurückgreifen, dann laufen wir Gefahr, dass diesem Gültigkeit und Rechtsmäßigkeit abgesprochen wird.“
Die Minenbefürworter*innen schreckten auch vor roher Gewalt nicht zurück. Die Aktivist*innen wurden sowohl tagsüber als auch in der Nacht auf offener Straße angegriffen, zusammengeschlagen und bedroht. Für drei Aktivisten endete ihr Engagement gegen den Goldabbau tödlich. Ein bäuerlicher Anführer und zwei junge Erwachsene wurden ermordet – unter ihnen Camila Méndez’ guter Freund Daniel Humberto Sanchéz Avendaño.

Doch mit dem gewonnen Volksentscheid ist der Kampf noch nicht beendet. AngloGold Ashanti erklärte einen Monat später das Projekt für beendet, doch der Sieg der Bewegung wurde schon Wochen später wieder infrage gestellt. Vor allem die Regierung argumentiert, dass das plebiszitäre Element des Volksentscheids keine Rechtsbindung mit sich bringt, da es sich um nationale anstatt nur um Interessen der Region handle. Mit einer ähnlichen Argumentation könnte eine neue, sich dieses Jahr formierende Regierung das Ergebnis des Volksentscheids durch eine Gesetzesänderung für nichtig erklären.

Derweil hören Repression und Einschüchterungsversuche nicht auf. Vor vier Monaten haben zwei Aktivistinnen einen Angriff mit einer mit Schallschutz versehenen Schusswaffe überlebt.
In den Staat und die Regierung setzen die Aktivist*innen trotz des vermeintlichen Friedensprozesses in Kolumbien wenig Hoffnung. Bei Angriffen wie diesem verweisen die Autoritäten auf das vom Innenministerium initiierte Schutzprogramm „Unidad Nacional de Protección“ (kurz: UNP), das für die Sicherheit sozialer Führer*innen sorgen soll. Ihrer Meinung nach, stellt das Programm kaum wirksame Schutzmechanismen zur Verfügung. Zudem erhoffen sich die Aktivist*innen von einem Staat, der selber oftmals direkt in bewaffneten Konflikten agiert und bestrebt ist, Kapitalinteressen bei der Durchsetzung zu unterstützen, keinen ausreichenden Schutz für ihr Leben.

Camila ist überzeugt: „Der einzige für uns wirksame Schutz ist, wenn wir weiterkämpfen und es schaffen, den Bergbau endgültig aus der Region zu vertreiben. Nur dann wird die Heftigkeit von Bedrohungen, Angriffen und Einschüch­terungen nachlassen.“ Trotz der bedroh­lichen Atmosphäre kämpfen die jungen Erwachsenen weiterhin „für das Wasser, das Leben und das Territorium“.

Im Regierungsbezirk von Cajamarca sind in 80 Prozent des Gebietes bereits Abbau-Konzessionen vergeben. Alleine AngloGold Ashanti hat mit 30.440 Hektar rechtlichen Zugriff auf 60 Prozent des Regierungsbezirks. Die Kämpfe der Gruppe sind mit der Hoffnung verbunden, dass der kolumbianische Staat eines Tages als Garant der Menschen- und Grundrechte auftritt und aufhört, die Kapitalinteressen multinationaler Konzerne vor den Wunsch der Bevölkerung nach Frieden und Einklang mit der Natur zu stellen.
Für Camila von Cosajuca ist es wichtig, diese Kämpfe internationalistisch zu denken: „Der Extraktivismus ist nicht nur eine Bedrohung für den Süden, sondern er ist eine Bedrohung für die gesamte Welt und für die Menschlichkeit.“

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